06_09_21_WHD_Hintergrun... - Schweizerische Herzstiftung

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H i n t e r g r u n d i n f o r m a t i o n - Bern, 21. September 2006
Interview mit Prof. François Mach, Abteilung Kardiologie der Universitätskliniken Genf.
Prof. Mach war an der Herzaktion in Bahnhöfen vom 21. September 2006 Botschafter für die
Schweizerische Herzstiftung (Weltherztag).
(Das Interview ist zur auszugsweisen oder vollständigen Veröffentlichung freigegeben. Es
wird im November 2006, Ausgabe 4/2006, des Gönnermagazins «Herz und Kreislauf» der
Schweizerischen Herzstiftung erscheinen.)
Traummasse für das Herz
Prof. François Mach hat ganz bestimmte Vorstellungen von den Traummassen des
menschlichen Körpers: Maximal «102» für Männer, «88» für Frauen. Worauf sich die
Zahlen beziehen? Auf den Bauchumfang, gemessen in Zentimetern. Ein Gespräch
über Üppigkeit, geheimnisvolle Stoffwechselaktivitäten – und die Bedeutung eines
Messbandes in der Arztpraxis.
«Herz und Kreislauf»: Herr Prof. Mach, eine indiskrete Frage: Kennen Sie Ihren eigenen
Bauchumfang?
Prof. François Mach (ohne zu zögern): Ja. Hundert Zentimeter!
HuK: Als oberste Grenze gelten für Männer 102 Zentimeter, 88 Zentimeter für Frauen.
Diabetes-Spezialisten plädieren sogar für 94/80. Wer hat diese Zahlen festgesetzt?
Modeschöpfer? Die Pharma-Industrie?
F. Mach: Nein, diese Masse haben nichts mit dem gegenwärtigen Schönheitsideal zu tun.
Und die Pharma-Industrie dürfte zwar zweifellos an tiefen Werten interessiert sein, zu denen
bestimmte Medikamente verhelfen könnten. Die Empfehlungen kommen aber unabhängig
von solchen Einflüssen von internationalen medizinischen Fachgesellschaften. Beteiligt sind
namentlich die Kardiologen, die Diabetes-Spezialisten und auch die Endokrinologen. Diese
beschäftigen sich mit der hormonellen Steuerung im Körper – auch der Stoffwechsel der
Organe und der Energiehaushalt werden ja mit Hilfe von Hormonen reguliert.
HuK: Trotzdem: Wird mit der Geschichte um den Bauchumfang nicht ein bisschen übertrieben? Frauen um die Sechzig brauchen keineswegs von barocker Üppigkeit zu sein und
überschreiten dennoch bald einmal die Idealmasse.
F. Mach: Das mag so sein – aber grosse Studien haben weltweit, in allen Ländern, belegt,
dass das Risiko für Herz und Kreislauf mit jedem Zentimeter steigt, der am Bauch zu viel ist.
HuK: Gleich, ob ich gross- oder kleingewachsen bin?
F. Mach: Es gibt geringe Anpassungen für bestimmte Weltbevölkerungsgruppen, zum
Beispiel für Japaner und Südasiaten. Für alle anderen gelten die erwähnten Werte als
Grenze, die wenn möglich nicht überschritten werden sollten.
HuK: Vorsichtshalber ziehe ich den Bauch beim Messen ein.
F. Mach: Dann stimmt das Ergebnis aber nicht! Atmen Sie einfach locker aus und legen Sie
das Massband auf Bauchnabelhöhe um sich.
HuK: Eigentlich ist ja mein Body-Mass-Index (BMI) normal...
F. Mach: Das ist das Schwierige: Ihr BMI errechnet sich aus Körpergrösse und Gewicht. Wie
dieses Gewicht aber am Körper verteilt ist, das sagt Ihnen erst eine zusätzliche Messung.
Der Bauchumfang ist die einfachste.
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HuK: Gibt es denn ein schädlicheres und ein weniger schädliches «Zuviel»?
F. Mach: Ja. Der Umfang des Bauches ist ein Indikator für die Einlagerung von Fettgewebe
rund um die Verdauungsorgane. Dieses «innere» Fett hat andere Eigenschaften als das
übrige Körperfett. Es nimmt wesentlich stärker am Stoffwechsel teil und wirkt wie eine wahre
Hormonfabrik: Menschen mit bauchbetonter Fettverteilung leiden häufiger an Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck und gefährlichen Blutfettwerten als Menschen mit gleichem BMI, deren
Pfunde auf der Hüfte oder an den Oberschenkeln sitzen.
HuK: Man hört in diesem Zusammenhang den Ausdruck «metabolisches Syndrom» oder
«tödliches Quartett»: Ein dramatischer Begriff, aber abstrakt.
F. Mach: Er macht für die Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen Sinn. Ein zu hoher
Bauchumfang ist der wichtigste Teil des Syndroms, neben ungünstigen Blutfett- und Blutzuckerwerten und/oder hohem Blutdruck. Einzeln betrachtet, können diese Werte unterschätzt werden. Die Summe davon aber wirkt wie eine tickende Bombe im Körper. Zwischen
25 und 40 Jahren wird sie meist noch nicht bemerkt, aber die Herzkranzgefässe und andere
Arterien leiden schon in diesem Alter. Betroffene sterben nicht nur häufiger als andere an
einem Herzinfarkt oder Hirnschlag, sondern auch an anderen Krankheiten.
