Push Pull Marketing Old Economy – Wettbewerbswirtschaft mit Push Mit einer vergleichenden Darstellung des Marketings in der Old Economy wird das Verständnis des Marketings im iCommerce erleichtert. Wie bei der Diskussion des Produktionssektors gibt es Analogien des iCommerce Marketings in der Old Economy. Die Basisdefinitionen sind bereits geleistet, wenngleich sie in der traditionellen Wirtschaft nicht (mehr) wirken; die grundlegenden Voraussetzungen sind von den realen Machtstrukturen außer Kraft gesetzt. Was ist aber die treibende Kraft, die die Entwicklung der industriellen Wirtschaft begründet, in Gang setzt und vorantreibt? Die reine ökonomische Theorie behauptet, das Ziel des Wirtschaftens sei die Befriedigung von Bedürfnissen mit knappen Mitteln. Bei dieser Definition gewinnt man den Eindruck, die Bedürfnisse seien zuerst da, sozusagen als naturgegebene Nachfrage und die Wirtschaft suche die Mittel zur Befriedigung. Für einige Grundbedürfnisse mag das zutreffen; für die Mehrzahl der nachgefragten Güter in westlichen Industriekulturen ist das falsch. Das Verlangen nach Hamburgern, Fernsehern, Limonade, Zigaretten, Autos, Handys, Mode, Schmuck, Tamagotchies, usw. liegt nicht in der Natur des Menschen. Bedürfnisse werden von den Unternehmen erzeugt, die Güter produzieren und sie verkaufen wollen. Marketing und Werbung sind die Mittel, mit denen Bedürfnisse geweckt und gesteigert werden. Deren Methoden greifen tief in das Unterbewußtsein der Menschen ein. Es wird ein Zeitgeist kreiert, ein Weltgeschmack, eine Mode, die auf den Einzelnen wirkt. Subtile Motivationsfaktoren wie die Relation zum Status vergleichbarer Mitmenschen, Geltungsbedürfnis, Eitelkeit, Sucht, Machtstreben, Neid, Sex oder Angst treiben die Mehrzahl der Menschen praktisch in die Konsum- und Investitionsfalle. Die Nachfrage nach Produkten wird gezielt gesteuert, sie liegt nicht etwa in der menschlichen Natur. Die Annahme unbegrenzter Bedürfnisse der Menschen ist ein Grundelement der westlichen Kultur und Wirtschaft. Für die Zufriedenheit der Menschen ist diese Kondition aber keine Vorbedingung; sie behindert sogar die Zufriedenheit, die Ruhe und die Ausgeglichenheit. Trotzdem wird das Verlangen nach Gütern und Dienstleistungen ständig stimuliert. Marketing ist in diesem Sinne nicht nur die Information über ein Angebot, sozusagen die Vorstufe des Vertriebs. Marketing hat in der Old Economy vor allem das Ziel, bereits produzierte Güter in den Markt zu drücken. Von der alten Vorstellung der nachfrageinduzierten Produktion hat man sich in vielen Branchen bereits verabschiedet. Tatsächlich laufen die Produktionsprozesse mittelfristig relativ konstant durch und generieren ein Angebot. Marketing sorgt für die Nachfrage nach den Produkten. Das Marketing ist ein fester Bestandteil der Produzentenstrategie und der Kundenerwartung. Mit dem Push Marketing gewährt man den Menschen keine Ruhe. Es werden immer neue Anreize geschaffen, neue Bedürfnisse geweckt, um die Nachfrage nach __________________________________1_______________________________________ Prof. Dr. Tilo Hildebrandt Hürth, den 14.05.16 Gütern auf hohem Niveau zu halten. Viele Branchen der Wirtschaft haben die Herstellung von der Nachfrage entkoppelt. Die Produktionsstätten sind wegen der Kostendegression sehr groß ausgelegt. Der Bau einer industriellen Fertigung, die Produktionsplanung, die Beschaffung der Rohstoffe, das Anfahren einer Produktionsstraße ist ein komplexer und langwieriger Prozess, der bei Schwankungen der Nachfrage nicht variabel angepasst werden kann. Ein Kraftwerk produziert Strom, eine Chipfabrik produziert Speicher, ein Automobilwerk produziert Fahrzeuge, eine Raffinerie produziert Kraftstoffe, eine Autobahn offeriert Transportwege Der Unternehmenslenker gibt seinen Managern einen Output vor, den diese im Markt unterzubringen haben. Das Ergebnis ist Push Marketing. Push Marketing ist vom Angebot getrieben, es ist eine Kombination von massiver Werbung mit