Blutgerinnung und gerinnungshemmende Medikamente Kontextbasierte Aufgabenentwicklung J. Lumer, R. Asshoff u. U. Langenkamp 1. Einleitung Das Thema Blutgerinnung wird in der Mittelstufe unterrichtet. Die Blutgerinnungskaskade als komplexes Regulationssystem steht hier allerdings nicht im Vordergrund der Vermittlung, vielmehr wird in erster Linie veranschaulicht, welche Funktion die Thrombozyten und das Fibrin haben (Wundverschluss). In einigen Schulbüchern wird dem Faktor VIII Beachtung geschenkt, dessen Fehlen für die Hämophilie A verantwortlich ist. SpörhaseEichmann und Ruppert [1] konzentrieren sich so in ihrer Stundenplanung zum Thema Blutgerinnung auf die Fibrinnetzbildung und die damit verbundenen fachspezifischen Arbeitsweisen (Mikroskopieren und Zeichen des Fibrinnetzes). Andere Autoren behandeln das Thema unter Berücksichtigung der Bluterkrankheit [2] oder von Thrombose, Embolie und Medikamentenwirkung [3]. Detaillierte Angaben zur Blutgerinnung unter Berücksichtigung chemischer Prozesse (z.B. Citratblut) finden sich bei Reinert [4]. Ein Defizit vieler Aufgaben für den Biologieunterricht ist immer noch das Fehlen eines Kontextes und die daraus resultierende mangelnde Bedeutung bzw. Anwendbarkeit des erworbenen Wissens für Schülerinnen und Schüler in ihrem Alltag. Wie in der PISA-Studie wird hier mit dem Begriff Kontext „eine realitätsnahe oder realistische Situation bezeichnet, aus der die Aufgabenstellungen erwachsen“ [5]. Ein solcher Kontext in den der naturwissenschaftliche Inhalt gestellt wird, ist entscheidend für das situative Interesse der Jugendlichen und somit auch für die Motivation sich auf die Thematik einzulassen (affektive Dimension von Aufgaben, [6]). Wir stellen das Thema Blutgerinnung hier in einen schüler- und alltagsnahen medizinischen Kontext, indem wir mit einem Stimulus-Material einsteigen, das einen Arztbesuch beschreibt. So werden die Schüler in eine realitätsnahe Situation versetzt, in der ihnen naturwissenschaftliche Fragestellungen begegnen (5). Die Fragen, die sich aus dem „Arztbesuch“ ergeben, zu beantworten, ist das Ziel einer sich anschließenden weitgehend selbständigen Bearbeitung speziell konzipierter Materialien und eines experimentellen Teils durch die Schüler. Dabei erarbeiten sie u.a., wie gängige Medikamente wie das Heparin oder das Phenprocoumon Einfluss nehmen auf die Blutgerinnung und wann eine Therapie mit eben solchen Medikamenten angezeigt ist. Unser Vorschlag beinhaltet darüber hinaus die Bearbeitung eines concept-maps zur Sicherung der fachlichen Grundlagen [7]. Insofern können mit den hier vorgestellten Aufgaben, orientiert an den Bildungsstandards [8], unterschiedliche Kompetenzen aus den Bereichen „Fachwissen“, „Erkenntnisgewinnung“ und „Kommunikation“ gefördert werden (vgl. dazu Kap. 3). Angesichts der Komplexität des Themas bietet es sich an, das Thema Blutgerinnung und gerinnungshemmende Medikamente in der hier vorgestellten Aufbereitung als Schwerpunktvorhaben für die Jahrgangstufe 11 (Leitthema: Physiologie: Struktur – Funktion- Wechselwirkung) zu behandeln [9]. 2. Sachanalyse 2.1 Mechanismus der Blutgerinnung Bei der Blutgerinnung wirken die Blutgefäße, die Blutplättchen (Thrombozyten) und die im Blutplasma vorliegenden Gerinnungsfaktoren (plasmatische Gerinnung) zusammen. Weiterhin steuern die Inhibitoren der Blutgerinnung (Antithrombin) und das Fibrinolysesystem antagonistisch die Bildung bzw Auflösung von Blutgerinnseln (Thromben). Nach Verletzung eines kleinen Blutgefäßes wirkt dieses durch Gefäßkontraktion (Vasokonstriktion) dem Austritt größerer Mengen an Blut entgegen. Die bei Verletzung des intakten Endothels mit dem Blut in Kontakt tretende subendotheliale Matrix sorgt durch eine Thrombozytenaktiverung zu deren Anhaftung an den Ort der Verletzung und Verklumpung (Adhäsion und Aggregation). Diese Schritte – Vasokonstriktion und Thrombozytenaggregation - werden die primäre Blutstillung genannt. In einem zweiten, darauf folgenden Schritt sorgt die plasmatische Gerinnung für die Bildung eines stabilen Blutgerinnsels, der die aggregierten Thrombozyten mit einschließt. Diese plasmatische Blutgerinnung steht hier im Zentrum der Betrachtung. 