Suizidalität und Suizidprophylaxe Hintergründe • • • • • • • • Suizid ist die häufigste Todesursache im Fach Psychiatrie 50% aller 15-19-jährigen geben an Suizidgedanken zu haben oder schon gehabt zu haben ca. 1400 Suizidversuche pro Jahr in der Schweiz ca. 10000 Suizidversuche in der Schweiz pro Jahr die meisten Suizidanten hatten vor dem Suizidversuch Kontakt zu medizinischem Personal insbes. Hausarzt, aber nur in nur ca. 22% wurde die Suizidalität thematisiert Pflegepersonen oder Sozialarbeiter werden häufiger als hilfreich erlebt als Ärzte Ärzte erleben das Verhalten von Pat. nach Suizidversuch häufiger als manipulativ 90% leiden an einer psychiatrischen Störung (Depression Schizophrenie, Alkohol- und Drogenabhängigkeit, BorderlinePersönlichkeitsstörung Kurzfristig erhöhte Suizidgefahr • wenn – – – – – – – – – – – – Früherer Suizidversuch Früheres Parasuizidales Verhalten Männliches Geschlecht Alter über 45 J. Alleine lebend Arbeitslos Nach der Entlassung aus stationärer Therapie Agitation Angst oder Panikattacken Depressive Gedankeninhalte Hoffnungslosigkeit Negative Einschätzung der Zukunft Golden Gate Bridge, USA 515 Menschen wurden vom Suizidsprung zurückgehalten Wie viele haben sich später (innerhalb von 26 Jahren) das Leben genommen? A) 80% B) 50% C) 20% D) 10% E) 5% Wie viele haben sich später (innerhalb von 26 Jahren) das Leben genommen? 5 % 480 von 515 Menschen wurde das Leben gerettet! Suizidprävention ist sinnvoll! Die Berner Münsterplattform Sicherheitsnetz Ergebnisse • Keine Suizide an der Münsterplattform • Weniger Suizid durch Sprung in Bern nach der Installation der Netze • Halbierung der Todesfälle der Sprünge von der Kirchenfeldbrücke Was passiert, wenn man nicht von einer Brücke springen kann? 1. kein Suizidversuch 2. andere „sanfte“ Suizidmethode: Tabletten 3. andere Brücke/hohes Gebäude 4. andere gefährliche Suizidmethode Was passiert, wenn man nicht von einer Brücke springen kann? 1. 2. 3. 4. kein Suizidversuch andere Suizidmethode: Tabletten andere Brücke/hohes Gebäude andere gefährliche Suizidmethode Was passiert, wenn man nicht von einer Brücke springen kann? 1. kein Suizidversuch 2. andere Suizidmethode: Tabletten 3. andere Brücke/hohes Gebäude 4. andere gefährliche Suizidmethode Schriftgrösse entspricht der Wahrscheinlichkeit! Ein grosser Teil wird nicht durch Suizid sterben! Suizidprävention ist sinnvoll! Suizidversuch und späterer Suizid • Suizidversuch ist zwar der beste Prädiktor für späteren Suizid, • dennoch: die wenigsten werden sich später wirklich suizidieren Suizidversuch und späterer Suizid • Aber umgekehrt: • Patienten die sich suizidiert haben, haben in ca. 50% einen Suizidversuch in der Anamnese • Zuverlässige Voraussage ist nicht möglich! Suizidprävention • • • • Netze, Absperrungen (z.B. Münsterplattform) Entgiftung von Haushaltsgas (60iger Jahre) Schusswaffen-Gesetze Reduktion der Grösse von Medikamentenpackungen • Entsorgung nicht gebrauchter Medikamentenpackungen • Aufklärungen von Hausärzten • Aufklärung von Laien (Bündnis gegen Depression) Bündnis gegen Depression Bündnis gegen Depression • • • • Schulungen von Hausärzten intensive Aufklärung der Öffentlichkeit (Plakate, Broschüren, Kinospots, Vorträge etc.) Schulungen und Einbeziehung weiterer Berufsgruppen • (Pfarrer, Lehrer, Altenpflegekräfte, Polizei etc.) • spezifische Angebote für Betroffene und Angehörige • (z.B. Notfall-Hotline für Patienten nach Suizidversuch und Unterstützung von Selbsthilfeaktivitäten) Suizid Hat ein Mensch das Recht sich das Leben zu nehmen? Die allermeisten Suizide geschehen in einem psychischen Ausnahmezustand in dem man die Entscheidungsfähigkeit in