Suizidalität und Suizid im Jugendalter Dr. Katharina Purtscher-Penz Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Landesnervenklinik Sigmund Freud Graz Suizidalität und Suizid Definition Epidemiologie Verlauf Inteventionen Prognose Suizidales Verhalten Definitionen Suizidgedanken (aktiv, passiv) Suizidankündigungen (verbale und nichtverbale Anzeichen, direkte oder indirekte Hinweise, ) Suizidversuch; „Parasuizid“ Suizid Definition Suizid(alität) WHO: Suizidaler Akt mit tödlichem Ausgang… selbst verursachte Verletzung, die mit der Absicht verbunden ist, sich das Leben zu nehmen. Summe aller Denk- und Verhaltensweisen, die in Gedanken, durch aktives Handeln, Handeln lassen oder passives Unterlassen den eigenen Tod anstreben bzw. als mögliches Ereignis einer Handlung in Kauf nehmen. Als das Potential aller seelischen Kräfte und Funktionen, die auf Selbstvernichtung tendieren. Schweregrade Nach der Letalitätsabsicht hoch, mittel, niedrig, keine Nach dem Arrangement der näheren Umstände verwendete Mittel Subj. Einschätzung Wahrscheinlichkeit der Rettung Kommunikativer Akt Suizidale Handlungen Ursachen Krisen der Adoleszenz (Identitätskrisen, ...) Biographische Risiken Auslöser Oft gering, z. B. Verbote, Leistungsversagen, Klima von Angst und Panik Partnerschaftskonflikte Komorbide Störungen „depressive Störungen“, Dissozialität, Drogenabusus, Angststörungen, ..... Zahlen Anzahl pro 100.000 Weltweit 873.000 13,4 Europäische Union 58.000 16,1 Österreich 1.800 17,9 Risikogruppen Personen mit Depressionen (30-50%) Alkohol-, medikamenten-, drogenabhängige Personen (30%) Alte und vereinsamte Menschen Personen nach Suizidankündigungen und Suizidversuchen Risikofaktoren Suizidversuch Psychische Krankheit Impulsivität – Aggressivität Hoffnungslosigkeit Mißbrauch Psychotraumata Familienanamnese Soziale Stressoren Rauchen Einsamkeit Protektive Faktoren Ein signifikantes DU (Beziehung, Kinder) Soziales Netz Zugängliche Behandlungsmöglichkeiten Bewältigungsressourcen Religiöse Überzeugungen Schwangerschaft (+1 Jahr) „Closing the exits“ Hinweise aus der Vorgeschichte Alkohol-, Medikamenten-, Drogensucht Psychiatrische Erkrankungen: v.a. Depressionen Suizidankündigungen und Suizidversuche (Suizidrisiko bleibt längerfristig erhöht) Trennungen (familiär, beruflich …) Einschätzung der Suizidalität 1. Wahrnehmen von Suizidgefährdung Hinweise aus der Vorgeschichte (frühere Suizidversuche) Hinweise aus der Umwelt (Äußerungen von Angehörigen) Hinweise aus der Lebenslage (Krise, Trennung, berufl. Probleme) Einschätzung der Suizidalität 2. Bewertung der aktuellen Situation Art der Suizidgedanken (z.B. sich aufdrängende Zwangsgedanken) Stadium der suizidalen Entwicklung Grad und Art der Einengung Ausmaß der sozialen Integration Konkrete Vorbereitungen (Testament, Medikamente sammeln) Psychologische Erklärungsversuche Psychodynamischer Ansatz (Henseler 1974) Lerntheoretischer Ansatz („Werther-Effekt“) Entwicklungskrisen Frühkindliche Traumata Depression bei Jugendlichen Biologische Faktoren (Vererbung) Suizidale Entwicklung 1. Erwägung 2. Abwägung (Pöldinger, 1968) - Direkte Suizidankündigungen als Hilferufe 3. Entschluss - Vorbereitungen - Suizidhandlung Suizidale Entwicklung Erwägung Abwägung Entschluss Zeit Erwägung Suizid wird in Betracht gezogen Psychodynamische Faktoren Suizide im Umfeld wirken suggestiv Pressemeldungen Aggressionshemmung Soziale Isolierung Abwägung und Ambivalenz Kampf zwischen Selbsterhaltung und Selbstzerstörung Suizidandeutungen bis hin zu direkten Ankündigungen Appelle als „cry for help“ Kontaktsuche Entschluss Gefährliche Beruhigung der Situation „Ruhe vor dem Sturm“ Indirekte Suizidankündigungen Vorbereitungshandlungen Suizidhandlung Das präsuizidale Syndrom 1. 2. 