Novizen- und Expertenwissen Peter Reimann Teilbereiche, in denen ausführliche Forschung zum Thema Expertenwissen betrieben wurde: Motorische Fähigkeiten Schach und andere Spiele Akademische Disziplinen (Ingenieurwesen, Medizin, Physik) Bedeutung der Expertenforschung: Teilbereich der kognitiven Psychologie schnell wachsend, interdisziplinär Verbindung zur Informatik (Expertensystemen), der Pädagogischen Psychologie und der Entwicklungspsychologie Wichtig auch für die psychologischen Forscher: Methoden der „wissensbasierten Modellierung“ (Computermodelle) In diesem Kapitel: Modelle von Expertenwissen und Lernmechanismen 1. Methodologische Fragen der Expertiseforschung 1.1 Probleme mit der Definition von Expertise alltagspsychologische Definition eines Experten über: Effizienz Genauigkeit Wissen Erfahrung wissenschaftliche Expertiseforschung: differentialpsychologische Betrachtungsweise: „outstanding individuals in a domain“, Leistungen werden dem Individuum zugeschrieben, zeitlich stabil, Leistung muss direkt erfasst werden, nicht durch Fremdeinstufung Expertentum als Persönlichkeitseigenschaft Kritik: Festlegung eines Grenzwertes, ab dem man von „Expertise“ spricht, ist relativ willkürlich! wissenspsychologische Betrachtungsweise = es wird umfangreiches, professionelles Wissen herangezogen, um komplexe Probleme zu bewältigen Expertentum als professionelles Wissen klassische Expertisestudien folgen dem zweiten Ansatz, auch Reimann in diesem Artikel Zentrale Fragestellungen der Expertiseforschung (wissenspsychologisch): 1. Analyse der Anforderungen an den Experten (Was ist die Problemstruktur? Was ist eine korrekte Lösung? Setzt inhaltiches Wissen des Forschers voraus!) 2. Analyse der Performanz von Experten (Wahrnehmung und Kategorisierung von Problemen, intuitives Reagieren) 3. Analyse des Wissens von Experten (Inhalte und sachliche Richtigkeit, quantitative Unterschiede zu Novizen, qualitative Unterschiede (Abstraktionsgrad, Kohärenz...)) 1 1.2 Strategien und Methoden der Expertiseforschung Salthouse (1991): zwei Strategien der Erforschung von Expertise: bottom-up und top-down bottom-up: 1. Schritt: Vorgehen von Experten und Novizen im Detail untersuchen, Hypothesen generieren (Art der Expertise, Natur der Unterschiede zwischen Experten und Novizen) 2. Schritt: Hypothesentestung (Vergleiche über mehrere Kompetenzstufen hinweg) 3. Schritt: Vergleich der von Experten gewonnenen Ergebnisse mit Ergebnissen aus anderen Bereichen, um Generalisierbarkeit zu überprüfen Bemerkung: dieses Verfahren wurde bisher nie eingesetzt, da sich nocht genug Experten finden, die Zeit/Interesse haben deshalb top-down Strategie: Hypothesen über Expertise werden eher durch Aufgabenanalysen getestet, z.B „ Expertise als das Resultat von Prozessen, die die normalen Begrenzungen der menschlichen Informationsverarbeitung überwinden“ verwendete Methoden stammen aus dem Stadardrepertoire der Psychologie, z.B.: 1) Experimentelle Ansätze (v.a. Trainingsstudien) 2) Psychometrische Verfahren 3) Fallstudien (mit einzelnen Experten...) 