Illustrationen Der Selbstmord_Erscheinungsbilder,Ursachen

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Der „Selbstmord“ (Suizid) :
Erscheinungsbilder, Ursachen , Risikofaktoren
und Prävention
Bruno Müller-Oerlinghausen
Charité -Universitätsmedizin Berlin
International Group for the Study of Lithium Treated Patients
(IGSLI e.V.)
www.igsli.org
o.M. der Arzneimittelkommission der
deutschen Ärzteschaft
www.akdae.de
Kressbronn, April 2015
Felix Müller : Brückensprung
Ein Klinikspatient, ein Mitbürger….
• Wolfgang Schmidt, 38 Jahre, Elektriker
• Angespannt,unruhig, fühlt sich wertlos, sieht keinen
Lebenssinn mehr
• Unterbrochener SV in der Garage
• Anlass der Krise: Seine Frau will ihn verlassen samt
Kindern, Grund : sein zunehmender Alkoholkonsum
• Vorgeschichte: Vater starb durch Suizid, jüngerer Bruder
(19 jährig) durch Unfall, erster SV des Pat. durch Sprung
• Längerfristige Stabilisierung nach Heirat
• Jetzt beruflicher Mißerfolg, verstärkt Alkohol
• In der Klinik: Zunächst Distanzierung von
Suizidgedanken, Stimmung stark schwankend. Suizid durch
Erhängen.
Weitere Beispiele für Suizid
• S. Alexijewitsch (1993) : Im Banne des Todes:
Geschichten russischer Selbstmörder.
z.B. Paschka, ein Söldner und Fighter aus Afghanistan
• Jochen Klepper, evangelischer Pfarrer und Dichter,
( 1903 – 1942 )
Josef und Magda
Goebbels m. Kindern
Leichen der getöteten Kinder Goebbels, 1945
Grützke : Tod am Wannsee
Stefan Zweig, Suizid 1942 in Brasilien
Werther erschießt sich
Goethes Stum-und Drang Opus führte in Deutschland zu einem
Nachahmer-Suizid Hype
Giovanni Canavesio
Anonymus: Ajax´Suizid. Etruskischer rotfiguriger Kylix-Krater. Vulci, Salamis, um
400-350 v. Chr. Britisches Museum London
„Selbstmord im Heer“…
„ Die Selbstmörder werden…. in den meisten Fällen zu der
Bilanz des Bionegativen gehören, also in der Richtung
der Entartung und Selbstauflösung liegen…. Man
könnte im Selbstmord wohl einen rassischen
Eliminationsprozess erblicken..“
Gottfried Benn, 1940
Felix Müller : Brückensprung
Todesursachen
Todesursachen im
im Vergleich:
Vergleich: BRD
BRD 2009
2009
Suizid
9.616
Drogen
827
Verkehr
Mord /
Totschlag
AIDS
4.471
447
431
Dunkelziffer ! Die wahren Suizidraten liegen vermutlich 10-13 % höher.
(Quelle: Bundesamtes für Statistik/Gesundheitsberichterstattung des Bundes; 2009)
1
J
1- ah
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5
Ja
5h
10 re
10 Ja
-1 hre
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15 Jah
-2
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0
J
20
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-2 hre
5
25 Jah
-3
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0
J
30
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-3 hre
5
35 Jah
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40 Jah
-4
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5
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45
-5 hre
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50 Jah
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55
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60 Jah
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70 Jah
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5
75 Jah
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80
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5
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-9
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90
e
Ja
hr
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+
<
Anzahl der Suizide pro 100.000
Suizidraten
Suizidratenin
inDeutschland
Deutschland2009
2009
80
70
Männlich
60
Weiblich
50
40
30
20
10
0
(Quelle: Bundesamtes für Statistik/Gesundheitsberichterstattung des Bundes; 2009)
Das soziologische Konzept des Selbstmords
nach Emile Durkheim
• Jede Gesellschaft hat in jedem Augenblick ihrer
Geschichte eine bestimmte Neigung zum
Selbstmord, der in vier Typen auftritt :
• Egoistisch
• Altruistisch ( sich für jemand Anderen oder ein
höheres Gut opfern )
• Anomisch ( Gesetzlosigkeit , Wertezerfall)
• Fatalistisch
Tiefenpsychologisches Modell (!) des Suizids
Ausgangssituation : Streit,Trennung,Verlust
Verlust des geliebten Anderen , des „Objekts“.
