Peter Falkai (Hrsg.) Praxishandbuch Schizophrenie Diagnostik – Therapie – Versorgungsstrukturen 1. Auflage Mit Beiträgen von: Thomas Becker, Peter Falkai, Irina Falkenberg, Andreas J. Fallgatter, Hans Förstl, Wolfgang Gaebel, Philipp Görtz, Alkomiet Hasan, Birgit Janssen, Tilo Kircher, Fabian U. Lang, Stefan Leucht, Tania Lincoln, Stephanie Mehl, Christian Plewnia, Benno G. Schimmelmann, Andrea Schmitt, Thomas G. Schulze, Thomas Wobrock, Claus Wolff-Menzler, Jürgen Zielasek ELSEVIER Hackerbrücke 6, 80335 München E-Mail: [email protected] ISBN Print ISBN e-Book 978-3-437-22305-1 978-3-437-29941-4 Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2016 Copyright © Elsevier GmbH, München Der Urban & Fischer Verlag ist ein Imprint der Elsevier GmbH. 16 17 18 19 20 5 4 3 2 1 Für Copyright in Bezug auf das verwendete Bildmaterial siehe Abbildungsnachweis. Wichtiger Hinweis für den Benutzer Die Erkenntnisse in der Medizin unterliegen laufendem Wandel durch Forschung und klinische Erfahrungen. Herausgeber und Autoren dieses Werkes haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass die in diesem Werk gemachten therapeutischen Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Das entbindet den Nutzer dieses Werkes aber nicht von der Verpflichtung, anhand weiterer schriftlicher Informationsquellen zu überprüfen, ob die dort gemachten Angaben von denen in diesem Buch abweichen, und seine Verordnung in eigener Verantwortung zu treffen. Für die Vollständigkeit und Auswahl der aufgeführten Medikamente übernimmt der Verlag keine Gewähr Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden in der Regel besonders kenntlich gemacht (®). Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann jedoch nicht automatisch geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Um den Textfluss nicht zu stören, wurde bei Patienten und Berufsbezeichnungen die grammatikalisch maskuline Form gewählt. Selbstverständlich sind in diesen Fällen immer Frauen und Männer gemeint. Planung: Ursula Jahn, München Lektorat und Projektmanagement: Bettina Lunk, München Herstellung: Cornelia v. Saint Paul, München Redaktion: Karin Beifuss, Ohmden Satz: abavo GmbH, Buchloe; TNQ, Chennai/Indien Zeichnungen: Stefan Dangl, München Titelbild: © Sabine Henning (Malerin) www.sabine-henning.info Umschlaggestaltung: SpieszDesign Büro für Gestaltung, Neu-Ulm Druck und Bindung: Drukarnia Dimograf, Bielsko-Biala/Polen Aktuelle Informationen finden Sie im Internet unter www.elsevier.com. Vorwort Sehr geehrte Leserinnen, sehr geehrte Leser, das vorliegende Praxishandbuch für schizophrene Psychosen soll einen Überblick zu den verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten dieser Erkrankungsgruppe geben. Dabei wurde versucht, bewusst auf Aspekte einzugehen, die in Übersichtskapiteln sonst nicht oder nur randständig abgehandelt werden können. So gibt es neben den Kapiteln zur Pharmakotherapie und Psychotherapie auch eines zu Neurostimulationsverfahren sowie eines zu anderen Therapieformen wie Kunst- oder Ergotherapie, die in Standardwerken sonst kaum zur Sprache kommen. Ein eigenes Kapitel ist auch der somatischen Komorbidität gewidmet, die oftmals vernachlässigt wird, jedoch in die klinische Routine psychiatrischer Versorgung integriert sein muss. Schizophrenie bei Kindern und Jugendlichen und Menschen jenseits des 65. Lebensjahrs wird ebenfalls in einem eigenen Kapitel dargestellt, da diese künstlichen altersbasierten Grenzen in der Regel keine Rücksicht auf die klinische Realität nehmen. Auch den Themen Rehabilitation und innovative Versorgungskonzepte ist jeweils ein separates Kapitel gewidmet, da in diesen Bereichen zahlreiche Neuentwicklungen zu verzeichnen sind. Gerade in Bezug auf unser neues Abrechnungssystem (PEPP) muss ein integratives Bild der Behandlung von Menschen mit schizophrenen Psychosen entwickelt werden, was im Kapitel zum Thema Vergütungssystem seinen Niederschlag findet. Zusammengefasst soll dieses Praxishandbuch dazu beitragen, dass die Gruppe der Patienten mit schizophrenen Psychosen weiterhin eine optimale Behandlung erfährt und trotz oder gerade wegen ihres Stigmas an den Weiterentwicklungen des Fachs teilhaben kann. An dieser Stelle möchte ich mich bei den Autoren für ihre Expertise bedanken, die sie den Lesern mit einer praxisnahen Darstellung zur Verfügung gestellt haben. Auch allen anderen, die mit ihren Anregungen und ihrer Unterstützung zur Entwicklung dieses Fachbuchs beigetragen haben, sei an dieser Stelle herzlich gedankt, insbesondere den Mitarbeiterinnen des Elsevier-Verlags, Frau Uschi Jahn und Frau Bettina Lunk, sowie der Redakteurin Frau Karin Beifuss, die sich von meinem Enthusiasmus haben anstecken lassen und mit ihrer professionellen und ruhigen Art die Entwicklung des Buchs durch das Fahrwasser der Realisierung geleitet haben. Des Weiteren danke ich PD Dr. Alkomiet Hasan und Frau Anja Dorothée Streb, die die Entstehung dieses Buchs aufseiten unserer Klinik intensiv begleitet haben. Ich hoffe auch im Namen aller Autoren, dass dieses Buch auf hohe Akzeptanz stoßen und den Kollegen in Klinik und Praxis als ein wertvoller Berufsbegleiter offeriert wird und die Kompetenz und Freude an der Arbeit in unserem Fachgebiet noch erhöht. Mit besten kollegialen Grüßen Peter Falkai München, Mai 2016 Geleitwort Die schizophrenen Psychosen gehören in der Gruppe der funktionellen Psychosen vom psychopathologischen Erscheinungsbild her zu den besonders eindrucksvollen und, hinsichtlich der psychosozialen Konsequenzen, zu den besonders problematischen Erkrankungen. Obwohl seit den Erstbeschreibungen des Krankheitskonzepts durch Kraepelin und Bleuler in einer mehr als 100-jährigen Geschichte klinischer Erfahrung in der Diagnose und Therapie sowie intensiver Forschung auf unterschiedlichen Ebenen und mit unterschiedlichen Ansätzen sehr viel Wissen zum ätiopathogenetischen Verständnis und zur mehrdimensionalen Therapie angehäuft wurde, bleibt diese Gruppe von Erkrankungen noch immer unter vielen Aspekten ein großes Rätsel, dessen Aufklärung nur langsam gelingt und dessen Lösung immer wieder mit neuen Sichtweisen einhergeht. Man denke z. B. an immer wieder stattgefundene Änderungen der Schizophrenie-Diagnose-Kriterien, von denen besonders die kürzlich durch das DSM-5 erfolgte Veränderung, welche z. B. die traditionelle Bedeutung der Symptome 1. Ranges marginalisiert, zu erwähnen wäre. Man denke an die Entwicklung zunehmend komplexer werdender neurobiologischer Sichtweisen, von der