Lagerdruck. Die Produkte werden produziert und beworben. Der Hersteller füllt die eigenen Läger oder die seiner Handelspartner in der Hoffnung auf den Ketchup-Effekt: Erst tut sich gar nichts, aber dann wirkt das Marketing und die Nachfrage springt an. Pull Marketing Dem entgegengesetzt sind die Mechanismen beim Pull Marketing. Hier gibt es ein Bedürfnis, das eine Nachfrage des potenziellen Käufers generiert hat. Die Aufgabe des Marketings besteht darin, die Nachfrage auf den Hersteller zu lenken. Dazu muß das Produkt in die Aufmerksamkeit des Käufers gerückt werden. Dieses Ziel zu erreichen, ist die Aufgabe der Werbung oder anderer Maßnahmen, wie zum Beispiel Mailings, Pressearbeit, Call Aktionen und Direkt Marketing. Die treibende Kraft beim Pull Marketing ist der Kunde mit einer bestehenden Nachfrage. Pull Marketing ist also ein Modell für nachfragegesteuerte Märkte. Vor einer Auswahl der Marketingstrategie im iCommerce ist die Frage zu klären, ob das Internet ein Käufer- oder ein Verkäufermarkt ist; ein Nachfrager- oder ein Anbietermarkt. Ein Anbietermarkt ist durch unvollständige Informationen gekennzeichnet. In der Regel „machen“ wenige große Anbieter den Markt, beherrschen ihn und geben ihre Spielregeln vor. Sie positionieren ihre Produkte, beeinflussen die Präferenzen der Nachfrager und lenken die sie. Das Marketing geht sternförmig über die Sendemedien vom Anbieter aus und kehrt sternförmig als Nachfrage zum Produzenten zurück. Anbietermarkt, Push Marketing und Sendemedien gehören zusammen und bilden die Allianz für wirkungsvolles Marketing in der Old Economy. Das Internet ist ein Medium mit Millionen von Aktionspunkten, die interagieren können. Die Information ist nicht unvollständig, sondern von vielen Teilnehmern fast ohne Kosten (mit geringer Entropie) zu erlangen. Digitale Produkte haben eine andere Produktionsfunktion; ihr Kapital-, Arbeits- und Informationseinsatz ist gering. Ihre zugehörigen Kostenfunktionen bilden keine Degression der Kosten mit zunehmender Größe der Fertigung ab. Wegen der geringen Kapitalbindung brauchen keine großen Produktionsstätten angefahren und keine Lagerbestände aufgebaut werden. Die Nachfrage kann in der Regel unmittelbar befriedigt werden. Alles in allem fördert das Internet den Wettbewerb der Anbieter, stärkt den Nachfrager begünstigt wegen der Interaktion und den geringen Informationskosten alle schnellen und flexiblen Prozesse. Nachfragermarkt, Pull Marketing und Interaktionsmedium gehören zusammen und belohnen ein anderes Marketing im iCommerce , als in der Old Economy. __________________________________2_______________________________________ Prof. Dr. Tilo Hildebrandt Hürth, den 14.05.16 Internet – Kooperationswirtschaft mit Pull Die einfachste und billigste Art und Weise, seine Produkte zu bewerben, stellt das Medium Internet selbst zur Verfügung. Der erfolgreiche Unternehmer verbreitet seine Informationen über das Netz, er koaliert mit anderen Anbietern und nutzt die hohen Zugriffsfrequenzen von Communities für seine Botschaften. Er macht seine Angebote in kooperativen Marketingaktionen den Internet Nutzern bekannt. Pull Marketing ist die erfolgversprechende Strategie für die Nachfragermärkte im Internet; kooperatives Marketing nutzt die Interaktion des Mediums. Erfolg kann nur mit dem Internet erzielt werden. Die spezifischen Eigenschaften des Netzes erfordern neue Definitionen der Verhaltensweisen und Respekt vor der neuen Qualität des iCommerce. Ein Marketing außerhalb des Netzes ist dagegen wenig effizient. Abgesehen von dem großen Streuverlust (Entropie), der bezahlt wird, um mit konventionellen Medien (Sendemedien) die Gruppe der Internet User anzusprechen, ist die Interaktion entsprechend eingeschränkt. Mit Verzicht auf Interaktion geht man aber gerade an dem Hauptvorteil des Internet vorbei. Man hat die falsche Alternative gewählt und bezahlt das mit höheren Kosten der Informationsverbreitung. Dieser Weg eignet sich allenfalls für Hybridanbieter, die