2.2 Die Gerinnungsfaktoren Aus didaktischen Gründen wurde das plasmatische Gerinnungssystem früher in ein intrinsisches und extrinsisches Gerinnungssystem unterteilt. Diese Einteilung entspricht nicht den physiologischen Vorgängen, in vivo spielen beide Systeme sich gegenseitig verstärkend eine Rolle. Die meisten Gerinnungsfaktoren (II (Thrombin), VII, IX, X, XI, XII, XIII) sind Proteasen, d.h. Eiweißstoffe mit enzymatischer Aktivität, die andere Eiweißstoffe zu spalten vermögen. Die Faktoren V und VIII haben keine eigene enyzmatische Aktivität und wirken als Kofaktoren zur Verstärkung der Wirkung anderer Gerinnungsfaktoren. Die plasmatische Gerinnung beginnt mit der durch die subendothelialen Proteine, vor allem Gewebethrombokinase initiierten Aktivierung von Faktor VII. Bei dessen Aktivierung wird ein inhibitorischer Eiweißanteil abgespalten. Der so aktivierte Faktor wird als VIIa (aktiviert) bezeichnet. Aktivierter Faktor VII gewinnt seinerseits enyzmatische Aktivität zur Abspaltung des inhibitorischen Anteiles und Aktivierung von Faktor X zu Faktor Xa. Faktor Xa vermag auf gleiche Weise die Aktivierung von Prothrombin (Faktor II) zu Thrombin (Faktor IIa) zu vermitteln. Thrombin aktiviert einerseits Faktor XIII, spaltet andererseits von Fibrinogen die beiden inhibitorischen Fibrinopeptide A und B ab und wandelt es somit in Fibrin um. Dieses lagert sich mit gleichfalls aktiviertem Fibrin zu Polymeren an, welche noch nicht kovalent gebunden und daher instabil sind. Der durch Thrombin aktivierte Faktor XIII vermittelt die kovalente Bindung polymerischen Fibrins untereinander und dadurch die stabile Ausbildung von Blutgerinnseln. 2.3 Regelung der Blutgerinnung In diesem System existieren mehrere Amplifikationsmechanismen zur schnelleren Initiierung der Bildung des Blutgerinnsels mittels Faktor IX und Faktor V. Freies, ionisiertes Calcium ist ein essentieller Cofaktor sämtlicher Gerinnungsfaktoren. Bei Erniedrigung der Calciumkonzentration durch Komplexierung mit Citrat oder EDTA wird die Gerinnung substantiell verlangsamt oder aufgehoben. Eine Beendigung der Blutgerinnung geschieht über Antithrombin, welches sämtliche Gerinnungsfaktoren, vor allem aber Thrombin durch Komplexbildung inaktiviert. Bereits gebildete Blutgerinnsel werden über die Fibrinolysesysteme wieder abgebaut [10]. Insgesamt wird über das gesamte System der Blutgerinnung durch Thrombozyten, Gerinnungsfaktoren und deren Antagonisten (Gegenspieler) ein Fließgleichgewicht zwischen Gerinnselbildung und ungestörtem Blutfluss erreicht. Eine Änderung in eine Richtung führt zu verzögerter Blutgerinnung und dadurch verstärkter Blutung bei Gefäßverletzung, eine zu starke Gerinnungsneigung führt zur Thrombosebildung. Verzögerte Blutgerinnung Erstere Situation findet sich bei Patienten mit Hämophilie, denen die genetische Fähigkeit zur Synthese eines Gerinnungsfaktors fehlt (Hämophilie A: Faktor VIII, Hämophilie B: Faktor IX), oder bei erworbenen Störungen der Bildung der Gerinnungsfaktoren, beispielsweise bei Vitamin K-Mangel. Vitamin K, ein fettlösliches Vitamin, zu dessen Aufnahme aus der Nahrung Gallensäure notwendig ist, stellt einen essentiellen Faktor bei der Bildung der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X in der Leber dar. Thrombosebildung Eine Thromboseneigung kann bei Störungen des Blutstromes vorliegen. Ein wichtiger Faktor der Hemmung der Blutgerinnung ist die kontinuierliche Durchmischung des Blutes durch den Blutstrom. Bei stehendem Blut ist die Aktivierung der Gerinnungsfaktoren und dadurch die Thrombenbildung wesentlich vereinfacht. Ein weiterer prokoagulatorischer Faktor ist im Körper eingebrachtes Fremdmaterial, hier spielten vor allem künstliche Herzklappen eine Rolle, da diese mit dem Blut in Berührung stehen. Die Oberflächen künstlicher Herzklappen können durch unspezifische Aktivierung der Gerinnungsfaktoren die Blutgerinnung anstoßen. Wird die normale Blutgerinnung in dieser Situation nicht gehemmt, so ist das Risiko der Bildung von Thromben erheblich erhöht. Diese Thromben werden dann mit dem arteriellen Blutstrom mitgetragen und führen im Endorgan zu einer Gefäßverlegung mit der Folge eines Infarktes (Hirninfarkt, Herzinfarkt, Darminfarkt, Extremitätenverschluss) [11]. Medikamente zur Gerinnungshemmung Zur Vermeidung eines solchen ist nach operativer Versorgung von Herzklappenfehlern mit künstlichen Herzklappen eine lebenslange Gerinnungshemmung notwendig. Dies kann einerseits durch Heparin geschehen, welches an Antithrombin (AT) bindet und dessen Inaktivierungsfähigkeit stark heraufsetzt. Heparin mit seiner Zuckergrundstruktur wird allerdings bei enteraler, also oraler Zufuhr verdaut, ist somit nur parenteral, d.h. durch Spritzen verabreicht wirksam. Eine kontinuierliche Blutgerinnung über Jahrzehnte hinweg wird daher über eine pharmakologische Hemmung der Vitamin-KAufnahme durch Phenprocoumon erreicht. Ein Mangel an Vitamin K führt über den obengenannten Mechanismus zu einer verringerten Produktion mehrerer Gerinnungsfaktoren und damit einer Hemmung der Blutgerinnselbildung. Diese therapeutische Hemmung zur Verhinderung zur Thrombenbildung wird mit einer vergrößerten Blutungsgefahr erkauft. Mehrere Untersuchungen wiesen jedoch den Vorteil einer Blutgerinnungshemmung im Falle eines Herzklappenersatzes gegenüber der erhöhten Thrombosegefahr nach (12). 