Masarykova univerzita Filozofická fakulta Sylvie Stanovská Zu der alttschechischen Liebeslieddichtung im Lichte des deutschsprachigen Minnesangs und der jüngeren deutschen Liebeslieddichtung. (Verbindungslinien, Motive, Strukturelemente). Habilitační práce Brno 2010 Motto: „... v nemilosti túhú lkaji...“ ( „...in Ungnade geraten, seufze ich vor Sehnsucht...“ ) anonymer alttschechischer Dichter „...ich minne die, diu mirs niht wil vertragen...“ („...ich minne die, die mir keinen Schritt weit entgegenkommt...“) Rudolf von Fenis - Neuenburg INHALT: 1. Thema und Zielsetzung der Arbeit…………………………...4 2. Minne und Minnesang – eine einleitende thematische Abgrenzung……………………….....................……………..6 3. TEIL I - Der deutsche Minnesang − Die Autoren der Frühgruppe.......15 - Zusammenfassende Charakteristik des Liedschaffens der Autoren der Frühgruppe…………………………………49 - Die Autoren der „rheinischen“ Phase…….………………… 69 - Zusammenfassende Charakteristik des Liedschaffens der Autoren der „rheinischen Phase“ des Minnesangs………97 - Die „klassischen“ Autoren und ihre Minnekonzepte………123 - Der deutsche Minnesang im 13. und 14. Jahrhundert. Ein Ausblick………………………………………………...168 - Jüngere deutsche Liebeslieddichtung im Licht der gegenwärtigen Forschung………………………………193 4. TEIL II - Alttschechische Liebeslieddichtung Versuch einer Charakteristik; Liedtypen I-VIII im Licht des deutschsprachigen Minnesangs, der Zusammenhang mit der jüngeren deutschen Liebeslieddichtung……........….195 Zusammenfassende Charakteristik der alttschechischen Liebeslieddichtung vor dem Hintergrund des späteren deutschen Minnesangs und der jüngeren deutschen Liebeslieddichtung………………………………………….316 5. AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE…………………………….325 6. ABGEKÜRZT ZITIERTE LITERATUR..............................352 3 Thema und Zielsetzung der Arbeit Das Ziel der vorliegenden komparatistischen Arbeit ist es, den deutschen Minnesang und die jüngere deutsche Liebeslieddichtung mit der alttschechischen Liebeslieddichtung so zu vergleichen, dass Letztere in ihrer Wesensart und ihrem Traditionszusammenhang genauer, als bisher geschehen, erfasst werden kann. Diese Erwartung leitet sich zum einen daraus ab, dass die Erforschung der deutschen Lieder methodologisch und sachlich weiter vorangetrieben ist und mit Erkenntnisgewinn auf die tschechischen Lieder übertragen werden kann; zum anderen daraus, dass gerade die deutsche Liebeslieddichtung von beträchtlichem Einfluss auf die später einsetzende benachbarte alttschechische war. Die Untersuchung soll ermöglichen, die alttschechische Liebeslieddichtung noch genauer in den Strom der europäischen courtoisen Lyrik einzuordnen. Im ersten Teil der Arbeit werden ausgewählte deutsche Minnelieder interpretiert, die charakteristisch sind für die Entwicklungsphasen dieser Gattung. Die Interpretationen münden jeweils in eine zusammenfassende Charakteristik dieser Phasen nach bestimmten Gesichtspunkten wie Rollen und Rollenbeziehungen, Motiven, Werbungsstrategien, die den gezielten und systematischen Vergleich mit den alttschechischen Liedern ermöglichen. Im zweiten Teil der Arbeit werden die alttschechischen Liebeslieder, die bereits nach den Kriterien, die sich aus dem ersten Teil ergeben haben, in sich typologisch angeordnet sind, einer eingehenden Interpretation unterzogen. Dabei werden nicht nur die systematisierten Merkmale des deutschen Minnesangs vergleichend beigezogen, sondern auch die Merkmale der jüngeren deutschen Liebeslieddichtung, die der alttschechischen zeitlich näher steht. Da diese aber nicht im Maße des Minnesangs systematisierbar sind, werden einzelne deutsche Lieder, die die Breite dieser späteren Entwicklung abstecken, den tschechischen Liedern gegenübergestellt. Dabei wird zur leitenden Frage, und zwar nicht nur für die alttschechischen Lieder, sondern auch für die deutschen dieser Spätphase, was als „alt“, was als „neu“ angesehen werden kann beziehungsweise, wie sich Altes und Neues, Traditionelles und Innovatives mischen, eine Erscheinung, die besonders für den tschechischen Bereich charakteristisch zu sein scheint.Die Untersuchung mündet in eine zusammenfassende Charakteristik der alttschechischen Liebeslieddichtung. 4 Die Anregung zu dieser Abhandlung ergab sich aus vielen Diskussionen über den deutschen Minnesang im Vergleich mit der alttschechischen Liebeslieddichtung, die ich mit meinem Lehrer Prof. em. Dr. Gerhard Hahn an den Universitäten Regensburg und Brno führen konnte und dem ich für seine inspirierende und hilfreiche Unterstüzung bei meinen Forschungen zu großem Dank verpflichtet bin. Eine wichtige Ergänzung waren auch seine Vorlesungen zum deutschen Minnesang, die er in der Zeit von 1992 bis 1995 in Regensburg gehalten hat. Die Untersuchung wäre nicht ohne einen längeren Forschungsaufenthalt an einer deutschen Universität durchführbar gewesen; dankend hebe ich die Unterstüzung hervor, die ich als Forschungsstipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung in den Jahren 2004-2005 erfahren habe. Ich möchte meinen herzlichen Dank auch allen Mitgliedern des Lehrstuhls für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Regensburg aussprechen, voran Prof. Dr. Albrecht Greule, für Hinweise und Ermutigung, auch für die Benüzung von Räumen und Geräten. 5 MINNE UND MINNESANG eine einleitende thematische Abgrenzung Was ist Minne? Minne ist eine spezifisch-historische Form einer liebenden Mann-FrauBeziehung. Ihr sozialer Ort ist der Adelshof. Wir können die Minne mit dem Begriff „höfische Liebe“ („amour courtois“) gleichsetzen. Damit wird jedoch nicht nur der soziale Ort gemeint, sondern auch der dazugehörende kulturelle Umkreis, in dem sie ein bedeutendes Element darstellt. Sie wird zu einem Bestandteil der höfischen Kultur, in der ein neuartiges Menschenbild entfaltet wird, das „höfisch-ritterliche Menschenbild“. Außer einer genealogischen Bestimmung des höfischen Menschen (als Sohn eines adeligen Vaters) und einer christlichen Heilsbestimmung (des ritterlichen Christseins im Rahmen der Schöpfungsordnung und Heilsgeschichte) entwickelt der höfische Mensch (Ritter) aufgrund des Minne-Begriffs ein neues Selbstverständnis, das sich auf seiner Beziehung zu einer höfischen Frau gründet. Diese Beziehung unterscheidet sich von den legitimierten und konventionalisierten der damaligen Zeit: - von der christlichen Ehebeziehung, in der die „Treibkanalisierung“ und Nachwuchserzeugung legitimiert ist; - von der feudalen Ehepraxis, die durch Besitz- und Machtbewahrung und -mehrung bestimmt ist, - aber auch von der stillschweigend in Anspruch genommenen Praxis der Triebauslebung („Nebenfrauen“, amouröse Abenteuer). Wie kann man demgegenüber Minne auffassen? - als „freie“ Partnerwahl außerhalb der genannten Konventionen. - als Wahl nach dem inneren Wert der Partnerin (güete), die in ihrer Erscheinung (schoene) zum Ausdruck kommt. - als eine Beziehung, in der die Partnerin oder der Partner zum Lebenssinn und –ziel erklärt wird, das ganze Leben auf sie oder ihn ausgerichtet wird. - als eine Beziehung, die in Treue und Beständigkeit (triuwe, staete) lebenslang gelten soll (nicht nur für den Augenblick sexueller Befriedigung). 6 Auch in unserer heutigen Erfahrung des personalen Wertes des Partners, die wir „Liebe“ nennen, ist Wesentliches aus der Minne-Vorstellung des 12. /13. Jahrhunderts enthalten, natürlich unter verschiedenen Beeinflussungen und Brechungen, die die späteren Jahrhunderte brachten. Um wenigstens einen der wichtigsten Unterschiede zu nennen: die Werthaftigkeit des Partners, die unsere Wahl heute bestimmt, hat die Form unverwechselbarer Individualität (eines bestimmten Charakters, der Gesichtszüge, der unnachahmlichen Art des Gehens, des Sich-Verhaltens, des Sprechens usw.). Im 12./13.Jh. stellte sich dieser „Wert“ demgegenüber als ein allgemeines, „entindividualisiertes“ Idealbild dar. Das heutige höfliche Benehmen eines Mannes gegenüber einer Frau, seine Höflichkeitsgestik und verbale Kommunikation sind im Wesentlichen von der neuen höfischen Verhaltensnorm des 12. Jhs. abgeleitet und bilden bis zum heute einen festen Bestandteil der Etikette unseres Alltags- und Festtagslebens. Wir beschäftigen uns also mit der Minne als einem historisch gewordenem Phänomen, dessen mentale Gültigkeit – im Rahmen der bereits angerissenen geschichtlichen Wandlungen – bis zu unserer heutigen Zeit reicht. Um jedoch die Minne in ihrer Grunddisposition richtig einzuschätzen, muss gleich hinzugefügt werden, dass sie in erster Linie ein rein oder vorwiegend literarisches Phänomen war, dass sie also nur oder vorwiegend in der Literatur existierte. Es galt also nicht das folgende Verhältnis: reale Minnebeziehungen zwischen adeligen Damen und Herren wurden in der Literatur „abgebildet“. Sondern: Die in der Literatur entwickelte Vorstellung von Minne hat vielleicht reale Minnebeziehungen hervorgerufen, die vielleicht wieder auf die Literatur zurückwirkten. In unserer Zeit sprechen von Minne jedenfalls nur literarische Quellen. Minne war ein komplexes (vielschichtiges) Phänomen. Die in der Literatur vorgetragenen Minnevorstellungen waren u. A., aber zunächst und vor allem durch die literarischen Gattungen bestimmt. Es gibt also, in einer etwa zugespitzten Formulierung: - die Minne des Minnesangs, - die Minne des höfischen Romans („Minneehe“) - die Minne der „Heldenepik“ - die Minne der epischen Kleindichtung (Märe) 7 - die Minne der Sangspruchdichtung und innerhalb des Minnesangs wieder - die Minne des „hohen Minneliedes“ - die Kreuzzugslied-Minne - die Tagelied-Minne - die Pastourellen-Minne usw. Dabei werden nicht nur unterschiedliche inhaltliche Akzente gesetzt, sondern unterschiedlich ist, unauflöslich damit zusammenhängend, auch die Darbietungsweise des Minnethemas: - ob beispielsweise das „Ich“ als „Betroffener“ reflektierend vorgeführt wird - ob die Geschichte von den Minnenden erzählt wird - ob über Minne „belehrt wird“ usw. Ich beschränke mich in meiner Darstellung auf die Minne des Minnesangs und ihre fazettenreichen Darbietungsformen im deutschen Minnesang und – vergleichend - in der alttschechischen höfischen Liebeslieddichtung. Das „Medium“, die Darstellungsform der Minne ist der Minnesang. Was ist Minnesang? Es ist an erster Stelle Liebeslyrik. Um gleich das Grundsätzlichste zu erfassen: es ist eine künstlerische, höchststilisierte und hochritualisierte lyrische Aussage (Lied) über Minne und Minnebeziehungen, die das ganze Mittelalter hindurch in erster Linie und vorwiegend von Liebe eines höfischen Mannes zu einer höfischen Dame oder (in den späteren Phasen dieser Kunst immer weniger) von Liebe einer höfischen Dame zu einem höfischen Ritter handelt. Diese scheinbar reale Aussage nimmt jedoch – und dieser Zug ist für sie geradezu konstitutiv - das Gewand einer Fiktion an: die Gestalt der Dame verbirgt in sich den höchsten Grad an überhaupt vorstellbarer Idealität, die im Minnelied auftretenden Protagonisten stehen als fiktive Idealgestalten da; stellvertretend für die Mitglieder der höfischen Gesellschaft. Die adelige Schicht möchte durch den Filter der Minne und des Minnesangs - in der Richtung nach außen von der konkurrierenden Schicht des kirchlichen Klerus (der „pfaffen“) wie von der Schicht der „gebûren“ abgegrenzt werden (Minne und Minnesang üben eine abgrenzende, integrative Funktion aus) - in derselben Richtung von der Außenwelt in ihrem Selbstverständnis bestätigt und wahrgenommen werden (repräsentative Funktion) 8 - in der Richtung nach Innen durch das Anstreben der Idealität, das in der Verwirklichung der höfischen Werte besteht, ethisch „erzogen“ und geläutert werden (Minne und Minnesang üben edukatorische Funktion aus). In diesem Sinne sind Minne und ihre Aufführungsform Minnesang – neben anderen Aspekten - auch als ein faszinierendes didaktisches Modell aufzufassen. Es wurde oben angedeutet, dass die Minneidee eine Einheit der äußeren Schönheit und des inneren Wertes der Dame einschloss. Es ist die Errungenschaft und ein Novum der mittelalterlichen weltlichen Lyrik, die erotische Ausstrahlungskraft der höfischen Dame mit der ethischen Dimension ihrer Persönlichkeit unauflöslich so zu verbinden, dass sie – hyperbolisch- die Idee eines absoluten Guten - summum bonum – darstellt. Sie besitzt im absoluten Maße die höfischen Grundwerte der staete, triuwe, êre, mâze, zuht, kiusche, etc. Der Ritter - erst auf dem Weg zur ethischen Vervollkommnung – bemüht sich um die bestmögliche Aneignung dieser Grundtugenden. Als ein Teil der höfischen Literatur, die hauptsächlich bei festlichen Gelegenheiten an Adelshöfen oder bei Hoftagen, beim höfischen Fest aufgeführt, gelesen oder diskutiert wurde, trugen die Minneidee und der Minnesang wesentlich zur adeligen öffentlichen Selbstrepräsentation bei als eine gesellschaftskonstiuierende Komponente. In ihrer fiktionalen literarischen Darstellungsform war Minne etwas viel Bedeutungsvolleres, Einflussvolleres, Wirklichkeitsmächtigeres als das eine oder das andere „reale“ Minneverhältnis zwischen zwei höfischen Menschen. So wurde sie immer von europäischem Adel – natürlich in spezifischer nationaler Ausprägungsform und Sonderentwicklung – wahrgenommen und getragen. Nun zu einem weiteren grundlegenden Aspekt des Minnesangs. Diese Kunst ist – was von der Mehrheit der Forscher heute anerkannt wird – immer in seiner Rollenhaftigkeit aufzufassen.1 Die Fiktionalität des Minnesangs und seine integrative sowie repräsentative Funktionen eröffneten für das Publikum die Möglichkeit, sich mit den „Rollen“, in denen die Figuren im Minnelied auftreten, zu identifizieren. Der Grund dafür war die Anstrebung der höfischen 1 Bis heute besteht eine Forschungsdiskussion über die Art und Grad der Fiktionalität bzw. der Realitätsnähe des Minnesangs (vgl. Warning, Haferland, Strohschneider, J.-D. Müller, Schilling). Für das komparatistische Vorhaben, das sich zunächst auf der Textebene abspielen muss, sind diese Ansichten jedoch nicht von ausschlaggebender Bedeutung. 9 Tugenden, das Sich-Orientieren am höfischen Menschenbild, die Auffassung des Minnesangs als repräsentativer Aussage über sich selbst, nicht zuletzt auch sein Begreifen als Mode. Minnesang im allgemeinsten Sinne bot also folgende Rollen: 1. die Rolle der Minnedame, bezeichnet vorwiegend als „frouwe“, „wîp“, „diu guote“ usw. , die als eine ideale Verkörperung der höfischen Werte verbildlicht wird. 2. die Rolle des Minnenden. Er wird als pronominal als „ich“ oder als „ritter“ bezeichnet, als Mitglied der Hofgesellschaft gedacht, der sich auf dem Weg zur Realisierung der höfischen Werte befindet und durch die Dame sittlich geadelt wird. (Zeitlich später hat sich diese Rolle aufgespalten - in die Gestalt des Minnenden und des Minnesängers, der über sein Singen reflektiert). 3. die Rolle der Minnegesellschaft („diu werlde“, „si“, „si alle“) Sie teilt sich u.U. auf die „friunde“ oder, öfters, die Feinde der Minnebeziehung („merkaere“, huote“, „lügenaere“). - In spezifischer Auffächerung dann die Rolle eines Boten, die eines Wächters in den weiteren Typen des Minneliedes. In ihrer sozial-ethischen Verfasstheit wird die Gesellschaft erst bei Walther von der Vogelweide thematisiert. Das Grundthema der Lieder, die Werbung eines Ritters um eine Dame und um deren Belohung, geschieht – und dies ist ein in letzter Zeit m.E. zu unrecht angezweifeltes Postulat, unter dem Grundprinzip der Variation, d.h. des wort- und begriffvariierenden Ausdrucks. Es wird nicht die Wiederholung, sondern ein hoher Grad des inhaltlichen Erfindungs- und Variierungsvermögens angestrebt. Ein Grundprinzip ist die Variation des vorgegebenen Bestands: der Rollen, der Rollenbeziehungen, der Motive, der Formulierungen etc.2 Zur Aufführung von Minnesang: Die neuere Forschung rechnet grundsätzlich mit zweierlei Aufführungs-möglicheiten: 1. mit dem gesanglichen Vortrag = Minnesang vor der Gesellschaft der höfischen Zuhörer: diese Darbietungsweise wurde traditionell als die vorrangige angesehen. 2 Haferland (2001) versteht die Varianten als bezogen auf den jeweiligen Liedvortrag. Variation sei nicht das poetische Grundprinzip des Minnesangs, sondern ist bedingt durch den jeweiligen Liedvortrag. 10 2. mit dem Minnesang, der (auch) als Lektüre für das lesende Auge bestimmt wurde. Gerade die neuere Erforschung des Minnesangs befasst sich mit dieser Möglichkeit als einer heutzutage noch nicht ausreichend dargelegten Darbietungsform, die gerade für die spätere Zeit der höfischen Kultur (späthöfische Zeit) kennzeichnend sein könnte.(Auch die größten Minnesang-Handschriften wurden ja als Sammlungen ohne Notenaufzeichnungen für das lesende Auge angelegt).3 Man darf annehmen, dass unter den Zuhörenden im Publikum Zuhörer von unterschiedlicher literarischer Bildung und entsprechender unterschiedlicher Rezeption des Vorgetragenen waren, insbesondere was den Realitäts- und Fiktionalitätsgehalt des Vorgetragenen anlangt.4 Die Texte zeigen einen hohen Variationsgrad an Grundbestandelementen. Die Rollenfiguren, ihre Eigenschaften und ihre Beziehungen untereinander sind im Minnesang entsprechend idealisiert dargeboten. Die Art ihrer literarischen Vergegenwärtigung bedient sich wiederum der Prinzipien der Schematisierung und der Variation. Die Kunst des Minnesängers lag darin, Motive in sich zu variieren, die Abfolge der Motive zu variieren, Motive ineinander zu formulieren. Je mehr Motive mit einer einzigen Formulierung erfasst wurden, desto glänzender war die Kunst des Verfassers. Es mussten jedoch nicht immer alle Motive in jedem Lied ausformuliert werden, sie kommen oft nur in Andeutung vor oder sie fehlen ganz, vor allem wenn einige Motive besonders betont werden wie im Falle der meist verwendeten Liedtypen des klassischen Minnesangs, des Preisliedes oder der Minneklage. Variiert wurden freilich auch die einzelnen inhaltlichen Grund- und Argumentationbausteine, die hier vereinfacht als für die Minnekanzone (hohes Minnelied) geltend erörtert werden. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1.Preis der Minnedame 2.Darlegung der Leistung 3.Lohnforderung 4.Klage wegen Nichterfüllung 5.Reflexion über Gründe der Nichterfüllung 3 Auch die überwiegende Mehrheit der Texte der alttschechischen höfischen Lyrik wurde bereits ohne Notationen niedergeschrieben, die Noten findet man lediglich bei einigen wenigen Liedern der Streuüberlieferung. 4 Vgl. u. A. J.-D.Müller , Strohschneider. 11 6.Reflexion über Konsequenzen – vorwiegend erneute Beteuerung des Weiterdienens (Beteuerungstopos des Weiterdienens) Variiert wurden auch nicht zuletzt die formalen Elemente: die Strophenform und die Melodie. Den damaligen realen sozial-gesellschaftlichen Grundkategorien entnommen und in der spezifischen Form der Minneidee umgesetzt ist die Vorstellung des Dienstes und des Lohnes. Der Dienst des Minnenden, der sich in seinem Frauenpreis, seiner Lebensausrichtung auf die Dame kundtut, kann, muss aber nicht, von der Minnedame akzeptiert, gelohnt werden.5 Der Zeitpunkt der Gewährung wird allerdings von der Minnedame festgelegt („genâde“). Minnesang ist – als eine seiner weiteren Grundcharakteristiken – ein Zeremoniell und ein Ritual im Rahmen höfischer Festlichkeit aufzufassen, als Vollzug im Nacheinander des mündlichen Vortrags.6 Das 13. Jahrhundert – obwohl in vieler Hinsicht die Ideale des Hohen Minneliedes weiter pflegend, bringt auch neue Aspekte. Schweikle sieht das Durchbrechen einer realitätsnäheren Sehweise z. B. in Walthers „frouwe“ – Anklagen (ich engelobe sie niemer alle) oder in den Liedern der „niederen“ Minne. Eine Überdimensionalisierung erfährt dann das Idealbild der Dame in den Neidhartschen „dörperlichen Persiflagen“ des „ höfischen Minnetheaters“ um 1210.7 Die neuen Tendenzen im Minnesang von 1300 bis zum Jahr 1400 lassen sich u. A. mit folgenden Begriffen erfassen: - Das Sammlerinteresse. Die Sammlungen von Minnesang geben die Möglichkeit, die einzelnen Entwicklungsphasen und unterschiedliche Autoren gleichzeitig vor Augen zu führen. (Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen) Die neuen Autoren konnten sich also zum ersten Mal komplex an der Tradition schulen und diese weiterentwickeln. Die Idee der hohen Minne wird jedoch vielfach beibehalten. Der Lohn wurde bekanntlich eingestuft – von dem „gruoz“ der Dame bis zur Unio des Paares. Zum Vollzugscharakter des Minesangs vgl. Kuhn (1969), Ortmann und Ragotzky (1990), J. D. Müller (1996). 7 vgl. Schweikle (1994), S. 27. 5 6 12 - Es entwickeln sich gleichzeitig neue Gattungen, vor allem Gegengesang (gegen die Konventionen der hohen Minne). - Formalismus im Bau und auf der stilistischen Ebene (mehr dazu s. u. dem Teil: Der deutsche Minnesang im 13. und 14. Jahrhundert). - Bei den neuen avancierten Autoren (wie vor allem bei Mönch von Salzburg) ist Minne weitgehend als konfliktfrei dargestellt (Problematisierung erfährt sie nur von der Seite der sog. Kläffer, oder durch die räumliche Trennung des Paares). Damit hängen auch die späteren stilistisch - rhetorischen Tendenzen zusammen: Vorliebe für Farbensymbolik und ihre Auslegung, Spiel mit Namensinitialen der Geliebten und Akzentuierung ihrer körperlichen Schönheit. Eine Neuentwicklung stellt auch die Personalisierung der lyrischen Aussage (im Oeuvre Oswalds von Wolkenstein, Hugos von Montfort- Bregenz) dar.8 Die zunehmende „Entproblematisierung“ der Liebesbeziehung sowie die Tendenz zur Schematisierung im Wortschatz sind auch für einen beträchtlichen Teil der deutschen Liederbuchlieder kennzeichnend. Als weitere Tendenzen sind zu verzeichnen: - Episierung - Didaktisierung - Eine zunehmende Konzentration auf die Liebeserfüllung - Aufsprengen des adeligen Milieus, es kommen auch andere Milieus zur Sprache (Walther, Neidhart und die späteren Autoren) - Es entstehen neue Gattungen (Minnebrief, Neujahrslied). Zur alttschechischen Liebeslieddichtung: Man muss voraussetzen, dass diese Tendenzen auch auf die alttschechische Liebeslieddichtung einen Einfluss ausgeübt haben dürften. Sie wird einerseits mit den neuen Gattungen (wie z. B. Minnebrief, Tanzlied) repräsentiert, gleichzeitig hat sie das Motivgerüst der alten Minneklage und des Preisliedes in ihrer ursprünglichen Bedeutungstragweite in erstaunlicher Komplexität bewahrt. Es stellt sich daher die Frage, woher die Autoren diese klassische Ausprägung von Minneliedern kennen gelernt haben. Sie dürften Sammlungen zur Verfügung gehabt haben, die Altes und Neueres nebeneinander überliefert haben. Aus diesem Blickwinkel ist der vergleichende Ansatz dieser Arbeit, die die Wesensart der 8 Frei nach Brunners grundlegenden Abhandlungen zum Thema des späteren deutschen Liebesliedes um 1400 (1978, 1983). 13 alttschechischen Liebeslieder vor der Folie der traditionellen wie auch jüngeren deutschen weltlichen Liebesliddichtung des Mittelalters zu bestimmen versucht, sicher berechtigt. 14 TEIL I DER DEUTSCHE MINNESANG Die Autoren der Frühguppe: -der von Kürenberg -der Burggraf von Regensburg -der Burggraf von Rietenburg -Meinloh von Sevelingen -Dietmar von Aist -Kaiser Heinrich als ein Autor der Übergangsphase zwischen der frühen ritterlichen Liebeslieddichtung und dem rheinischen Minnesang Analysen der Schlüssellieder 15 Die Frühgruppe 9 Analyse 1 Dietmar von Aist - Lied I -Waz ist für daz trûren guot10 a)Zur Form:11 Ein dreistrophiges Lied. Kombination von Langzeilen und einfachen (Kurz)versen, d.h. eine gemischte Strophenform. Schema: 4 plus 4 ma 4 plus 4 ma 4wb 4wb 2wc - inhaltstragende Aussage - zwei Akzente mit Nachdruck verdeutlicht 4 plus 2wc - auch im letzten Kurzvers inhaltstragende Aussage. Weibliche Kadenzen sind eher nicht klingend zu lesen. Im MFMT liegt eine andere Gliederung vor: vier Langzeilen, Binnenreim in der 3. Langzeile. Es handelt sich um einen erweiterten Wechsel, zwei Strophen sind als ein Zwiegespräch aufgefasst, eine Strophe als Frauenstrophe. Gliederungsmoment: der Paarreim. b) zum Inhalt 1. Strophe (Frauenstrophe): Sie wird eröffnet mit einer Frage nach einem Remedium gegen das trûren (die wehmütige Sehnsucht), die die Dame nach dem geliebten Mann empfindet (V.1). Diese Äußerung der Dame wirkt eher als ein allgemeiner Merksatz, dessen Gültigkeit für die momentane Verfassung der Frau als kein wirkliches Hilfsmittel anzusehen ist. Dieses Remedium, wäre es hilfreich, ist für ihr Innerstes bestimmt (herze), das von der Liebe „bedrängt“ ist (V.2). Im dritten Vers ändert sich die Sprecherperspektive − es spricht der „Erzähler“: die Sprecherin wird mit dem Begriff frouwe schoene näher bezeichnet. Es wird 9 Diese zusammenfassende Benennung dieser Gruppe von Lieddichtern geht auf L.P. Johnson zurück, der diesen Ausdruck in seiner Geschichte der deutschen Literatur (1999), S. 73-92. verwendet. 10 Die Nummerierung der Lieder geht auf die Edition von Schweikle (1993) zurück. 