Arbeit und Depression – Risiko und/ oder Schutz? Prävention am Arbeitsplatz Priv.- Doz. Dr. med. Katarina Stengler Gliederung • Psychische Erkrankungen - Depression – Burnout…, Stress….: Abgrenzungen und Definitionen • Depression und/ am Arbeitsplatz • Präventionsansätze Stress….Burnout…. Depression - am Arbeitsplatz worum geht es ?! Veränderte Arbeitsbedingungen - Tempo der Arbeit - Arbeitsdichte - Flexibilität und soziale Fähigkeiten - persönlicher Entscheidungsspielraum - Wertschätzung - allgemeine Arbeitsmarktbedingungen... Zahlen und Fakten Psychische Störungen sind: 1. Häufig: – – 2. Lebenszeitprävalenz: 42,6% (Wittchen & Jacobi, 2004) 12-Monatsprävalenz: 33% (Kurth, 2012; Wittchen & Jacobi, 2012) Folgenschwer: – – 3. Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit ↑ (Anteil an Erwerbsunfähigkeit in Deutschland knapp 30%) Albus, 2008 „Global Burden of Disease Study 2010“ (GBD 2010, publiziert 13.12.12 , The Lancet: http://www.thelancet.com/themed/global-burden-of-disease : bis zu 40% der individuellen Krankheitslasten (sog. YLD‘s – Years lived with disability ) durch psychische Erkrankungen Unterversorgt: – – nur 30-40%, die innerhalb von 12 Monaten von psychischer Krankheit betroffen waren, Kontakt zum Gesundheitssystem (Kurth, 2012) psychotherapeutische Versorgung: lange Wartezeiten (für schwer chronisch psychisch Kranke noch schlechter) Auswirkungen psychischer Erkrankungen • in den letzten zehn Jahren Zunahme psychisch verursachter Arbeitsunfähigkeit bei Frauen um 83% bei Männern um 50% (WIdO, Fehlzeitenreport 2012) - bei insgesamt rückläufigem Krankenstand • Dauer von Krankschreibungen aufgrund von Depression, Angstoder Belastungsstörungen sehr hoch: Erkrankung der Atemwege 6,4 Tage, psychische Erkrankung 22,5 Tage (AOK, 2009) • Psychische Erkrankungen häufigster Grund für Frühberentung jede dritte Berentung (Frauen: 41,6 %, Männer: 30,4 %) aufgrund einer psychischen Störung (BKK 2010, Deutsche Rentenversicherung 2009) • Anstieg Kosten für psychische und Verhaltensstörungen 2002 - 2008 um 5,3 Milliarden Euro - höher als bei allen anderen Krankheitsarten (Stat. Bundesamt, 2010) Rentenzugang wegen verminderter Erwerbsfähigkeit 2009 nach Häufigkeit der Diagnosegruppen Bei den unter 40Jährigen: 45%! (erstellt aus Daten der Deutschen Rentenversicherung Bund, 2011) Aus: Psychiatrie 2020 plus, DGPPN; Springer Krank – Gesund - ?! „Nicht-so-gut-drauf“ „Nicht-so-gut-drauf“ oder oder „ernstzunehmend“ „ernstzunehmend“ krank? krank? Mangelnde Motivation Disziplinlosigkeit z.B. Unterforderung Überforderung Keine Identifikation Kein Interesse Keine Kontrolle Keine Einbindung Kein Erfolg „gesund“ Akute Erschöpfung Überarbeitung, „Burnout“: z.B. Normale Müdigkeit nach intensiver Arbeitsphase, akute oder chronische Überforderung, Bedürfnis nach Auszeit (Urlaub) KRANKHEIT z.B. Depression Oft rascher Beginn deutliche Veränderung der Persönlichkeit Probleme nicht nur bei Arbeit Auch ohne klare Auslöser Schuldgefühle, Hoffnungslosigkeit„ Versteinerung“ „krank“ „Burnout“ Verlust von Interesse u. Freude Depressive Stimmung Verminderter Antrieb Was ist „Burnout“ - trat erstmals in den 70ern in den USA auf und wurde v.a. in sozialen Berufen beobachtet - als Phänomen einer modernen Arbeitswelt zunächst im Sinne einerVerlust missglückten von Interesse u.und ihrer „Beziehung“ zwischen Menschen Freude Arbeitswelt Depressive Stimmung - als psychologisches Phänomen anfangs verspottet Verminderter Antrieb - mittlerweile: theoretische Modelle, empirische Forschung Was ist „Burnout“ Definition I Burnout als Zustand - 3 Hauptmerkmale: - dysphorische Symptome – v.a. Erschöpfung und negative Auswirkungen auf affektiver, kognitiver, motivationaler und Verhaltensebene – gepaart mit negativer Einstellung