Erkennung der Suizidgefährdung - Weiterbildung

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Das Erkennen der Suizidalität eines Klienten und
die ersten Schritte im Umgang mit ihm
Gestalttherapieausbildung
WIR Institut Rhein-Ruhr
Ausbildung 1999 – 2003
2. Referat
vorgelegt von:
Wolf-Hagen Mühlberger
Im Januar 2003
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Vorwort:
Als Therapeut1 werden wir mit Krisen der Klienten konfrontiert. Diese können destruktiv verlaufen und
sich für den Klienten so zuspitzen, dass er die Selbst-Tötung als einzige Lösung für seine Probleme
sieht.
Wichtig dabei ist, dass wir als Therapeuten Anzeichen der Suizidalität des Klienten wahrnehmen und
angemessen handeln können.
Mit meinem Referat möchte ich zum einen Kenntnisse vermitteln, die geeignet sind, die Suizidalität des
Klienten zu erkennen und dazu dieses Thema bei Verdacht auf eine Suizidgefahr direkt und offen
anzusprechen.
Die Beschäftigung mit diesem Thema hat mich an meine Grenze gebracht. Ich habe gespürt, wie
machtlos ich als Therapeut bin. Ich kann den Klienten durch seine Enge begleiten, wenn er es zulässt,
aber nicht sein Leben retten„Wichtig ist das Eingeständnis an die Beschränktheit der therapeutischen
Mittel, die Selbstvernichtung abzuwenden, wenn sie wirklich geplant ist. Die letzte Entscheidung
bleibt beim Klienten“(Schneider, S. 219).
Eingrenzung des Themas
Es wird die akute Suizidalität von der chronischen Suizidalität unterschieden.
In der Fachliteratur wird auch von chronischer Suizidalität schrieben. „Unter chronischer Suizidalität
wird üblicherweise verstanden, dass suizidales Verhalten nicht nur in engem Zusammenhang mit
Krisen, sondern über lange Zeit, meist auf der Basis lang andauernder Störungen, typischer
Lebensbiografien und Persönlichkeits- und Entwicklungsstörungen für den Betroffenen zentrales Thema
ist“ Sonneck Seite 186). Die chronische Suizidalität ist von anderer therapeutischer Relevanz, da die
chronische Suizidalität nicht durch akute Krisen verursacht wird, sondern ihre Wurzeln in der
individuellen Entwicklung (Persönlichkeitsstruktur, im Lebensstil, psychische Störungen) liegt und hier
die Behandlung der entsprechenden Störungen im Vordergrund steht (vergl. Sonneck S. 186f).
Die akute Suizidalität steht in engem Zusammenhang mit Krisen und verschwindet, im Gegensatz zur
chronischen Suizidalität, nach der Bewältigung der Krise.
Das Thema meines Referats ist auf die Erkennung von Suizidalität ausgerichtet.
Begrifflichkeiten
Suizid
Der Begriff Suizid [zu lat. suus = sein u. lat. caedere (in Zus. -cidere) = niederhauen, töten]
Selbstmord, eher Selbsttötung.
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Wegen der besseren Lesbarkeit benutze die männliche Form, es sind immer auch die Therapeutinnen gemeint
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Suizidalität
Unter Suizidalität versteht man die Neigung zum Selbstmord und die Gefahr des Selbstmordes
(Brockhaus). ,
Unter Suizidgefährdung werden auch suizidale Gedanken, Impulse, Pläne im Vorfeld suizidaler
Handlungen verstanden.
Diese beinhaltet auch das Verhalten von Menschen, die ohne offensichtlichen Grund mit ihrem Leben
spielen (z.B. S-Bahn-Surfen) (vergl. Dormann S. 29).
Unter suizidalen Handlungen werden sowohl Suizidgedanken wie auch die Ankündigung des Suizides
und selbstverständlich die Handlung, bei der der Betroffene Mensch nicht weiß, ob er sie überlebt.
Selbstmord versus Selbsttötung
Ich benutze statt des Begriffs "Selbstmord" den Begriff Selbsttötung. Dies scheint mir angemessener,
weil Mord ein illegaler und bewusster heimtückischer Akt ist.
Der Begriff Selbsttötung beinhaltet auch die sog. unbewussten Anteile, die suizidalen Tendenzen (vergl.
Dorrmann S. 29).
