Neue Substanzen, neue Strategien in der Bekämpfung von HIV/AIDS Deutsche und österreichische HIV-Experten: Neue Therapien dringend benötigt Die neuartige Wirkstoffgruppe CCR5, die menschliche Wirtszellen vor einem Angriff des HI-Virus schützen kann, gilt als besonders viel versprechender innovativer Therapie-Ansatz der AIDSForschung, berichteten Experten heute beim 10. Deutschen und 16. Österreichischen AIDSKongress in Wien. Derartige innovative Wege sind nach wie vor gefragt, denn Resistenzen gegen die gängigen Wirkstoffe und Langzeit-Nebenwirkungen können die Anwendbarkeit der verfügbaren antiviralen Therapie einschränken. In den nächsten Jahren könnte es zu einer zunehmend wichtigen Strategie der Behandlung werden, mit einer möglichst geringen Medikamentenexposition (Monotherapie, Behandlungspausen) das gleiche Therapieziel zu erreichen. Wien, am 1. Juni 2005 – „Die derzeit verwendeten Medikamente zur Behandlung der HIVInfektion sind insbesondere bei Patienten ohne bisherige Vorbehandlung sehr erfolgreich. Ein zunehmender Anteil von Patienten entwickelt jedoch gegen die verfügbaren Medikamente Resistenzen oder verträgt sie nicht,“ sagte Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer vom Universitätsklinikum Köln heute auf einer Pressekonferenz. „Für diese Patienten sind die derzeitigen therapeutischen Möglichkeiten eingeschränkt. Deshalb ist die Entwicklung von weiteren Substanzen unbedingt notwendig.“ Aktuell werden Medikamente aus vier verschiedenen Wirkstoffklassen zur HIV-Therapie eingesetzt. Die Entwicklung neuer Substanzen betrifft sowohl solche aus den bekannten vier Klassen, als auch Medikamente aus ganz neuen Klassen mit einem anderen Angriffspunkt. Dr. Fätkenheuer: „Medikamente aus neuen Klassen haben den prinzipiellen Vorteil, dass gegen sie noch keine Resistenzen vorliegen. Zur Zeit befinden sich Wirkstoffe aus mehreren neuen Klassen in der Entwicklung.“ HIV-Entry-Inhibitoren verhindern Eindringen des Virus in die Wirtszelle Am weitesten fortgeschritten sind die so genannten CCR5- Hemmer, die das Eindringen des Virus in die Wirtszelle und damit auch dessen Vermehrung verhindern können. „Das neuartige Prinzip dieser HIV-Entry-Inhibitoren setzt am Ko-Rezeptor CCR5 an, der eine wesentliche Rolle beim Eindringen des HI-Virus in die Körperzelle spielt“, berichtet der Aids-Spezialist Prim. Dr. Norbert Vetter, Leiter der 2. Internen Lungenabteilung, Sozialmedizinisches Zentrum Baumgartner Höhe Otto Wagner Spital, Wien. Das HI-Virus benutzt bestimmte Moleküle an der Zelloberfläche, um in die Zellen zu gelangen und sie zu infizieren. CCR5 ist eines dieser Moleküle. „Es wurde bereits nachgewiesen, dass Menschen, denen dieses Molekül aufgrund einer genetischen Veränderung fehlt, fast gänzlich vor der Infektion mit HIV geschützt sind“, erklärt Prim. Vetter. „Der AIDS-Erreger dockt auf einer Zelle an diesem Ko-Rezeptor an, wodurch ein Signal weitere Veränderungen auf der Zelloberfläche einleitet. Durch diese kann der Erreger in die Zelle geschleust werden. Blockiert man nun die Funktion des CCR5Ko-Rezeptors, so die Überlegung der Wissenschafter, dann kann das Virus nicht in die Zelle eindringen und sich nicht vermehren.