einfachen, mechanistisch gedachten Dopaminüberschuss-Hypothese bis hin zur Vorstellung einer komplexen Dysbalance verschiedener Neurotransmitter, die aber weiterhin direkte pharmakologische Einflussmöglichkeiten im Sinne von Substitution bzw. Kompensation möglich erscheinen lassen. Die primäre Vorstellung einiger weniger relativ spezifischer disponierender Gene musste fallen gelassen und durch komplexe multigenetische Erklärungsansätze ersetzt werden, die zunehmend nicht mehr nur neurotransmitterbezogene Veränderungen, sondern auch Einflüsse auf frühe und spätere Hirnentwicklungsprozesse ins Zentrum rückten, wobei zudem auch immer mehr immunologische Prozesse ins Blickfeld gerieten. Die traditionelle Orientierung auf biologische Erklärungsansätze wurde allmählich erweitert durch immer stärkere Berücksichtigung psychosozialer Faktoren – eine theoretische Entwicklung, die zunehmend die Ein- beziehung psychotherapeutischer Maßnahmen in das therapeutische Gesamtkonzept möglich machte. Trotz aller Fortschritte der bisherigen Schizophrenie-Therapie und trotz Einführung der Antipsychotika der 2. Generation und dadurch bedingter verbesserter Therapiemöglichkeiten ist der Therapieerfolg bei einem großen Prozentsatz der Betroffenen weiterhin nicht zufriedenstellend. Insbesondere die Negativsymptomatik und die kognitiven Störungen sind auch heute nur schlecht behandelbar. Selbst bei der prinzipiell wesentlich besser durch Antipsychotika angehbaren Positivsymptomatik kommt es häufig zu Therapieresistenzen. Die Entwicklung besserer Medikamente und Therapieansätze jenseits der Medikation wie z. B. die transkranielle Magnetstimulation sind deshalb von großer Bedeutung. Auch verschiedene psychotherapeutische Verfahren konnten in ihrer Wirksamkeit belegt werden und müssen im Sinne der breiten klinischen Anwendung weiterentwickelt werden. Das bestehende Angebot an Behandlungsmöglichkeiten muss im Rahmen von Leitlinien und Stufenplanverfahren gemäß einer individuell optimierten Einzelfallstrategie für den bestmöglichen Therapieerfolg eingesetzt werden. Das Wissen ist inzwischen so umfangreich, dass es für den Einzelnen, ja selbst den SchizophrenieSpezialisten kaum noch überblickbar ist, zumal sich neben dem immer weiter voranschreitenden und komplexer werdenden Detailwissen auch immer wieder neue generelle/konzeptuelle Sichtweisen ergeben. Bisher gab es kein umfassendes deutsches Schizophrenie-Praxishandbuch. Es ist daher sehr begrüßenswert, dass von Herrn Prof. Dr. Peter Falkai, Ordinarius für Psychiatrie und Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der LudwigMaximilians-Universität München, zusammen mit einer Gruppe renommierter weiterer SchizophrenieSpezialisten ein solches Praxishandbuch vorgelegt wird, das den aktuellen Wissensstand zur Ätiopathogenese, Diagnostik und Therapie der schizophrenen Psychosen darstellt und der Komplexität dieses Wissens gerecht wird. Psychiater und Psychologen werden durch die Lektüre dieses Buches den dia­ gnostischen und therapeutischen Anforderungen Geleitwort der täglichen Arbeit besser gewachsen sein und ihr angereichertes Wissen zum Wohle ihrer Patienten einsetzen können. Neben diesem pragmatischen Aspekt führt sicher die durch Wissenszuwachs vermehrte Kompetenz auch zu mehr Freude an der klinischen Arbeit. VII In diesem Sinne wünsche ich dem Praxishandbuch eine große Resonanz. Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Hans-Jürgen Möller Ehemaliger Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München Zum Coverbild Text der Künstlerin Malerei und Kreativität als Grenzgänger mit und ohne Psychiatrie ist mein Leben, Malen, was in mir vorgeht, Grenzen akzeptieren, aber auch überschreiten; das Innenleben auf Leinwand bringen und mit Farben und Pinsel meine Seele ausdrücken, ästhetisch und auch nicht. Sabine Henning Malerin www.sabine-henning.info Geleitwort der täglichen Arbeit besser gewachsen sein und ihr angereichertes Wissen zum Wohle ihrer Patienten einsetzen können. Neben diesem pragmatischen Aspekt führt sicher die durch Wissenszuwachs vermehrte Kompetenz auch zu mehr Freude an der klinischen Arbeit. VII In diesem Sinne wünsche ich dem Praxishandbuch eine große Resonanz. Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Hans-Jürgen Möller Ehemaliger Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München Zum Coverbild Text der Künstlerin Malerei und Kreativität als Grenzgänger mit und ohne Psychiatrie ist mein Leben, Malen, was in mir vorgeht, Grenzen akzeptieren, aber auch überschreiten; das Innenleben auf Leinwand bringen und mit Farben und Pinsel meine Seele ausdrücken, ästhetisch und auch nicht. Sabine Henning Malerin www.sabine-henning.info Autorenverzeichnis Prof. Dr. med. Thomas Becker Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II der Universität Ulm Bezirkskrankenhaus Günzburg Ludwig-Heilmeyer-Str. 2 89312 Günzburg Prof. Dr. med. Peter Falkai LMU Klinikum der Universität München Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Nussbaumstr. 7 80336 München Dr. med. Irina Falkenberg Universitätsklinikum Gießen und Marburg Standort Marburg Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Rudolf-Bultmann-Str. 8 35039 Marburg Prof. Dr. med. Andreas J. Fallgatter Universitätsklinikum Tübingen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Osianderstr. 22 72017 Tübingen Prof. Dr. med. Hans Förstl Technische Universität München Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Ismaningerstr. 22 81675 München Prof. Dr. med. Wolfgang Gaebel LVR-Klinikum Düsseldorf Kliniken der Heinrich Heine Universität Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bergische Landstr. 2 40629 Düsseldorf Dr. med. Philipp Görtz LVR-Klinikum Düsseldorf Kliniken der Heinrich Heine Universität Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bergische Landstr. 2 40629 Düsseldorf PD Dr. med. Alkomiet Hasan LMU Klinikum der Universität München Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Nussbaumstr. 7 80336 München PD Dr. med. Birgit Janssen LVR-Klinikum Düsseldorf Kliniken der Heinrich Heine Universität Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bergische Landstr. 2 40629 Düsseldorf Prof. Dr. med. Tilo Kircher Universitätsklinikum Gießen und Marburg Standort Marburg Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Rudolf-Bultmann-Str. 8 35039 Marburg Dr. med. Fabian U. Lang Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II der Universität Ulm Bezirkskrankenhaus Günzburg Ludwig-Heilmeyer-Str. 2 89312 Günzburg Prof. Dr. med. Dr. h. c. Stefan Leucht Technische Universität München Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Ismaningerstr. 