Außerdem gefällt mir dieser Begriff besser, weil damit Überlegungen und Entscheidungen des Klienten
aus der Illegalität herausgehalten.
Mord ist ein bewusster und illegaler Akt, Selbsttötung dagegen eine Möglichkeit des Menschen, die
letztendlich nur er zu verantworten hat und dessen Entscheidung zu respektieren ist.
Über Mordabsichten zu sprechen ist Tabu. Über Selbstmord ebenso. Ich bin der Meinung, dass der
Begriff Selbsttötung zumindest begrifflich dazu beträgt, das Thema „Selbsttötung“ zu enttabuisieren.
Die Enttabuisierung des Themas Selbsttötung in der Gesellschaft könnte zur Prophylaxe von
Selbsttötungen von entscheidender Bedeutung sein kann. Es würde die betroffenen Menschen aus dem
Ghetto ihrer eingeengten Wahrnehmung heraushelfen und helfen endlich Ihre Not offen auszudrücken,
nämlich das, was wir in der Begegnung mit dem suizidalen Menschen in der Therapie zu fördern
suchen.
„Sich oder den Andern zu töten, ist zugleich grundsätzlich eine der Lösungsmöglichkeiten jeder Krise“
(Dörner / Plogg S.326).
Krisen und Krisenverlauf
Eine Binsenweisheit ist, dass Krisen zum Leben und zum persönlichen Wachstum gehören.
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Durch innere oder äußere Konflikte oder Traumata wir ein Geschehen ausgelöst, dass den betroffenen
in Unsicherheit, Verwirrung und Angst stürzt, weil die alten Mittel der Selbstunterstützung nicht mehr
greifen. Die Situation spitz sich oft bis zum Höhepunkt oder Wendepunkt zu.
Im positiven Verlauf, lernt der der Betroffene seine Fähigkeiten des Selbstsupports neu zu organisieren
geht in seiner Identität gestärkt aus der Krise hervor.
Wenn der Krisenverlauf nicht im positiven Sinne gelingt, kann es zur Dekompensation kommen, die in
einen Suizid führen kann. Hierbei kann es zu einem hyperaktiven spontanen Selbsttötung (Affektsuizid)
oder der Klient zieht sich zurück, resigniert und kommt zu dem Ergebnis, dass die Selbsttötung der der
einzige Weg sei, der ihm bleibt (z. B. Bilanzsuizid).
In diesem destruktiven Verlauf der Krise werden eine oder mehrere Säulen
des Supports, die die Identität tragen beschädigt oder gar zerstört.
Wahrnehmung der Suizidgefährdung (Darstellung siehe Sonneck)
(siehe Skript
Sonneck gibt ein Schema vor, welche Kriterien beachtete werden sollten, die
Suizidgefährdung wahrnehmen zu können
- Hinweise aus der Vorgeschichte
- Umwelt
- aktueller Lebenslage
- Andeutungen des Klienten
verbal, nonverbal
Wahrnehmung der eigenen Empfindungen (Helfer)
- Suizidale Äußerungen
Einschätzung der aktuellen Suizid-Gefahr
- Seit wann Suizidgedanken (je länger, umso gefährlicher)
- Wer weiß davon? (besonders gefährlich, wenn sie nicht geäußert werden)
- Art der Suizidgedanken
-- überlegt
-- sich aufdrängend (besonders gefährlich)
- Bedeutung der Suizidvorstellung
- Erwägen = Möglichkeit
- Stadium der suizidalen Entwicklung - Abwägen = ja und nein
- Entschluss = ja
- konkrete Vorbereitungen
- Ausmaß affektiver Einengung
- Ausmaß der sozialen Integration
- bestehende Fähigkeiten - Ressourcen - Möglichkeiten des Klienten
- Kontakt / Beziehung zum Berater "
"Merke: Suizid-Gedanken bedeuten noch nicht Suizid-Absicht!
Merke: Suizid-Absicht ist noch kein unwiderruflicher Entschluss!“
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Übergreifend von therapeutischen Schulen ist das präsuizidale Syndrom nach E.
Ringel als ein wichtiges Einschätzungskriterium für die Suizidgefahr anerkannt.
Innenansichten des Klienten – das präsuizidale Syndrom
Der suizidale Klient, ist ein Mensch, der sich existentiell bedroht fühlt, sich durch die Ambivalenz seiner
Gefühle in einer inneren Zerrissenheit befindet, die für ihn unerträglich wird und er die Selbsttötung als
Lösung zumindest in Betracht zieht, wenn nicht gar durchführt.