3. Didaktisch-methodische Überlegungen Zur Bearbeitung der Aufgaben müssen die Schüler mit den Fachinhalten „Zusammensetzung und Aufgaben des Bluts“, „Aufbau und Funktion der Blutgefäße“ sowie „Molekularer Bau und Wirkungsweise von Enzymen“ vertraut sein. Möglicher Unterrichtsverlauf in der Übersicht: 1) Stimulustext Fragenentwicklung und –sammlung (Problemorientierung) 2) Selbstständige Bearbeitung der Materialien durch die Schüler a) Aufgabe 1: „Das Verbluten verhindern“ Text lesen und überführen in Concept-map b) Aufgabe 2: „Die Blutgerinnung und die Wirkung des Heparins“ Experiment c) Aufgabe 3: „Unerwünschte Blutgerinnungen und ihre Behandlung“ Infokarten zu Medikamenten lesen und im Concept-map ihrer Angriffsstelle entsprechend zuordnen 3) Abschließende Beantwortung der Fragen aus 1 Zu Beginn der Einheit werden die Schülerinnen und Schüler mit dem Stimulustext (Kasten 1) konfrontiert, der verschiedene Fragen aufwirft, wie z.B.: (1) Wie funktioniert eigentlich die Blutgerinnung? (2) Was sind Gerinnungsfaktoren? (3) Warum erfolgt die Abnahme von Blut in eine Citratlösung und was bewirkt das Citrat? (4) Warum hat eine künstliche Herzklappe Einfluss auf die Gerinnung des Blutes? (5) Warum gerinnt das Blut eher bei bettlägerigen Patienten? (6) Was bewirken Medikamente, wie z.B. das Heparin, und welche gibt es neben dem Heparin noch? Diese Fragen sollten gesammelt und z.B. an der Tafel festgehalten werden. Die Antworten erarbeiten sich die Schüler sukzessive mit der Bearbeitung der verschiedenen Aufgaben. So ergeben sich stets Bezüge zwischen den Aufgaben und dem Stimulusmaterial sowie auch zwischen den Aufgaben selbst, so dass keine Einzelaufgaben „abgearbeitet“ werden, sondern eine Aufgabeneinheit entsteht [5] (vgl. unten). Für den weiteren Unterrichtsverlauf empfehlen wir, die Schüler zunächst in Partnerarbeit wahlweise Aufgabe 1 oder 2 bearbeiten zu lassen Diejenigen Kompetenzen der einzelnen Kompetenzbereiche, die jeweils insbesondere gefördert werden, sind gemäß der Bildungsstandards [8] im Folgenden als Kürzel (z.B. K 4) aufgeführt. Es bietet sich an, abschließend alle Antworten im Klassengespräch zusammenzutragen und zu diskutieren. Bei Aufgabe 1 kommt ein Text zum Einsatz, der die Schüler erstens ausführlicher als herkömmliche Schulbuchtexte über die Vorgänge bei der Blutgerinnung informiert. Zweitens ist er so gestaltet, dass er den Schülern die Überführung der Informationen in eine Übersicht, in Form eines fill-in-conceptmaps ermöglicht/erleichtert (näheres dazu [13])). Sie müssen sich dabei nicht nur intensiver mit dem Text auseinandersetzen als es beim gängigen „Durchlesen“ der Fall wäre, sie lernen darüber hinaus eine Möglichkeit kennen, die Informationen eines Textes auf das Wesentliche verkürzt darzustellen, also eine Makrostruktur zu erzeugen [14]. So werden ihre reduktiv-organisierenden Lesestrategien trainiert und somit ein Beitrag zur Lesekompetenzförderung im Biologieunterricht geleistet, der angesichts der Schülerleistungen bei PISA von allen Fächern eingefordert wird [13, 15]. Den Schülern steht damit eine übersichtliche Zusammenfassung zu den Vorgängen der Blutgerinnung für jede Form möglicher Weiterarbeit zur Verfügung. So soll sie hier von den Schülern genutzt werden, um nachzuvollziehen, dass verschiedene gerinnungshemmende Medikamente an ganz unterschiedlichen Stellen in das komplexe Geschehen eingreifen können. Die Schüler sollen dazu die Informationskarten zu den am häufigsten im medizinischen Alltag eingesetzten Medikamenten lesen [16] und sie den entsprechenden Stellen in ihrer Übersicht zuordnen, indem Sie z.B. den Namen des Medikamentes dort einfügen (Aufgabe 3; möglich dabei ist der Einsatz eines DIN A3 großen Concept-maps, auf das die Kärtchen gelegt werden können.) (Kompetenzbereich Fachwissen: F 1.4., F 2.4; Kompetenzbereich Kommunikation K 4, K 5, K 10). Mit der Bearbeitung von Aufgabe 2 wird den Schülern, neben der Wirkung des Heparins, die zentrale Rolle von Calciumionen für das Geschehen deutlich demonstriert. Dies könnte zum Anlass genommen werden, das „CalciumKästchen“ im Concept-map farbig hervorzuheben. Mit Durchführung des Experiments werden die Standards E 6 und E 7 abgedeckt. Literatur [1] Spörhase-Eichmann, U. und Ruppert, W.: Biologie Didaktik, Cornelsen, Berlin (2004), S. 265-274 [2] Heyne, T.: Blutstillung und Blutgerinnung, Schulmagazin 5 bis 10, 3 (2006), S. 39-46 [3] C. Brox und Ruppert, W.: Die Blutgerinnung – eine Enzymkaskade, UB 238/22 (1998), S. 28-37 [4] Reinert, G.