Corporate Governance durch Mitbestimmung und Arbeitsmärkte

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Autor:
Pistor
Hommelhoff/Hopt/v. Werder: Handbuch Corporate Governance
Beitrag:
7. Corporate Governance durch Mitbestimmung und Arbeitsmärkte
Datei:
HCG7pis.doc
1
Corporate Governance durch Mitbestimmung und Arbeitsmärkte
Die Grundthese dieses Beitrags ist, dass die Beurteilung von Mitbestimmung und Arbeitsmärkten für
Corporate Governance im wesentlichen davon geprägt ist, welche Unternehmenstheorie (theory of the
firm) dieser Beurteilung zugrunde liegt. Der Beitrag ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil (A.)
werden die wesentlichen Elemente des deutschen Corporate Governance Modells, wie es sich aus den
gesetzlichen Regeln ergibt, und die Funktion und Bedeutung der Mitbestimmung erläutert. Der zweite
Teil (B.) analysiert die Mitbestimmung aus der Perspektive verschiedener Unternehmenstheorien, deren
Grundzüge jeweils skizziert werden. Im dritten Teil (C.) werden die wesentlichen theoretischen
Einsichten zusammengefasst und daraus folgende Vorschläge für künftige empirische Forschung
gemacht.
A.
Corporate Goverance und Mitbestimmung in Deutschland
Nach deutschem Aktienrecht ist die Zuordnung der wesentlichen Entscheidungs- und Verfügungsrechte
(Kontrollrechte) im Unternehmensbereich zwingendes Recht.1 Eine Analyse der gesetzgeberischen
Zuordnung von Kontrollrechten kann daher Aufschluss über das zugrunde liegende Modell der
Unternehmensführungskontrolle (Corporate Governance) geben.
Zu den wesentlichen Kontrollrechten im Unternehmensbereich gehören das Recht, über Gründung und
Fortbestand des Unternehmens zu entscheiden,2 die Kapitalstruktur zu modifizieren, sowie die Satzung,
die „Verfassung“ der Aktiengesellschaft, zu ändern.3 Diese Kontrollrechte fallen in die Kompetenz der
Hauptversammlung, in der ausschließlich Aktionäre, d.h. Eigenkapitalgeber, vertreten sind. Die
Unternehmensführung selbst ist auf den Vorstand delegiert. Der Vorstand wird nicht direkt von den
Aktionären, sondern von deren Vertretern im Aufsichtsrat bestellt.4 Das gesetzliche Modell lässt sich
somit als „repräsentatives“ im Gegensaty zum „direkt demokratischen“ Modell bezeichnen.5 Die
Mitglieder des Vorstandes werden vom Aufsichtsrat für einen Zeitraum von bist zu fünf Jahren ernannt.
Vor Ablauf dieser Zeit können sie lediglich aus wichtigem Grund abberufen werden.6
Hauptversammlung und Aufsichtsrat sind grundsätzlich von der Geschäftsführung des Unternehmens
ausgeschlossen.7 Allerdings können Entscheidungen von der Zustimmung dieser Gesellschaftsorgane
abhängig gemacht werden.
Im Hinblick auf die Unternehmensführung beschränken sich die Rechte der Aktionäre somit auf die
durch den Aufsichtsrat vermittelte Kontrolle der Entscheidungsträger im Vorstand, auf die sie die
Geschäftsführung von Gesetzes wegen delegiert haben. Einen Durchgriff, d.h. eine direkte Kontrolle der
Vorstandsmitglieder durch die Aktionäre sieht das Gesetz lediglich für den Fall vor, dass der Aufsichtsrat
einem Begehren der Aktionäre nach Klageerhebung nicht nachkommt. Aktionäre, die mindestens fünf
Prozent des Aktienkapitals innehalten, können dann selbst den Rechtsweg beschreiten, sofern der
dringende Verdacht einer groben Pflichtverletzung vorliegt.8
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Der Umstand, dass das deutsche Aktienrecht im wesentlichen zwingendes Recht ist, wird in § 23 Abs. 5 AktG
zum Ausdruck gebracht. Die Satzung eines Unternehmens kann von den gesetzlichen Vorschriften nur dann
abweichen, wenn dieses im Gesetz ausdrücklich zugelassen wird. Dies steht in deutlichem Gegensatz zu dem
weitestgehend obligatorischen Gesetzes- nicht aber Fallrecht in den USA. Siehe hierzu Coffee, Balance.
§§ 2, 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG.
§ 119 AktG.
§ 84 Abs. 1 AktG.
Siehe Black/Kraakman, Self-Enforcing Model, die einen Vergleich zum repräsentativen bzw. direkten
Demokratiemodell herstellen.
§ 84 Abs. 1 und 4 AktG.
§ 119 AktG bestimmt ausdrücklich, dass die Hauptversammlung über Fragen der Geschäftsführung nur dann
entscheiden kann, wenn der Vorstand es verlangt. Darüber hinaus bestimmt § 111 Abs. 4, dass Maßnahmen der
Geschäftsführung dem Aufsichtsrat nicht übertragen werden können.
§ 147 AktG in der Fassung von 1998.
2
Die Effektivität der internen Unternehmensführungskontrolle nach deutschem Recht steht und fällt mit
der Effektivität des Aufsichtsrats. Trotz seines Namens gilt der Aufsichtsrat allgemein weniger als
Kontroll- als vielmehr als Beratungsorgan. Das KonTraG von 19989 sowie das TransPuG von 200210
haben die Kontrollrechte des Aufsichtsrats gestärkt. So ist der Prüfungsbericht nunmehr ausdrücklich in
die Informationen einbezogenen, auf deren Kenntnisnahme Aufsichtsratsmitglieder einen Anspruch
haben.11 Seit Juli 2002 verlangt der Gesetzgeber, dass die Satzung des Unternehmens zu bestimmen hat,
dass bestimmte – vom Gesetzgeber nicht weiter definierte – Geschäfte nur mit Zustimmung des
Aufsichtsrats vorgenommen werden können.12 Dennoch hält der Gesetzgeber insgesamt an dem
Beratungsmodell fest. Dies ist auch der Tenor des neuen Corporate Governance Kodex, der ausdrücklich
von gegenseitigem Vertrauen und Kooperation spricht.13
Über die Effektivität des Aufsichtsrats bestanden bereits Zweifel vor der Einführung der
Mitbestimmung.14 Dennoch gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Mitbestimmung die Stellung und
Funktion des Aufsichtsrats weiter geschwächt hat. So weisen Gerum et al. in einer Studie nach, dass
Unternehmen, die von der Einführung der Mitbestimmung betroffen waren, oftmals ihre Satzungen mit
dem erkennbaren Ziel geändert haben, die Stellung des Aufsichtsrats zu schwächen.15 Dies gilt
beispielsweise für die Abschaffung von Zustimmungsvorbehalten zugunsten des Aufsichtsrates, bzw.
deren Verlagerung auf die Hauptversammlung. Auch die sog. „Tischvorlage“, d.h. die Praxis,
unternehmensrelevante Informationen erst während der Sitzung des Aufsichtsrates zu verteilen und am
Ende der Sitzung wieder einzusammeln, ist wohl auf die Mitbestimmung und die Sorge von Vorstand
und Anteilseignern zurückzuführen, dass Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsvertreter diese Informationen
„missbrauchen“ könnten.16 Eine weitere Schwächung des Aufsichtsrats ergibt sich aus der Vergrößerung
des Aufsichtsrats, der je nach Anzahl der Arbeitnehmer nunmehr zwingend bis zu zwanzig Mitglieder
haben muss.17 Die Größe des Aufsichtsrats richtet sich somit nicht nach den Bedürfnissen der Aktionäre
oder Prinzipien effektiver Unternehmensführungskontrolle, sondern nach gesetzlichen Vorschriften, die
eine angemessene Repräsentation der Arbeitnehmer sicherstellen wollen. Obwohl die Größe des
Aufsichtsrat dessen Kontrollfunktion und damit letztlich auch die Kontrolle der Arbeitnehmervertreter
schwächt, da kollektive Entscheidungsprozesse mit der Anzahl der Entscheidungsträger zunehmen, 18 sind
Reformversuche, die Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder zu verringern, bisher gescheitert. 19
Insgesamt lässt sich das deutsche System der Unternehmensführungskontrolle als System beschreiben,
das mehr auf Kooperation als auf Kontrolle beruht. Zwar stellt das Gesetz Kontrollinstrumentarien zur
Verfügung, doch sind diese nur in Extremfällen einsetzbar. Der Gesetzgeber ging bereits vor Einführung
der Mitbestimmung davon aus, dass das Unternehmen eine komplexe Organisation ist, deren Interessen
sich nicht auf die Interessen der Aktionäre reduzieren lassen – und das hat sich trotz der Diskussion über
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Der vollständige Titel dieses Gesetzes lautet Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich
vom 27. April 1998, BGBl 1998 Teil I Nr. 24, 786.
Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und
Publizitätsgesetz) vom 18. Juli 2002, BGBl Teil I Nr. 50, S. 2681.
§ 170 Abs 3 Satz 2 AktG.
§ 111 IV Satz 2 AktG in der Fassung vom 19. Juli 2002 (n.F.). Eine wichtige Ausnahme ist das
Übernahmegesetz, das dem Aufsichtsrat die Zustimmungsbefugnis für Defensivmaßnahmen erteilt. Interessanter
Weise hat der Aufsichtsrat jedoch jedenfalls in den 20er Jahren in der Mehrzahl der börsennotierten
Unternehmen extensive Zustimmungsvorbehalte gehabt. Siehe Hopt, Aufsichtsrat und Banken, S. 236 mit
Fußnote 38.
Siehe Art. 3 des Deutschen Corporate Governance Kodex vom 20. August 2002,
<www.ebundesanzeiger.de/amtlicherteil/>.
Hopt, Arbeitnehmervertretung, sowie Hopt, Aufsichtsrat und Banken.
Gerum et al., Der mitbestimmte Aufsichtsrat.
Hopt, Arbeitnehmervertretung, sowie Hopt, Aufsichtsrat und Banken.
§ 7 MitBestG.
Zum Problem der sogenannten collective action problems grundsätzlich Olson, Collective Action.
Zu der 1998er Reform, siehe Seibert, KonTraG , der darauf hinweist, dass Bemühungen an der Größe des
Aufsichtsrats zu rütteln, auf den Widerstand der Gewerkschaften gestoßen ist. Zur Schwierigkeit jeglicher
Reformen, die die Rechte der Arbeitnehmervertreter beeinträchigen könnten, siehe auch Baums, Law Reform, S.
9.
3
die Bedeutung von „share value“ nicht grundsätzlich geändert.20 Zwar fallen Grundsatzentscheidung in
die ausschließliche Kompetenz der Aktionäre, aber die Zurordnung von Kontrollrechten bei weniger
gravierenden Maßnahmen soll sicherstellen, dass die Interessen anderer Beteiligten, wie der
Arbeitnehmer aber auch das Sozialwohl, berücksichtigt werden. Diese Interessen werden vom Vorstand
wahrgenommen. So ist der Vorstand verpflichtet, den Unternehmensinteressen zu dienen, wobei
hierunter allgemein die Gesamtheit der Interessen der Arbeitnehmer, der Aktionäre, sowie
Gemeinwohlinteressen verstanden werden. Die Verpflichtung, verschiedene, oftmals miteinander in
Widerspruch stehende, Interessen wahrzunehmen, gibt dem Vorstand beträchtliche
Entscheidungsautonomie, da es letztlich ihm überlassen bleibt, die Unternehmensinteressen im Einzelfall
zu definieren.21
Die Mitbestimmung fügt sich ohne große Widersprüche in das vorgegebene gesetzliche Modell der
Unternehmensführungskontrolle ein. Kooperation und Dienst im Interesse des Gemeinwohls stehen im
Vordergrund. Interessenskonflikte zwischen den verschiedenen am Unternehmen beteiligten Gruppen,
z.B. zwischen Minderheitsaktionären und Großaktionären, Aktionären und Unternehmensführung,
werden nicht vollständig negiert. Der Gesetzgeber eröffnet jedoch nur wenige prozessuale
Möglichkeiten, diese Konflikte durch Kampfabstimmungen oder durch Beschreitung des Rechtsweges
offen auszutragen. Stattdessen ordnet er, wie im Falle der paritätischen Mitbestimmung, im Einzelfall
Letztentscheidungsrechte zu, was die Entscheidungsfindung erleichtert, bzw. erst ermöglicht, den
beschworenen Interessensausgleich jedoch fingiert.
Die Unternehmenspraxis hat den Gesetzgeber wiederholt genötigt, sein Modell gegen die Realitäten der
Unternehmenspraxis zu verteidigen. Eine Reihe von Einzelmaßnahmen, wie die nunmehr gesetzlich
normierte Vorlagepflicht, die Verschwiegenheitspflicht, die Erhöhung der zwingenden Anzahl der
Sitzungen des Aufsichtsrats jedenfalls bei börsennotierten Unternehmen, der Zustimmungspflicht des
Aufsichtsrates, usw. legen Zeugnis davon ab, dass der Gesetzgeber Missstände erkannt hat, und versucht,
diese durch gesetzliches Mandat zu beheben. Ob dies gelingen kann, hängt letztlich davon ab, ob bzw. in
welchem Umfang ein kooperatives Unternehmensführungsmodell dekretiert werden kann. Für diese
Beurteilung bieten die nunmehr zu behandelnden Unternehmenstheorien das analytische Rahmenwerk.
B.
Corporate Governance, Mitbestimmung und Unternehmenstheorie
I.
Ökonomische Theorien des Unternehmens
Seitdem Ronald Coase die Frage aufgeworfen hat, warum es überhaupt Unternehmen gibt und nicht alle
Transaktionen über den Markt abgewickelt werden,22 sind eine Reihe von Theorien entwickelt worden,
die die Existenz von Unternehmen, die Grenzen zwischen Unternehmen und Markt, und die Zuordnung
von Kontrollrechten innerhalb des Unternehmens zu erklären versuchen. Für die Frage der
Mitbestimmung ist die Zuordnung von Kontrollrechten auf verschiedene Interessensgruppen, die in der
Literatur auch stakeholder oder patrons genannt werden, von besonderer Bedeutung. Die folgende
Diskussion beschränkt sich daher auf diese Aspekte der wichtigsten ökonomischen
Unternehmentheorien.
1.
Principal-Agency Theorie
Das Grundproblem der Corporate Governance, wie es von Berle und Means 1932 für die Vereinigten
Staaten beschrieben wurde, beteht in der Trennung von Eigentum und Kontrolle.23 Will der Eigentümer
sicherstellen, dass seine Rechte angemessen vertreten sind, entstehen ihm mit der Delegierung von
20
21
22
23
Siehe hierzu insbesondere Mülbert, Shareholder Value.
Siehe hierzu Pistor, Governance Externalities, unter Bezugnahme auf Coffee, Coalitions.
Coase, Firm.
Berle/Means, Modern Corporation.
4
Kontrollrechten Kosten, insbesondere Überwachungs- und Informationskosten. Damit stellt sich die
Frage, wie diese Kosten begrenzt werden können. Die Principal-Agency Theorie beschäftigt sich mit
dieser Problemstellung.24 Institutionen,25 wie beispielsweise das Gesellschaftsrecht und die von ihm
vorgesehene Aufgabenverteilung auf verschiedene Gesellschaftsorgane, dienen dazu die Agency Kosten
zu reduzieren.26 Darüber hinaus kann versucht werden sicherzustellen, dass die Interessen der
Eigentümer und derjenigen, die Kontrollrechte ausüben (des Managements) weitgehend gleichlaufen.
