13.03.2005 Judika

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1.Mose 22,1-13, Judika 2005
1 Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm:
Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich.
2 Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh
hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge,
den ich dir sagen werde.
3 Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit
sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer,
machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte.
4 Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne
5 und sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der
Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder
zu euch kommen.
6 Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn
Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die
beiden miteinander.
7 Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete:
Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist
aber das Schaf zum Brandopfer?
8 Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum
Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander.
9 Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham
dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte
ihn auf den Altar oben auf das Holz
10 und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn
schlachtete.
11 Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham!
Abraham! Er antwortete: Hier bin ich.
12 Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn
nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht
verschont um meinetwillen.
13 Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der
Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und
opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt.
Liebe Gemeinde,
ist es nicht ein Glück, daß wir den Ausgang der Geschichte schon beim Hören
kennen? Natürlich wird Isaak nicht geopfert. Vielmehr erscheint der Widder im
Dickicht. Das einzige Kind von Sarah und Abraham bleibt am Leben. Wir
kennen den Ausgang der Geschichte. Und das vermag uns zu retten. Denn die
Erzählung ist anrührend genug. Sie setzt viele und starke Gefühle in
Bewegung. Sie stellt die Gottesfrage auf Leben und Tod. Es können sich an der
Geschichte auch alle politisch korrekten Menschen und alle Psychotherapeuten
und Literaten und alle Feinde der Religionen und alle Freunde der Aufklärung
weiden und ihr Material – ironischerweise – aus ihr selbst ziehen. Als wie auch
immer Hörende haben wir es vergleichsweise gut mit der Erzählung von Isaaks
Bindung.
Schon der Titel der Geschichte weist auf die Schwierigkeiten ihres Inhaltes hin:
Isaaks Opferung: nein, er wird ja gar nicht geopfert. Isaaks Bindung: ja, das
stimmt schon eher. Neulich las ich: Isaaks Nichtopferung. Nicht sehr poetisch.
Klar ist jedenfalls der Ausgang der Geschichte für uns heute. Für Abraham war
er es aber nicht. Und das ist der Punkt, der uns heute nach wie vor anrührt, weil
er uns selber unmittelbar angeht.
Zwar wird noch niemand von uns erlebt haben, daß Gott das eigene Kind zum
Brandopfer verlangt. Das ist ja auch bei Abraham nicht der Wille Gottes. Gott
will etwas anderes. Er stellt den Erzvater auf die Probe. Er will ihn versuchen,
testen. Hier liegt der Vergleichspunkt zu uns. Wir beten in jedem Vater Unser:
”Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.” Nicht
alle Versuchungen haben dabei die Farbe Lila.
Versuchungen sind auch nicht irgendwelche Dinge, die uns von außen
verlocken oder verleiten wollen: hier ist ja heute das Wort der Versuchung
daheim, im ganzen Bereich der Kalorien und Joule, klassischerweise aus den
Erweckungsbewegungen noch in Gestalt von Alkohol, Tabak und anderen
Sucht - oder Genußmitteln. Für Abraham stand aber nicht dies oder das auf dem
Spiel, sondern alle Verheißungen Gottes für ihn. Seine Familie und seine ganze
Zukunft standen auf dem Spiel. Gott, der Allmächtige und Barmherzige, seine
Treue, seine ewige Liebe, sein ganzes Wesen, sein Hören und Handeln, alles
stand auf dem Spiel und nicht nur irgend etwas; im Kern die Frage, wer Gott ist.
