-1- Karl Wilhelm Böddeker Kultur & Technik WS 2009/2010 02.11.2009 Über Kohlenstoff in der Natur (Vortragsmanuskript/Entwurf) 1 Gaia-Hypothese und Klimawandel Gaia = unsere Vorsilbe Geo, griechisch "Erde". Name der griechischen Erdgöttin, wesensverwandt mit Demeter und weiteren. Gaia-Hypothese (James Lovelock, 1979): Die Erde wird betrachtet als ein einziger "Organismus" mit selbstregulierenden Eigenschaften. Stabilisierung durch Austauschvorgänge (Rückkopplungen) zwischen den Kohlenstoffspeichern, einzigartig vermittelt durch die Biosphäre, dem Speicher des Lebens. Das dynamische System Erde Am Anfang waren Erde und Ozean wüst beziehungsweise leer. Der Kreislauf des Wassers funktionierte, sobald die Kondensationstemperatur unterschritten war: CO2 wurde aus der Uratmosphäre (die, abgesehen von Wasserdampf, fast nur aus CO2 und N2 bestand) in das offenbar bereits salzige Meer gewaschen. [Über die Herkunft des Meerwassers wird noch spekuliert: vulkanisch ausgeschwitzt aus der Urmasse; Kometeneinfang; – wahrscheinlich beides.] Während die Leuchtkraft der Sonne zunahm (das tut sie noch immer), nahm zugleich der CO2-Anteil in der Uratmosphäre ab, so dass die frühe Klimakatastrophe ausblieb. Dies ist der erste Hinweis auf eine Art "Selbstregulierung" des Systems Erde, die der Kerngedanke der GaiaHypothese ist. Sehr früh schon regte sich Leben unter der schützenden Wasseroberfläche (noch kein Ozon, d.h. heftige UV-Bestrahlung). Gelösten Kohlenstoff (als CO2/HCO3-) gab es reichlich, Energie (solar) und Wasser ebenfalls: Die Zutaten für die Photosynthese, die nach 6CO2 + 6H2O C6H12O6 + O2 Glucose und molekularen Sauerstoff liefert. -2- Spekulationen über den "Beginn des Lebens" gehören nicht hierher, – es war auch noch für mehrere Milliarden (!) Jahre wenig spektakulär, nämlich beschränkt auf Mikroorganismen (Plankton). Bei aller anfänglichen Bescheidenheit nimmt von nun an das "Leben" Einfluss auf die weitere Entwicklung unseres Planeten, indem es einerseits Sauerstoff bereitstellt, andererseits eine neue zusätzliche CO2-Senke in Form von (zunächst) mariner Biomasse darstellt (DOM = dissolved organic matter). Seit es Photosynthese gibt, ist unsere Erde darstellbar als ein interagierendes System dreier "aktiver" Kohlenstoffspeicher, • Atmosphäre (die Lufthülle, enthaltend Kohlenstoff als CO2) • Hydrosphäre (die Ozeane, enthaltend CO2/HCO3- und DOM) • Biosphäre (alles was "lebt", d.h. stoffwechselt) Als "inaktiv" werden hier solche Speicher eingestuft, die am biologischen Austausch-Geschehen keinen oder nur geologisch-langsamen Anteil haben, – es sei denn, sie werden durch Nutzung "aktiviert" (Kohle und Öl sind in diesem Sinn inaktive Kohlenstoffspeicher). Über die jeweiligen Mengen und Austauschraten weiter unten. Die "formative" Phase, also der Weg hin zu einer Art Gleichgewicht zwischen den Sphären, endete erst vor 500 Millionen Jahren, als das Leben (und damit die Photosynthese) sich zögernd vom Meer auf das Land ausbreitete (inzwischen gab es eine schützende Ozonschicht). Nun wurden die Organismen bald größer, und sie waren auch nicht länger auf rein vegetarische Kost angewiesen, – mit anderen Worten, sie brauchten Schutz (z.B. Kalkschalen) oder andere furchteinflößende Eigenschaften. [Wer weiß, wann Angst und Misstrauen in die Welt gekommen sind.] Heute ist – laut Gaia-Hypothese – eine Art stationärer Zustand erreicht, den Lovelock mit dem Funktionieren eines Organismus