Erfolgsgebundene Vergütung und Unternehmensbeteiligungen in Form von Aktienoptionen stellen
jedenfalls theoretisch derartige Lösungsmöglichkeiten dar.27
Analysiert man die Mitbestimmung aus dem Blickwinkel der Agency Cost Theorie, lässt sich zum einen
argumentieren, dass aus Sicht der Aktionäre die Überwachungskosten der Unternehmensführung dadurch
erhöht werden, dass verschiedene Interessensgruppen nunmehr im Aufsichtsrat vertreten sind, deren
Interessen nicht gleichlaufen, sondern oftmals in Konflikt miteinander stehen. Auf der anderen Seite lässt
sich jedoch vertreten, dass die Mitbestimmung eine weitere Form der Kontrolle, nämlich durch die
Arbeitnehmer, zulässt und damit letztlich zur Verstärkung der Kontrolle des Managements führt.
Hiergegen spricht jedoch, dass die Arbeitnehmer keine Kontrollrechte haben, die sie unabhängig von den
Aktionären ausüben können. Dies folgt aus dem paritätischen Modell der Mitbestimmung.
Coffee hat darauf hingewiesen, dass es sich bei Corporate Governance grundsätzlich um ein „multiplayer game“ handelt,28 das einfachen Kontrollmechanismen nicht leicht zugänglich ist. Dies gilt auch in
den USA, obgleich dort der Gesellschaftszweck grundsätzlich enger als nach deutschem Recht mit
„shareholder value“ gleichgesetzt wird.29 Eine Institutionalisierung der komplexen Zielaufgaben, wie sie
die Mitbestimmung bewirkt, scheint diese Probleme eher zu verstärken als zu verringern. Eine besondere
Gefahr besteht darin, dass Interessenskonflikte zwischen verschiedenen principals zu einem
Kontrollvakuum führen, das von den agents, d.h. den Unternehmensmanagern zu ihren eigenen Gunsten
ausgenutzt werden kann.30 Insgesamt führt dieses Szenario zur Schwächung der Corporate Governance.
Diese Schlussfolgerung beruht auf der Annahme, dass Corporate Governance vor allem eine Frage der
Kontrolle und Rechenschaft, nicht der Kooperation und des Vertrauens ist. Diese Annahme wird von den
noch zu behandelnden soziologischen Unternehmenstheorien in Frage gestellt.
2.
Das Unternehmen als Nexus von Verträgen
Die Theorie vom Unternehmen als eines Netzwerks von Verträgen (Vertragstheorie) argumentiert, dass
sich die Rechte und Pflichten der am Unternehmen Beteilgten auf vertragliche Verpflichtungen
reduzieren lassen. Das Unternehmen als selbständige Einheit mit eigenen Interessen gilt aus dieser
Perspektive als juristische Fiktion.31 Das durch Gesetz oder Fallrecht definierte Gesellschaftsrecht wird
als standardisierter Vertrag der Unternehmensbeteiligten verstanden. Er spiegelt die übliche Zuordnung
von Entscheidungs- und Verfügungsrechten wider, die jedoch vertraglich abbedungen bzw. geändert
werden können. Der Umstand, dass nach deutschem Recht die gesetzliche Zuordnung von
Entscheidungsrechten weitgehend zwingend ist, verstößt gegen das Prinizip der Privatautonomie, das die
Vertragstheorie auch für den Unternehmensbereich aufrecht erhält. Entsprechendes gilt für die
gesetzliche Intervention, mit der die Mitbestimmung eingeführt wurde. Konsequenter Weise kritisiert
Jensen die gesetzliche Einführung der Mitbestimmung in Deutschland.32 Sollte eine solche Umverteilung
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Shavell, Risk. Für ein Zusammenfassung dieser Theorie siehe auch Hart, Theory, S. 1758.
Institutionen werden im Anschluss an Douglas North, als Bedingungen, die Menschen aufstellen, um
menschliches Handeln zu kontrollieren, bezeichnet. Siehe North, Institutions, S. 5 ff.
Clark, Fiduciary Duties.
Kritisch hierzu jedoch Bebchuk et al., Rent Extraction. Die Autoren führen aus, dass die Realität der stock option
plans wenig mit deren theoretischer Rechtfertigung gemein hat.
Coffee, Coalitions.
Siehe nur Clark, Corporate Law, S. 141 ff.
Siehe hierzu Pistor, Governance Externalities.
Alchian/Demsetz, Economic Organization und Jensen/Meckling, Theory of the Firm.
Jensen/Meckling, Codetermination.
5
von Kontrollrechten tatsächlich im Interesse der Unternehmensbeteiligten liegen, würde der Markt sie
selbst herbeiführen. Dem ist entgegengehalten worden, dass Informations- und Koordinationskosten einer
solchen Marktlösung entgegenstehen. Selbst wenn es letztlich im Interesse aller Beteiligten liegt, die
Mitbestimmung einzuführen, können sie sich alleine nicht darauf einigen. Es liegt somit ein Fall des
Marktversagens vor, der nur durch den Eingriff des Gesetzgebers überwunden werden kann.33 Allerdings
trägt dieser Einwand nur für die Einführung der Mitbestimmung. Sobald Marktakteure die positiven
Seiten der Mitbestimmung erfahren haben, müsste es möglich sein, ihnen die Entscheidung zu
überlassen, das System fortzuführen oder aber wieder abzuschaffen. Genau dieses wird jedoch von
Gesetzes wegen nicht zugelassen. In der Tat scheint der deutsche Gesetzgeber wenig Vertrauen in den
freiwilligen Fortbestand des Systems zu haben. Anders lässt sich kaum erklären, dass es Unternehmen
schwer, wenn nicht unmöglich gemacht wird, durch Neuregistrierung oder Sitzverlegung34 oder im
Bereich der Montanindustrie durch allmähliches Herauswachsen aus dem Montanbereich 35 eine
Exitoption auszuüben.
Ein grundsätzlicher Einwand gegen die Vertragstheorie ist, dass die Frage, warum es einer gesetzlichen
Zuordnung von Entscheidungsrechten im Unternehmensbereich überhaupt bedarf, nicht aufgeworfen
wird, sondern dass Vertreter dieser Theorie den Regelfall der gesellschaftsrechtliche Zuordnung von
wesentlichen Kontrollrechten auf die Aktionäre als Standardvertrag hinnimmt. Wenn alle anderen
Unternehmensbeteiligten (Arbeitnehmer, Kreditgeber) sich hinreichend vertraglich absichern könnten,
wären sie der Tatsache, dass Aktionäre diese Rechte innehaben, gegenüber indifferent.36 Einer
gesetzlichen Zuordnung, selbst einer abdingbaren, bedürfte es daher nicht. Sollten beispielsweise
Arbeitnehmern derartige Kontrollrechte zufallen, würden sie sie umgehend veräußern, da sie über die
vertragliche Absicherung hinaus keinen Wert hätten. Die Existenz von Letztentscheidungs- oder
Kontrollrechten lässt sich daher nur damit rechtfertigen, dass die Ausübung dieser Kontrollrechte eine
Gruppe begünstigt, andere jedoch zugleich benachteiligt. Hieraus folgt, dass eine optimale vertragliche
Absicherung nicht möglich ist. Wenn dem so ist, stellt sich aber die Frage, warum gesetzlich den
Aktionären in der Regel Vorrang vor allen anderen stakeholders gegeben wrid. Aus dem Coase Theorem
könnte man folgern, dass der anfänglichen Zuordnung von Kontrollrechten keine besondere Bedeutung
zukommt, denn auf dem Marktwege lässt sich eine optimale Reallokation vornehmen.37 Das Coase
Theorem gilt jedoch nur in einer Welt, die keine Transaktionskosten kennt. In einer Welt mit
Transaktionskosten kommt der anfänglichen Zuordnung von Kontrollrechten weit größere Bedeutung zu.
Eine bestimmte Verteilung dieser Rechte bedarf daher der Rechtfertigung.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Vertragstheorie der gesetzlich zwingenden Einführung
der Mitbestimmung skeptisch gegenüber steht, da sie dies als Intervention und Verzerrung des Marktes
begreift. Darüber hinaus widerspricht das Bemühen des deutschen Gesetzgebers, „opt-out“Möglichkeiten zu begrenzen, den Grundprinzipien einer Theorie, die ökonomische Entscheidungen und
Kontrollmechanismen den Marktakteuren, nicht dem Gesetzgeber, überlassen will.