Hass, Depressivität, Aggression gegen den verlorenen
Anderen
Ambivalenz wegen starker Bindung an den Anderen
„Mordimpuls“ schlägt zurück auf das eigene Selbst :
Suizidalität
„Narzisstische Krise“ im psychodynamischen
Modell des Suizids
Ausgangssituation : extrem schwaches Selbstwertgefühl,
Selbstunsicherheit
Leichte Kränkbarkeit
Enttäuschungen, Mißerfolge
„Infantil-regressiver“ Rückzug
Suizidalität, wenn diese „Kompensation“ nicht gelingt
Bedürfnis nach Ruhe, Beseitigung des seelischen
Schmerzes ( engl. „mental ache“), Fallenlassen ,“Nirwana
auf Zeit“…
Biologisch-psychiatrische Forschung zum
Suizid
• Gestörter Stoffwechsel von Botenstoff Serotonin,
• Z.. Erniedrigte Konzentration von 5-HIAA in Rückenmarkflüssigkeit
bei Menschen nach Suizidversuch oder mit hoher Aggressivität.
• Genetische Anlage, teilweise unabhängig von Veranlagung zu
Depression ? „Suicide runs in families“.
• Problem : „Suizidalität“ unscharfer Begriff. Störung des SerotoninStoffwechsels eher verbunden mit erhöhter Impulsivität, Aggressivität
? Oder Ärger ? Verhaltensebene, auf deren Grund sich suizidale
Handlungen entwickeln können ?
• Das einzige anti-suizidale und antiaggressive Medikament Lithium
wirkt positiv auf den Serotoninstoffwechsel ein ! (Kompensiert ein
Serotonin-Defizit?)
Mögliche Risikofaktoren für Suizidalität
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Vorhergehende Suizidversuche
Suizidversuche und Suizide in der Familie
Psychische Erkrankungen (Depression, Sucht..)
Chronische körperliche Erkrankungen
Medikamente (!)
Belastende Lebensereignisse
Männliches Geschlecht (3:1 für Suizide )
Höheres Alter (30 % aller S. > 65 Jahre alt)
Keine aktive Partnerschaft
Illes et.al. 2015
Depression und Suizidalität
15 %
20-60 %
40-70 %
ca. 90 %
mit schwerer Depression
versterben durch Suizid
weisen einen Suizidversuch auf
leiden an Suizidideen
der Suizidenten
– hatten psychiatrische
Erkrankungen im Vorfeld
– am häufigsten Depression (40-70 %)
40 %
der Suizidopfer haben eine Woche
vorher ihren Hausarzt aufgesucht!
Interferon alfa
Hepatitis B und C
Mefloquin
Malaria-Prophylaxe
Gyrasehemmer
(Chinolone)
Bakterielle Infektionen
Isotretinoin
Schwere Akne
SSRI-Antidepressiva
Depression, Angststörungen u.a.
Topiramat, Vigabatrin Zerebrale Anfallsleiden
Efavirenz
HIV-Infektion
Vareniclin, Bupropion Raucherentwöhnung
Kortikosteroide
Finasterid
Statine
Immunmodulation,
Entzündungshemmung
Benigne Prostatahyperplasie,
androgenetische Alopezie
Cholesterinsenkung
Medikamente, die Suizidalität auslösen können
Risikofaktoren für Suizidalität im Alter
•
•
•
•
•
Chronische körperliche Erkrankung
Psychische Erkrankung
Soziale Isolation
Verlust von Status, Autorität,Kompetenz
Negative gesellschaftliche Sichtweise von
Alter
• Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod
Suizidalität bei Jugendlichen
• Suizid bei 15-20 Jährigen nach Unfällen zweithäufigste
Todesursache !
