1.Mose 22,1-13, Judika 2005 1 Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. 2 Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. 3 Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte. 4 Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne 5 und sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. 6 Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander. 7 Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? 8 Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander. 9 Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz 10 und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. 11 Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. 12 Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. 13 Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt. Liebe Gemeinde, ist es nicht ein Glück, daß wir den Ausgang der Geschichte schon beim Hören kennen? Natürlich wird Isaak nicht geopfert. Vielmehr erscheint der Widder im Dickicht. Das einzige Kind von Sarah und Abraham bleibt am Leben. Wir kennen den Ausgang der Geschichte. Und das vermag uns zu retten. Denn die Erzählung ist anrührend genug. Sie setzt viele und starke Gefühle in Bewegung. Sie stellt die Gottesfrage auf Leben und Tod. Es können sich an der Geschichte auch alle politisch korrekten Menschen und alle Psychotherapeuten und Literaten und alle Feinde der Religionen und alle Freunde der Aufklärung weiden und ihr Material – ironischerweise – aus ihr selbst ziehen. Als wie auch immer Hörende haben wir es vergleichsweise gut mit der Erzählung von Isaaks Bindung. Schon der Titel der Geschichte weist auf die Schwierigkeiten ihres Inhaltes hin: Isaaks Opferung: nein, er wird ja gar nicht geopfert. Isaaks Bindung: ja, das stimmt schon eher. Neulich las ich: Isaaks Nichtopferung. Nicht sehr poetisch. Klar ist jedenfalls der Ausgang der Geschichte für uns heute. Für Abraham war er es aber nicht. Und das ist der Punkt, der uns heute nach wie vor anrührt, weil er uns selber unmittelbar angeht. Zwar wird noch niemand von uns erlebt haben, daß Gott das eigene Kind zum Brandopfer verlangt. Das ist ja auch bei Abraham nicht der Wille Gottes. Gott will etwas anderes. Er stellt den Erzvater auf die Probe. Er will ihn versuchen, testen. Hier liegt der Vergleichspunkt zu uns. Wir beten in jedem Vater Unser: ”Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.” Nicht alle Versuchungen haben dabei die Farbe Lila. Versuchungen sind auch nicht irgendwelche Dinge, die uns von außen verlocken oder verleiten wollen: hier ist ja heute das Wort der Versuchung daheim, im ganzen Bereich der Kalorien und Joule, klassischerweise aus den Erweckungsbewegungen noch in Gestalt von Alkohol, Tabak und anderen Sucht - oder Genußmitteln. Für Abraham stand aber nicht dies oder das auf dem Spiel, sondern alle Verheißungen Gottes für ihn. Seine Familie und seine ganze Zukunft standen auf dem Spiel. Gott, der Allmächtige und Barmherzige, seine Treue, seine ewige Liebe, sein ganzes Wesen, sein Hören und Handeln, alles stand auf dem Spiel und nicht nur irgend etwas; im Kern die Frage, wer Gott ist. Abraham hat sich auf dem Dreitagesweg zum Opferberg Morija bestimmt viele Fragen gestellt. Ist das jetzt noch das Leben, das Gott mir und Sarah versprochen hat, wenn mir das Liebste, was ich habe, genommen wird? Ist das jetzt noch das Leben, das ich mir von Gott erhofft habe, meine Zukunft und die meiner Familie, wenn plötzlich eine Krankheit mit Macht nach mir ausgreift und es keine Hoffnung zu geben scheint? Ist das noch der Ruhestand, den wir uns ausgemalt haben, dann, nach aller Arbeit, wenn es nun darum geht, einen Menschen zu pflegen Tag und Nacht, und von Freizeit nichts zu spüren ist, dafür aber von Niedergang und Abbau und Depression? Ist das noch mein Leben, wenn ich merke, wie sich mehr und mehr die Kinder von mir entfremden und ich mit dem Werdegang der eigenen Enkel so gar nichts mehr anfangen kann? Ist das das Leben, um das wir bei der Hochzeit gebetet haben, um den Segen Gottes, wenn nun kein Kind sich einstellen mag und der Horizont der Erwartung so verstellt ist, daß man um weitere Perspektiven der Ehe in Not und Streit gerät? Ist das noch derselbe Gott, zu dem ich gebetet habe, damals, auf Knien dankend oder mit zerberstendem Herzen, wenn sich nun so vieles gegen mich stellt? Liebe Gemeinde, mit diesen Fragen oder mit ähnlichen kommen wir schon ganz nahe heran an die Geschichte von der Versuchung Abrahams. Ja, wie oft sind Menschen nicht versucht! Ich denke dabei etwa an Menschen, die durch folgenden Gedanken versucht werden: wenn ich aus der Kirche austrete, dann könnte ich ja in zehn Jahren so und soviel Euro sparen. Es ist die Versuchung des Geldes. Daß dadurch die Predigt des Evangeliums eingeschränkt wird, daß dadurch Alten Menschen schlechter gepflegt, daß so Kinder weniger Hilfe erfahren und Menschen nicht mehr beraten werden und vieles vieles anderes mehr, daß spielt dabei keine Rolle. Die Versuchung ist stärker. Sie macht blind. Und sie macht das Land kalt wie ein Geldstück. So ist das im Reich der Finsternis: erst fühlt sich alles so an und dann ganz anders. Am Ende wird es dem Hörensagen nach unerträglich heiß. Wirklich bedrückend werden Versuchungen Gottes auch heute erlebt. Darüber spricht man aber noch seltener als über den Glauben. Aber viele würden wahrscheinlich den Psalmvers 77,11 mit ihrem Leben in Verbindung bringen können: ”Darunter leide ich, daß die rechte Hand des Höchsten sich so ändern kann.” Da ist Abraham jetzt, das ist sein Weg, der Weg, auf dem ihm Gott abhanden zu kommen scheint. Gott so anders, wie ein Fremder, wie ein Feind, wie ein Verkläger. Warum bist du so anders, Gott? Vielleicht ist es so, daß Gott uns auf manche dieser Fragen erst am Ende Auskunft geben wird. Abraham ist trotz aller dieser Fragen Gottes Auftrag gegenüber gehorsam. Er tut, was Gott ihm gesagt hat. Er versteht es zwar nicht. Aber er ist Gott treu. Er will noch Segen erleben, und das wird er nur mit Gott und niemals ohne ihn. Er will es haben, daß die Sonne wieder scheint. Und das kann nur Gott machen. Er will nicht darauf verzichten, daß es einen himmlischen Vater gibt. Er will nicht alles auflösen, was ihm gegolten hat: die Zusagen von Nachkommen, von Land, vom Platz zum bleiben und von Zukunft. Die Alternative zum Gehorsam wäre die Auflösung alles dessen, was er je geglaubt hat, was er je gewesen ist, was er jemals gehofft hat, was er jemals werden könnte. Das will er nicht aufgeben. Gott will er nicht aufgeben, und sich selbst will er auch nicht aufgeben. Wer wollte das? Auch darin sind wir Abraham nahe, jedoch auch deshalb, weil wir den Ausgang unserer Geschichte ebenfalls nicht kennen. Wir wollen aber einen guten Ausgang erhoffen. Wir wollen ihn uns aber von Gott allein schenken lassen. Wir wollen aber Gott um seine Gnade bitten für jeden Tag an jedem Tag. Wir können darauf vertrauen, daß auch bei Gott das oft Gesagte sich besser einprägt. Er führe uns nicht in Versuchung. Er bleibe uns treu wie wir es auch wollen. Amen.