ggü. anderen Verlust von und der Arbeit sowie verringerter Effektivität und Interesse u. Leistungsfähigkeit Freude Depressive - unangemessene Erwartungen Stimmungund hohe emotionale Anforderungen Verminderter Antrieb - generell arbeitsbezogen, primär nicht mit psychischer Erkrankung assoziiert, bei Menschen die primär erfolgreich im Berufsleben standen („kontextbezogen“) Was ist „Burnout“ Definition II Burnout als Prozess - 3 Hauptmerkmale: - beginnt mit Spannungen, resultierend aus der Diskrepanz Verlust vonund Idealen einer Person zwischen Erwartungen, Absichten, Zielen Interessedes u. beruflichen Alltags und den Anforderungen und Realitäten Freude Depressive - die sich daraus ergebenden Stressoren entwickeln sich Stimmung allmählich Verminderter Antrieb - Art und Weise des Umgangs mit o.g. Stressoren bestimmt die Entwicklung eines Burnout Was ist „burnout“? Quelle: DGPPN DGPPN-Konzept: Übergang Arbeitsbelastung zur Erkrankung Prävention, Therapie, Rehabilitation Was ist „Burnout“ Abgrenzungen Burnout oder Depression Burnout: Ca. 132 (!) verschiedene Symptome…. …. Ein ganzes ABC von A wie Angst bis Z wie Zurückgezogenheit Depression: Eine psychische Erkrankung, operationalisierte Klassifikation ICD 10 F 32.xx Was ist „Burnout“ „Übergang“ bzw. Diagnose Depression Stressoren – intern/ extern: Multiple Symptomatik Reduzierte Leistungsfähigkeit… Verlust von Interesse u. Freude Antriebs-, Interessenverlust Stimmungsdefizit, Depressive kognitive, emotionale Einschränkungen…. Stimmung ICD 10 F 32.xx Diagnosekriterien Diagnosekriteriender derDepression Depression nach nachICD-10 ICD-10 Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven Gefühl von Schuld und Wertlosigkeit Suizidgedanken / Suizidale Handlungen Verlust von Interesse u. Freude Depressive Stimmung Verminderter Antrieb Schlafstörungen Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen Appetitminderung Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit D em D Mit Beeinträchtigung gelebte en ep ze re Lebensjahre YLD ss rk ra io nk n, un un g ip (A ol ar lz he im er et c. H ) ör sc hw A lk äc oh he ol m is sb Ze ra re br uc ov O h C st hr as eo on ku ar .O lä th re bs r it Er is tr .P kr an ul m ku on ng .E en rk ra nk un D ia ge be n En te s do M kr el in lit Se e us E hs rk ch ra nk w äc un he ge n n al te rs be di ng t Belastung Belastungdurch durchKrankheiten Krankheitenin inden den entwickelten entwickeltenLändern Ländern 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 8,39 6,33 5,39 3,77 3,77 3,46 2,86 2,25 1,68 1,53 Global Burden of Disease Study, 2010; The Lancet, 2012 Depression Depressionund undSuizidalität Suizidalität 10-15 % mit rezidivierender Depression versterben durch Suizid 20-60 % weisen einen Suizidversuch auf 40-70 % leiden an Suizidideen bei 90 % der Suizidenten psychiatrische Erkrankung im Vorfeld, am häufigsten Depression (40-70 %) Wenn eine Depression vorliegt, kann Suizidalität immer eine Rolle spielen! Akute AkuteSuizidalität: Suizidalität:Risikogruppen Risikogruppen • für Suizid: ältere Männer • für Suizidversuch: junge Frauen (14-24 Jahre) • Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen (Depression Suchterkrankungen, Psychosen) • akute krisenhafte Ereignisse (z.B. Arbeitslosigkeit, Schulden, Scheidung, Inhaftierung, Verlusterlebnisse, Traumatisierung) • Zeit nach der Entlassung aus stationär psychiatrischer Behandlung • Suizidversuche in der Vorgeschichte oder in der Familiengeschichte • Hohe narzisstische Kränkbarkeit • starke Verleugnungstendenz und mangelndes Hilfesuchverhalten („mir geht es gut; ich brauche keine Hilfe..“) Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungs-Modell nach Zubin 1977, Liberman 1986 Genetische/ Biologische Faktoren Hirnmorphologie Psychosoziale Einflussfaktoren (soziale Umgebung,Arbeit, familiäre Interaktion) Genetisch determinierte Verhaltensdisposition „Vulnerable“ Persönlichkeitsstruktur Copingstrategien Akute psychische Dekompensation Psychosoziale Aspekte (soziale Umgebung, Arbeit, familiäre Interaktion) Psychosoziale Stressoren (z.B.: life events, expressed Emotion, unspezifische Faktoren) Remission – Episodischer Verlauf – Chronifizierte Verläufe Die Die Behandlung Behandlung der der Depression Depression Multifaktorielles UrsachenBedingungsgefüge Mehrdimensionaler Therapieansatz Die Die Behandlung Behandlung der der Depression Depression Hier: Schwerpunkt Psycho- und Soziotherapie • Psychotherapie: Wirksamkeit v. Verhaltenstherapie und Interpersoneller Therapie am besten belegt • Soziotherapie: Angehörigen(therapie)/ -arbeit Integration in alle Lebensbereiche Wohnen, Arbeiten, Genießen Arbeitstherapie in der Behandlung und Rehabilitation chronisch psychisch Kranker: Eugen Bleuler (1857-1939) „Am meisten wird die Arbeitstherapie allen Anforderungen gerecht. Sie übt die normalen Funktionen der Psyche, gibt unaufhörlich Gelegenheit zu aktivem und passivem Kontakt mit der Wirklichkeit, übt die Anpassungsfähigkeit und zwingt den Patienten den Gedanken ans normale Leben draußen auf.“ Eugen Bleuler: Dementia praecox oder die Gruppe der Schizophrenen. 1911 Arbeit im therapeutischen Prozess • „Arbeitstherapie“ in stationärer, tagesklinischer, ambulanter Behandlung („i.e.S.“): Ergotherapie, Verhaltenstherapie….. • „Tertiärprävention“: Maßnahmen zur Verminderung (sozialer) Krankheitsfolgen – Ansatz in der sog. Gemeinde-/ Sozialpsychiatrie → Maßnahmen der medizinischen und beruflichen Rehabilitation (SGB IX/ XII: Wiedereingliederung und Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben) – → Stichwort RPK‘s (international andere Modelle!) Depression Depression am am Arbeitsplatz Arbeitsplatz Immer wichtiger für: alle Akteure des Gesundheitswesens (Versorger, Kassen, Politik, Unternehmen…) „echte Zunahme“ – oder: Verändertes Diagnoseverhalten, offenerer Umgang…? Arbeit = Ursache/ Auslöser/ Risiko/ Schutz? Was ist von wem zu tun? Präventionsgesetz soll Gesundheitsvorsorge fördern Die Bundesregierung möchte die Gesundheitsvorsorge mit einem Präventionsgesetz fördern. "Wir reagieren damit auf die Veränderungen des demografischen Wandels ….“, sagte Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), ….. am Mittwoch, 20. März 2013, …im Deutschen Bundestag. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen: „Psychische Erkrankungen sind eines der drängendsten Probleme in der Arbeitswelt…“ © T. Maelsa Vorstellung Stressreport 2012 Politische Entscheidungsträger Psychisch gesund am Arbeitsplatz - Hindernisse und Hürden • Strukturproblem Sozialrecht Deutschland • Segmentierung: Prävention – BehandlungRehabilitation – Pflege • Mangelndes Wissen und Stigmatisierung • Verantwortlichkeit • Akteure Interventionen bei psychischen Störungen Gesundheitsförderung Prävention Kuration / Therapie Rehabilitation SOLL: Orientierung an Individuellen Bedürfnissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten Pflege IST: Segmentierung, orientiert an sozialrechtlichen Gegebenheiten 7 Prävention Rehabilitation Kuration / Therapie Pflege 8 Stengler K, Brieger P, Weig W: Psychiatrische Rehabilitation: "deutscher Sonderweg" - wo geht es hin? Psychiatr Prax 2010; 37(4): 206-207 Stengler K, Becker T: Rehabilitation bei psychischen Störungen: wissenschaftliche Evidenz und internationale Perspektiven; Mittelungsseiten im Nervenarzt, 2012 Psychische Krankheit und Stigma, mangelndes Wissen… • 30% glauben, dass der Vorgesetzte wenig Verständnis hat, wenn ein Mitarbeiter wegen psychischer Probleme am Arbeitsplatz fehlt • 31% glauben, dass