Der suizidale Klient, fühlt sich in einer Situation, die für ihn ausweglos erscheint. Das einzige was ihm
geblieben zu sein scheint ist der „Sprung“ in den Tot.
„Wir sehen den betroffenen Menschen in einer mehrfachen Ausweglosigkeit.“ Dies wird durch das
präsuizidale Syndrom von Ringel deutlich beschrieben. (Folie)
Das präsuizidale Syndrom (Ringel) zitiert nach Sonneck, Seite 168) und C. Schneider
1. Einengung:
1. Situative Einengung
1. Seine Situation erlebt er, selbst ohnmächtig, rettungslos
verloren und ohne Gestaltungskraft, als übermächtig und
erdrückend (…)
2. Immer ist die Wertewelt mitbetroffen und das
Selbstwertgefühl zerstört.
3. Der Suizidale befindet sich im Sog der dynamischen
Einengung, welche die Emotionalität in eine einzige
destruktive Richtung zieht.
4. Dynamische Einengung mit einseitiger Ausrichtung der
Apperzeption2, Assoziation, Affekte, Verhaltensmuster und mit der Reduktion der
Abwehrmechanismen
5. Einengung der zwischenmenschlichen Beziehungen
6. Einengung der Wertewelt
2. Gehemmte und gegen die eigene Person gerichtete Aggression
Der Betroffene befindet sich im Zustand implodierter Aggression, randvoll mit schwelender,
unausgedrückter Wut. Die Aggression empfindet er sehr stark und fühlt sich ihr gegenüber aber völlig
ohnmächtig, folglich resigniert er, es kommt zur Ankündigung von Selbsttötungsabsichten;

3. Selbstmordphantasien
 Der Betroffene flieht in die Welt der Phantasien, die ihm die Erleichterung einer visionären
Leidensfreiheit im Tod verschafft. Er malt sich die Selbsttötung regelrecht aus und plant sie
konsequent, bei äußerer Ruhe. Sie tendieren zur Verselbständigung und verfestigen die Isolation
von der Lebenswelt“ (Schneider, Seite 218f).

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(Apperzeption, allgemein (nach G.W. Leibniz) das bewusste Erfassen von Wahrnehmungs-, Denk- und Erlebnisinhalten im
Unterschied zur nicht bewussten Perzeption. © 2002 Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG
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Diese 3 Merkmale sind nicht statisch, sondern nehmen als Prozess zu, im Sinne eines Soges.
„Diese drei Kennzeichen beeinflussen einander im Sinne einer Verstärkung und führen, sofern
nicht interveniert wird, zur Selbstmordhandlung“ (Sonneck Seite 168).
Die affektive Einengung bewirkt meistens ein ängstlich-depressives Verhalten, fehlende Resonanz,
fehlendes affektives Mitschwingen, am Höhepunkt der affektiven Einengung eine „auffällige
Ruhe“(Sonneck Seite 169).
Es besteht zunehmend ein „Gefühl der Gefühllosigkeit“, „d.h. Unfähigkeit zu positiven Gefühlen ebenso
wie zu Traurigkeit, Weinen, Sympathiegefühlen gegenüber Bezugspersonen“(Dilling et al, S. 118).
Dörner und Plogg beschreiben die Einengung bildhaft als eine sich für den Klienten zuspitzende
Situation: „Die Landschaft ist eng und hart geworden. Aufmerksamkeit und Energie werden zunehmend
nicht in die Lösung des Problems, sondern in die Kontrolle seiner Angstsignale investiert- nicht selten
über Alkohol, Medikamente, depressive, neurotische oder somatische Symptome“. Der oder die
Betroffene(n) sind im Teufelskreis der Angst vor der Angst.
„Die Verarmung der Landschaft treibt die Hochspannung immer höher, da es für Handlungen keine …
Realitätsbezüge und damit Entlastung mehr gibt. Loslassen oder Wechsel des Weges (der
Angstabwehr, der Problemlösungsmethode ist nicht mehr möglich. (…) Irgendwann ist der nächste
Schritt buchstäblich der letzte: So geht es nicht mehr weiter. Dieser Weg ist am Ende. Die Krise ist
zugespitzt – so spitz, dass sich die gesamt psychische Aktivität von einem oder zwei Menschen sich auf
einen Punkt verdichtet, zu einer Wand verhärtet, zu einem Abgrund abgeschlossen und - geöffnet hat.