11 Bei der Betrachtung der grundsätzlichen Merkmale der Form der analysierten Lieder gehe ich von Schweikles Kommentarteil in seiner Edition (s.die Anm.10) der Minnelyrik aus. 16 sowohl ihr sozialer Rang (Dame) als auch ihre äußere Vollkommenheit (Schöhnheit, Reiz) hervorgehoben. Das Lied wird fortgesetzt mit erneuter direkter Rede − das Sehnen der Dame könnte beendet werden - sie würde wohl mit dem Mann Kontakt anknüpfen (V. 4). Das Hindernis stellt die Instanz der Aufsicht (huote, V. 5) dar. Der konditional aufgebaute Nebensatz im V. 5 trägt mit seiner schlagenden Kürze (Zweiheber) zur Steigerung der Spannung bei. Am Schluss der Strophe beteuert die Dame erneut ihre Liebe zum Mann − diesmal im gedanklichen Medium (sie vergisst ihn nie in ihren Gedanken). Es herrscht hier Zeilenstil vor, die Grenzen der inhaltlichen Aussage decken sich mit den syntaktischen Einheiten. Eine Ausnahme stellt der elliptische V. 5 dar. Pointe: Die Minne ist noch unerfüllt, die Unmöglichkeit der Erfüllung liegt nicht an ihr, nicht an ihm, sondern an der huote. 2. Strophe: Sie wird eröffnet mit einer Sentenz vom Munde des Mannes: ein Trostmittel für die Dame soll der höchste Maß an ihrer Beständigkeit (Treue - grôziu staete) sein, eine Frau, die dieses Maß an Treue besitzt, sei die beste, die Vollkommenste; der ethische Bezug wird hier mit diesem Ausdruck hergestellt. Adjektivisch, mit dem Wort grôziu wird das Maß der Treue verdeutlichend hervorgehoben (V. 1) Diese Tröstung sieht die Dame in ihrer momentanen mentalen Disponiertheit, die in der vorausgehenden Strophe geschildert wird, als nicht ausreichend an (des enmag ich niht gelouben, 1. Halbvers der 2. Verszeile). Sie begründet ihre Aussage mit der Heftigkeit ihrer Liebesempfindung − ihr Innerstes − Herz − sei nicht erlöst. Sie will damit ausdrücken: Ich bin staete, aber die Beständigkeit bedeutet für mich keine Hilfe. Die eher rational aufgefasste Tröstung (des Mannes?, des Autors als Erzählers?) bedeute keine Linderung für ihre Sehnsucht. Während die Haltung des Mannes eher als eine logische Argumentation aufzufassen ist, präsentiert sich die Frau als völlig von ihrem Minnegefühl überwältigt (V. 3). Diese kleine Szene wird in den Zeile 3 und 4 vom Autor als ein Gespräch zwischen zwei Liebenden arrangiert. Sie stellt einen Perspektivenwechsel von der direkten Rede zum Erzählstil dar. Wichtig ist, dass sich das Gespräch im Moment ihrer Trennung ereignet (es ist möglich, diese Szene als einen Anklang an das Tagelied zu betrachten, der weiter nicht ausgeführt wird). Mit dem Vers 5 ereignet sich ein rasanter Wechsel der eher ruhigen Haltung des Mannes: mit einem schlagartigen, verallgemeinernden Seufzer owê minne! wird die Bedrücktheit seiner Lage zur Sprache gebracht − in der Fortsetzung lesen wir − es wäre das einzig Vernünftige 17 und eine Lösung, ohne die Leid bringende Minne zu existieren, der Minne zu entrinnen. Die Leidkomponente der Minne rückt hier in den Vordergrund. Aber es hilft nicht. Es zeigt sich, dass die rational-ethischen Überlegungen nicht für jemand helfen, der von der Macht der Minne überwältigt wird. Die zwei traditionellen Konzepte der Minne – Minne als eine vervollkommnende Kraft, die zur Erziehung des werbenden Mannes beiträgt, und Minne als eine zerstörerische, überwältigende Macht (ausgeführt vor allem in späterer Zeit bei Morungen) werden hier gegenübergestellt und als sich einander ausschließend präsentiert. Das Einsetzen der formalen Mittel: V. 5 sowie die letzte Halbzeile enthalten bedeutungswichtige Aussagen (owê minne − ...daz waeren sinne), die durch den Reim noch zusätzlich hervorgehoben werden. 3. Strophe (Männerstrophe): Der höfische Mann bezeichnet als Grund seiner mangelnden Nachtruhe, im Kontrast von der allgemeinen Nachtruhe seiner Umgebung, sein Angewiesensein an eine Dame, deren Schönheit (als ein erotischer Grundimpuls) im Vordergrund der Aussage steht ( V. 1 und 2a). Er möchte sich ihr gerne mehr annähern und mit ihr „Minne pflegen“ (der ich gerne waere liep, V.2b). In der Hs. C verzeichnen wir einen in diesem Sinne noch eindeutiger klingenden Satz: daz kumt von einer frouwen schoene, der ich gerne waere bî. − dies ist sein größter Wunsch, zumal sein ganzer Frohsinn durch ihr Gunstzeichen bedingt ist (an der al mîn fröide stât, V. 3). Wegen der huote hat er wohl keine Bestätigung von der Dame, obwohl die Zuhörer wissen, dass Minne bereits beide erfasst hat. Er ist unsicher, ob es ihm gelingt, die Beziehung zu seinen Gunsten zu entwickeln. Auch er, (Textbezug zur Strophe 1, V.1) sehnt sich in einer Frage nach Hilfe: er möchte seine Unruhe los sein, eine Unruhe, die in sich die Pein der Minne trägt als ein gefährdungsvolles und -entfachendes Element: wie sol des iemer werden rât? (V.4) Sein Innerstes ist vollkommen aus dem Gleichgewicht geraten: das wird im hyperbolischen Ausdruck als ein Sterben-Müssen ohne Hilfe der Dame kundgetan (joch waene ich sterben V. 5). Zur Steigerung der Spannung der Aussage trägt wirkungsvoll die durch die Stirnstellung im Satz hervorgehobene Interjektion joch bei. Das inhaltstragende Verb sterben wird durch seine Endstellung ebenfalls akzentuiert; die zwei Hebungen dieses Verses unterstützen die immer wachsende Spannung in rhythmischer Hinsicht (V. 5). Die Rhetorik betont hier nachdrücklich die Aussage: Das jetzige Leid des Mannes äußert sich vor allem darin, dass er 18 nicht weiß, wie lange er in diesem Zustand des trûrens leben muss, wann und ob es zu einer Fortsetzung seiner Minne kommt. Das Lied endet mit einer Reflexion des Mannes, der in Verzweiflung den Schöpfer als höchste Instanz fragt, warum er diesen Schicksalsschlag an ihm zulässt (V. 6). Der letzte Kurzvers trägt den inhaltstragenden Ausdruck kâle (Qual): Die Minne wird als nichts Widergöttliches erfasst. Obwohl der Mann vorhin (Str. II, 6) die Möglichkeit durchspielt, ohne Minne existieren zu können, gesteht er nun, wie stark er von Minne ergriffen ist: ihre Nicht-Fortsetzung empfindet er als eine tödliche Qual. Gerade in dieser Verzweiflung richtet sich seine Frage an Gott, der die Frau doch erschuf! (In Form eines Vorwurfs, weil er, der Mann, auch ein Geschöpf Gottes, unter dem Joch der Minne jetzt nahe dem Sterben /V.5/ ist). Die Macht, über die die schöne Dame verfügt, wird von ihm als ein unabwindbares Geschehen empfunden, er ist ihr in seiner Betroffenheit und Machtlosigkeit völlig ausgeliefert. Es lässt sich eine Entwicklung in der Haltung des Mannes verzeichnen: von der rationalen Nüchternheit am Anfang der 2. Strophe zur höchsten seelischen Betroffenheit in der 3. Strophe. Zusammenfassung: Das Lied, die Minne der Liebenden schildernd, die sie bis in ihren Lebenskern trifft (komplementäre Ausdrücke: sie − herze, er – sterben vor minne), befragt Möglichkeiten, die Minne, die bis jetzt als Leid empfunden wird, als fröide zu erleben: Sie können als folgende „Strategien“ benannt werden: 1. als Beseitigung der huote (Entwurf der Minnedame), 1. Strophe 2. Das Entweichen der Minne (Entwurf des Mannes, beider? Des Erzählers?) 2. Strophe Beides funktioniert nicht. Die Minne, unentrinnbar, wird als eine überwältigende Macht präsentiert; in der letzten Mannesstrophe als eine peinigende Unsicherheit des Mannes, der, unter der unwiderstehlichen Anziehungskraft der Dame leidend, keine baldige Lösung dieses Konflikts sieht. 19 Inhaltliche Texstbezüge: I,2 -II,2 herze, I,3 -II,1-III,2 frouwe schoene − besten frouwen − frouwen schoene, Fragen der Dame und des Mannes in I,1, III,4 und III,6. In der Anfangszeile des Liedes erscheint das Leid erweckende Wort trûren, in der Schlusszeile des Liedes dann kâle als ein Wort ähnlicher Sinngebung in noch gesteigerter Bedeutung. Zur Tradition: Formal: Die Modernität des Liedes besteht gegenüber der frühesten Stufe in der Kombination von Frauenstrophe und Männerstrophen; das Lied ist jedoch noch ohne das später gängige stollige Schema aufgebaut. Inhaltlich: Prägend sind die Motive des trûrens und der huote - Motive, die mit dem Anklang an das Tagelied verbunden sind. Im Lied wird kein Dienst-Gedanke geäußert. Analyse 2 Der Burggraf von Rietenburg - Lied IV, Strophen 1-312 -Sît sich hât verwandelt diu zît a) Zur Form: Stollenstrophe, Vierheber, im Aufgesang Kreuzreim. Der ebenso vierhebige Abgesang besteht aus drei Reimpaarperioden. b)Zum Inhalt: 1. Strophe: Der Natureingang mit dem Verweis auf den Beginn der Frühlingszeit wird als Signal zur allgemeinen (Liebes)freude (V. 1-2). Auch das lyrische Ich möchte sich diesem Prinzip fügen (V. 3-4). Seine seelische Verfassung ist allerdings eine andere (V. 5) - das Ich spricht von Bedrängnis (der Gegensatz zwischen Naturfreude und innerer Qual wird auch durch den Reimwechsel signalisiert). Noch wäre ihm zu helfen (von einer Dame), damit sich sein Gesang wieder erneuert, dessen Erfolglosigkeit und Monothontheit ebenso bedrängend (leider alzelanc, V. 8) wirken. Das Ich möchte seine Gesangart (zu einer positiven Gestimmtheit) ändern; dies ist eine indirekte Aufforderung an die Dame zum Handeln. Die Sehnsucht nach Veränderung des jetzigen Zustandes wird vom Ich in den Versen 9-10 durch eine wunderschöne lyrische Metapher der erfolglosen Minne versinnbildlicht, durch die roten bluomen, die langsam, wie seine Minne, eingehen: ez ist leider alzelanc / daz die bluomen rôt 12 Im MFMT, S.36f. werden die drei Strophen als Einzelstrophen aufgefasst. 20 / begunden lîden nôt.13 Völlig indirekt wird hier dadurch eine Auforderung an die Dame formuliert, ihm von seiner Bedrängnis abzuhelfen. 2. Strophe: In dieser bekannten Strophe erfahren wir vom Munde des Mannes, dass seine Dame (si) ihn auf die Probe stellen möchte. Der Bedeutungsgehalt des Wortes „versuochen“, auf die Probe stellen, besagt uns, was hier vorgeht: Die Dame möchte den Vollkommenheitsgrad der höfischen Eigenschaften des Mannes untersuchen, feststellen, ob er ihrer Gunst tatsächlich würdig sei (V. 1). Dem Mann ist ihre prüfende Haltung willkommen: Als Zeichen ihres Interesses an ihm. Es bedeutet, dass sie einen „Schritt zu ihm“ macht (V. 2). Selbstsicher möchte er seine Tugenden mit dem wertvollsten Element und dem höfischen Attribut zugleich, dem Gold, vergleichen und das nicht nur einmal, sondern, in einer Hyperbel, gleich mehrmals. Er wünscht sich, immer stärkeren Proben ausgesetzt zu werden (und versuochet ez baz,V. 5); seine Tugenden werden dadurch indirekt erneut und überbietend bestätigt: sie werden, durch die bedeutungsähnliche Wortwiederholung verdeutlicht, lûter, schoener unde klâr (V. 7). Gluot (V. 4) wird metaphorisch für die Stärke der Minne verwendet, für den Minneschmerz und die Unerfülltheit der Minne. Das Bild der Glut, so unterrichten uns die Psalmen, wird auch allgemein für die Schmerzhaftigkeit einer Probe verwendet. Das Ergebnis dieser Probe wird qualitativ umso angesehener.14 Dasselbe wird erneut unter variierendem Wortausdruck bestätigt: swaz ich singe, daz ist wâr / gluotes ez iemer mê / ez wurde bezzer vil danne ê. (V. 8 - 10). Das Motiv der Prüfung des Goldes wird, so Schweikle, in der damaligen Literatur insgesamt dreimal belegt, nicht zuletzt in dem provenzalischen Minnesang bei dem Trobador Peirol.15 3. Strophe: Sie stellt eine Minneklage dar. Ein lyrisches Ich erkennt aus dem Verhalten seiner Dame (V. 2) ihren Wunsch, dass er sich von ihr trennen soll. Das ist die Grund- und Ausgangssituation (V. 1-2). Dem Ich ist dies aber unmöglich: diese Unmöglichkeit wird signalisiert mit einer offensichtlich unerfüllbaren Die bluomen rôt – rote Blumen - werden im deutschen Minnesang der Frühphase oft metaphorisch als das Innbegriff der Minne verwendet. 14 Für die anregende Diskussion über diese Metapher danke ich Herrn Prof. em. Dr. Gerhard Hahn. 15 Schweikle (1993), s. 412f. 13 21 Bedingung, die vom Ich gestellt wird: ließe seine Dame ihre Idealität (Zusammenspiel von schoene und güete, V. 3), so wird es sich von ihr abwenden. Die Absurdität dieser Bedingung hebt noch mehr die Absurdität seiner inneren Trennung von der Dame hervor (V. 3-4). Auf allen seinen Reisen − für den Fall, dass er sich tatsächlich „körperlich“ entfernt − bittet er Gott als die höchste Instanz um Vermehrung ihres Ansehens: er als Sänger ist ja jetzt nicht da, um sie zu loben (V. 5-6). Seine Bindung an die Dame wird dadurch nur bestätigt. Diese Bindung empfindet das Ich aber auch als eine Bedrängnis, in die er geraten ist: er kann von der Dame nicht ablassen. Sein Innerstes (herze) als Sitz der Gefühle und der Leidenschaft, hat ihn in diese „Enge“ - des Fortgehen - Müssens und nicht Könnens (nôt) hineingetrieben (V. 7). Er hat keinen freien Willen mehr, sein Schicksal ist mit seiner Dame verbunden. Unter diesen Bedingungen muss sein Dienen immer fortdauern. (V. 7). Die schlagende Kürze des Reims nôt − tôt sticht diese Verstrickung rhetorisch hervor. Die Angst vor der Erfolglosigkeit seines Dienstes (angesichts der Trennung?) sowie vor seiner eigenen Zerstörung ist hyperbolisch mit dem Ausdruck tôt suggestiv dargestellt: auch der Tod wäre ihm lieber als ein missachteter Dienst. Zusammenfassung: Die erste Strophe zeigt vor der Folie des Natureingangs die Leidsituation des Mannes: seinen unerfüllten (Gesang)dienst. In der zweiten Strophe steht die ethische Vervollkommnung des Mannes im Vordergrund. Die dritte Strophe enthält Anklänge an das Konzept der „hohen Minne“: ein „beständiger“ Dienst auch angesichts der Erfolglosigkeit in der Minne. (mîn herze erkôs mir dise nôt. V. 7) Der Mann will sich mit der Vorstellung des erfolglosen Dienens jedoch nicht abfinden, worin ein deutlicher Unterschied zum späteren hohen Minnelied besteht. (V. 8-10). Zur Tradition: Der Ansatz zur stolligen Strophe ist ein deutliches Zeichen der Modernität des Liedes. Der Dienstgedanke ist im Gegensatz zum ersten Lied für dieses Lied konstitutiv. Analyse 3 Meinloh von Sevelingen- Strophen I – II – III - VII – VIII – IX Dô ich dich loben hôrte – Vil schoene und biderbe − Dir enbiutet sînen dienest − Ich lebe stolzeclîche – Ich hân vernommen ein maere − Ich bin holt einer frouwen 22 Meinloh ist der erste Dichter des deutschen Minnesangs, in dessen OEuvre sowohl die Vorstellung der „Fernliebe“, die u. A. aus dem romanischen Konzept „amor de lonh“ hergeleitet wurde, als auch die des Dienstes an einer Dame zu finden sind. Jede Strophe bildet nach Schweikle jeweils „eine in sich abgeschlossene Sinneinheit“. Doch scheinen die Strophen „sich aber zu (letzlich wohl variablen) mehrstrophigen Kleinzyklen zusammenzuschließen, wie schon bei Kürenberg)“. „In der Überlieferung der Handschrift C lassen sich jeweils drei Strophen zu einem solchen Kleinzyklus ordnen. Je zwei Stegstrophen umschließen dabei eine steglose Strophe“.16 Eine solche Gruppierung ist aus formaler Sicht interessant. Strophen I- III: Strophe I: a) zur Form: Stegstrophe, paargereimte Langzeilen, Vers 6 bildet eine Stegzeile. Hebungszahl: Jeweils 3-4 Hebungen Strophenschema: 4 wk? - 3mv 4 w - 4mv 4mv - 3mv 4wk - 4mv 4wk - 4w 4wk 4wk - 4w Die m. E. klingend zu lesenden Kadenzen mögen die bedeutungswichtigen Ausdrücke hervorgehoben haben. b) zum Inhalt: Der Minnende hört bereits von der Ferne her die Dame loben und preisen. Die Liebe, die im Minnenden in Entfernung von der Dame entfacht, ist eines der frühesten Zeugnisse für dieses Motiv in der deutschen höfischen Literatur. Er möchte sie prüfend (welende) und gleichzeitig zu ihr pilgernd (wallende)) kennen lernen.17 Er selbst möchte sich von ihren Tugenden überzeugen (V. 1-2). Vers 3 bringt uns ein neues Motiv: er hat die Dame in ihrer Idealität gesehen, ihr gegenüber betrachtet er sich als ganz unbedeutend, die Dame achtet auf ihn nicht 16 17 Schweikle (1993), S.379. Schweikle (1993), S.381 wählt die Variante mit dem Ausdruck „wallende“. 23 (Klagemotiv). Eine Fortsetzung dieses Gedankens bildet Vers 4 – erst durch die Zuneigung und Beachtung von Seiten der Dame ist der Wert des Mannes vergrößert (Stichwort: getiuret). Auf dieser Stelle wird das Motiv des Dienstes an der Dame eingeführt (phliht). Im Vers 5 werden die Eigenschaften der Dame preisend bestätigt (mit rhetorisch geschickt ausgedrückter „Rücksicht“ auf die anderen Damen: der besten eine). Mit dem formalen Mittel eines Stegs und der klingenden Kadenz wird der Begriff „die Augen“ unterstrichen, die traditionell als ein Mittel der Liebesanbahnung gelten. Es ist auch eine indirekte Herausforderung an die Dame zu einem Gunstzeichen ihrerseits. Der Entscheidungszeitpunkt zu diesem Gunstzeichen ist der Dame überlassen (swen si wellen) – hervorhebend ist hier das steigernde Adverb „vil güetelîchen sehen“ verwendet. Brackert übersetzt hier „sehr freundlich anblicken“, während Schweikle die Wendung „sehr huldvoll ansehen“ wählt. Ich neige eher zu der Lösung von Brackert18, die die Herausforderung zur Minneanknüpfung, zu einer freundlichen Geste der Dame, plastischer ausdrückt. Strophe II: a) zur Form: Jeweils 3-4 Hebungen Strophenschema: 4 dreisilbig w - 4mv 4wk - 4mv 4mv - 4w 4mv - 4w 4w -4w 4wk -4wk 4w - 3mv Die m. E. klingend zu lesenden Kadenzen mögen die bedeutungswichtigen Ausdrücke hervorgehoben haben. b) zum Inhalt: Die Strophe beginnt mit einem komplexen Frauenpreis, in dem sowohl die äußere als auch die innere Vollkommenheit gepriesen wird (vil schoene – biderbe – edel − guot, V. 1). Vers 2 stellt eine nochmalige Bestätigung der Qualitäten der Herrin dar; sie wird verheimlichend als eine frouwen genannt. 18 Brackert, (1999) , S.18f., Schweikle (1993), S. 126f. 24 Im Vers 3 thematisiert der Minnende den Grund seines Preises: Nicht nur, dass er seine Dame lobt, ohne eine Minneerfüllung erreicht zu haben (ob diese erreichbar ist, bleibt dahingestellt), er hat mit ihr nicht einmal gesprochen! Dadurch werden seine lobende Leistung und die unantastbare Idealität der Dame hervorgehoben (V. 3 - 4a und b). Die potentielle Möglichkeit des Entgegenkommens der Dame als einer fröide-Spenderin ist dadurch offen. Die Sehnsüchte des Mannes, als Möglichkeiten eines Gesprächs oder gar des „bîligens“ präzisiert, empfindet der Minnende im V. 3b als saelde − höchstes irdisches Glück. Eng verbunden mit der Zeile 4 ist der Vers 5: Zum Lob der Dame reicht dem Mann der bloße optische Eindruck; schon dieser ist überwältigend und bestätigt ihre vollkommene Erscheinung.(die rehten wârheit). Diese Formulierungen stellen eine weitere Steigerung des Preises dar, die Wörter ougen, wâhrheit können als klingende Kadenzen gelesen werden und tragen somit auch rhythmisch zu dieser Hyperbolisierung des Frauenpreises bei. Der Vers 6 wiederholt abschließend−nochmals preisend − die Eigenschaften der Dame: 1. auf ihr Inneres (edel), 2.Äußeres (schoene) und 3. angenehme, anmutige Erscheinung als Ganzes bezogen (gemeit).19 Strophe III: a) zur Form: Strophenschema: 4w - 4mv 4wk - 4mv 4wk – 4mv 4m - 4mv 4wk – 4w 4wk /Steg/ 4 wk – 4w b)zum Inhalt: Der höfische Dienst an der Herrin ist hier eines der Hauptmotive. Der erste Vers formuliert das Dienstangebot des Ritters, für den die Dame von nun an seine Lebensorientierung bedeutet. Der Mann legt somit seine Leistung dar. Er gibt ihr in den Versen 2−3 zu wissen (durch einen Boten?), dass sich sein Leben grundsätzlich umorientiert hat: Er stellt sich seine 19 Schweikle (1993), S.382: die Ausdrücke im letzten Vers beziehen sich auf Stand, Physis und Psyche der Dame. 25 Zukunft nur im Hinblick auf sie, er will sein Leben mit ihr fest verbinden. In der Hyperbel alliu anderiu wîp wird die Dame indirekt gepriesen – sie bedeutet ihm mehr als alle anderen, mehr noch – ihre Erscheinung vertrieb aus seinen Gedanken alle anderen Damen (Vers 3b). Er bittet die tugendhafte Dame (durch dîne tugende) um Hilfe (rât), aus dieser Verstrickung herauszukommen. Durch die erbetene Reaktion der Dame möchte er von ihr in seiner Sehnsucht beachtet werden, seine Liebessituation erweist sich als eine völlige Entgleisung aus der bisherigen Lebensbahn (...bekêret… beidiu sin unde leben)(V.5 ab). Nur ihretwegen (V. 6) tauscht er sein bisheriges Lebensglück, das hyperbolisierend dargestellt wird (ganze fröide) für ein ebenso hervorhebend stilisiertes Leid der unerhörten Minne ( gar umbe ein trûren, V. 7). Der Dienstgedanke und vor allem die Klage der noch nicht erfüllten Minne bringen uns nahe an die klassische Minneklage. Diese Strophe stellt einen der ersten Belege für die Verknüpfung der Motive „Fernliebe“ − „Dienst“ – „Unerhörtsein“ dar. Offene Frage bleibt, ob hier bereits ein provencalischer Einfluss mitgedacht werden kann. Ich setze fort mit den Interpretationen eines weiteren „Kleinzyklus“, der Strophe VII, VIII, IX. Nach Schweikle stellen diese einen „erweiterten Wechsel“ dar, mit der Strophenanapher „ich“ verknüpft. Zwei Männerstrophen umschließen hier eine Frauenstrophe. Die letzte Strophe stellt einen extatischen Frauenpreis vom Munde des Mannes dar. Strophe VII (Männerstrophe): a) zur Form Die Strophenform: 4w - 3mv 4w -4mv 4wk -3m 4wk-3mv 4w- 4mv 4wk /Steg/ 4w -4mv Das Verb êren wird durch seine Sonderposition als Steg, den es wahrscheinlich klingend zu lesen ist, rhetorisch hervorgehoben. 26 b) zum Inhalt: Der Minnende fühlt sich festgestimmt (stolzeclîche), (V. 1a). Vers 1b bringt eine Bestätigung dieses Gefühls. Gleichzeitig aber erfahren wir, dass seine Minne noch nicht erhört wurde: Er sehnt sich nach seiner Dame. Der Gegensatz Festgestimmtheit − Unsicherheit (unbegründete Hoffnung) ist rhetorisch durch den Gegensatz zwischen den Ausdrücken stolzeclîche – ich trûre (V. 2a) hervorgehoben. Nur die Dame (edeliu frouwe) selbst (V. 3a), die dem Minnenden teuer wie sein eigenes Leben ist (V. 3b), kann diesen Zustand der Unsicherheit in eine neue Qualität wenden: in dieser Wendung hören wir eine indirekte Herausforderung an sie zur Erhörung. Diese Argumentation ist untermauert durch den erneuten Frauenpreis: dafür ist das gewichtige Motiv des Schauens (ougen, V. 4a) gewählt, das die Qualitäten der Dame unmittelbar und obendrein in einer Hyperbel (nie baz) bestätigen (V 4b). Der Preis der Dame ist noch detaillierter ausgeführt, mit dem Akzent auf ihre Makellosigkeit (sie sei „ohne Wandel“),(V. 5ab). Im Vers 6, der schon durch den Steg formal herausgehoben wird, erklingt das alte Motiv der Anpreisung des Augenblicks, in dem der Mann seine Erwählte erblickt: der Tag, an dem er sie sieht, wird gelobt (V. 7). Sehr eindrucksvoll sind hier zwei Motive in den Vordergrund gestellt: Das der Hochgestimmtheit des in ungewisser Hoffnung schwebenden und um die Erhörung bittenden Minnenden und das des Anblickens der Dame. Die Pointe des Liedes: sein neues Lebensziel ist noch nicht erreicht, deshalb ist er „trûrig“; dass er in dieser vollkommenen Dame seine Lebensausrichtung hat, macht ihn über alle anderen hinaus stolz. Wir haben vor Augen das Lied über das Paradox der unerfüllten Minne, deren Erfüllung vollkommen in der Hand der umpriesenen Dame ist. Strophe VIII (Frauenstrophe): a) zur Form: paargereimte Langzeilen, ohne Steg, Strophenform: 4wk- 4mv 4wk-4mv 4wk-4w 4dreisilbig weiblich - 4dreisilbig weiblich 4wk-3mv 4wk(?)- 4mv 27 In den Versen 2a und 3a liegt ein Anklang an den Innenreim vor lande − leide, der als eine formale Hervorhebung der Aussage dienen kann. b) zum Inhalt: Eine höfische Dame erhält Kunde über die Rückkehr ihres Ritters.(V. 1a und 2a). Ihre Festgestimmtheit, die sie während seiner Abwesenheit nicht fühlte, ist nun wiedererwacht (V. 1b). Das kann man als eine Vorausdeutung der Tugendhaftigkeit des Ritters verstehen, über die im Vers 4a (sîne tugende) die Rede ist. Im vorausgehendem Vers 3 wird eindeutig gesagt: Sie muss nicht mehr trauern (trûren, herzen leide – urloup V.2a, 3ab). Der Vers 4 trägt in sich eine Übersetzungsschwierigkeit: das Verb heizent kann entweder „heißen, befehlen“ bedeuten, oder auch „verheißen“. Schweikle übersetzt mit dem zweiten Ausdruck.20 Als eine „Antwort“ auf seine Tugendhaftigkeit möchte die Dame dem Ritter mit ihrer größten Tugend, der staeten minne (V.4b), entgegentreten. Im Vers 5 wird − in kühner erotischer Bildlichkeit - der Wunsch der Dame geäußert, mit dem jungen (kindeschen) Mann in aller Intimität zusammen zu sein (ich gelege mir in wol nâhe,V. 5a) Der Handlungsimpuls geht von ihr aus: Aus freier Entscheidung schenkt sie dem Mann ihre Minne, d.h. sie ist selbst aktiv. Dies ist ein in die frühe Phase des Minnesangs weisendes Charakteristikum dieses Liedes. Vers 6 stellt einen Ausdruck der innigen Freude dar (hervorhebend werden hier die Wendungen sô und wol mich eingesetzt), verbunden mit dem nochmaligen abschließenden Preis seiner Tugenden und seiner Kunst, den Damen zu dienen (V. 7). Der Begriff „Dienst“ funktioniert hier als ein Stichwort, dessen Stellenwert in dieser Phase des Minnesangs in seiner Tragweite erläutert wird. Für die weitere Entwicklung des Minnesangs spielt er eine konstitutive Rolle. Die Strophe VII und VIII weisen inhaltliche Textbezüge auf: Z. B. ist hier ein Konnex durch - das Motiv des „trûrens“( VII,2 und VIII,2 - in seinen Spielarten (als Anfang der noch unerhörten Minne von Seiten des Mannes gegenüber dem Ende des Minnetrauerns von Seiten der Frau) hergestellt, 20 Schweikle (1993), S.385. 