19.12.2012 Burnout: Krankheit oder Modediagnose? Wolfgang Söllner Klinik für Psychosomatische Medizin & Psychotherapie Klinikum Nürnberg Fortbildungstagung der BLÄK, Nürnberg 2012 Inhalt 1. 2. 3. 4. 5. Definition Phänomenologie (Symptome) Risikofaktoren und Schutzfaktoren Differentialdiagnose Burnout und Depression Schlussfolgerungen W. Söllner, Psychosomatik Nürnberg 1 19.12.2012 1 Definition Shakespeare Graham Greene (1960): A Burnt-Out Case Freudenberger (1974): Staff burnout: The high cost of high achievement. verwendet den Begriff des „Ausbrennens“ für Zustände der psychischen Erschöpfung sowie die dazu führenden Prozesse. Er charakterisierte damit den Lebensweg eines gefeierten Architekten, der vor seinem Erfolg in den Kongo flüchtet und dort stirbt. beschreibt lang andauernde Erschöpfungszustände und zunehmende Empfindungen der Unzulänglichkeit im Berufsalltag bei Mitarbeitern einer Suchtklinik . 1 Definition Burn-out ist ein kumulativer Prozess der zum Verlust körperlicher und mentaler Energie, zu emotionaler Erschöpfung und Rückzug führt (Maslach 1982: Burnout - The Cost of Caring). W. Söllner, Psychosomatik Nürnberg 2 19.12.2012 1 Definition Burnout ist ein schleichend verlaufender psychischer und physischer Abbauprozess von engagierten IdealistInnen zu erschöpften, resignierten und deprimierten Wesen (Redmann 1996). Eustress W. Söllner, Psychosomatik Nürnberg Symptomentrias Distress 2 Symptome 1. Emotionale Erschöpfung 3. Depersonalisation Ich fühle mich am Ende Ich befürchte, dass des Arbeitstages mich meine Arbeit verbraucht. weniger mitfühlend macht . Den ganzen Tag mit Menschen zu arbeiten Ich nehme an mir strengt mich an. zunehmend eine abweisende oder gar 2. Geringe berufliche zynische Einstellung Erfüllung, Verlust des wahr. Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten Ich habe kaum lohnende Ziele bei meiner Arbeit erreicht. Mir fällt es schwer, eine entspannte Atmosphäre Maslach & Jackson 1981 zu schaffen. W. Söllner, Psychosomatik Nürnberg 3 19.12.2012 2 Symptome Körperliche Symptome Müdigkeit, Erschöpfung Schlafstörungen Befindlichkeitsstörungen (sog. funktionelle Beschwerden): Muskelschwäche, MagenDarm-Beschwerden, Überempfindlichkeit gegenüber Lärm und Licht Rezidivierende/chronische Schmerzen: Bewegungsapparat, Kopfschmerzen Tinnitus Häufige virale Infekte Psychische Symptome Stimmungsveränderung: Reizbarkeit, Depression Störungen der Konzentration und Merkfähigkeit, Vergeßlichkeit Mangelnde Selbsteffizienz Selbstwertprobleme Missbrauch/Sucht: Alkohol, Nikotin, Beruhigungsmitteln, Schlafmitteln, Cannabis,... Burn-out Stadien Phase 1: Aktivität und Aggression 1 - Zwang, sich zu beweisen 2 - Verstärkter Einsatz 3 – Aggressives Herangehen an Aufgaben, häufig Ärger 4 - Vernachlässigung eigener Bedürfnisse 5 - Verdrängung von Konflikten und Bedürfnissen 6 - Verleugnung der Probleme Phase 2: Flucht und Rückzug 7 - Getriebensein, Furcht vor Scheitern, Erschöpfung 8 - Rückzug, reduziertes Engagement 9 - Beziehungen werden auf Mindestmaß reduziert (Depersonalisation) Phase 3: Isolation und Passivität 10 - Innere Leere und Lähmung 11 - ev. Zynismus 12 - Depression, psychosomatische Beschwerden 13 - Völliges Burn-out Freudenberger et al. 1994; Bergner 2007 W. Söllner, Psychosomatik Nürnberg 4 19.12.2012 5 Folgen von Burnout Persönlich Arbeitsbezogen körperliche Erschöpfung mehr Krankenstand (Schlafstörung, virale geringere Motivation Infekte) sinkende Klienten-/ psychische Erschöpfung Patientenorientierung (Angststörungen, Depression) mehr Fehler, Missbrauch