3.
Theorie vom Unternehmenseigentum
Die Theorie vom Unternehmenseigentum38 ist zu unterscheiden von der Property Rights Theory (dazu
unten 4.). Grundlage der Unternehmenseigentumstheorie ist die oben skizzierte Vertragstheorie. Im
Unterschied zur Vertragstheorie sucht die Theorie vom Unternehmenseigentum die Zuordnung von
Kontroll- und residualen Gewinnrechten auf verschiedene Unternehmensbeteiligte, die als patrons
bezeichnet werden, zu erklären. Zu den patrons zählen neben den Aktionären, Kredigebern,
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38
Gerum/Wagner, Labor Co-Determination, S. 346.
Deutlichstes Beispiel ist die 5. Richtline der EG zur Harmonisierung des Gesellschaftsrechts, die niemals
umgesetzt worden ist.
Hier hat der Gesetzgeber mehrfach nachgefasst und die Geltung der Montanmitbestimmung ausgedehnt. Zur –
teilweisen – Verfassungswidrigkeit dieser Maßnahmen, siehe die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
vom 2. März 1999 zur Neuregelung der Montan-Mitbestimmung (1 BvL 2/91).
Zingales, New Foundations, S. 1632.
Coase, Social Cost.
Hansmann, Ownership of Enterprise, S. 5 ff.
6
Arbeitnehmern, auch Warenlieferanten und Konsumenten. Theoretisch kann jede dieser Gruppen
Kontrollrechte beanspruchen und in der Tat lassen sich Unternehmungen finden, bei denen die
Zuordnung von Kontrollrechten auf die eine oder andere Gruppe vorherrscht. Beispiele für
Unternehmungen, die typischerweise im (ausschließlichen) Eigentum der Arbeitnehmer stehen, sind
Anwaltskanzleien oder Arztpraxen. Bei landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften stehen die
Eigentums- oder Kontrollrechte oftmals Lieferanten zu. Genossenschaftliches Wohnungseigentum
bezeugt die Bedeutung von Konsumenteneigentum.39
Die Zuordnung von Kontrollrechten auf eine dieser Gruppen bestimmt sich danach, welche Zuordnung –
ceteris paribus – die gesamten Vertragskosten eines Unternehmens, an dem verschiedene Gruppen
beteiligt sind, minimiert. Kontrollrechte sollen danach der Gruppe zugeordnet werden, deren Beitrag
vertraglich nur zu prohibitiv hohen Preisen sichergestellt werden kann. Eine „optimale“ Zuordnung lässt
sich somit nicht abstrakt für alle Unternehmen postulieren. Es kommt vielmehr auf die relativen Kosten
der verschiedenen Beiträge an. Die Vertragskosten setzen sich aus einer Reihe von Faktoren zusammen,
einschließlich der Kosten von Marktmacht (Vermeidung von Prämien, die von Monopolisten erhoben
werden können), der Risiken, die mit der Überwachung und Durchsetzung langfristiger Verträge
entstehen, der Überwachung delegierter Entscheidungsrechte auf Dritte, sowie der durch
Informationsasymmetrien hervorgerufenen Kosten. Die überwiegende Zuordnung von Kontrollrechten
nach geltendem Aktienrecht auf Aktionäre lässt sich nach dieser Theorie damit rechtfertigen, dass die
Kosten für die Bereitstellung risikoträchtigen Kapitals zu hoch wären und durch die Zuordnung von
Kontrollrechten begrenzt werden.
Die relativen Kosten von Arbeit und Kapital sind jedoch nicht statisch, sondern können sich je nach
Sachlage ändern. So weist Zingales40 darauf hin, dass sich der relative Wert von Finanzkapital und
Humankapital in einigen Unternehmensbereichen verschoben hat und kündigt gar ein neues Zeitalter der
Unternehmenskontrolle und der Unternehmenstheorien an. Als Beispiel führt er den Fall der britischen
Reklamefirma Saatchi & Saatchi an. Maurice Saatchi schlug 1994 als Vorsitzender des board of directors
für sich selbst ein generöses Aktienoptionspaket vor. Da der Aktienwert in der Zeit zuvor gesunken war,
versagten die Aktionäre, darunter insbesondere amerikanische Investmentfonds, diesem Vorschlag ihre
Zustimmung. Daraufhin verließ Maurice Saatchi das Unternehmen und nahm eine Reihe seiner
Mitarbeiter mit sich. Diese gründeten eine neue Firma, M and C Saatchi. Die ursprüngliche Firma, die
sich bald darauf einen neuen Namen zulegte, hatte einen herben Schaden erlitten. Die Moral von der
Geschichte: Es ist kein unverrückbares Faktum, dass Finanzkapital Humankapital (Arbeitnehmer) heuert.
Unter veränderten Gegebenheiten kommt es vor, dass Humankapital auszieht, um Finanzkapital zu
heuern. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Unternehmenswert in zu einem beträchtlichen Ausmaß
von spezifischem Humankapital abhängig ist, dass nicht leicht substituiert werden kann. Für die
Mehrzahl der großen Unternehmen mit erheblichen Kapitalinvestitionen – und dies ist der Prototyp der
mitbestimmten Unternehmen – trifft dies wohl nicht zu.
Damit ist jedoch noch nicht gesagt, dass eine Beiteiligung von Arbeitnehmern an Kontrollrechten von
vornherein ausgeschlossen ist. Allerdings bestehen aus Sicht der Theorie vom Unternehmenseigentum
für den Prototyp des deutschen mitbestimmten Unternehmens erhebliche Bedenken gegen
Arbeitnehmereigentum, und insbesondere gegen die Übertragung von Kontrollrechten sowohl auf
Aktionäre als auch auf Arbeitnehmer. Im Mittelpunkt der Argumentation stehen die Kosten der
Entscheidungsfindung, die durch den Grad der Interessensheterogenität der Inhaber wesentlicher
Kontrollrechte bestimmt wird. Während Kapitalgeber trotz aller Unterschiede sich in der Regel auf den
gemeinsamen Nenner der Profitmaximierung einigen können, haben verschiedene Gruppen von
Arbeitnehmern in der Regel deutliche Interessensunterschiede.41 Dies gilt insbesondere für Großbetriebe
mit Arbeitnehmern und Angestellten, Fabrikarbeitern, Bürokräften, und gehobenem
Managementpersonal. Diese Interessensheterogenität schlägt sich bei Entscheidungen über
Gewinnverteilung, bzw. über künftige Unternehmensstrategien nieder. Die Entscheidungsfindung wird
erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Es ist nur folgerichtig hieraus zu schließen, dass eine
Kombination von Aktionärs- und Arbeitnehmerkontrollrechten, wie es die deutsche Mitbestimmung
39
40
41
Hansmann, Ownership of Enterprise, S. 5 ff.
Zingales, New Foundations, S. 1632.
Siehe hierzu bereits Hansmann, Worker Ownership.
7
vorsieht, aus dieser Sich höchst problematisch ist. Zwischen Arbeitnehmern auf der einen und
Aktionären auf der anderen Seite bestehen oftmals Interessenskonflikte. Plakativ lassen sich diese
Konflikte auf den Nenner bringen, dass die Aktionärsseite daran interessiert ist, den Wert ihrer
Beteiligung zu erhöhen, während das Bestreben der Arbeitnehmer in der Regel dahin geht, ihre
Arbeitsplätze zu sichern.
Der deutsche Gesetzgeber hat diese Probleme jedoch nicht ignoriert. Was die Interessensheterogenität
innerhalb der Arbeitnehmerschaft angeht, unterscheidet das Mitbestimmungsgesetz zwischen Arbeitern
und Angestellten und stellt sicher, dass jede dieser Gruppen entsprechend ihrem zahlenmäßigen Anteil
im Unternehmen auch im Aufsichtsrat vertreten ist.42 Die Kosten der Entscheidungsfindung zwischen
den beiden Gruppen im Aufsichtsrat werden dadurch begrenzt, dass der Anteilseignerseite das
Letztentscheidungsrecht bei Pattsituationen zugesprochen wird (was wiederum Zweifel an der Bedeutung
der Arbeitnehmerrechte weckt). Dennoch ist nicht zu verhehlen, dass die getrennten Sitzungen der
Anteilseigner- und Arbeitnehmerbank im Vorfeld der eigentlichen Aufsichtsratssitzung zusätzliche
Kosten aufwirft.