28 - das Motiv der Tugendhaftigkeit (VII,4-5 und VIII,4), - das Motiv des Preisens des Augenblicks des Erblickens der Dame (VII,6-7) und der Wiederkehr des Ritters (VIII,6) Die Einordnung der einander entsprechenden Motive in denselben Verszeilen mag auf ein durchkomponiertes Ganzes deuten. Strophe IX (Mannesstrophe, Frauenpreis): a) zur Form Stegstrophe, paargereimte Langzeilen. Strophenschema: 4wk – 3mv 4w - 3mv 4wk – 4mv 4wk - 3mv 4wk - 4mv 4wk /Steg/ 4w – 4mv b) Zum Inhalt: Ein extatisches Liebesbekenntnis eines Mannes zu seiner Minnedame, mit der Hervorhebung des Frauenpreises. Zu den Versen im Einzelnen: Ein Bekenntnis des Minnenden zu seiner Dame, im V.1b folgt eine Vorausdeutung ihrer Tugenden. Das Dienstmotiv (V. 2a), verknüpft mit dem Preis der Schönheit der Dame (V. 2b); als ein Verdeutlichungsmittel ist hier die Wortwiederholung ie baz und ie baz genützt (V. 2b). Diese Figur ist insgesamt drei Mal in den nachfolgenden Versen verwendet, was zur immer deutlicheren Steigerung der Aussage beiträgt. Der Minnende ist von seiner Dame immer mehr fasziniert: sie scheint ihm alle Zeit (V3b) je lieber und je lieber (V. 3a) zu sein, in einer Rückwendung zu ihrem schönen Äußeren ie schoener und ie schoener (V. 4). Die Konstruktion apo koinu (so Schweikle)21 beider Komparativ-Reihungen funktioniert abreviatorisch und dient der Verdichtung und inneren Spannung der Aussage. 21 Schweikle (1993), S.385f. 29 Auch der immer wiederkehrende Rhythmus in diesen drei wortwiederholenden Passagen dient demselben Zweck – als Ausdruck immer wachsender Entzückung des Mannes über die Dame. Das Fazit bringt der Vers 4b, als nochmalige Bestätigung seiner Minne einkomponiert: sie gefällt ihm über alle Maßen. Unmittelbar an diese rhythmisch abgesonderte Passage schließt sich ein ebenso hyperbolisch gestalteter Frauenpreis; eine nochmalige, unübertreffbare Steigerung: sie ist Trägerin aller Ehren, der Inbegriff aller Tugenden (V. 5ab). An dieser Schilderung der Eigenschaften der Dame kann man gut beobachten, mit welchem Nachdruck in der Frühphase des Minnesangs ihre Vollkommenheit umschrieben wurde, nicht zuletzt zum edukatorischen Zweck, ihre zentrale Rolle möglichst treffend zu beschreiben. Nach dieser Hyperbolisierung ist es nichts mehr zum Preis der Dame hinzufügen – die Handlung wendet sich nun zum Mann: Seine Qual der unerhörten Minne steigert sich bis zum höchsten möglichen Moment: einem Liebestod. Es wird jedoch noch überbietender fortgesetzt: wenn er stürbe und nochmals leben würde, würde er nichts anderes machen als wiederum um diese Dame werben (V. 7ab). Dies ist eine letzte Huldigung an die weiblich reizende Dame (wîp), von einem neuen Blickwinkel heraus unternommen. Diese Formulierung ist natürlich auch gleichzeitig Bestätigung seiner staete als ein Argument „pro domo“. Der unwiderstehliche Zwang zum „Minnen“ dieser einzigen Frau wird hier deutlich in den Vordergrund gestellt (sô wurbe ich aber umbe daz wîp.V.7b). Der Minnende ist von ihr völlig fasziniert, er beharrt in seinem Dienst und in seinen extatischen Minneempfindungen. Vom Lohn ist hier kein Wort – das Lied drückt das schwärmerische Liebesgefühl des Mannes aus und ist als eine Huldigung verfasst, die der Dame zu Füßen gelegt wird, mit der Aussicht auf einen möglichen Lohn. Die Strophe zeichnet sich durch Wiederholung positiven Liebesvokabulars in hyperbolischer, überbietender Formulierung aus: geviel – ie baz und ie baz – ie lieber und ie lieber – ie schoener und ie schoener – saelic, die besten tugende, vil wol gevallet si mir. Fazit: Für Lyrik Meinlohs ist kennzeichnend das Motiv der Zeit: der Minnende hat von der Idealität der Dame gehört, bricht auf und sieht sie; ihre Idealität bestätigt sich beim Sehen (Lied I). Dann tritt er in ihren Dienst (Lied VII). Auch in der Fortdauer des Dienstes bestätigt sich ihre Idealität mehr und mehr. Das Lied IX ist bezeichnend für seine Art, über die Minne nachzudenken; seine Darlegung des Frauenpreises liegt in seiner ständigen Steigerung, die für alle wechselnden Zeiten gilt (ob aus der Ferne, ob jetzt, ob in immer fortlaufendem Dienst). In 30 diese Zeitfolge gehört auch das nâhe ligen − auch wenn es noch nicht zu der Minneerfüllung gekommen ist, kann der Mann jederzeit davon überzeugt sein, dass auch das Minneziel das Vollkommene der Dame noch mehr bestätigt. Dieselbe Perspektive nimmt auch die Dame in der Frauenstrophe VIII auf: auch sie hört erst, dass ihr Ritter zurückgekehrt sei. Sie sieht ihn dann und findet auch seine Tugenden bestätigt, deshalb bietet sie ihm staete minne und die Erfüllung. Auch die Frauenstrophe weist in die Zukunft und wirft somit parallel zu den Männerstrophen wechselnde Zeitperspektiven auf. Alle besprochenen Strophen − mit der Ausnahme des Moments der Minneerfüllung in der Frauenstrophe VIII − ebnen in ihren oben besprochenen Details, vor allem im Dienstgedanken, den Weg zum hohen Minnesang. Es ist jedoch auch vorstellbar, dass alle an dieser Stelle behandelten und in ihrer Bedeutung kompakten Strophen auch ohne die Einbindung in den Kleinzyklus für sich bestehen konnten. Analyse 4 - Burggraf von Regensburg – Strophen III –IV: Ich lac den winter eine – Nû heizent si mich mîden Strophe III Ein Wechsel wie die Autoren des MFMT,S.32f. vermuten? Schweikle fasst diese zwei Strophen als zwei selbständige Lieder auf. a) Zur Form: Paargereimte Langzeilen, der Reim ist nicht immer rein. b) Metrum: doppelter Kursus. Strophenschema: 4wk / 3mv 6wk /4mv 4wk /3mv 6wk/4mv22 c) Zum Inhalt: Eine Klage des männlichen Ichs über seine Einsamkeit, deren Wirkung eindrucksvoll mit der winterlichen Traurigkeit verdeutlicht wird – der Begriff „Winter“ steht hier als eine Versinnbildlichung des trûrens (über das Nichterhörtsein) am Anfang der Tradition der sog. „Natureingänge“ (Vers 1a). Der Minnende erwägt (im Konjunktiv) als eine (noch unerfüllte) Möglichkeit, er hätte Trost (Liebeserfüllung) von seiner Minnedame empfangen können. Der Trost (V2a) wird traditionsgemäß in den Zusammenhang mit den Metaphern aus dem 22 Schweikle (1993), S.376. 31 Naturbereich gebracht: den Blumen und der Sommerzeit als Liebeszeit – beides als Sinnbilder für fröide (V. 2ab). Erst im V. 3a wird die mögliche Ursache der unterbrochenen (?) oder gar nicht angeknüpften Beziehung benannt: die merkaere und ihr Hass. Das Innerste des Mannes ist von der unerfüllten Minne tief betroffen (herze − wunt) (V.3b). Mit schlagender Kürze wird in der letzten Langzeile betont, dass es nur in den Kräften der Dame (frouwe) liegt, ihn von seiner Minneverwundung zu „heilen“. In den Vordergrund tritt die „ovidianische“ Vorstellung der Liebe als Krankheit. (V.4ab). Strophe IV: Nach Schweikle ist dieser Text als eine selbständige Frauen − (Trutz)Strophe aufzufassen, die aus Halbzeilen von gleicher Länge besteht.23 a) Zur Form: Das Strophenschema: 4wk / 4m 4wk / 4m 3 w / 3m 5 w / 5m24 b) zum Inhalt: Eine Klage einer Frau, die – von den äußeren Umständen genötigt – ihren Geliebten meiden muss. (V.1ab − Die Pluralform des Verbs „heizent“ deutet auf „merkaere“ oder „die Gesellschaft“ hin). Der Gedanke an ihre früheren Liebesfreuden mit ihm (V.2abff.) – es wird offen über erfüllte Minne gesprochen – beschäftigt sie in Anbetracht der drohenden Trennung umso mehr in ihrem Innersten und wird im V.3a noch verdeutlichend ausgeführt (verholn an sînem arme). Das Gefährdetsein ihrer heimlichen Minne zu ihrem Ritter – ihr Lebenssinn, Lebenserfüllung und höchstes Glück, ruft in ihr nun tiefes Leid hervor (senede wê, V. 3b). Die nachfolgenden Verse verdeutlichen wirkungsvoll ihre schmerzhafte Wahrnehmung des Verzichts auf ihren Liebsten (unsanftez scheiden) (V.4a), derselbe Gedanke wird im letzten Halbvers, aufs Innerste, das Herz, bezogen, noch steigernd bestätigt (daz mac sich mîn herze wol entstên). 23 24 Ebda, S.377. Ebda, S.377. 32 Formal ist hier das bedeutungswichtige Enjambement an der Naht der Halbverse hervorzuheben: mîden − einen ritter...Durch die Hinzufügung der verzweifelten Negation ich enmac wird die innere Erschütterung der Dame wirkungsvoll rhetorisch verdeutlicht. Das Fazit: Angesichts der Situation der drohenden Trennung bekennen sie sich sowohl der Ritter als auch die Dame zu ihrer Minne: er findet sein „Heil“ im Zusammensein mit ihr und auch sie kann die Trennung für die Dauer nicht akzeptieren. Ein Argument für die Zusammengehörigkeit beider Strophen wäre m. E. die erstaunlich aufeinander bezogene motivische Struktur beider Strophen. Ihre Aufstellung belegt die Durchkomponiertheit des ganzen Zwei-Strophen-Gefüges: die Formulierungen in beiden parallel liegenden Langzeilen geben zu einem überwiegendem Teil einen sehr ähnlichen Sinn: III,1a ich lac ...eine (Einsamkeit) + IV, 1a mîden – auch sie soll allein sein III,1b – ein wîp + IV, 1b – einen ritter III, 2a die Dame hätte ihm Freude bringen können, er denkt an die Freude + IV,2b – sie denkt an das Zusammensein mit ihm = d.h. ein Moment höchster Freude III, 3ab merkaere + herze wunt (Leid) + IV,3a das was die merkaere nicht wissen dürfen (verholn) + IV,3b- senede wê (Leid) III,4a die Dame könnte den Mann beglücken, es ist jedoch z. Zt. nicht möglich+IV,4a: dasselbe Moment: die Möglichkeit der Beglückung ist für diesen Moment ausgeschlossen (scheiden) III,4b – niemer gesunt (herze) +IV,4b herze (wol entstên) – dasselbe Schlüsselwort Herz, das betroffen ist. Beide Strophen können darüber hinaus durch das Motiv der äußeren Umgebung – der merkaere (III,3) − heizent (IV,1) aufeinander bezogen werden. Bei so engen motivischen wie auch gedanklichen Bezügen ist an einen Wechsel durchaus zu denken.25 Analyse 5 Dietmar von Aist – Lieder IV − Gedanke die sint ledic frî und XII − Nû ist ez an ein ende komen Lied IV: 25 Die Strophen III und IV mögen gelegentlich als ein Wechsel vorgetragen worden sein, gelegentlich können sie sich wiederum verselbständigt haben, in ähnlicher Weise wie beim Kürenberger. 33 a) zur Form: Ein dreistrophiges Lied; je zwei Kreuzreimperioden und eine Schlussperiode (die entweder als Waisentercine oder eine Kombination eines vierhebigen Verses mit einer Langzeile interpretiert werden kann (Frühform der Stollenstrophe).26 Es ist unentscheidbar, ob alle drei Strophen ein einheitliches Lied bildeten − die Strophe 2. und 3. könnten durch die Anfangsanapher ich verbunden werden. War die erste Strophe erst nachträglich dazugefügt? M.E. können keinerlei Argumente gegen die Homogenität des Liedes, das aus drei Strophen besteht, erhoben werden, weil gerade die Strophe 1 den Leser oder Zuhörer ins Geschehen einführt. In der 3. Strophe besteht in beiden Handschriften die Schlussperiode nur aus einem Reimpaar. In C fehlt der vorletzte reimlose Vers auch in der zweiten Strophe. c) Zum Inhalt:27 Strophe 1: Die ersten Verse beschreiben die Eigenschaft der Liebesgedanken, frei von äußeren Umständen und der tatsächlichen Lebens- und Liebessituation sein zu können (durch die Tautologie im Eingangsvers verdeutlicht: Gedanke die sint ledic frî) (V.1-2). Sehnsucht und Herzensleid (dicke senen) werden von dem Innersten des Ichs ausgesandt, eng verbunden mit den (vielen und intensiven) Gedanken an die geliebte Partnerin. Das denken an die Minne zum Gegenüber ist in einer Leidsituation die einzige innere Freiheit des Ichs, auch dieser Gedanken bemächtigte sich jedoch Trauer. (V.3-4) Als Ursache für diese Trauer wird im V.5 ein rehtiu liebe, eine Minne, die dem Ich ins Innerste, (herze) eingedrungen ist, in deren Zeichen das Ich bereits lange Zeit (jâre) des erfolglosen Werbens verbringt (V.5-7); dieses Leben stellt für ihn aber die einzige Lebensmöglichkeit dar (vgl. V.6). Das weitere Leben im „Getrenntseinmüssen“ von seiner Dame wäre für das Ich unerträglich und würde mit dem schnellen Liebestod enden, wie die V.9-10 mit Nachdruck mit Hilfe der steigernd bedeutungsänlichen Wendungen schildern, die ein bevorstehendes Scheiden als leid bringende Komponente erneut thematisieren (mîn leben niht lange stê/ ich verdirbe in kurzen tagen/ mir tuot ein scheiden alsô wê). Der Augenblick 26 Schweikle (1993), S.398f. Eisbrenner (1995), bringt auf S.146-154 eine treffliche Interpretation dieses Liedes. Er kommt zum Schluss, dass jede Strophe hier einen „Grundmuster leicht abgewandelt wiederholt“. Das Lied habe altertümliche wie auch „moderne“ Züge, erstere am Liedbeginn (ein allgemeingültiger sentenzartiger Erfahrungssatz), „modern“ seien „die Thematisierung der Gedanken, die (...Träger von Sehnsucht und Schmerz sind), die Psychologisierung (Herz-Augen-Gedanken-Kommunnikation), die totale Abhängigkeit des Liebenden, das relative Zurücktreten der äußeren Handlung und vielleicht die szenische Darbietung (mit Seufzen und Tränen?). Eisbrenner (S.154) fragt berechtigt: „Kann diese Mischung Beleg für ein Dichten im Übergang zweier Stilepochen sein?“ 27 34 des Scheidens, im Vers 8 thematisiert, wird im Vers 10b abschließend nochmals (intensivierend) vor Augen geführt. Strophe 2: Eingeleitet durch das Motiv des Seufzens (vor Liebestrauer und auch aktuell wegen Trennung) als einer Reaktion auf sein jetziges „Getrenntsein“ von seiner Dame. Die Bedrücktheit der Trennung wird weiter ausgeführt: durch ein pars-pro-toto-Metapher des Auges, das die Erwählte nicht erblicken kann. Sein Innerstes (herze) ist deswegen betrübt (leidiu maere), V.1-4. Es folgt ein Preis der Tugenden der Minneherrin, von den vornehmsten Angehörigen der Gesellschaft bestätigt (V.5-6). Wegen Gefahr des Verratens seiner Gesinnung wagt der Mann nicht, die Minnedame aufzusuchen: in Abgeschiedenheit von ihr leidet er in seinem Herzen (V.7-8). Als eine nochmalige Sehnsuchtssteigerung verstehe ich den nachfolgenden Vers 9 – wie senelîche si mich lie. Die Pein der Minne wird tatsächlich noch intensiviert: Die Minnedame hat sein Herz völlig eingenommen (V.10a); als Unterstreichung des Minnegefühls und Steigerung des Lobes der Dame fügt das Ich im Schlussvers 10b hinzu: es passierte ihm bisher (von irgendwelcher anderer Frau) nie. Nur seine Dame verfügt über diese Macht, welcher er hilflos ausgeliefert ist. Die enge Verbindung der Motive in beiden Halbversen 10 a und 10 b trägt zur inneren Spannung und Steigerung der Aussage bei. Strophe 3: Sie knüpft eng auf den letzten Halbvers der vorausgehenden Strophe an: Der Minnende gibt zu, ein herzeliep28 unter vielen Damen vergeblich gesucht zu haben (V.1-2). Diese Konstatierung ist ein Vorspiel für die zentrale Argumentation dieser Strophe: alle bisher erlebten Liebes- und Herzensfreuden seien nichts im Vergleich zu dieser Liebe (der Autor bedient sich einer suggestiven Darstellung: Die vorher erlebten Freuden seien gegenüber dieser Minneempfindung nur ein krankiu stunde, V.3-4). Gerade deshalb nimmt seine Argumentation an Intensität zu − wenn er jetzt bei dieser Dame, in diesem Gemütszustand, der ohnegleichen ist, ohne Minneerfolg bleibt (V. 5-6), schwindet alle seine Freude dahin (V.7) was auch an dem leidvollen Blick seiner Augen als „Seelenspiegels“ zu erkennen sein wird. Der leiderfüllte Blick (aus dem alten Motivkreis der Der Verweis auf „herzeliep“ könnte ein inovatorischer Schritt Dietmars sein, der in das klassische Repertoire und sogar bis zum Walther weisen würde. 28 35 Augen als Liebesboten und des Spiegels der inneren Verfassung) ist die letzte punktuelle Verdeutlichung seines Argumentationsganges (V.8). Die Strophe endet mit dem erneuten allgemeinen Frauenpreis, die Dame als solche sei das höchste Maß aller weltlichen Freuden (V.9-10a). Damit, auf seine Erwählte bezogen und mit erneuter Liebesbeteuerung an bedeutungswichtiger Stelle des Liedes (V.10b) verknüpft, wird das Lied abgeschlossen. Das Fazit: Vor dem Hintergrund der Exklusivität dieser Liebe, die vor allen anderen Bindungen hervorgehoben wird, widmet sich das Lied dem zentralen Problem: dem langen „Nichterhörtwerden“. Neu sind in diesem Lied: Das Motiv der „Freiheit des Denkens“ – hier am Beispiel der Liebesgedanken dargestellt, die verborgen vor der Gesellschaft, völlig der Trauer einerseits und dem Hoffen auf eine Zuneigung der Dame andererseits eingeweiht sind. Die Grundhaltung des Minnenden ist bereits die des „fin amor“ − „Pein der Minne“. Dies bestätigen auch seine Sprechhaltung sowie die Zurschaustellung des wîbes als des bewunderungswürdigen, selbst unaktiven Objekts. Interessant gestaltet ist auch der Frauenpreis: die Beziehung des Mannes zu der Dame ist allen seinen Frauenbeziehungen übergeordnet. Alle diese Elemente, samt der verzweifelten Lohnforderung des Mannes am Schluss des Liedes (V.5-8) weisen klar die Richtung dieses Liedes zur „hohen Minne“. Dieses Lied ist das modernste im Dietmars OEuvre. Lied XII: Ein dreistrophiges Lied (zwei Männerstrophen, in der Mitte eine Frauenstrophe), in der Reihenfolge der Strophen folge ich Schweikle, auch wenn die Strophen natürlich eine Freiheit besitzen, sodass auch eine andere Reihung möglich ist.29 a) zur Form: Paarreimstrophe aus Langzeilen und Vierhebern. Älterster Refrain der mittelhochdeutschen Lyrik, gebildet durch die Interjektion: sô hô owî − O helles Weh! (Wehrli)30 29 Bei Wehrli, Deutsche Lyrik des Mittelalters, S.66-68, erscheinen die Strophen in umgekehrter Reihenfolge, als 3,2,1. 30 Wehrli, S. 67. Schweikle (1993), verweist auf S. 403 auf diesen Übersetzungsvorschlag Wehrlis. 36 Die Hervorhebung der Kernaussagen findet mittels der Kurzverse – Vierheber statt; die V.3-4 jeder Strophe sind auch rhythmisch durch ihre Kürze von den Langzeilen abgehoben. Der Rhythmisierung bedient sich der Autor auch im refrainartigen Schlussteil jeder Strophe. b) Zum Inhalt 1. Strophe: Der Minnende freut sich über das Ergebnis seiner Bestrebungen (ringen) um die Zuneigung einer edeliu frouwe (V.1-2). Er nimmt dabei eine untergeordnete Position ein, die mittels eines Vergleichs unterstrichen ist: die Dame sei ein „Steuermann“, er das „Schiff, das sie steuert“. Der Begriff „Steuerung“ wird noch eingehender erläutert – am Meer, das sich still gelegt hat (nach anfänglicher Unbesonnenheit des Mannes) fährt das Schiff seines Lebens nun völlig friedlich. – Das Bild des wogenden Meeres als Versinnbildlichung der unruhigen Welt ist sehr aussagekräftig: es weist wohl auf das frühere „ungeordnete“ Leben des Mannes hin (dieses Bild ist darüber hinaus bereits seit der frühmittelhochdeutschen Zeit im Motivrepertoire der Lyrik fest verankert, w. z.B. bereits im Ezzolied, Absatz 33). Sein Leben verläuft nun in geordneten, ruhigen Bahnen, nur eine ferne Erinnerung, verkörpert durch den lebendigen Refrain, mahnt ihn an seine frühere Unruhe (V.3-6). Durch die Dame ist er jetzt geläutert und begeht keine „wilde“ Tat mehr. Der Weg zur Vervollkommnung ist angebahnt. Der pluralische Ausdruck „benement“ im V.6 mag allgemein auf die Gesellschaft der Damen hindeuten.31 2.Strophe (Frauenstrophe): Sie beginnt mit einem Preis der Tugenden eines ritters guot als Inbegriffs des vollkommenen Ritters, das ein Parallelbild zu der Vollkommenheit der edeliu frouwe aus I, 2 aufzufassen ist. Sie ist von dem Ritter ergriffen – das äußert sich im hyperbolischen Ausdruck âne mâze (V.2a); auch sie möchte ihm mit ihrer Qualität des staeten muotes entgegenkommen (V.2b). Ihre Beständigkeit wird noch breiter thematisiert: sie denkt an ihn sehr intensiv, kann ihn nicht vergessen (V. 3-4). Seinetwegen verzichtet sie auf ihre ganze höfische Umgebung (andere Männer) - ein Zeichen völliger Hingabe. (V.5) 31 So Schweikle (1993). Eisbrenner (1995), S.186, der den inneren Zusammenhang aller drei Strophen abermals betont, bringt bezüglich dieser Stelle einen anderen, m. E. auch plausiblen Interpretationsvorschlag: „die Dame und das Herz berauben das Ich seiner Freiheit. Dame und Herz sind das Pluralobjekt. Das Herz will die zwanghafte Minnebeziehung, und die Dame übt den Zwang aus. Sie arbeiten zusammen und gegen das Ich...“ 37 Nach dem hervorhebenden Refrain erklingt auch vom Munde der Frau der Begriff des Frauendienstes – der Ritter hat sich ihre Zuneigung durch seinen Dienst „verdient“ (V.6). Dies ist am inhaltstragenden Ende der Strophe rhetorisch hervorgehoben (schône – gedienet). Strophe 3 (wieder Männerstrophe): Sie ist ein Ausdruck der Erschütterung des Minnenden – sein Inneres trauert, weil ihm seine edeliu frouwe (Textbezug zu I, 2) tiefes Leid (alsộ vil ze leide) zufügt (V.1-2). Interessant ist weiter auch die Möglichkeit der Übersetzung des Ausdrucks fruot (V.1) mit dem Wort „vernünftig“.32 Heißt es, der Ritter könnte, ungetröstet von der Frau, wieder der Unbesonnenheit seiner früheren Lebensweise verfallen? In den bedeutungswichtigen Kurzversen 3-4 wird als Argument für eine Erhörung der lange, intensive Dienst nach dem Willen der Frau angeführt. Im Gegensatz dazu wird ihre momentane Missgunst angeprangert (V.5). Nach dem Refrain – an wichtigster Stelle des Liedes − wird eine indirekte Frage an die Dame gestellt: Wie lange werde ich ihr noch gleichgültig, unvertraut sein? − Eine gewandte rhetorische Verschmelzung der Klage und einer Lohnforderung in Eins. Fazit: Die Form des Wechsels ist hier wirkungsvoll eingesetzt, sie erzeugt Spannung. Die rhythmisierende Abwechslung zwischen den Lang- und Kurzzeilen beschwichtigt das Tempo des Liedes. Die Konstellation des Liedes ist eine völlig andere als die der frühen Liebesdichtung. Das Lied stellt eine „enttäuschte Bilanz“ der Bestrebungen des Mannes um die Gunst seiner Dame dar. Ihr Verhalten, bei aller Faszination von dem Ritter, entweicht nicht der höfischen Verhaltensnorm, sie ist ihrer êre bedächtig. Der Begriff des Dienstes in der 2. und 3. Strophe weist bereits auch in die „klassische Auffassung“ des Minneliedes. Analyse 6 Kaiser Heinrich − Lied I− Ich grüeze mit gesange die süezen 32 Schweikle, (1993), S. 153. 38 a) Zur Form: Stollenstrophe mit Dreireim − Abgesang. Es ist ein deutlicher Ansatz zum daktylischen Rhythmus zu verzeichnen, der jedoch nicht durchgehend das ganze Metrum prägt (z.B. I,2). Schweikle spricht in dieser Hinsicht von „Versen mit gelegentlichen Senkungsspaltungen“ (Doppelsenkungen). Das „freiere rhythmische Gefühl“ verrät weiter auch der unregelmäßige Kadenzwechsel zwischen weiblichem Reimschluss (in den ersten Verszeilen der Strophen 1, 3 und 4, in der Strophe II ist die Kadenz männlich − undertân). Die Schlussreime sind in der 1. und der 2. Strophe ein- bzw. zweisilbig männlich (mir grabe), in der 3. und 4. Strophe weiblich (krône - banne). Die Verse sind insgesamt vierhebig, der vorletzte Vers ist fünfhebig. 33 Geschichtlicher Zusammenhang: Ob für das Lied Anlässe im persönlichen Leben Heinrichs zu finden sind, ist unklar. Seine Schwertleite 1184 (Mainzer Hoffest) und seine Verlobung mit der normannischen Prinzessin Konstanze mögen Anstöße für die Verfassung dieses Liedes gebracht haben. Die Bezeichnung Heinrichs als „Kaiser“ im Titel seiner Sammlung „kann auf eine spätere Abschrift oder eine Korrektur zurückgehen“.34 b) zum Inhalt: Das Leitmotiv des Liedes ist die Darstellung der Macht, die die Strophen II,1, III,7 und IV,3 durchzieht, in den zwei letztgenannten in der Metapher der krône als eines Machtzeichens verbildlicht. Dieses Motiv − als Inbegriff des höchsten Maßes für den weltlichen Erfolg − wird messend in die Beziehung gesetzt und reizvoll mit dem Begriff der Minne als höchstem Maß weltlicher fröide (IV,6) und des besten trôstes (IV,7) bemessen; das Ergebnis dieses Vergleichs spricht eindeutig für die Minne. Vor allem in der IV. Strophe als Schlussstrophe wird diese Vorstellung bestätigend manifestiert. Zu den Strophen im Einzelnen: Strophe 1: Die Handlung beginnt in Abwesenheit der gepriesenen Dame (ihre Anmut wird mit der Bezeichnung die süezen verdeutlicht). Der Mann möchte − in räumlicher Entfernung von der Dame − sie mit seinem Gesang grüezen, indem er ihr in einem Zug seine uneingeschränkte 33 34 nach Schweikle (1993), S.508. Ebda, S.507. 39 Verbundenheit bekennt:Dies tut er mittels einer reizvollen Bedeutungsschattierung zweier Modalverben − weder „will“ (als Ausdruck seines eigenen Willens) noch „kann“ er (als Ausdruck der überwältigenden Kraft der Minne, die ihn „unterjocht“) von ihr lassen. (V.1-2) Seinen Gruß gestaltet er als Gesang in der Hoffnung, dass ihr diese seine Tat vermittelt wird, weil er sie schon „einige Tage“ nicht mündlich grüßen konnte, d.h. er ist von ihr getrennt (V.3-4). Die Vermittlung kann sogar durch den Vortrag des Liedes von einem anderen (Berufssänger- oder sogar Sängerin? oder „jedermann“?) stattfinden (ein Hinweis auf die damalige Realität des gesanglichen Liedvortrags?) (V.5 und 7). Im dazwischenliegendenV.6 wird eine erneute Klage über die Abwesenheit der Minnedame geäußert, mit dem Akzent auf den Schmerz, den dieser Zustand dem Minnenden bereitet (gar unsenfteclîch). Das Motiv des aus der Ferne mit einem Lied grüßenden Dichters begegnen wir, so Schweikle, auch bei Hausen, Morungen, Neidhart. Kaiser Heinrich steht jedoch am Anfang dieser Tradition im deutschen Minnesang. Strophe 2: Der Macht- und Gewalt- Topos vom V.1 (im Detail − diu rîch und diu lant) wird in den kausalen Zusammenhang mit dem persönlichen Sich-Befinden des Minnenden gebracht: seine Macht und Stellung in der Welt empfindet er nur in Anwesenheit der Minnedame; ohne ihre Nähe und Gunst fühlt er sich trotz seiner herrscherlichen Majestät machtlos und arm. Die Herrschaft wird ausgeführt in zweierlei Bereiche: mîn gewalt und mîn richtuom. Der Gegensatz „reich“ und „arm“ wird suggestiv dargestellt in den Versen 4 und 5: Die habe des Mächtigsten unter den Mächtigen bleibt lediglich der sehnsüchtige Kummer (ein Oxymoron Spiel). Das Abwechseln dieser zweier Lebens- und Liebessituationen, des Glücksgefühls und seines plötzlichen Verschwindens - wird durch das Bild der Fortuna-Leiter oder -Rades evoziert, durch die Verbildlichung des Auf- und Absteigens. Den Hauptgedanken dieses Bildes sehe ich im Schlussvers 7 − es ist die Minne und die Gunst der Dame, die die schwankende Bewegung in ihren Gang setzt und die daraus resultierende ständige Ungewissheit des Mannes, was auf ihn in dieser Hinsicht zukommt: Dieser wechsel wird dadurch suggestiv vor die Augen geführt. Wird das ûf und ouch abe − sein Minneschicksal − lebenslang anhalten? Dieses leid bringende Moment wird gleich in der nachfolgenden Strophe noch näher thematisiert, unter dem Stichwort klage (3,4). 