sowohl im Internet, als auch in der Old Economy verkaufen und insofern die Internetwerbung mit ihren traditionellen Marketingstrategien verbinden. Das führt zwar nicht wirklich zu einem effizienten Marketing im Internet für Internetprodukte, aber die Fehlallokation fällt weniger auf, da die geringe Entropie (hohe Effizienz) der Internetwirtschaft die Hybridstrategie zu einem Gesamterfolg trägt. Positive Anfangserfolge werden von den Wettbewerbern, die eine reine Internetstrategie verfolgen, auf dem Teilgebiet des Internet eingeholt. Dieser Wettbewerbsnachteil wird solange unerkannt bleiben, wie der Internetumsatz noch einen geringen Anteil am Gesamtumsatz des Hybridanbieters ausmacht. Ein Hybridanbieter ist mit seinem Marketing einem spezialisierten Internetanbieter auf Dauer unterlegen. Die konventionellen Ansätze versagen im Internet. Das Internet als gegebene und nicht mehr zu beseitigende Infrastruktur ist die Basis der New Economy. Die Mechanismen und Strategien fordern eine neue Wirtschaft mit neuen Regeln; neue Produktionen, neue Vertriebsstrategien, ein neues Marketing. Die einfache Adaption alter Wirkungszusammenhänge, alter Werte und alter Erfolgsstrategien reicht zum Erfolg eines Unternehmens und einer Wirtschaft nicht aus. Eine Herleitung erfolgreicher Maßnahmen muß an den fundamentalen Wirkungen und Spezifikationen des neuen Mediums ansetzen. Deren genauere Untersuchung deckt Analogien zu natürlichen Verfahren der Kommunikation auf. Die natürliche Übermittlung von Informationen hat flächige Wirkung. Sie gleicht einem Feld mit extrem schneller und mächtiger, ja sogar formverändernder Verbreitung. Letzteres widerlegt die Trennung von Geist und Materie, da die Information auf materielle Prozesse und sogar die Formgebung Einfluß hat. Ein Gehirn, eine Kolonie, ein zellulärer Organismus verbreitet seine Informationen in einem Feld von kleinen, selbst unbedeutenden Elementen, die sowohl Empfänger, als auch Sender sind. Die Information induziert Bewegungen, verändert Formen oder stellt sie wieder her. Versuche, die konkreten Wirkungen der Informationsverbreitung auf herkömmliche mechanische Erklärungen zurückzuführen, sind gescheitert. Die Übertragungsprozesse und Ergebnisse muten unerklärlich, anonym und undurchsichtig an. Das Internet stellt eine Infrastruktur __________________________________3_______________________________________ Prof. Dr. Tilo Hildebrandt Hürth, den 14.05.16 bereit, die den idealisierten Prozessen der Marktwirtschaft nahe kommt; es stellt unerklärliche, anonyme und schnelle Reaktionen bereit. Erfolgreiches Marketing wird im iCommerce neu definiert. Erfolgreiches Marketing ist kooperatives Pull Marketing. Erfolgreiches Marketing begreift das Internet als Nachfragermarkt. Erfolgreiches Marketing zieht die Nachfrage an. Viele Berater haben für diese Form des Marketings den Begriff „Guerilla Marketing“ geprägt. Das scheint eine vermeintlich kriegerische Bezeichnung für eine neue Form des Marketings zu sein, ist aber nur eine unbeholfene Charakterisierung für die Tatsache, daß eine andere, die traditionelle Lehre unterlaufende Variante des Marketings den größten Erfolg im neuen Medium verspricht. Es gilt also, den iCommerce zu verstehen, die Regeln und Mechanismen zu akzeptieren und seine Marketingstrategie darauf auszurichten. Wegen der neuartigen Struktur des iCommerce haben innovative Marketingstrategien eine gute Chance, den Vertrieb optimal zu unterstützen. Diese Anforderung spricht nicht für die Überlegenheit der großen Unternehmen, wenngleich eine mit viel Kapital unterlegte Marketingstrategie bessere Erfolgsaussichten hat, als ein innovativer Ansatz ohne Geldmittel. Für eine Chancengleichheit der kleineren und schnelleren Unternehmen spricht die höhere Geschwindigkeit, mit der flexible kleine Einheiten auf den Response des Marktes reagieren können. __________________________________4_______________________________________ Prof. Dr. Tilo Hildebrandt Hürth, den 14.05.16