• Ca. 40 Suizidversuche pro Tag in Deutschland . Damit ist
Risiko späteren vollendeten Suizids 100 mal höher als in
Allgemeinbevölkerung
• Risikofaktoren : Primär familiär : Verlust-und
Trennungserlebnisse. Feindselige Atmosphäre,
Abwertung, Bedrohungen in der Familie.
Ablehnung/Überforderung durch Eltern. Pubertäre
Krisensituationen
• Gefährlich : Todeswunsch wird nicht konkret
ausgesprochen. Eher „verschlüsselte“ Botschaften.
(Interesse an Unfallberichten, Vernachlässigen von
Hobbies, Freundschaften usw.)
Mögliche Gefahrensignale
• Veränderte Stimmung:Niedergeschlagenheit,
Resignation,Hoffnungslosigkeit, Interesse-und Freudlosigkeit
• Veränderte Gedanken :
Gefühl von Ohnmacht, Verzweiflung
Fehlen von Perspektiven und Lebens-Sinn
Selbstvorwürfe , Ärger/Wut gegen die eigene Person gerichtet
• Verändertes Verhalten :
Riskantes Verhalten im Strassenverkehr, Schreiben von
Abschiedsbrief
• Körperlich :
Massive Angst-und Unruhe, quälende Schlaflosigkeit
Suizidalität: Phasenmodell
Moderate Suizidgefahr
Passive
Todeswünsche
Erwägung
Suizidgedanken,
Suizidideen
Hohe Suizidgefahr
Konkrete
Suizidplanung
Ambivalenz
Suizidale
Handlung
Entschluss
Entschluss
(In Anlehnung an Pöldinger 1980)
Optional
Suizidalität:
Umgang mit Betroffenen
• Suizidankündigung ernst nehmen
(als Notsignal verstehen)
• Suizidalität offen ansprechen
• Weitere Hilfen hinzuziehen (Arzt)
• Hohe Betreuungsdichte sichern
• Bei akuter Gefahr Einweisung auch gegen
Wunsch des Betroffenen möglich
Umgang mit akut suizidalen Menschen
Akute Suizidalität IST ein Notsignal !
• Oberstes Ziel : Zeit gewinnen, akute Situation entschärfen
• Persönliche Beziehung aufbauen, Nähe herstellen, Gefühle
ansprechen.
• Transparent sein („ Ich komme, weil Ihre Nachbarn sich
Sorgen um Sie machen…“ )
• Tatsächliche Situation des Anderen erfassen.
• Blickwinkel des Anderen erweitern ! Ist Suizid die einzige
Lösung des bestehenden Problems ? Was würde er für
Bezugspersonen bedeuten ?
• Hoffnung auf Veränderbarkeit der Situation aufbauen !
• Zukunftsperspektiven erörtern.Aber : Keine falschen
Versprechungen machen
Optional
Abklärung von Suizidalität:
Kernfragen
Vom Allgemeinen zum Konkreten:
–
–
–
–
–
passiver Todeswunsch?
Suizidgedanken, -absichten?
Suizidideen
aktive Planung?
Suizidankündigungen/Vorbereitungen?
Für eine Bewertung entscheidend:
Wie hoch ist der akute Handlungsdruck
einzuschätzen?
Zunehmender suizidaler
Handlungsdruck
Ungünstige Reaktionen auf
vermutete Suizidalität
• Suizidalität wird nicht angesprochen um den
Betroffenen „nicht erst recht auf den Gedanken zu
bringen“
• Das Thema wird schnell beendet durch:
– „Ausreden“ der Suizidalität
– vorschnelle, unangemessene Lösungsvorschläge
Gefahr:
Der Betroffene spürt Ungeduld und Überforderung
und zieht sich zurück
Lithium - mortalitätssenkende Wirkung
• IGSLI Studien: retrospektive Analyse von 850
Patienten mit affektiver Störung
Anzahl 20
Suizide
Lithiumpatienten
15
Normalbevölkerung
10
5
0
1
2
3
4
Jahre Lithiumprophylaxe
Quelle: Wolf et al., J Affect Disord 1996 (39)
5
6
7
8
Lithium - mortalitätssenkende Wirkung
• Metaanalyse an 17.000 bipolaren Patienten
Suizidale Akte
pro 100
Patientenjahre
unter Lithium
3
ohne Lithium
2
1
0
Suizide
Suizidversuche
Handlungen gesamt
Quelle: Tondo und Baldessarini, J Clin Psychiatry 2000 (61, suppl. 9)
Neuere Meta-Analysen von Studien zu suizidalen
Handlungen bei Lithium-behandelten Patienten
Baldessarini et .al. 2006; Baldessarini and Tondo 2008:
80 % Risikoreduktion sowohl für Suizide wie
Suizidversuche.