4) Computersimulationen (Validierung des Modells am Verhalten meschlicher Experten) 2. Übersicht über empirische Befunde zu Unterschieden zwischen Experten und Novizen Merkmale von Expertise s. Tabelle auf Seite 340, kurz: Allgemein: Experten übertreffen Novizen nur im jeweiligen Bereich Problemlösen: Schneller und genauer Strategieunterschiede: o vorwärtsgerichtete Problemlösung (vs. rückwärtsgerichtete) (Physik) o Breitensuche (vs. Tiefensuche) (beim Programmieren o medizinische Diagnose: sowohl Experten als auch Novizen arbeiten „hypothetikodeduktiv“ viel Zeit für Problemanalyse Gedächtnis und Repräsentation: sortieren Aufgaben nach anderen Merkmalen Konzepte dichter verknüpft besseres episodisches Gedächntnis andere Reihenfolge reprouzierter Gedächntnisinhalte (recall order) Metakognition und Lernen: bessere Selbstüberwachung (self-monitoring) bessere Einteilung von Ressourcen (z.B. Zeit) genauere Einschätzung der Aufgabenschwierigkeit Exertise entwickelt sich aus der wiederholten Anwendung „schwacher“ Problemlösemethoden Expertise entwickelt sich kontinuierlich mit Praxis Wahrnehmung und Chunking: Experten nehmen umfangreiche bedeutungshaltige Muster wahr 2 Außerdem: Experten vollbringen nicht immer bessere Leistungen als Novizen (z.B. sind ihre Vorhersagen oft nicht besser!) Adaptivität ist das wichtigste Merkmal von Expertise, d.h., was Expertise ausmacht, kann sich von Bereich zu Bereich sehr stark unterschieden 5 Eigenschaften des Wissenserwerbsprozesses von Experten (Anderson 1993): 1) Prozeduralisierung: Automatisierung des Zugriffes auf deklaratives Wissen beim Problemlösen 2) Taktisches Lernen: Speichern von wiederholt zusammen vorkommenden Aktionen in einer Makro-Struktur 3) Strategisches Lernen: Anpassung der Kontrollentscheidungen an Wissen und Aufgabenanforderungen 4) Angemessene Problemrepräsentation: z.B. anhand von Merkmalen, die für die Problemlösung direkt relevant sind, statt Oberflächenmerkmalen 5) Besseres Gedächtnis: für Problemstellungen und Lösungen 3. Wissenspsychologische Modelle von Expertise und Wissenserwerb 3.1 Was ist eine Wissensrepräsentation? Funktionen einer Wissensrepräsentation nach Davis, Shrobe und Szolovits (1993): ein Surrogat (Ersatz für das Repräsentierte selbst) eine Menge ontologischer Vorannahmen (in welchen Begriffen man über Gebiet xy spricht) eine fragmentarische Theorie von Intelligenz ein Medium zum effektiven Ausführen symbolischer Berechnungen o Expertenlösungen sind oft gute Kompromisse zwischen Vollständigkeit der Analyse und Zeitverbrauch ein Medium zum Informationsaustausch zwischen Menschen Problemtypen: gut strukturierte vs. schlecht strukturierte Probleme (well- vs. ill-structured) Problemlösungstypen: generische Problemlösemethoden: lassen sich auf alle Probleme innerhalb eines bestimmten Problemtypus anwenden dienen der theoretischen Beschreibung von Aufgabenmerkmalen (gruppieren Probleme) verbinden Struktur- und Prozessannahmen zu einer Wissensrepräsentation Beispiel: Regel- bzw. Produktionensysteme (wenn, dann...) und semantische Netze Allgemeine Form Produktionensysteme Spezialform z.B. GPS besonders geeignet für... Ziel-Mittel-Analyse semantische Netze Frames, Schemas routinehaftes Problemlösen; Interpretation MOPs episodisches Wissen (Fallwissen) Scripts Wissen über prototypische Ereignissequenzen 3 3.2 Produktionssystemmodelle Produktionssystemprogramme bestehen aus einer ungeordneten Liste von Produktionsregeln. am häufigsten zur Modellierung eingesetzte Methode, recht einfach Befunde, die sich besonders gut mit Produktionssystemen modellieren lassen: 1. Problemlösen als Mustererkennung: z.B. Schachspielen: großes Repertoire bedeutungshaltiger Muster (Schachstellungen). Die Chunkingmechanismen von Experten könne hier gut modelliert werden (Muster als Bedingungsteil der Produktion). 