Kennzeichnung und Beurteilung pflanzlicher Bestandteile in Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln, diätetischen Lebensmitteln Unter diesem Titel veranstaltet die Fa. O.Univ. Prof. Werner Pfannhauser KG, Wien, in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Lebensmittel, Kosmetik und Gebrauchsgegenstände des GÖCh am 27.4.2011 ein Seminar in Wien, dessen zentrales Thema die Problematik der Abgrenzung von Lebensmitteln (Diätetischen Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln) und Arzneimitteln, sowie die Beurteilung und Kennzeichnung von pflanzlichen Lebensmittelbestandteilen ( „Botanicals“) war. Ein Tagungsband mit den Langfassungen der Referate lag zu Beginn der Veranstaltung vor Die über 70 Teilnehmer wurden von Univ. Prof. Fritz Bauer (Vorsitzender der GÖchArbeitsgruppe) und von o. Univ. Prof. Pfannhauser begrüßt. 1. Abgrenzung Lebensmittel-Arzneimittel aus rechtlicher Sicht Als erster Sprecher befaßte sich Dr. Andreas Natterer (Partner Schönherr Rechtsanwälte GmbH, Wien) mit der juristischen Beurteilung der Abgrenzung Lebensmittel-Arzneimittel und diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke. Eine pharmakologische Wirkung ist definitionsgemäß und rechtlich typisch für Arzneimittel. Gerade bei verschiedenen pflanzlichen Bestandteilen ist sie nur schwer von der für Lebensmittel typischen physiologischen Wirkungen abzugrenzen. Die Beurteilung stellt primär eine wissenschaftliche Frage dar, die Sachverständige lösen können. An Hand einer Reihe von gerichtlichen Entscheidungen aus verschiedenen Ländern wurden die Problematik und die unterschiedliche Auffassung dargelegt. Die Abgrenzung von Nahrungsergänzungsmittel (NEM) und ergänzender bilanzierter Diät (EBD) ist gegeben, da einer bloßen Ergänzung eine begleitende diätetische Behandlung gegenübersteht. 2. Abgrenzung durch wissenschaftliche Methoden Während man sich in den 50-er Jahren hauptsächlich mit den Hauptnährstoffen befasste, kamen 1979 die Vitamine und Mineralstoffe und ab 1990 die funktionellen Pflanzenstoffe in den Fokus des Interesses schilderte oUniv. Prof. Chlodwig Franz (Institut für Angewandte Botanik und Pharmakognosie, Veterinärmedizinische Universität) die Entwicklung in Ernährungsschwerpunkten. Eine Abgrenzung von pflanzlichen Produkten als traditionelles Arzneimittel, für „well established use“ oder als Nahrungsergänzungsmittel kann nicht über den Herstellungsprozess , die Dosierung oder eine stoffliche Zusammensetzung erfolgen, da in allen Fällen eine entsprechende Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit gefordert wird. In der Sicherheitsbeurteilung von Nahrungsergänzungsmittel spielt die Dosierung, Matrix-Effekte, die chemische Charakterisierung und die Angabe toxikologisch relevanter Schwellwerte eine bedeutende Rolle. Nach neuen wissenschaftlichen Ansätzen sind für gesundheitsbezogene Angaben Untersuchungen zum Umwelteinfluss (z B. Stress), Challange Tests und Langzeiteffekte zu prüfen, um zu eine Nutzen –Risiko-Abschätzung bzw. eine Bewertung abgeben zu können. Neue Methoden zur Erfassung des Metaboloms mittels PCA und systembiologischer Test stellen mögliche Stufen zu einem holistischen Bewertungsansatz dar. 3. Herstellung von Extrakten Der Zusatz pflanzlicher Lebensmittel erfolgt in vielen Fällen über Extrakte. Erhard Diwald (Plantapharm GmbH, Wien) erklärte