-B., Die Blutgerinnung, PdN Biologie 23/1 (1974), S. 7-13 [5] Hammann, M.: PISA und Scientific literacy. In: Steffens, U. u. Messner, R. (Hrsg.): PISA macht Schule – Konzeption und Praxisbeispiele einer neuen Aufgabenkultur, Wiesbaden: Institut für Qualitätsentwicklung (2006a), S. 127-179 [6] Hammann, M.: Kompetenzförderung und Aufgabenentwicklung, MNU 59/2 (2006b), S. 85-95 [7] Lumer , J. und Hesse, M.: Concept Mapping in the Teaching of Biology. In: Kommers, P. (Hrsg): Cognitive Support for Learning. - Imagining the Unknown. IOS Press (2004), S.81-89 [8] Konferenz der Kultusminister (KMK): Bildungsstandards im Fach Biologie für den mittleren Schulabschluss (2004), Wolters Kluwer Deutschland GmbH, Bonn [9] Richtlinien und Lehrpläne Sekundarstufe II Gymnasium/Gesamtschule: Biologie, Schriftenreihe Schule in NRW Nr. 4722 1. Auflage 1999 [10] Possinger, K.: Facharzt Hämatologie Onkologie, 1. Auflage, Urban und Fischer (2006) [11] Karow, T.: Pharmakologie und Toxikologie, 16. Auflage, Selbstverlag, (2008) [12] Butchart, E.G.: Anticoagulation management of patients with prosthetic valves, J Am Coll Cardiol (2004) Sep 1; 44(5), S. 1143-4 [13] Picard, F.: Lesekompetenzförderung im Biologieunterricht Notwendigkeiten und Möglichkeiten, Schüling-Verlag, Münster (2005) [14] Kunze, I.: „Das steht doch aber gar nicht im Text!“ Zum Umgang mit Sachtexten in allen Fächern. In: Gläser, E. u. Franke-Zöllmer, G. (Hrsg.): Lesekompetenz fördern von Anfang an. Didaktische und methodische Anregungen zur Leseförderung. Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler (2005), S. 80-89 [15] Leisen, J.: Lesen in allen Fächern. In: A. Bertschi-Kaufmann (Hrsg.), Lesekompetenz Leseleistung Leseförderung. Grundlagen, Modelle und Materialien. Klett Stuttgart (2007), S. 189–197 [16] ROTE LISTE: Arzneimittelverzeichnis für Deutschland, AMInfo DVD– ROTE LISTE/Fachinfo Ausgabe 3/2008 Anschrift der Verfasser: Dr. Jutta Lumer, Dr. Roman Asshoff, Dr. U. Langenkamp, Zentrum für Didaktik der Biologie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Hindenburgplatz 34, 48143 Münster, e-mail: [email protected] ((Kurzfassung)) Blutgerinnung und gerinnungshemmende Medikamente - Kontextbasierte Aufgabenentwicklung J. Lumer, R. Asshoff u. U. Langenkamp Das Thema Blutgerinnung wird in der Mittelstufe unterrichtet. Die Blutgerinnungskaskade als komplexes Regulationssystem steht hier allerdings nicht im Vordergrund der Vermittlung, vielmehr wird in erster Linie veranschaulicht, welche Funktion Thrombozyten und Fibrin beim Wundverschluss haben. Ein Defizit vieler Aufgaben für den Biologieunterricht ist immer noch das Fehlen eines Kontextes und die daraus resultierende mangelnde Bedeutung bzw. Anwendbarkeit des erworbenen Wissens für Schülerinnen und Schüler in ihrem Alltag. Ein solcher Kontext, in den der naturwissenschaftliche Inhalt gestellt wird, ist entscheidend für das situative Interesse der Jugendlichen und somit auch für die Motivation sich auf die Thematik einzulassen. Wir stellen das Thema Blutgerinnung hier in einen schüler- und alltagsnahen medizinischen Kontext, indem wir mit einem Stimulus-Material einsteigen, das einen Arztbesuch beschreibt. So werden die Schüler in eine realitätsnahe Situation versetzt, in der ihnen naturwissenschaftliche Fragestellungen begegnen. Die Fragen, die sich aus dem „Arztbesuch“ ergeben, zu beantworten, ist das Ziel einer sich anschließenden weitgehend selbständigen Bearbeitung speziell konzipierter Materialien und eines experimentellen Teils durch die Schüler. Dabei erarbeiten sie u.a., wie gängige Medikamente wie das Heparin oder das Phenprocoumon Einfluss nehmen auf die Blutgerinnung und wann eine Therapie mit eben solchen Medikamenten angezeigt ist. Unser Vorschlag beinhaltet darüber hinaus die Bearbeitung eines concept-maps zur Sicherung der fachlichen Grundlagen. Insofern können mit den hier vorgestellten Aufgaben, orientiert an den Bildungsstandards [8], unterschiedliche Kompetenzen aus den Bereichen „Fachwissen“, „Erkenntnisgewinnung“ und „Kommunikation“ gefördert werden. Angesichts der Komplexität des Themas bietet es sich an, das Thema Blutgerinnung und gerinnungshemmende Medikamente in der hier vorgestellten Aufbereitung als Schwerpunktvorhaben für die Jahrgangstufe 11 (Leitthema: Physiologie: Struktur – Funktion- Wechselwirkung) zu behandeln. Kasten 1: Stimulus-Text Daniel F. ist zur Blutentnahme bei seinem Hausarzt. Er leidet unter einer Abflussstörung der Gallenwege, so dass nicht genug Galle im Darm zur Verfügung steht. Dieses führt dazu, dass Fette und damit auch fettlösliche Vitamine, wie z.B. das Vitamin K nicht in ausreichender Menge aufgenommen werden können, sondern unverdaut wieder ausgeschieden werden. Daniels Hausarzt hat ihm erklärt, dass er deshalb regelmäßig Vitamin KSpritzen bekommen müsse, weil Vitamin K bei der Synthese verschiedener Blutgerinnungsfaktoren eine Rolle spiele. „Diese brauchst du unbedingt, damit dein Blut gerinnt, wenn du dich mal verletzt. Ansonsten kann schon eine kleine Schnittverletzung für dich lebensgefährlich werden. Deshalb kontrollieren wir ja auch heute wieder die Gerinnungswerte in deinem Blut.“ Bei der Blutabnahme, die für Daniel mittlerweile zur Routine geworden ist, fällt ihm aber erstmalig auf, dass das Blut in eine Spritze aufgezogen wird, die bereits Flüssigkeit enthält. „Das machen wir, damit dein Blut jetzt nicht sofort gerinnt,“ erklärt ihm der Arzt auf seine Nachfrage und zeigt ihm die Packung mit Citratlösungsröhrchen. „Du hast sicher schon mal gehört“, erläutert er weiter, „dass es auch Situationen gibt, bei denen im Körper von Patienten die Gerinnungsfähigkeit des Blutes herabgesetzt werden muss. So wie z.B. bei deiner Oma, die wegen ihrer künstlichen Herzklappe lebenslang Medikamente einnehmen muss, die ihr Blut verdünnen. Wichtig ist dies auch für Patienten, die längere Zeit liegen müssen, denen wird dann täglich Heparin gespritzt.“ Daniel verlässt an diesem Tag die Praxis mit einer Reihe von Fragen in seinem Kopf ........... Welche Fragen würdest du dir in Daniels Situation stellen? Aufgabe 2: Die Blutgerinnung und die Wirkung des Heparins Bei der sekundären Hämostase, der eigentlichen Blutgerinnung, wird die Protease Thrombin bereitgestellt, die das in der Leber synthetisierte Fibrinogen in Polypeptide spaltet. Dieses Fibrin verbindet sich schließlich spontan zu langen Strängen. Diese Fibrinstränge, die den vorhandenen Thrombus aus Blutplättchen netzartig durchziehen, kontrahieren. Außerdem lagern sich zahlreiche Erythrozyten aus der Umgebung der verletzten Stelle an und es bildet sich schließlich ein verdichteter Verschlusspfropf. Die Analyse der einzelnen Teilschritte der Gerinnung ist aufwendig. Ob grundsätzlich eine Gerinnungsstörung vorliegt, kann jedoch durch einfache Messung der Gerinnungszeit untersucht werden. Wir führen diese Messung mit Citratblut vom Schwein (Blut mit Citratlösung versetzt) durch, um die Gerinnung zu veranschaulichen und auch die Wirkung des Heparins zu demonstrieren. Material: (vgl. Bild) Folgende Ansätze sind gegeben: A: Schälchen: 1 Tropfen 0,75 % CaCl2-Lösung + 2 Tropfen Citratblut B: Schälchen: 1 Tropfen 0,9 % NaCl-Lösung + 2 Tropfen Citratblut (11 ml 3,8%ige Natriumcitratlsg./100 ml) (Kontrolle zu (A) C: Schälchen: 1 Tropfen 0,75 % CaCl2-Lösung + 2 Tropfen Citratblut + 1 Tropfen Heparin (1:10 verdünnt) D: Schälchen: 1 Tropfen 0,75 % CaCl2-Lösung + 2 Tropfen Citratblut + 1 Tropfen aqua dest. (Kontrolle zu (C) Überlege Dir im Vorfeld, warum der Versuch mit verschiedenen Ansätzen durchgeführt wird und warum diese Ansätze gebraucht werden! Nachdem der Aufbau des Experiments deutlich geworden ist, geht es jetzt los! Die Materialien sind an deiner Tischgruppe. Stelle zuerst die obigen 4 Ansätze her und ziehe dann alle 30 Sekunden das Holzstäbchen durch das Blut. Notiere, wann in den Schälchen ein Fibrinfaden auftritt, aber zuerst… Vermute! Was wirst Du bei dem jeweiligen Ansatz beobachten? Beobachte! Verwende die Zeichen: + geronnen, - nicht geronnen Zeit (s) 45 90 135 180 225 Ansatz A B + C D + Das Blut der Ansätze B und D gerinnt bei Zimmertemperatur nach ca. 3 Minuten Erkläre deine Beobachtungen! Kasten 2: Kärtchen Phenprocoumon Phenprocoumon Der Wirkstoff Phenprocoumon gehört zur Stoffklasse der Cumarine. Dies sind chemisch hergestellte Verwandte des Wirkstoffes Cumarin aus dem Süßklee. Zur Bildung einiger Gerinnungsfaktoren z.B F II, F VII, F IX, F X in der Leber wird das fettlösliche Vitamin K benötigt. Wirkstoffe, wie das Phenprocoumon, dagegen blockieren die Neubildung der Faktoren und werden daher als VitaminK-Antagonisten bezeichnet. Phenprocoumon wird v.a. zur Behandlung und Vermeidung einer Thrombose sowie einer Embolie eingesetzt. So findet es z.B. Anwendung nach Einsetzen einer künstlichen Herzklappe. Denn künstliche Oberflächen können im Körper die Gerinnungskaskade in Gang setzen, so das lokale Gerinnsel entstehen können. Die Wirkung von Phenprocoumon tritt