Hier ist der Rücktritt ebenso ausgeschlossen wie das Auf-der-Stelle-Treten. Möglich und zugleich
zwingend ist nur ein gewaltiger Sprung(Dörner/Plogg S. 326).
Ich habe die Beschreibung der Situation des Klienten so ausführlich gemacht, um deutlich zumachen,
wie groß seine Not ist. Der Zugriff auf Unterstützung aus den verbliebenen Säulen seiner Identität und
der intakten Anteilen, wird für Ihn zunehmend unerreichbarer. Die Mauer, wie sie Dörner und Plogg
beschreiben, trennt ihn davon. Er fühlt sich am Ende der Sackgasse (Impass), der Schritt in die
Implosion, den schöpferischen Nullpunkt kann er nicht erreichen, weil seine Neorganisation nicht
möglich ist. Hier wird der destruktive Verlauf einer Krise deutlich,.
Und dennoch ist, wenn wir die Signale der Selbsttötungsgefahr wahrnehmen, ein Anteil da, der leben
will, wenn auch die „sterben-wollende Seite die Oberhand hat“ (Hutterer-Krisch Seite 847).
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Entwicklung der Suizidalität
„In der Regel geht der suizidalen Handlung eine suizidale Entwicklung voraus“ (Pöldinger, zitiert nach
Sonneck, S 167).
Pöldinger charakterisiert 3 Stadien der suizidalen Entwicklung (Pöldinger, zitiert
nach Sonneck, S 167):
„1. Erwägung: Der Suizid wir als mögliche Problemlösung in Betracht gezogen.
Aggressionen, die nicht nach außen gezeigt werden dürfen („ohnmächtige Wut“,
Aggressionshemmung) und soziale Isolierung sind psychodynamische Faktoren, die
eine große Rolle spielen.
2. Abwägung: Ist der Suizid erst einmal in Betracht gezogen, so kommt es in der
Folge zu einem Kampf zwischen selbsterhaltenden und selbstzerstörenden Kräften,
die jedem Menschen innewohnen. Aus diesem Kampf sind auch jene Appelle oder
Notrufe zu verstehen, von den FARBEROW & SHNEIDMAN (1961) ihre
Berechtigung ableiten, generell suizidales Verhalten als Hilferufe (cry for help) zu
bezeichnen (das Reden von Selbstmord, leise Andeutungen in diese Richtung als
auch Drohungen und Vorraussagen, Hilferufe als Ventilfunktion, Kontaktsuche).
Diese Appelle dürfen nicht überhört werden.
3. Entschluss: Mit dem Entschluss tritt eine Beruhigung ein, die auffallend ist. Es handelt sich dabei
aber um eine bedenkliche Ruhe. Leider wird daraus meist der falsche Schluss gezogen, dass die
Krise und damit die Gefahr vorbei seien.
Suizidankündigungen
Die Wahrnehmung der Suizidankündigungen ist im besondern Maße wichtig. Hier sei erwähnt, dass der
Therapeut selbst keine Scheu haben darf, sich mit dem seiner Suizidalität auseinanderzusetzen, da er
sonst leicht Gefahr läuft, (versteckte) Suizidhinweise zu "übersehen". Hier verweise ich auf Dorrmann,
der in seinem Buch ausführlich auf die Auseinandersetzung des Therapeuten mit seiner Suizidalität
eingeht und auch Übungen für ihn vorschlägt.
Mit Suizidankündigungen sind sowohl direkte und indirekte Suizidhinweise wie auch
Suiziddrohungen gemeint.
Unter Suizidankündigungen sind zum einen offene Mitteilungen inkl. der Suiziddrohungen zu
verstehen. Jede Suizidankündigung ist ernst zu nehmen. Sie ist immer ein Hilfeschrei("Cry for
help") und ein Kontaktangebot (siehe oben).
Zum anderen ist auch auf versteckte Suizidandeutungen und "Aktionen" zu achten, "die uns daran
denken lassen, dass der Betroffene sich mit Suizidimpulsen herumschlägt". Das sind neben
"provozierten" Unfällen (Folie Hinwesie latenet S-Absichten)aber auch die so genannte "Ruhe vor
dem Sturm", letzte Verfügungen, plötzliches Bezahlen von lange ausstehenden Rechnungen"
(vergleiche Sonneck S. 155f).