Abraham hat sich auf dem Dreitagesweg zum Opferberg Morija bestimmt viele
Fragen gestellt. Ist das jetzt noch das Leben, das Gott mir und Sarah
versprochen hat, wenn mir das Liebste, was ich habe, genommen wird? Ist das
jetzt noch das Leben, das ich mir von Gott erhofft habe, meine Zukunft und die
meiner Familie, wenn plötzlich eine Krankheit mit Macht nach mir ausgreift
und es keine Hoffnung zu geben scheint? Ist das noch der Ruhestand, den wir
uns ausgemalt haben, dann, nach aller Arbeit, wenn es nun darum geht, einen
Menschen zu pflegen Tag und Nacht, und von Freizeit nichts zu spüren ist,
dafür aber von Niedergang und Abbau und Depression? Ist das noch mein
Leben, wenn ich merke, wie sich mehr und mehr die Kinder von mir entfremden
und ich mit dem Werdegang der eigenen Enkel so gar nichts mehr anfangen
kann? Ist das das Leben, um das wir bei der Hochzeit gebetet haben, um den
Segen Gottes, wenn nun kein Kind sich einstellen mag und der Horizont der
Erwartung so verstellt ist, daß man um weitere Perspektiven der Ehe in Not und
Streit gerät? Ist das noch derselbe Gott, zu dem ich gebetet habe, damals, auf
Knien dankend oder mit zerberstendem Herzen, wenn sich nun so vieles gegen
mich stellt?
Liebe Gemeinde, mit diesen Fragen oder mit ähnlichen kommen wir schon ganz
nahe heran an die Geschichte von der Versuchung Abrahams. Ja, wie oft sind
Menschen nicht versucht! Ich denke dabei etwa an Menschen, die durch
folgenden Gedanken versucht werden: wenn ich aus der Kirche austrete, dann
könnte ich ja in zehn Jahren so und soviel Euro sparen. Es ist die Versuchung
des Geldes. Daß dadurch die Predigt des Evangeliums eingeschränkt wird, daß
dadurch Alten Menschen schlechter gepflegt, daß so Kinder weniger Hilfe
erfahren und Menschen nicht mehr beraten werden und vieles vieles anderes
mehr, daß spielt dabei keine Rolle. Die Versuchung ist stärker. Sie macht blind.
Und sie macht das Land kalt wie ein Geldstück. So ist das im Reich der
Finsternis: erst fühlt sich alles so an und dann ganz anders. Am Ende wird es
dem Hörensagen nach unerträglich heiß.
Wirklich bedrückend werden Versuchungen Gottes auch heute erlebt. Darüber
spricht man aber noch seltener als über den Glauben. Aber viele würden
wahrscheinlich den Psalmvers 77,11 mit ihrem Leben in Verbindung bringen
können: ”Darunter leide ich, daß die rechte Hand des Höchsten sich so ändern
kann.” Da ist Abraham jetzt, das ist sein Weg, der Weg, auf dem ihm Gott
abhanden zu kommen scheint. Gott so anders, wie ein Fremder, wie ein Feind,
wie ein Verkläger. Warum bist du so anders, Gott?
Vielleicht ist es so, daß Gott uns auf manche dieser Fragen erst am Ende
Auskunft geben wird. Abraham ist trotz aller dieser Fragen Gottes Auftrag
gegenüber gehorsam. Er tut, was Gott ihm gesagt hat. Er versteht es zwar nicht.
Aber er ist Gott treu. Er will noch Segen erleben, und das wird er nur mit Gott
und niemals ohne ihn. Er will es haben, daß die Sonne wieder scheint. Und das
kann nur Gott machen. Er will nicht darauf verzichten, daß es einen
himmlischen Vater gibt. Er will nicht alles auflösen, was ihm gegolten hat: die
Zusagen von Nachkommen, von Land, vom Platz zum bleiben und von Zukunft.
Die Alternative zum Gehorsam wäre die Auflösung alles dessen, was er je
geglaubt hat, was er je gewesen ist, was er jemals gehofft hat, was er jemals
werden könnte. Das will er nicht aufgeben. Gott will er nicht aufgeben, und sich
selbst will er auch nicht aufgeben.
Wer wollte das? Auch darin sind wir Abraham nahe, jedoch auch deshalb, weil
wir den Ausgang unserer Geschichte ebenfalls nicht kennen. Wir wollen aber
einen guten Ausgang erhoffen. Wir wollen ihn uns aber von Gott allein
schenken lassen. Wir wollen aber Gott um seine Gnade bitten für jeden Tag an
jedem Tag. Wir können darauf vertrauen, daß auch bei Gott das oft Gesagte sich
besser einprägt. Er führe uns nicht in Versuchung. Er bleibe uns treu wie wir es
auch wollen.
Amen.
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