die verschiedenen Methoden zur Gewinnung. Meist handelt es sich um Extraktionsverfahren mit Perkolatoren, wobei Aceton, Äthanol, Methanol oder Wasser als Lösungsmittel eingesetzt werden. Um sie charakterisieren zu können, ist die Angabe einer Vielzahl von Parametern wie. Pflanzenart und Pflanzenteil, Extraktionsmittel, Konservierungsmittel usw. erforderlich. Eine wichtige Größe stellt das Drogen-Extraktverhältnis dar, das angibt, wie viele Teile eingesetzter Droge einem Teil des Extraktes entsprechen. Wichtig sind aber auch Deklarationen zu Allergenen, GMO-Freiheit, BSE/TSE, Lösungsmittelrückständen, Herkunft des Produktes und Eignung für koshere oder halal Ernährung. 4. Abgrenzung Neuartige Lebensmittel Diesem Thema widmete sich DI Klaus Riediger (AGES, Abt. pflanzliche Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel und Novel Food, Wien). Während herkömmliche Lebensmittel generell als sicher eingestuft werden, auch wenn dafür kein wissenschaftlicher Nachweis erbracht wurde, muss dies bei „neuartigen Lebensmitteln„ (die erst nach dem 15.5.1997 in nennenswertem Umfang in der Europäischen Gemeinschaft für den menschlichen Verzehr zur Verfügung standen) erst bewiesen werden, wofür nicht in allen Fällen geeignete Methoden zur Verfügung stehen. Besonders bei komplexen Lebensmitteln ist dies schwierig und viele exotische Produkte konnten daher die Zulassungshürde nicht überwinden. In diese Gruppe der neuartigen Lebensmittel fallen aber auch solche mit neuer oder gezielt modifizierter primärer Molekularstruktur, wie z.B. Fettersatzstoffe oder Tagatose sowie Stoffe die aus Mikroorganismen, Pilzen oder Algen isoliert werden und jene, die mit einem nicht üblichen Verfahren hergestellt und eine bedeutende Veränderung der Zusammensetzung oder Struktur erfahren haben. Rechtliche Grundlage ist die Novel Food VO (EG) Nr. 258/97. Ein Vorschlag zu einer Überarbeitung sieht ein vereinfachtes Zulassungsverfahren für traditionelle Lebensmittel vor. Allerdings wurde der Vorschlag bisher nicht angenommen. Ganze Tiere werden von der NF-Definition nicht erfasst werden nun aber immer öfter diskutiert. Eine Reihe von Beispielen von exotischen Früchten bzw. daraus hergestellten Produkten zeigte die große Palette der Novel Food auf, die von Noni-Saft, Stevia, Wunderbeere, Hoodia, bis Maca und Lucuma reichte. 5. Abgrenzung Botanicals von pflanzlichen Arzneimitteln Die rechtliche Beurteilung wurde von Dr. Jürgen Reimann (Sachverständiger und Apotheker, pharmazeutische Analytik) vorgenommen. Als Arzneimittel dienen klassische Phytopharmaka oder Botanicals. In NEM werden Botanicals wegen ihrer bioaktiven Nährstoffe bzw. als Lebensmittel eingesetzt. Auch bei Gewürzen ist eine duale Verwendung möglich. Pilze hingegen können in NEM oder als Novel Food verwendet werden. Als „grenzwertige Botanicals“ bzw. Phytopharmaka sind Produkte der TCM, Ayurveda-Arzneimittel bzw. -NEM, Bachblüten-Essenzen, Hildegard von Bingen Medizin bzw.Produkte der orthomolekularen Medizin anzusehen. Zu den Pflanzen mit Nährstoffcharakter zählen Obst und Gemüse, Gewürze, Teepflanzen, Pflanzen mit traditioneller Esskultur (z B. Knoblauch), Pflanzen mit fetten Ölen, asiatische Pilze und Novel Food. 60.000 bis 100.000 bioaktive Nährstoffe sind bereits bekannt und die tägliche Aufnahme liegt etwa bei 1,8 g/Tag. Zu ihnen zählen