22 81675 München Autorenverzeichnis Prof. Dr. med. Tania Lincoln Universität Hamburg Klinische Psychologie und Psychotherapie Von-Melle-Park 5 20146 Hamburg Prof. Dr. Stephanie Mehl, Dipl.-Psych. Universitätsklinikum Gießen und Marburg Standort Marburg Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Rudolf-Bultmann-Str. 8 35039 Marburg Prof. Dr. med. Christian Plewnia Universitätsklinikum Tübingen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Abt. Neurophysiologie & Interventionelle Neuropsychiatrie Calwerstr. 14 72076 Tübingen Prof. Dr. med. Benno G. Schimmelmann Universitäre Psychiatrische Dienste Bern (UPD) Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychia­trie und -psychotherapie Effingerstr. 12 3011 Bern SCHWEIZ Prof. Dr. med. Andrea Schmitt LMU Klinikum der Universität München Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Nussbaumstr. 7 80336 München XIII Prof. Dr. med. Thomas G. Schulze LMU Klinikum der Universität München Institut für Psychiatrische Phänomik und Genomik (IPPG) Nussbaumstr. 7 80336 München PD Dr. med. Thomas Wobrock Zentrum für Seelische Gesundheit Kreisklinikum Darmstadt-Dieburg Krankenhausstr. 7 64823 Groß-Umstadt PD Dr. med. Claus Wolff-Menzler Alexianer Aachen GmbH Alexianer Krankenhaus Aachen Alexianergraben 33 52062 Aachen Prof. Dr. med. Jürgen Zielasek LVR-Klinikum Düsseldorf Kliniken der Heinrich Heine Universität Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bergische Landstr. 2 40629 Düsseldorf XIV Abkürzungen Abkürzungen ACT ADHS AOS AP BApK BBW BET BEW BFW BMI BP BPE BPflV BTZ CAINS CAT CCT CDSS CET CHOICE CK cMRT CNV COGDIS COMT COPD COPER CT cTBS DAAO DBS DD DGK DGPPN DLPFC DNA DSM DTI DUP EEG EKG Assertive Community Treatment Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung Adult Onset Schizophrenia Abteilungspflegesatz Bundesverband der Angehörigen Psychisch Kranker e. V. Bonn Berufsbildungswerke Body-Ego-Technik Basisentgeltwert Berufsförderungswerke Body-Mass-Index Basispflegesatz Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e. V. Bundespflegesatzverordnung Berufliche Trainingszentren Clinical Assessment of Negative Symptoms Cognitive Adaptation Training kraniale Computertomografie Calgary Depression Scale for Schizophrenia Cognitive Enhancement Therapy Choice of Outcome in CBT for Psychoses Kreatinkinase kraniale Magnetresonanztomografie copy number variation; Kopienzahlvariante cognitive disturbances, kognitive Basisstörungen Catechol-O-Methyltransferase Chronic-obstructive pulmonary disease, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung cognitive-perceptive basic symptoms, kognitiv-perzeptive Basisstörungen Computertomografie continuous theta burst stimulation D-amino acid oxidase; D-Aminosäure­ oxidase deep brain stimulation, tiefe Hirn­ stimulation Differenzialdiagnose Deutsche Krankenhausgesellschaft Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde dorsolateraler präfrontaler Kortex deoxyribonucleic acid; Desoxyribonukleinsäure Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders Diffusion Tensor Imaging Dauer der unbehandelten Psychose Elektroenzephalografie Elektrokardiografie EKT EOS EPS ES ET FDA FGAs GABA GKV GMG GMK GWAS HAT HDAC HEE i. m. i. v. ICD InEK IPT iTBS IV iVNS J. Jh. KBV KHG KJP KVT Lj. MHC min MKT MNS MRT MRV ms MST N. Ncl. NEAR NICE NMDA NRG OPS OSAS p. o. Elektrokonvulsions-/Elektrokrampf­ therapie Early Onset Schizophrenia extrapyramidale Symptome Effektstärke ergänzende Tagesentgelte Food and Drug Administration first generation antipsychotic medications (Antipsychotika der 1. Generation) gamma amino butyric acid; Gamma-Aminobuttersäure gesetzliche Krankenversicherung GKV-Modernisierungsgesetz Gesundheitsministerkonferenz genomweite Assoziationsstudien Histon-Acetyltransferase Histon-Deacetylase High-Expressed Emotions intramuskulär intravenös International Classification of Diseases Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus Integriertes Psychologisches Therapie­ programm intermittent theta burst stimulation integrierter Versorgungsansatz invasive Vagusnervstimulation Jahre Jahrhundert Kassenärztliche Bundesvereinigung Krankenhausfinanzierungsgesetz Kinder- und Jugendpsychiatrie kognitive Verhaltenstherapie Lebensjahr major histocompatibility Minuten metakognitives Training malignes neuroleptisches Syndrom Magnetresonanztomografie Maßregelvollzug Millisekunden magnetische Konvulsionstherapie Nervus Nucleus Neuropsychological Educational Approach to Cognitive Rehabilitation National Institute for Health and Care Excellence N-Methyl-D-Aspartat Neuregulin Operationen- und Prozedurenschlüssel obstruktives Schlafapnoe-Syndrom per os, oral Abkürzungen PANSS PEPP PET PIA PNP PPI PRC PsychKG Psych-PV PSYRATS RCT RNA RPK rTMS s. c. SGAs SGB Positive and Negative Syndrome Scale for Schizophrenia Pauschalierendes Entgeltsystem Psychia­ trie/Psychosomatik Positronenemissionstomografie psychiatrische Institutsambulanz Polyneuropathie Präpulsinhibition Pregnancy Risk Categories Psychisch-Kranken-Gesetz Psychiatrie-Personalverordnung Psychotic System Rating Scales randomized controlled trial, randomisierte kontrollierte Studie ribonucleic acid; Ribonukleinsäure Rehabilitationseinrichtungen für psychisch kranke und behinderte Menschen repetitive Magnetstimulation subkutan second generation antipsychotic medications (Antipsychotika der 2. Generation) Sozialgesetzbuch sMRT SNPs SpDi SPI(-CY) SSRI TAU TCF tDCS TE tVNS UHR VEOS VIPP VNS WfbM WHO ZNF XV strukturelle Magnetresonanztomografie Single-Nukleotid-Polymorphismen Sozialpsychiatrische Dienste Schizophrenia Proneness Instrument (Child and Youth) Version selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer treatment as usual, Standardbehandlung Transkriptionsfaktor transcranial direct-current stimulation, transkranielle Gleichstromstimulation Therapieeinheit transkutane Vagusnervstimulation Ultra-High Risk Very Early Onset Schizophrenia versorgungsrelevante Indikatoren in der Psychiatrie und Psychosomatik Vagusnervstimulation Werkstatt für behinderte Menschen World Health Organization, Weltgesundheitsorganisation Zinc Finger Protein XVI Abbildungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Der Verweis auf die jeweilige Abbildungsquelle befindet sich bei allen Abbildungen im Buch am Ende des Legendentextes in eckigen