Autor: Pistor Hommelhoff/Hopt/v. Werder: Handbuch Corporate Governance Beitrag: 7. Corporate Governance durch Mitbestimmung und Arbeitsmärkte Datei: HCG7pis.doc 1 Corporate Governance durch Mitbestimmung und Arbeitsmärkte Die Grundthese dieses Beitrags ist, dass die Beurteilung von Mitbestimmung und Arbeitsmärkten für Corporate Governance im wesentlichen davon geprägt ist, welche Unternehmenstheorie (theory of the firm) dieser Beurteilung zugrunde liegt. Der Beitrag ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil (A.) werden die wesentlichen Elemente des deutschen Corporate Governance Modells, wie es sich aus den gesetzlichen Regeln ergibt, und die Funktion und Bedeutung der Mitbestimmung erläutert. Der zweite Teil (B.) analysiert die Mitbestimmung aus der Perspektive verschiedener Unternehmenstheorien, deren Grundzüge jeweils skizziert werden. Im dritten Teil (C.) werden die wesentlichen theoretischen Einsichten zusammengefasst und daraus folgende Vorschläge für künftige empirische Forschung gemacht. A. Corporate Goverance und Mitbestimmung in Deutschland Nach deutschem Aktienrecht ist die Zuordnung der wesentlichen Entscheidungs- und Verfügungsrechte (Kontrollrechte) im Unternehmensbereich zwingendes Recht.1 Eine Analyse der gesetzgeberischen Zuordnung von Kontrollrechten kann daher Aufschluss über das zugrunde liegende Modell der Unternehmensführungskontrolle (Corporate Governance) geben. Zu den wesentlichen Kontrollrechten im Unternehmensbereich gehören das Recht, über Gründung und Fortbestand des Unternehmens zu entscheiden,2 die Kapitalstruktur zu modifizieren, sowie die Satzung, die „Verfassung“ der Aktiengesellschaft, zu ändern.3 Diese Kontrollrechte fallen in die Kompetenz der Hauptversammlung, in der ausschließlich Aktionäre, d.h. Eigenkapitalgeber, vertreten sind. Die Unternehmensführung selbst ist auf den Vorstand delegiert. Der Vorstand wird nicht direkt von den Aktionären, sondern von deren Vertretern im Aufsichtsrat bestellt.4 Das gesetzliche Modell lässt sich somit als „repräsentatives“ im Gegensaty zum „direkt demokratischen“ Modell bezeichnen.5 Die Mitglieder des Vorstandes werden vom Aufsichtsrat für einen Zeitraum von bist zu fünf Jahren ernannt. Vor Ablauf dieser Zeit können sie lediglich aus wichtigem Grund abberufen werden.6 Hauptversammlung und Aufsichtsrat sind grundsätzlich von der Geschäftsführung des Unternehmens ausgeschlossen.7 Allerdings können Entscheidungen von der Zustimmung dieser Gesellschaftsorgane abhängig gemacht werden. Im Hinblick auf die Unternehmensführung beschränken sich die Rechte der Aktionäre somit auf die durch den Aufsichtsrat vermittelte Kontrolle der Entscheidungsträger im Vorstand, auf die sie die Geschäftsführung von Gesetzes wegen delegiert haben. Einen Durchgriff, d.h. eine direkte Kontrolle der Vorstandsmitglieder durch die Aktionäre sieht das Gesetz lediglich für den Fall vor, dass der Aufsichtsrat einem Begehren der Aktionäre nach Klageerhebung nicht nachkommt. Aktionäre, die mindestens fünf Prozent des Aktienkapitals innehalten, können dann selbst den Rechtsweg beschreiten, sofern der dringende Verdacht einer groben Pflichtverletzung vorliegt.8 1 2 3 4 5 6 7 8 Der Umstand, dass das deutsche Aktienrecht im wesentlichen zwingendes Recht ist, wird in § 23 Abs. 5 AktG zum Ausdruck gebracht. Die Satzung eines Unternehmens kann von den gesetzlichen Vorschriften nur dann abweichen, wenn dieses im Gesetz ausdrücklich zugelassen wird. Dies steht in deutlichem Gegensatz zu dem weitestgehend obligatorischen Gesetzes- nicht aber Fallrecht in den USA. Siehe hierzu Coffee, Balance. §§ 2, 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG. § 119 AktG. § 84 Abs. 1 AktG. Siehe Black/Kraakman, Self-Enforcing Model, die einen Vergleich zum repräsentativen bzw. direkten Demokratiemodell herstellen. § 84 Abs. 1 und 4 AktG. § 119 AktG bestimmt ausdrücklich, dass die Hauptversammlung über Fragen der Geschäftsführung nur dann entscheiden kann, wenn der Vorstand es verlangt. Darüber hinaus bestimmt § 111 Abs. 4, dass Maßnahmen der Geschäftsführung dem Aufsichtsrat nicht übertragen werden können. § 147 AktG in der Fassung von 1998. 2 Die Effektivität der internen Unternehmensführungskontrolle nach deutschem Recht steht und fällt mit der Effektivität des Aufsichtsrats. Trotz seines Namens gilt der Aufsichtsrat allgemein weniger als Kontroll- als vielmehr als Beratungsorgan. Das KonTraG von 19989 sowie das TransPuG von 200210 haben die Kontrollrechte des Aufsichtsrats gestärkt. So ist der Prüfungsbericht nunmehr ausdrücklich in die Informationen einbezogenen, auf deren Kenntnisnahme Aufsichtsratsmitglieder einen Anspruch haben.11 Seit Juli 2002 verlangt der Gesetzgeber, dass die Satzung des Unternehmens zu bestimmen hat, dass bestimmte – vom Gesetzgeber nicht weiter definierte – Geschäfte nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden können.12 Dennoch hält der Gesetzgeber insgesamt an dem Beratungsmodell fest. Dies ist auch der Tenor des neuen Corporate Governance Kodex, der ausdrücklich von gegenseitigem Vertrauen und Kooperation spricht.13 Über die Effektivität des Aufsichtsrats bestanden bereits Zweifel vor der Einführung der Mitbestimmung.14 Dennoch gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Mitbestimmung die Stellung und Funktion des Aufsichtsrats weiter geschwächt hat. So weisen Gerum et al. in einer Studie nach, dass Unternehmen, die von der Einführung der Mitbestimmung betroffen waren, oftmals ihre Satzungen mit dem erkennbaren Ziel geändert haben, die Stellung des Aufsichtsrats zu schwächen.15 Dies gilt beispielsweise für die Abschaffung von Zustimmungsvorbehalten zugunsten des Aufsichtsrates, bzw. deren Verlagerung auf die Hauptversammlung. Auch die sog. „Tischvorlage“, d.h. die Praxis, unternehmensrelevante Informationen erst während der Sitzung des Aufsichtsrates zu verteilen und am Ende der Sitzung wieder einzusammeln, ist wohl auf die Mitbestimmung und die Sorge von Vorstand und Anteilseignern zurückzuführen, dass Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsvertreter diese Informationen „missbrauchen“ könnten.16 Eine weitere Schwächung des Aufsichtsrats ergibt sich aus der Vergrößerung des Aufsichtsrats, der je nach Anzahl der Arbeitnehmer nunmehr zwingend bis zu zwanzig Mitglieder haben muss.17 Die Größe des Aufsichtsrats richtet sich somit nicht nach den Bedürfnissen der Aktionäre oder Prinzipien effektiver Unternehmensführungskontrolle, sondern nach gesetzlichen Vorschriften, die eine angemessene Repräsentation der Arbeitnehmer sicherstellen wollen. Obwohl die Größe des Aufsichtsrat dessen Kontrollfunktion und damit letztlich auch die Kontrolle der Arbeitnehmervertreter schwächt, da kollektive Entscheidungsprozesse mit der Anzahl der Entscheidungsträger zunehmen, 18 sind Reformversuche, die Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder zu verringern, bisher gescheitert. 