40 Strophe 3: Die Strophe beginnt mit einem Topos der Minnebeteuerung. Stichworte und inhaltstragende Ausdrücke sind vor allem: gar herzeclîchen minne (V.1), âne wenken zallen zîten (V.2). Minne wird vom Minnenden für immer beschworen, sie bemächtigte sich sowohl seines Innersten (herze) als auch aller seiner Gedanken (sinne) (V.3). Seine „Klage“ bezieht sich auf seine Unsicherheit: Wie und inwieweit wird er belohnt? Die Dichotomie des Dienstes und des Lohnes wird hier zuspitzend hervorgehoben, die Spannung im V.6 mit einem Satz gelockertzugunsten einer positiven Entwicklung: Ein Entgegenkommen ist da. Im Vers 7 kehrt der Minnende zur Metapher der Krone zurück: ein Verzicht auf die (bevorstehende) Liebesfreude wäre schmerzvoller als auf die Macht und Reichtum (beides im Symbol der Krone enthalten). Mit anderen Worten: Er bezieht sein Selbstverständnis daraus, dass er herrscht. Das Selbstwertgefühl, das die Minne gibt, ist jedoch höher als das eines Herrschers. Das Motiv des über alle Mächtigen der Welt erhöhten Selbstverständnisses durch die Minne bringt u.A. in deutlicher Ausformung auch das alttschechische Lied Ach toť těžkú žalost jmám (Ach, ich erfahre ein schweres Leid): „Mein Hochgefühl würde sich über alle Könige erheben / und dein Ansehen preisen... (Str.2, 6-8) Strophe 4: Sie setzt mit dem Bild der Krone fort. Auch ohne die weltliche Gewalt und Reichtum könnte der Minnende angenehm leben, nicht dagegen ohne die Geliebte. Auf die verdeutlichende Frage, was wäre, wenn er sie verlöre, antwortet er in den Versen 6-7, die als Schlussverse des ganzen Liedes auch seine einzig mögliche Lebens- und Existenzvorstellung definieren: ohne die Geliebte könnte er nicht seinen freudigen Lebenssinn in die höfische Gesellschaft (hier als wîbe und man verbildlicht) bringen können und das, was er von der Minnedame empfängt, sein bester trôst , wäre dahin, mit dem Rechtstermin in „Acht und Bann“ getan. Zusammenfassung: Schweikle schreibt über „keinen kunstmäßig ausgefeilten Eindruck“, den die Lieder Kaiser Heinrichs machen, über „in gutem Sinne dilettantische Versuche auf vorgegebenen Bahnen“. Nur das Motiv der Macht sei originell.35 Die Wendungen wie z. B.wan senden kumber, den zele ich mir danne ze habe, waer mîn bester trôst beide ze âhte und ze banne wären jedoch 35 Ebda, S. 507. 41 m.E. als rhetorisch und motivisch interessant zu bewerten. Darüber hinaus ist das Lied nicht ohne rhetorische Raffinessen komponiert: es enthält verdeutlichende Adjektiva (zallen zîten), Substantiva (diu rîch und diu lant), Verba (wil noch enmac), Adverbien (unsenfteclîch). Diese detailhaft ausgearbeitete Rhetorik zeugt wenig von „Dilettantenpoesie“. Die Minne beschreibt Kaiser Heinrich ständig in Kategorien von Herrschaft und Machtbesitz. Wie Wapnewski hinzufügt, liegt dem Lied das spannende Moment eines als ein Herrscher auftretenden und die Herrschaftskategorien provokativ „einsetzenden“ Minnenden, der ein tatsächlicher Herrscher ist, inne. Gerade diese einmalige Kombination macht den besonderen Reiz des Liedes aus.36 Auch von der formalen Sicht verzeichnen wir in diesem Lied im Hinblick auf die Autoren der Frühgruppe ein Beispiel der innovatorischen, fortgeschritteneren Stollenstrophe. Analyse 7 - Kaiser Heinrich- Lied II- Wol hôher danne rîche a) zur Form Kurzzeilen. Die Strophenform bildet ein doppelter Kreuzreimkursus. Die Versfüllung ist frei. Eine wichtige und nicht nur gliedernde Rolle spielt hier der regelmäßige Wechsel der Kadenzen: V. 1 und 3 - klingende Kadenz V. 2 und 4 - einsilbig männlich volle Kadenz V. 5 und 7 - dreisilbige weibliche Kadenz (in der 2. Strophe klingende Kadenzen) V. 6 und 8 - einsilbig männlich volle Kadenz Die einsilbigen Kadenzen helfen m.E. die bedeutungswichtigen Ausdrücke hervorzuheben, auch wenn diese Behauptung mit einer gewissen Vorsichtigkeit vertreten werden muss. Typologisch handelt es sich um einen Wechsel, eine altertümliche, von der Tradition des frühen Minnesangs hergeleitete Form. Sein Inhalt ist dagegen in vielen Aspekten neu. Beide Lieder schildern das Minnegeschehen aus einer unterschiedlichen Perspektive: während das Lied I die „modernere“ monologische Sprechart des Minnenden mit den ebenso „klassischen“ Aspekten der Minne aus der Ferne kombiniertund unter dem Motto einer 36 Wapnewski (1975), Kaiserlied und Kaisertopos , S.47-64. 42 klassisch ausgeführten ungewissen Hoffnung auf Liebeserhörung von Seiten der alles beherrschenden Dame thematisiert, vertritt dass Lied II als Wechsel eine andere Perspektive. Das Hauptmoment − die Beglückungsbereitschaft der in der zweiten Strophe über dieses Thema selbst sprechenden Minnedame − geht wohl mehr aus einer frühen „heimischen(?)“ (vorklassischen) Liedtradition hervor. Man sieht, dass in der Abfassungszeit der Lieder diese Texte von vielen, sowohl alten als auch neueren Einflüssen gleichzeitig gekennzeichnet wurden. Das Kaisermotiv, verbunden wie im Lied II mit dem Gefühl des „hôhen muotes“ in demselben Sinne − dieses Hochgefühl sei also mehr als alle Macht und Gewalt der Welt − ist auch in der alttschechischen Literatur in dem bereits oben erwähnten Lied Ach toť těžkú žalost jmám (Ach, ich erfahre ein schweres Leid) in Breite ausgeführt, allerdings nicht in der einmaligen Kombination − ein Herrscher singe über seine Herrschaft, sondern in einer (geläufigeren) Wunschvorstellung: Str.II Byť mi ráčila přieti, chtěl bych za to, smutný, vzieti ani jmieti ciesařstvie na tom světě. 5 Já svú myslcí namále sáhl bych nade vše krále, tvú čest chvále, žeť nikdiež kraššie nenie. Dóstojnať jest chválenie 10 nade všě panny, panie. Věru nehanba za ni, za tak přěkrásnú paní. (Wenn sie mir ihre Gunst schenken würde, würde ich, Trauriger dafür kein Kaiserreich der Welt weder gewinnen noch besitzen wollen. Mein Hochgefühl würde sich über alle Könige erheben, und dein Ansehen preisen. Nirgendwo lebt eine schönere Herrin. Sie ist allen Lobes würdig 43 10 vor allen Jungfrauen und Frauen. Wahrhaftig, makellos ist sie, diese wunderschöne Herrin. Übersetzung Sylvie Stanovská) Motivisch berührt sich diese Strophe eher mit dem Lied II Kaiser Heinrichs; Lied I bringt das Kaiser-Motiv in einer gewollten Verengung: Immer nur wenn der Minnende bei der Minnedame ist, sei er − neben seiner Froh- und Hochgesinntheit − reich und mächtig. b) Zum Inhalt − die Strophen im Einzelnen: 1. Strophe (Mannesstrophe): Das Motiv der Hochgestimmtheit ist hier in einer Hyperbel verdeutlicht: wenn die Geliebte (bezeichnet mit dem Ausdruck für die Vollkommene und das „summum bonum“ − diu guote) zusammen mit dem Minnenden ist und ihm ihre Minne schenkt (sie bei ihm lît), so fühlt er sich „am mächtigsten“, sinng. am meisten hochgestimmt und in seinem herrscherlichen Selbstverständnis bestätigt. (V.1-4). Das Entgegenkommen der Frau wird noch mit dem Adjektiv güetlîche im V.3 verdeutlicht. Es wird mit dem Lob ihrer Tugenden, also ihrer Vollkommenheit, fortgesetzt. Der Minnende ist also nicht etwa bloß durch die sexuelle Erfüllung beglückt geworden, sondern sein Leid der Nichterhörung (trûren) wurde eben durch ihre Vollkommenheit beglichen. Die schlagende Kadenz leides frî bestätigt auf der rhetorischen Ebene seine freudige Gesinnung (V.6). Das bringt ihm ein viel tieferes Hochgefühl als auf reine Sexualität bezogene körperliche Lust. Damit ist auch einer der Grundbestände der Minnevorstellung thematisiert; so auch früher in Ansätzen beim Kürenberger („Wîp unde vederspil“) und bei Dietmar (XI, IV oder XV, 1).37 Der Topos der immer und seit je gepflegter Minne (V.7) sowie der Treuebeschwörung (staetez herze - eine der Grundtugenden im V.8) beschließen die Strophe. 38 Strophe 2 (Frauenstrophe): Schon seit dem ersten Vers ist ersichtlich, dass die Minne zu einem edlen Ritter für die Dame eine Lebensausrichtung, ihren Lebenssinn darstellt (V-1-2). Ihre Beziehung wurde erfolgreich angeknüpft (wolgemuot, V.4). Auf die Szene treten als Repräsentantenfiguren der höfischen Gesellschaft andere Frauen, die sich gegenüber der Minnedame als neidisch erweisen 37 Schweikle (1993), S. 151f. bzw.155. Der Ausdruck „ir jugende“ im Vers 7 sorgte für viele Übersetzungsprobleme: Schweikle schlägt „die Jugendschöne“ als Preis der Jugend der Dame vor, Brackert übersetzt: „seit ihrer Jugend“. Beides ist grundsätzlich möglich. 38 44 (Schlüsselwörter nîdent, habent des haz, V. 5-6 − eine andere Möglichkeit der Übersetzung wäre : die Dame hasse ihre Konkurrentinnen für ihr Verhalten). Sie möchten den Geliebten, der unter den Regeln der Minne verschwiegen bleibt, erblicken, der Minnedame ze leide (V. 7). Die Strophe wird mit einer offenen Liebeserklärung der Dame beschlossen: alle Tugenden des Ritters werden hier hervorgehoben, verdeutlicht mit der Konstruktion nie nieman und dem schlagenden Reim haz − baz (V.6 und 8). Inhaltliche Textbezüge zwischen beiden Strophen: Staetez herze(1. Strophe) − lîp gewendet (2.Strophe) tugende (auf die Dame bezogen - 1. Strophe) − ritter guot (2. Strophe) leides frî (1. Strophe - auf den Ritter bezogen) − wolgemuot (auf die Dame bezogen - 2. Strophe) Fazit: Die Durchkomponiertheit des Liedes bezeugt eine kompositorische Meisterschaft des Dichters. Einige Grundvorstellungen der „hôhen minne“ sickern hier deutlich durch, mit der Freude der Minneerfüllung kombiniert. Diese Verbindung ist im deutschen Minnesang eigenartig und hat natürlich ihre Wurzeln in der frühen ritterlichen Liebesdichtung. Der hier verwendete, für die Minneideologie schwerwiegende Begriff ritter guot ist bereits beim Kürenberger zu finden. Altertümliche formale Mittel (Kadenzenwechsel, doppelter Kreuzreimkursus, Wechsel, werden mit neuem Inhalt der Grundvorstellungen über die „hohe Minne“ erfüllt (summum bonum, Tugenden beider Minnepartner, Grundtugend der Beständigkeit). Analyse 8 − Kaiser Heinrich − Lied III − Rîtest du nû hinnen a) zur Form: Eine Kreuzreimperiode und eine Periode mit umschließendem Reim, dazwischen eine Waisenzeile (V.5). Dreiheber mit abschließendem Vierheber. Freie Versfüllung.39 Der Wechsel der Kadenzen zwischen männlich voll und zweisilbig weiblich ist m. E. auch als ein Ausdrucksmittel für Hervorhebung der bedeutungswichtigen Aussagen anzusehen (der aller liebste man, sô verliuse ich mînen lîp).40 39 40 Schweikle (1993), S.510. auch Irler (2001) ist bei seinen Analysen der frühen ritterlichen Dichtung ähnlicher Meinung. 45 Schweikle fasst dieses Lied als ein Tageliedwechsel auf − Beschreibung der Liebenden am Morgen. Möglich ist es auch, an ein Frauenlied zu denken. Beide Gattungen sind altertümlich. b) Zum Inhalt Strophe 1: Monolog der Frau. Sie äußert ihre seelische Betroffenheit über das Fortreiten(müssen) des geliebten Mannes ( der aller liebste man, V.2); seine Vortrefflichkeit wird durch eine Hyperbel hervorgehoben: einen solchen gewan ie dehein frouwe nie (V.4). Die Minnedame beschwört ihren Geliebten, möglichst bald wiederzukommen (schiere, V.5); beim Unterlassen dieser ihrer Bedingung droht sie mit dem Lebensverlust bzw. Liebestod (V.6). Ihr ganzes Leben richtet sich auf die Minnebeziehung - sie ist ihre Lebenserfüllung - ihr bedingungsloses Ausgeliefertsein an die Minne empfindet sie als höchste Beglückung. Dieser Gedankenkonstrukt wird kühn fortgesetzt: Dieses Minneleben und kein anderes ist für sie so wert, dass, wenn sie ums Leben käme, würde auch die höchste Instanz − Gott − nicht imstande, sie mit etwas vergleichbarem zu entschädigen(V.7-9). Bemerkenswert ist hier die Wortwahl: in al den welten - diese Wendung umfasst Diesseits und Jenseits, ihr irdisches Glück ist als das höchste auch dem himmlischen Paradies überordnet. Auch diese Vorstellung ist sehr kühn. Selbst Gott könnte ihr das Leben mit dem Geliebten nicht ersetzten. Erst in der abschließenden Zeile wird die Sprecherin als die minneclîche - (liebenswerte, reizende) bezeichnet. Die Strophe führt uns das irdische Liebesglück im höchsten Maße vor Augen, auf eine provokatorische Art dargestellt. Der Mann ist das höchste unersetzbare Glück der Dame: das wird deutlich gerade im Augenblick des Abschieds. Strophe 2. Sie stellt eine Danksagung des Ritters an die Dame für die genossene Zuneigung dar. Die Strophe beginnt mit der Formel wol dir (einer der ersten Gebräuche dieser Formel im deutschen Minnesang). Der Begriff geselle guote im V.1, männlich wie weiblich ansetzbar (es ist darunter die Dame zu sehen), bezeichnet bereits die Summa der Tugenden der Dame. Aus dem zweiten Vers erfahren wir überhaupt einmal, dass die Minne erfüllt war (daz ich ie bî dir gelac). Mit einer geläufigen Formel die naht unde ouch den tac vergewissert der Mann seine Minnedame über seine Beständigkeit, mehr noch − sie wohne in seinem Sinn − habe also seine Gedanken beherrscht (V.3-4). Nicht nur dieses: Sie „verschönt seine Gedanken“. Das 46 Verb zieren ruft festliche, hochgestimmte Befindlichkeit des Mannes als Nebenbedeutung hervor. Es ist ihr eine Rolle der „Vollkommenheitsstifterin“ zugesprochen (das Lied befindet sich unter diesem Gesichtspunkt auch auf dem Weg zu dem „hohen“ Minnesang und der Auffassung der „hohen“ Minne mit der vollkommenen Dame im Zentrum. Im V. 6 wird der Minnedame gedankt, dass sie neben der wichtigen, „Festgestimmtheit“ stiftenden Rolle dem Minnenden noch (körperliche wie auch geistige) Zuneigung schenkt. Die Zuneigung ist hier als eine noch zusätzliche, konkrete Gnade neben der Rolle einer „Vollkommenen“ an sich gemeint. In den Versen 7- 9 wird − als eine Verbildlichung der gerade gesagten Äußerungen − der Mann mit einem Edelstein verglichen, den man in eine Goldfassung befestigt. Nach einer Herausforderung an die Zuhörer - nû merkent..., ist er durch die Art, wie sie sich ihm zuneigt, in seiner Gesinnung und Selbstverständnis „verschönt“: wie ein ins Gold gefasster Edelstein. Die Dame ist sozusagen ein „Juvelier“ seiner geistigen Vollkommenheit (V.7-9). Inhaltliche Textbezüge: Strophe I,V.2 -der aller liebste man − Strophe II,V.1- geselle guote Strophe I,V.3 - nâch mînen sinnen − Strophe II,V.3 - du wonest mir in dem muote Im Lied verzeichnet man eine deutlich hyperbolische Ausdrucksweise. Sehr originell sind die Formulierungen der 1. Strophe, V.7-8 und der 2. Strophe, V. 5 mit dem Bezug dieses Ausdrucks auf die Verse 7-9. Fazit: Das Lied bahnt sich − aus der altertümlichen Form hervorgehend − durchaus eigene Wege. Wieder begegnen wir hier einer Verbindung einiger wichtiger Motive der „hohen“ Minne mit der offen zugestandenen Liebeserfüllung als einem Element der Frühphase (s. oben unter dem Lied II). Es ist darüber hinaus auf einen − wenn auch mittelbaren − motivischen Bezug auf die Formulierungen des Burggrafen von Rietenburg in seinem Lied 4 (MFMT 19, 17), Strophe 2, V. 1-7 aufmerksam zu machen. Auch in seinem Lied wird der Mann durch die Dame „geadelt“: Sît si wil versuochen mich, daz nim ich für allez guot 47 sô wirde ich golde gelîch, daz man da brüevet in der gluot und versuochet ez baz. bezzer wirt ez umbe daz lûter, schoener unde klâr... Kaiser Heinrich verkörpert, vor allem in seinem ersten Lied, somit eine der Dichterpersönlichkeiten, die sehr markant von den Zügen der Übergangsphase zwischen der „frühen“ und der „neuen, romanisch geprägten“ Liebeslieddichtung gekennzeichnet sind. Er befindet sich auf dem Weg zum „rheinischen Minnesang“. 48 Das Liedschaffen der Dichter der Frühgruppe - zusammenfassende Charakteristik Der Rollencharakter, eines der Hauptmerkmale dieser Lyrik, bleibt für die folgende Darstellung verbindlich. Für die Beschreibung gilt: Alle Rollen sind nur aus den Beziehungen unter den drei Personengruppen – der Minnende – die Dame – die Gesellschaft untereinander definierbar. 1. Personen: 1.1. Der Minnende 1.2. Die Minnedame 1.3 . Die Gesellschaft Formen der Beziehung Viele Spielarten verzeichnet man bereits, wenn man diese Formen definieren möchte: Der Minnende: 1.1.1. er wird vor allem als werbend (später im Dienst-Gestus) dargestellt, kann aber auch umworben werden (Kürenberger, Dietmar von Aist) 1.1.2. er wird sehr oft als ein Erhörter dargestellt, wird jedoch zunehmend als ein nicht Erhörter beschrieben (in der alttschechischen Liebeslieddichtung eventuell als ein Abgelehnter). 1.1.3. er verweigert die Erfüllung und sucht die Selbstbestätigung in ritterlicher Betätigung (Kürenberger als Ausnahmefall unter den Autoren der Frühgruppe). Die Minnedame: 1.2.1. sie wird vor allem als umworben dargestellt, kann aber auch selbst werbend ins Geschehen treten (Kürenberger, Dietmar von Aist) 1.2.2. sie kann Erfüllung schenken, kann es aber auch verweigern (Dietmar von Aist) 1.2.3. sie kann, und das ist für diese Minnesangs-Phase charakteristisch, als eine Verlassene (Kürenberger), oder als eine durch Eingriff der Minnefeinde der Liebesfreude Beraubte dargestellt werden. 49 Das Minnepaar und die Gesellschaft Die Minne des Minnepaares wird fast nie als „ Zweisamkeit“ geschildert, sondern größtenteils inmitten der höfischen Gesellschaft. 1.3.1. Feinde des Minnepaares: - huote, merkaere (in alttschechischer Liebeslieddichtung andere männliche Konkurrenten) - andere Damen, welche die Minnedame um ihren Partner beneiden (Kürenberger) 1.3.2.Neutrale Mitglieder der höfischen Gesellschaft oder Freunde des Minnepaares - andere Mitglieder der höfischen Gesellschaft (häufig mit dem Personalpronomen si oder durch Passivkonstruktionen angedeutet) do ich dich loben hôrte – Meinloh von Sevelingen, Lied I41 - Boten - Figur 2. eine allmähliche Entwicklung der Grundbaustein-Struktur, die später für die Minnekanzone verbindlich ist, ist für diese Phase des Minnesangs kennzeichnend: 2.1. Preis der Minnedame. Dieser besteht in der Hervorhebung ihrer erotischen Ausstrahlung wie auch ihrer Tugenden 2.2. Darlegung der Leistung des Ritters. Sie wird als Betonung der staete und anderer Tugenden des Mannes formuliert (Staete- und Tugenden- Beteuerungen) (Burggraf von Rietenburg) 2.3.Wunsch nach Erfüllung. In der Frühgruppe bildet sich die Kausalität Dienst-Lohn erst allmählich. Auf „Lohn“ wird nur indirekt hingewiesen in Form des Wunsches nach Gunst. Bei Meinloh sowie bei dem Burggrafen von Rietenburg steht das Motiv des Dienstes (noch ohne die Lohn-Komponente) bereits im Vordergrund ihrer Lied OEuvres. Charakteristisch ist, dass in dieser Phase des Minnesangs auch die Dame gewissermaßen „dient“. vgl. ich bin mit rehter staete einem guoten ritter untertân (Burggraf von Regensburg I) wan ob ich hân gedienet / daz ich diu liebeste bin (im Sinne: ich habe es mir verdient, dass ich (ihm jetzt) die Liebste bin (Meinloh von Sevelingen XI) 2.4. Klage über Nichterhörung Statt der „klassischen“ Klage tritt als Thema die gewährte (Dietmar, Kaiser Heinrich) oder ungewährte Erfüllung (trûren, swaere) in den Vordergrund. 41 Die Nummern der zitierten Lieder beziehen sich auf die Edition von Schweikle (1993). 50 Spezifisch für diese Phase des Minnesangs sind: a) Jubel des Minnenden über die Gunsterweisung von Seiten der Minnedame, evtl. Jubel über die erfüllte Minne (Dietmar, Kaiser Heinrich) b) Erinnerung der Minnedame an die Liebesnacht mit ihrem Partner (Burggraf von Regensburg IV) c) Andeutung der Erhörung, Entschluss der Minnedame, den Mann zu erhören – Meinloh von Sevelingen VIII ich gelege mir in wol nâhe d) Sehnsucht der Dame nach Minneerfüllung (Kürenberger, Strophe IV − ich stuont mir nehtint spâte an einer zinne) In diesen Liedern begegnen wir noch nicht den zwei letzten „Bausteinen“, einer Reflexion über die Gründe der Nichterhörung und einer Reflexion über die Konsequenzen (Das Weiterdienen trotz Ablehnung). Zu diesem Handlungspunkt ist das Liedgeschehen noch nicht gelangt. 3. Der Dienst-Begriff konstituiert sich in dieser Frühphase des Minnesangs allmählich, um in den späteren Phasen dieser Kunst zu einem kontinuierlichen Bestandteil der romanisch geprägten Minnelieder zu werden. 4. Charakteristische Liedtypen: „Szenentyp“ und „Sentenztyp“ beim Kürenberger und Dietmar, Frauenstrophen, Wechsel, Dienstangebot-Lied (Meinloh), Frauenpreis (Preislied) (Meinloh von Sevelingen, Burggraf von Rietenburg, Kaiser Heinrich). 5.Charakteristische Topik (Motiv- und Begriffkomplexe), In einiger Hinsicht (Preistopik, Dienst, Minnepein) ist wohl an eine mögliche Beeinflussung aus der Romania schon auch in dieser Phase des Minnesangs zu denken. Einige Elemente wie häufig vorkommende Frauenstrophen, Beglückungsbereitschaft der Frau, die Vielfalt der Minnebeziehungen, der sich von der Dame abwendende Ritter (Kürenberger, Strophe XII) sind aber als durchaus eigenständige Perspektiven dieser Frühphase zu betrachten. 6. Das Ergriffensein von Minne – kurze Darstellung des Mannes- und Frauenbildes Der Minnende, die Minnedame:42 42 Die Beschreibungen, mit denen die wechselseitigen Beziehungen zwischen beiden Protagonisten der Minnebeziehung und ihre Beziehung zu der Minnegesellschaft verdeutlicht werden, stehen als Beleg-Beispiele und erheben somit keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 51 Alpha und Omega des Minnesangs ist das Betroffensein von Minne. Vor diesem Hintergrund seien an dieser Stelle beide Partner charakterisiert: 6.1. Der Minnende, von Minne ergriffen: Es gibt verschiedene Möglichkeiten (Varianten), wie der Minnende über seine Minne spricht. Sie sind später zu rollenbedingten Mustern geworden, nach denen man die Äußerungen über die Minne gestaltet hat: - der Mann gesteht die Minne indirekt: ...ein edeliu frouwe, diu mir ist als der lîp (Meinloh von Sevelingen VII), got weiz wol, daz ich ê verbaere/ iemer mêre elliu wîp/ ê ir vil minneclîchen lîp (Rietenburg III) -Im Ergriffensein von Minne wendet sich der Mann an die Dame: ...du habest ime alliu anderiu wîp / benomen ûz sînem muote/ daz er gedanke nienâ hât. (Meinloh von Sevelingen III), Frouwe, mînes lîbes frouwe, / an dir stêt aller mîn gedanc ( Dietmar von Aist X) - im „Erzählmodus“: ...si geviel mir ie baz und ie baz/ ie lieber und ie lieber/ sô ist si zallen zîten mir / ie schoener und ie schoener / vil wol gevallet si mir. (Meinloh von Sevelingen IX), Ich grüeze mit gesange die süezen / die ich vermîden niht wil noch enmac (Kaiser Heinrich I) - Der Mann hört, wie die Dame von den anderen Mitgliedern der höfischen Gesellschaft verehrt wird, was für ihn ein Impuls ist, sie kennen zu lernen. In bestätigendem Gestus preist er sie: wan daz mîniu ougen / sâhen die rehten wârheit ... (Meinloh von Sevelingen II) - Sein „Befallensein“ von Minne, steigert sich zur „Minnepein“: ... sô mag ich eine entslâfen niet. daz kumet von einer frouwen schoene... an der al mîn fröide stât (Dietmar von Aist I) mîn lîp betwungen stât (Burggraf von Rietenburg IV) ich siufte und hilfet leider nicht / umbe ein wîp...(Dietmar von Aist IV) - das Verb „ minnen“ mit dem Attribut „vom Herzen“, „ in meinem Innersten“, kommt bei Kaiser Heinrich (I) zum Tragen: Sît daz ich si sô gar herzeclîchen minne... 6.2. Die Minnedame, ihre Minne bezeugend Die Offenheit, mit der die Dame vor allem in den Frauenstrophen über ihre Minne spricht, ist für die früheste Minnesangsphase ein Charakteristikum. Wohlbekannte Beispiele sind hier 52 die Formulierungen: Swenne ich stân aleine in mînem hemede / unde ich gedenke an dich, ritter edele / so erbluot sich mîn varwe als der rôse an dem dorne tuot / und gewinnet daz herze vil manigen trûrigen muot (Kürenberg VI) Ich bin mit rehter staete einem guoten ritter untertân (Burggraf von Regensburg I), mir erwelten mîniu ougen einen kindeschen man (Meinloh von Sevelingen XI) ...ich erkôs mir selbe einen man / den erwelton mîniu ougen (Dietmar von Aist VI) Der ist mir nâhe an mîn herze komen (Dietmar von Aist V) Eine der intensivsten Minneäußerungen finden wir wieder bei Dietmar: der ist mir âne mâze komen in mînen staeten muot (Dietmar von Aist XII) Auch Kaiser Heinrich formuliert die Frauenstrophen in sehr offenener Weise. Interessant ist in diesem Sinne sein Gesprächslied (III): kaum ein Liebestreffen zu Ende ist, gesteht die Dame dem scheidenden Mann ihre unstillbare Sehnsucht nach ihm: kumest du mir niht schiere / sô verliuse ich mînen lîp. Sie setzt sogar noch kühner fort: (wenn du jetzt fortgehst und ich vor Leid sterbe) „das kann mir Gott in all den Welten niemals wieder gutmachen“. 