von schlechtere Qualität Medikamenten, der Arbeit Genussmitteln und geringe Zufriedenheit Drogen am Arbeitsplatz Partner- und mehr Fluktuation Familienkonflikte (Scheidungsrate +20%) W. Söllner, Psychosomatik Nürnberg 4 Ätiologische Faktoren nach wissenschaftlichen Ansätzen Individuelle Bedingungen Arbeitsbedingungen und Institutionen Persönlichkeit, life events, Ressourcen Burnout zwischen-menschlicher Kontakt am Arbeitsplatz Gesellschaftliche Bedingungen Dr. Martina Zaindl, Klinik für Psychosomatik 5 19.12.2012 4 Ätiologie: Risikofaktormodell nach wissenschaftlichen Ansätzen Risikofaktoren Schutzfaktoren arbeitsbezogen gesellschaftlich/sozial individuell Risikofaktoren II: Gesellschaftlich Veränderung der Arbeitswelt (Globalisierung) Arbeitsverdichtung Multitasking Heimarbeit Erzwungene Mobilität Entfremdung Sozial: Jüngeres Alter Frauen (Mehrfachbelastung) Finanzielle Probleme Wenig Unterstützung aus sozialem Netz 6 19.12.2012 Risikofaktoren III. Individuell zusätzlich Belastungen außerhalb der Arbeit wenig Stressresistenz/ Stressbewältigungskompetenz Perfektionismus Selbstwertproblem (Abhängigkeit von Anerkennung) Unbewältigte Verluste und Traumata Bindungsrepräsentation, N=61 Sicher Verwickelt Vermeidend Unverarbeiteter Verlust/Trauma 11% 4% 21% 64% W. Söllner, Psychosomatik Nürnberg 5 Differentialdiagnose Depression Chronic Fatigue Syndrom Somatoforme Störung Schlafstörung Abhängigkeitserkrankung Körperliche Erkrankungen, die mit Müdigkeit und Erschöpfung einhergehen (Anämie, konsumierende Erkrankung, endokrinologische Störungen, immunologische Störungen) Nebenwirkungen von Medikamenten 7 19.12.2012 Burnout und Depression Burnout = Depression? Welches ätiologische Verständnis der Depression liegt dem zugrunde? Geht Burnout in Depression über? Ist Burnout eine Sonderform der Depression? Führt die Verwendung des Begriffs Burnout zur weiteren Stigmatisierung psychisch Kranker? Burnout und Depression Körperliche Symptome Müdigkeit, Erschöpfung Schlafstörungen Befindlichkeitsstörungen (sog. funktionelle Beschwerden): Muskelschwäche, MagenDarm-Beschwerden, Überempfindlichkeit gegenüber Lärm und Licht Rezidivierende/chronische Schmerzen: Bewegungsapparat, Kopfschmerzen Tinnitus Häufige virale Infekte Psychische Symptome Stimmungsveränderung: Reizbarkeit, Depression Störungen der Konzentration und Merkfähigkeit, Vergeßlichkeit Mangelnde Selbsteffizienz Selbstwertprobleme Missbrauch/Sucht: Alkohol, Nikotin, Beruhigungsmitteln, Schlafmitteln, Cannabis,... 8 19.12.2012 Burnout und Depression Unipolare Depression Phänomenologisches Konzept (DSM/ICD) Burnout Ätiologisches Konzept Beschreibt Zustand Beschreibt eher einen Prozess Multifaktoriell Multifaktoriell Meist früherer Erkrankungsbeginn (50% vor 31. Lj., Jacobi et al. 2004) Manchmal ohne Leitsymptome der Depression, körperliche Beschwerden im Vordergrund Häufiger komorbide psychische Störungen (Persönlichkeitsstörungen bei 41 bis 81%; Hirschfeld, 1999) Erhöhtes Risiko für HerzKreislauf-Erkrankungen, Krebs, Migräne, Asthma bronchiale, Allergien, Ulcus pepticum, Diabetes mellitus und Infektionserkrankungen Depression häufig Endzustand des burnout Erhöhtes Risiko für HerzKreislauf-Erkrankungen? Häufig sind antidepressive Medikamente wenig wirksam (Kasper 2011) Ist Burnout eine Krankheit? Welches ätiologische Verständnis der Depression? Biologistisches Modell Depression als rein biologische Erkrankung (genetische Faktoren, Stoffwechselerkrankung des Gehirns) Bio-psycho-soziales Modell Vulnerabilitäts-StressModell Komplexe Interaktion zwischen