vergleicht: So wie die Warmblüter ihre Körpertemperatur innerhalb sehr enger Grenzen konstant halten, reguliert sich auch das Klima der Erde "wie von selbst". Kleine Abweichungen wie die Warm- und Kaltzeiten der jüngeren Erdgeschichte werden durch Austauschvorgänge zwischen den Kohlenstoffspeichern (den drei Sphären) aufgefangen: Das Leben geht weiter. Dabei kommt der Biosphäre eine Schlüsselrolle zu, indem sie mit ihren beiden Wirkmechanismen Photosynthese und Respiration (Atmung) für raschen Austausch sorgt. Diese Sicht weist der Biosphäre eine ungewohnte Rolle zu: -3- Es wird nicht unbedingt gefordert, dass Anpassung an gegebene Umstände das Leben prägt (Stichwort ökologische Nischen), sondern umgekehrt gestaltet das Leben auch die Lebensräume. Es gibt Einwände grundsätzlicher Art: • Es besteht die Versuchung, hinter der von der Gaia-Hypothese postulierten Selbstregulierung außerirdisches Wirken (oder gar überirdische Absicht) zu vermuten (zu erhoffen). In die etwas diffuse Gedankenwelt von New Age Science passte die Hypothese nahtlos, weil ganzheitlich; Lovelock selbst möchte, wie es heißt, nicht vereinnahmt werden. • Ein anderer Einwand betrifft die Extrapolation natürlicher Abläufe auf geologische (kosmologische) Zeiträume: So wie sie es seit 5 Milliarden Jahren tut, wird die Sonne auch in Zukunft stetig heißer und heller werden, bis zu ihrem vorhersehbaren Ende als Supernova. Lange bevor in ferner Zeit unsere Ozeane endgültig verdampfen, wird die vermeintliche Selbstregulierung keine Wirkung mehr haben. Das Wahrnehmungsproblem hat mit dem Zeitmaßstab zu tun: Versuchen Sie, einer Eintagsfliege die Jahreszeiten zu erklären! ["Ewigkeit" ist in diesem Bezugssystem nicht vorgesehen.] Der entscheidende Einwand ist jedoch dieser: Der Gaia-Mechanismus scheint schon heute mit dem sich abzeichnenden, auf menschlichen Eingriff zurückzuführenden Klimawandel nicht fertig zu werden. Besonders scheint die Biosphäre (zu Land und zu Wasser) nicht rasch genug auf den Anstieg des CO2-Gehaltes der Atmosphäre zu reagieren, so gering er auf den ersten Blick erscheinen mag (alles im ppm-Bereich). In zulässiger Vereinfachung besteht der menschliche Eingriff in der beschleunigten Verbrennung von fossiler Biomasse (Kohle, Öl). Vielleicht nimmt Gaia den Ausverkauf ihrer stillen Reserven übel, – und fürchtet sich überdies vor den vielen Menschen. 2 Die Wirkungskette Energie, CO2-Ausstoß, Klimagefährdung 2.1 Schilderung der Lage Als gesichert gilt: • Es besteht ein Zusammenhang zwischen CO2-Gehalt der Atmosphäre und der Temperatur der Erdoberfläche einschließlich der Meere, nachweisbar mindestens über mehrere Zyklen der alle 100 000 Jahre regelmäßig wiederkehrenden Eiszeiten der jüngsten Erdgeschichte. -4- • Ein außerordentlicher CO2-Anstieg in der Atmosphäre wird seit Beginn der Industriellen Revolution (d.h. seit 1750) beobachtet; dies sind die Werte, angegeben in ppm CO2 (cm3/m3) bzw. in Gigatonnen Kohlenstoff: – Würm-Eiszeit vor 18000 Jahren 190 ppm CO2 = 415 Gt C – Beginn der Industriellen Revolution 280 ppm = 610 Gt – Aktueller Wert (2008) 385 ppm = 800 Gt • Der CO2-Anstieg ist eine direkte Folge des zunehmenden Energiebedarfs der Menschheit in den Kategorien Strom, Kraftstoff (Transport), Wärme (einschließlich Prozesswärme). Der Energiebedarf wird auf absehbare Zeit nahezu linear steigen (als absehbar gilt der Zeitraum bis 2100), als Folge von Bevölkerungswachstum und Entwicklungsanspruch. Die