3. (Ringel, 1953) Einengung Situative Einengung Dynamische Einengung Einengung der zwischenmenschlichen Beziehungen Einengung der Wertewelt Gehemmte, gegen die eigene Person gerichtete Aggression Selbstmord- und Todesphantasien Hilfesuche bei Suizidgefährdung Einstellung von Jugendlichen (n=200) Freund 82% Ärztin, Psychologin 68% Eltern 65% Nicht Notruf 73% („nur für leichtere Probleme“) Todesursachenstatistik (Stat. Austria 2007) Todesursachen 2007 Aller Verstorbener 15-20 Lebensjahr Insgesamt 74625 224 Transportunfälle 702 85 Suizid 1280 41 Drogentote 186 25 Neubildungen 18966 16 Herz-Kreislauf 32864 5 Unfälle durch Sturz 821 6 Mord 52 2 Störung durch Alkohol 381 0 AIDS 62 0 Grippe 6 0 (34 + 7) 21 Ambulante Behandlung Bei guter Kooperation und Motivation bei Patient und Familie Erstmaliger Suizidversuch Distanzierung von suizidalen Gedanken und Handlungen nach dem Suizidversuch Gutes sozialen Netzwerk Erfahrene TherapeutInnen Indikationen zur stationären Behandlung Behandlungsbedürftige psychiatrische Erkrankung Wiederholter Suizidversuch „Harte“ Methoden Männliches Geschlecht Geringe Therapiemotivation (Patient und/oder Familie) Fortbestehende psychosoziale Belastungen Alarmzeichen in Krisensituationen Plötzliche Leistungsverweigerung in der Schule Schule schwänzen Von der Schule oder zu Hause fort laufen Abwendung von den Eltern, keine Gesprächsbereitschaft Kein Interesse mehr an Dingen, die die Familie betreffen (z. B. Urlaubspläne) Keine Interesse mehr an bestehenden Freundschaften Weggeben persönlich wichtiger und liebgewordener Dinge Plötzliche Änderung der Essgewohnheiten Ausdruckslosigkeit im Mimik, Gestik und Stimme Unterstützung und Therapie für Kinder und Jugendliche Kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung Psychotherapie und psychologische Behandlung Psychoedukation Maßnahmen der Jugendhilfe Elternarbeit Leitprinzipien der KJP-Versorgung Gleichstellung mit anderen PatientInnengruppen Integration in die Medizin Wohnortnähe Angemessenheit der Versorgung Multiprofessionelle Behandlung Elternarbeit (besonders bei Kindern <10 a) Behandlung der Suizidalität im Stufenmodell Suizidalität an sich (Krisenintervention) Hintergrundfaktoren Begleitende psychische Problematik / Störung Krisenintervention – Behandlungsmodule ambulant Teilstationäre Behandlung KIT Stationäre Betreuung/ Behandlung Indikation & Behandlung Prinzipien der Krisenintervention Rascher Beginn Aktivität des Helfers Methodenflexibilität (sozial, psychologisch, biologisch) Einbeziehung der Umwelt Entlastung von emotionalem Druck Multiprofessionelle Zusammenarbeit Allgemeines Interventionskonzept (Sonneck, 1976) Beziehung herstellen Emotionale Situation/spezifische Gefahren Konzentration auf den aktuellen Anlass Soziale Situation/ Hilfen Weiteres Vorgehen erarbeiten Zeitliche Begrenzung, Beendigung Ziele der Intervention Stärkung der inneren Autonomie Verminderung der oft einseitigen Wahrnehmung Einbeziehung von Schlüsselpersonen Realistische Einschätzung, keine vorschnellen Versprechungen Handlungsbedarf im Umgang mit Suizidgefährdeten Bei fortbestehender Suizidalität besteht unmittelbarer Handlungsbedarf. Suizidpakte sind umstritten! Akute Fremd- oder Selbstgefährdung ist ein Einweisungsgrund nach UBG. Ein Amtsarzt, Sprengelarzt oder Psychiater ist unbedingt beizuziehen! Gefahren im Umgang mit Suizidgefährdeten (Kulessa, 1985) 1. Vorschnelle Tröstung 2. Ermahnung 3. Verallgemeinerung 4. Ratschlag 5. Belehrung 6. Herunterspielen des Problems 7. Beurteilen und kommentieren 8. Nachforschen, ausfragen, analysieren 9. Vorschnelle Aktivitäten entwickeln Gefahren im Umgang mit suizidalen Personen Wichtig: suizidale Personen distanzieren sich häufig vorübergehend von ihren suizidalen Absichten beim Eintreffen der Sicherheitsorgane. Suizidale Personen dürfen auf keinen Fall allein gelassen werden („Ich möchte mich schnell noch umziehen. Ich brauche noch meine Handtasche …“) Hinweise für die Elternberatung Suizidversuch = Notsignal und Ausdruck einer Kommunikationsstörung Keine Vorwürfe und pädagog. Maßnahmen Bearbeitung der Schuldgefühle und Abwehr der Eltern Verbesserung der intrafamiliären Kommunikation und Konfliktlösungsstrategien Professionelle Behandlung aufsuchen Erkennen von psychosozialen und schulischen/beruflichen Belastungen