Klammern. F755-001 F756-001 F854-001 F855-01 F856-001 G442 G443 G444 L231 M953 M954 M955 Schmitt A, et al.. Neurobiologie der Schizophrenie. Aktuelle Befunde von der Struktur zu den Molekülen. Nervenarzt 2015; 86(3): 324–331. Schmitt A, et al. The impact of environmental factors in severe psychiatric disorders. Frontiers in Neuroscience 2014; 8: 19. De Hert M, et al. Cardiovascular disease and diabetes in people with severe mental illness position statement from the European Psychiatric Association (EPA), supported by the European Association for the Study of Diabetes (EASD) and the European Society of Cardiology (ESC). Eur Psychiatry 2009; 24(6): 412–424. Samara MT, et al. Early improvement as a predictor of later response to antipsychotics in schizophrenia: a diagnostic test review. Am J Psychiatry 2015; 172(7): 617–629. Leucht S, et al. Psychopharmakologische Schizophreniebehandlung. Fortschritte der Neurologie-Psychiatrie 2013; 81(5): e1–e13. Braus DF. Schizophrenie. Bildgebung – Neurobiologie – Pharmakotherapie. Stuttgart: Schattauer; 2005. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN, Hrsg.). S3-Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen. Berlin, Heidelberg: Springer; 2013. Godemann F, Wolff-Menzler C. Versorgungsindikatoren in der Psychiatrie und Psychosomatik. DGPPN 2014. Stefan Dangl, München. Prof. Dr. Dipl.-Psych. Tania Lincoln, Klinische Psychologie und Psychotherapie, Universität Hamburg. Prof. Dr. med. Wolfgang Gaebel, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Heinrich-Heine-Universität, LVR-Klinikum Düsseldorf. Prof. Dr. med. Jürgen Zielasek, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Heinrich-Heine-Universität, LVR-Klinikum Düsseldorf. M956 M957 M968 P116 P117 T414 T818 T819 V695 W798 X352 Dr. med. Claus Wolff-Menzler, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin Göttingen. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der Universität München. Prof. Dr. med. Andrea Schmitt, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der Universität München. Prof. Dr. med. Peter Falkai, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der Universität München. PD Dr. med. Alkomiet Hasan, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der Universität München. Prof. Dr. med. Dr. h.c. Maximilian Reiser, Institut für Klinische Radiologie, Klinikum der Universität München. Prof. Dr. med. Frank Padberg, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der Universität München. Steffen Hartmann, Webredaktion und Fotos, Pressestelle, Klinikum der Universität München. MAG & More GmbH, München. World Health Organization (WHO), Genf, Schweiz. Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus GmbH (InEK), Siegburg. Peter Falkai Einführung Die Schizophrenie ist Teil der sogenannten funktionellen Psychosen und wurde als Begriff vor mehr als 100 Jahren von Eugen Bleuler eingeführt. Die Ausformung und Definition der Charakteristika dieser Gruppe von Erkrankungen fand durch Emil Kraepelin statt, der unter dem Begriff der „Dementia praecox“ Erkrankungen verstand, die im frühen Erwachsenenalter begannen und durch kognitive Defizite und eine schlechte Langzeitprognose charakterisiert waren. Mit Einführung der Antipsychotika in die Psychopharmakotherapie der schizophrenen Psychosen ergab sich die Möglichkeit, insbesondere die Positivsymptomatik gut zu behandeln. Die Langzeitprognose ist u. a. deshalb für die Hälfte der Betroffenen günstig, nämlich durch ein oder mehrere Rezidive bei voller Remission im Intervall gekennzeichnet. Die andere Hälfte entwickelt im Verlauf eine Residualsymptomatik, die für eine kleine Subgruppe zwar stabil ist, für ca. 40 % aller Betroffenen jedoch zunimmt und somit verhindert, dass Patienten mit einer schizophrenen Psychose ihre selbstgesteckten psychosozialen Ziele erfüllen können. Dies soll an folgendem Beispiel dargestellt werden: Fallbeispiel II Herr Christian S. erkrankte im Alter von 22 Jahren während seines Jurastudiums. In den letzten Jahren vor Krankheitsbeginn merkte er bereits, dass er immer wieder Stimmungsschwankungen von mehreren Wochen hatte, begleitet von einer Verschlechterung seines Konzentrationsvermögens. Als sehr guter Schüler konnte er sein Abitur jedoch erfolgreich abschließen und seinem lang gehegten Wunsch, Jura zu studieren, folgen. Nach einigen Semestern in überfüllten Hörsälen bemerkte er, dass ihn seine Kommilitonen phasenweise anzustarren und offensichtlich gut über ihn Bescheid zu wissen schienen. Hinzu kamen Schlafstörungen. Er vernahm die Stimmen seiner Kommilitonen schließlich auch außerhalb der Hörsäle und hatte zudem das Gefühl, dass diese seine Gedanken kannten und dass seine Gedanken über das Radio verbreitet würden. Da Christian S. verwirrt und desorientiert wirkte, wurde er von Kommilitonen ins Klinikum der Universität gebracht und dort in der zuständigen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie unter dem Verdacht der Erstmanifestation einer Psychose aufgenommen. Unter der Behandlung mit Antipsychotika schien sich die Symptomatik recht gut zurückzubilden. Er litt jedoch weiterhin unter deutlichen Konzentrationsstörungen, und auch emotional wurde er nicht wirklich stabil. Er nahm sein Studium nicht wieder auf, sondern lebte die nun folgenden 1–2 Jahre zu Hause bei den Eltern, besuchte eine Tagesklinik und nahm an verschiedenen rehabilitativen Maßnahmen teil. Sein Zustand verbesserte sich, eine Wiederaufnahme des Studiums war jedoch nicht mehr möglich. Während eines Übernachtungsbesuchs bei Freunden kam es – möglicherweise aufgrund der Belastung durch die vorangegangene Zugreise – zu einem schweren Rezidiv und zur erneuten Aufnahme in die psychiatrische Klinik. Unter dem Antipsychotikum Clozapin (Leponex®) stabilisierte sich sein Zustand recht gut, es kam unter Belastungen jedoch immer wieder zur Wahrnehmung von akustischen Halluzinationen. Lithium wurde dazugegeben, und in dieser Situation ging die akute psychotische Symptomatik komplett zurück. Die ihn beeinträchtigenden kognitiven Störungen blieben allerdings. Da er schon immer gerne kochte, absolvierte er nun eine Umschulung zum Hilfskoch und arbeitete halbtags in einer Großküche. Auch seine künstlerische Begabung entwickelte er weiter, besucht aktuell eine Bildhauerschule und fertigt in seiner Freizeit Skulpturen. Die Eltern betreuen Christian S. vorbildlich, und es ist klar, dass er nach deren Tod Aufnahme bei seinen Geschwistern finden wird. II Die ist ein Beispiel eines