7. Rollen: 7.1. Minne: Mann und Frau-Beziehungen: In der frühen ritterlichen Liebesdichtung (Frühgruppe) ist man mit einer großen Vielzahl von Beziehungen konfrontiert; in dem romanisch beeinflussten Minnesang ist diese (in ihrer Vielfalt, Mannigfaltigkeit) nicht mehr wiederzufinden. Sie werden im Folgenden aufgezählt: 7.1.1. Der Werbende: Beim Kürenberger, der als der älteste Sänger eine „Sonderposition“ einnimmt, erscheint der Mann verhältnismäßig selten (nur in zwei Strophen) als ein Werbender: jô wurbe ichz gerne selbe / waer ez ir schade niet (XIV) und – in der Falknersprache-Metapher des „Anlockens auf eine rechte Art“ „swer si ze rehte lucket“.... (XV). Das Lied setzt im Erzählmodus fort und zeigt uns, vom Dichter als ein Lehrbeispiel eingesetzt, das richtige Werbungsverhalten: als warb ein schoene ritter / umbe eine frouwen guot / als ich daran gedenke / sô stêt wol hôhe mîn muot. Ähnlich verfahren auch andere Sänger: wol im erst ein saelic man / der wol an in erwirbet pfliht / der fröide … (Meinloh von Sevelingen XIII): Almählich – seit Dietmar – setzt sich Werbung in der Untertänigkeits-Gestik als Dienst (im Dienst-Modus) durch: der bin ich worden undertân / als daz schif dem stiurman (Dietmar von Aist XII) 53 Es beginnt sich die Umschreibung des Werbens als „Sang“ zu entwickeln: Der noch Unerhörte bittet so um genâde: Noch ist mîn rât / daz ich niuwe mînen sanc (Burggraf von Rietenburg IV) Ich grüeze mit gesange die süezen (Kaiser Heinrich I) Nur bei Kürenberg (V) wird – in einem weiteren (Sonder)fall der Beziehung – der Mann als einer dargstellt, der seiner Werber-Rolle nicht „gewachsen“ ist: ins Gemach der Frau angelangt, verhält er sich feige, bleibt unaktiv und wird von der Dame entsprechend gerügt: Jô stuont ich nehtint spâte vor dînem bette / do getorste ich dich, frouwe, niwet wecken / „des gehazze iemer got den dînen lîp!“… Der Umworbene: In einer direkten Einforderungsgeste der Dame in der frühesten Schicht: alder ich geniete mich sîn (Kürenberger IV), auch im folgenden Beispiel von der Dame unverhüllt begehrend: daz mich des geluste / des ich nicht mohte hân (Kürenberger VII). Die Dame wählt aktiv seinen Geliebten: mir erwelten mîniu ougen / einen kindeschen man (Meinloh von Sevelingen XI), ähnlich auch ich erkôs mir selbe einen man / den erwelton mîniu ougen (Dietmar von Aist VI); diesen möchte sie auf sein Gelage bringen: ich gelege mir in wol nâhe (Meinloh VIII). Diese Haltung der „aktiven“ Dame wird von der aus der Romania übernommenen Liebeslyrik völlig abgelöst. 7.1.2. Der Erhörte: Das „Erhörtsein“ ist, im Unterschied zu den späteren Phasen des Minnesangs, auf mannigfaltige Weise und unter vielen Gesichtspunkten thematisiert. Beim Kürenberger erfahren wir, dass der Mann von der Dame als ihr Partner akzeptiert und angenommen wurde, über einen Umweg: Der Liebende erteilt seiner Partnerin Unterweisung im richtigen Minneverhalten, die im Täuschen der Gesellschaft besteht; nur so ist die „tougen minne“ zu erhalten: ...sô lâ du dîniu ougen gên / an einen andern man. / son weiz doch lützel ieman / wiez under uns zwein ist getân. (Kürenberg XIII). Die Erfüllung kann aber auch offen ausgesprochen werden: Sô wol mich liebes, des ich hân / umbevangen. hôhe stât mîn muot. (Dietmar von Aist X). Diese offene Formulierung ist noch bei Kaiser Heinrich, der meistens 54 bereits zum rheinischen Minnesang gezählt wird,43 völlig gebräuchlich, wie einer seiner bekanntesten Liedanfänge bezeugt: Wol hôher danne rîche / bin ich alle die zît / sô alsô güetlîche / diu guote bî mir lît (Kaiser Heinrich II). Der Nichterhörte: Auch in dieser Hinsicht ergeben sich verschiedenartige Konstellationen: - der Mann ist (wegen äußerer Umstände) von seiner Dame getrennt: nû muoz ich von ir gescheiden sîn / trûric ist mir al daz herze mîn (Dietmar von Aist II) oder ähnlich ich getar ir leider niht gesehen (Dietmar von Aist IV) - der Mann äußert die Befürchtung, dass er unerhört bleibt: sol ich der sô verteilet sîn / seht, des belîbe ich fröidelôs (Dietmar von Aist IV) - im Überbietungstopos: er würde lieber sterben, als unerhört zu bleiben (hier arbeitet der Dichter bereits mit dem Dienst-Begriff): senfter waere mir der tôt / danne daz ich diene vil / und si des niht wizzen wil (Burggraf von Rietenburg IV) - er ist von der Dame endgültig abgelehnt. Er ist am Scheitern seiner Werbung, wie er selbst gesteht, selber schuld: Trûren muoz ich sunder mînen danc... / swaz ich ie nâch hôhem muote ranc / daz hât mir mîn ungelinge erwendet sô / daz ich, waene, des engalt (Meinloh von Sevelingen XIII) - die Variante, in der der Mann seine Werbung als ein noch nicht oder nie Erhörter ansetzt und welche später überwiegen wird, ist in dieser Phase nur selten zu finden - der Mann beklagt hier den Trotz der Dame, fordert sie indirekt zur Erhörung auf: daz mir ein edeliu frouwe alsô vil ze leide tuot...nû wil si gedenken niht / der mangen sorgen mîn / sô hô owî! / sol ich ir lange frömde sîn (Dietmar von Aist XII) 7.1.3. Der die Erfüllung (die Minne) Verweigernde - der (umworbene) Mann lehnt das herrische Verhalten der werbenden Dame ab und reitet fort (nur in der frühesten Liebesdichtung): wan ich muoz einer frouwen rûmen diu lant (Kürenberg XII) 7.1.4. Der von der Geliebten Getrennte 43 Er stützt sich in seinen Liedern sowohl auf die Lieddichter des staufischen Umkreises als auch auf ältere heimische Liedtradition. Diese Meinung vertritt z.B. auch Schweikle (1993), S.506. 55 Der lange vergebens Werbende soll, wie es aus der Schlussstrophe des Liedes ersichtlich ist, seine Dame auf ihr Geheiß verlassen. Er beschreibt diese Situation metaphorisch: ez ist leider alzelanc / daz die bluomen rôt / begunden lîden nôt (Burggraf von Rietenburg IV). 7.1.5. Die Umworbenene: Eine weitere Nuance der Beziehung, die von der gängigen Perspektive des Werbens abweicht, stellt das Lied XI des Kürenbergers dar: Wîb vil schoene, nû var du sam mir (pastourellenartige Züge). Die Dame ist bereits bei Meinloh von Sevelingen (III) mit Hilfe des Dienst-Begriffs umworben: Dir enbiutet sînen dienest dem du bist frouwe, als der lîp. ...nû tuo es durch dîne tugende und enbiut mir eteslîchen rât. Das Lied III Dietmars von Aist spricht über ein langes Umwerben: Ich bin dir lange holt gewesen... Bei Kaiser Heinrich fehlt die Phase des Umwerbens, die Lieder setzen im oder bereits nach dem Moment des Erhörtseins an. 7.1.6. Die selbst Werbende: Das wohl bekannteste Beispiel einer selbstbewussten, werbenden Frau, deren Werbung dem höfischen Ritus allerdings nicht angemesen ist, liefert das Lied IV des Kürenbergers: er muoz mir diu lant rûmen alder ich geniete mich sîn. Die Dame wirbt mittels ihrer freundlichen Gunsterweisung: Wan ob ich hân gedienet daz ich diu liebeste bin (Meinloh XI). Die Dame Dietmars spricht aber auch über die Werbung, die nicht stattfand: joh engerte ich ir dekeines trûtes niet (ich begehrte, umwarb doch keinen ihrer Geliebten) (Dietmar von Aist VI). 7.1.7. Die Erfüllung schenkende Als eines der ersten Bilder einer Dame, die Beglückungsbereitschaft zeigt, kann man auf das hier bereits erwähnte Mahnlied des Kürenbergers hinweisen. Die Beziehung ist angeknüpft, es wird doch vorenthalten, in welchem Stadium sich die Liebenden befinden: Son weiz doch lützel ieman / wiez under uns zwein ist getân. (XIII) 56 Konkret ist der Burggraf von Regensburg. Seine Dame spricht: wie sanfte ez mînem herzen tuot, swanne ich in umbevangen hân (I) Seine Dame kann auf die (beglückende) Minne einfach nicht verzichten: nu heizent si mir mîden / einen ritter. ich enmac (IV) Die Dame Meinlohs entschließt sich in dem oben erwähnten Lied VIII in einer Art „Gegentat“ zu der Tugendhaftigkeit ihres Ritters, ihn zu beglücken: ich gelege mir in wol nâhe... Die Dame wird jedoch auch als eine dargestellt, die in dem Ritter eine Hoffnung auf Erhörung (Liebesfreuden) erst aufkeimen lässt: der Ritter ist erfreut über ein guot gedingen (Der Burggraf von Rietenburg II) Sehr eindrucksvoll ist die freudestiftende Beglückungsbereitschaft im ersten Lied des Burggrafs von Rietenburg vor Augen geführt: seine Dame ist fröidenrîch ( I) Ein exemplarisches Beispiel der beglückungsbereiten Partnerin stellt uns in seinem OEuvre Kaiser Heinrich. Dieser Aspekt verbindet ihn, eine Übergangsfigur, mit der frühen ritterichen Liebesdichtung: dâ biutet si mirz sô rehte schône (I). Sein Lied III handelt als ein Ganzes über eine Erfüllung. Der Partner huldigt seiner Geliebten mit Lob der gemeinsamen Liebesnacht: wol dir geselle guote /daz ich ie bî dir gelac. Eine Dame, die dem Minneden eine Erfüllung schenkt, überwiegt in dieser Phase des Minnesangs deutlich vor einer sich verweigernden Partnerin. 7.1.8. Die eine Erfüllung Verweigernde: In dieser Hinsicht verzeichnen wir eine Gliederung: a) Sie hört auf die Werbung nicht, ist gegenüber dem Werbenden (noch oder völlig) gleichgültig. Ihre Hingabe liegt im Ungewissen oder ist schlicht ausgeschlossen. b) Sie liebt, ist aber ihrer êre bedächtig. Zur Hingabe kommt es auch in diesem Falle nicht. a) Die Ablehnung von Seiten der Dame ist in sehr wenigen Fällen beschrieben. Man kann sagen, diese Konstellation ist in der Frühphase eher eine Ausnahme. Einige Fälle sind doch zu finden: Der noch nicht erhörte Ritter findet Mut zu fragen: ob si erbarmen wil mîn swaere? (Der Burggraf von Rietetenburg III). Dennoch – im oben erwähnten Lied Dietmars XII, tuot ein edeliu frouwe dem Ritter vil ze leide - sie möchte ihn nicht erhören. 57 - der Mann äußert die Befürchtung, dass er unerhört bleibt: sol ich der sô verteilet sîn / seht, des belîbe ich fröidelôs (Dietmar von Aist IV) b) Ein Lied Meinlohs stellt die Dame im Augenblick dar, als sie in ihrer Beziehung mit dem Ritter durch „merkaere“ verraten wurde. Doch sie bewahrte ihr Ansehen und höfische Sitte. Auch wenn sie ihn nicht erhörte ( âne nâhe bîgelegen /Meinloh von Sevelingen X/), liebt sie ihn. Eine (mögliche?) Erfüllung ist nicht der Gegenstand der Handlung. 7.1.9. Die der Minnefreude Beraubte Diese Charakteristik der Dame bringt eine der Frauenstrophen Kürenbergs (X). Die Dame verlor die Gunst ihres Partners, weil sie von den „lügenaeren“ verleugnet worden ist. Sie beweint ihr Schicksal, bezeugt ihre Unschuld und sucht bei der höfischen Gesellschaft Stütze: jemanden, der sie mit ihrem Geliebten wieder versöhnen würde: ich und mîn geselle müezen uns scheiden... der uns zwei versuonde vil wol des waere ich gemeit. 7.1.10. Die Verlassene Die Situation einer von dem Liebenden verlassenen Dame tritt in der frühesten Phase des deutschen Minnesangs bei Kürenbergers „Falkenlied“ in den Vordergrund.44 Der „Akt“ des Verlassens (er huob sich ûf vil hôhe und floug in anderiu lant) ist hier als ein für die Dame höchst schmerzvolles Erlebnis dargestellt, was vor allem die nachfolgende Strophe IX bezeugt: Die tief verletzte Dame nimmt, noch immer liebend, sein weiteres Dasein nach ihrer Trennung wehmütig wahr: Sît sach ich den valken schône fliegen... Mit der Übernahme des Konzepts der „hohen Minne“ ist eine solche Konstellation ein für allemal undenkbar (Ausnahme bildet bekanntlich das Kreuzzugslied). Auch bei anderen Dichtern der Frühgruppe ist diese bereits nicht mehr vorzufinden, sie ist von dem Bild eines dienstanbietenden Ritters und einer umworbenen Dame zur Gänze abgelöst. 8. Das Minnepaar und die Gesellschaft 44 Ich stütze mich bei der Interpretation dieses Liedes vor allem auf Wapnewskis Studie Des Kürenbergers Falkenlied (1975) S.23-46, vor allem S. 29ff. 58 8.1. Feinde der Minnebeziehung: In der Frühphase finden wir unzählige Nennungen dieser Figuren. Nicht nur huote, sondern vor allem merkaere und seltener auch lügenaere stiften Unruhe und bringen das Minnepaar in Gefahr des Verratenseins, oft in Gefahr des Missverständnisses unter ihnen, dessen Folge auch die Trennung beider Protagonisten ist. Einige Beispiele stehen hier für alle: Frauenstrophen: ...eines hübschen ritters gewan ich künde. / daz mir den benomen hânt die merker und ir nît / des mohte mir mîn herze nie frô werden sît. (Kürenberger III) ...ich und mîn geselle müezen uns scheiden./ daz machent lugenaere, got der gebe in leit. (Kürenberger X) Ich lac den winter eine wol trôste mich ein wîp/ vuore si mir mit fröiden wolte kunden die bluomen und die sumerzît / daz nîden merkaere. dêst mîn herze wunt...(Der Burggraf von Regensburg III) So wê den merkaeren, die habent mîn übele gedâht (Meinloh von Sevelingen X) Vil wol ichs an ein ende koeme / wan diu huote (Dietmar von Aist I) Bei Burggraf von Rietenburg sowie Kaiser Heinrich, welche beide in vielen Aspekten ihres OEuvres nahe dem romanisch beeinflussten Minnesang stehen, sind diese Figuren nicht vertreten. 8.2. Andere Damen, welche die Minnedame um ihren Partner beneiden. Beispiele: Frauenstrophe: Ich erkôs mir selbe einen man... daz nîdent schône frouwen (Dietmar von Aist VI). 8.3. Neutrale Mitglieder der Gesellschaft ( oft als Helfer bei der Versöhnung vom Minnepaar herbeigewünscht),si, si alle, die werlte, friunde, die Boten- Figur Die neutralen Mitglieder stehen oft nur im Hintergrund des Geschehens, sie werden mit den Personalpronomina erwähnt. Als Versöhner treten sie oft vor: der uns zwei versuonde, vil wol des waere ich gemeit (Kürenberger X) 59 Die wichtigste Helfer-Figur ist die eines Boten. Aus der Schicht der höfischen Geselschaft stammend (Freund des Mannes oder der Frau - oder ein Diener?)45 wird auf ihn nicht nur hingewiesen, sondern er kommt als Vertrauter des Minnenden selbst zur Rede: Ich bin ein bote her gesant, frouwe, ûf mange dîne güete. / ein ritter, der dich hât erwelt ûz al der werlte in sîn gemüete/ er hiez dir klagen sîn ungemach...(Dietmar von Aist XI) Auch die Dame sendet ihren Boten zum Ritter. Dieser übergibt ihm Botschaft von seiner Geliebten, auf die der Ritter gleich antwortet: Seneder friundinne bote, nû sage dem schoenen wîbe / daz mir âne mâze tuot wê, daz ich si sô lange mîde...(Dietmar von Aist II) 9.Die Grundbaustein-Stuktur Auch in dieser Phase lassen sich im Minnelied, wenngleich auch – im Vergleich mit seinen späteren Phasen – in spezifischer Gewichtung und sonderartiger Akzentuierung einzelner Struktur-Elemente - einzelne „Grundbausteine“ festlegen. Einige werden mehr hervorgehoben, andere kommen wiederum fast nicht zum Tragen. In folgender knapper Übersicht bemühe ich mich, diese strukturellen Elemente aufzuzeigen und mit einigen Textbeispielen zu belegen. 9.1. Darlegung der Leistung: Sie wird beim Kürenberger als dem frühesten Dichter, bei dem die Vielfalt der Beziehungen am markantesten zu verzeichnen ist, nicht näher erläutert und nur in einem Falle, der Schlussstrophe seines Oeuvres, akzentuiert. In knappster Darbietung, wirkt die Szene umso überwältigender: der vollkommene Ritter „wirbt“ hier um seine Dame, seine Leistung wird, so besagt die festliche Stimmung der Strophe, vorausgesetzt: als warb ein schoene ritter umbe eine frouwen guot (XV). Der Ritter ist hier bereits „auf dem Gipfel seiner Werbe-Leistung“ erfasst, im Moment höchster und subtilster erotischer Spannung zwischen ihm und der Dame. Ein Mann hat schon lange Zeit (seit immer) sein ganzes Leben auf seine Dame ausgerichtet. Herausstreichend spricht er über seine staete: ein rehtiu liebe mich betwanc / daz ich ir gap daz herze mîn / des werdent mir diu jâre sô lanc (Dietmar von Aist IV). Sît daz ich si sô gar herzeclîchen minne / und si âne wenken zallen zîten trage / beide in herze und ouch in sinne... (Kaiser Heinrich I). 45 In der Tradition der provenzalischen Liebeslyrik handelt es sich fast ausschließlich um die edlen Freunde des Minnenden. Sie treten oft in einer Helfer-Funktion auf, z.B. in der Tagelied-Tradition: der Freund betet für das Liebespaar, unter dem Fenster der Kemenate wachend, wo die beiden ihre gemeinsame Nacht verbringen. 60 Bei Meinloh von Sevelingen ist in der Leistung des Minnenden schon die Vorstellung des (langandauernden) Dienstes inbegriffen. Der Mann spricht in der Ich-Form über den Verlauf seiner Beziehung wie auch über seine steigernde Entzückung von seiner Geliebten: Ich bin holt einer frouwen, ich weiz vil wol umbe waz. sît ich ir begunde dienen, si geviel mir ie baz und ie baz...(Meinloh IX). Ähnlich wird die Leistung auch bei dem Burggrafen von Rietenburg beschrieben, mit einer Besonderheit, die für die frühe Phase dieser Kunst gilt: der Mann tritt noch nicht in der Unvollkommenheits-Pose auf, sondern selbstbewusst: er macht deutlich, wie exklusiv sein Dienst ist. In dieser Auffassung liegt der besondere Beitrag des Burggrafen von Rietenburg: sein Bild des Mannes weicht von dem „klassischen“ Mannesbild ab, in dem der Mann erst auf dem Weg zur Perfektion dargestellt wird: Hier tritt er, einer Prüfung von Seiten der Dame ausgesetzt, mit unerschütterlichem Glauben an seine Qualitäten auf: er ist in seiner Leistung der beste und vergleicht sich auch mit dem höchsten Attribut, dem Gold, dessen Eigenschaften er auf sich überträgt. Er lässt sich von der (höhergestellten) Dame zwar prüfen, wirkt dabei aber selbstsicher: sô wirde ich golde gelîch, daz man dâ brüevet in der gluot / und versuochet ez baz. bezzer wirt ez umbe daz, lûter, schoener unde klâr (Rietenburg IV). Dem entsprechend zeigt er auch in einem weiteren Lied Selbstvertrauen: sît ich in rechter güete / hân alsô wol gedienet ir hulde (Rietenburg I). Dieses ist auffallend z. B. im Vergleich dieser Äußerungen mit denen Keiser Heinrichs, in denen sich der Mann durch den Einfluss der Güte der Dame ethisch geläutert, insgesammt vervollkommnet fühlt: du zierest mîne sinne/ unde bist mir darzuo holt. (Kaiser Heinrich III). 9.2. Frauenpreis Von der verdichteten Form der Kürenberger-Strophe ausgehend, in der der Dame ein preisendes Attribut: schoen (wîp vil schoene) beigegeben wird, nimmt der Frauenpreis bei anderen Dichtern der Frühgruppe (mit Ausnahme des Burggrafen von Regensburg) immer klarere Konturen an. Meinloh bringt – ohne belegbare Beeinflussung – plötzlich eine breit angelegte laudatio der Dame, in der er ihre wichtigsten Tugenden in einem Katalog auffächert: wan daz mîniu ougen / sâhen die rehten wârheit / si ist edel und ist schoene, in rehter mâze gemeit (Meinloh von Sevelingen II). Im Vergleich mit Kürenberg nimmt sein Frauenpreis an Details zu. Demselben Konzept folgen dann alle Dichter dieser Minnesang-Phase und kommen in dieser Hinsicht 61 den Dichtern des „rheinischen“ Minnesangs nahe. Nur mitunter findet man doch eine knappe Preis-Formel wie bei Dietmar: ein edeliu frouwe (XII). Andererseits wird die Güte der Dame vor allen anderen Tugenden akzentuiert: wol im erst ein saelic man / der wol an in erwirbet pfliht / der fröide, der ir güete wunder geben kan (Meinloh von Sevelingen XIII) Die Haupttugenden werden hervorgehoben. ir schoene und ir güete beide/ die lâze si, sô kêre ich mich (Burggraf von Rietenburg IV) diu süeze, diu minneclîche (Kaiser Heinrich I), diu guote (Kaiser Heinrich II). In den Metaphern „diu süeze“ oder „ diu minneclîche“ Kaiser Heinrichs vereinen sich die Güte und die Schönheit der Geliebten. Einige Beispiele der „amplifikatio“: Ein schoene wîp so rehte guot (Dietmar von Aist X) -die tüchtigen und die guten Damen: man sol die biderben und die guoten ze allen zîten haben liep (Dietmar von Aist III) die „Tugendreine“: ir tugende, die sint valsches frî (Dietmar von Aist IV) - 9.3. Der Wunsch nach Erfüllung: Als eine Besonderheit in dieser Phase gilt, dass es noch nicht das strenge Liedschema gibt, nach dem der Minnende von der Dame einen „Lohn“ erhebt. Dieser Begriff war wohl noch nicht im damaligen Minne-Vokabular eingebürgert. Der Minnende wünscht sich natürlich Erfüllung, die er als eine Gegentat für seine Qualitäten begreift. In den Frauenstrophen kommt jedoch auch die Dame zu Wort, welche sich nach der körperlichen Erfüllung sehnt. Beispiele: Der Wunsch nach einer körperlich erfüllten Beziehung, von der Dame aushegend: daz mich des geluste, des ich niht mohte hân (Kürenberg VII) Der Mann spricht offen über seine Wünsche, mal herausfordernd zur Erhörung, mal im Konjunktiv: Machest du daz ende guot, sô hâst du ez allez wol getân (Dietmar von Aist III) Wol trôste mich ein wîp( Der Burggraf von Regensburg III) …sô wol mich danne langer naht / gelaege ich als ich willen hân (Dietmar von Aist V) Die Erhörung wird nur umschrieben, hier als mangelnde Resonanz von Seiten der Dame: nû wil si gedenken niht der mangen sorgen mîn (Dietmar von Aist XII) 62 ...des möhte ich werden sorgen erlôst / ob si erbarmen wil mîn swaere (Der Burggraf von Rietenburg III) Erst bei Kaiser Heinrich findet sich zum ersten Mal der Begriff „lôn“, sicher von der Romania transportiert: was gît mir darumbe die liebe ze lône? (Kaiser Heinrich I) 9.4. Gewährte oder ungewährte Erfüllung: In diesem Punkt muss man eine Einteilung unternehmen und die einzelnen Aspekte mit Beispielen belegen: 9.4.1. Jubel des Minneherrn über die Gunsterweisung Sô wol mich des liebes, des ich hân / umbevangen. (Dietmar von Aist X) Wol dir geselle guote, daz ich ie bî dir gelac (Kaiser Heinrich III) 9.4.2. Erinnerung der Dame an das erfüllte Zusammensein Ez dunkent mich wol tûsent jâr, daz ich an liebes arme lac (Dietmar von Aist III) 9.4.3. Andeutung der Erhörung von Seiten der Dame, ihr Entschluss dazu ich gelege mir in wol nâhe, den selben kindeschen man (Meinloh von Sevelingen VIII) 9.4.4. Ablehnung der Minne von Seiten der Dame oder des Minnenden (s. die Textbeispiele oben). 10. Der Dienst- Begriff: wie aus den vorausgehenden Ausführungen ersichtlich ist, die bereits thematisiert wurden, kommt der Dienst – Begriff schon in der frühesten Phase zur Entfaltung. Er wird jedoch noch nicht mit dem Lohn-Anspruch verbunden. 11.Charakteristische Liedtypen 63 Von der Vielfalt der Anliegen hervorgehend, die im Kürenbergers Lied-OEuvre geäußert werden, müssen wir vor allem diejenigen Liedtypen unterstreichen, die nur in dieser frühen Phase vorkommen. Sie sind in der Gruppe I zu finden. Die „geläufigeren“ Liedtypen ordne ich der Gruppe II zu. Da jedoch beinahe jedes Lied vor uns eine neue Situation im Anriss darbietet und eine sich später nie wiederholende Mannigfaltigkeit der Beziehungen schildert, versuche ich diese insgesamt mit speziellen Terminen zu wiedergeben, von der geläufigen Terminologie bewusst abweichend: Gruppe I: - das „Mahnlied“ der Dame an den Partner (I) - Frauenstrophe - das Klagelied der Dame (VIII-IX) - Frauenstrophe - das „Sehnsuchtslied“ der Dame (VI, VII) - Frauenstrophe - das Lied über die Trennung des Minnepaares (X) - Frauenstrophe - die Minne-Unterweisung – Mannesstrophe (XIII) - das Lied über das nicht geziemende Verhalten des Mannes (V) – Mannesstrophe - das „Werbeszene- Lied“ (XV) – aus Erzähler- Perspektive dargeboten Gruppe II - der Wechsel ( IV+XII) - der Ansatz der Treue-Beteuerung (II) - Mannesstrophe - das Werbelied in spezifischer Ausformung (Werbe-Gesang) ( IV) - Mannesstrophe - das „pastourellenartige“ Werbelied (XI) - Mannesstrophe - das Werbelied, übermittelt durch Boten (XIV) - Mannesstrophe Bereits aus dieser Aufteilung ist es ersichtlich, dass das OEuvre Kürenbergers ein Sonderfall ist. Die anderen Autoren innerhalb der Frühgruppe sind von diesem ältesten Dichter mit ihren wesentlich geläufigeren Liedtypen zu trennen. Ich teile ihre Lieder nach den geläufigen Kriterien auf (Für jedes Lied stehen illustrierende Beispiele, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben). 11.1.Die Grundliedtypen 64 Herausbildung des Werbeliedes Sie sind verbunden mit dem Dienst- Angebot, sog. Dienst-Angebot-Lieder (Meinloh von Sevelingen III, IX) (Der Buggraf von Rietenburg II). Herausbildung des Klageliedes: Klage über unerfüllte Minne oder sogar bereits den unerfüllten Minnedienst: am Beispiel (Dietmar von Aist IV, V), dazu reiht sich auch das weibliche Klagelied (Frauenlied) (Dietmar von Aist VI). 11.2. Typen mit anderen Rollen-Sprechern: - das Frauenlied: (Burggraf von Regensburg I, II, IV), (Meinloh von Sevelingen VIII, X), (Dietmar von Aist VI). Funktion dieses Typus: Wunschprojektion des Mannes: indirekte, umso wirkungsvollere Darstellung männlicher Minnepotenz. -das Botenlied (Dietmar von Aist XI,3- Botenstrophe) Funktion: „Szenische Umsetzung“ der paradoxen Minnesituation: des Zueinanderwollens der Minnenden und ihres Getrennt-Sein-Müssens (nicht nur aus äußerer Behinderung).46 - in der Botenfigur wird die Liebesbotschaft unmittelbar und direkt dem Partner vorgebracht, eine Entscheidung abgefordert, - da dies aber durch einen Boten geschieht, ist die geforderte Distanz gewahrt. -der Wechsel Die Männerrolle des Wechsels ist die eines Werbers, die Frauenrolle entspreicht eher der Form der Frauenlieder. (Dietmar von Aist V, III, Str. 4 +5, XII- sog. „erweiterter Wechsel“) (Der Burggraf von Rietetenburg I) (Kaiser Heinrich II, wahrscheinlich auch III /kein Frauenlied/)47 Eine der führenden Formen der Frühphase. Es handelt sich, wie bekannt, nicht um ein Gespräch miteinander, sondern um je einen Monolog der beiden Partner; beide Monologe beziehen sich aber auf einen bestimmten Stand ihrer Beziehung. 