aber erst nach Tagen ein, wenn die vorhandenen Gerinnungsfaktoren vom Körper abgebaut wurden. Daher muss bei akuten Erkrankungen (z.B. Beinvenenthrombose, Lungenembolie) wegen des verzögerten Wirkungseintritts zunächst die Blutgerinnung mit Heparin (Sofortwirkung!) als Infusion herabgesetzt werden. Erst im Anschluss daran kann auf Phenprocoumon -Tabletten umgestellt werden Besondere Hinweise: Unter einer Phenprocoumon -Behandlung sind - alle behandelnden Ärzte und Zahnärzte über die Einnahme zu informieren, - Impfungen und Spritzen in den Muskel zu vermeiden, - Risikosport und Tätigkeiten mit erhöhtem Verletzungsrisiko zu meiden, da auch schon bei kleineren Verletzungen und Eingriffen eine verlängerte Blutungszeit mit der Gefahr eines höheren Blutverlustes auftreten kann. Kasten 3: Kärtchen ASS Acetylsalicylsäure Acetylsalicylsäure (ASS) hemmt die Bildung von Thromboxan in den Thrombozyten und verhindert somit deren Zusammenlagerung und –verklebung. ASS gehört daher zur Medikamentengruppe der Thrombozytenaggregationshemmer. ASS findet v.a. Anwendung bei Angina pectoris („Brust-Enge“), einer Vorstufe des Herzinfarktes mit belastungs-abhängigen Schmerzen und Engegefühl über dem Brustkorb. Diese Beschwerden werden ausgelöst durch thrombotische Ablagerungen in den das Herz versorgenden Blutgefäßen, den so genannten „Herzkranzgefäßen“. Die Anwendung von ASS soll einen kompletten Gefäßverschluss durch einen Thrombus und damit einen Herzinfarkt verhindern. Aber auch nach immer wieder auftretenden kurzzeitigen Durchblutungsstörungen des Gehirns durch thrombotische Ablagerungen in den Blutgefäßen des Gehirns wird ASS eingesetzt. Auch hier soll ein kompletter Gefäßverschluss und damit ein Hirninfarkt (= Schlaganfall) verhindert werden. Besonderer Hinweis: Wichtig ist, dass ein mit ASS therapierter Patient alle weiteren behandelnden Ärzte und Zahnärzte informiert, da auch schon bei kleineren Verletzungen und Eingriffen eine verlängerte Blutungszeit mit der Gefahr eines höheren Blutverlustes auftreten kann. Aufgabe 3: Unerwünschte Blutgerinnungen und ihre Behandlung Das Krankheitsbild einer übermäßigen, lokal stattfindenden Blutgerinnung bezeichnet man als eine so genannte Thrombose. Dabei entsteht ein Blutgerinnsel innerhalb eines Blutgefäßes, vorzugsweise in den Beinvenen oder im Herzen. Von einer Embolie spricht man, wenn ein von einer Thrombose abgelöstes Gerinnselstück durch den Blutstrom mitgerissen wird, und sich an einer - oft sehr entfernt liegenden Engstelle der Arterien festsetzt und sie verstopft. Dadurch wird die Blutversorgung lebenswichtiger Organe unterbrochen. Beides lässt sich durch die Gabe von gerinnungshemmenden Medikamenten verhindern. Das Problem ist dabei allerdings, das richtige Maß zu finden. Man spricht davon, dass der Patient auf einen bestimmten Gerinnungswert seines Blutes „eingestellt“ wird, er darf nur so viel von dem Medikament nehmen, dass keine Thrombenbildung mehr stattfindet, aber es darf auch nicht zu Blutungen kommen. Auf den ausliegenden Kärtchen sind Verpackungen/Wirkstoffe einiger der am häufigsten eingesetzten gerinnungshemmenden Medikamente abgebildet/benannt*. Auf den Rückseiten findest du jeweils einige ausgewählte Informationen zur Wirkungsweise und dem Einsatz des betreffenden Medikaments. Lies die Texte nacheinander und trage den Namen des jeweiligen Wirkstoffes/Medikamentes auf diejenige Stelle in der Übersicht ein, die dir aufgrund des beschriebenen Wirkungsortes passend erscheint. Erläutere! * Sie finden hier Kopiervorlagen für Kärtchen, auf denen auf der Vorderseite der jeweilige Wirkstoff benannt ist. Bei der Erstautorin können per e-mail die Kopiervorlagen mit den entsprechenden Verpackungsabbildungen angefordert werden. Das Verbluten verhindern durch 2 Systeme bezeichnet als bezeichnet als Sekundäre Hämostase (= Blutgerinnung) Primäre Hämostase (= Blutstillung) beginnt mit beginnt mit Verletzung der Gefäßwand Anlagerung bewirkt Freisetzung von Thrombokinase bewirkt bewirkt Freisetzung von von Aktivierung an Thrombozyten von Kollagenfasern zu Faktor VII bilden Gefäßverengung stimuliert dünner Film Thromboxan aktiviert zu Thrombozyten Veränderung der Gestalt Ausschüttung z.B. von Calcium Cofaktor für weitere Stoffe bilden locken an weitere durchzieht weißer Plättchenthrombus Fibrinnetz Erythrozyten fängt ein bilden roter Fibrinthrombus durch bezeichnet als bezeichnet als Das Verbluten verhindern beginnt mit beginnt mit Verletzung der Gefäßwand bewirkt Freisetzung von bewirkt bewirkt Freisetzung von von an von zu bilden stimuliert aktiviert zu z.B. von Cofaktor für bilden