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a) Hinweise auf latent vorhandene
Selbsttötungsabsichten:
‑ Rücksichtsloses Autofahren
‑ Trunkenheit am Steuer
‑ Riskante Flugmanöver (z. B. bei Hobbypiloten)
‑ Anfangen von Hobbies mit hohen Risiken
(Bergsteigen, Tauchen, Drachenfliegen etc.)
‑
Häufige Unfälle in der neueren
Lebensgeschichte
‑ Berichte von lebensgefährlichen Erlebnissen
ohne angemessene emotionale Beteiligung
‑
Diabetiker ohne Selbstdisziplin
‑ Häufig wechselnde Geschlechtspartner ohne
Berücksichtigung von Safer‑Sex‑Praktiken
‑ Verzicht auf Gegenmaßnahmen bei Hypertonie
‑ Exzessiver Konsum von Drogen (auch Nikotin und
Alkohol)
(n. Dorrmann in 1, S. 42)
Auch das nüchterne Reden des Klienten über seine Probleme oder seine gehobene Stimmung, ohne
dass sich seine Situation verändert hat, können Hinweise auf eine Suizidgefahr sein.
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Beispiele versteckter Suizidankündigungen:
Es gibt keine verbindlichen Kriterien, die die Unsicherheit in der
Einschätzung der Suizidalität zu reduzieren (vergl. Sonneck S. 164).
"Dass die Gefahr besteht, den Klienten durch entsprechende Fragen erst auf die Idee zu bringen, ist ein
Mythos, welcher eher die eigenen Hemmungen in Bezug auf dieses Thema verdecken soll... Sofortiges
Sprechen darüber erleichtert den Klienten und hilft ihm diese Gedanken objektiver zu sehen" (Dorrmann
S. 42).
"Gerade den Suizidhinweis als solchen zu erkennen und den Betroffenen zu helfen, diese Hinweise
auch aussprechen zu können, ist eine wesentliche prophylaktische Aktivität; das Gespräch darüber
entlastet und lockert bzw. verhindert suizidale Einengung" (Sonneck S. 156).
Darum empfehlen Sonneck und Dorrmann nachdrücklich:
Wenn Sie das Gefühl haben, Ihr Gegenüber könnte an Selbsttötung denken,
bitte Fragen Sie danach! (vergl. Sonneck S. 156, Dorrmann S. 42).
"... mit hoher empirischer Sicherheit kann (kursiv vom Autor) gesagt werden, dass Leute, die einen
Suizid ankündigen, einhöheres Risiko hinsichtlich eines späteren Suizids haben als solche, die es
versuchen und überleben" (Sonneck, S. 156).
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Erkennung der Suizidgefährdung - Epidemiologische Kriterien
Um angemessen auf die Suizidalität zu reagieren, ist der genaue Verlauf von Krisen zu beobachten und
Suizidale Gedanken für sich genommen können noch nicht allein eine Intervention begründen. Nach
Sonneck hat nahezu jeder Mensch im Laufe seines Lebens suizidale Gedanken, die nach außen nicht
offenkundig werden (Sonneck S.151).
Der Suizid ist bei den Menschen unter 40 Jahren nach den Unfällen
die zweithäufigste Todesursache. Jeder vierte Tod eines Menschen unter 30
Jahren ist ein Suizid (11, S.8).
Suizidankündigungen sind zu 1/3 Vorläufer eines Suizidversuchs (ebenda S. 153). "Aufgrund
zahlreicher Untersuchungen" wisse man, "dass die potentielle Risikopopulation nach dem Maß ihrer
Suizidgefährdung in folgender Reihenfolge ... anzusetzen ist" (Sonneck, S. 152):
1. Alkohol-, Medikamente- und Drogenabhängige
2. Menschen, die depressiv sind (Depressionen aller Arten)
3. Alte und vereinsamte Menschen (Männer im hohen Alter bes.
gefährdet)
4. Personen, die durch eine Suizidankündigung, und
5. solche, die durch einen Suizidversuch (Parasuizid) auffällig wurden
Es gibt Mehrfachnennungen und Überschneidungen.