Patienten, der zu den 40 % der Betroffenen gehört, die aufgrund der ausgeprägten Restsymptomatik deutlich von der Erkrankung beeinträchtigt sind. Betrachtet man jedoch die anderen 50 % der Betroffenen, so gibt es viele Beispiele wie das Folgende. XVIII Einführung Fallbeispiel II Herr Frank H. erkrankte im Alter von 22 Jahren während seiner Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Er hatte zuvor erfolgreich das Abitur abgeschlossen, seine Zivildienstzeit absolviert und sich für ca. 1 Jahr in der Welt umgeschaut. Im Rahmen seiner Ausbildung entwickelte er eine zunehmende Antriebslosigkeit. Alles wirkt grau, und er hatte aufgrund seiner kognitiven Beeinträchtigung große Schwierigkeiten, den theoretischen Anforderungen seiner Ausbildung gerecht zu werden. Im 2. Ausbildungsjahr ging es ihm besser. Während eines Lehrgangs entwickelte er jedoch Schlafstörungen. Es schien ihm, als werde er vom Veranstalter des Lehrgangs beobachtet; er hörte nachts Stimmen von ehemaligen Freunden und Bekannten und verließ in den Morgenstunden fluchtartig das Veranstaltungshotel. Er fuhr nach Hause und wurde dort von seinen Eltern in einem hochpsychotischen Zustand in die nächstgelegene psychiatrische Klinik gebracht. Unter Gabe von Antipsychotika in recht moderater Dosis bildete sich die Symptomatik sehr gut zurück, und im Rahmen der psychotischen Episode stellte sich heraus, dass Frank H. unglücklich verliebt war und die junge Frau ihm offenbar 3 Monate vor Ausbruch der Erkrankung endgültig den Laufpass gegeben hatte. Seine psychotischen Beschwerden bildeten sich komplett zurück. Seine Konzentrationsfähigkeit war zwar beeinträchtigt, aber nicht wesentlich. Er wechselte den Lehrherrn, besuchte für einige Zeit die Tagesklinik, um dann noch eine ambulante Psychotherapie zu erhalten. Das Antipsychotikum nahm er für ca. 1 Jahr und setzte es in Absprache mit dem Psychiater schrittweise ab. Nach Abschluss der Lehre arbeitete er für 2–3 Jahre bei einer großen Handelskette, wurde dann dort ins Traineeprogramm aufgenommen und studierte Betriebswirtschaft. Er stieg zum Abteilungsleiter auf, gründete eine Familie, und die psychotische Episode war ein für alle Mal vergessen. Im Alter von 43 Jahren musste er beruflich bedingt schwierige Verhandlungen in den USA führen, und möglicherweise kam es unter dem Schlafentzug und dem massiven Verhandlungsstress zu einem Rezidiv seiner Psychose, was er jedoch selbst erkannte und relativ schnell durch eine adäquate Therapie abgefangen werden konnte. Diesmal dauerte die Rekonvaleszenz etwas länger: Er begann eine 2-jährige Psychothera- pie, um besser mit seinen Stressfaktoren umgehen zu können, und nahm gleichzeitig ein niedrig dosiertes Antipsychotikum ein. II Betrachtet man diese beiden, zwar frei erfundenen, jedoch auf klinischen Erfahrungen beruhenden Fälle, so würde man nicht vermuten, dass es sich hier um dasselbe Krankheitsbild, nämlich eine schizophrene Psychose, handelt. Auch wenn für viele Betroffene aus dieser Gruppe von Erkrankungen eine Lebensgestaltung ohne wesentliche Beeinträchtigung möglich ist, so ist es trotz der Einführung von Antipsychotika in die Somatotherapie und innovativer Psychotherapieverfahren nicht gelungen, der zweiten Hälfte der Betroffenen zu einer besseren Prognose zu verhelfen, als sie sie schon vor etwa 100 Jahren gehabt hätten. Dies führt dazu, dass schizophrene Psychosen ca. 20 % der Aufnahmen in einer psychiatrischen Klinik ausmachen, und für Betroffene, wie im ersten Fall skizziert, dazu führen, dass sie ihre individuellen Lebensziele weder beruflich noch privat auch nur annähernd erreichen können. Nimmt man als Maß für individuelle Krankheitslast das Ausmaß der Behinderung, so führen neben der Schizophrenie vier weitere psychische Erkrankungen das Ranking der sogenannten Disability Adjusted Lived Years (DALYs) an (Abb. E1). Er handelt sich hierbei um Erkrankungen (Abb. E1), die – anders als z. B. Tumor- oder kardiovaskuläre Erkrankungen – nicht mit einer erhöhten Mortalität verbunden sind, sondern für den Einzelnen mit einer früh beginnenden und lebenslang anhaltenden Behinderung einhergehen. Dies ist für die Betroffenen sehr schwer tolerabel. Aber auch die Angehörigen müssen sich, zumindest bei der Hälfte der Betroffenen, mit einem Krankheitsbild auseinandersetzen, das auch ihr Leben signifikant verändert. Vor diesem Hintergrund wird somit verständlich, warum schizophrene Psychosen europaweit jährlich ca. fast 100 Mio. Euro an direkten und indirekten Behandlungskosten verursachen. Betrachtet man diese eher ernüchternde Bilanz, so stellt sich sofort die Frage nach ihren Ursachen. Die schizophrenen Psychosen gehören zu den sogenannten komplexen Erkrankungen des zentralen Nervensystems, bei denen genetische und um­ weltbedingte Risikofaktoren interagieren und die Grundlage für die Pathophysiologie bilden. Groß Einführung XIX Unipolare Depression Alkoholabhängigkeit Arthrose Demenzen Schizophrenie Bipolar Zerebrovaskuläre Erkrankungen Obstruktive Lungenerkrankung Autounfälle Diabetes mellitus 0 Psychische Erkrankungen 2 4 6 8 10 12 DALYs = Disability Adjusted Life Years (Mio.) Somatische Erkrankungen Abb. E1 WHO-Prognose der Krankheitslast (in Anlehnung an: Mathers CD, Loncan D. Projections of global mortality and burden of disease from 2002 to 2030. PLoS Med 2006; 3(11): e442.). [L231, W798] 1930 EKT 1940 1950 Reserpin 1960 1970 Haloperidol Fluphenazin Thioridazin Loxapin Perphenazin 1980 Clozapin Zotepin Chlorpromazin 1990 Amisulprid Risperidon Olanzapin Quetiapin Ziprasidon Aripiprazol Abb. E2 Entwicklung der Antipsychotika. [L231, P116] angelegte genomweite Assoziationsstudien konnten über 100 Risiko-Genloci identifizieren. Pfadanalysen zeigen, dass immunologische, die Synapse oder die Kalziumhomöostase betreffende Mechanismen betroffen sind, aber durchaus auch das dopaminerge System. Diese und andere Befunde führten in den letzten Jahren dazu, die schizophrenen Psychosen pathophysiologisch nicht als klassisch degenerative Erkrankungen zu betrachten, wie z. B. Morbus Alzheimer oder Morbus Parkinson, sondern als eine Gruppe von Erkrankungen, bei denen wahrscheinlich die physiologischen regenerativen Mechanismen beeinträchtigt sind, bevor es dann zu einer Dysfunktion der Transmittersysteme kommt. Antipsychotika wurden jedoch eher zufällig in die Psychopharmakotherapie schizophrener Psychosen eingeführt (Abb. E2). Sie sind heute ein wichtiger Bestandteil der Somatotherapie und helfen, die akute Positivsymptomatik effektiv