Liebrandt Hannes M.A. LMU · Geschwister-Scholl-Platz 1 · 80539 München Telefon +49 (0)89 2180-5507 Telefax +49 (0)89 2180-5659 Historisches Seminar Didaktik der Geschichte [email protected] http://www.geschichte.unimuenchen.de Postanschrift Geschwister-Scholl-Platz 1 80539 München München, 03.06.2015 Exposé für das Dissertationsprojekt von Hannes Liebrandt, M.A. Titel „Das Recht mich zu richten, das spreche ich ihnen ab!“ Der Suizid der nationalsozialistischen Elite zum Ende des Zweiten Weltkriegs Kurzvorstellung und Relevanz des Vorhabens Die Tatsache, dass der Niedergang des Nationalsozialismus durch zahlreiche Selbstmordfälle, sowohl in der „einfachen“ Bevölkerung, als auch in der Elite des Dritten Reichs begleitet wurde, ist bekannt und Teil unserer Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg. Für den europäischen Kulturkreis bildet der Zweite Weltkrieg in dieser Hinsicht eine tiefe historische Zäsur, weder zuvor noch danach flüchteten so viele Beteiligte oder unmittelbar Geschädigte eines Krieges in den Selbstmord. Besonders deutlich wird dies im Vergleich zum Ersten Weltkrieg. Kein einziger ranghoher Politiker oder Militär war 1918 bereit, sein Leben im Angesicht des militärischen Niedergangs und des Endes der Monarchie in Deutschland eigenhändig zu beenden. Wie sehr der Nationalsozialismus das politische Denken in Deutschland kurzzeitig änderte und wie erfolgreich die totalitäre Indoktrination auf die Führer wirkte, zeigt sich somit ebenfalls beim Phänomen des Selbstmordes. Während die Thematik für die allgemeine Bevölkerung und Opfer des Nationalsozialismus allmählich an historiographischer Dienstgebäude Amalienstr. 52, Zi. 409 80799 München Öffentliche Verkehrsmittel Bus Linie 154 U-Bahn Linien U3/U6 Universität Bayerische Landesbank München Kto. 24 868 BLZ 700 500 00 USt-IdNr. DE 811 205 325 Relevanz gewinnt1, fehlt bis heute eine dezidierte Elitenstudie für die Protagonisten des NSRegimes. Das Dissertationsprojekt untersucht den Untergang des Dritten Reichs somit aus einem neuen Blickwinkel, der sich durch einen personengeschichtlichen Zugang über prominente Suizidenten des NS-Regimes auszeichnet. Zielsetzung und Problemstellung Um das Forschungsdesiderat, welches aufgrund der nahezu unüberschaubaren Publizistik zum Dritten Reich erstaunlich ist, zu schließen, müssen zwei vordergründige Leitfragen wissenschaftlich eruiert werden: 1.) In welchem Ausmaß entschloss sich die Elite des Nationalsozialismus zum Suizid? Auf Basis einer quantitativen Erfassung soll dargelegt werden, wie viele ranghohe Nationalsozialisten den Freitod wählten und welche Elitenebenen besonders häufig vom Selbstmord führender Repräsentanten betroffen waren. 2.) Welche vermeintlichen Beweggründe lagen den Selbstmorden zugrunde? Diese Fragestellung gestaltet sich naturgemäß individuell höchst unterschiedlich. Es soll untersucht werden, ob der Suizid aus ideologischen, aus persönlichen oder nicht zuletzt aus pragmatischen Gründen vollzogen wurde. Methodisches Vorgehen Der Zugang zu diesen Leitfragen kann niemals eindimensional, rein auf Basis von Abschiedsbriefen, Testamenten, etc. erfolgen. Vielmehr soll ein multiperspektivischer Zugang zur Thematik geschaffen werden, der sich durch drei unterschiedliche Untersuchungsebenen auszeichnet: 1.) Die Ideologische Sichtweise auf den Suizid Sich eigenhändig das Leben zu nehmen ist nicht nur Ausdruck der persönlichen Autonomie und ggf. die Konsequenz des eigenen Handelns, sondern ebenso eine individuelle Entscheidung, die durch äußere und innere Einflüsse geprägt ist. Die Sichtweise des Nationalsozialismus auf den Suizid stellt hierbei ein entscheidendes Kriterium dar. Wurde der Selbstmord als Verrat an der Volksgemeinschaft gewertet oder eben als ultimativer Treuebeweis zur nationalsozialistischen Bewegung? Die Geschichtskultur des Dritten Reichs zeugt von der Erschaffung eines neuen Heldenethos, der Totenkult wurde integrativer Bestandteil der NS-Ideologie, die Jenseitsvorstellung war ein Kompromiss aus christlicher Tradition und germanischem Erbe - all diese Aspekte sollen in einer theoretischen Untersuchung hinsichtlich der Aussagekraft gegenüber dem Selbstmord analysiert werden. 