Carotinoide, Phytosterine, Saponine, Glucosinolate, Polyphenole, Phenolsäuren, Flavonoide, Catechine, Phytoöstrogene, Terpenoide und Sulfide. Als Grundlage zur Abgrenzung bei Pflanzen und Pflanzenextrakten dienen bestehende Rechtsentscheide, ernährungsphysiologische Grundlagen, bestehende Empfehlungen (BVL-Liste). Neben den entsprechenden Verordnungen, werden eine Reihe verschiedener Pflanzenlisten zur Beurteilung der Botanicals herangezogen. So wurde eine Reihe verschiedener Pflanzen-Extrakte bereits von einem deutschen Arbeitskreis der Lebensmittelchemischen Sachverständigen beurteilt und Grundsätze zur Beurteilung der Qualität von Botanicals erarbeitet. 6. Nährstoffe in Lebensmitteln- Definitionen und rechtliche Grundlagen Wie o. Univ. Prof. Werner Pfannhauser darlegte, bewirken unterschiedliche Auslegungen des Nährstoffbegriffs divergierende wissenschaftliche Beurteilungen und rechtliche Schlussfolgerungen. Man kann unter Nährstoffen entweder nur die Hauptnährstoffe oder alle jene Stoffe verstehen, die für Wachstum, Entwicklung und den Erhalt des gesunden Lebens oder die für die Funktion und Gesunderhaltung des Organismus notwendig sind. Durch diese weiter gefaßten Definitionen werden auch die Vitamine, Mineralstoffe, Ballaststoffe und sekundären Pflanzenstoffe in die Betrachtung mit einbezogen, was der tatsächlichen und wissenschaftlich belegbaren Wirkung entspricht. In neuerer Zeit werden auch die Pro- und Präbiotika sowie Botanicals einbezogen. Der heutige Nährstoffbegriff ist einer dynamischen Entwicklung unterworfen, die jene Stoffe berücksichtigen muss, die unmittelbar oder mittelbar in physiologische Prozesse eingreifen und der Gesundheit und dem Wohlbefinden dienen. An Hand von Folsäure wurde aufgezeigt, dass eine Bedarf deckende Aufnahme über Gemüse nicht möglich ist und daher in Österreich eine Unterversorgung, wie sie auch der österreichische Ernährungsbericht ausweist, vorliegt. Botanicals sind durch ihre Nährstoffe physiologisch wirksam, aber zum Unterschied zu den pflanzlichen Arzneimitteln verfügen sie über keine pharmakologische Wirkung. Die EFSA beurteilt sie als Lebensmittel. In manchen Fällen ist eine sachverständige Prüfung vorzunehmen, um eine eventuelle pharmakologische Wirkung abzuklären. Es steht fest, dass bestimmte Personengruppen (Sportler, ältere Menschen) einen anderen Nährstoffbedarf haben. Künftig werden neuartige Methoden (OMIC’s) für jeden den speziellen Bedarf ermitteln können. Den Nährstoffbegriff aus rechtlicher Sicht untersuchte Mag. Dieter Pfannhauser (Birnbaum, Toperczer, Pfannhauser- Rechtsanwälte, Wien). In den Verordnungen (NEM: RL 2002/46/EG, NWK: RL 90/494/EHG, EG Health Claims: VO1924/2006/EG, EG-Anreicherungs VO: VO 1925/2006/EG und der DiätrahmenVO) wird der Nährstoffbegriff aufgrund der verschiedenen Zweckbestimmung unterschiedlich definiert. Man findet sowohl die Hauptnährstoffe, aber auch Mineralstoffe und Spurenelemente, Aminosäuren, essentielle Fettsäuren, Ballaststoffe sowie Pflanzen und Kräuterextrakte. Daraus ergibt sich Rechtsunsicherheit. Eine einheitliche Festlegung, die den modernen Ansichten zum Umfang und der Bedeutung von Nährstoffen Rechnung trägt, könnte in der Europäischen Union Rechtssicherheit und Klarheit bei den Normunterworfenen schaffen, Der 50-seitige Tagungsband kann über [email protected] zum Preis von 10,-€ erworben werden. Udo Pechanek