19 Insgesamt lässt sich das deutsche System der Unternehmensführungskontrolle als System beschreiben, das mehr auf Kooperation als auf Kontrolle beruht. Zwar stellt das Gesetz Kontrollinstrumentarien zur Verfügung, doch sind diese nur in Extremfällen einsetzbar. Der Gesetzgeber ging bereits vor Einführung der Mitbestimmung davon aus, dass das Unternehmen eine komplexe Organisation ist, deren Interessen sich nicht auf die Interessen der Aktionäre reduzieren lassen – und das hat sich trotz der Diskussion über 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 Der vollständige Titel dieses Gesetzes lautet Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 27. April 1998, BGBl 1998 Teil I Nr. 24, 786. Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) vom 18. Juli 2002, BGBl Teil I Nr. 50, S. 2681. § 170 Abs 3 Satz 2 AktG. § 111 IV Satz 2 AktG in der Fassung vom 19. Juli 2002 (n.F.). Eine wichtige Ausnahme ist das Übernahmegesetz, das dem Aufsichtsrat die Zustimmungsbefugnis für Defensivmaßnahmen erteilt. Interessanter Weise hat der Aufsichtsrat jedoch jedenfalls in den 20er Jahren in der Mehrzahl der börsennotierten Unternehmen extensive Zustimmungsvorbehalte gehabt. Siehe Hopt, Aufsichtsrat und Banken, S. 236 mit Fußnote 38. Siehe Art. 3 des Deutschen Corporate Governance Kodex vom 20. August 2002, <www.ebundesanzeiger.de/amtlicherteil/>. Hopt, Arbeitnehmervertretung, sowie Hopt, Aufsichtsrat und Banken. Gerum et al., Der mitbestimmte Aufsichtsrat. Hopt, Arbeitnehmervertretung, sowie Hopt, Aufsichtsrat und Banken. § 7 MitBestG. Zum Problem der sogenannten collective action problems grundsätzlich Olson, Collective Action. Zu der 1998er Reform, siehe Seibert, KonTraG , der darauf hinweist, dass Bemühungen an der Größe des Aufsichtsrats zu rütteln, auf den Widerstand der Gewerkschaften gestoßen ist. Zur Schwierigkeit jeglicher Reformen, die die Rechte der Arbeitnehmervertreter beeinträchigen könnten, siehe auch Baums, Law Reform, S. 9. 3 die Bedeutung von „share value“ nicht grundsätzlich geändert.20 Zwar fallen Grundsatzentscheidung in die ausschließliche Kompetenz der Aktionäre, aber die Zurordnung von Kontrollrechten bei weniger gravierenden Maßnahmen soll sicherstellen, dass die Interessen anderer Beteiligten, wie der Arbeitnehmer aber auch das Sozialwohl, berücksichtigt werden. Diese Interessen werden vom Vorstand wahrgenommen. So ist der Vorstand verpflichtet, den Unternehmensinteressen zu dienen, wobei hierunter allgemein die Gesamtheit der Interessen der Arbeitnehmer, der Aktionäre, sowie Gemeinwohlinteressen verstanden werden. Die Verpflichtung, verschiedene, oftmals miteinander in Widerspruch stehende, Interessen wahrzunehmen, gibt dem Vorstand beträchtliche Entscheidungsautonomie, da es letztlich ihm überlassen bleibt, die Unternehmensinteressen im Einzelfall zu definieren.21 Die Mitbestimmung fügt sich ohne große Widersprüche in das vorgegebene gesetzliche Modell der Unternehmensführungskontrolle ein. Kooperation und Dienst im Interesse des Gemeinwohls stehen im Vordergrund. Interessenskonflikte zwischen den verschiedenen am Unternehmen beteiligten Gruppen, z.B. zwischen Minderheitsaktionären und Großaktionären, Aktionären und Unternehmensführung, werden nicht vollständig negiert. Der Gesetzgeber eröffnet jedoch nur wenige prozessuale Möglichkeiten, diese Konflikte durch Kampfabstimmungen oder durch Beschreitung des Rechtsweges offen auszutragen. Stattdessen ordnet er, wie im Falle der paritätischen Mitbestimmung, im Einzelfall Letztentscheidungsrechte zu, was die Entscheidungsfindung erleichtert, bzw. erst ermöglicht, den beschworenen Interessensausgleich jedoch fingiert. Die Unternehmenspraxis hat den Gesetzgeber wiederholt genötigt, sein Modell gegen die Realitäten der Unternehmenspraxis zu verteidigen. Eine Reihe von Einzelmaßnahmen, wie die nunmehr gesetzlich normierte Vorlagepflicht, die Verschwiegenheitspflicht, die Erhöhung der zwingenden Anzahl der Sitzungen des Aufsichtsrats jedenfalls bei börsennotierten Unternehmen, der Zustimmungspflicht des Aufsichtsrates, usw. legen Zeugnis davon ab, dass der Gesetzgeber Missstände erkannt hat, und versucht, diese durch gesetzliches Mandat zu beheben. Ob dies gelingen kann, hängt letztlich davon ab, ob bzw. in welchem Umfang ein kooperatives Unternehmensführungsmodell dekretiert werden kann. Für diese Beurteilung bieten die nunmehr zu behandelnden Unternehmenstheorien das analytische Rahmenwerk. B. Corporate Governance, Mitbestimmung und Unternehmenstheorie I. Ökonomische Theorien des Unternehmens Seitdem Ronald Coase die Frage aufgeworfen hat, warum es überhaupt Unternehmen gibt und nicht alle Transaktionen über den Markt abgewickelt werden,22 sind eine Reihe von Theorien entwickelt worden, die die Existenz von Unternehmen, die Grenzen zwischen Unternehmen und Markt, und die Zuordnung von Kontrollrechten innerhalb des Unternehmens zu erklären versuchen. Für die Frage der Mitbestimmung ist die Zuordnung von Kontrollrechten auf verschiedene Interessensgruppen, die in der Literatur auch stakeholder oder patrons genannt werden, von besonderer Bedeutung. Die folgende Diskussion beschränkt sich daher auf diese Aspekte der wichtigsten ökonomischen Unternehmentheorien. 1. Principal-Agency Theorie Das Grundproblem der Corporate Governance, wie es von Berle und Means 1932 für die Vereinigten Staaten beschrieben wurde, beteht in der Trennung von Eigentum und Kontrolle.23 Will der Eigentümer sicherstellen, dass seine Rechte angemessen vertreten sind, entstehen ihm mit der Delegierung von 20 21 22 23 Siehe hierzu insbesondere Mülbert, Shareholder Value. Siehe hierzu Pistor, Governance Externalities, unter Bezugnahme auf Coffee, Coalitions. Coase, Firm. Berle/Means, Modern Corporation. 4 Kontrollrechten Kosten, insbesondere Überwachungs- und Informationskosten. Damit stellt sich die Frage, wie diese Kosten begrenzt werden können. Die Principal-Agency Theorie beschäftigt sich mit dieser Problemstellung.24 Institutionen,25 wie beispielsweise das Gesellschaftsrecht und die von ihm vorgesehene Aufgabenverteilung auf verschiedene Gesellschaftsorgane, dienen dazu die Agency Kosten zu reduzieren.26 Darüber hinaus kann versucht werden sicherzustellen, dass die Interessen der Eigentümer und derjenigen, die Kontrollrechte ausüben (des Managements) weitgehend gleichlaufen. Erfolgsgebundene Vergütung und Unternehmensbeteiligungen in Form von Aktienoptionen stellen jedenfalls theoretisch derartige Lösungsmöglichkeiten dar.27 Analysiert man die Mitbestimmung aus dem Blickwinkel der Agency Cost Theorie, lässt sich zum einen argumentieren, dass aus Sicht der Aktionäre die Überwachungskosten der Unternehmensführung dadurch erhöht werden, dass verschiedene Interessensgruppen nunmehr im Aufsichtsrat vertreten sind, deren Interessen nicht gleichlaufen, sondern oftmals in Konflikt miteinander stehen. Auf der anderen Seite lässt sich jedoch vertreten, dass die Mitbestimmung eine weitere Form der Kontrolle, nämlich durch die Arbeitnehmer, zulässt und damit letztlich zur Verstärkung der Kontrolle des Managements führt. Hiergegen