Die eigentliche Schwierigkeit der Anwendung bzw. des Testens dieser Theorie besteht darin, die Kosten
für unterschiedliche Kontrollrechtsallokationen angemessen zu gewichten.43 Dem Argument, dass der
Entscheidungsfindungsprozess mitbestimmter Unternehmen erhebliche Kosten aufwendet, wird in der
Regel entgegengehalten, dass hierdurch andere Kosten vermieden werden. Als Gegenleistung für diese
Kosten wird der gewonnene Sozialfrieden angeführt, die Vermeidung von Streiks, und die bessere
Durchsetzbarkeit der einmal getroffenen Entscheidungen.44 Letztlich ist dies eine empirische Frage,
deren Beantwortung aufgrund der Vielfalt der Kosten, die durch unterschiedliche Allokation von
Kontrollrechten verursacht werden, schwer zu beantworten sein wird. In jedem Fall bedarf es
langfristigerer Untersuchungen über Streikraten im internationalen Vergleich, denn auch oder gerade in
England,45 das in den 80er Jahren als negatives Beispiel dem sozialfriedlichen Deutschland gegenüber
gestellt wurde, hat die Streikrate seit Ende der 80er Jahre deutlich nachgelassen. 46
4.
Property Rights Theorie
Der Schwerpunkt der Property Rights Theorie liegt weniger auf der Allokation von Kontrollrechten auf
verschiedene patrons oder stakeholder im Unternehmen, als vielmehr auf der Bestimmung der Grenze
zwischen Unternehmen und Markt.47 Die Property Rights Theory versteht das Unternehmen nicht als
Nexus von Verträgen, sondern als eine Ansammlung von Eigentumsrechten an dinglichen
Vermögenswerten.48
Grundlage der Property Rights Theory ist die Einsicht, dass Verträge inhärent unvollständig (incomlete)
sind. Vertragsparteien können nicht alle möglichen zukünftigen Beeinträchtigungen ihres
Vertragsverhältnisses antizipieren. Der Versuch, dieses zu tun, würde zu prohibitiv hohen Vertragskosten
führen. Wenn aber nicht alle vertraglichen Rechte im Vertrag selbst vollständig zugeordnet werden
können, muss das Recht, künftig Entscheidungen über Angelegenheiten zu treffen, die nicht vertraglich
geregelt sind, zugeordnet werden. Dieses Recht, das in der Property Rights Literatur als Residualrecht
42
43
44
45
46
47
48
Dies wird durch der Errechnung der Zahl der Delegierten, die die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmerseite
bestimmen, sichergestellt. Siehe hierzu §§ 10 MitBestG.
Bekanntlich ist dies ein grundsätzliches Problem aller Transaktionskosten-Argumente.
Siehe hierzu Gerum/Wagner, Labor Co-Determination.
Zum Vergleich von Streikraten in England und Deutschland, siehe beispielsweise Hopt, Arbeitnehmervertretung,
sowie Hopt, Aufsichtsrat und Banken.
In der Tat heißt es in einer Studie aus dem Jahre 1997, dass England mittlerweile eines der „friedlichsten“ Länder
ist, was Streikraten angeht. Siehe <www.eiro.eurofound.ie/1997/04/InBrief/UK9704120N.html>.
Die Grundlagen der Property Rights Theory wurden von Grossman und Hart 1986 erarbeitet. Siehe
Grossman/Hart, Ownership. Umfassend zu dieser Unternehmenstheorie Hart, Firms. Für eine insbesondere für
Juristen gut zugängliche Zusammenfassung dieser Theorie und einem Vergleich mit anderen ökonomischen
Unternehmenstheorien, siehe Hart, Theory.
„... a set of property rights ... (over) physical assets.“ Hart, Theory.
8
bezeichnet wird, steht in der Regel dem Eigentümer der Sache zu.49 Die Zuordnung von
Eigentumsrechten über verschiedene Sachen bzw. Sachgesamtheiten bestimmt sich nach der Bedeutung
jeder dieser Sachgesamtheiten für das Endresultat. Je größer die Abhängigkeit voneinander, desto
wahrscheinlicher, dass beide Sachgesamtheiten einer einheitlichen Kontrollstruktur unterliegen, d.h. dass
zwei bisher getrennte Unternehmen verschmolzen werden. Wer von den bisherigen Eigentümern die
Kontrolle über das fusionierte Unternehmen haben soll, bestimmt sich nach der Spezifizität der
jeweiligen Investition.50
Oliver Hart erklärt die Bedeutung des Sacheigentums für die Property Rights Theorie damit, dass
Humankapital nicht handelbar ist und somit immer dem gleichen Eigentümer zusteht. Allerdings hat die
Zuordnung von property rights an Sachen Einfluss auf die Kontrolle über Humankapital. Die Kontrolle
über Sacheigentum gibt dem Eigentümer – ganz im Sinne von Marx51 – Kontrolle über Humankapital.
Insbesondere kann der Unternehmenseigentümer dem Arbeitnehmer die Sache und damit die Grundlage
seines Eigentums entziehen. Allerdings weist Hart auch darauf hin, dass es im Eigeninteresse des
Arbeitnehmers liegen kann, spezifische Investitionen in das Unternehmen zu erbringen, da dies
langfristig seine Verhandlungsmacht stärken kann.52 Freilich gilt dies nur dann, wenn der Wert dieser
Investitionen auch langfristig für das Unternehmen von Wert ist und nicht leicht ersetzbar oder aufgrund
technischem Wandels gar ersetzungsbedürftig ist. Die Kehrseite hiervon ist aber, dass rational handelnde
Arbeitnehmer nur in begrenztem Umfang bereit sein werden, unternehmensspezifische Investitionen zu
tätigen, da dies ihre Abhängigkeit vom Unternehmen erhöht, ohne dass sicher gestellt wird, dass ihre
Investition langfristig von Wert sein wird.53
Genau dies ist ein möglicher Anknüpfungspunkt für die Rechtfertigung der Mitbestimmung.
Unternehmensspezifische Investitionen der Arbeitnehmer, die den Gesamtwert des Unternehmens
erhöhen, setzen voraus, dass die Investitionen der Arbeitnehmer honoriert werden. Dies kann durch die
Zuordnung von Kontrollrechten auf Unternehmensebene geschehen. Aus dieser Sicht dient die
Mitbestimmung dem Unternehmensinteresse, denn sie stellt sicher, dass Arbeitnehmer sich auch dann
weiterbilden und Fähigkeiten erwerben, wenn diese Fähigkeiten nur diesem Unternehmen dienen und
nicht weiter vermarktbar sind. Alternativ könnten diese Investitionen auch durch entsprechende
Vergütung und andere vertragliche Anreize sichergestellt werden. Welche Variante vorzugswürdig ist,
hängt wiederum von ihren relativen Kosten und damit letztlich von dem Wert der
unternehmensspezifischen Investition des Arbeitnehmers für das Gesamtunternehmen ab. Wie das
Beispiel Saatchi & Saatchi gezeigt hat, sind Fälle denkbar, in denen diese Investitionen von so hohem
Wert sind, dass sich die Gewichtung zwischen Finanz- und Humankapital verkehrt.
Die Property Rights kommt damit letztlich zu ähnlichen Ergebnissen wie die Theorie vom
Unternehmenseigentum. Die Zuordnung der Residualrechte auf diejenigen, die das Sacheigentum
beigesteuert, bzw. dieses finanziert haben, folgt daraus, dass deren Beitrag auf dem Vertragswege nur zu
deutlich höheren Kosten gesichert werden kann. Demgegenüber können unternehmensspezifische
Beiträge der Arbeitnehmer in der Regel vertraglich zu angemessenen Preisen gesichert werden. Eine
Stärkung der Kontrollrechte der Arbeitnehmer kann unter diesen Rahmenbedingungen zu Problemen
führen, denn hierdurch können die relativen Kosten des Finanzkapitals erhöht werden. Diese Sorge
spiegelt sich in der Diskussion über den Wirtschaftsstandort Deutschland wider.