"Man muss annehmen, dass etwa 30% aller Suizide von Depressiven unternommen werden: Dieser
Prozentsatz ist auf 50 zu erhöhen, wenn man Depression nicht nur im engen Sinne der psychiatrischen
Krankheitslehre versteht, sondern auch als nosologisch unspezifischen affektiven Gefühlszustand.
Ein weiters Drittel der Suizide wird von Alkohol-, Medikamente- und Drogenabhängigen unternommen,
wobei die beiden letzen Gruppen zahlenmäßig zunehmen.
Etwa 40% sind über 60 Jahre,...(Sonneck, S 152).
Für die individuelle Einschätzung Selbsttötungsgefährdung reichen diese statistischen Daten nicht aus.
Allerdings ist ihre Kenntnis nicht unbedeutend. Immerhin ist das Suizidrisiko bei diesen
Personengruppen 50 bis 500mal höher als bei der übrigen Bevölkerung (vergl. Sonneck, S. 151 f).
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Diese Daten sind überwiegend für die gesellschaftlichen Aspekte bezüglich der Suizidprophylaxe
bedeutsam. Dazu gehört m. E., dass das Thema Selbsttötung enttabuisiert wird. Genauso wie AIDS
und Inkontinenz in der Öffentlichkeit thematisiert wird, muss auch das Thema Suizid thematisiert
werden, um die Menschen, die sich in einer ausweglosen Situation sind und nur noch die Selbsttötung
als Er-Lösung aus ihrer Not sehen, aus der Isolation befreit werden.
Zur Epidemiologie gehört auch der Anteil der Geschlechter an suizidalen Handlungen, ebenso
Altersgruppen, sozialer Status usw., z. B.:
„Die Suizidrate steigt mit dem Lebensalter. Während die Suizidrate bei jungen Menschen
vergleichsweise niedrig ist, steigt sie besonders bei Männern ab dem 60. Lebensjahr erheblich
an. Durch die relativ geringe Suizidrate bei
jungen Frauen gewinnt die Anzahl der Suizide älterer Frauen an Gewicht: fast jede zweite
Frau, die einen Suizid begeht, ist älter als 60 Jahre (1.507 von 3.077 Frauen im Jahre 1999)“
(11, S. 4). Interessanterweise das Geschlechterverhältnis bei den Suizidversuchen umgekehrt.
„Bislang wurde nach unserer Kenntnis die Häufigkeit von Suizidalität in Form von suizidalen
Gedanken und Erlebensweisen, die sich noch nicht in einem Suizidversuch ausgedrückt
haben, nicht untersucht (11 S. 8).
Das Verhältnis Frauen zu Männern lag 1997 bei 1:2,6 in den
alten, und bei 1:3 in den neuen Bundesländern (11, S. 3).
Erkennung der Suizidgefährdung - Individuelle Kriterien
Die Zugehörigkeit zu einer oder mehreren Risikogruppen reicht für eine Intervention nicht aus.
Statistiken können immer nur tendenzielle Hinweise geben und gelten für den einzelnen Menschen in
sehr unterschiedlichem Maße.
" ...in den letzen Jahren (wird) die Krise als das interventionsbestimmende Merkmal herangezogen, da
man davon ausgeht, dass die Krise häufig der Vorläufer einer Suizidhandlung ist, die Suizidhandlung
also eine der möglichen Lösungsstrategien ist" (Sonneck S.152f).
Um eine Suizidalität, im Sinne einer Gefahr, dass eine bestimmte Person Suizidhandlung ausübt oder
wiederholt, erkennen zu können, müssen aktuelle persönliche Kriterien des Klienten berücksichtigt
werden.
Hierzu gehört seine aktuelle Situation
Wenn Krisen destruktiv verlaufen können sie einem Suizid münden(s. Rahm 1993, S. 517).
Darum ist, wie oben beschrieben ist die Feststellung einer Krise und deren Verlauf genau zu
beobachten, um die Not, die in die Selbsttötung führen kann und Hinweise auf Suizidalität, rechtzeitig
erkannt werden kann.
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Interventionsstrategien bei suizidalen Krisen
Es darf in der suizidalen Krise ausschließlich zudeckend, unterstützend gearbeitet werden.
Aufdeckende Arbeit muss während der Arbeit in suizidalen Krisen vermieden werden.