spricht jedoch, dass die Arbeitnehmer keine Kontrollrechte haben, die sie unabhängig von den Aktionären ausüben können. Dies folgt aus dem paritätischen Modell der Mitbestimmung. Coffee hat darauf hingewiesen, dass es sich bei Corporate Governance grundsätzlich um ein „multiplayer game“ handelt,28 das einfachen Kontrollmechanismen nicht leicht zugänglich ist. Dies gilt auch in den USA, obgleich dort der Gesellschaftszweck grundsätzlich enger als nach deutschem Recht mit „shareholder value“ gleichgesetzt wird.29 Eine Institutionalisierung der komplexen Zielaufgaben, wie sie die Mitbestimmung bewirkt, scheint diese Probleme eher zu verstärken als zu verringern. Eine besondere Gefahr besteht darin, dass Interessenskonflikte zwischen verschiedenen principals zu einem Kontrollvakuum führen, das von den agents, d.h. den Unternehmensmanagern zu ihren eigenen Gunsten ausgenutzt werden kann.30 Insgesamt führt dieses Szenario zur Schwächung der Corporate Governance. Diese Schlussfolgerung beruht auf der Annahme, dass Corporate Governance vor allem eine Frage der Kontrolle und Rechenschaft, nicht der Kooperation und des Vertrauens ist. Diese Annahme wird von den noch zu behandelnden soziologischen Unternehmenstheorien in Frage gestellt. 2. Das Unternehmen als Nexus von Verträgen Die Theorie vom Unternehmen als eines Netzwerks von Verträgen (Vertragstheorie) argumentiert, dass sich die Rechte und Pflichten der am Unternehmen Beteilgten auf vertragliche Verpflichtungen reduzieren lassen. Das Unternehmen als selbständige Einheit mit eigenen Interessen gilt aus dieser Perspektive als juristische Fiktion.31 Das durch Gesetz oder Fallrecht definierte Gesellschaftsrecht wird als standardisierter Vertrag der Unternehmensbeteiligten verstanden. Er spiegelt die übliche Zuordnung von Entscheidungs- und Verfügungsrechten wider, die jedoch vertraglich abbedungen bzw. geändert werden können. Der Umstand, dass nach deutschem Recht die gesetzliche Zuordnung von Entscheidungsrechten weitgehend zwingend ist, verstößt gegen das Prinizip der Privatautonomie, das die Vertragstheorie auch für den Unternehmensbereich aufrecht erhält. Entsprechendes gilt für die gesetzliche Intervention, mit der die Mitbestimmung eingeführt wurde. Konsequenter Weise kritisiert Jensen die gesetzliche Einführung der Mitbestimmung in Deutschland.32 Sollte eine solche Umverteilung 24 25 26 27 28 29 30 31 32 Shavell, Risk. Für ein Zusammenfassung dieser Theorie siehe auch Hart, Theory, S. 1758. Institutionen werden im Anschluss an Douglas North, als Bedingungen, die Menschen aufstellen, um menschliches Handeln zu kontrollieren, bezeichnet. Siehe North, Institutions, S. 5 ff. Clark, Fiduciary Duties. Kritisch hierzu jedoch Bebchuk et al., Rent Extraction. Die Autoren führen aus, dass die Realität der stock option plans wenig mit deren theoretischer Rechtfertigung gemein hat. Coffee, Coalitions. Siehe nur Clark, Corporate Law, S. 141 ff. Siehe hierzu Pistor, Governance Externalities. Alchian/Demsetz, Economic Organization und Jensen/Meckling, Theory of the Firm. Jensen/Meckling, Codetermination. 5 von Kontrollrechten tatsächlich im Interesse der Unternehmensbeteiligten liegen, würde der Markt sie selbst herbeiführen. Dem ist entgegengehalten worden, dass Informations- und Koordinationskosten einer solchen Marktlösung entgegenstehen. Selbst wenn es letztlich im Interesse aller Beteiligten liegt, die Mitbestimmung einzuführen, können sie sich alleine nicht darauf einigen. Es liegt somit ein Fall des Marktversagens vor, der nur durch den Eingriff des Gesetzgebers überwunden werden kann.33 Allerdings trägt dieser Einwand nur für die Einführung der Mitbestimmung. Sobald Marktakteure die positiven Seiten der Mitbestimmung erfahren haben, müsste es möglich sein, ihnen die Entscheidung zu überlassen, das System fortzuführen oder aber wieder abzuschaffen. Genau dieses wird jedoch von Gesetzes wegen nicht zugelassen. In der Tat scheint der deutsche Gesetzgeber wenig Vertrauen in den freiwilligen Fortbestand des Systems zu haben. Anders lässt sich kaum erklären, dass es Unternehmen schwer, wenn nicht unmöglich gemacht wird, durch Neuregistrierung oder Sitzverlegung34 oder im Bereich der Montanindustrie durch allmähliches Herauswachsen aus dem Montanbereich 35 eine Exitoption auszuüben. Ein grundsätzlicher Einwand gegen die Vertragstheorie ist, dass die Frage, warum es einer gesetzlichen Zuordnung von Entscheidungsrechten im Unternehmensbereich überhaupt bedarf, nicht aufgeworfen wird, sondern dass Vertreter dieser Theorie den Regelfall der gesellschaftsrechtliche Zuordnung von wesentlichen Kontrollrechten auf die Aktionäre als Standardvertrag hinnimmt. Wenn alle anderen Unternehmensbeteiligten (Arbeitnehmer, Kreditgeber) sich hinreichend vertraglich absichern könnten, wären sie der Tatsache, dass Aktionäre diese Rechte innehaben, gegenüber indifferent.36 Einer gesetzlichen Zuordnung, selbst einer abdingbaren, bedürfte es daher nicht. Sollten beispielsweise Arbeitnehmern derartige Kontrollrechte zufallen, würden sie sie umgehend veräußern, da sie über die vertragliche Absicherung hinaus keinen Wert hätten. Die Existenz von Letztentscheidungs- oder Kontrollrechten lässt sich daher nur damit rechtfertigen, dass die Ausübung dieser Kontrollrechte eine Gruppe begünstigt, andere jedoch zugleich benachteiligt. Hieraus folgt, dass eine optimale vertragliche Absicherung nicht möglich ist. Wenn dem so ist, stellt sich aber die Frage, warum gesetzlich den Aktionären in der Regel Vorrang vor allen anderen stakeholders gegeben wrid. Aus dem Coase Theorem könnte man folgern, dass der anfänglichen Zuordnung von Kontrollrechten keine besondere Bedeutung zukommt, denn auf dem Marktwege lässt sich eine optimale Reallokation vornehmen.37 Das Coase Theorem gilt jedoch nur in einer Welt, die keine Transaktionskosten kennt. In einer Welt mit Transaktionskosten kommt der anfänglichen Zuordnung von Kontrollrechten weit größere Bedeutung zu. Eine bestimmte Verteilung dieser Rechte bedarf daher der Rechtfertigung. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Vertragstheorie der gesetzlich zwingenden Einführung der Mitbestimmung skeptisch gegenüber steht, da sie dies als Intervention und Verzerrung des Marktes begreift. Darüber hinaus widerspricht das Bemühen des deutschen Gesetzgebers, „opt-out“Möglichkeiten zu begrenzen, den Grundprinzipien einer Theorie, die ökonomische Entscheidungen und Kontrollmechanismen den Marktakteuren, nicht dem Gesetzgeber, überlassen will. 3. Theorie vom Unternehmenseigentum Die Theorie vom Unternehmenseigentum38 ist zu unterscheiden von der Property Rights Theory (dazu unten 4.). Grundlage der Unternehmenseigentumstheorie ist die oben skizzierte Vertragstheorie. Im Unterschied zur Vertragstheorie sucht die Theorie vom Unternehmenseigentum die Zuordnung von Kontroll- und residualen Gewinnrechten auf verschiedene Unternehmensbeteiligte, die als patrons bezeichnet werden, zu erklären. Zu den patrons zählen neben den Aktionären, Kredigebern, 33 34 35 36 37 38 Gerum/Wagner, Labor Co-Determination, S. 346. Deutlichstes Beispiel ist die 5. Richtline der EG zur Harmonisierung des Gesellschaftsrechts, die niemals umgesetzt worden ist. Hier hat der Gesetzgeber mehrfach nachgefasst und die Geltung der Montanmitbestimmung ausgedehnt. Zur – teilweisen – Verfassungswidrigkeit dieser Maßnahmen, siehe die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 1999 zur Neuregelung der Montan-Mitbestimmung (1 BvL 2/91). Zingales, New Foundations, S. 1632. Coase, Social Cost. Hansmann, Ownership of Enterprise, S. 5 ff. 6 Arbeitnehmern, auch Warenlieferanten und Konsumenten. Theoretisch kann jede dieser Gruppen Kontrollrechte beanspruchen und in der Tat lassen sich Unternehmungen finden, bei denen die Zuordnung von Kontrollrechten auf die eine oder andere Gruppe vorherrscht. Beispiele für Unternehmungen, die typischerweise im (ausschließlichen) Eigentum der Arbeitnehmer stehen, sind Anwaltskanzleien oder Arztpraxen. Bei landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften stehen die Eigentums- oder Kontrollrechte oftmals Lieferanten zu. Genossenschaftliches Wohnungseigentum bezeugt die Bedeutung von Konsumenteneigentum.39 Die Zuordnung von Kontrollrechten auf eine dieser Gruppen bestimmt sich danach, welche Zuordnung – ceteris paribus – die gesamten Vertragskosten eines Unternehmens, an dem verschiedene Gruppen beteiligt sind, minimiert. Kontrollrechte sollen danach der Gruppe zugeordnet werden, deren Beitrag vertraglich nur zu prohibitiv hohen Preisen sichergestellt werden kann. Eine „optimale“ Zuordnung lässt sich somit nicht abstrakt für alle Unternehmen postulieren. Es kommt vielmehr auf die relativen Kosten der verschiedenen Beiträge an. Die Vertragskosten setzen sich aus einer Reihe von Faktoren zusammen, einschließlich der Kosten von Marktmacht (Vermeidung von Prämien, die von Monopolisten erhoben werden können), der Risiken, die mit der Überwachung und Durchsetzung langfristiger Verträge entstehen, der Überwachung delegierter Entscheidungsrechte auf Dritte, sowie der durch Informationsasymmetrien hervorgerufenen Kosten. Die überwiegende Zuordnung von Kontrollrechten nach geltendem Aktienrecht auf Aktionäre lässt sich nach dieser Theorie damit rechtfertigen, dass die Kosten für die Bereitstellung risikoträchtigen Kapitals zu hoch wären und durch die Zuordnung von Kontrollrechten begrenzt werden. Die relativen Kosten von Arbeit und Kapital sind jedoch nicht statisch, sondern können sich je nach Sachlage ändern. So weist Zingales40 darauf hin, dass sich der relative Wert von Finanzkapital und Humankapital in einigen Unternehmensbereichen verschoben hat und kündigt gar ein neues Zeitalter der Unternehmenskontrolle und der Unternehmenstheorien an. Als Beispiel führt er den Fall der britischen Reklamefirma Saatchi & Saatchi an. Maurice Saatchi schlug 1994 als Vorsitzender des board of directors für sich selbst ein generöses Aktienoptionspaket vor. Da der Aktienwert in der Zeit zuvor gesunken war, versagten die Aktionäre, darunter insbesondere amerikanische Investmentfonds, diesem Vorschlag ihre Zustimmung. Daraufhin verließ Maurice Saatchi das Unternehmen und nahm eine Reihe seiner Mitarbeiter mit sich. Diese gründeten eine neue Firma, M and C Saatchi. Die ursprüngliche Firma, die sich bald darauf einen neuen Namen zulegte, hatte einen herben Schaden erlitten. Die Moral von der Geschichte: Es ist kein unverrückbares Faktum, dass Finanzkapital Humankapital (Arbeitnehmer) heuert. Unter veränderten Gegebenheiten kommt es vor, dass Humankapital auszieht, um Finanzkapital zu heuern. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Unternehmenswert in zu einem beträchtlichen Ausmaß von spezifischem Humankapital abhängig ist, dass nicht leicht substituiert werden kann. Für die Mehrzahl der großen Unternehmen mit erheblichen Kapitalinvestitionen – und dies ist der Prototyp der mitbestimmten Unternehmen – trifft dies wohl nicht zu. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, dass eine Beiteiligung von Arbeitnehmern an Kontrollrechten von vornherein ausgeschlossen ist. Allerdings bestehen aus Sicht der Theorie vom Unternehmenseigentum für den Prototyp des deutschen mitbestimmten Unternehmens erhebliche Bedenken gegen Arbeitnehmereigentum, und insbesondere gegen die Übertragung von Kontrollrechten sowohl auf Aktionäre als auch auf Arbeitnehmer. Im Mittelpunkt der Argumentation stehen die Kosten der Entscheidungsfindung, die durch den Grad der Interessensheterogenität der Inhaber wesentlicher Kontrollrechte bestimmt wird. Während Kapitalgeber trotz aller Unterschiede sich in der Regel auf den gemeinsamen Nenner der Profitmaximierung einigen können, haben verschiedene Gruppen von Arbeitnehmern in der Regel deutliche Interessensunterschiede.41 Dies gilt insbesondere für Großbetriebe mit Arbeitnehmern und Angestellten, Fabrikarbeitern, Bürokräften, und gehobenem Managementpersonal. Diese Interessensheterogenität schlägt sich bei Entscheidungen über Gewinnverteilung, bzw. über künftige Unternehmensstrategien nieder. Die Entscheidungsfindung wird erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Es ist nur folgerichtig hieraus zu schließen, dass eine Kombination von Aktionärs- und Arbeitnehmerkontrollrechten, wie es die deutsche Mitbestimmung 39 40 41 Hansmann, Ownership of Enterprise, S. 5 ff. Zingales, New Foundations, S. 1632. Siehe hierzu bereits Hansmann, Worker Ownership. 7 vorsieht, aus dieser Sich höchst problematisch ist. Zwischen Arbeitnehmern auf der einen und Aktionären auf der anderen Seite bestehen oftmals Interessenskonflikte. Plakativ lassen sich diese Konflikte auf den Nenner bringen, dass die Aktionärsseite daran interessiert ist, den Wert ihrer Beteiligung zu erhöhen, während das Bestreben der Arbeitnehmer in der Regel dahin geht, ihre Arbeitsplätze zu sichern. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Probleme jedoch nicht ignoriert. Was die Interessensheterogenität innerhalb der Arbeitnehmerschaft angeht, unterscheidet das Mitbestimmungsgesetz zwischen Arbeitern und Angestellten und stellt sicher, dass jede dieser Gruppen entsprechend ihrem zahlenmäßigen Anteil im Unternehmen auch im Aufsichtsrat vertreten ist.42 Die Kosten der Entscheidungsfindung zwischen den beiden Gruppen im Aufsichtsrat werden dadurch begrenzt, dass der Anteilseignerseite das Letztentscheidungsrecht bei Pattsituationen zugesprochen wird (was wiederum Zweifel an der Bedeutung der Arbeitnehmerrechte weckt). Dennoch ist nicht zu verhehlen, dass die getrennten Sitzungen der Anteilseigner- und Arbeitnehmerbank im Vorfeld der eigentlichen Aufsichtsratssitzung zusätzliche Kosten aufwirft. Die eigentliche Schwierigkeit der Anwendung bzw. des Testens dieser Theorie besteht darin, die Kosten für unterschiedliche Kontrollrechtsallokationen angemessen zu gewichten.43 Dem Argument, dass der Entscheidungsfindungsprozess mitbestimmter Unternehmen erhebliche Kosten aufwendet, wird in der Regel entgegengehalten, dass hierdurch andere Kosten vermieden werden. Als Gegenleistung für diese Kosten wird der gewonnene Sozialfrieden angeführt, die Vermeidung von Streiks, und die bessere Durchsetzbarkeit der einmal getroffenen Entscheidungen.44 Letztlich ist dies eine empirische Frage, deren Beantwortung aufgrund der Vielfalt der Kosten, die durch unterschiedliche Allokation von Kontrollrechten verursacht werden, schwer zu beantworten sein wird. In jedem Fall bedarf es langfristigerer Untersuchungen über Streikraten im internationalen Vergleich, denn auch oder gerade in England,45 das in den 80er Jahren als negatives Beispiel dem sozialfriedlichen Deutschland gegenüber gestellt wurde, hat die Streikrate seit Ende der 80er Jahre deutlich nachgelassen. 