II.
Soziologische Theorien
Unter dem Oberbegriff der soziologischen Theorien sollen hier Theorien behandelt werden, die sich
ebenfalls mit der Organisationsform des Unternehmens, nicht mit dem Produktionsprozess selbst
befassen. Ein Teil der Literatur beschäftigt sich vor allem mit der Evolution dieses Modells, das als
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Die Parallele zu relativen (vertraglichen) und absoluten (dinglichen) Rechten ist deutlich.
Hier wird die Verwandtschaft zur Eigentumstheorie des Unternehmens (oben unter 2.) deutlich, denn je größer
die Spezifizität, desto höher die Kosten, diese Leistungen vertraglich einzufordern.
So auch Zingales, New Foundations, S. 1639.
Hart, Firms.
Zingales, New Foundations, S. 1639.
9
Produkt eines emergenten Prozesses komplexer Systemerneuerung verstanden wird (Systemtheorien).
Ein anderer Teil erklärt die Bedeutung kooperativen Verhaltens im Unternehmensbereich und lässt sich
zur Rechtfertigung eines gesetzlich verordneten Kooperationsmodells heranziehen
(Kooperationstheorien).
1.
Partizipations- und Kooperationstheorien
Grundtenor der Partizipations- und Kooperationstheorien ist, dass Funktionsweise und letztlich der
Erfolg von Unternehmen zu einem weit größeren Ausmaß auf Kooperation beruhen als dies von den
ökonomischen Theorien zugestanden wird. Aus dieser Sicht greift auch die Corporate Governance
Diskussion zu kurz, da sie in erster Linie Kontrollstrukturen, nicht Kooperationsverhältnisse analysiert.54
Da die Produktivität des Unternehmens letztlich von der Kollaboration verschiedener am Unternehmen
Beteiligter abhängt, müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die kooperationsfördernd sind.
Hierzu gehören Institutionen, die Kommunikation und Partizipation jedenfalls ermöglichen, wenn nicht
gar verordnen.
Ansatzpunkt für die Partizipationstheorien ist die durch die Transaktionskostenökonomik und Property
Rights Theorie gewonnene Einsicht, dass spezifische Investitionen Strukturen voraussetzen, die es dem
Investoren ermöglicht, seine Beteiligung an künftigen Gewinnen sicherzustellen. In dem Maße, in dem
von Arbeitnehmern erwartet wird, bzw. in dem es für die Gesamtleistung des Unternehmens unabdingbar
ist, dass Arbeitnehmer spezifische Investitionen in ein bestimmtes Unternehmen machen, die sich nicht
leicht auf andere übertragen lassen, sollten Anreize geschaffen werden, die derartige Investitionen
fördern. Partizipationsrechte stellen einen solchen Anreiz dar. Mitbestimmung muss daher nicht
ineffizient sein.55 Über diesen Ansatz hinausgehend, argumentieren Vertreter der Kooperationstheorie,
dass Unternehmen auf Kooperation beruhen und dass daher Ansätze, die kooperationsfördernd sind, dem
Wohl des Unternehmens dienen. Dies gilt nicht nur für freiwillige Kooperation, sondern auch für
„verordnete“ Kooperation.
Der wesentliche Unterschied zwischen der Partizipations- und der Kooperationstheorie liegt darin, dass
erstere kaum über die ökonomischen, auf Transaktionskostenerwägungen aufbauenden, Theorien
hinausgeht, lediglich in der Gesamtbewertung dem Beitrag der Arbeitnehmer höheres Gewicht beilegt.
Demgegenüber betont die Kooperationstheorie, dass kooperationsfördernde Institutionen einen
Eigenwert haben, der sich langfristig auf die Produktivität des Unternehmens und seine
Anpassungsfähigkeit an neue Verhältnisse auswirken wird. Ausgangspunkt der Analyse ist dabei, dass
sich das Verhalten von Wirtschaftsakteuren im Unternehmensbereich nicht allein mit ökonomischen
Theorien erklären lässt. Der homo ökonomikus ist lediglich ein theoretisches Konstrukt. Das Verhalten
realer Menschen ist nicht allein auf Eigeninteresse und Profitmaximierung ausgerichtet. Vielmehr
kooperieren Menschen in verschiedenen Situationen in weit größerem Ausmaß, als dies von
ökonomischen Theorien vorhergesagt wird.56 Wenn aber, wie in verschiedenen Studien gezeigt,57
kooperatives Verhalten vorteilhaft ist, dürften Institutionen, die kooperationsfördernd sind, sich positiv
nicht nur auf das Wohlbefinden der Akteure, sondern auch auf das wirtschaftliche Endresultat, d.h. auf
den Erfolg des Unternehmens, auswirken.
Kooperation wird nicht unbedingt dadurch verhindert, dass diese verordnet wird. So zeigen
experimentelle Studien, dass Probanden in der Regel eher geneigt sind, sich kooperativ zu verhalten,
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So beispielsweise Blair/Stout, Behavioral Foundations. In der Tat gibt es mittlerweile auch in den USA eine
immer größere Resonanz für dieses Argument. Siehe nur die Publikation der Beiträge zu dem Symposium über
„Norms and Corporate Law“ im gleichen Band des University of Pennsylvania Law Review. Ähnliche
Argumente sind Deutschland gerade im Hinblick auf die Mitbestimmung seit längerem in der Diskussion. Siehe
hierzu insbesondere die Beiträge in Frick et al., Wirtschaftliche Folgen.
So Junkes/Sadowski, Mitbestimmung.
Einen guten Überblick über die experimentelle Literatur über kooperatives Verhalten geben Blair/Stout,
Behavioral Foundations.
Grundlegend hierzu bereits Axelrod, Evolution.
10
wenn der Versuchsleiter auch nur andeutet, dass dies die bevorzugte Strategie ist. 58 Nichtkooperatives
Verhalten lässt sich demgegenüber dadurch herbeiführen, dass den Parteien deutlich signalisiert wird,
dass kompetitives Verhalten gefragt wird, beispielsweise dadurch, dass das Experiment als Wallstreet
Game bezeichnet wird.
Die gesetzliche Mitbestimmung lässt sich somit als Modell beschreiben, welches einen Rahmen für
kooperatives Verhalten vorgibt und dadurch den Parteien signalisiert, dass kooperatives, nicht
kompetitives Verhalten gefragt ist. Allerdings zeigen vergleichbare Studien auch, dass die Bereitschaft
zur Kooperation dann nachlässt, wenn die Kosten für einige der Beteiligten die Nutzen der Kooperation
übersteigen.59 Mit anderen Worten, aus dem Umstand allein, dass Kooperation grundsätzlich vorteilhaft
ist, lässt sich nicht unbedingt schließen, dass Art und Umfang der vom Gesetzgeber verordneten
Kooperation aus Sicht der verschiedenen Beteiligten, wie auch aus Sicht des Unternehmens, vorteilhaft
sind. Wie bereits erwähnt, ist unkooperatives Verhalten im Aufsichtsrat (Stichwort Tischvorlage,
Verlagerung wichtiger Entscheidungen auf andere Gremien, etc.) keine Seltenheit in der Geschichte der
Mitbestimmung. Und schließlich ist zweifelhaft, ob Kooperation und Vertrauen Aufsicht und Kontrolle
ersetzen können. Letztlich verweist dieses Argument auf ein Abwägung zwischen Kooperation auf der
einen Seite und den Kosten und Grenzen von Kooperation auf der anderen.
2.