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Nachwort:
Bei der Bearbeitung dieses Referats verlor ich immer wieder den Blick für die Not des Klienten, weil ich
mich auf die Gefahr seiner Selbsttötung fixierte und meine Angst davor, dass er’s es tut.
Ich habe als Ehemann, und Krankenpfleger selbst Erfahrung mit Menschen, die sich selbst umbringen
wollten und umgebracht haben.
Immer war ich zutiefst mitbetroffen und hilflos. Und jedes Mal habe ich nicht den Mut gehabt, die
Selbsttötung direkt zum Thema des Gespräches zu machen. Ich habe auch niemanden erlebt, der dies
tat. Im Vordergrund stand die Lebensrettung und später die, meist zwangsweise Einweisung in die
psychiatrische Landesklinik. Das einzige was ich versuchte, die Patienten dazu zu bewegen, freiwillig in
die Psychiatrie zu gehen, damit sie nicht noch weiter durch Zwangmaßnahmen bedrängt wurden und
nach meiner (damaligen) Ansicht, bessere Voraussetzungen für eine Therapie mitbrachten, als bei der
Zwangseinweisung. Auch in diesen Gesprächen habe ich nie direkt von Selbsttötung gesprochen. Diese
Worte habe ich vermieden.
Durch die Bearbeitung dieses Referats, habe ich gelernt, dass das Schweigen über die Selbsttötung für
die Betroffenen eine Erschwernis war und durch die direkte und klare Ansprache hätte sich ihre Enge
weiten können. Ich habe gelernt, dass ich die Frau, die sich während meiner Nachtwache erhängte,
durch meine Tröstung weiter in ihrer Trostlosigkeit belassen, sie gar noch vertieft habe. Und ich hätte
sie vermutlich nicht retten können, da ihr Entschluss wohl sehr fest war.
Ich weiß, dass ich noch sehr viel lernen muss, um als Therapeut wirklich angemessen mit Klienten
umgehen zu können.
Eine Frau hat sich nach einem Gespräch mit, in dem sie am Ende sagte, dass es ihr gut gehe, im
Krankenhaus in meiner Nachtwache erhängt. Kurze Zeit zuvor hat sich meine damalige Ehefrau, die
von mir seit über einem Jahr getrennt lebte, einen Tag vor unserem Scheidungstermin bei einem
Ausgang aus der psychiatrischen Landesklinik durch einen Sprung vor den Zug umgebracht. Ich war
zutiefst erschüttert und trauerte sehr, obwohl wir schon lange Zeit getrennt lebten. Ich habe Angst, dass
mir als Therapeut wieder begegnet, dass sich ein Klient tötet. Ich vermute, die Wurzeln meiner Wahl
liegen in meinen Erlebnissen, ohne genau zu wissen, was aktuell Gestalt werden will. Auch jetzt spüre
ich noch Trauer.
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Literaturverzeichnis
1.
10.
Dorrmann, Wolfram: Suizid – Therapeutische Interventionen bei Selbsttötungsabsichten-,
pfeiffer 1998;
Schneider, Kristine: Grenzerlebnisse – Zur Praxis der Gestalttherapie-, Edition
Humanistische Psychologie 1990;
Sonneck, Gernot: Krisenintervention und Suizidprophylaxe, Facultas, 2000
Hutterer-Krisch, Renate: in Fuhr et al: Handbuch der Gestalttherapie, Hogrefe 1999
Dörner, Klaus /Plogg, Ursula, Irren ist menschlich – Lehrbuch der Psychiatrie
/Psychotherapie, Psychiatrie Verlag , 3. Auflage 1984
Dörner, K., Plogg, U., Irren ist menschlich , Psychiatrie Verlag 2000
Asanger, Roland, Wenninger, Gerd: Handwörterbuch Psychologie, Beltz genehmigt
Sonderausgabe für den Weltbildverlag Augsburg, 2000
Dilling/Reimer/Arolt, Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie, Springer 2001
Rahm, D., Otte, H., Bosse, S., Ruhe-Hollenbach; H., Einführung in die Integrative Therapie,
Junfermann 1993
Richter, K. f:, Erzählweisen des Körpers, Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung 1997
11.
Suizide, Suizidversuche und Suizidalität,Daten und Fakten
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
Georg Fiedler, Forschungsgruppe Suizidalität und Psychotherapie
Therapie-Zentrum für Suizidgefährdete (TZS) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Version 3.0, April 2001, veröffentlicht im Internet
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