46 47 Nach der Vorlesung Hahns (1995). Schweikle (1993) S.510 lässt beide Deutungen zu: Sowohl einen Wechsel als auch ein Frauenlied. 65 11.3 Situationstypen: -das Tagelied – (Dietmar von Aist XIII) Das Tagelied muss man wegen seines direkten Bezugs auf die Mineneerfüllung als einen unverbunden nebenher laufenden Sondertyp im Minnelieder-Spektrum bezeichnen. Das erste deutsche Tagelied Dietmars handelt über die Trennung der Liebenden nach heimlicher verbotener Liebesnacht. Die Morgenankündigung wird als ein kosmisches Geschehen (Erscheinen des ersten Vogels) dargestellt. Die Frau weckt ihren Geliebten. Nicht nur die zurückbleibende Frau wird als die Klagende dargestellt, auch der Mann klagt über die bevorstehende Trennung. Dem Fühlen, Sprechen und Handeln der Frau wird – im Vergleich mit den späteren Minnesangsphasen – viel Raum zugeteilt. Zur Funktion des Tageliedes: neben anderen Typen, die sich in der Frühphase erst zu formieren beginnen, ist hier das Hauptaugenmerk auf die Erfüllung der Minne gerichtet. -das Dialoglied (Dietmar von Aist I) Das Lied, erweitert um eine zweite, abschließende Männerstrophe, vermittelt uns, im Unterschied zum eigentlichen Minnesang, in dem die Didaxe überwiegt, das direkte Gespräch der Minnenden in Form eines Streitgesprächs (Wie der Minneverstrickung zu entgehen?) -der Natureingang (Der Burggraf von Regensburg III) (Meinloh von Sevelingen XII) (Dietmar von Aist III, VII, XIV) (Der Burggraf von Rietenburg II, IV) Erster „Vorbote“ eines Winter- Natureingangs findet sich bereits beim Burggrafen von Regensburg (III). Bei Meinloh und Dietmar ist sowohl der Frühlings- als auch der Wintereingang bereits in einer wesentlich entwickelteren Form vorzufinden. - die Pastourelle (s. Kürenberg) Die Strophe XI des Kürenbergs weist, wie oben thematisiert, pastourellenartige Züge auf (Wîp vil schoene, nu var du sam mir …). 66 Die Benennungen des Minnenden Um zu verdeutlichen, wie oft in der frühen ritterlichen Liebeslieddichtung nicht nur die Dame, sondern auch der Ritter, oft vom Munde der verliebten Frau, thematisiert wird, bringe ich zum Abschluss dieser Ausführungen eine Art Übersicht über die Benennungen der Hauptprotagonisten. Er tritt am häufigsten als ein „Ich“ auf: Kürenberg V, XII, XIV, Der Burggraf von Regensburg III, Meinloh von Sevelingen I, II, VII, IX, XIII, Dietmar von Aist I, II, III,1+2+4, IV(eines der ersten Monolog-Lieder) V, VII, VIII, X, XV, XVI, Der Burggraf von Rietenburg I,II,III, IV, Kaiser Heinrich I,II, III. Bei Meinloh, Dietmar, dem Burggrafen von Rietenburg und Kaiser Heinrich wird zum ersten Mal die „ich“– Perspektive deutlich hervorgehoben. Die Benennung von „dritten“: -ritter“: ein hübscher ritter (Kürenberg III) ein ritter (Kürenberg IV, Der Burggraf von Regensburg IV, Meinloh von Sevelingen XII – selten) ein schoene ritter (Kürenberg XV) ein guoter ritter ( Der Burggraf von Regensburg I) ein ritter edele (Dietmar von Aist II) ein ritter wol geslaht (Dietmar von Aist XIV) ein ritter guot ( Kaiser Heinrich II) Die verdeutlichenden Adjektiva hübsche, schoene, edele, stellen den Minnenden in Summa seiner ritterlichen Eigenschaften dar: Als einen prachtvollen, „musterhaften“ Ritter. -“er“ in verschiedenen Deklinationsformen „er“- aus der Botenrolle heraus gesehen (Meinnloh von Sevelingen III) „er“, „ihn“- von der Perspektive der Dame (Meinloh von Sevelingen VIII, X), (Dietmar von Aist V), (Burggraf von Rietenburg I) -“ein junger Mann“ 67 ein kindescher man (Meinloh von Sevelingen VIII+XI - Frauenstrophe) -“ein glücklicher Mann, der ein Gunstzeichen von seiner Dame erhalten hat“ ein saelic man (Meinloh von Sevelingen XIII) - „ein edler Herr“ hövescher man (Dietmar von Aist III) - der Tugendhafte unter den Tugendhaften einer der besten (Dietmar von Aist V)- ein früher Beleg für diese Formulierung der beste man (Dietmar von Aist XV), - „lieber Freund“ ein geselle (Kürenberger X - Frauenstrophe) friedel ziere (Dietmar von Aist XIII- Frauenstrophe) aller liebste man (Kaiser Heinrich III -Frauenstrophe) - metaphorisch als ein valke (Kürenberg VIII+IX -Frauenstrophe) Diese Benennungen des Minnenden vom Munde der Frau wirken sehr gefühlvoll. 68 Die Autoren der „rheinischen“ Phase - Heinrich von Veldeke Rudolf von Fenis-Neuenburg Friedrich von Hausen Albrecht von Johansdorf Analysen ausgewählter Lieder 69 Analyse 9: Heinrich von Veldeke – Lied I − Ez sint guotiu niuwe mâre – der Typus der Minneklage a) zur Form: Durchgereimte Strophe mit stolliger Struktur, Vierheber. In der Strophe 3,1 ist der Vierhebigkeit wegen eine Ergänzung (nach MFMT) nötig.48 b) zum Inhalt: Im Lied werden eine Minneepisode und ihre Folgen eindrucksvoll beschrieben. 1. Strophe: Sie beginnt mit dem Natureingang (vogel, bluomen, V.2f.), der in das „kosmische Gesetz“ eingefügt ist: Frühling soll dem Ich Freude bringen (V.5). Der nächste Vers 6 bringt jedoch einen scharfen Gegensatz: der Minnende ist nicht froh und hochgestimmt. Die Begründung: das Ich wurde von seinem Innersten in die Irre geführt, so dass nun sein Innerstes unfroh und beschwert sein muss, es muss das leit ertragen, das ihm widerfährt (V.6−9). 2. Strophe: Sie liefert die näheren Umstände dieser Verstrickung: eine vollkommene frouwe (hyperbolischer Preis in den V.1−2) beschenkte den Minnenden mit blîdeschaft (annähernd als Freude, Hoffnung auf Erhörung zu übersetzen). Er wurde von dieser freudigen Vision dermaßen geblendet, dass ihm der weitere Verlauf seiner Minnebeziehung aus den Händen entrückte. Aus „Unverstand und Aufrichtigkeit“ – von tumbheit und von trouwe − geschah ihm das Gegenteil des Erhofften – er fiel bei der Besten, die jeder auf der Welt so ansehen muss (Preis!) in Ungunst (4-8). Die Handlung wird gegen Ende der Strophe noch einmal wirkungsvoll gesteigert: Er muss jetzt sogar mit ihrer wachsenden Missgunst rechnen: noch sêre fürht ich ir zorn (V. 9). 3. Strophe: Sie bringt neue Details über das Geschehnis, das für den Minnenden ein so schlechtes Ende nahm: schuld daran war sein Minneentflammen, das die höfischen Grenzen zu überschreiten schien, eine Al ze hôhe gernde minne, die seinen Verstand verdunkelte (V.1-2) . Er genoss ohne Maßen den reizenden Anblick auf seine Dame, deren Schönheit in einer preisenden Deskriptio dargelegt wird: ougen – munt – wol stên – ir kinne, (V.3-4) die ihn direkt ins Herz 48 Die Beschreibungen der metrischen Struktur orientieren sich auch in dieser Autorengruppe nach Schweikles Edition (1993), S. 429ff. 70 traf. Veldeke bedient sich an dieser Stelle des traditionellen Topos der Sinnesverwirrung durch die Reize der Dame: Ihre erotische Ausstrahlung verwirrte seine Sinne, jede Besonnenheit war ihm fremd (V.5-7). Jetzt trägt er den Schaden dieser seiner Haltung. (V.8f.) 4. Strophe: Er möchte sich nicht weiter über diesen Verlauf der Dinge ärgern (V.1-2 – der Topos des Ärgers über eine schief gegangene Minnegelegenheit). Im V.3. wird ausdrücklich seine unbegründete Hoffnung benannt, die er für eine begründete hielt ( ...mich betroug mîn tumber wân). Was ist aber eigentlich geschehen? Um der Zuspitzung der Handlung willen stellt Veldeke die Entschlüsselung ans Ende des Liedes: von ihrer Schönheit hingerissen, bat der Minnende seine Dame – unter Berufung auf ihre Barmherzigkeit, die als Argument herangezogen wird – um Liebeserfüllung (daz si mich mües al umbevân) (V.6). Am Ende der Strophe versucht er jedoch seine „Schuld“ zu „entschärfen“, auch mit ein wenig Ironie: es sei doch nichts passiert, wofür die Dame schuldhafte Gefühle entwickeln sollte (V.7ff.). Zu der Entwicklungsgeschichte: Es ist eines der ersten Lieder, in dem ein Bild einer hochgestellten Dame entworfen wird, die gemäß den höfischen Sitten handelt: Sie, die höfischen Qualitäten in idealer Weise verkörpernd, stellt sie sich als abweisend, als eine, die den Dienst an sich zwar duldet, jedoch keine Aussicht auf Erfüllung gibt. Lied II – Mir hete wîlent zeiner stunde – ein Frauenlied. Bezugnehmend auf Lied I wird vom Munde der Dame auf das vorausgehende Geschehen direkt geantwortet. a) zur Form: Durchgereimte Strophe aus zwei Kreuzreimperioden mit spiegelbildlicher Ordnung der Reimfolge. Überwiegend Vierheber, mit einer Abweichung im 2. Vers der 1. Periode. Kleine Abweichungen auch im Reimschema. Das Lied liegt in zwei Varianten vorhanden – als ein dreistrophiges Lied (in BC) und ein fünfstrophiges in A. Ich interpretiere die Variante BC. b) zum Inhalt 1. Strophe: 71 Wir erfahren von der Dame über einen Ritter, der ihr eine Zeitlang vorzüglich diente; sie wäre bereit gewesen, ihm Gutes zu gönnen (V. 1-3). Das hat sich nun geändert ( des ich im nû niht engan – die Figura etymologica gunde/engan in den V.3-4 unterstreicht die Gemütswende in der Gesinnung der Dame): Der Minnende verhielt sich falsch, seit er begann, seinen Lohn (die Liebeserfüllung) energischer zu fordern. Seine Bitte stößt bei der Dame auf sofortige, wenn auch höfliche Ablehnung ( sît daz er den muot gewan, / daz er an mich eischen begunde, / des ich im baz verzîhen kan, / denne er ez umbe mich gewerben kunde, V. 5ff.). 2. Strophe: Die Dame setzt unmittelbar fort: der Ritter rief den Eindruck hervor, höfisch zu sein; deshalb war sie ihm auch geneigt (V.1-2). Für die Zeit seines nach höfischen Regeln verlaufenden Dienstes gibt ihm die Dame keine Schuld (V.3-5) Auch sein Schaden, der ihm durch seine unangemessene Forderung erwachsen ist, interessiert sie nicht(V.6). Die Frau begründet ihre Haltung mit Nachdruck von Neuem: Er flehte sie allzu voreilig und dazu noch um einen allzu reichen Minnesold an (V.7). Das möchte sie entbehren, weil sie höfisch bleiben möchte. 3.Strophe: Sie bringt eine detaillierte Erläuterung des falschen Verhaltens des Ritters. Er beanspruchte die Liebeserfüllung, eine allzu ungefüege minne. Sie blieb ihm verwahrt (V.1-2). Die Dame weist sein Verhalten seinem „schwachen Verstand“ (krankem sinne) zu, seiner Unreife (tumpheit), die zum Fehler in der höfischen Etikette führten (V.1-4). Er soll aus seinem Misserfolg eine Lehre ziehen – die Dame unterweist ihn indirekt mit einem allgemeinen Lehrsatz: er muss seine Minnebeziehung bedächtiger anbahnen; nicht zu voreilig auf den Minnesold zielen (V. 5ff.). Mit anderen Worten: Um tatsächlich einen Erfolg in der Minne zu erzielen, muss er höfisch bleiben, was wohl bedeutet: Langsam auf der Leiter der Gunst steigen. Das Fazit: Im Lied wird das Konzept der hohen Minne vertreten, durch die Hauptfigur einer sich verweigernden Dame repräsentiert. Das Dienen unter Erfüllung aller höfischer Regeln kann eigentlich nicht zur Minneerfüllung führen – der Weg zum „paradoxe amoreaux“ ist hier angebahnt. Heinrich von Veldeke – das Lied XXXII – Swenne diu zît alsô gestât Das Lied stellt den einzigen Wechsel im Oeuvre Veldekes dar. 72 a) Zur Form: Zweimaliger Kreuzreimkursus. Vierheber, in 1,2 sind in der überlieferten Fassung ein zweisilbiger Auftakt und ein dreisilbiger vorletzter Takt anzusetzen. b)Zum Inhalt: 1. Strophe (Männerstrophe) Sie beginnt mit dem Frühlingseingang (V.1-2), der als Argument verwendet wird: jetzt, im Frühling, kann dem traurigen Herzen des Ichs (V.4) doch geholfen werden (V.3). Das Ich erinnert sich an einen vergangenen Sommer (sumer als ê - V.6). Das, was sich damals ereignete, wird zwar verschwiegen (Gunst der Dame?), es – wie es topisch gesagt wird − würde auch die Vöglein, die nun wieder singen, freuen (V.5-6). Der Winter war für den Mann ohne Minne vergangen. Er sagt wörtlich: Wenn ich die ganze Welt besitzen würde, wäre der Winter für mich dennoch die Zeit des Leides (wohl der Trennung von der Dame): lât die welt mîn eigen sîn, / mir taete iedoch der winter wê (V. 7f.). 2. Strophe (Frauenstrophe): Die Dame möchte dem Minnenden zwar durchaus gewogen sein, nicht jedoch bis zur Liebeserfüllung- diese wird verweigert: tuon ich eins und anders niht (V.2). Sie erlaubt ihm bereits viel, sagt sie, wenn sie ihn sehr freundlich ansieht, es ist eine große Geste ihrer Gunst: des selben mac in dunken vil / daz nieman in sô gerne siht (V.3-4). Sie möchte jedoch ihre êre nicht verlieren, was sie auch klar und knapp formuliert: ich wil behalten mînen lîp (V.5). Die Minne, sagt sie weiter mit Bedacht und mittels eines Bildes, bringe schönen Frauen viel Kummer – sie werden von einem solchen Leid oft bleich (missevar) (V. 6ff). Das Fazit: Das Konzept der hohen Minne mit der sich verweigernden Dame im Zentrum des Geschehens wird auch in diesem Lied wirksam. Die Dame ist dem Minnenden zwar freundlich gesinnt, steckt jedoch Grenzen ihrer Gunst ab. Darüber hinaus werden hier der Minne Konturen einer zerstörerischen Macht verliehen. Diese Vorstellung finden wir auch in einigen weiteren schwerwiegenden Liedern der Dichter dieser Gruppe – als Beispiele stehen hier Lieder des Rudolf von Fenis (Lied Nr. III) oder das Kreuzzugslied Nr. IX Friedrichs von Hausen (s. die folgenden Analysen). 73 Heinrich von Veldeke – Das Lied XL – Swer wol gedienet und erbeiten kan (Reflexion über hohe Minne) a) zur Form: Stollenstrophe mit dreiteiligen Stollen (Versstruktur 5ma 4wb 4mc) und zweizeiligen Abgesang (3wb 4wb), der den b-Reim des Aufgesangs fortführt. b) zum Inhalt: 1. Strophe: Aus dem Munde des Mannes erfahren wir: Wer vortrefflich dient und dabei geduldig wartet, dem wird sein Minnevorhaben doch gut gelingen – dies ist seine Überzeugung (V.1-3). Der Minnende legt im Anschluss seine Leistung dar: die höchste Instanz, Gott, ist sein Zeuge: Seit der ersten Kunde von der Dame diente er ihr beständig, mit solchem Vermögen und Gesinnung, dass er nie an dieser seiner Aufgabe gezweifelt hat. So definiert er seinen vortrefflichen Dienst (V.4-6). Er fordert die Dame deshalb indirekt, im Konditionalsatz, zur Belohnung auf: „Wenn ich Lohn bekomme, wird die Aufsicht von uns beiden betrogen“. Der Mann denkt hier also an den Minnesold: lônet mirs diu guote,/ wir zwei betriegen unser huote (V. 7f.). 2. Strophe: Nach der Aufstellung der Regel für die wahre Minne in der 1. Strophe setzt der Minnende fort, indem er über sich reflektiert: noch ist die Erfüllung nicht gewährt. Wie ist sein richtiges Befinden in dieser Situation? Normal wäre, dass die Nichterfüllung Trauer bringt. Er sagt aber: Auch jetzt steht es um mich nicht schlecht; es wäre unvernünftig, über sich Trauer ergehen zu lassen. Er hofft schon sehr auf Minne: sît al mîn leit nâch liebe ergât (V. 1-3). Welche Züge soll aber diese Minne haben? Sie soll höfisch sein: dâ ist nie dehein dorpeit under (V.5). Ist es richtig, bei einer so definierten Minne Trauer über die Nichterfüllung zu empfinden? Ist es nicht vielmehr so, dass man auch in dieser Situation froh sein musste? Das Ich spricht tatsächlich über blîschaft, diu die riuwe slât (V.6). Bei dieser Art von Minne weicht die Trauer immer mehr hinaus: des bin ich des gesunder, / riuwe ist mir ie langer unkunder (V. 7f.). Das Fazit: Die anfängliche Forderung des Minnesoldes wendet sich in eine Reflexion des Minnenden darüber, was das höchste Ziel der hohen Minne sein soll: Die Hochgestimmtheit, das erhöhte 74 Selbstwertgefühl, das allein der beständige Dienst bringt. Die hochgestellte, ideale Dame, die seine Lebensorientierung ist, spornt ihn in seinem Inneren zu solchem Dienen an. Analyse 10: Friedrich von Hausen − Das Lied XIII – Mir ist daz herze wunt − der Typus des Hohen Minneliedes a) zur Form: Durchgereimte Strophe, stollige Struktur 3a/4b/3a/4b/4b/4a/3a/4b. Zu den Nuancen in der Reimreinheit s. Schweikle (1993), S.498. Dort lesen wir auch eine wichtige Beobachtung zur Struktur der Strophe: In allen drei Strophen ist der regelmäßige Wechsel im Verseingang zwischen V.5,7,8 (mit Auftakt) und 6 (ohne Auftakt) zu verzeichnen. b) zum Inhalt: 1.Strophe: In einem Monolog erfahren wir über den Seelenzustand des Mannes: Der Minnende ist in seinem Innersten von der Minne „schwer verwundet“: In diesem Zustand (ein wundes Herz) befindet er sich eine längere Zeit (nû vil lange, V. 2). Von der Minne nicht nur verwundet, sondern auch der Urteilskraft beraubt (ein „tumbes“ Herz, V. 3) ist er seit der ersten Begegnung mit seiner Dame (V.4). Beide Komponenten zeigen deutlich, wie er aus seiner bisherigen Lebenslaufbahn entgleiste. Es folgt ein Frauenpreis: Um die verlockende Schönheit und erotische Anziehungskraft der Dame im höchsten Maße zu bestätigen, zieht er einen imaginären Schönheitszeugen von höchsten Rang ins Spiel: Auch der Höchste der Höchsten − der Kaiser − wäre völlig überwältigt, kuste er si ze einer stunt / an ir vil rôten munt ( roter Mund als erotisches Symbol wird hier durch den Reim besonders herausgehoben) (V.5-8). 2. Strophe: Die Leistung des Minnenden, sein Dienst an der Dame, die zu den besten der Gesellschaft zählt (preisend, jedoch gleichzeitig mit Rücksicht auf die anderen Damen formuliert, der besten eine V.2) soll nicht ohne Belohnung bleiben: des sol ich lôn enpfân (V.3). Seine eigenen Minneleistungen werden im Detail – in einem Heilswunsch − dargestellt: Obwohl es nur selten bezeigend, ist er derjenige, der ihr – vor allen anderen − das höchste Maß an Heil wünscht (V. 7). Die Außerordentlichkeit seines Minnedienstens, so ist es wohl seine Absicht – soll sich der Außerordentlichkeit seiner Dame annähern. 75 3. Strophe: Nur eine reizende Dame könnte ihn von seinem Minneleid heilen (V. 1-2).Es ist eine indirekte Aufforderung an die Dame, ihn zu erhören, verbunden mit dem Preis der Dame (schoene frouwe). Das Gegenteil aber geschieht: Sie hat ihn noch nicht erhört, was ihm unermessliches Leid zufügt. Dieses ist dabei nach allen Regeln der höfischen Minne tougen zu tragen: leit, diu nieman kan beschouwen (V. 4). Er sucht nach einer Begründung dieses Zustandes: warum erhört sie mich nicht? Die Antwort bietet sich an: Sein Herz erhob sich ze hôhe (sozial oder ethisch, oder in beidem Sinne gemeint? V. 6). Die Dame, sein „summum bonum“ ist allzu hochgestellt, für ihn wohl unerreichbar. Auch in diese Konstatierung wird noch ein indirekter Frauenpreis hineinformuliert. Welche Konsequenzen zieht der Minnende? Keineswegs die Aufgabe seines Dienstes: Er „ringt“ weiter um die Gunst seiner Erwählten. „Frau Minne“ – die Institution Minne − soll ihm dabei Beistand leisten. Wenn das nicht geschieht, stellt sie sich selbst in Frage: Wenn ihn jetzt das Minneglück verlässt, wird Minne künftig für alle nicht vertrauensvoll sein können. Es ist eine letzte Lohnforderung, in einer „drohenden“ Geste. Die Drohung ist verdeutlichend überindividuell verstärkt: niemer man (V. 7-8). Die klassische Konstellation der „hohen Minne“ ist hier im entsprechenden Liedtypus des „hohen Minneliedes“ musterhaft vorgeführt. Das Fazit: Der nach allen höfischen Regeln dienende Mann fordert hier eine Belohnung seiner Minneleistung. Er, sein Leiden farbig ausmalend, wendet alle seine Argumentation daran an, überzeugend für die hochgestellte Dame zu sein, um das wohl nie zu erreichende Ziel zu erreichen − eine Haltung, die das hohe Minnelied von dieser Zeit an ein für allemal auszeichnet. Das Lied Nr. IV – Gelebt ich noch die lieben zît – Der Typus des hohen Minneliedes Ferneliedes a) zur Form Stollenstrophe, durchgereimt; in den Strophen 1 und 3 wird der a-Reim im Abgesang nur assoziiert; Vierheber, der Abgesang wird durch einen unabhängigen Reimpaar abgeschlossen. Das Strophenschema: Aufgesang: 4a 4b 4a 4b 76 Abgesang: 4a 4a 4b 4 c 4 c b) zum Inhalt: Das Lied sieht den Ritter in der Ferne, von seiner Heimat getrennt. Aus dieser Situation heraus reflektiert er über seine Minne. 1. Strophe: Der Minnende weilt in den Gedanken in seinem Land, in dem seine Minnedame lebt (V.1-4). Mit Sehnsucht und Heimweh gesteht er (dem Publikum), er würde nie mehr betrübt, sähe er seine Heimat und sie wieder: sô gesaehe mînen lîp / niemer weder man noch wîp / getrûren noch gewinnen rouwen (V. 5-7). Vieles, worüber er sich daheim beklagt hat (wohl mangelnde Gunst seiner Dame), scheint ihm nun anders, besser, als er es daheim empfunden hat (V.8f.). 2. Strophe: Sie erläutert den letzten Gedanken der vorausgehenden Strophe näher: Erst in der Situation der Ferne wird ihm manches klar, was er vorher anders wahrnahm. Er glaubte, durch die Abweisung seiner Dame von ihr isoliert gewesen zu sein − erst jetzt erkannte er, das dies noch erträglicher war als die faktische Entfernung von ihr; das Fern-Sein fügt seinem Innersten viel größere Betrübnis zu: alrêrste hât daz herze mîn / von der frömde grôze swaere (V.3-4). Diese kommt von seiner Minne, die durch die triuwe, seine beste Tugend, gestärkt wird. Seine Minneleistung wird so hervorgehoben (V.5). Was hilft es aber hier, in der Ferne, wo die Dame seine Haltung nicht wahrnehmen kann? Er beklagt sich von Neuem, indem er seine Situation verdeutlicht: Wäre er in der Nähe des Rheins, könnte er vielleicht eine Nachricht von seiner Dame bekommen; jetzt ist er mit seiner Beschwernis wirklich isoliert und seine Lage ist äußerst betrübt: seit er die Berge passierte, bekam er von ihr nicht zu hören (V. 6-9). 3. Strophe: Bei der Reflexion über seine Dame erinnert sich der Minnende seiner vieler Minnebeteuerungen: Ich sage ir nû vil lange zît, / wie sêre si mîn herze twinget (V.1-2). Diese missglückten bisher, ja mehr noch: die Dame zeigte ihm gegenüber eine Feindseligkeit, die sich bis zum äußersten Trotz steigerte, welchen – so lautet der Vorwurf des Minnenden, eine höfische Dame in diesem Ausmaß nie aufkommen lassen dürfte. Sie entgilt sich, ereifert er 77 sich über sie, mit ihrer Missgunst demjenigen, der sie doch vor aller Welt hochhält (V. 3-9): daz si dem ungelônet lât, / der si vor al der werlte hât. Wir hören in dieser Strophe eine Klage der hohen Minne. 4. Strophe: Die Nichtbeachtung des Mannes in Anbetracht seiner Minneleistung wird noch deutlicher vor die Augen geführt. Er begründet noch wirkungsvoller seinen Leidzustand, mit einem weiteren Vorwurf: Er erweist der Dame, die er gleichzeitig preist (sie ist die schoene) seine triuwe schon so lange, dass es angemessen gewesen wäre, wenn sie ihn bereits vor einem Jahr von seinem Leid befreit und ihn als Partner akzeptiert hätte (V.1-4). Seine beständige Liebe wird noch überbietend ausgemalt: Sie und seine Hoffnung auf positive Wende wurden durch die gelegentlichen Anblicke der Dame bekräftigt, die in ihm innige Freude hervorriefen; diese half ihn, die Betrübnis der Abweisung auszuhalten: ouch half mir sêre ein lieber wân, / swanne si mîn ougen sân / daz was ein fröide für die swaere (V.5-7). Das Lied endet jedoch resignierend – mit Klage: sie zeigt ihm trotz alledem ihr Misstrauen (V.8-9). Das Fazit: Das Sujet des Lieds bildet die Entfernung des Mannes von seiner Dame. Eine weitere Ebene entsteht durch den Gegensatz – seine Treue – die Abweisung von Seiten der Dame. Der Ritter reflektiert: Was bedeutet für ihn die Minne in der Situation des Fern-Seins? Sie erweist, dass seine triuwe − das wesentliche Merkmal seiner Minne – unberührt bleibt. Er leitet daraus seine Hoffnung, aufgrund seiner Leistung erhört zu werden, die jedoch gegen Ende des Liedes von der Resignation abgelöst wird. Das Lied IX − Mîn herze und mîn lîp die wellent scheiden – der Typus des Kreuzzugsliedes a) zur Form: Stollige Struktur, Strophenbau 5ab 5ab / ba ab, abwechselnd männliche und weibliche Kadenz (auch als Sechsheber mit klingender Kadenz und Fünfheber mit männlichem Versausgang zu lesen), gelegentliche Doppelsenkungen, (z. B. 1,2 wâren nû), gelegentlich Lockerungen der 78 Alternation. Formale Nachahmung der Strophe des Conon de Béthune, mit dem unterschiedlichen Ausgang des letzten Verspaares.49 b)zum Inhalt: Wie allgemein bekannt ist, bearbeitet die erste Strophe dieses Liedes ein Motiv aus der Anfangsstrophe Conons, nämlich das eines zum Kreuzzug aufbrechenden Minnenden, dessen Herz sich von seinem Leib trennt und bei der geliebten Dame bleibt. Es wurde nichts mehr als diese Grundkonstellation übernommen.50 Hausen geht bei der Fortentwickung der Herz-Leib Metapher durchaus eigene Wege, die vor allem das Hauptproblem – seine feste Entscheidung für den Dienst dem Gott und sein gleichzeitiges minnebedingtes Verharren bei der Dame, zu lösen versucht. Entscheidend ist letztlich das Unverständnis der Dame, von der sich der Dichter schließlich sogar hasserfüllt völlig abwendet. Die „scholastische Dialektik“, mit der Hausen in seiner Argumentation vorgeht,51 sein breites Thematisieren des bei Conon nur am Rand erwähnten Herz und Leib-Bildes, ist Hausens eigene schöpferische Leistung und ein gutes Beispiel einer zielgerichteten Akzentuierung eines ererbten Motivs. Zu den Strophen im Einzelnen: 1. Strophe: Bereits durch das Anfangsbild sind wir mit dem Hauptproblem konfrontiert: Der Ritter nimmt das Kreuz an; das Herz und der Leib des Minnenden wollen sich dabei trennen und unabhängig voneinander machen. Der Leib will die „Heiden bekämpfen“, während das Herz mit aller Kraft seiner Minne bei seiner Dame verweilen möchte, die es sich, wie es preisend mitteilt, vor al der werlt erwählt hat. Der Zwiespalt seiner Persönlichkeit bringt dem Liebenden eine unermessliche Qual. Er möchte sich mit aller Kraft dem ritterlichen Kampf im Osten widmen, was sich aber – ohne „Zustimmung“ seiner ganzen Persönlichkeit – als höchstproblematisch erweist (V.1-6 daz si /Herz und Leib/ ein ander niht volgent beide). Er wirft im Folgenden seinen Augen vor, ihm vil ze leide getan zu haben, diese sind an die Dame 49 Nach Schweikle (1993), S.491, und Sayce (1999), S.37ff. Das vom Leib losgetrennte Herz ist allerdings ein festes Motiv bereits seit arabischer Liebesdichtung (vgl.Ecker /1978/, S.57ff.). 