Systemtheorien
Systemtheorien postulieren, dass komplexe Organisationen und Systeme Produkt eines evolutiven
Prozesses sind. Versteht man die Mitbestimmung als ein System, das zwar einerseits begrenzend ist,
andererseits neue Pfade adaptiver Evolution eröffnet, führt dies zu einer anderen Bewertung der
Kostenfaktoren der Mitbestimmung.60 Vergleichsobjekt sind dann ganze Systeme, nicht Teilaspekte
derselben, und Vergleichsmaßstab ist nicht ein Kostenkalkül auf Unternehmensebene, sondern die
Fähigkeit des Systems, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Im post-industriellen Zeitalter, in dem
Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft, so lautet die Grundthese, wird Erfolg zunehmend
durch die Fähigkeit bestimmt, kooperative soziale Beziehungen zu managen.61
Der Unterschied zu der von Zingales postulierten neuen Unternehmenstheorie, die er mit dem Beispiel
von Saatchi & Saatchi illustriert, ist deutlich. Während es dort allein um die relativen Kosten von Arbeit
und Kapital ging, steht hier die „Kunst der kooperativen Organisation“ im Vordergrund.62 Es geht also
nicht in erster Linie um die Maximierung von Quantität und Qualität des Faktors Humankapital, sondern
darum, „Soziabilität“, d.h., „vertrauensvolle(r) Zusammenarbeit im Wirtschaftsprozess“ zu fördern.63 In
dem Maße, in dem hierdurch Wettbewerbsvorteile geschaffen werden können, haben Systeme, die
aufgrund ihrer historischen Entwicklung Verfahren und Institutionen entwickelt haben, die diese soziale
Komponente des Produktionsprozesses fördern, einen Vorteil gegenüber anderen Systemen, die
Kooperation vernachlässigt bzw. nicht institutionalisiert haben.
Im Vergleich mit den ökonomischen Theorien erscheinen die soziologischen Theorien wesentlich
realitätsnäher. Sie abstrahieren weniger und bemühen sich, eine Gesamtschau der wirtschaftlichen und
sozialen Beziehungen im Wirtschaftssystem und seinen Komponenten, d.h. Mitbestimmungssystem,
Unternehmen, etc. zu bieten. Darin liegt jedoch zugleich ihre Schwäche. Selbst wenn man sich die
Grundthese zu eigen macht, dass Kooperation wichtiger Bestandteil erfolgreicher
Wirtschaftsbeziehungen ist, ist damit wenig über die wünschenswerte Form und das Ausmaß der
Kooperation gesagt. Um zu einer sachgerechten Einschätzung der Bedeutung dieses Faktors zu kommen,
müssen jedoch auch die Kosten der Kooperation in Rechnung gestellt werden. Vertreter der
Systemtheorie weisen darauf hin, dass komplexe Systeme auf derartige Kostenfaktoren durch Adaption
reagieren. Beispiel hierfür ist, dass deutsche Unternehmen sich weniger auf Preiswettbewerb einlassen,
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63
Blair/Stout, Behavioral Foundations, S. 1769.
Blair/Stout, Behavioral Foundations, S. 1774.
Siehe Streeck und Kluge, Mitbestimmung, Einleitung, S. 8 ff.
Streeck und Kluge, Mitbestimmung, Einleitung, S. 13.
Streeck und Kluge, Mitbestimmung, Einleitung, S. 13.
Abelshauser, Mitbestimmung, S. 234.
11
sondern Wettbewerbsvorteile durch Marktbeherrschung suchen.64 Hieraus wird abgeleitet, dass
kooperative Institutionen Produktentwicklung und Strategien fördern, die unter diesen
Rahmenbedingungen Marktvorteile bringen können. Eine einfache Gleichung der Kooperationsvorteile
und -kosten lässt sich somit nicht aufstellen. Dennoch sollte es möglich sein, Kriterien aufzustellen, um
aufgrund eines Vergleiches von Wirtschaftssystemen, die mehr oder wengier kooperationsfördernde
Institutionen haben, Schlüsse über die Kosten und Nutzen dieser Institutionen zu ziehen. So ist durchaus
denkbar, dass die Mitbestimmung in der vom Gesetzgeber vorgesehenen Form für bestimmte
Wirtschaftssektoren nach wie vor mehr Vor- als Nachteile bringt, weil diese am meisten von dieser
institutionalisierten Form der Kooperation profitieren, bzw. in der Lage sind, die Kosten der Kooperation
durch alternative Unternehmensstrategien zu reduzieren. Bei anderen Wirtschaftssektoren mag dies
jedoch nicht der Fall sein. Darüber hinaus können sich die Rahmenbedingungen für Kooperation ändern.
Kooperation ist einfacher, wenn weniger Parteien beteiligt und weniger Interessen vertreten sind.
Änderung in der Eigentumsstruktur von Unternehmen können zu höherer oder niedrigerer
Interessensheterogenität mit Auswirkungen auf die Kosten der Kooperation nicht nur in der
Hauptversammlung, sondern auch im Aufsichtsrat führen. Auch kann internationaler Wettbewerb eine
historische Erfolgsstrategie (Marktanteil in bestimmten Sektoren, bei denen Kooperation von Vorteil ist)
zunichte machen. Und schließlich ist es denkbar, dass in anderen Systemen Kooperation zwar weniger
institutionalisiert ist, aber vielleicht gerade dadurch genügend Flexibilität einräumt, um auf veränderte
Rahmenbedingungen durch neue Formen der Kooperation zu reagieren.
Die Kooperations- und Systemtheorien haben einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Funktion und
Wirkungsweise der Mitbestimmung geleistet. Es bedarf jedoch größerer Differenzierung zwischen
verschiedenen Wirtschaftszweigen und Formen der Kooperation, um die Bedeutung des
Mitbestimmungssystems für den Ergolg des Wirtschaftssystems Deutschlands auf der einen Seite und die
Funktion der unternehmerischen Mitbestimmung auf der anderen Seite für den Unternehmenserfolg und
Corporate Goverance fassbar zu machen.
C.
Zusammenfassung und Ausblick
Der Überblick über die verschiedenen theoretischen Ansätze, die bei der Beurteilung der Mitbestimmung
für Corporate Governance herangezogen werden können, hat gezeigt, dass einige dieser Ansätze der
gesetzlichen Mitbestimmung auf Unternehmensebene deutlich skeptisch gegenüber stehen. Dies gilt vor
allem für die ökonomischen Theorien. Auch wenn zugestanden wird, dass die Frage der Kosten der
Mitbestimmung letztlich eine empirische Frage ist, so würden die meisten dieser Theorien vorhersagen,
dass die Kosten der Mitbestimmung deren Nutzen überwiegen. Die Kosten der Mitbestimmung liegen
dabei in erster Linie in den erhöhten Entscheidungsfindungs- und Überwachungskosten. Dies hat
Implikationen für Corporate Governance, denn je schwieriger die Entscheidungsfindung auf Seiten derer,
die zur Überwachung des Vorstandes berufen sind, desto schächer die Kontrolle.
Hier stellt sich jedoch die grundsätzliche Frage, wie bedeutend die Rolle des Aufsichtsrats im Corporate
Governance System ist. Wie ausgeführt, bestanden Zweifel an der Effektivität des Aufsichtsrats bereits
vor Einführung der Mitbestimmung. Es ließe sich daher vertreten, dass die Mitbestimmung keinen
weiteren Schaden angerichtet hat. Hieraus würde jedoch folgen, dass die Mitbestimmung von weit
geringerer Bedeutung ist als oftmals angenommen. Ist der Aufsichtsrat bestenfalls von marginaler
Bedeutung für Corporate Governance, besteht die Funktion der Mitbestimmung darin, Kooperation zu
signalisieren, was dem Sozialfrieden dienen mag, jedoch wenig Auswirkungen auf
Entscheidungsprozesse im Unternehmen und Corporate Governance hat.
Auf der anderen Seite stehen die soziologischen Theorien, die weniger auf eine Kosten-NutzenAbwägung als auf den Faktor Kooperation und Systemerneuerung abstellen. Nach diesen Theorien mag
es zwar durchaus sein, dass die Mitbestimmung Kosten aufwirft. Jedoch überwiegt der Vorteil der darin
besteht, kooperatives Verhalten zu fördern und zu institutionalisieren. Dieses Argument geht implizit
davon aus, dass der mitbestimmte Aufsichtsrats wichtige Entscheidungen trifft und dass diese
Entscheidungen in der Regel durch Konsensbildung un Kooperation herbeigeführt werden.