locken an weitere durchzieht fängt ein bilden Aufgabe 1: Lies den folgenden Informationstext. Fülle dabei mit den am Rand aufgeführten Begriffen die Kästchen des Concept-maps aus und beantworte die abschließende Frage. Das Verbluten verhindern Lässt man frisches Blut in einem Glasgefäß stehen, so gerinnt es nach wenigen Minuten. Es bildet eine ziemlich feste Masse, den Blutkuchen. Im Verlauf weniger Stunden zieht sich der Blutkuchen zusammen und presst dabei eine gelbe Flüssigkeit, das Blutserum, aus. Die Gerinnung ist eine lebensnotwendige Eigenschaft des Blutes, wenn es durch Verletzungen von Organen, Muskeln, Bändern, Knochen oder Gelenken zu inneren Blutungen oder Blutergüssen kommt, oder wenn z.B. durch Schnitt- oder Stichwunden äußere Blutungen entstehen. Um diese zu stoppen, bilden sich so genannte Blutgerinnsel (Thromben), d.h. an der Stelle einer Verletzung entsteht ein fester Blutpfropfen. An diesem Vorgang sind das Gefäßsystem (die Muskelzellen der Gefäßwand), die Blutplättchen (Thrombozyten) und die so genannten Gerinnungsfaktoren beteiligt. Die meisten Gerinnungsfaktoren sind Enzyme, die andere Proteine zu spalten vermögen (Proteasen). Sie werden mit dem Buchstaben F (für Faktor) und einer römischen Zahl (I – XIII) bezeichnet. Die meisten werden als inaktive Vorstufen in der Leber gebildet, an das Blut abgegeben und erst bei Bedarf aktiviert. Um also ein Verbluten zu verhindern, gibt es im Organismus zwei verschiedene Systeme, die bei einer Verletzung aktiviert werden und zum Teil ineinander greifen. Das erste System bezeichnet man als Blutstillung oder primäre Hämostase, die in Gang gesetzt wird, wenn nach einer Verletzung der Gefäßwand Kollagenfasern in das Blutplasma hineinreichen. An diesen Fasern kommt es zur Anlagerung von Thrombozyten, die mit dem Blutstrom zirkulieren. Sie bilden zusammen einen dünnen Film, der einerseits die Wunde bedeckt und anderseits die Thrombozyten aktiviert. Durch ihre Aktivierung erfahren die Thrombozyten zum einen eine Veränderung ihrer Gestalt: Sie bilden lange Scheinfüßchen aus, mit denen sie sich an die Gefäßinnenwand anheften und auch untereinander verkleben können. Zum anderen bewirkt die Aktivierung der Thrombozyten, dass sie eine Reihe verschiedener Substanzen ausschütten. Dazu gehört z.B. Thromboxan, das die Muskelzellen in der Gefäßwand dazu anregt sich zusammenzuziehen (= Gefäßverengung) und die Verknüpfung der Thrombozyten weiter stimuliert. Der Blutstrom wird dadurch verlangsamt oder ganz gestoppt und die weiteren Gerinnungsvorgänge können besser ablaufen. Außerdem wird Calcium ausgeschüttet, welches als Cofaktor aller Gerinnungfaktoren für das zweite System, die sekundäre Hämostase, von essentieller Bedeutung ist. Andere freigesetzte Stoffe locken weitere Thrombozyten zur Anlagerung an. Auf diese Weise bildet sich ein Pfropf, der das verletzte Gefäß verschließt Dieser so genannte weiße Plättchenthrombus ist allerdings noch instabil, da er mit dem Blutstrom weggeschwemmt werden kann. Er reicht allerdings aus, um kleine Wunden zu verschließen und die Blutung zum Stillstand zu bringen, daher der Name Blutstillung für dieses System. Für den dauerhaften Verschluss größerer Wunden reicht er dagegen nicht aus. Die dazu notwendige Festigkeit wird erst durch die eigentliche „Blutgerinnung“ (sekundäre Hämostase) erreicht. zwei Systeme primäre Hämostase (= Blutstillung) Kollagenfasern Anlagerung Thrombocyten dünner Film Thrombocyten Veränderung ihrer Gestalt Thromboxan Gefäßverengung Calcium weißer Plättchenthrombus andere Stoffe sekundäre Hämostase ( = Blutgerinnung) Sie beginnt mit der Aktivierung von Faktor VII vor allem durch die Thrombokinase, ein Enzym, das in den Zellen der Gefäßwand gebildet und dort gespeichert wird. Bei Verletzung der Gefäßwand gelangt Thrombokinase mit Faktor VII in direkten Kontakt und bewirkt dessen Aktivierung durch Abtrennung eines Eiweißanteils. Das so aktivierte Eiweiß wird als Faktor VIIa bezeichnet (a steht für aktiviert). Die gewonnene enzymatische Aktivität bewirkt nun ebenfalls durch Abtrennung eines Anteils die Aktivierung von Faktor X, der seinerseits dann als Faktor Xa aktiv werden kann. Er katalysiert die Aktivierung von Prothrombin, welches im Blut vorliegt, zu Thrombin. Bei Thrombin handelt es sich um eine Protease, die vom löslichen Protein Fibrinogen Fibrin abspalten kann. Das Fibrinogen zirkuliert ebenfalls frei in der Blutbahn. Das abgespaltene Fibrin organisiert sich spontan zu einer fädigen, unlöslichen Form, dem Fibrinnetz. Das Fibrinnetz durchzieht den weißen Thrombus und vermag ihn so weiter zu stabilisieren. Außerdem