Number needed to treat (NNT) : 22,6
Das bedeutet : Pro 23 behandelte Patienten verhindern wir einen
Suizid oder Suizidversuch durch die Lithiummedikation.
„Does lithium save lives?“
(Joffe RT: J Psychiatry Neurosc 2004; 29: 9)
Ja,---- vorausgesetzt freilich,dass die Regeln für die Verordnung
von Lithium genau eingehalten werden.
Auf der Basis vorhandener epidemiologischer Daten und der
Ergebnisse unserer internationalen Studien und unter Annahme
, dass 60 % aller Suizide bei depressiven Menschen
vorkommen, errechneten Ahrens,Weeke und MüllerOerlinghausen dass 5 Suizide pro 1000 lithiumbehandelte
Patienten jährlich verhindert werden können.
Geht man davon aus, dass gemäss dem
„Arzneiverordnungsreport“ ca. 50.000 gesetzlich Versicherte in
Deutschland Lithiumpräparate erhalten (vermutlich eine bis 10
fache Unterverordnung) , werden pro Jahr 250 Menschen in
Deutschland durch adäquate Lithiumbehandlung vor dem
Suizid bewahrt--- Es könnten mehr sein..
6 häufige Aussagen zum Thema „Suizid“
Richtig oder falsch??
• Wer von Suizid spricht, tut es nicht .
• Spricht man bestehende Suizidalität an, erhöht man die
Wahrscheinlichkeit der Realisierung.
• Wer sich wirklich umbringen will, ist nicht aufzuhalten.
• Wer einmal einen Suizidversuch begeht, wird es immer
wieder tun.
• Ein Suizidversuch ist nur Erpressung.
• Suizidgedanken zu haben ist anormal.
♥ Danke für Ihr Interesse und
Ihre Geduld ! ♥
Wo erhalte ich Beratung und Hilfe* ?
• Telefonseelsorge
• Informationen für Menschen, die sich nicht sicher
sind, ob sie weiterleben wollen:
www.krisen-intervention.de
www.u25-freiburg.de
• Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention:
www.suizidprophylaxe.de
* In keinem dieser Foren wird der Suizid als Problemlösung
favorisiert. Suizidalität wird als psychische Krise beschrieben,
die Hilfe benötigt.
Versorgungssituation bipolarer Patienten in
Deutschland
Häufigkeit der bipolaren( manisch-depressiven)
Erkrankung :
1% (konservativ, behandlungsbedürftige Fälle) =
820.000 Menschen
Lithium erhalten
6% dieser 820.000 = 50.000 gesetzlich Versicherte .
Massive Unterversorgung!
Mögliche Mechanismen des antisuizidalen
Effekts von Lithium
• Reduktion depressiver Phasen ? Fraglich : Antisuizidaler Effekt tritt
auch bei Prophylaxe-Non-Respondern auf. – Für Antidepressiva und
andere sog. Stimmungsstabilisatoren, z.B. Atyp. NL und AK z.B.
Lamotrigin, ist bislang eine Reduktion des Suizidrisikos nicht belegt.
• Zusammenhang mit antiaggressiver ( „anti-impulsiver“ ?) Wirkung ?(
Biolog. Ebene: serotonin-agonist.Effekte.)
• Reduktion dysfunktionaler Kognitionen und veränderte
Stimulusverarbeitung unter Lithium . (T.Wolf, D.Kropf)
• Diff. Wirkung auf relevante Endophänotypen untersuchen !
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