2. Modellierung von Strategieunterschieden: Trennung von Bereichswissen und Kontrollwissen möglich: unterschiedliche Lösungsstrategien modellieren, die sich lediglich im Kontrollwissen, nicht aber im Bereichswissen unterscheiden Ziel-Mittel-Analyse (rückwärtsgerichtet): Novizen vs. Wissensentwicklung (vorwärtsgerichtet): Experten bei Routineproblemen (Larkin et al 1980) Larkin: Art der Problemlösung (vorwärts- oder rückwärtsgerichtet) betrifft allein das Kontrollwissen, gleicher Problemraum (mit denselben Operatoren) für Experten und Novizen Neuere Erkenntnis: Experten und Novizen unterscheiden sich NICHT nur in Bezug auf ihre Strategien, sondern auch in de Problemrepräsentation und in ihrem Wissen um mögliche Operatoren Unterschiede hinsichtlich Operatorenwissen kann man mit Produktionssystemen modellieren Grenzen des Ansatzes: Unterschiede hinsichtlich der Aufgabenrepräsentation nicht modellierbar s. schemabasierte Modelle! Weiterer Strategieunterschied: Breitensuche vs. Tiefensuche bei Programmierern o Rückwärtsverarbeitende Strategie (Ziel-Unterziele...) bei Experten und Novizen o Experten: Breitensuche = erst alle Ziele einer Stufe entwickeln, bevor man eine Stufe tiefer geht o Novizen: Tiefensuche = ein Teilziel weiterentwickeln, bis es programmierbar ist, dann weiter mit dem nächsten Teilziel o Nachteil Tiefensuche: Interaktionen zwischen den Teilzielen werden erst entdeckt, wenn bereits Teile des Programms geschrieben sind, dann muss man Änderungen einfügen 3. Lernen als Wissenskompilierung: Modellierung von Lernprozessen (ProduktionssystemProgramme, die sich selbst modifizieren) Beispiel: ACT*-Theorie von Anderson Erwerb einer Problemlösefertigkeit nach Anderson: o Deklarative Repräsentation der Fertigkeit aufbauen, auf die allgemeine (bereichsunspezifische) Problemlösemechanismen zugreifen können - Repräsentation in Form eines semantischen Netzwerkes (propositional) - kann nicht direkt handlungsleitend werden - erworben durch Prozesse des Wissenserwerbs (z.B. Lernen aus Texten) o Wiederholungen... o Generieren einer prozeduralen Repräsentation der Fertigkeit nur (!) durch Wissenskompilierung möglich Wissenskompilierung besteht aus zwei Teilprozessen 1. Komposition: zwei oder drei auf einander folgende Regeln werden zu einer zusammengefasst 2. Prozeduralisierung: Variablen in Regeln werden durch Konstanten ersetzt, dadurch entfällt der kognitiv aufwendige Mustervergleichsprozess 4 Vorteil: vormals mehrschrittoger kognitiver Prozess ist jetzt eine einzige kongitive Operation; Arbeitsgedächtnis wird entlastet Fertigkeit wird nun schneller und zuverlässiger ausgeführt, stabiler gegenüber Ablenkung Zwischenschritte werden allmählich übersprungen Anderson meint, dass Wissenskompilierung der einzige Prozess ist, um von einer „schwachen“ deklarativen Repräsentation hin zu einer prozeduralisierten Form zu gelangen! 