und nachhaltig zu behandeln. Im Nachhinein haben wir verstanden, dass sie über eine Blockade des dopaminergen Systems wirken, was nicht nur ihre Wirksamkeit, sondern auch ihre Nebenwirkungen, insbesondere auf das motorische System, erklärt. Die Weiterentwicklung der Antipsychotika in den 1990er-Jahren mit einer Fokussierung auf eine 5HT2/D2-Modulation reduzierte zwar die Wahrscheinlichkeit von motorischen Nebenwirkungen, führte aber zu einer Zunahme unerwünschter metabolischer Wirkungen und erhöhte das Risiko für eine Gewichtszunahme. Versuche in den letzten Jahren, therapeutische Prinzipien jenseits der Modulation des dopaminergen Systems einzuführen, z. B. über eine Beeinflussung des glutamatergen Systems, sind bisher leider geschei- XX Einführung tert. Komplett neue Therapieprinzipien werden zurzeit untersucht, müssen ihre Tauglichkeit in der klinischen Praxis jedoch noch unter Beweis stellen. Schizophrene Psychosen galten lange Zeit als rein biologisch fundierte Erkrankungen, bei denen psychotherapeutische Behandlungsmethoden nicht indiziert schienen. Epidemiologische Untersuchungen in der Normalbevölkerung in den letzten 20 Jahren konnten jedoch nachweisen, dass dort psychotische Symptome zu über 10 % vorhanden sind und bei Vorhandensein weiterer Risikofaktoren zur Entwicklung einer schizophrenen Psychose prädisponieren. Dies bedeutet, dass ein Verständnis der Entstehung dieser einzelnen Symptome und ihre Fluktuation im Verlauf eines Lebens die Möglichkeit für kausal wirkende psychotherapeutische Methoden geben. Dementsprechend konnte in kontrollierten randomisierten Studien (RCTs) belegt werden, dass die kognitive Verhaltenstherapie (KVT), aber auch familienbasierte Therapieverfahren insbesondere die schizophrene Positivsymptomatik effektiv vermindern. Auch wenn die meisten Studien bei mit Antipsychotika behandelten Patienten quasi „addon“ durchgeführt wurden, so zeigen erste kontrollierte Studien bei Patienten, die eine Antipsychotikabehandlung ablehnen, dass eine KVT auch dort zu einer signifikanten Reduktion der Symptomatik führt. Neben somato- und psychotherapeutischen Verfahren sind künstlerische und musische Therapien, Ergotherapie, Bewegungs- und Physiotherapie heute fester Bestandteil eines multidisziplinären Behandlungsplans für Menschen mit einer schizophrenen Psychose. Gerade in diesen Bereichen ist die Evidenzlage aber aktuell noch dünn und muss durch RCTs ergänzt werden. Gerade bei Patienten mit einer schizophrenen Psychose, die einen ungünstigen Verlauf nimmt, ist eine wissenschaftlich fundierte Rehabilitation und Integration in innovative Versorgungssysteme essenziell. Hier muss eine Behandlung gewährleistet werden, die einerseits ausreichend stimuliert und anregt, andererseits jedoch nicht zu einer Überforderung und Stigmatisierung der Betroffenen führt. Ein großes Problem ist die Reintegration dieser Patienten in den primären Arbeitsmarkt. Rehabilitative Maßnahmen der unterschiedlichsten Art führen nur dann zu einem nachhaltigen Erfolg, wenn der Betroffene unter Einbeziehung all seiner Möglichkeiten wieder voll integriert werden kann. Die Konsequenzen einer potenziellen chronischen Erkrankung wie die der schizophrenen Psychose sind für die Betroffenen und deren Angehörige am besten dann zu ertragen, wenn trotz der Beeinträchtigung die beruflichen und privaten Ziele einigermaßen erreicht werden können. Die Einführung des Pauschalierten Entgeltsystems Psychiatrie/Psychosomatik (PEPP) stellt eine Herausforderung für die Behandlung von Patienten mit einer schizophrenen Psychose dar, die im Rahmen der Psych-PV eine gestufte adäquate Behandlung erhielten. Das PEPP honoriert akute Krankheitsphasen und eine hohe Leistungsdichte pro Behandlungstag. Unklar ist die langfristige Behandlung von Menschen mit einer chronischen Erkrankung, die eine deutlich reduzierte Belastbarkeit haben und immer wieder eine subakute, aber auch akute Symptomatik zeigen. Es wird sich herausstellen, ob das lernende System PEPP in der Lage sein wird, auch für diese Gruppe von Patienten, zu der die eine Hälfte der Menschen mit einer schizophrenen Psychose gehören, eine adäquate und störungsspezifische Therapie für die verschiedenen Phasen ihres Lebens sicherzustellen. KAPITEL 1 Andrea Schmitt, Peter Falkai und Thomas G. Schulze Ätiologie und Pathogenese 1.1Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.2 1.2.1 1.2.2 Neurotransmitter­hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Die Dopamin-Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Die Glutamat-Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.3 Neurogenetik der Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.4 1.4.1 1.4.2 Umweltfaktoren und Epigenetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Die Rolle von Umweltfaktoren bei der Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Epigenetische Veränderungen bei der Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.5 1.5.1 Veränderungen in neuronalen Schaltkreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Störungen in Regelkreisen und Symptomatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.1 Einführung Schon 1899 grenzte Emil Kraepelin die Schizophrenie als „Dementia praecox“ mit frühem Beginn, fortschreitendem geistigem Verfall und ungünstiger Prognose von den affektiven Erkrankungen mit günstiger Prognose und vollständiger Remission zwischen den Episoden ab und sah eine neurobiologische Gehirnerkrankung als Ursache der Dementia praecox (Kraepelin 1913; › Abb. 1.1). Bis Mitte des letzten Jahrhunderts fanden die Neuropathologen hier jedoch keine Auffälligkeiten, sodass das Interesse an der Neurobiologie der Schizophrenie schwand. Erst mit computertomografischen Untersuchungsmethoden in den 1970er-Jahren zeigten sich erste Befunde erweiterter Ventrikel bei Patienten mit einer Schizophrenie. Auf dieser Basis wurden mit Entwicklung der Magnetresonanztomografie (MRT) und der Segmentierung in graue und weiße Substanz sowie Liquorvolumen in den 1980er-Jahren vielerorts Untersuchungen über neu- Abb. 1.1 Emil Kraepelin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in München. [M957] 4 1 Ätiologie und Pathogenese Liquorvolumen in Liter 0,500 1 0,450 0,400 r=.000 0,350 r=.000 0,300 0,250 0,200 0,150 0,100 0 10 20 30 40 50 Alter 60 Kontrollen Patienten mit Schizophrenie Regression (Kontrollen) Regression (Patienten mit Schizophrenie) rostrukturelle und neurofunktionelle Veränderungen durchgeführt. Auch hier zeigte sich eine Liquorraumerweiterung, insbesondere eine Ventrikelvergrößerung schon bei ersterkrankten Patienten, was auf eine bereits zu Beginn der Erkrankung vorliegende neuronale Entwicklungsstörung hindeutete. Aber auch im weiteren Verlauf der Erkrankung vergrößerte sich das Ausmaß des Gewebeverlusts um die Seitenventrikel nicht mehr, was wiederum gegen eine weitere neurodegenerative Komponente mit Gewebeverlust im Verlauf der chronischen Erkrankung sprach (› Abb. 1.2). Hinzu kam neben klinischen Studien mit großer Fallzahl eine rasante Entwicklung von Labormethoden, die von der Untersuchung einzelner Gene und Proteine bis hin zu hypothesenfreien, genomweiten Assoziations- und Expressionsstudien eine Basis für unsere heutigen Erkenntnisse über die Ursachen, die Ätiologie und die Pathogenese dieser als Gruppe von Erkrankung angesehenen Entität lieferten. 