Frage stellen muss. Aus der Sicht des Therapeuten ist die Frage unerheblich, ob ein Mensch das Recht hat sich umzubringen, ein Grossteil tut es in einem Ausnahmezustand • Bilanzsuizide sind selten • Die meisten auch noch so ernst gemeinten Patienten nach Suizidversuch möchten danach weiter leben Ablauf der Suizidalität 1. Mental Pain als traumatisch erlebter Zustand (der die eigene Person massivst in Frage stellt • Zustand wird als unerträglich erlebt: „Mental Pain = seelische Schmerz (z.B. Trennung des Partners) “Es ist so schlimm, ich halte es nicht mehr aus“ Verlust von „vorn“ und „hinten“ und „rechts“ und „links“ „Ich sehe keine Zukunft mehr“ „Ich kann die anderen positiven Seiten nicht mehr sehen“ Ablauf der Suizidalität 2. Suizidhandlung Einziges Ziel: Seelischen Schmerz muss weg, koste es was es wolle. Suizid als Lösungsweg – Suizidhandlung geschieht in einer Art Trance (Dissoziation) – wenig körperlicher Schmerz – „Autopilot“ Ablauf der Suizidalität 2. Aufwachen Oft abruptes Ende der Suizidalität („Was habe ich gemacht?“) Folgen eines Suizides • erhöhte Gefahr eines späteren Suizidversuches (Risiko ca. 40-fach erhöht) • Schamgefühle (dadurch wenig Inanspruchnahme von Hilfe) • positiver Verstärker für wiederkehrende Suizidalität • Abspeicherung eines Handlungsplanes maladaptiven Coping-Mechanismus Suizidalität Die Abstufungen • 0. Keine Suizidalität • 1. Gedanken an den Tod • 2. Gedanken an Suizid • 3. Suizidgedanken mit mehreren Ideen/ • 4. Plänen wie man es mache könnte • 5. konkreter Suizidplan • 6. Suizidale Handlung • 7. Tod durch Suizid Therapie der Suizidalität (wie sie vielleicht aussehen könnte): Allgemein: • Konstanz der Betreuung • Aufbau einer therapeutischen Beziehung mit Gesprächsangebot (Reflexion) Kurz- und Mittelfristig: • Behandlung einer psychiatrischen Erkrankung (insbes. Depression) • Nachbesprechung (späterer Termin kurzfristig) • (Video-Feedback) • (Ressourcenaktivierung) • Green Cards (Erinnerungskarten) • Eine eigentliche Psychotherapie nicht unbedingt indiziert. Langfristig: • Niederfrequente Kontakte (halbjährlich) über mehrere Jahre Was hat geholfen bei Pat. nach einem Suizidversuch? Exp.-Gruppe vs. Kontrolle Guthrie et al. 2001: Interpersonelle Therapie zu Hause N=119 (58 vs. 61) 9% vs. 28% Salkovskis et al. 1990 • 5 Sitzungen Problemlösetraining zu Hause • N=20 (12 vs. 8) 0% vs. 37% Welu 1977 • 4 Monate outreach program • Kontakt 1-2x/Wo • N=120 5% vs. 15% Was hat geholfen bei Pat. nach einem Suizidversuch? Suizidversuche Exp.-Gruppe vs. Kontrolle Cotgrove et al. 1995 • Green card • N=105 Morgan et al. 1993 • Green card aber: Evans et al. 1999 • Green card • N=827 Bennewith et al. 2002 • Praxisinformation, schriftlich • N=1932 6% vs. 12% 5% vs. 11% 17% vs. 14% 22% vs. 20% Was hat geholfen bei Pat. nach einem Suizidversuch? Exp.-Gruppe vs. Kontrolle Von der Sande et al. 1997 • Stationäre Krisenintervention • N=274 17% vs. 14% Paris J (Psychiatric Services, 2002) • [Hospitalisation hat keinen nachgewiesen Wert in der Verhütung von Suizid und kann manchmal negative Effekte haben. • Die Angst des Klinikers vor möglichem Gerichtsprozessen sollte keine Basis für die Einweisung sein. Suizidalität und psychiatrische Hospitalisation Paris (Psychiatric Services, 2002): [Hospitalisation hat keinen nachgewiesen Wert in der Verhütung von Suizid und kann manchmal negative Effekte haben. Die Angst des Klinikers vor möglichem Gerichtsprozessen sollte keine Basis für die Einweisung sein. Das suizidale Risiko ist keine Kontraindikation für die teilstationäre Behandlung.] Creed et al. (1991): „Staffing level determines the degree that can be tolerated in day care.“