46 4. Property Rights Theorie Der Schwerpunkt der Property Rights Theorie liegt weniger auf der Allokation von Kontrollrechten auf verschiedene patrons oder stakeholder im Unternehmen, als vielmehr auf der Bestimmung der Grenze zwischen Unternehmen und Markt.47 Die Property Rights Theory versteht das Unternehmen nicht als Nexus von Verträgen, sondern als eine Ansammlung von Eigentumsrechten an dinglichen Vermögenswerten.48 Grundlage der Property Rights Theory ist die Einsicht, dass Verträge inhärent unvollständig (incomlete) sind. Vertragsparteien können nicht alle möglichen zukünftigen Beeinträchtigungen ihres Vertragsverhältnisses antizipieren. Der Versuch, dieses zu tun, würde zu prohibitiv hohen Vertragskosten führen. Wenn aber nicht alle vertraglichen Rechte im Vertrag selbst vollständig zugeordnet werden können, muss das Recht, künftig Entscheidungen über Angelegenheiten zu treffen, die nicht vertraglich geregelt sind, zugeordnet werden. Dieses Recht, das in der Property Rights Literatur als Residualrecht 42 43 44 45 46 47 48 Dies wird durch der Errechnung der Zahl der Delegierten, die die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmerseite bestimmen, sichergestellt. Siehe hierzu §§ 10 MitBestG. Bekanntlich ist dies ein grundsätzliches Problem aller Transaktionskosten-Argumente. Siehe hierzu Gerum/Wagner, Labor Co-Determination. Zum Vergleich von Streikraten in England und Deutschland, siehe beispielsweise Hopt, Arbeitnehmervertretung, sowie Hopt, Aufsichtsrat und Banken. In der Tat heißt es in einer Studie aus dem Jahre 1997, dass England mittlerweile eines der „friedlichsten“ Länder ist, was Streikraten angeht. Siehe <www.eiro.eurofound.ie/1997/04/InBrief/UK9704120N.html>. Die Grundlagen der Property Rights Theory wurden von Grossman und Hart 1986 erarbeitet. Siehe Grossman/Hart, Ownership. Umfassend zu dieser Unternehmenstheorie Hart, Firms. Für eine insbesondere für Juristen gut zugängliche Zusammenfassung dieser Theorie und einem Vergleich mit anderen ökonomischen Unternehmenstheorien, siehe Hart, Theory. „... a set of property rights ... (over) physical assets.“ Hart, Theory. 8 bezeichnet wird, steht in der Regel dem Eigentümer der Sache zu.49 Die Zuordnung von Eigentumsrechten über verschiedene Sachen bzw. Sachgesamtheiten bestimmt sich nach der Bedeutung jeder dieser Sachgesamtheiten für das Endresultat. Je größer die Abhängigkeit voneinander, desto wahrscheinlicher, dass beide Sachgesamtheiten einer einheitlichen Kontrollstruktur unterliegen, d.h. dass zwei bisher getrennte Unternehmen verschmolzen werden. Wer von den bisherigen Eigentümern die Kontrolle über das fusionierte Unternehmen haben soll, bestimmt sich nach der Spezifizität der jeweiligen Investition.50 Oliver Hart erklärt die Bedeutung des Sacheigentums für die Property Rights Theorie damit, dass Humankapital nicht handelbar ist und somit immer dem gleichen Eigentümer zusteht. Allerdings hat die Zuordnung von property rights an Sachen Einfluss auf die Kontrolle über Humankapital. Die Kontrolle über Sacheigentum gibt dem Eigentümer – ganz im Sinne von Marx51 – Kontrolle über Humankapital. Insbesondere kann der Unternehmenseigentümer dem Arbeitnehmer die Sache und damit die Grundlage seines Eigentums entziehen. Allerdings weist Hart auch darauf hin, dass es im Eigeninteresse des Arbeitnehmers liegen kann, spezifische Investitionen in das Unternehmen zu erbringen, da dies langfristig seine Verhandlungsmacht stärken kann.52 Freilich gilt dies nur dann, wenn der Wert dieser Investitionen auch langfristig für das Unternehmen von Wert ist und nicht leicht ersetzbar oder aufgrund technischem Wandels gar ersetzungsbedürftig ist. Die Kehrseite hiervon ist aber, dass rational handelnde Arbeitnehmer nur in begrenztem Umfang bereit sein werden, unternehmensspezifische Investitionen zu tätigen, da dies ihre Abhängigkeit vom Unternehmen erhöht, ohne dass sicher gestellt wird, dass ihre Investition langfristig von Wert sein wird.53 Genau dies ist ein möglicher Anknüpfungspunkt für die Rechtfertigung der Mitbestimmung. Unternehmensspezifische Investitionen der Arbeitnehmer, die den Gesamtwert des Unternehmens erhöhen, setzen voraus, dass die Investitionen der Arbeitnehmer honoriert werden. Dies kann durch die Zuordnung von Kontrollrechten auf Unternehmensebene geschehen. Aus dieser Sicht dient die Mitbestimmung dem Unternehmensinteresse, denn sie stellt sicher, dass Arbeitnehmer sich auch dann weiterbilden und Fähigkeiten erwerben, wenn diese Fähigkeiten nur diesem Unternehmen dienen und nicht weiter vermarktbar sind. Alternativ könnten diese Investitionen auch durch entsprechende Vergütung und andere vertragliche Anreize sichergestellt werden. Welche Variante vorzugswürdig ist, hängt wiederum von ihren relativen Kosten und damit letztlich von dem Wert der unternehmensspezifischen Investition des Arbeitnehmers für das Gesamtunternehmen ab. Wie das Beispiel Saatchi & Saatchi gezeigt hat, sind Fälle denkbar, in denen diese Investitionen von so hohem Wert sind, dass sich die Gewichtung zwischen Finanz- und Humankapital verkehrt. Die Property Rights kommt damit letztlich zu ähnlichen Ergebnissen wie die Theorie vom Unternehmenseigentum. Die Zuordnung der Residualrechte auf diejenigen, die das Sacheigentum beigesteuert, bzw. dieses finanziert haben, folgt daraus, dass deren Beitrag auf dem Vertragswege nur zu deutlich höheren Kosten gesichert werden kann. Demgegenüber können unternehmensspezifische Beiträge der Arbeitnehmer in der Regel vertraglich zu angemessenen Preisen gesichert werden. Eine Stärkung der Kontrollrechte der Arbeitnehmer kann unter diesen Rahmenbedingungen zu Problemen führen, denn hierdurch können die relativen Kosten des Finanzkapitals erhöht werden. Diese Sorge spiegelt sich in der Diskussion über den Wirtschaftsstandort Deutschland wider. II. Soziologische Theorien Unter dem Oberbegriff der soziologischen Theorien sollen hier Theorien behandelt werden, die sich ebenfalls mit der Organisationsform des Unternehmens, nicht mit dem Produktionsprozess selbst befassen. Ein Teil der Literatur beschäftigt sich vor allem mit der Evolution dieses Modells, das als 49 50 51 52 53 Die Parallele zu relativen (vertraglichen) und absoluten (dinglichen) Rechten ist deutlich. Hier wird die Verwandtschaft zur Eigentumstheorie des Unternehmens (oben unter 2.) deutlich, denn je größer die Spezifizität, desto höher die Kosten, diese Leistungen vertraglich einzufordern. So auch Zingales, New Foundations, S. 1639. Hart, Firms. Zingales, New Foundations, S. 1639. 