70 80 90 Abb. 1.2 Erweiterte Liquorräume im Krankheitsverlauf bei jungen ersterkrankten Patienten mit einer Schizophrenie und chronisch erkrankten Patienten im Vergleich zu einer Stichprobe gesunder Probanden. [L231, G442] 1.2 Neurotransmitter­ hypothesen 1.2.1 Die Dopamin-Hypothese Die ersten erfolgreichen Therapieversuche mit Chlorpromazin und nachfolgenden Neuroleptika, die antagonistisch an D2-Dopaminrezeptoren wirken, führten zur Entwicklung der Dopamin-Hypothese der Schizophrenie. Die Dopamin-Hypothese postuliert eine dopaminerge Hyperaktivität im limbischen System und subkortikal die durch Neuroleptikatherapie normalisiert werden kann. Neuroleptika zeigen eine klinische Potenz, die mit dem Grad des Antagonismus am Dopaminrezeptor einhergeht. Daneben kontrolliert Dopamin Bewegung, Kognition und Affekt. Pharmakologische Modelle der Amphetaminpsychose, bei der Amphetamingabe die Freisetzung von Dopamin in den Basalganglien verursacht, zeigen deutlich, dass hierdurch vor allem Positivsymptome (› Kap. 2) der Erkrankung erklärt werden können. Untermauert wird die Dopamin-Hypothese durch positronenemissionstomografische (PET-)Studien, 1.3 Neurogenetik der Schizophrenie die zeigen, dass bei schizophrenen Patienten nach einer Amphetamingabe vermehrt Dopamin in den Basalganglien freigesetzt wird. Eine vermehrte Dopaminfreisetzung war jedoch nur in akuten Episoden der Erkrankung nachweisbar; Negativsymptomatik und ein Defizitstadium können durch dieses pharmakologische Modell nicht erzeugt werden (Falkai et al. 2011). 1.2.2 Die Glutamat-Hypothese Positiv- und Negativsymptomatik sowie kognitive Störungen können eher durch das Modell der Phencyclidin-Psychose erklärt werden, bei der durch die Einnahme von Phencyclidin oder Ketamin, die den glutamatergen N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA-)Rezeptor im Ionenkanal blockieren, schizophrenieähnliche Symptome und in einigen Fällen ein Defizitstadium ausgelöst werden. Auch wurde bei Patienten mit einer Schizophrenie ein verminderter Glutamatspiegel im Liquor gefunden. Dabei ist auch zu bedenken, dass eine verminderte glutamaterge Neurotransmission in subkortikalen Regionen mit einer erhöhten Dopaminfreisetzung einhergehen. Heutzutage wird unter Einbeziehung des hemmenden Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure (γ-amino butyric acid, GABA) ein komplexes Modell einer glutamatergen Dysfunktion angenommen. Dabei verursacht ein Antagonismus am glutamatergen NMDA-Rezeptor, der GABAerge, hemmende Interneurone erregt, eine verminderte Ausschüttung von GABA in den synaptischen Spalt. Da GABAerge Interneurone eine hemmende Funktion auf glutamaterge Pyramidenzellen im Kortex besitzen, werden diese wiederum durch die verminderte Hemmung übererregt und schütten vermehrt Glutamat aus. Auf längere Sicht können diese Pyramidenzellen dadurch degenerieren. Diese Hypothese steht im Einklang mit postmortal gewonnenen Befunden verminderter Dichte von Interneuronen oder verkleinerten Pyramidenzellen bei schizophrenen Patienten (Falkai et al. 2011). Zusätzlich wirken mehrere Risikogene der Schizophrenie, die in Assoziationsstudien gefunden wurden (› Kap. 6.2), hemmend auf die Funktion des NMDA-Rezeptors, während nur wenige Polymorphismen wie im Catechol-O-Methyltransferase- 5 (COMT-)Gen oder im Dopamin-Rezeptor D2 auf das dopaminerge System wirken. MERKE Die Dopamin-Hypothese der Schizophrenie basiert auf der antidopaminergen Wirkung der Neuroleptikatherapie und erklärt vor allem die Entstehung von Positivsymptomatik. Die Glutamat-Hypothese entstand aus der Entwicklung von schizophrenieähnlichen Psychosen mit Positivund Negativsymptomatik sowie kognitiven Defiziten nach Einnahme von Phencyclidin, einem Antagonisten am glutamatergen N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA-)Rezeptor. 1.3 Neurogenetik der Schizophrenie Formalgenetische (Familien-, Zwillings- und Adoptions-)Studien belegen in ihrer Gesamtschau eindrücklich die hohe Erblichkeit der Schizophrenie. Der Anteil erblicher Faktoren an der phänotypischen Varianz liegt zwischen 60 und 80 %. Die biologisch-psychiatrische Forschung hat sich in den letzten 3 Jahrzehnten intensiv der molekulargenetischen Erforschung dieser erblichen Grundlage gewidmet. Dank dieser Forschung ist nun allgemein anerkannt, dass die Schizophrenie eine polygenetische Ursache hat. Dies bedeutet, dass eine Vielzahl einzelner Genvarianten, die für sich allein genommen nur ein geringes Risiko vermitteln, an der Ausprägung des Krankheitsbilds beteiligt ist, wobei auch davon auszugehen ist, dass Gene untereinander sowie mit Umweltfaktoren Wechselwirkungen eingehen. Der neuronalen Entwicklungshypothese zufolge findet diese Gen-Umwelt-Interaktion bereits in der perinatalen Phase während der Gehirnentwicklung oder in der Adoleszenz statt und ist die Voraussetzung für die Entstehung schizophrener Symptomatik, die meist im jungen Erwachsenenalter erfolgt. Dabei kann während der neuronalen Entwicklung eine Vorschädigung des Gehirns erzeugt werden, die erst nach dem synaptischen Pruning-Prozess, also der Reifung des Gehirns, mit dem Abbau überschüssiger Synapsen und 1 6 1 1 Ätiologie und Pathogenese Stärkung wichtiger synaptischer Verbindungen im jungen Erwachsenenalter symptomatisch zum Tragen kommt. Durch internationale Konsortien konnten mittels genomweiter Assoziationsstudien (GWAS) in großen Fall-Kontroll-Kollektiven von über 100.000 Teilnehmern bereits mehr als 100 Risikovarianten für die Schizophrenie identifiziert werden (Ripke et al. 2014). Bei diesen Risikovarianten handelt es sich um sog. „SingleNukleotid-Polymorphismen“ (SNPs), die durch