3.3 Schemabasierte Modelle Die Schemabasierte Form des Problemlösens ist durch 3 Phasen gekennzeichnet: 1.Erkennen der Aufgabenklasse 2.Aktivierung einer zugehörigen entsprechenden Lösungsmethode 3.Ausführung routinemäßiges Problemlösen, wirkt mühelos, da Durchsuchen des Problemraumes nicht notwendig bei nicht routinemäßig lösbaren Problemen muss wieder gesucht werden, die Suche findet jedoch auf einer relativ abstrakten Ebene statt Ein Problemschema besteht aus zwei Hauptkomponenten: 1. Infos über die Situation (z.B. Problemklassen) Bedingungs-Aktions-Paar 2. Infos über den Lösungsweg Vergleich mit Produktionsregeln: Beide sind Paare aus Bedingung und Aktion Schemas sind viel komplexer Produktionsregeln nehmen nur Bezug auf die Ziele und Merkmale des aktuellen Stands des Problems, aber nicht aufeinander; Schemata stehen explizit in Relation zu anderen Schemata, z.B. - Teil-Ganzes - Spezialisierung-Generalisierung (mit „Vererbung“) - Alternativen Synonym: „Frames“ Was man mit Schemata modellieren kann: 1) Trennung von allgemeinem und spezifischem Wissen: Wichtige Eigenschaft von Schemata: in Vererbungshierarchie angeordnet Wissensbestandteile können nach ihrer Allgemeingültigkeit geordnet werden charakteristisch für menschliche Expertise (und Abgrenzung zu Novizen) In Produktionensystemen ist diese hierarchische Ordnung nicht gegeben 2) Probleminterpretation als Schemaselektion und – kombination Orientierung an Mustern als wichtiges Merkmal von Expertise Produktionsregeln: Problembescheibung muss genau mit Bedingungsteil übereinstimmen Vorteile von Schemata: o Prototypen o Default-Werte (Voreinstellungen) partieller Musterabgleich möglich 5 Interpretation eines Umweltereignisses = Selektion eines Schemas (oder einer Kombination versch. Schemata) Schemahierarchie = Diskriminationsbaum, mit dem die gegebene Info bis zum am besten passenden Schema geleitet wird Schemaselektion oft schon sehr früh im Informationsverarbeitungsprozess (Phänomen der frühen schemaorientierten Verarbeitung; z.B. bei Algebraaufgaben lagen schon Lösungsschemata vor, nachdem die Schüler erst ein Fünftel der Fragestellung gelesen hatten). Hypothetisch-deduktive Methode (Medizin): Novizen gehen bei diagnostischen Aufgaben meist so vor, dass sie von ersten Symptomen auf Hypothesen über Krankheitsursachen schließen, und dann von Hypothesen her weitere Symptome zu erklären versuchen = Zusammenspiel von Vorwärts- und Rückwärtsschließen lässt sich gut durch Schemata modellieren partielle Übereinstimmung von existierenden Wissensstrukturen und neuen Infos kann erkannt werden dank Schemahierarchie: generelle Schemata decken nur einen Teil ab, speziellere Schemata können herangezogen werden, um weitere Aspekte zu „erklären“ („Stufenweise Verarbeitung“) unterschiedliche Problemrepräsentationen ebenfalls durch Schemata erklärbar (z.B. Novizen – Oberflächenmerkmale; Experten – Aktivierung theoretischer Konzepte) 3) Plausibles Denken typische Wertebelegungen (defaults) von Merkmalen (z.B. Defaultwert „Anzahl der Türen“ bei einem Autoschema = „4“) default-Werte = eine Form unsicheren, plausiblen Schließens (überall dort wichtig, wo man kein vollständiges Wissen hat, also so ziemlich in allen Expertisebereichen) 4) Routinehaftes Problemlösen als Schemaausführung Lösung wird ausgeführt, sobald alle erforderlichen Merkmale eines Schemas mit Werten belegt sind Falsches Ergebnis, wenn Schema nicht passt, oder wenn Ausführung fehlerhaft Methoden der Problemlösung werden immer weiter verfeinert, auch das kann man modellieren 5) Expertiseentwicklung als Schemaerwerb Schemata können als deklarative Wissensstrukturen ganz unterschiedlich erworben werden: zB. durch