“ Bereits zwei Substanzen in klinischen Studien erfolgreich Studien haben nun gezeigt, dass eine solche Blockade tatsächlich nicht nur im Labor erfolgreich ist. „Mit dem neuen Prinzip, nicht das Virus selbst, sondern die Rezeptoren der Wirtszelle zum Angriffspunkt der Therapie zu machen, lässt sich die Anzahl der HI-Viren im Blut effektiv senken“, berichtet Prim. Vetter. „Bereits mehrere klinische Studien konnten das nachweisen.“ So wurde etwa der vom US-Konzern Pfizer entwickelte Wirkstoff Maraviroc bei insgesamt 500 Probanden geprüft, den bislang veröffentlichten klinischen Studien der Phase II zufolge zeigt er bereits bei einmal täglicher Einnahme mit einer fetthaltigen Mahlzeit eine potente antiretrovirale Wirksamkeit. Die vom britischen Unternehmen GSK entwickelte Substanz GW 873140 befindet sich ebenfalls in Phase II der klinischen Prüfung. Hier konnte in den bisherigen Untersuchungen eine Verringerung der Virusmenge um mehr als 95 Prozent innerhalb von zehn Tagen erreicht werden. Prim. Vetter: „Mit diesen neuen Behandlungsmöglichkeiten, die in absehbarer Zeit verfügbar sein dürften, werden wir wieder neue Instrumente auch für jene Patienten in der Hand haben, bei denen wir jetzt an therapeutische Grenzen stoßen. Zum Beispiel, weil Viren bereits resistent gegen heute verfügbare Medikamente sind, oder weil Patienten diese schlecht vertragen.“ Integrasehemmer: Erste Versuche zeigen ermutigende Ergebnisse Eine weitere neue Klasse von Wirkstoffen sind die so genannten Integrasehemmer. „Auch hier zeigen erste Versuche bei Patienten ermutigende Ergebnisse, die Entwicklung ist jedoch noch nicht so weit fortgeschritten, dass man schon verlässliche Aussagen machen könnte“, sagt Prof. Fätkenheuer. „In einem noch früheren Entwicklungsstadium befinden sich weitere Substanzen aus der Gruppe der so genannten Entry-Inhibitoren.“ Therapiepausen oder Monotherapien könnten Medikamentenbelastung verringern Nicht nur neue Substanzen, auch neuen Therapiestrategien wie Therapiepausen oder Monotherapien könnten in den kommenden Jahren zunehmend größeren Stellenwert bekommen, ist Dr. Hans Jäger, Internist in München, überzeugt: „Große Studien, wie die mit über 30.000 Patienten sehr aussagekräftige DAD-Studie deuten darauf hin, dass die Medikamentenexposition pro Jahr ein unabhängiger Risikofaktor für das Auftreten vaskulärer Komplikationen, wie von Herzinfarkten ist. In den nächsten Jahren kann es deshalb zu einer zunehmend wichtigen Strategie der Behandlung werden, mit einer möglichst geringen Medikamentenexposition das gleiche Therapieziel zu erreichen.“ Bei weltweit mehr als 6.000 Patienten untersucht die SMART Studie, ob Therapiepausen ohne klinische Komplikationen und ohne verstärkte Resistenzentwicklung möglich sind. Dr. Jäger: „Eine zunehmende Zahl von Studien, zum Beispiel Monark, beschäftigen sich auch mit der Frage, ob bei der heute sehr wirksamen Substanzgruppe der Proteaseinhibitoren auf andere zusätzliche Medikamente zumindest zeitweise verzichtet werden kann, ob also eine Single-agent oder Monotherapie wirksam ist.“ Rückfragen: B&K - Bettschart&Kofler Medien- und Kommunikationsberatung, Bärbel Holaus, Mag; Daniela Pedross, Mag. A-1090 Wien, Porzellangasse 35 Top 3; Tel.: +43-1-319 43 78*0; Fax: +43-1-319 43 78*20; e-mail: [email protected]; www.bkkommunikation.at