51 Schweikle (1993), S.491. 50 79 gebunden: er kann sie wenigstens anschauen; durch den Kreuzzug entbehrt er auch dieses Anblicks – seine Pein vergrößert sich dadurch noch (V. 7). Einzig Gott, der von ihm als letzte Rettung angerufen wird, kann seinen inneren Kampf (strît) noch schlichten, die seelischen Kräfte des Ritters sind beinahe erschöpft, er weiß nicht mehr alleine eine Lösung (V.8). Bereits in der Anfangsstrophe wird das Hauptproblem – der Zwiespalt – mit Schärfe dargestellt. Die darstellerische Methode ist eine höchst experimentale: Im Bild des Leibes wie auch im Bild des Herzens ist der Ritter gleichzeitig zweimal „präsent“ – es ist jedoch immerhin nur eine Person, allerdings durch zweierlei gegensätzliche Willensimpulse charakterisiert. Die Persönlichkeit des Ritters erscheint so vor Augen des Publikums als zerspalten: Der lîp ist „ich“ mit meinem Leib und Leben, daz herze ist „ich“ mit meinem Herzen. Strophe 2: Das widerspenstige Herz geht seinen eigenen Weg, der Minnende räumt dies mit Trauer ein (V.1-2). Er ruft ihm – dem Zentrum der Minne – einen Wunsch zu, den er von Gott erfüllt haben möchte: Gott gewähre dem Herzen eine wohlwollende Annahme (von Seiten der Dame), eine Gunstforderung, auf durchaus eigenständige Art formuliert (V. 3-4). In einer Anrede ans Herz äußert der Mann aber seine tief greifenden Befürchtungen vor der Schwere dieser Aufgabe, die sich das nun losgelöste Herz auferlegt hatte. Das Wagnis des Herzens sei zu groß, in Anbetracht einer möglichen Zurückweisung von der Geliebten (V. 6 und 7 klingen schon fast wie eine Vorausdeutung der Abweisung). Es wird ihm bange (owê, solhe nôt). Er, Abschied nehmend, argumentiert dabei: Das Herz sei nicht am Ziel; wenn er nun zum Kreuzzug aufbricht, kann er ihm nicht mit seiner größten Tugend, der Beständigkeit, weiter helfen, die er entsprechend betont (als ich hân getân), (V.8). Die Strophe ist als ein argumentierendes Gespräch mit dem Herzen abgefasst. Strophe 3: Sie bringt eine Fortführung der ganzen Problematik im Hinblick auf die Kreuznahme: Mit aller Kraft seiner Persönlichkeit hat sich der Ritter für die Teilnahme am Kreuzzug entschieden; er betrachtet es als seine Pflicht, Gottes Ehre dadurch zu vermehren (in gotes êren, V. 2) . Er glaubte dabei, an der Erfüllung dieser Pflicht durch nichts gehindert gewesen zu sein; seine Minneverstrickung zeigte sich aber umso mehr (swaere) (V. 1). Die wichtigste höfische Tugend, mit der er sich am meisten auszeichnet, die Beständigkeit, lässt ihn nicht, seinem Tun nachzugehen. An seinem Gespalten-Sein, wie er mit Nachdruck erklärt, 80 beteiligen sich nicht etwa „niedere Minne“, sondern seine besten Kräfte (V.3-4). Die Dimension der Minne, die bis an den Grund eines höfischen Menschen reicht, wird hier plastisch dargestellt. Er ist hingerissen zwischen zwei Polen – tödlich gespalten, und doch – wie er fortsetzt – hätte er ein Recht darauf, ein lebensfähiger Mensch zu sein: nur wenn sein Herz nicht so stark an die Minne gebunden wäre (V.5-6). Seine Bindung an die Dame, deren Gunsterweisung völlig im Ungewissen liegt, wird mit dem Begriff tumber wille –„törichter Wille“ seines Herzens bezeichnet, das eines unvernünftigen Verhaltens bezichtigt wird. Es soll das Bestreben nach der Gunst der Dame aufgeben, damit der Tod des Minnenden – die Zerspaltung des Leibes und des Herzens – bekämpft werden könnte (V.6). Die Argumentation verschärft sich noch: Sein Endziel, das Heil, das durch den Kreuzzug zu erwerben sei, ist durch dieses Verhalten des Herzens ernst bedroht – ein schwerer Vorwurf ans Herz in Anbetracht des drohenden Heilsverlustes in den Schlussversen 7-8 verdeutlicht es (wie ez mir süle an dem ende ergân). Strophe 4: Der Minnende hasst nun seine Herzensdame (V.2). Die unmittelbare Folge der Ausdrücke hazze, die ich da minnet ê trägt zur spannenden Pointierung des Satzes bei. Dies soll aber, wie hervorgehoben ist (niemen darf), nicht als Unbeständigkeit gedeutet werden (V.1), sondern als Ausdruck der inneren Verletzung des Ritters: Die Dame ignorierte ja nicht nur seine besten Kräfte: alles Flehen und vor allem – aller innere Kampf, der bei ihm aufs Leben und Tod ging, wurden von ihr regelrecht missachtet (V.3-4). Ihre Verhaltensweise gleiche „dem Sommer von Trier“ (der unberechnenbar und unbeständig ist?)52 Er möchte nicht mehr dem Unverständnis (tumpheit V.7) der Dame ausgeliefert sein, die anscheinend nichts von der Minne begriffen hat (der Text ist durch den bedeutungswichtigen Enjambement für guot an der Schwelle der Verse 7 und 8 verdeutlicht). Eine eindeutige, enttäuschte, trotzige Distanzierung von der Dame beschließt die Strophe. Er wäre ein Narr, wenn er ihr Unverständnis für etwas Gutes halten würde (V.8).53 Fazit: 52 Alle Deutungen dieser bis heute nicht eindeutig entschlüsselten Textstelle fasst nochmals Schweikle (1993) auf der S. 494f. zusammen. Ich stütze mich in diesem Falle auf die Annahme U. Müllers, der Trierer Sommer wäre auch in der frühen Neuzeit besonders unberechnenbar und regnerisch gewesen (s. Ebda). 53 Ähnlich auch L.-P.Johnson (1999) S.124. 81 Die Folgen des durch die Kreuznahme verursachten Zwiespalts wurden in den Strophen im Detail durchgespielt. Vom Anfang an wurde von dem Ritter auf die unbegründete Hoffnung auf Erhörung mit Nachdruck hingewiesen. Die „staete“ jedoch, die Vollkommenheit des Ritters charakterisierend, wurde von der Dame nie entsprechend entgegengenommen. Ihre mangelhafte Resonanz führt zu der Lossagung von ihr, ist aber das Ergebnis eines überaus schwierigen inneren Ringens. Das Minnedasein des Ritters tritt als ein Moment seines Selbstbewusstseins mit der aktuell herantretenden Kreuzzugssituation (der Vorstellung des „Miles christianus“) in Konflikt. Durch den Kreuzzug ist der Ritter in seiner ganzen Existenz bedroht, entscheidet er sich aber trotzdem dafür: Das Minneheil ist durch das religiöse Heil überboten. Das Lied Nr. XVII – Waz mag daz sîn, daz diu werlt heizet minne Das Hauptthema des Liedes – eines wahren Zornausbruchs gegenüber die personifizierte missgünstige Minne – bildet eine Charakteristik der Minne vor dem Hintergrund des ständigen Misserfolgs des Minnenden. a)zur Form: Stollenstrophe. Die Strophenform: 4a4b4a4b3c3c3c3d5d Im Aufgesang verzeichnet man sog. mhd. Daktylen, im Abgesang alternierende Dreiheber und einen abschließenden Fünfheber. Im MFMT sind diese Strophen mit den Strophen des Liedes MF 52,37 (Schweikle Lied V) zusammengefasst. Es gibt viele Gründe, bei Schweikle im Einzelnen aufgezählt, beide Lieder für selbständige Einheiten zu halten.54 b)zum Inhalt: Strophe 1: Das Lied beginnt mit einer Frage (ins Publikum): Ist das, was die höfische Gesellschaft (Menschen) Minne nennen, tatsächlich dieses Schreckliche, was dem Protagonisten (es werden zwei wichtige Momente hervorgehoben) erstens so viel Leid immer (ze aller stunde – V. 2) bereitet, zweitens ihm seine Besinnung dermaßen raubt, dass sein inneres Gleichgewicht dadurch beeinträchtigt ist (V.3)? Es wird immer zuspitzender fortgesetzt: der Mann wähnt, niemand vor ihm musste einer ähnlichen Verstrickung und Pein ausgesetzt werden (V.4). Erst wenn er die Minne (als Macht) 54 Schweikle (1993), S. 502. 82 tatsächlich zu sehen bekäme, würde er an sie, die Grausame, glauben; der Sinn dieser Zeilen ist wohl: er würde erst dann glauben, dass es tatsächlich die (sonst so besungene) Minne ist, die ihn derart quält. Er möchte es ohne einen „Seh-Beweis“ nicht wahrhaben: getorste ich es jehen / daz ich ez hete gesehen / dâ von mir ist geschehen / alsô vil herze sêre / sô wolt ich daran gelouben iemermêre (V.5-9). Strophe 2: Die Lage spitzt sich weiter zu. Der Minnende spricht nun direkt zur personifizierten Minne – bereits in einer drohenden Gebärde: Gott müsse ihn an ihr für die entnommenen (Minne)fröiden rächen(V.1-2). Der Mann möchte die Minne züchtigen. Er nutzt dazu das Bildbereich des Kampfes: das missgünstige Auge, mit dem er von der Minne betrachtet wurde, möchte er ihr am liebsten im Kampf ausstechen. Für diese Tat fühlt er sich nach der Misshandlung seiner eigenen Person genug berechtigt (des het ich reht ,V. 4), seine Pein scheint, so der weitere schwere Vorwurf, unendlich zu sein: wan du vil lützel endest / an mir solhe nôt (V.4-5). Die Metapher des Kampfes wird nochmals, verdeutlichend fortgeführt: nur die Tötung der Minne – hier in der Rolle einer Kampfgegnerin gesehen – wäre eine Genugtuung, die ihn wieder zufrieden stellen würde (reich) (V. 7-8). Das Gegenteil aber geschieht und betrübt ihm sein Leben. Die ganze Kampf-Idee war bedauerlicherweise nur ein Phantasiebild. Der Schlussvers 9 des Liedes führt uns wirkungsvoll die dauernde Beschwernis des Minnenden vor Augen: er ist durch die Macht der Minne zum weiteren Leiden verurteilt: sus muoz ich von dir leben betwungenlîche. Es ist die höchste Zuspitzung dessen, was ihm Minne zufügt. Er kann ihr aber, so die Pointe, nicht entkommen. Fazit: Das ganze Lied handelt nur über die Liebespein und die daraus erwachsende innere nôt ; der wahre Grund dafür, der im Lied selbst nicht verraten wurde, die unerreichbare Dame, ist eine Grundwissen-Vorstellung der bereits romanisch beeinflussten Minnesang-Poetik, über die das Publikum Vorkenntnis bereits zu Hausens Zeit gehabt haben muss. Das Lied war so ohne Erläuterung, d.h. ohne die Gestalt der Dame ins Geschehen einbetten zu müssen, in sich verständlich. 83 Das ablehnende Verhalten der Dame, das den nach allen Regeln der höfischen Minne liebenden und dienenden Mann in besonderer Weise verletzt, lässt sich als eine der Grundcharakteristiken des OEuvre Hausens nennen. Das macht sich auch in den „ererbten“ Liedtypen bemerkbar: In seinem einzigen Frauenlied wollte Hausen eine höfische Dame ausmalen, die ihrer êre bedächtig sein will und den Mann, bei aller Faszination für ihn, nicht erhören konnte (Lied XX). Dies ist auch der Unterschied zu der „beglückungsbereiten“ Dame der Frauenstrophen in der Frühgruppe. Auch in dieser Hinsicht sehen wir deutlich eine „Fortbewegung“ der Poetik des Minnesangs zu ihrer „klassischen“ Ausformung. Dem folgenden Lied widme ich mich hier nicht aus dem Grunde, die Breite des OEuvres Hausens zu dokumentieren, welche bemerkenswert ist,55 vielmehr möchte ich die Vielfalt der möglichen romanischen Einflussbereiche auf sein Schaffen vor Augen führen. Vor diesem Hintergrund wäre sein „Traumlied“ über eine wunderschöne und erotisch höchst verlockende Frau zu deuten. Das Lied Nr. XI- In mînem troume ich sach / ein harte schoene wîp a) zur Form: eine Stollenstrophe metrischer Bau 3a 3b 3a? 3b / 4c 4d 4c 4d? 3d?56 b)zum Inhalt: Gerade durch das in vielen Liedern thematisierte ständige Ablehnen des Minnenden findet eine Begegnung mit der „Traumdame“ bei manchen Sängern in der Fiktion eines Traumes statt, in dem das quälende Verlangen auch im Schlaf des Mannes wacht und ihm das Wahnbild der Geliebten vor Augen zuführt: Es kommt auf ihn ein ersehntes harte schoene wîp (V.2) zu und bleibt bei ihm die ganze Nacht. Umso trüber ist dann sein Erwachen (V.4), das Entfliehen des Wahnbildes ins Leere wird zu einem inneren Trauma(V.5-7, daz ich enweiz, wâ si sî - V.6), sodass er umso mehr seine eigene Phantasie (substitutiv die ougen als Vermittler der Wahnidee) verflucht (V.8-9). Das bemerkenswerte Lied vermischt in sich einige Vorstelllungen der frühen rittterlichen Liebesdichtung und die Elemente der romanischen Konzeption: 55 56 Dazu mehr L-P.Johnson (1999), S. 120ff. Mit dem Fragezeichen sind die Halbreime markiert. 84 1. die Einforderung der erotischen Erfüllung von Seiten des Ritters – sie wird durch die Unmöglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, „neutralisiert“, entschärft (das Liebesspiel geschieht nur im Traum). 2. es wird im Gegensatz zu den Liedern der hohen Minne ausschließlich die erotische Ausstrahlung der Dame betont. Hausen hatte hier nicht die Absicht, die ethische Dimension der Beziehung zu schildern. Das bringt das Lied einigen Vorstellungen nahe, die von der romanischen Dichtung her bekannt sind. 57 Das Fazit: Das hier hervorgehobene Motiv der erotisch verlockenden Dame soll Eines verdeutlichen: Die Minnebeziehung zu einer Dame soll eine sein, die dem Minnenden fröide schenken sollte (in dieser Hinsicht steht das Lied den Liedern der Frühgruppe nahe, vgl. dazu. z. B. das Oeuvre Kaiser Heinrichs). Die Unerfüllbarkeit der Minne im realen Leben des Minnenden deutet jedoch auf das Konzept der hohen Minne hin.58 Zur Charakteristik des OEuvre Hausens: Die „staete“ des Minnenden, die auch in den Kreuzzugsliedern thematisiert wird, ist ein Thema auch in den „Ferne-Liedern“ (z. B. Nr. IV.), die über das andersbedingte, pflichtgemäße Entfernung des Mannes von seiner Dame handeln; in beiden Liedtypen wird die Beständigkeit des Ritters als Grundlage der Minnebeziehung hervorgehoben. In seinen drei Kreuzzugsliedern (Nr. VI, IX, X) entscheidet sich der Mann nach langem erschöpfenden innerem Ringen zwischen Minne- und Kreuzzugsverpflichtung doch eindeutig für den Kampf um das Lehen Gottes. Einschließlich des hohen Minneliedes, das als erstes analysiert wurde, sind diese Liedtypen für Hausen auch die typischsten. 57 Das Wahnbild der Geliebten, in der Nacht oder im Tagtraum zu dem vom Verlangen müden Leib des Minnenden kommend, ist ein typisches Motiv auch der mittelalterlichen arabischen Liebeslyrik und folglich der maurischen Poesie Spaniens. Eine Beeinflussung Hausens, die über die romanische Vermittlung erfolgen haben kann, ist hier nicht auszuschließen. Mehr dazu Ecker (1978), S.82ff.. Eine annähernd gleiche Parallele, mit Ausführung des Motivs des Zuflüsterns der Liebesworte, bringt z. B. der Dichter Al-Faradi (962-1012), Richter in Valencia seit 1009): Die Länge meines Sehnens nach dir führt mir dein Bild vor Augen und bringt dich nahe, so daß ich dir ein Geheimnis zuflüstern kann (Maggarî, I, 546). Auch andere Lieddichter , Provenzaler wie auch Deutsche, erörterten dasselbe Thema, vgl. schließlich auch das „Traumlied“ Walthers. 58 Das Lied analysiert auch Hensel (1997), S.204: einerseits ordnet er es der frühen Minneliedern zu: die Dame sei „nicht als abweisend dargestellt“, der Mann trete anfangs „selbstbewusst“ auf. Doch der Umstand, dass der Mann sein Leid einsam artikuliert (die Dame ist als Trugbild schließlich nie zu erreichen), bringt den Text andererseits der Konzeption des hohen Minneliedes nahe. 85 Andere seiner Lieder berichten über einen vergeblichen treuen Dienst und die dem Ich daraus erwachsene innere Zerstörung (z. B. Nr.III) oder führen das enttäuschte Ich vor Augen, das sich schließlich Gott allein zuwendet, der als einzige einen sicheren „lôn“ gibt (z. B. Nr.VIII). Zu den wichtigsten Neuerungen dieser Phase des Minnesangs gehören die Verlagerung der Minneproblematik ins Innere des Mannes (sein Lied-Monolog) wie auch die durch die Romania beeinflusste Darstellung der Frau als hohe abweisende Minnedame. Dieses wird – in facettenreichen Variierung und Akzentuierung – auch von anderen Vertretern des rheinischen Minnesangs wie von Veldeke und von Fenis dargeboten. Analyse 11: Rudolf von Fenis – das Lied Nr. II – Minne gebiutet mir, daz ich singe – das hohe Minnelied a) Zur Form: Stollenstrophe aus Vierhebern und einem Fünfheber (V.5), mit wechselnden Taktfüllungen (zweisilbig, dreisilbig, gelegentlich sogar viersilbig: 2,2). Wie Schweikle anführt, entspricht die Strophenform dem Lied De bone amor et de loiaul amie von Gace Brulé. Die Strophen seien miteinander kunstvoll durch eine Schluss - Anfangsbeziehung verknüpft, auch sonst findet man textliche Wiederaufnahmen.59 b) Zum Inhalt: Das Lied stellt ein charakteristisches Beispiel des hohen Minneliedes dar. In allen Strophen werden nacheinander Argumente durchgespielt, die die Hauptidee, das Werben des Mannes um eine hochgestellte Dame (wenn auch immer hoffnungsloser dargestellt), bekräftigen sollen. Der Minnende tritt immer entschiedener in den Werbungsdienst ein – seine Liebesbeteuerungen übersteigern sich von Strophe zu Strophe, so dass jede nachfolgende Strophe in ihrem argumentatorischen Ablauf als eine Überbietung der vorausgehenden gestaltet wird; für den Zuhörer entsteht so ein Eindruck einer besonderen Intensität. Strophe 1: Es ist Minne, die den Mann zum Sang veranlasst: er muss über sie singen (es entsteht so eine zweite Ebene der Kommunikation, eine Metaebene). Die Minne sollte ihm Freude, keinen Verdruss bringen. Er darf in seinem freudigen Gesang nicht aufhören (V.1-2). Es kommt ein 59 Im Sinne des Kommentars von Schweikle (1993), S. 460f. 86 Gegenargument, eine Klage: Er kann nicht froh sein, wenn er keine Zuversicht über die Gunst der Dame, sogar keine Hoffnung hegen kann (weder trôst noch gedinge, V.3). Aber – es ist die Macht der Minne, die ihm zu dienen befiehlt, die auch sein aussichtsloses Dienen will, das sich als Sang demonstriert, wenn auch seine größte Tugend – Beständigkeit – nichts nützt (V.5-7). Welche Konsequenz zieht der Sänger? Die des hohen Minnesangs: Gleichwohl er einräumt, dass er wohl ein theoretisches, logisch begründbares Recht auf Dienstabbruch hätte, sieht er sich außer Kräften, diesen durchzuführen (V.8). Strophe 2: Dieser Gedanke wird in der Anfangszeile der 2. Strophe – als eine Art Intensivierung – wieder aufgenommen. Das Singen wird als Element des treuen Dienstes fortgesetzt: Es ist das herze, das es nicht erlaubt. Daraus erwächst ihm eine unermessliche Not, eine Notlage, eine bedrohliche Verstrickung: Die er liebt, zeigt sich ihm gegenüber immer als Feindin (der Gegensatz wird durch die Ausdrücke minne / hazzet wirkungsvoll intensiviert). Er überbietet seine Haltung noch: er wird iemer dienen, gleichwohl wie es ihm ergehe. Es ist seine größte Tugend, sein grôziu staete, die ihm so zu handeln gebietet, auch angesichts der sich dadurch noch steigernden möglichen Empörung seiner Minnedame (V.4-8).60 Strophe 3: Deshalb – als erneute intensivierende Wiederaufnahme des Schlussgedankens und der letzten Formulierung der 2. Strophe – möchte der Mann der Dame beständig dienen, auch – welche Not – ohne ihr Entgegenkommen. Nun spricht er nicht weiter von dem Herzen, sondern von der Vernünftigkeit: es wäre logisch, dort zu dienen, wo er lôn erwarten kann. Es kommt neue Überbietung und Intensivierung – als eine wiederholende Variation auf den Begriff lôn in den nacheinander folgenden Versen 4 und 5 (lônes-lônes): gleichwohl er ihn anderswo erzielen könnte, wird er entschlossen hier zu dienen, wo er auf Belohnung recht wenige Aussicht hat. Der Gegensatz „belohnt“ – „unbelohnt“ steigert die Aussage (V.6). Die subjektive Reflexion, den Dienst lassen zu können, wird gegen Ende der Strophe noch mit einer stärkeren Verbissenheit negiert, indem der Sänger eine weitere Sphäre ins Geschehen bringt: Jetzt sind es alle seine Gedanken, die von der Dame eingefangen sind und von ihr nicht lassen können (mîne sinne) (V. 8). Auch Eisbrenner (1995), S. 212 gibt in seiner Interpretation dieses Liedes in der 2. Strophe einen „Mangel an mâze“ als Fundament des sich immer fortsetzenden Dienstes des Mannes an: „Das Ich liebt (minnt) die Dame zu stark (vielleicht kann man sêre,v.4, sogar zum übergeordneten Satz, zu minnen, ziehen) und es wird sie immer lieben.“ Er (S.215) hebt im Lied „ eine spiralförmige Aufwärtsbewegung“ hervor. 60 87 Strophe 4: Es geht wieder weiter: Nicht nur, dass die Dame ihm keinen Lohn schenkt, sie möchte sogar nicht, dass er in ihrer Nähe bleibt. Aber gerade seine Gedanken erlauben es ihm nicht, sich nur einen Schritt von ihr zu entfernen. Sie stößt ihn von sich weg – die Klage setzt fort (V.12). Im weiteren Überbietungstopos bringt er wieder ein neues Argument für seine Haltung ein: Durch sie huldigt er allen edlen vollkommenen Damen (allen guoten wîben) – so hebt er den ethischen Effekt seines Dienstes hervor (V.3-4). Eine weitere Steigerung lässt auf sich nicht lange warten: jede Qual eines solchen Dienstes kommt ihm wie Wonne vor. Es ist nicht mehr eine Minne, die auf Lohn zielt, sondern eine innerlich veredelnde Kraft (V.5-6). Eine letzte Überbietung steht als Pointe am Schluss des Liedes: Der Dame nützt deshalb ihre Trotzigkeit nicht, sie soll von ihr ablassen, weil es ist unmöglich, dass er je zu dienen aufhört. Das argumentierende Sprechen des Mannes, das sich durch das ganze Lied durchzieht – Argumentieren auf das Werbungsziel der Erhörung hin – findet hier ein letztes, „kronendes“ Argument: die Dame ist angesichts seines treuen Dienstes unfähig, ihn von sich zu vertreiben. Ihre Handlungstaktik – Zorn – erweist sich gegenüber seiner Beständigkeit als schwach. Trotz aller Ablehnung lässt sich aus der letzten Rede des Mannes ein triumphierender Unterton heraushören. Als ein Pendant zu diesem Lied ist auch das nachfolgernde zu begreifen: Rudolf von Fenis: Das Lied Nr. III – Mit sange wânde ich mîne sorge krenken61 – das hohe Minnelied a) zur Form: Durchgereimte Stollenstrophe auf Fünfhebern mit gelegentlichen Doppelsenkungen (z.B. im Vers 1,3). Wie Schweikle feststellt, sind die Strophen 3,4 und 5 durch Wiederholungen einzelner Begriffe miteinander verknüpft: 3,5: 4,1: 4,5; 4,4: 5,4. Zur Strophenform gibt es fünf provenzalische Parallelen.62 61 Eisbrenner (1995), bringt auf S.218-226 eine Interpretation dieses Liedes. Er verdeutlicht vor allem die NäheFerne-Dialektik als ein tragendes Element des Liedes, das auf keine fortschreitende Minnehandlung zielt und stattdessen die Techniken der Desillusionierung und das Dilemma des ständigen Pendelns des Sängers zwischen Nähe und Ferne von der Geliebten zeigt. 88 b) zum Inhalt: Das Lied geht von der Zentralvorstellung einer hochgestellten, abweisenden, unerreichbaren Dame aus. Die Hauptmotive sind: 1. die immer intensivere Verstrickung des Minnenden in die Minne, von der er sich mithilfe keines Mittels lösen kann. (Das Konzept der Überwältigung von Minne) 2. Eine Verdeutlichung: Seine Feststellung, dass er nicht nur in Entfernung, mehr aber noch in der Nähe seiner Dame eine unermessliche Pein erlebt, die für ihn Todesbedrohung bedeutet und sich aus dem unvereinbaren Sachverhalt ergibt: er liebt die, die er nie erreichen kann. (Das Konzept der Minne als zerstörerischer Macht). Beide Konzepte sind im Lied vertreten. 1. Strophe: Wie das voraugehende Lied, beginnt auch dieses mit „Sang“. Der Minnende möchte seinen Sang als ein Hilfsmittel gegen die Macht der Minne nützen (V.1-2); dieses Remedium versagt jedoch, weil er gerade durch den Sang seiner Dame immer mehr gedenken muss (V.3-4). Er begründet diese Situation: es ist die Instanz Minne, die ihn zu einer solchen Einbildung brachte (wân), dass er sich in seine Liebe verstrickt hat und ihr nun nicht entweichen kann (V.5-7). 2.Strophe: Sie wird durch einen schön gestalteten Preis der Dame eröffnet: Die personifizierte Minne wollte ihn damit ehren, dass er die Dame in seinem Innersten trägt (die Position der Dame wird durch das Enjambement im V. 3 – diu – verdeutlicht); allein sie könnte unter Umständen sein Leid in Freude wenden, unter dieser Aussicht hat er die Minneverpflichtung angenommen. (Als Verstärkung bedient sich der Autor einer Hyperbel: Der Minnende wäre ein Tor (gouch) – wenn er sich geweigert hätte, V.4). Verbittert wendet er sich wieder an die Minne als Institution, der er nun sein Leid klagen möchte, weil sich die Sache nicht nach seinen Erwartungen entwickelt. Eine kleine Hoffnung, wirkungsvoll mit der indirekten Lohnforderung verbunden, hegt er doch: Es wird möglich sein, dass diejenige, die ihn so peinigt, ihm schließlich Freude schenkt (V.5-7). 3. Strophe: 62 Schweikle, (1993) Kommentar S. 461. 89 Es folgen Details: Zu Anfang erklingen die Motive der Nähe und Ferne: er wundert sich über die Stärke der Macht der Minne, die ihn völlig beherrscht, auch wenn er fern von seiner Dame ist (V.1-2). Damit verweist er auf seine völlige Überwältigung von Minne und seine absolute Ausgeliefertheit ihrer Macht. Der Minnende hofft, diese Pein damit zu lindern, wenn er in die Nähe seiner Erwählten käme(V.3-6). Welche ist aber seine Enttäuschung, wenn er feststellt, das dem anders ist: erst jetzt beginnt sein Leid recht unermesslich zu sein: alrêrst mêret sich mîn ungewin (V.7). 