die Kollegen wenig Verständnis dafür haben, wenn ein Mitarbeiter wegen psychischer Probleme fehlt • Für 56% wäre es unangenehmer wegen psychischer Probleme nicht zur Arbeit zu kommen, als wegen körperlicher Probleme • 26% glauben, dass psychische Erkrankungen oft als Vorwand für Blaumacherei missbraucht werden. • 49% glauben, dass die verbreitete Angst um den Arbeitsplatz das Auftreten von psychischen Erkrankungen begünstigt. (DAK Gesundheitsbarometer 2005, Forsa-Umfrage) Schomerus G et al. Evolution of public attitudes about mental illness: a systematic review and meta-analysis. Acta Psychiatr Scand. 2012 Jun;125(6):440-52 Angermeyer MC et al. Mental health literacy and attitude towards people with mental illness: a trend analysis based on population surveys in the eastern part of Germany. Eur Psychiatry. 2009 24(4):225-32. Stigma bei depressiven Erkrankungen - Stigma der „Schwäche“, „Faulheit“, „Disziplinlosigkeit“ - Negative Beeinflussung des Selbstwertgefühls auch durch Selbststigmatisierung - Angst vor Stigmatisierung im sozialen Kontext - Verheimlichen, Verschweigen - u.a. Präsentismus am Arbeitsplatz! Wissensstand und Einstellungen der Allgemeinbevölkerung zu depressiven Erkrankungen haben einen Einfluss auf das Hilfesuchverhalten. Psychisch gesund am Arbeitsplatz - Hindernisse und Hürden Bundesweite Erhebung 2010/2011: VDBW - elektronisch/ postalische Befragung Handlungsbedarf und Umgang mit psychischer Gesundheit/Krankheit aus Sicht von Betriebs- und Werksärzten und Führungskräften Betriebsärzte Führungskräfte (%) (%) Zunahme AU/ EU 87,9 80 Präsentismus 72 83,7 Umgang „anders“ (Stigmatisierung, Unsicherheit…) 87,9 75 Keine spezifischen Präventionsprogramme 65,4 71,4 Empfehlung Prävention 94,4 (Aufklärung, Information) Dietrich S, Mergl R, Rummel-Kluge C, Stengler K (2012) Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz aus der Perspektive von Betriebs- und Werksärzten. PsychPrax (39), 1: 40-42. 96 Ansätze zur Stigmareduktion Aufklärung Protest Kontakt Verbesserung von Wissen, Einstellungen und Verhalten Gegen unkorrekte und diffamierende Darstellungen psychisch Erkrankter in der Öffentlichkeit Häufiger Kontakt mit Betroffenen ist mit geringerem Stigma assoziiert Corrigan PW, Penn DL, Am Psychol 1999 Penn DL, Shannon MC, Journal of World Psychiatry 2002 Gaebel W, Möller HJ, Rössler W (Hrsg.) Kohlhammer 2004 Wer ist „schuld“ an der „Zunahme“ psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz? Faktoren der Arbeitssituation (lediglich) als Auslöser • Arbeitsverdichtung höherer Arbeits- und Zeitdruck • unsichere Berufsperspektive • geringe Beeinflussbarkeit + Personenvariablen • hohe Verausgabungsbereitschaft • mangelnde Stressbewältigungskompetenz • mangelnde soziale Unterstützung Arbeit ist oft ein protektiver Faktor! Was wirkt protektiv/„antidepressiv“ bei der Arbeit? Viele Faktoren von Arbeit wirken antidepressiv und könnten genutzt werden: • • • • • • • Struktur Identifikation Erleben von Effizienz Wertschätzung Austausch mit anderen Anforderungen Ablenkung …… Krankschreibung hilfreich ?! Präventionsansätze: Depression am Arbeitsplatz Primäre Prävention: vor Erkrankung Sekundäre Prävention: Maßnahmen, die der Früherkennung und damit der Möglichkeit der Frühbehandlung von Erkrankungen dienen Tertiäre Prävention: Rehabilitation Präventionsansätze: Depression am Arbeitsplatz → Sekundärprävention = Früherkennung • • • • Zentrale Bedeutung! Frühwarnsysteme in Unternehmen (Betriebsärzte!) Wissens- und Informationsvermittlung Reduzierung von Vorurteilen, Stigmatisierung → Verminderung von Präsentismus (anwesend, aber ↓↓ Leistungsfähigkeit) • Stärkung und Förderung individueller Ressourcen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und eine schöne Zeit in LEIPZIG!