Lesen von Texten, Experimentieren, Erzählt bekommen, asu Hintergrundwissen ableiten,... Prozedurales Wissen ( Produktionsregeln) hingegen kann (nach Anderson) nur durch Wissenskompilierung erworben werden (s.o.) Erwerb von Schemata ist daher wesentlich schlechter untersucht als Erwerb von Produktionsregeln Rummelhart und Norman (1977) postulierten drei Klassen von Veränderungen, denen Schemata unterliegen: o Wachstum (neue Erfahrungen werden unter bestehende Schemata subsumiert) o Anpassung (z.B. neue Default-Werte) o Umstrukturierung (Entwicklung euer Schemata durch Induktion oder durch Ableitung aus existierenden Schemata) 6 3.4 Expertise als fallbasiertes Denken Unterschiede zwischen Fällen und Schemata: Was wird repräsentiert? Schemata Wissen um prototypische Entitäten Fälle Zu welchem Zweck repräsentieren sie es? Unterstützen bestimmte Problemlösemethoden (z.B. Problemreduktion, Planen) spezifisches, episodisches, situatives Unterstützen das Fallbasierte Problemlösen Wissen (Spielart des analogen Problemlösens) ...syntaktisch sind sie aber sehr ähnlich Was sich so gut modellieren lässt: 1) Problemlösen als Analogieschluss Fallbasiertes Problemlösen läuft in nur 2 Schritten ab: 1. Abruf von Fällen aus dem Gedächtnis, bei denen ähnliche Probleme gelöst wurden 2. Anpassung der früheren Lösungen an die aktuelle Problemstellung fallbasierter Ansatz als Weiterentwicklung des schemageleiteten Vorgehens: hier werden Schemata genutzt, um Instanzen so zu beschreiben, dass passende Fallinformation rasch abgerufen werden kann ann kein passender Fall erinnert werden, so wird auf generalisierte Information zurückgegriffen (MOP-Hierarchien....) für Expertiseforschung besonders interessant: o Modell novizenhaften Vorgehens in einigen Bereichen o In komplexen Bereichen ohne Formalisierung (insbes. Medizin, Jura) greifen Experten auf Fälle zurück o Zweifel, ob sich Expertenverhalten überhaupt regelhaft beschreiben lässt, oder ob Fälle als kontextbezogene, spezifische Erfahrungen nicht angemessenere Repräsentationsformen sind 2) Expertiseerwerb als Fallerwerb und Gedächtsnisumstrukturierung Ein fallbasiertes System lernt vor allem durch das Abspeichern neuer Fälle, aber auch dadurch, dass es bestehende Erfahrungen dynamisch umorganisiert (aufgrund neuer Erfahrungen) Elio & Scharf 1990 wollen erklären, warum Physiknovizen Probleme nach Oberflächenmerkmalen klassifizieren (z.B. schiefe Ebene) und Experten nach nach beteiligten theoretischen Konzepten (z.B. bestimmten Kräften), was natürlich eher zur Aktivierung einer passenden Lösungsmethode führt (Versuch von Chi, Feltovich & Glaser 1981) o Experten: Vorwärtsverkettung = Infeenzn von den gegebenen Größen der Aufgabenstellung her ziehen o Novizen: Rückwärtsverkettung = Ziel-Mittel-Analyse EUREKA- Modell von Elio und Scharf simuliert die unterschiedliche Vorgehensweise von Novizen und Experten: o löst Probleme, speichert in MOP-basierten Gedächtnis o anfangs gleiche Gewichtung von Oberflächenmerkmalen und theoretsichen Merkmalen o Lernmechanismus: EUREKA wertet solche Merkmale höher, die zur korrekten Lösung führen, bzw. wertet Merkmale ab, die in Sackgasse führen o mit zunehmender Praxis werden abgeleitete (theoretische) Merkmale höher gewichtet als Oberflächenmerkmale 7 o als Effekt der neuen Wissensorganisation werden Gleichungen anders entwickelt, nämlich