Kirchgemeinde Langrickenbach - Birwinken Monatspredigt Januar

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Kirchgemeinde Langrickenbach - Birwinken
Monatspredigt Januar 2011
Die Opferung Isaaks – 1. Mose 22
Während meines Theologiestudiums hatte ich einen
Professor für Neues Nestament, der uns Studentinnen und
Studenten einmal das Folgende mit auf den Weg gab: Nicht
alle Texte und Geschichten in der Bibel haben zu jeder Zeit
die gleiche Aktualität und Bedeutung. So gibt es Texte, die
Jahrzehnte unbeachtet bleiben oder pflichtschuldig
ausgelegt werden – und auf einmal wird eine ungeahnte
Sprengkraft in ihnen entdeckt. Der Spruch Schwerter zu
Pflugscharen ist ein Beispiel dafür. Und dann gibt es in der
Bibel, im Alten wie im Neuen Testament, Texte, die sollten,
weil sie mehr Unheil als Heil anrichten, weil sie zu mehr
Missverständnissen als zum Verstehen führen, eine Zeit
lang einfach zwischen diesen Deckeln bleiben. Man soll sie
ignorieren – bis vielleicht auch für sie wieder eine bessere
Zeit kommt. Die Anweisung des Paulus, dass die Frau in der
Gemeinde schweigen solle gehört sicher dazu.
Aber, so frage ich mich und frage ich sie heute morgen,
wann war oder wann wird jemals die Zeit für die Geschichte
sein, die wir vorhin gehört haben?
Einer Geschichte, bei der man gar nicht weiss über was
man sich mehr empören soll:
- über den unerbittlichen Befehl Gottes
- über den widerspruchslosen Gehorsam Abrahams
- über die naive Schilderung des Knaben
- oder über die Abwesenheit der Mutter Sarah in der ganzen
Sache.
Was hier in nüchternen Worten erzählt wird, ist verstörend.
Verstörend, weil da etwas von dem, was wir meinen sicher
zu wissen grundsätzlich in Frage gestellt wird:
- die Art und Weise, wie Gott sich zu den Menschen stellt
- aber auch, was Vaterliebe bedeutet.
Jede und jeder, der diesen Text liest bleibt verstört zurück.
Und so haben die Versuche den Text zu erklären fast mit
der Entstehung eingesetzt. Was nochmal zeigt, dass diese
Verstörung nichts ist, was uns heutige Menschen
auszeichnet. Schon immer, so glaube ich, wurde dieser Text
mit stockendem Atem gelesen oder gehört.
Erklärt, man kann auch sagen, seiner Anstössigkeit beraubt,
wurde unser Text im Laufe der Zeit auf manche Art:
- man sprach davon, dass hier eben noch der strafende Gott
des Alten Testaments (oder schlimmer noch der Juden) im
Spiel gewesen sei – und bringt dagegen den liebenden
Christengott in Stellung. Ohne dabei zu beachten, dass ja
auch der Vater Jesu ein solcher jüdischer Gott war.
- man nahm und nimmt bis heute an, hier solle erklärt
werden, dass es in Israel und dann auch unter Christen
keine Menschenopfer brauche, ganz im Gegensatz zur
Umwelt der damaligen Zeit. Doch Menschenopfer hat es
auch unter den heidnischen Religionen im Orient so gut wie
nie gegeben. Es muss da nichts abgelöst werden.
- man hat auch gesagt – und dabei vom Vorhaben der
Opferung etwas abgesehen - hier könne man erkennen, wie
wahrer Gehorsam gegenüber Gott aussieht. Aber erwartet
Gott wirklich solchen Kadavergehorsam?
All diese Erklärungen gehen davon aus, dass die Tötung
des eigenes Sohnes eigentlich nur als Bild zu verstehen ist,
man sie nicht ganz ernst zu nehmen braucht, weil es ja
eigentlich um etwas anderes geht. Doch wenn dem so wäre,
dann frage ich mich, warum wurde diese Geschichte, die mir
den Atem stocken lässt und die soviel Kälte ausstrahlt dann
überhaupt so erzählt?
Denn gewusst welch schreckliches Schicksal da
beschrieben wird, das hat der Autor ganz sicher. Er war
keineswegs so Gefühlskalt, wie es auf den ersten Blick
scheint. Das zeigt die Geschichte, die gerade vor der
Opferung Isaaks erzählt wird – auch da wird ein Elternteil
mit seinem Kind auf Gottes Befehl in die Wüste geschickt
(1.Mose 21): Hagar und Ismael. Und auch dort kommt es
fast zum Äussersten: weil sie, kurz vor dem Verdursten,
nicht zusehen kann wie Ismael stirbt, legt sie ihn – gleich
wie Abraham Isaak – ab und überlässt ihn dem Tod.
Die Erschütterung Hagars ist im Text mit Händen zu greifen.
Der Autor wusste genau, was es heisst, wenn Mutter oder
Vater ihr Kind aus der Hand geben.