9 Produkt eines emergenten Prozesses komplexer Systemerneuerung verstanden wird (Systemtheorien). Ein anderer Teil erklärt die Bedeutung kooperativen Verhaltens im Unternehmensbereich und lässt sich zur Rechtfertigung eines gesetzlich verordneten Kooperationsmodells heranziehen (Kooperationstheorien). 1. Partizipations- und Kooperationstheorien Grundtenor der Partizipations- und Kooperationstheorien ist, dass Funktionsweise und letztlich der Erfolg von Unternehmen zu einem weit größeren Ausmaß auf Kooperation beruhen als dies von den ökonomischen Theorien zugestanden wird. Aus dieser Sicht greift auch die Corporate Governance Diskussion zu kurz, da sie in erster Linie Kontrollstrukturen, nicht Kooperationsverhältnisse analysiert.54 Da die Produktivität des Unternehmens letztlich von der Kollaboration verschiedener am Unternehmen Beteiligter abhängt, müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die kooperationsfördernd sind. Hierzu gehören Institutionen, die Kommunikation und Partizipation jedenfalls ermöglichen, wenn nicht gar verordnen. Ansatzpunkt für die Partizipationstheorien ist die durch die Transaktionskostenökonomik und Property Rights Theorie gewonnene Einsicht, dass spezifische Investitionen Strukturen voraussetzen, die es dem Investoren ermöglicht, seine Beteiligung an künftigen Gewinnen sicherzustellen. In dem Maße, in dem von Arbeitnehmern erwartet wird, bzw. in dem es für die Gesamtleistung des Unternehmens unabdingbar ist, dass Arbeitnehmer spezifische Investitionen in ein bestimmtes Unternehmen machen, die sich nicht leicht auf andere übertragen lassen, sollten Anreize geschaffen werden, die derartige Investitionen fördern. Partizipationsrechte stellen einen solchen Anreiz dar. Mitbestimmung muss daher nicht ineffizient sein.55 Über diesen Ansatz hinausgehend, argumentieren Vertreter der Kooperationstheorie, dass Unternehmen auf Kooperation beruhen und dass daher Ansätze, die kooperationsfördernd sind, dem Wohl des Unternehmens dienen. Dies gilt nicht nur für freiwillige Kooperation, sondern auch für „verordnete“ Kooperation. Der wesentliche Unterschied zwischen der Partizipations- und der Kooperationstheorie liegt darin, dass erstere kaum über die ökonomischen, auf Transaktionskostenerwägungen aufbauenden, Theorien hinausgeht, lediglich in der Gesamtbewertung dem Beitrag der Arbeitnehmer höheres Gewicht beilegt. Demgegenüber betont die Kooperationstheorie, dass kooperationsfördernde Institutionen einen Eigenwert haben, der sich langfristig auf die Produktivität des Unternehmens und seine Anpassungsfähigkeit an neue Verhältnisse auswirken wird. Ausgangspunkt der Analyse ist dabei, dass sich das Verhalten von Wirtschaftsakteuren im Unternehmensbereich nicht allein mit ökonomischen Theorien erklären lässt. Der homo ökonomikus ist lediglich ein theoretisches Konstrukt. Das Verhalten realer Menschen ist nicht allein auf Eigeninteresse und Profitmaximierung ausgerichtet. Vielmehr kooperieren Menschen in verschiedenen Situationen in weit größerem Ausmaß, als dies von ökonomischen Theorien vorhergesagt wird.56 Wenn aber, wie in verschiedenen Studien gezeigt,57 kooperatives Verhalten vorteilhaft ist, dürften Institutionen, die kooperationsfördernd sind, sich positiv nicht nur auf das Wohlbefinden der Akteure, sondern auch auf das wirtschaftliche Endresultat, d.h. auf den Erfolg des Unternehmens, auswirken. Kooperation wird nicht unbedingt dadurch verhindert, dass diese verordnet wird. So zeigen experimentelle Studien, dass Probanden in der Regel eher geneigt sind, sich kooperativ zu verhalten, 54 55 56 57 So beispielsweise Blair/Stout, Behavioral Foundations. In der Tat gibt es mittlerweile auch in den USA eine immer größere Resonanz für dieses Argument. Siehe nur die Publikation der Beiträge zu dem Symposium über „Norms and Corporate Law“ im gleichen Band des University of Pennsylvania Law Review. Ähnliche Argumente sind Deutschland gerade im Hinblick auf die Mitbestimmung seit längerem in der Diskussion. Siehe hierzu insbesondere die Beiträge in Frick et al., Wirtschaftliche Folgen. So Junkes/Sadowski, Mitbestimmung. Einen guten Überblick über die experimentelle Literatur über kooperatives Verhalten geben Blair/Stout, Behavioral Foundations. Grundlegend hierzu bereits Axelrod, Evolution. 10 wenn der Versuchsleiter auch nur andeutet, dass dies die bevorzugte Strategie ist. 58 Nichtkooperatives Verhalten lässt sich demgegenüber dadurch herbeiführen, dass den Parteien deutlich signalisiert wird, dass kompetitives Verhalten gefragt wird, beispielsweise dadurch, dass das Experiment als Wallstreet Game bezeichnet wird. Die gesetzliche Mitbestimmung lässt sich somit als Modell beschreiben, welches einen Rahmen für kooperatives Verhalten vorgibt und dadurch den Parteien signalisiert, dass kooperatives, nicht kompetitives Verhalten gefragt ist. Allerdings zeigen vergleichbare Studien auch, dass die Bereitschaft zur Kooperation dann nachlässt, wenn die Kosten für einige der Beteiligten die Nutzen der Kooperation übersteigen.59 Mit anderen Worten, aus dem Umstand allein, dass Kooperation grundsätzlich vorteilhaft ist, lässt sich nicht unbedingt schließen, dass Art und Umfang der vom Gesetzgeber verordneten Kooperation aus Sicht der verschiedenen Beteiligten, wie auch aus Sicht des Unternehmens, vorteilhaft sind. Wie bereits erwähnt, ist unkooperatives Verhalten im Aufsichtsrat (Stichwort Tischvorlage, Verlagerung wichtiger Entscheidungen auf andere Gremien, etc.) keine Seltenheit in der Geschichte der Mitbestimmung. Und schließlich ist zweifelhaft, ob Kooperation und Vertrauen Aufsicht und Kontrolle ersetzen können. Letztlich verweist dieses Argument auf ein Abwägung zwischen Kooperation auf der einen Seite und den Kosten und Grenzen von Kooperation auf der anderen. 