stärker vorwärtsgerichtet (scheinbar unabhängig von der gefragten Größe = dem Ziel, aber zielführend) 4. Kritik und neue Ansätze derzeit Produktionensysteme und schemabasierte Ansätze sowohl in der Psychologie als auch in der Informatik am häufigsten, fallbasierte Ansätze relativ neu Kritik v.a. an den Produktionensystemansätzen Darüber hinaus generelle Kritik an der Auffassung von expertenhaftem Denken als Symbolverarbeitung (betrifft auch schema- und fallbasierte Modelle) 4.1. Kritik am Produktionensystemansatz Experten lösen Probleme nicht notwendigerweise mühelos: v.a. bei schlecht strukturierten Problemen wie dem Schreiben von Texten; „Schreib“-Experten problematisieren die Aufgabe und führen mehr Randbedingungen ein, die zu erfüllen sind Lernen tritt auch ohne Ziele oder Feedback auf: z.B. Spracherwerb von Kindern (ohne geplante Unterweisung) - mit Regelerwerbsmodellen nicht abbildbar Transfer tritt auch dann auf, wenn es wenig Überlappung in der Regelmenge gibt: d.h.an der Anzahl identischer Produktionen kann es nicht liegen... Bedingungen und Aktionen können gelegentlich flexibel rekonstruiert werden: spricht gegen eine enge Kopplung von Aktionen an Bedingungen, denn da würde man eher negativen Transfer vorhersagen (Beispiel: Texteditoren) Experten verwenden unterschiedlcihe Suchstrategien: flexible Strategiewechsel sind geradezu charakteristisch für Expertise, v.a. in schlecht strukturierten Bereichen. Also kein universeller Wechsel von Rückwärtsstrategien hin zu Vorwärtsstrategien, wie bei der „Wissenskompilierung“ angenommen – man braucht eine Metaebene im Modell, auf der sich über den Einsatz von Strategien reflektieren lässt Das Vermitteln von Expertenregeln führt nicht notwendigerweise zu Expertise: verbale Vermtillung von „Expertenregeln“ sollte relativ rasch zum Leistungsanstieg führen –das ist jedoch eher die Ausnahme Von Experten geäußerte Regeln sagen nicht immer ihre Leistung voraus: nicht alle Aspekte von Expertise sind in Regelform verbalisierbar! (Anwendung verbalisierter Reglen führt zu schlechteren Resultaten als die Experten tatsächlich erzielen) Produktionsregeln erfassen Routineexpertise, nicht adaptive Expertise: Fähigkeit, sich rasch an veränderte Umstände anzupassen, kann durch Produktionensysteme schlecht modelliert werden 4.2. Generelle Kritik am wissensbasierten Expertenansatz Expertise kann man nicht (nur) symbolisch modellieren: o Kritik aus konnektionistischer Sicht o Wahrnehmungs-, Gedächtnis- und Denkrpozesse sollten nicht als Manipulation von Symbolstrukturen beschrieben werden, sondern näher an der neuronalen Ebene o Ziel: „nichtsymbolische“ Informationsverarbeitungsprozesse modellieren o derzeit jedoch erst Beschäftigung mit elementaren kognitiven Prozessen 8 Expertenwissen ist (auch) ein soziologisches Phänomen: o Kritik aus soziologischer Sicht o reduzierter Wissensbegriff in der Expertiseforschung: die sozialen Aspekte des Wissens werden nicht berücksichtigt o Wissen ist selten „isoliert“ im Kopf eines einzelnen Individuums, sondern eher gesellschaftlich verteilt, „kritallisiert“ sich im einzelen Experten nur während der Problemlösung o vergleiche die Lösung „echter“ Probleme in der Wissenschaft (das in Büchern, Ausbildung und anderer Form dargebotenen Wissen wird mit der Leistung eines ganzen Forscherteams kombiniert...) oder z.B. der Operation durch einen Chirurgen (Unterstützung durch die komplexe Organisation „Krankenhaus“) o Einfluss auf die Psychologie: steigendes Interess an „situativer Kognition“ o Einfluss auf KI: „verteilte Intelligenz“ 4.3. Alternativen Hier hat man vor allem versucht, Modellierungen von Lernprozessen zu finden, die sich nicht mit Kompilierung lösen lassen. Es handelt sich dabei hauptsächlich um den Erwerb von deklarativem Wissen. 