Auch hier greift Gott in letzter Sekunde ein, ruft Hagar an
und als sie aufsieht, sieht sie das Rettende. Bei Abraham
war es ein Widder, für sie eine Quelle, die ihnen das Leben
rettet.
Hagar und Abraham, beide sind sie in Lebensumstände
gefangen, von Mächten bestimmt, die sie vom Leben
abschneiden wollen. Beide stehen sie in einer
Lebenssituation, wo es auch für sie – auch wenn das bei
Abraham auf den ersten Blick nicht so aussieht – um Leben
und Tod geht. Und sie erleben, dass sie von einer
unwiderstehlichen, göttlichen? Macht in diesen Tod
getrieben werden:
- für junge Menschen, auch noch für solche in der Mitte des
Lebens bedeutet dass es um Leben und Tod geht, dass ihr
eigenes Leben bedroht ist. Die Hiob-Geschichte, die
ungefähr zur selben Zeit wie unser Text entstanden ist, ist
dafür das bekannteste Beispiel: Hiob verliert alles Hab und
Gut, Gesundheit und ringt darum, ob Gott dafür die Schuld
trägt.
- für alte Menschen, wie Abraham und Hagar, bedeutet das
Sterben vor Augen zu haben, das normalste auf der Welt.
Würde Gott ihnen ihren Tod androhen, wäre das nicht weiter
tragisch. Ihr Leben ist bedroht, wenn ihre Kinder oder Enkel
sterben. Für die damalige Gesellschaft und irgendwie ja
auch noch für unsere heutige galten Menschen ohne
Nachkommen als lebendige Tote.
Die Geschichten von Hagar und Abraham sind Geschichten,
die vom Glauben reden, wenn es uns Menschen ans
Lebendige geht.
Damit wird deutlich – dass das gewiss keine Geschichte für
den alltäglichen Gebrauch sind. Wer meint, aus ihnen
ableiten zu müssen, man solle für Gott halt auch auf
liebgewordenes verzichten und darunter dann etwas Luxus,
ja sogar eigene berufliche oder private Träume versteht, der
banalisiert und missbraucht man diesen Text. Es geht darin
nicht um eine fromme Ermahnung nach dem Motto, dass
man an nichts sein Herz hängen sollte.
Es geht um Situationen die es auch heute gibt und bei
denen es, wie bei denen von Abraham und Hagar um das
Lebendige geht.
- im Leben einzelner Menschen. Wenn Eltern lernen
müssen ihr Kind aus dem Leben gehen zu lassen. Die
Behandlungen abbrechen, sich nach dem Tod irgendwann
wieder dem Leben öffnen, den Raum des Kindes (konkret
und gedanklich) für neues zu öffnen – geschieht dies, wird
ein Kind aus der Hand gegeben.
- oder im Leben von ganzen Gemeinschaften. Wenn ganze
Dörfer im Bürgerkrieg auf der Flucht sind. Das Land
aufgeben, die Toten zurücklassen, nur das retten, was sie
am Leib tragen – geschieht dies, wird die eigene Zukunft
eigentlich mit zurückgelassen.
Darum geht es:
Wenn das Leben so aussieht,
und wir sollten Gott für jeden Tag danken, an dem wir davor
verschont bleiben,
wenn Menschen so den Tod vor Augen haben,
dann an Gott festzuhalten,
dann an diesem einen Satz festzuhalten,
dem Satz: Es kann nicht sein, dass Gott das Böse und die
Auslöschung des Lebens will,
auch dann daran festzuhalten,
wenn alles danach aussieht, als ob Gott genau dies wolle
– darum allein geht es in diesen Geschichten.
Von einem Juden im Warschauer Ghetto heisst es, dass er
trotz und in seinem grauenhaften Leid an eine Mauer
geschrieben hat:
Ich glaube an die Sonne, auch wenn ich sie nicht sehe!
Ich glaube an die Liebe, auch wenn ich sie nicht spüre!
Ich glaube an Gerechtigkeit, auch wenn ich nur
Ungerechtigkeit sehe!
Ich vertraue auf Gott, auch wenn ich ihn nicht begreife!
Gegen allen Anschein an Gottes Rettung und Erlösung vom
Leid zu glauben – erklärt kann das nicht werden.
Und auch das gehört zuletzt zu dieser Geschichte:
Menschen, die durch so etwas hindurchgegangen sind, sie
bleiben beschädigt zurück. Über die Beziehung von
Abraham und Isaak lesen wir kein einziges weiteres Wort –
als hätte sie es gar nicht gegeben. Und Sarah – von ihr wird
nur noch ihr Tod geschildert. Eine jüdische Legende spricht
davon, sie sei – als Isaak vom Geschehen am Berg Morija
berichtet hat – zu Tode erschrocken.
Vielleicht mit einem Gebet wie diesem:
Du dunkler, unbegreiflicher Gott hast alles getan, damit ich
dir nicht mehr vertraue, sondern an dir verzweifele. Es ist dir
nicht gelungen. Ich sterbe, wie ich gelebt habe: Im
Vertrauen auf deine Liebe und Rettung!
Gehalten beim Gottesdienst am 22.1.2011
Pfarrer Klaus Fischer
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