2. Systemtheorien Systemtheorien postulieren, dass komplexe Organisationen und Systeme Produkt eines evolutiven Prozesses sind. Versteht man die Mitbestimmung als ein System, das zwar einerseits begrenzend ist, andererseits neue Pfade adaptiver Evolution eröffnet, führt dies zu einer anderen Bewertung der Kostenfaktoren der Mitbestimmung.60 Vergleichsobjekt sind dann ganze Systeme, nicht Teilaspekte derselben, und Vergleichsmaßstab ist nicht ein Kostenkalkül auf Unternehmensebene, sondern die Fähigkeit des Systems, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Im post-industriellen Zeitalter, in dem Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft, so lautet die Grundthese, wird Erfolg zunehmend durch die Fähigkeit bestimmt, kooperative soziale Beziehungen zu managen.61 Der Unterschied zu der von Zingales postulierten neuen Unternehmenstheorie, die er mit dem Beispiel von Saatchi & Saatchi illustriert, ist deutlich. Während es dort allein um die relativen Kosten von Arbeit und Kapital ging, steht hier die „Kunst der kooperativen Organisation“ im Vordergrund.62 Es geht also nicht in erster Linie um die Maximierung von Quantität und Qualität des Faktors Humankapital, sondern darum, „Soziabilität“, d.h., „vertrauensvolle(r) Zusammenarbeit im Wirtschaftsprozess“ zu fördern.63 In dem Maße, in dem hierdurch Wettbewerbsvorteile geschaffen werden können, haben Systeme, die aufgrund ihrer historischen Entwicklung Verfahren und Institutionen entwickelt haben, die diese soziale Komponente des Produktionsprozesses fördern, einen Vorteil gegenüber anderen Systemen, die Kooperation vernachlässigt bzw. nicht institutionalisiert haben. Im Vergleich mit den ökonomischen Theorien erscheinen die soziologischen Theorien wesentlich realitätsnäher. Sie abstrahieren weniger und bemühen sich, eine Gesamtschau der wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen im Wirtschaftssystem und seinen Komponenten, d.h. Mitbestimmungssystem, Unternehmen, etc. zu bieten. Darin liegt jedoch zugleich ihre Schwäche. Selbst wenn man sich die Grundthese zu eigen macht, dass Kooperation wichtiger Bestandteil erfolgreicher Wirtschaftsbeziehungen ist, ist damit wenig über die wünschenswerte Form und das Ausmaß der Kooperation gesagt. Um zu einer sachgerechten Einschätzung der Bedeutung dieses Faktors zu kommen, müssen jedoch auch die Kosten der Kooperation in Rechnung gestellt werden. Vertreter der Systemtheorie weisen darauf hin, dass komplexe Systeme auf derartige Kostenfaktoren durch Adaption reagieren. Beispiel hierfür ist, dass deutsche Unternehmen sich weniger auf Preiswettbewerb einlassen, 58 59 60 61 62 63 Blair/Stout, Behavioral Foundations, S. 1769. Blair/Stout, Behavioral Foundations, S. 1774. Siehe Streeck und Kluge, Mitbestimmung, Einleitung, S. 8 ff. Streeck und Kluge, Mitbestimmung, Einleitung, S. 13. Streeck und Kluge, Mitbestimmung, Einleitung, S. 13. Abelshauser, Mitbestimmung, S. 234. 11 sondern Wettbewerbsvorteile durch Marktbeherrschung suchen.64 Hieraus wird abgeleitet, dass kooperative Institutionen Produktentwicklung und Strategien fördern, die unter diesen Rahmenbedingungen Marktvorteile bringen können. Eine einfache Gleichung der Kooperationsvorteile und -kosten lässt sich somit nicht aufstellen. Dennoch sollte es möglich sein, Kriterien aufzustellen, um aufgrund eines Vergleiches von Wirtschaftssystemen, die mehr oder wengier kooperationsfördernde Institutionen haben, Schlüsse über die Kosten und Nutzen dieser Institutionen zu ziehen. So ist durchaus denkbar, dass die Mitbestimmung in der vom Gesetzgeber vorgesehenen Form für bestimmte Wirtschaftssektoren nach wie vor mehr Vor- als Nachteile bringt, weil diese am meisten von dieser institutionalisierten Form der Kooperation profitieren, bzw. in der Lage sind, die Kosten der Kooperation durch alternative Unternehmensstrategien zu reduzieren. Bei anderen Wirtschaftssektoren mag dies jedoch nicht der Fall sein. Darüber hinaus können sich die Rahmenbedingungen für Kooperation ändern. Kooperation ist einfacher, wenn weniger Parteien beteiligt und weniger Interessen vertreten sind. Änderung in der Eigentumsstruktur von Unternehmen können zu höherer oder niedrigerer Interessensheterogenität mit Auswirkungen auf die Kosten der Kooperation nicht nur in der Hauptversammlung, sondern auch im Aufsichtsrat führen. Auch kann internationaler Wettbewerb eine historische Erfolgsstrategie (Marktanteil in bestimmten Sektoren, bei denen Kooperation von Vorteil ist) zunichte machen. Und schließlich ist es denkbar, dass in anderen Systemen Kooperation zwar weniger institutionalisiert ist, aber vielleicht gerade dadurch genügend Flexibilität einräumt, um auf veränderte Rahmenbedingungen durch neue Formen der Kooperation zu reagieren. Die Kooperations- und Systemtheorien haben einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Funktion und Wirkungsweise der Mitbestimmung geleistet. Es bedarf jedoch größerer Differenzierung zwischen verschiedenen Wirtschaftszweigen und Formen der Kooperation, um die Bedeutung des Mitbestimmungssystems für den Ergolg des Wirtschaftssystems Deutschlands auf der einen Seite und die Funktion der unternehmerischen Mitbestimmung auf der anderen Seite für den Unternehmenserfolg und Corporate Goverance fassbar zu machen. C. Zusammenfassung und Ausblick Der Überblick über die verschiedenen theoretischen Ansätze, die bei der Beurteilung der Mitbestimmung für Corporate Governance herangezogen werden können, hat gezeigt, dass einige dieser Ansätze der gesetzlichen Mitbestimmung auf Unternehmensebene deutlich skeptisch gegenüber stehen. Dies gilt vor allem für die ökonomischen Theorien. Auch wenn zugestanden wird, dass die Frage der Kosten der Mitbestimmung letztlich eine empirische Frage ist, so würden die meisten dieser Theorien vorhersagen, dass die Kosten der Mitbestimmung deren Nutzen überwiegen. Die Kosten der Mitbestimmung liegen dabei in erster Linie in den erhöhten Entscheidungsfindungs- und Überwachungskosten. Dies hat Implikationen für Corporate Governance, denn je schwieriger die Entscheidungsfindung auf Seiten derer, die zur Überwachung des Vorstandes berufen sind, desto schächer die Kontrolle. Hier stellt sich jedoch die grundsätzliche Frage, wie bedeutend die Rolle des Aufsichtsrats im Corporate Governance System ist. Wie ausgeführt, bestanden Zweifel an der Effektivität des Aufsichtsrats bereits vor Einführung der Mitbestimmung. Es ließe sich daher vertreten, dass die Mitbestimmung keinen weiteren Schaden angerichtet hat. Hieraus würde jedoch folgen, dass die Mitbestimmung von weit geringerer Bedeutung ist als oftmals angenommen. Ist der Aufsichtsrat bestenfalls von marginaler Bedeutung für Corporate Governance, besteht die Funktion der Mitbestimmung darin, Kooperation zu signalisieren, was dem Sozialfrieden dienen mag, jedoch wenig Auswirkungen auf Entscheidungsprozesse im Unternehmen und Corporate Governance hat. Auf der anderen Seite stehen die soziologischen Theorien, die weniger auf eine Kosten-NutzenAbwägung als auf den Faktor Kooperation und Systemerneuerung abstellen. Nach diesen Theorien mag es zwar durchaus sein, dass die Mitbestimmung Kosten aufwirft. Jedoch überwiegt der Vorteil der darin besteht, kooperatives Verhalten zu fördern und zu institutionalisieren. Dieses Argument geht implizit davon aus, dass der mitbestimmte Aufsichtsrats wichtige Entscheidungen trifft und dass diese Entscheidungen in der Regel durch Konsensbildung un Kooperation herbeigeführt werden. 64 Sorge, Arbeitsorganisation. 