fängt das Fibrinnetz Erythrozyten ein und fügt diese in die wachsende Matrix ein. Man bezeichnet den Thrombus nun als roten Fibrinthrombus. Eine große Anzahl von Gerinnungsfaktoren wirkt also im Sinne einer Kaskade mit aufeinander folgender Verstärkung so zusammen, dass aus löslichen Bluteiweißen schlussendlich ein netzartiges Geflecht aus unlöslichen Eiweißen entsteht. Dieses verfestigt das Gerinnsel und verkleinert durch ein Zusammenziehen die Wunde, die somit dauerhaft verschlossen wird. Damit ein solches Blutgerinnsel aber nicht über die Blutungsquelle hinaus wächst, werden in der Leber auch gerinnungshemmende Faktoren gebildet, die an entsprechender Stelle in das Geschehen eingreifen. So z.B. das Antithrombin, das, wie sein Name sagt, vor allem Thrombin inaktiviert. Es ist also wichtig, dass zwischen gerinnungsaktivierenden und gerinnungshemmenden Faktoren stets ein Gleichgewicht besteht. Schau dir abschließend noch einmal die Abbildung am Beginn des Textes an und beantworte jetzt folgende Frage: Woraus besteht der Blutkuchen? Thrombokinase Aktivierung Faktor VII Faktor VIIa Aktivierung Faktor X Faktor Xa Aktivierung Prothrombin Thrombin Fibrinogen Fibrin Fibrinnetz Erythrozyten roter Fibrinthrombus Antithrombin Kasten 4: Kärtchen Heparin Heparin Heparin kommt als Lösung in entsprechenden gebrauchsfertigen Ampullen in den Handel. Die Moleküle sind Polysaccharide, also lange Zuckerketten. Diese können nicht über den Verdauungstrakt aufgenommen werden, sondern müssen subkutan (unter die Haut) oder intravenös (direkt in ein venöses Blutgefäß) gespritzt werden. Das sog. ‚Standardheparin’ wird aus Schweinedarm und Rinderlunge gewonnen und stellt noch ein Gemisch aus sehr vielen unterschiedlich großen Heparinmolekülen dar (unfraktioniertes Heparin = UFH). Da der Wirkmechanismus, die Wirkdauer und die Nebenwirkungen der Heparinmoleküle aber von deren Größe abhängen, wird das Standardheparin durch Fraktionierung (eine chemische Zerlegung) in Moleküle mit ähnlich langen Ketten sortiert. So erhält man z.B. niedermolekulare Heparine (NM), die nur noch kurze Zuckerketten enthalten. Sie werden nicht ganz so schnell vom Körper abgebaut und führen zu gleichmäßigen, lang anhaltenden Konzentrationen im Blut, so dass die Gerinnungswerte nicht ständig kontrolliert werden müssen. So genügt es, wenn sie einmal am Tag subkutan gespritzt werden, wie es der Fall ist nach Operationen, sowie bei Ruhigstellung der Beine (Gips nach Knochenbruch oder krankheitsbedingter Bettlägerigkeit), weil in diesen Situationen die Blutgerinnung „alarmiert“ ist. Sei es durch die Verletzung von Körpergewebe oder einfach durch die Verlangsamung des Blutstromes. Heparine hemmen die Blutgerinnung durch eine Verstärkung der Antithrombinwirkung. Kasten 5: Kärtchen Lepirudin Lepirudin Lepirudin ist ein gentechnologisch in Hefezellen hergestellten Abkömmling des Hirudins. Hirudin ist ein Protein, das aus dem Speichel des Blutegels (Hirudo medicinalis Name!) gewonnen wird. Es wird zur Gerinnungshemmung bei Erwachsenen eingesetzt, die Heparin nicht vertragen, weil bei ihnen Heparin zu einer starken, lebensbedrohlichen Verminderung der Blutplättchen führt (mögliche Nebenwirkung!). Lepirudin kann als Protein nicht geschluckt werden, da es sonst im Magen-Darmtrakt verdaut würde. Daher wird es dem Körper direkt über eine Vene (intravenös = i.v.) als Infusion zugeführt. Da die Therapie mit Lepirudin schwer steuerbar ist, muss die Gerinnung mehrfach täglich überwacht werden. Darüber hinaus ist sie mit starken, schwer zu beeinflussenden Nebenwirkungen verbunden. Aus diesen Gründen werden Patienten, die eine längerfristige Blutverdünnung brauchen, dann mit Phenprocoumon weiter behandelt. Dies kann als Tablette eingenommen werden und die Blutgerinnung so stabil beeinflussen, dass monatliche Blutgerinnungskontrollen ausreichen. Lepirudin blockiert Thrombin direkt und vollständig durch Komplexbildung, dabei bindet sich ein Molekül Lepirudin an ein Molekül Thrombin. Die Bindung zwischen Thrombin und Lepirudin ist sehr hoch spezifisch und führt zu einem sofortigen Wirkungseintritt. Besonderer Hinweis: Lepirudin löst – im Gegensatz zu anderen Gerinnungshemmern - häufig eine Antikörperbildung aus, so dass bei einer Zweitanwendung relativ häufig das Risiko eines lebensbedrohlichen Allergieschockes besteht. Die Antikörperbildung nimmt mit der Länge der Anwendungsdauer zu, so dass eine kurze Eingangstherapie mit zügiger Umstellung auf Phenprocoumon (s.o.) angestrebt wird. Der Patient muss unbedingt andere Ärzte über eine stattgefundene Lepirudintherapie unterrichten.