globalen Werte sind (Primärenergie in Exajoule pro Jahr, EJ/a): – 2005: 500 EJ/a (entsprechend 130 Billionen kWh/a) – 2100: 1600 EJ/a • Bei heutiger Wirtschaftsweise (ungehemmter Verbrauch der fossilen Energieträger) würden die Reserven an Erdöl, Erdgas (und Uran) noch innerhalb des "absehbaren Zeitraums" erschöpft sein; Steinkohle und Braunkohle haben eine etwas größere Reichweite. Würden diese Reserven tatsächlich "verbrannt", wäre eine Klimakatastrophe unausweichlich. Soweit besteht Konsens. Wenn es um Maßnahmen geht (Abschnitt 2.3), ist von Konsens keine Rede mehr, es wetteifern politische, weltanschauliche und lobbyistische Interessen, wie sie das Dilemma zwischen technischer Machbarkeit (im Prinzip unbegrenzt) und menschlicher Einsichtsfähigkeit (prinzipiell begrenzt) hervorbringt. Vergleichsweise ernsthaft betrieben wird dagegen das Instrument der Bestandsaufnahme, Klimamodellierung und Verbrauchsanalyse. 2.2 Klimamodelle (wieviel Energie braucht der Mensch?) Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) vergibt jährlich Noten über den Entwicklungsstand der Länder der Welt, den Human Development Index (HDI). Er wird mit Werten zwischen 0 und 1 aus vier Teilindices errechnet – Lebenserwartung bei der Geburt – Alphabetenquote der Erwachsenen – Brutto-Schuleinschreibungsrate – reale Kaufkraft je Einwohner -5- Ein HDI > 0.8 gilt als hochentwickelt (Deutschland mit 0.935 auf Platz 22); HDI zwischen 0.5 und 0.8 liegen die "Schwellenländer"; HDI < 0.5 sind gering entwickelt (Sierra Leone, 0.336). Im folgenden Diagramm sind für eine Anzahl von Ländern die HDI-Werte mit dem Jahresverbrauch an Primärenergie ihrer Einwohner korreliert (dieser Wert liegt für Deutschland (2005/2007) bei 5527 W/cap gegenüber einem Welt-durchschnitt von 2283 W/cap). Die ablesbare Information ist diese: An der Linie "2000 Watt pro Person" scheidet sich die Welt in die beiden Lager entwickelt und unterentwickelt; bis zu dieser Linie steigt der HDI-Wert steil an; für die Industrieländer des Nordens hat dagegen der Energieverbrauch kaum mehr Einfluß auf deren Lebenssituation, soweit diese durch den HDI-Wert beschrieben wird. Was folgt daraus? Entwicklungsländer erhöhen ihr HDI-ranking, indem sie Energie verfügbar machen; Industrieländer neigen eher dazu, den Energieverbrauch durch höhere Effizienz zu drosseln, ihre "Lebensqualität" ist durch höheren Verbrauch kaum mehr zu steigern. [Leider verstehen Industriemenschen unter Effizienz nur die der Energieerzeugung (genauer Umwandlung), nicht die des individuellen Verbrauchs.] Das "Shell-Szenario für den globalen Energieverbrauch" (eines von vielen derartigen Szenarien) [Bild] benutzt die Idee der "2000 Watt-Gesellschaft" spekulativ wie folgt: Bei 2000 W pro Person und dann 10 Milliarden Menschen kommt man für 2050 rechnerisch auf einen Gesamtverbrauch von 630 EJ/a, – wenig mehr als heute der Energieverbrauch von 6.8 Milliarden Menschen beträgt. Wenn zugleich alternative Energiequellen zur Verfügung stehen, könnte die 2000 Watt-Menschheit dann glatt auf Öl, Gas und Kohle verzichten. Dies als Beispiel für das dem Thema eigene Wunschdenken. Ein anderes Beispiel für Wunschdenken ist das Szenario ("Energiemix") des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung (2008), welches das zukünftige Heil in der Direktnutzung der Solarenergie sieht [Bild]. Ein realistischer Ansatz geht von der – allgemein akzeptierten – Annahme aus, dass