12 Eine endgültige Entscheidungen darüber, welche Argumente durchgreifen, bedürfte empirischer Daten über die Funktionsweise des Aufsichtsrats, den Prozess der Willensbildung und Konsensfindung zwischen Arbeitnehmern und Anteilseignern, und schließlich den Prozess der Durchsetzung der einmal getroffenen Entscheidungen. Ohne derartige Daten kann weder das Kosten-, noch das Kooperationsargument letztlich überzeugen. Was das Argument der Systemerneuerung durch kooperatives Verhalten angeht, bedarf es einer anderen Herangehensweise, um die These zu testen, ob das Mitbestimmungssystem sich positiv auf die Fähigkeit deutscher Unternehmen ausgewirkt hat, den Wert von Humankapital zu optimieren und den Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft zu meistern. Anstelle detaillierter Daten über interne Unternehmensprozesse bedarf es eines Systemvergleichs zwischen Wirtschaftssystemen mit und ohne Mitbestimmung und deren Erfolg bei der Systemerneuerung. Aus der Systemerneuerungsthese folgt, dass Deutschland einen komparativen Vorteil bei der Entwicklung neuer Wirtschaftszweige und Produkte haben müsste, bei denen Humankapital und Kooperation im Vordergrund steht, wie beispielsweise bei der Informationstechnologie oder der Biotechnik. Bekanntlich hat sich Deutschland jedoch in diesen Bereichen weit weniger hervorgetan, als die Vereinigten Staaten, die den Prototyp eines mitbestimmungslosen Systems darstellen, das Arbeitnehmern weit weniger Rechte auf betrieblicher oder Unternehmensebene einräumt. In der Tat zeigen Patentdaten, dass Deutschland in den klassischen Ingenieur- und Mechanikbereichen führend ist, in den neueren Sektoren, wie Biotechnik, jedoch weit hinter den USA zurückliegt.65 Das heißt nicht, dass Kooperation für diese Sektoren nicht wichtig ist. Im Gegenteil, horizontale, kooperative Beziehungen gelten als Kernstück der Erfolgsregion in Sachen Informationstechnologie, Sillicon Valley.66 Aus diesen Daten lässt sich auch nicht folgern, dass die Mitbestimmung für die Entwicklung dieser Sektoren schädlich ist. Wohl aber sollten diese Daten Zweifel daran wecken, dass das Kooperationsmodell des deutschen Mitbestimmungssystems für den Systemwandel hin zur Wissensgesellschaft das optimale Modell ist. Zusammenfassend lassen sich die folgenden Thesen aufstellen: Die Mitbestimmung ist Teil eines Corporate Governance Systems, das den Ausgleich zwischen verschiedenen stakeholders im Unternehmen durch interne Konsensbildung sucht. Die Interessen der Arbeitnehmer galten als schutzwürdige Interessen bereits vor Einführung der Mitbestimmung. Die Mitbestimmung hat die Berücksichtigung dieser Interessen dadurch institutionalisiert, dass es Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat zwingend vorschreibt. Der Einfluss der Arbeitnehmer auf konfliktträchtige Entscheidungen wird jedoch dadurch gemindert, dass der von der Anteilseignerseite bestimmte Aufsichtsratsvorsitzende in Pattsituationen den Ausschlag gibt. Die Kosten der Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat sind durch die Mitbestimmung erhöht worden. Dies folgt beispielsweise daraus, dass es im Vorfeld der Sitzungen des Aufsichtsrats getrennte Sitzungen der Arbeitnehmer- und Anteilseignerseite gibt. Die Höhe dieses Kostenfaktors bedarf jedoch weiterer empirischer Substantiierung. Welchen Einfluss die Mitbestimmung auf Corporate Governance im engeren Sinne, das heißt auf die Kontrolle des Vortandes, hat, lässt sich nicht abschließend feststellen. Dies hängt im wesentlichen von der Rolle des Aufsichtsrats als Kontrollinstanz ab. Jüngste Gesetzesreformen lassen darauf schließen, dass ein Bedürfnis besteht, die Rolle des Aufsichtsrats zu stärken. Ob und in welchem Umfang sich die Schwächen des Aufsichtsrats auf die Mitbestimmung zurückführen lassen, ist nicht eindeutig geklärt, auch wenn einige Reformmaßnahmen auf Missstände im mitbestimmten Aufsichtsrat (Tischvorlage, Verschwiegenheitspflicht) zurückgeführt werden können. Versteht man Corporate Governance als umfassendes System der Entscheidungsfindung und Entscheidungsdurchsetzung im Unternehmensbereich, kommt der Mitbestimmung Bedeutung weniger als Element eines (möglicher Weise durch die Mitbestimmung geschwächten) Kontrollsystems, als als Grundbaustein eines Kooperationssystems zu. Aus dieser Perspektive fördert die gesetzlich vorgeschriebene Mitbestimmung kooperatives Verhalten, was die 65 66 Carlin/Mayer, Investment and Growth. Die Autoren dieser Studie führen dies auf unterschiedliche Finanzsysteme und Eigentumskonzentration zurück. Saxenian, Regional Advantage. 13 - - - Notwendigkeit, auf Kontrollmechanismen zurückzugreifen, verringern sollte. Ob und wie weit dieses stilisierte Bild der Realität entspricht, müsste jedoch durch Daten über den internen Willensbildungsprozess im Aufsichtsrat bestätigt werden. Die Institutionalisierung kooperativen Verhaltens kann einen wichtigen Wettbewerbsvorteil in der postindustriellen Wissensgesellschaft darstellen, in der die Bedeutung von Humankapital und dessen Soziabilität an Bedeutung gewinnt. Ein nur kursorischer Systemvergleich zeigt jedoch, dass Deutschland diesen institutionellen Vorteil nicht zu einem Wettbewerbsvorteil in den führenden Sektoren der Wissensgesellschaft, wie Informationstechnologie oder Biotechnik, ausgebaut hat. Dies mag andere Gründe als die Mitbestimmung haben. Dennoch erhebt dieser Befund Zweifel an der Überzeugungskraft von Argumenten, die in dem deutschen Corporate Governance System, in dem die Mitbestimmung einen integralen Platz einnimmt, einen möglichen Systemvorteil gerade für die Wissensgesellschaft erblicken. Das deutsche Corporate Governance System cum Mitbestimmung kann als Produkt eines evolutiven Systemwandels verstanden werden, das sich mit den besonderen historischen Bedingungen der (späten) Industrialisierung in Deutschland erklären lässt. Zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts stellt sich jedoch die Frage, ob dieses System hinreichend flexibel und innovationsfähig ist, um auf neue Herausforderungen zu reagieren. Dabei erweist sich, dass die Mitbestimmung mittlerweile zum Besitzrecht mit Bestandsschutz geworden ist und daher selbst einer Systemerneuerung nicht zugänglich ist. So ist beachtlich, dass trotz der recht umfangreichen Reformen des Aktienrechts in den letzten fünf Jahren, die Mitbestimmung nicht angetastet wurde. Das Festhalten an einem Modell, das vor einem Vierteljahrhundert als Sieg über die Trennung von Arbeit und Kapital und als Basis für den Sozialfrieden gefeiert wurde, ist nicht weiter verwunderlich und folgt aus der Einsicht, dass sich Systeme pfadabhängig (path dependent 67) entwickeln. Dies allein sagt jedoch nichts über Erfolg oder Misserfolg eines Systems oder eines seiner Elemente aus. Für ein Urteil darüber fehlt es an verlässlichen empirischen Daten. Doch sollte dies kein unüberwindbares Hindernis darstellen. Literaturnachweise Abelshauser, W. (Mitbestimmung):Vom wirtschaftlichen Wert der Mitbestimmung. In: Streeck, W./Kluge, N. (Hrsg.): Mitbestimmung in Deutschland. Frankfurt, New York 1999. Alchian, A. A./Demsetz, H. (Economic Organization): Production, Information Costs, and Economic Organization. In: American Economic Review 62, 1972, S. 777-795. Axelrod, R. (Evolution): The Evolution of Cooperation, New York 1984. Baums, T. 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