einen Basenaustausch in der Gensequenz zustande kommen und etwa alle 300 Basenpaare im humanen Genom vorkommen. Während man kürzlich erst für diese Zahl von SNPs statistisch robuste GWAS-Befunde erzielen konnte, legen Schätzungen nahe, dass mehrere tausend SNPs in ihrer Gesamtheit ca. 30 % der phänotypischen Varianz erklären (Ripke et al. 2013). MERKE Das genetische Risiko, eine Schizophrenie zu entwickeln, wird aufgrund von Zwillingsstudien auf bis zu 80 % geschätzt. Mehrere SNPs mit jeweils kleinem Effekt wurden auch in genomweiten Assoziationsstudien gefunden. Ihre Funktion ist allerdings bislang nur in Teilen bekannt, und Tiermodelle können dazu beitragen, die zugrunde liegende Pathophysiologie und Auswirkungen auf speziesübergreifende Symptomatik aufzuklären. Im humanen Bereich wurden in MRT-Studien Zusammenhänge mit strukturellen und funktionellen Defiziten gefunden. CNVs sind dagegen seltene Genvarianten mit großem Effekt. Sie können teilweise auf neue Mutationen zurückgeführt werden und verursachen psychische Erkrankungen, die auch Symptome der Schizophrenie beinhalten. 1.4 Umweltfaktoren und Epigenetik Die neuronale Entwicklungshypothese besagt, dass während der neuronalen Entwicklung genetische und Umweltfaktoren interagieren, um den Ausbruch der Erkrankung zu verursachen. Dabei können genetische und perinatale Störungen zu einer Dysfunktion in neuronalen Schaltkreisen führen, die den Betroffenen vulnerabel für eine zweite Läsion während einer kritischen Phase der Gehirnentwicklung in der Adoleszenz machen. So entstand z. B. die Vulnerabilitäts-Stress-Hypothese, nach der die Patienten vermehrt sensibel gegenüber dem Einfluss von Stressfaktoren sind (Zubin und Spring 1977; Nuechterlein und Dawson 1984). So besitzen schizophreniegefährdete Personen eine besondere Vulnerabilität und Sensibilität, die in Zusammenklang mit Belastungen wie z. B. Drogenkonsum zum Ausbruch der Erkrankung führt. Neben der Adoleszenz mit dem Prozess des synaptischen Prunings ist auch die Perinatalzeit eine kritische Phase der Gehirnentwicklung. So sind im zweiten und dritten Schwangerschaftstrimenon glut­amaterge Rezeptoren, insbesondere NMDA-Rezeptoren, überexprimiert und erfüllen eine wichtige Aufgabe bei der Gehirnreifung. Sie verursachen jedoch andererseits eine vermehrte Vulnerabilität des Gehirns gegen äußere Einflüsse, z. B. durch Geburtsund Schwangerschaftskomplikationen mit Hypoxie. Neuronale Netzwerke wie die Verbindung des Hippokampus mit dem präfrontalen Kortex sind in der Pathophysiologie der Schizophrenie involviert und können durch neuronale Entwicklungsstörungen geschädigt werden. So verursachte eine hippokampale Läsion während der perinatalen Entwicklung im Tiermodell auch eine Dysfunktion des prä­ frontalen Kortex im jungen Erwachsenenalter mit Defiziten im sensomotorischen Gating und Kognition (Schmitt et al. 2014). Mehrere epidemiologische Studien zeigen den Einfluss von Umweltfaktoren in der Pathogenese der Schizophrenie und sollen im Folgenden beschrieben werden (› Abb. 1.3). 1.4.1 Die Rolle von Umweltfaktoren bei der Schizophrenie Geburts- und Schwangerschaftskomplikationen haben den signifikantesten Einfluss aller bislang beschriebenen Umweltfaktoren auf die Schizophrenie (Zusammenfassung › Tab. 1.1). Zu diesen gehören insbesondere Notkaiserschnitt, Frühgeburt, Anwendung eines Inkubators, Präeklampsie, Asphyxie, Blutungen und Gestationsdiabetes. Geringes Geburtsgewicht, kleiner Kopfumfang und kongenitale Malformationen wurden gehäuft in der Vorgeschichte schizophrener Patienten gefunden. Insbesondere das Geburtsgewicht wird als genereller Marker der intrauterinen Entwicklung angesehen. Per- 1.4 Umweltfaktoren und Epigenetik 7 Lebenslanges Erkrankungsrisiko an einer Schizophrenie (%) 90 1 80 Umweltrisikofaktoren • Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen • Infektionen während der Schwangerschaft • Ort und Zeit der Geburt • Verlust der Eltern vor dem 7. Lebensjahr • Psychischer und physischer Missbrauch • Cannabismissbrauch während der Jugend 70 60 50 40 30 20 10 Abb. 1.3 Interaktion von Genen mit Umweltfaktoren (aus Schmitt et al. 2014). [L231, M968, F756001] 0 Monozygote Dizygote Zwillinge Zwillinge sonen mit einem hohen Risiko für die Entwicklung einer Schizophrenie hatten häufiger Geburts- und Schwangerschaftskomplikationen in der Vorgeschichte als diejenigen, die keine Psychose entwickelten (Schmitt et al. 2014). Ein gemeinsamer Faktor der aufgezählten Komplikationen ist die perinatale Hypoxie, die eine globale und subtile Läsion setzen kann. So konnte im Tiermodell nachgewiesen werden, dass eine perinatale Hypoxie durch Verminderung des Sauerstoffanteils in der Atemluft erst im Erwachsenenalter der Tiere ein Defizit im sensorimotorischen Gating (Präpulsinhibition der akustischen Schreckreizreaktion) auslöst und diese schizophrenieähnliche Verhaltensauffälligkeit durch mehrwöchige Therapie mit dem atypischen Antipsychotikum Clozapin normalisierbar ist. Mehrere epidemiologische Studien haben nachgewiesen, dass Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft eine Infektion hatten, ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Schizophrenie haben. Im Fokus stehen hierbei Infektionen mit Influenza, aber auch anderen Viren wie Masern, Röteln, Varicella zoster, Polio und Herpes. Auch mit bakteriellen Infektionen und Parasiten wie Toxoplasma gondii wurde ein Zusammenhang gesehen. Zudem können Schwangerschaftskomplikationen einen entzündlichen Prozess verursachen. In Übereinstimmung mit dieser Hypothese wurde im Blut, Kinder Eltern Großeltern Enkel Allgemeinbevölkerung Tab. 1.1 Umweltfaktoren und Entwicklungsphasen des Menschen Entwicklungsphase Risiko-Umweltfaktoren Perinatalzeit •Geburts- Entwicklung während der Kindheit •Inkubatorbehandlung •Maternale Separation, Adoleszenz •Vermehrter Stress, Urbanisierung •Cannabis- und Drogenmissbrauch •Migration und Schwangerschaftskomplikationen •Infektionen während der Schwangerschaft •Geburt während der Wintermonate •Hungerepisoden während der Schwangerschaft •Stress der Mutter während der Schwangerschaft geringe Fürsorge •High-Expressed Emotions (HEE): übermäßige Kritik oder emotionales Überengagement der Angehörigen •Kindlicher Missbrauch oder Vernachlässigung Liquor und auch Gehirngewebe bei Schizophrenie eine veränderte Expression von Immungenen und -proteinen gefunden. In einer genomweiten Mi­ kroarray-Analyse war die Gruppe der Immungene sogar die größte, die bei schizophrenen Patienten