5. Ein intergratives Modell von Expertiseerwerb Diskutierte Repräsentationsformen sind keine echten Alternativen, sondern stehen in ontognetischen Zusammenhang, d.h. sie werden beim Wissenserwerb alle durchlaufen und können auch parallel zueinander existieren (multiple, gleichzeitig vorhandene Repräsentationsformen für das gleiche Wissen) Entwicklungsmodell in Abb. 1... Beispiel: Wissensentwicklung im medizinischen Bereich Stadium 1: Problemlösen beruht auf Suche in umfangreichem Faktenwissen umfangreiches im Grundstudium erworbenes Faktenwissen (Anatomie, Physiologie…), das z.B. in Form von semantischen Netzwerken repräsentiert werden kann, aber z.B. auch durch deklarative Regeln kausale Netzwerke vor, die als Knoten physiologische, klinische und anatomische Konzepte enthalten. Studenten können umfangreiche, detailliert Erklärungen für einzelne Symptome abgeben Poblem. Das selbe Symptom kann ganz verschiedenen Ursahcen haben Konstruktion einer Erkkärung verlangt umfangreichen Siuchprozess, um Symptome mit möglichen Ursachen (Krankeiten) zu verbinden Stadium 2: Problemlösen wird zunehmend routinierter und an Prototypen orientiert mehr Praxis- und Patientenbezug im Klinikum, Arbeiten unter realistischen Bedingungen (Zeit- und Erfolgsdruck) mehr Erfahrung 9 die anfänglich nötigen langen Kausalketten werden abgekürzt Entwicklung prototypischer Krankheitsbilder, die direkte Infos über typische Symptome enthalten und nicht mehr die kompletten Details, wie diese verursacht werden Automatisierung vieler Handlungsweisen taktisches Lernen: Zusammenfassung nacheinanderfolgender Lösungsschritte zu einer Makrostruktur (Problemlöseschema, Skript, Plan) strategisches Lernen: Entwicklung problemangepasster Kontrollstrategien knowledge encapsulation (Wissenseinkapselung): Vereinfachung komplexer kausaler Netzwerke zu relativ flachen Symptom-Krankheits-Assoziationen Krankheitsskripte: schemaartige Strukturen, die auch Informationen über zeitliche Beziehungen enthalten Übergang von kausalen Netzen zu Schemata (d.h. nicht nur quantitative Erweiterung, sondern auch qualitative Veränderung des Wissens) Stadium 3: Problemlösen wird zunehmend orientiert an spezifischen Fällen Prototypische Krankheitsskripte werden mit einer wachsenden Anzahl konkreter Fälle umgeben Pratiker erwirbt mehr und mehr Wissen über die Abweichungen von der Regel/ Ausnahmen von den Stadardfällen Diagnose und Behandlung werden bevorzugt auf der Basis früherer Fälle vollzogen, erst in zweiter Linie in Bezug auf das generalisierte Krankheitsskript Expertenhaftes Denken ist sehr stark fallbasiert (siehe auch Schach). Wichtige Implikation: auf dieser Stufe entwickelt sich Expertise sehr individuell, eben anhand der persönlichen Erfahrung mit Fällen Wie genau die Speicher und Zugriffsmechanismen bei so vielen Fällen aussehen ist bisher noch nicht eindeutig geklärt (evtl. „wahrnehmungsnahe“ konnektionistische Modelle ??) Zusammenfassung: s. Text 10