HuK: Wäre es eine Lösung, die überflüssige Fülle absaugen zu lassen?
F. Mach: Herz und Kreislauf blieben genau gleich gefährdet. Denn es geht ja eben um das
Fett im Inneren der Bauchhöhle. Das kann nicht abgesaugt werden.
HuK: Dann bleibt Betroffenen nichts anderes übrig, als sich die nach vorn ausladenden
Formen wegzuhungern?
F. Mach: «Hungern» wäre der falsche Weg. Harte Tatsache aber ist es schon, dass Sie den
Bauch nur mit einer kalorienreduzierten Ernährung - dies am besten mit den Zutaten der so
genannten Mittelmeerkost - und mit zusätzlicher Bewegung von täglich mindestens dreissig
Minuten wegbringen. Das wird auch in nationalen und internationalen Richtlinien empfohlen.
Wobei ich nicht vorab von Sport sprechen möchte, sondern von alltäglicher körperlicher
Bewegung wie Treppensteigen oder zügigem Gehen.
HuK: Ist mit Medikamenten nichts zu machen?
F. Mach: Wie gesagt: Die Behandlung so genannter «Lifestyle»-Risikofaktoren wie
Übergewicht - und auch Rauchen - ist schwierig. Grosse Hoffnungen setzt man gegenwärtig
auf den Wirkstoff Rimonabant, einen Cannabinoidrezeptorblocker. Testpersonen in grossen
Studien haben damit Gewicht und Bauchmasse verloren, und die Blutfette verbesserten sich.
Auch der Verzicht auf Zigaretten fiel ihnen leichter. Aber selbst wenn das die Wunderpille
wäre, auf die so viele warten, ersetzte sie nicht Ihre Eigeninitiative.
HuK: Ich schaue gleich im Nähkästchen, ob es da ein Massband gibt.
F. Mach: Tun Sie das! In der Kardiologie der Genfer Uniklinik messen wir bei allen Patienten
den Bauchumfang. Es wäre eine gute Idee für jeden Arzt, neben dem Stethoskop ein
Massband in Reichweite zu haben.
HuK: Angenommen, Leserinnen oder Leser des Magazins unterschreiten in den nächsten
Wochen die gefährliche Zentimetergrenze: Haben sie dann wirklich ein geringeres Risiko für
das Herz?
F. Mach: Alle neuen Erkenntnisse weisen ganz eindeutig darauf hin: Definitiv besser
Schmetterlinge im Bauch als Fettdepots!
Interview: Christine Iselin-Kobler, Schweizerische Herzstiftung
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Hormone aus dem Bauch
Körperfette - zu denen neben Cholesterin vor allem die so genannten
Triglyceride gehören – erfüllen lebenswichtige Funktionen: als Energiequelle und Energiedepot für den Körper, als Stütze und Polster für Organe
und Knochen, als Wärmeisolierung, in den Zellen, bei der Verdauung sowie
im Hormonhaushalt. Entsprechend verheerend wirkt es sich aus, wenn der
Fettstoffwechsel aus dem Gleichgewicht kommt. Es ist durch Studien
belegt, dass Übergewicht und ungünstige Fettwerte im Blut die Arteriosklerose fördern – und damit die Gefahr für einen Herzinfarkt oder Hirnschlag.
Immer mehr tritt dabei als eigentlicher Übeltäter das Fettgewebe im
Bauchinnern als endokrines (den Hormonhaushalt beeinflussendes) Organ
in den Vordergrund: Aus diesem Fett gelangen mit dem Abstrom durch die
Venen viele freie Fettsäuren zur Leber, wo sie die Insulinsensitivität beeinträchtigen. Gleichzeitig wird durch ein Übermass an Eingeweidefett ein
gefässschützendes Hormon, Adiponektin, in geringerem Mass produziert. In
der so genannten Interheart-Studie aus 52 Ländern (Lancet 2005;366:16401649) erwies sich deshalb die Messung der Fettverteilung am Körper für die
Berechnung des Herzinfarktrisikos als aussagekräftiger als der Body-MassIndex. Dabei wurde das Verhältnis Taille zu Hüfte (waist to hip) gemessen.
Der Bauchumfang allein gilt ebenfalls als – einfach zu erhebender –
Indikator für das Herzrisiko.
Kontaktpersonen
Christa Bächtold, Kommunikationsleiterin
Schweizerische Herzstiftung
Schwarztorstrasse 18, Postfach 368
3000 Bern 14
Telefon 031 388 80 85, Fax 031 388 80 88
[email protected]
www.swissheart.ch
Prof. Dr. François Mach
Service de Cardiologie
Hôpitaux Universitaires de Genève
Rue Micheli-du-Crest 24
1211 Genève 1
Telefon 022 382 72 34
Telefon Sekretariat 022 382 72 00
[email protected]
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