1 Vgl. Goeschel, Christian: Selbstmord im Dritten Reich. Berlin 2011. oder zuletzt Huber, Florian: Kind, versprich mir, dass du dich erschießt: Der Untergang der kleinen Leute 1945. Berlin 2015. Dienstgebäude Amalienstr. 52, Zi. 409 80799 München Öffentliche Verkehrsmittel Bus Linie 154 U-Bahn Linien U3/U6 Universität Bayerische Landesbank München Kto. 24 868 BLZ 700 500 00 USt-IdNr. DE 811 205 325 2.) Die Erfassung der Suizidalität Basierend auf diesem theoretischen Unterbau erfolgt die quantitative Erfassung der Selbstmorde. Da der Begriff „Elite“ vielschichtig und verschieden interpretierbar ist, müssen zunächst Analysekriterien festgelegt werden, um die Führungsschicht des Dritten Reichs repräsentativ zu erfassen. Der Fokus liegt hierbei auf der politischen Elite (Reichsminister, Gauleiter, Reichstagsabgeordneten, Oberbürgermeister, etc.), der militärischen Elite (Wehrmacht und Waffen-SS), der medizinischen Elite und der Justiz-Elite des Reiches. Die Studie muss jedoch über die reine Erfassung der Suizidalität hinausgehen. Soziokulturelle Faktoren, aber auch die nationalsozialistische Gesinnung sowie die Verstrickung der Suizidenten in Kriegsverbrechen sind entscheidende Indikatoren, die den Selbstmord begünstigen und die in Form biographischer Skizzen berücksichtigt werden. 3.) Konkrete Fallanalysen Auffälligkeiten und erstaunlich hohe Suizidraten, wie sie besonders unter den Gauleitern und Medizinern vorkommen, bedürfen historischer Erklärungen. Erste Erklärungsansätze für den Selbstmord sind bereits den unterschiedlichen Lebensläufen zu entnehmen. Dabei stellt sich primär die Frage, ob der Suizid eine Flucht vor der Verantwortung darstellt oder ob ein Leben ohne den Nationalsozialismus nicht mehr lebenswert erschien. In einer finalen Untersuchungsebene muss der Fokus deshalb auf den Akt der Selbsttötung gelegt werden. Erfolgten in den letzten Kriegsmonaten in formelle Befehle zum Suizid und plante die NS-Führung sogar noch martialischer von der Bühne zu treten? Gab es möglicherweise während der Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg geheime Absprachen zum Suizid? Wie sind die Fälle zu erklären, in denen ehemalige Nationalsozialisten erst in den 1960er oder 1970er Jahren die Konsequenzen ihres Handelns übernahmen? Wie konnten sich Mythen über den Verbleib einzelner Funktionäre in der Gesellschaft manifestieren und unser Geschichtsbewusstsein in diesem Ausmaß beeinflussen? Zielsetzung für die Forschung Durch das Dissertationsprojekt soll sich die Sichtweise auf die Täter des Nationalsozialismus nicht grundlegend ändern, aber doch erweitern. Der Selbstmord als autodestruktive Gewalt wurde als Begleiterscheinung des nationalsozialistischen Untergangs bislang zu häufig vernachlässigt. Die im Rahmen der Studie angefertigte Liste der nationalsozialistischen Selbstmörder, die bislang mehr als 100 Funktionäre umfasst, zeigt die Relevanz der Thematik und definiert unsere Sichtweise auf viele Eliten des Dritten Reichs neu. Dienstgebäude Amalienstr. 52, Zi. 409 80799 München Öffentliche Verkehrsmittel Bus Linie 154 U-Bahn Linien U3/U6 Universität Bayerische Landesbank München Kto. 24 868 BLZ 700 500 00 USt-IdNr. DE 811 205 325