64
Sorge, Arbeitsorganisation.
12
Eine endgültige Entscheidungen darüber, welche Argumente durchgreifen, bedürfte empirischer Daten
über die Funktionsweise des Aufsichtsrats, den Prozess der Willensbildung und Konsensfindung
zwischen Arbeitnehmern und Anteilseignern, und schließlich den Prozess der Durchsetzung der einmal
getroffenen Entscheidungen. Ohne derartige Daten kann weder das Kosten-, noch das
Kooperationsargument letztlich überzeugen.
Was das Argument der Systemerneuerung durch kooperatives Verhalten angeht, bedarf es einer anderen
Herangehensweise, um die These zu testen, ob das Mitbestimmungssystem sich positiv auf die Fähigkeit
deutscher Unternehmen ausgewirkt hat, den Wert von Humankapital zu optimieren und den Übergang
von der Industrie- zur Wissensgesellschaft zu meistern. Anstelle detaillierter Daten über interne
Unternehmensprozesse bedarf es eines Systemvergleichs zwischen Wirtschaftssystemen mit und ohne
Mitbestimmung und deren Erfolg bei der Systemerneuerung. Aus der Systemerneuerungsthese folgt, dass
Deutschland einen komparativen Vorteil bei der Entwicklung neuer Wirtschaftszweige und Produkte
haben müsste, bei denen Humankapital und Kooperation im Vordergrund steht, wie beispielsweise bei
der Informationstechnologie oder der Biotechnik. Bekanntlich hat sich Deutschland jedoch in diesen
Bereichen weit weniger hervorgetan, als die Vereinigten Staaten, die den Prototyp eines
mitbestimmungslosen Systems darstellen, das Arbeitnehmern weit weniger Rechte auf betrieblicher oder
Unternehmensebene einräumt. In der Tat zeigen Patentdaten, dass Deutschland in den klassischen
Ingenieur- und Mechanikbereichen führend ist, in den neueren Sektoren, wie Biotechnik, jedoch weit
hinter den USA zurückliegt.65 Das heißt nicht, dass Kooperation für diese Sektoren nicht wichtig ist. Im
Gegenteil, horizontale, kooperative Beziehungen gelten als Kernstück der Erfolgsregion in Sachen
Informationstechnologie, Sillicon Valley.66 Aus diesen Daten lässt sich auch nicht folgern, dass die
Mitbestimmung für die Entwicklung dieser Sektoren schädlich ist. Wohl aber sollten diese Daten Zweifel
daran wecken, dass das Kooperationsmodell des deutschen Mitbestimmungssystems für den
Systemwandel hin zur Wissensgesellschaft das optimale Modell ist.
Zusammenfassend lassen sich die folgenden Thesen aufstellen:
Die Mitbestimmung ist Teil eines Corporate Governance Systems, das den Ausgleich zwischen
verschiedenen stakeholders im Unternehmen durch interne Konsensbildung sucht.
Die Interessen der Arbeitnehmer galten als schutzwürdige Interessen bereits vor Einführung der
Mitbestimmung. Die Mitbestimmung hat die Berücksichtigung dieser Interessen dadurch
institutionalisiert, dass es Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat zwingend vorschreibt. Der
Einfluss der Arbeitnehmer auf konfliktträchtige Entscheidungen wird jedoch dadurch gemindert,
dass der von der Anteilseignerseite bestimmte Aufsichtsratsvorsitzende in Pattsituationen den
Ausschlag gibt.
Die Kosten der Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat sind durch die Mitbestimmung erhöht
worden. Dies folgt beispielsweise daraus, dass es im Vorfeld der Sitzungen des Aufsichtsrats
getrennte Sitzungen der Arbeitnehmer- und Anteilseignerseite gibt. Die Höhe dieses Kostenfaktors
bedarf jedoch weiterer empirischer Substantiierung.
Welchen Einfluss die Mitbestimmung auf Corporate Governance im engeren Sinne, das heißt auf
die Kontrolle des Vortandes, hat, lässt sich nicht abschließend feststellen. Dies hängt im
wesentlichen von der Rolle des Aufsichtsrats als Kontrollinstanz ab. Jüngste Gesetzesreformen
lassen darauf schließen, dass ein Bedürfnis besteht, die Rolle des Aufsichtsrats zu stärken. Ob und
in welchem Umfang sich die Schwächen des Aufsichtsrats auf die Mitbestimmung zurückführen
lassen, ist nicht eindeutig geklärt, auch wenn einige Reformmaßnahmen auf Missstände im
mitbestimmten Aufsichtsrat (Tischvorlage, Verschwiegenheitspflicht) zurückgeführt werden
können.
Versteht man Corporate Governance als umfassendes System der Entscheidungsfindung und
Entscheidungsdurchsetzung im Unternehmensbereich, kommt der Mitbestimmung Bedeutung
weniger als Element eines (möglicher Weise durch die Mitbestimmung geschwächten)
Kontrollsystems, als als Grundbaustein eines Kooperationssystems zu. Aus dieser Perspektive
fördert die gesetzlich vorgeschriebene Mitbestimmung kooperatives Verhalten, was die
65
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Carlin/Mayer, Investment and Growth. Die Autoren dieser Studie führen dies auf unterschiedliche Finanzsysteme
und Eigentumskonzentration zurück.
Saxenian, Regional Advantage.
13
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Notwendigkeit, auf Kontrollmechanismen zurückzugreifen, verringern sollte. Ob und wie weit
dieses stilisierte Bild der Realität entspricht, müsste jedoch durch Daten über den internen
Willensbildungsprozess im Aufsichtsrat bestätigt werden.
Die Institutionalisierung kooperativen Verhaltens kann einen wichtigen Wettbewerbsvorteil in der
postindustriellen Wissensgesellschaft darstellen, in der die Bedeutung von Humankapital und
dessen Soziabilität an Bedeutung gewinnt. Ein nur kursorischer Systemvergleich zeigt jedoch, dass
Deutschland diesen institutionellen Vorteil nicht zu einem Wettbewerbsvorteil in den führenden
Sektoren der Wissensgesellschaft, wie Informationstechnologie oder Biotechnik, ausgebaut hat.
Dies mag andere Gründe als die Mitbestimmung haben. Dennoch erhebt dieser Befund Zweifel an
der Überzeugungskraft von Argumenten, die in dem deutschen Corporate Governance System, in
dem die Mitbestimmung einen integralen Platz einnimmt, einen möglichen Systemvorteil gerade
für die Wissensgesellschaft erblicken.
Das deutsche Corporate Governance System cum Mitbestimmung kann als Produkt eines
evolutiven Systemwandels verstanden werden, das sich mit den besonderen historischen
Bedingungen der (späten) Industrialisierung in Deutschland erklären lässt. Zu Beginn des
einundzwanzigsten Jahrhunderts stellt sich jedoch die Frage, ob dieses System hinreichend flexibel
und innovationsfähig ist, um auf neue Herausforderungen zu reagieren. Dabei erweist sich, dass
die Mitbestimmung mittlerweile zum Besitzrecht mit Bestandsschutz geworden ist und daher
selbst einer Systemerneuerung nicht zugänglich ist. So ist beachtlich, dass trotz der recht
umfangreichen Reformen des Aktienrechts in den letzten fünf Jahren, die Mitbestimmung nicht
angetastet wurde.
Das Festhalten an einem Modell, das vor einem Vierteljahrhundert als Sieg über die Trennung von
Arbeit und Kapital und als Basis für den Sozialfrieden gefeiert wurde, ist nicht weiter
verwunderlich und folgt aus der Einsicht, dass sich Systeme pfadabhängig (path dependent 67)
entwickeln. Dies allein sagt jedoch nichts über Erfolg oder Misserfolg eines Systems oder eines
seiner Elemente aus. Für ein Urteil darüber fehlt es an verlässlichen empirischen Daten. Doch
sollte dies kein unüberwindbares Hindernis darstellen.
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