unser Planet eine Erwärmung von 2 Grad (über das vorindustrielle Niveau) aushält und fragt folglich: Wieviel CO2 darf es denn noch sein? Das Ergebnis dieser Studie, die es sogar bis zur aktuellen Veröffentlichung in Nature gebracht hat, ist ernüchternd [Bild]: "Wenn das Risiko, das 2-Grad Ziel zu überschreiten, unter 25 % bleiben soll, dann darf die Welt zwischen -6- 2000 und 2050 nicht mehr als 1000 Gt CO2 ausstoßen" (M. Meinshausen, Potsdam-Institut für Klimaforschung). Mehr noch: nach 2050 müsste der Ausstoß auf fast Null begrenzt werden. – Politiker denken kurzfristig, nämlich in jährlicher CO2-Emission bzw. jährlicher Vermeidung (so wird es auch bei der in Kürze stattfindenden Klima-Konferenz in Kopenhagen sein). < muss ergänzt werden > 2.3 Zur Einschätzung der möglichen Maßnahmen Allgemeine Vorbemerkungen – Das Fernziel ist CO2- (Klimagas-)Vermeidung. Dieses Ziel ist für die Stromversorgung leichter und vielfältiger erreichbar als für den Transportsektor (die sogenannten Kraftstoffe). – Die Frage "was kommt nach dem Öl" ist irreführend. Keinesfalls dürfen die bekannten fossilen Kohlenstoff-Reserven bis zur Erschöpfung verbraucht (d.h. in CO2 überführt) werden, vielmehr müssen wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass zugängliche Ressourcen unangetastet bleiben müssen. [Die Überforderung liegt auf der Hand: Habe Kuchen, habe Hunger, darf nicht essen.] Nun die drei Maßnahmen-Pakete • Erstens: Nach Möglichkeiten suchen, CO2 irgendwie "los" zu werden. Hier soll noch einmal Gaia bemüht werden: was leistet die Biosphäre? Bestand an Biomasse auf der Erde (ohne die fossile "inaktive" Biomasse), hier angegeben in Gigatonnen Trockensubstanz: – auf dem Land 1840 Gt – im Meer 4 Gt Jährlicher Zuwachs (Neubildung) – auf dem Land 107 Gt – im Meer 55 Gt Anmerkungen: Das stationäre Bio-Inventar der Meere ist vergleichsweise gering, allerdings ist der Zuwachs ("Stoffwechsel") hoch; da das Meeresleben überwiegend in den Schelfbereichen stattfindet, erscheinen die offenen Ozeane praktisch als "Wasserwüsten". -7- Die Biomasse an Land – auf Masse bezogen ganz überwiegend Lignocellulose – liefert trotz des sehr viel höheren Inventars nur etwa doppelt soviel Zuwachs wie das Meer (entsprechend aufgeteilt ist die photosynthetische Sauerstoffproduktion zu 2/3 an Land, 1/3 im Meer). Wie kann man Gaia unterstützen? – Die naive Lösung: Bäume pflanzen; würde das Bio-Inventar erhöhen und damit zumindest vorübergehend Erleichterung verschaffen. [In der dem Verkehr gewidmeten Infrastruktur unserer Länder könnten ganze Wälder angesiedelt werden.] – Die intelligente Lösung: CO2 am Ort der Entstehung durch Photosynthese in Algenreaktoren abfangen (und als Würfelzucker auf Halde kippen [Bild].) Falls zu Kraftstoff weiterverarbeitet, gelangt das CO2 nach kurzem Aufenthalt hienieden dennoch in die Atmosphäre. – Die dümmste Lösung: "Endlagerung" unterirdisch oder im Meer [Bild], vornehm als sequestrieren (aus dem Verkehr ziehen) apostrophiert. • • Zweitens: Nach Möglichkeiten suchen, Energie (insbesondere, aber nicht nur, Kraftstoffe) ohne erhebliche CO2-Emission bereitzustellen. Dies ist die farbenprächtige Domäne der alternativen oder erneuerbaren Energien. <ergänzen> <erwähnen TUHH Forschungsschwerpunkt Energie- und Umwelttechnik, Prof. Kaltschmitt u.a.> • • • Drittens: Nach Möglichkeiten suchen, den Energieverbrauch verträglich einzuschränken. <ergänzen> Als Entwurf beendet am 11.11.2009