genetischer Disposition, frühkindlichen Erfahrungen, somatischen Erkrankungen und psychosozialen Faktoren (Armut, Verwitwung, Vereinsamung, gesellschaftlicher Statusverlust, chronisch unbewältigter Distress) 9 19.12.2012 Risikofaktoren für Depression Zunehmendes Alter Weibl. Geschlecht Einsamkeit keine vertrauensvolle Beziehung Getrennte, Geschiedene und Verwitwete: 22,6 vs. 9,8% 12-Mo-Prävalenz (Jacobi ea. 2004) Geringe Bildung, niedrige soziale Schicht Unsichere Arbeit, Arbeitslosigkeit Stadtbevölkerung für Burnout Jüngeres Alter Weibl. Geschlecht Arbeitsplatzfaktoren (Überlange/schlecht planbare Arbeitszeit, Schichtarbeit, wenig Einfluss auf Arbeitsabläufe, Rollenunklarheit, wenig Anerkennung, wenig Unterstützung) zusätzlich Belastungen außerhalb der Arbeit wenig Stressresistenz/ Stressbewältigungskompetenz Geht Burnout in Depression über? Eine finnische Studie gibt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Depression bei zunehmendem Burn-out mit 50 % an [Ahola et al. J Affect Disord 2005; 88: 55–62.]. Eine schwere Form des Burn-out-Syndroms und das Vollbild einer Depression können klinisch nicht differenziert werden [Awa et al. Patient Educ Couns 2010; 243: 184–90]. 10 19.12.2012 Ist Burnout eine Sonderform der Depression? Persönlichkeitseigenschaften Perfektionismus, Zwanghaftigkeit Überempfindlichkeit gegenüber interpersonellen Zurückweisungen Vorherrschende Selbstwertproblematik Eigene Stichprobe: führende Konfliktmuster auf OPD-Konfliktachse: Entspricht Studien zur Beschreibung von Subtypen der Depression: Zwanghafte Depression Narzisstische (oder hostile) Depression (Parker & Roy 2002, Dunkley 2006, Schüßler 2006, Tembler & Schüßler 2009) Selbstwertkonflikt (58%) Konflikt Unterwerfung vs. Kontrolle Führt die Verwendung des Begriffs Burnout zur Stigmatisierung psychisch Kranker? Medien würden dazu neigen, sozial schwächeren Patienten die Diagnose Depression zuzuweisen, während „Leitfiguren“ bei entsprechender Symptomatik angeblich unter dem Burn-outSyndrom leiden. Durch die oft nicht einmal explizite Charakterisierung des Burn-out-Syndroms als „Krankheit der Starken“ erfolge eine zusätzliche Stigmatisierung der „Schwachen“ und damit auch der Erkrankung Depression insgesamt [Berger et al. Positionspapier der DGPPN zum Thema Burnout]. 11 19.12.2012 Führt die Verwendung des Begriffs Burnout zur Stigmatisierung psychisch Kranker? Kritik z. T. berechtigt. Andererseits ermöglicht es der Begriff Burnout vielen Patienten, sich in eine Psychotherapie zu begeben und über Ihre Erkrankung zu sprechen. Also entstigmatisiert er auch. Mehr Männer in mittlerem Lebensalter in psychosomatische Behandlung! Klinische psychosomatische Behandlung 2011 Nürnberg 80 70 60 50 40 Frauen Männer 30 20 10 0 Allg. Psychosomatik Burnout Diagnose: Schlussfolgerungen für die Praxis Burnout ist nicht gleich Depression, führt aber bei starker Ausprägung häufig zu einer Depression. Burnout ist die Beschreibung eines Prozesses, Depression die Beschreibung eines Zustands. Burnout kann sich auch phänomenologisch als eine andere psychische Störung präsentieren. Erstdiagnose nach ICD-10 (Depression, Anpassungsstörung, somatoforme Störung, Abhängigkeitserkrankung etc.); Zusatzdiagnose Burnout (Z73.0) Der Begriff Burnout ist sinnvoll, weil er zu Konsequenzen für die Therapie und Prophylaxe führt. Er wird jedoch zu undifferenziert und beliebig gebraucht. 12 19.12.2012 Vielen Dank für die Aufmerksamkeit Ich wollte, man finge damit an, sich selbst zu achten: Alles andere folgt daraus. Friedrich Nietzsche 13