4.Strophe: Dieser sein Zustand wird jetzt näher erläutert: In der Anwesenheit der (abweisenden) Dame, deren Ausstrahlung mit der Glut verglichen wird, steigert sich auch sein Leiden (es wird sehr anschaulich mit Hilfe des Bildes eines Menschen umschrieben, der sich zu nahe an die Glut näherte und sich dabei schmerzlich verbrennt hat, V.1-3). Diese Pein bereitet ihm ihre Güte. Die Metapher der Glut bezeichnet wohl die Makellosigkeit und Schönheit der Dame (V.4). Es wird nochmals die Dialektik von „Ferne“ und „Nähe“ aufgenommen: Ist er bei ihr, erliegt er fast der Pein des Begehrens, entfernt er sich, bringt ihm dies den sicheren Tod. Der Anblick der Dame ist jedoch bei aller Pein seine Lebensquelle: swenne ich bî ir bin, daz toetet mir den muot, / und stirbe aber rehte, swenne ich von ir kêre, / wan mich daz sehen dunket alsô guot (V. 5ff.). 5.Strophe: Es wird nochmals verdeutlicht: Es ist ihre erotische Ausstrahlung ( ir schoenen lîp), was dem Minnenden das peinigende Leid des unerfüllten Begehrens bringt (V.1). Dies wird mit dem berühmten Vergleich mit der Lichtmotte näher dargelegt: Sie, wie er, findet ihren Tod in der hellen, verlockenden Licht der Flamme (die Flamme wird wieder metaphorisch für die Reinheit der Dame verwendet, auch als Mariensymbol). Nicht nur ihre leibliche Schönheit, sondern ihre Vollkommenheit (ir grôziu güete) haben sein Innerstes verführt. Er ist nun verloren und nimmt dasselbe Ende wie die Lichtmotte: Ich habe mich sô verre an si verwendet, / daz mir ze jungest rehte alsame geschiht, V.6f.63 63 Die Metapher der Lichtmotte ist in demselben Kontext bereits in der arabischen Liebesdichtung zu finden. Ecker (1978), führt auf S. 119f.ein Beispiel für alle an: Ibn Ħazm im Kapitel „ Die Liebesvereinigung“: „Wie oft bist du um die Liebe herumgeflattert, bis es dir ergangen ist wie der Motte!“ Dasselbe Motiv dürfte von den Arabern in die provenzalische Dichtung eingegangen sein: wir finden ihn bei Folguet von Marseille: „ Mit einer schönen Miene, die die falsche Liebe trägt, zieht sie törichte Liebhaber beharrlich an sich, wie die Motte, die eine so törichte Natur hat, daß sie sich in das Feuer schlägt wegen der Helligkeit, mit der es leuchtet.“ Fenis nützt eine Paraphrase dieses Bildes. Zu anderen romanisch beeinflussten Wendungen im Lied vgl. die provenzalischen Parallelstrophen des Liedes von Folguet de Marseille und Guiot de Provins im Kommentar zum Lied von Sayce (1996), S. 64-83. 90 Analyse 12: Albrecht von Johansdorf- Lied Nr. XIV: Guoten liute, holt die gâbe – das Kreuzzugslied64 a)zur Form: Stollenstrophe mit dreiteiligen Stollen: 3a 6b 4c 3a 6b 4c / 6d 5d 5e 7e, mit bisweilen dreisilbigen Takten (1,10-3,9-4,8). In der Frauenstrophe 3 sind die Verse nicht fünf-, sondern sechshebig, was wohl die Rede der Dame signalisieren sollte.65 c) zum Inhalt: Einleitendes: Die Minne beider Partner stellt sich den nun veränderten Bedingungen, der Herausforderung einer Kreuzzugsfahrt. Wie finden sich der Minnende und die Dame mit der neuen Situation ab? − Einzelne Aspekte der neuen Lage werden durchgespielt. Die Minne lässt den Minnenden, der mit zwei Verpflichtungen − der des Minnedienstes und der des Gottesdienstes kämpft − auch für die Zeit des Kreuzzugs nicht frei, weil sie eine Angelegenheit seines Herzens ist. Die Möglichkeit, durch den Kreuzzug ewiges Heil zu gewinnen, wird gegenüber der Minne als irdischem Heil abgewogen. Beide Perspektiven scheinen unvereinbar zu sein, der Dichter bemüht sich um Lösung dieser Situation. Schließlich entscheidet er sich für die „gradualistische“ Lösung − sowohl für Anspruch Gottes als auch für Anspruch der Minne: Er nimmt in seinem Innersten die Dame als Inbegriff der reinen Güte in einem gottgewollten Plan mit über die See (sie ist ja von Gott geschaffen). Zu den Strophen im Einzelnen: 1. Strophe: Sie beginnt mit der Aufforderung zum Kreuzzug, die sich an die Angehörigen der Hofgesellschaft, die „guoten liute“, richtet: Die Teilnahme am Kreuzzug soll man als Gabe Gottes betrachten, als Angebot, für eine Weile Not ewige, zahlreiche Freuden, für die ewige Verdammnis (den ewigen Tod) das ewige Leben zu gewinnen (V.1-8). Es wird noch 64 Ich stütze mich bei der Interpretation dieses Liedes im Wesentlichen auf die Analyse dieses Liedes von Ortmann - Ragotzky (1993), S. 169-190. Im Hinblick auf die Pointe des Liedes unterstreiche ich die Formulierungen vom Munde der Frau in der letzten Strophe IV, V. 7-10., welche die innige Verbundenheit der Dame mit dem Ritter wirkungsvoll zeigen. 65 Nach Schweikle, S.562f. 91 verdeutlicht: Es sei angebracht, für Gott, der Herr des menschlichen Leibes und der Seele ist, den Leib zu opfern; für die Seele eröffnet sich dann ein Leben ohne Ende (V.9f.). 2.Strophe: Sie formuliert eine Reaktion des Ritters auf diese Aufforderung. Er, der sich in der „weltlichen“ Verstrickung der Minne befindet, versucht auf den Angebot einzugehen. Er versucht, sich von der personifizierten Minne eine Erlaubnis zu erbitten, für die Zeit des Kreuzzugs (eine wîle) frei von ihr zu sein (V.1-2). Wenn er liebt, ist seine Gesinnung von den Minnegedanken allzu eingenommen, er kann nicht nüchtern nachdenken (du hâst mir gar den sin benomen, V. 3). Die Minne ist ihm aber lebensnotwendig, deshalb wünscht er sich, dass sie ihn – nach der Erfüllung seiner Kreuzzugspflicht – wieder in ihren Bann zieht (swenne ich die reinen gotes vart volendet hân, / sô wis mir aber willekomen, V. 5f.) Die Situation entwickelt sich jedoch anders. Der Minnende stellt fest, dass die Minne sein Innerstes, das sie ja mit Macht beherrscht, nicht verlassen wird. Wir sehen wieder, dass Minne nicht etwa ein seichtes Spiel ist, sondern dass sie einen Totalanspruch auf den Menschen erhebt, dessen sich den Ritter nicht entheben will: wilt aber du ûz mînem herzen scheiden niht, / daz vil lîhte unwendic doch beschiht...(V. 7f). Der Minnenden bleibt nur eine Lösung: Er muss seine Erwählte, sein irdisches summum bonum, in seinem Innersten mit auf die Reise nehmen, mehr noch: er möchte sich für sie die Hälfte des Lohnes erbitten, den er durch seine Kreuzfahrt von Gott gewinnen würde (sô sî er der guoten dort umb halben lôn gemant, V.10). 3. Strophe: (Frauenstrophe) Auch die Dame reflektiert über ihre Liebessituation, die angesichts der geschilderten Ereignisse eine Leidessituation ist (sie wird durch die Interjektion owê rhetorisch verdeutlicht V.1-3). Sie weiß nicht, ob sie den zwei Ansprüchen, dem der werlte (höfischer Gesellschaft) und dem des Leides (klage) gleichzeitig gerecht werden kann (V.7). Sie will einen Rat bekommen, wie weiter unter gleichzeitiger Einhaltung der höfischen Regeln und der Minne zu leben (V.8f.). Als eine Dramatisierung des Geschehens ist der Schlussvers 10 zu deuten: Die Situation spitzt sich zu, bald kommt der Augenblick, in dem der Ritter fort fährt; bald wird sie dieses Moment erleben müssen. 4. Strophe: 92 Ihr Beginn wird als ein großangelegter Frauenpreis vom Munde des Mannes gestaltet (wol si): nur die Dame, ein saelic wîp vermag es, mit ihrer Vollkommenheit (mit ir reinen wîbes güete), ins Herz des Ritters eingeschlossen und auf den Kreuzzug mitgenommen zu werden. Diese Behauptung möchte sich der Minnende noch von anderer Seite bestätigen lassen: nur jemand, der diese innigste Verbindung (herzeliep) zweier Personen aus eigener Erfahrung erlebte, kann seine Dame entsprechend preisen (V.1-5). Der Minnende stellt uns noch die Dame noch einmal, verdeutlichend, vor Augen: er malt die Szene aus, in der die Dame daheim leidet und der Not seines Liebsten gedenkt. Rhetorisch glänzend bedient sich der Dichter an dieser Stelle der direkten Rede der Dame. Sie fragt in ihrer Vereinsamung (was sich als eine Wunschvorstellung des Mannes begreifen lässt): lebt mîn herzeliep oder ist er tôt? Die ganze Schwere ihres Schicksals spiegelt sich in diesen Worten wider: Es ist die entscheidende Frage für ihr ganzes Leben, das der Minne zum Ritter gewidmet ist (V. 8). Mit inniger Liebe befiehlt sie ihn der Macht und Schutzkraft Gottes. Der innige Ton wird durch die schöne Metapher sîn süezer lîp noch unterstrichen: In seiner blühenden Jugend und Sinnlichkeit entsagte er sich, um Gott zu ehren, der Welt, aller Lebensund Liebesfreuden. Der Höchste soll ihn jetzt, so die Bitte der Dame, bewahren: sô müeze sîn der pflegen, / dur den sîn süezer lîp sich dirre werlte hât bewegen (V.9-10). Das Fazit: Im Lied wird vor dem Hintergrund des Kreuzzuges und des Zwiespaltes zweier Verpflichtungen das innige Minneverhältnis beider Protagonisten wirkungsvoll vor Augen geführt. Wird das gemeinsame Leben überhaupt möglich? Die Trennung des Kreuzzugs bedeutet die höchste Gefahr: Die des Todes. Nur einer, Gott in seiner Allmacht, kann helfen. Das ist der einzige Rat, der für die Dame in Frage kommt und den sie schließlich selber zuspricht.66 Albrecht von Johansdorf – Lied Nr. I – Diu êrste liebe, der ich ie began – Minne-und Kreuzzugslied 66 Johnson (1999), S.137f. , dessen kurze und prägnante Analysen der Liedbeispiele dieser Periode ich sehr schätze, führt als einen Beweis für die inhaltliche Entwicklung der Liedtypen in dieser Phase des Minnesangs dieses Lied Johansdorfs an: die erste Strophe ist um des Element der „guter liute“ erweitert, bei denen der Sänger Unterstützung für den Kreuzzug sucht, was Johnson als eine „Anleihe beim Wechsel“ qualifiziert. Auch die Strophe 3 sei innovativ, sie könne „einem Wechsel oder Tagelied“ entnommen werden, da die Frau ihre Gefühle „auf eine Weise enthüllt, die die Aussagen des Kreuzfahrers ergänzt“. Die Formel owê, sprach ein wîp könnte, was ich nur bestätigen kann, auch einer Tageliedsituation zugrunde liegen. In der 4. Strophe „haben Frau und Mann beide das letzte Wort, obwohl die Entscheidung / über ein Leben oder Tod des Ritters auf dem KreuzzugAnm. d. Verf./ Gott anheim gestellt wird“. 93 a) Zur Form: Stollenstrophe: Fünfheber im Aufgesang, Vierheber im Abgesang (es ist möglich die Verse 5+7 als klingende Fünfheber zu lesen) Metrischer Bau: Aufgesang 5a 5b 5a 5b / Abgesang 4c 4d 4c 4d. Der alternierende Versgang wird öfters durch dreisilbige Takte variiert: z. B. 1,2 liebeste; 2,4 unrede; 3,7 herre von usw.67 b) Zum Inhalt: 1. Strophe: Wir hören vom Munde des Mannes ein Liebesbekenntnis; seine erste Liebe bleibt auch die stärkste (V.1-2, Verdeutlichung durch die Figura etymologica: liebe - liebeste). Auch wenn er von der Dame mitunter nicht entsprechend belohnt wird, kann er nicht anders: sein Innerstes rät ihm so (V.3-4). Mehrere Damen zu lieben wäre für ihn unmöglich, weil die tiefe, einzige Liebe davon beeinträchtigt würde. (Der Autor ruft hier durch Wiederholung verstärkend den Begriff „Minne“ hervor: minnen, minnet - V.5 und 7). Die Strophe endet mit der toposhaften Klage über schlechte Minne-moral (owê): Wie viele Minnenden lieben heute mehrere Frauen! Seine vorblidliche Haltung wird so der falschen gegenübergestellt – als eine Minneleistung, die von der Dame zu belohnen ist. 2.Strophe: Sie setzt unmittelbar fort – mit einer Argumentation des Minnenden: Wenn er sich so vorbildlich verhält, erwartet er seinen Lohn. Das versucht er mit Hilfe eines Rates zu erreichen, den er seiner Dame erteilt: Sie solle, wenn sie ihn auch nicht dermaßen wie er liebt, wenigstens die Rechtsnormen beachten – er habe nun Recht darauf, belohnt zu werden (durch daz reht). Wie? Ihren Tugenden würde es ziemen, wenn sie ihre falsche Nachrede unterließe und zu ihm aufrichtig ist – so, wie er es ihr gegenüber tut: taet an mir einvalteclîche, / als ich ir einvaltic bin. (V. 1- 6, wieder ist hier der Begriff „einfaltic“ − aufrichtig − durch Wiederholung rhetorisch unterstrichen). Er ist ihrer Gewalt ausgeliefert: Ohne Ihr Wollen (den besten sin) kann er keine Minnefreude erleben (die Minne kann echte Minne nur als Zweisamkeit sein,V.7-8). 3. Strophe: 67 Nach Schweikle (1993), S. 551f. 94 Sie ist als eine Klage gestaltet: wie sehr der Minnende hoffte, sein Liebesleid bereits durchlitten zu haben, entbehrt ihm die Dame trotz aller seiner Leistung noch immer ihren Freundesgruß (auch diese zu der Anfangsphase der Minnebeziehung angesetzte Geste bleibt ihm vorenthalten). Seine Hoffnung auf Minnebeziehung sei, so glaubt er, gescheitert. Er muss wieder von Anfang an beginnen: mit erneutem Flehen, in völliger Unsicherheit, ob dieses überhaupt etwas hülfe. Trotzdem will er auf seiner Dame bestehen: ich muoz als ê wîlent flêhen/ und ouch mê und hulfe ez iht (V.1-6). In dieser Situation der höchsten Seelennot wendet er sich an Gott als Helfer – verbittert, mit einem Vorwurf, einem Ausruf, in dem er sich der Rechtsterminologie metaphorisch bedient: herre, von wem ist daz mîn lêhen, / daz mir niemer heil beschiht. – Aus welcher Ursache habe ich das verdient? Von wem ist mir dieses unverständliche „Lehen“, der Misserfolg, zugeteilt (V.7-8)? 4.Strophe: Die Situation stellt sich neu dar: er nimmt für Gott das Kreuz an und steht kurz vor Aufbruch ins Heilige Land. Er reflektiert über seine Liebessituation, die bisher nur Leid brachte: was ist für ihn in seiner Minne am wichtigsten? Sollte er wieder zurückkommen, möchte er seine Dame in unverminderter Vollkommenheit, in ehrenhafter Lebensführung wieder vorfinden (daz ich si vinde mit ir êren). Nicht mehr, nicht die Erhörung von Seiten der Dame, sondern diese Art der Belohnung, die ihn innerlich veredelt, erbittet er sich von Gott als „Gegentat“ für seinen Kreuzzugdienst − so wird Gott seinen Willen ganz erfüllen (sô gewert er mich mîns willen gar,V. 1-6). Als eine angstvolle Hinzufügung muss man die Schlussverse verstehen: der Ritter erwägt den Fall, was wäre, wenn er die Dame, die er so innig liebt, nach seiner Rückkehr von einem Makel gezeichnet vorfinden würde. Bloß der Gedanke daran bringt ihm unermesslichen Schmerz. Sollte es geschehen, bittet er Gott um Tod auf dem Kreuzzug; dieser wäre für ihn besser, als das Scheitern seiner Minne erleben zu müssen. Die Tiefe und Ernst seiner Minneempfindung kommen hier noch einmal, am intensivsten, zum Tragen. Der letzte Vers ist eindrucksvoll gestaltet: Das Dahinscheiden des Ritters ist mit Hilfe der aussagekräftigen metaphorischen Wendung umschrieben: sô gebe got, daz ich ê vervar (V.7-8). Das Fazit: Die Dame sollte die Regel beachten: So wie der Ritter makellos werden möchte und für sein Heil sich kämpferisch betätigt, so soll auch sie zu Hause makellos leben. Das Kreuzzugsmotiv 95 ist in dieses Minnelied eingeführt, damit die Bedingungen der Minne des Ritters noch genauer und schärfer dargelegt werden können, nämlich die uneingeschränkte Idealität der Dame, besonders auch ihre staete, die er ja für sich selber schon von Beginn des Liedes betont hat. Das Minnekonzept beruht hier auf der Parallelität. In beiden Liedern finden wir die Dame in Wunschvorstellung des Mannes dargestellt: Sie soll in vorzüglicher Lebensführung und in beständiger Minne zu ihm leben. 96 Das Liedschaffen der Autoren der „rheinischen“ Phase − zusammenfassende Charakteristik Heinrich von Veldeke Rudolf von Fenis-Neuenburg Friedrich von Hausen Albrecht von Johansdorf Die „rheinische“ Phase des Minnesangs ist – als die erste Epoche in der Geschichte des deutschen Minnesangs – von der romanischen höfischen Trobador- und Trouvérelyrik systematisch geprägt. Sie vereinigt die romanischen Einflüsse, die bereits bei einigen Autoren der „Frühgruppe“ (dem Burggrafen von Regensburg und Rietenburg, Meinloh von Sevelingen, in vieler Hinsicht bei Kaiser Heinrich) vor allem auf der Ebene ihrer Begrifflichkeit allmählich durchsickerten (Dienst-Idee, Streben des Mannes nach Vollkommenheit), bringt sie zur vollen Entfaltung und „überdeckt“ die ältere Vielfalt der Minnebeziehungen zwischen dem lyrischen Ich und der Dame mit einer einzigen, dominierenden Vorstellung. Diese wird fast ausschließlich von dem männlichen „Ich“ verkündet. Die Figur des Mannes rückt gänzlich in den Vordergrund; seine Aussage über die Minne nimmt vorwiegend den ganzen Handlungsverlauf des Liedes ein. Wir sprechen in dieser Hinsicht über eine „Verinnerlichung“, über „introventierte Gedanklichkeit“ der männlichen Aussage als von dem Hauptmerkmal dieser neuen Minneauffassung.68 Diese ist – in gebotener Vereinfachung – wie folgt zu charakterisieren: Ein Ritter wirbt in der Ich-Form (ich wirbe, ich minne) um eine höfische Dame. Die Dame ist dabei die Herrin (frouwe), der Werbende ist Untergebener (man, dienstman). Der Minnende erweist ihr, die in idealisierter Gestalt alles überragt und in idealer Weise alle ästhetischen und ethischen Qualitäten ihres Standes und ihrer Zeit verkörpert, seine Ergebenheit in Form des höfischen Minnedienstes. Ihre Idealität lässt sich durch zwei Hauptmerkmale beschreiben: sie ist guot (innerlich vollkommen) und schoene (ihre innere Vollkommenheit tritt in ihrer Schönheit erotisch attraktiv in Erscheinung). Für den werbenden Mann ist angesetzt, dass er die höfischen Qualitäten anstrebt, die ihm in der Gestalt der vrouwe als ethisches Vorbild und zugleich erotische Attraktion vor Augen stehen. Die Minne, die den Mann mit der Frau verbindet, hat ein doppeltes, nicht trennbares Ziel: Die Liebeserfüllung als durchaus auch körperliche Vereinigung, in deren Gewährung aber 68 Schweikle (1993), S. 479. 97 zugleich höchster ethischer Rang bestätigt wird. Dann ist der Zustand der fröide und des hôhen muotes erreicht, eines festlich freudigen Selbstwertgefühls und einer nicht mehr zu übertreffenden Hochgestimmtheit und Hochgesinntheit. Die angestrebte Liebeserfüllung ist zum Zeitpunkt, zu dem das Lied spricht, noch nicht gewährt, es ist ja ungewiss, ob sie je überhaupt gewährt werden wird. In dieser erotischen Spannung werden auf subtile Weise Fragen nach Glück und Leid in Liebe und Leben sowie nach den ethischen Anforderungen der Minne diskutiert, wobei die triuwe (Treue) und staete (Beständigkeit) im Mittelpunkt stehen. Der Minnende befindet sich in einem Mischzustand von trûren, swaere (Bedrücktheit) und der Hoffnung (gedinge) auf Erfüllung, auf fröide und hôhen muot, die sich auf ein unentwegtes, treues Weiter-Werben stützt. Die Werbung wird als dienest (Dienst), die erhoffte Erfüllung als lôn verbildlicht und ritualisiert. Das sind Grundbeziehungen der feudalen Gesellschaftsordnung. Das Modell der Minne wird zum gesellschaftlichen Modell. Das Minnepaar umgeben seltener hilfreiche friunde, häufiger die hindernde huote, merkaere (Aufpasser) und lügenaere (Verleumder). Die Minne als nicht legitimierte Beziehung muss tougenlîche (heimlich) geführt werden. Man muss noch eine knappe Charakteristik der Rollen der einzelnen Protagonisten hinzufügen: Das Hohe Minnelied bringt die genannten Rollen und Rollenbeziehungen nicht so vor Ohr und Vorstellungskraft des Publikums, indem es diese Rollen beschreibend vorentwirft: „Es war einmal ein Ritter, dar warb um eine Dame...“. Es handelt sich dagegen, wie oben erwähnt wurde, um Reflexionslieder aus der Ich- Perspektive des werbenden Mannes: „Ich werbe, ich minne“. Ich muss den Reflexionsvorgang ein wenig präzisieren: Es handelt sich um „Argumentationslieder“. Der Minnende (Ich) führt alle möglichen Argumente ins Feld, die ihm das Minnesystem, besonders die Dienst-Lohn- Kategorie, an die Hand gibt, um das Ziel des Werbens, die Minneerfüllung, die Liebesvereinigung, zu erreichen. Dies geht bereits aus einem kurzen Zitat deutlich hervor: Sît ich daz herze hân / verlâzen an der besten eine / des sol ich lôn enpfân... (Hausen, Lied XIII, Str. II, 1-3). Die genannten typisierten Rollen und Rollenbeziehungen werden also nicht beschreibend, sondern innerhalb eines Argumentationsablaufs vorgestellt. Das Grundmodell des „Hohen Minneliedes“ setzt sich aus genauso typisierten und immer wiederkehrenden tragenden Motiven zusammen. Die wichtigsten sind bei den Autoren der Frühgruppe in einer frühen Ausformung bereits vorhanden (s. dazu Zusammenfassende 98 Charakteristik des Liedschaffens der Autoren der Frühgruppe): Als „Bausteine“ werden sie miteinander in einem argumentativen Vorgang kombiniert. Sie werden im einzelnen Lied variiert. Sie sind nicht beliebig wählbar, sondern ihrerseits feststehend. Die Kunst dieser Lieder besteht also in der immer neuen, überbietenden Variation dieser Grundbestandteile - in sich selbst - in ihrer Abfolge im Lied; - höchste Kunst des Minnesängers ist es, in einem einzigen Satz mehrere dieser Grundmotive anklingen zu lassen, ineinander zu formulieren. Es sind im Wesentlichen folgende: 1. Preis der Dame (in dem immer wieder ihre Idealität definiert, bestätigt und anerkannt wird. Die Position der Dame im Minnesystem wird literarisch realisiert in der Form des Preises und des Lobes). 2. Darlegung der Leistung des werbenden Mannes (z. B. und v. A. durch den Hinweis auf die Dauer und Beständigkeit seines Dienens, seine triuwe und staete, die besonders betont werden können, wenn der Minnende angibt, die Dame schon von Kind auf geliebt zu haben, ja überhaupt nur für sie geboren worden zu sein). 3. Lohnforderung (von der Bitte bis zum quasi gerichtlichen Einklagen). 4. Klage wegen Nichterfüllung (Darlegung von trûren, swaere). 5.Reflexion über Gründe der Nichterfüllung z. B.: - liegt es, äußerlich, an der huote, den merkaeren oder an lügenaeren? Etc. - liegt es daran, dass ich in meiner Lebensgestaltung ihrer noch nicht würdig bin? - liegt es an meinem Minnesingen? - liegt es an der Dame? – Dies wird sofort zurückgenommen! - Liegt es an der frouwe Minne, d.h. am System, an der Einrichtung Minne? Auch solche Teil-Argumente sind begrenzt nach Bestand und Ausführung. 99 6. Reflexion über die Konsequenzen (Dienstabbruch? Meist: erneute Dienstversicherung, Trotzdem des Weiterdienens). Aus diesen Grundgegebenheiten einer Poetik des hohen Minnesangs ergeben sich folgende Konsequenzen, anders formuliert: erklären sich wesentliche Erscheinungsformen dieses Typs. 1. Wenn die ermittelte Grundschematik sowohl beim Autor wie beim Publikum gespeichert ist a. braucht er dann Elemente daraus nur anzudeuten, nicht auszuformulieren, b. kann er dann Elemente daraus sogar ganz aussparen und damit rechnen, dass das Publikum sie in Gedanken zu einem sinnvollen Ganzen ergänzt. 2. Es gibt unter dieser Voraussetzung aber auch die Möglichkeit, eines der genannten Grundmotive ganz stark in den Vordergrund zu rücken, etwa den Frauenpreis oder die Klage. Dann entstehen „Preislieder“ oder „Klagelieder“, die aber als solche dank der Ergänzungsfähigkeit des Publikums keineswegs aus dem Typus des hohen Minneliedes herausfallen, sondern in ihm bestimmte Momente betonen. Hierzu eine verdeutlichende Beschreibung des „Klageliedes“ oder der „Liebesklage“: Die Dame wird in vielen Liedern der Hohen Minne nicht nur als eine Hochgestellte, Unnahbare, Unerreichbare, sondern sogar als Abweisende, feindlich gesinnte dargestellt; dieses unüberwindbare Hindernis wird zur Ursache der grundsätzlichen, schicksalhaften Leiderkenntnis des Mannes, über die er klagend reflektiert. Er kann, einerseits von Minne überwältigt, anderseits seinen Grundtugenden triuwe und staete folgend, von seiner Erwählten nicht ablassen. Diese tödliche Verstrickung stellt den Ausgangspunkt dar, von dem eines der dominierenden Typen des Hohen Minneliedes dieser Epoche, das „Klagelied“, in seiner Handlung ausgeht. Das Klagelied endet oft pessimistisch, im Leid, das fast keine Hoffnungsperspektive eröffnet. Nur Friedrich von Hausen setzt sich von einer solchen Haltung in einigen seiner Minne- und Kreuzzugsliedern, die als schwerwiegend gelten, entschieden ab: er sagt sich von seiner Dame los, indem er sie der unangemessenen Hartherzigkeit beschuldigt, und wendet sich Gott zu, der als einziger einen Dienst vom höchsten Aufwand auch richtig zu lohnen weiß. 3. Die ungewöhnliche Verbreitung und der Erfolg dieser Gattung liegt in einem wesentlichen Moment ihres Kunstcharakters und lässt sich vor allem durch das Phänomen der Variation 100 erklären: Den Dichtern eröffnete sich die Möglichkeit, die gegebenen Rollenbeziehungen in ihrer stilisierten idealen Ausformung in unterschiedlichster Hinsicht und auf verschiedenen Ebenen unter hohem künstlerischen Anspruch zu erfassen, um so die Neugier des Publikums nach neuer Variation zu steigern wie auch die höfische Gesellschaft in ihrem Selbstverständnis ständig von neuem zu bestätigen und dadurch auch zu repräsentieren. Zur Einteilung einzelner Aspekte, die im Folgenden behandelt werden: 1.Die Rollen / Die Figur des werbenden Mannes - Akzente (bei Veldeke, Fenis und Hausen ) 2. Die Grundbaustein-Struktur 3. Der Dienst-Gedanke 4. Die Relation: Der werbende Mann – die Feinde oder Freunde der Minnebeziehung 5.Charakteristische Motiv- und Begriffkomplexe 6. Wichtige Nebenstränge: Das Frauenlied, das Kreuzzugslied 1. Die Rollen Die Figur des werbenden Mannes Wie ich bereits erwähnte, wird die Handlung des Liedes „mit den Augen“ des Mannes geschildert, während die Dame in überwiegender Mehrheit der Lieder „stumm“ ist und zum völlig passiven Objekt seiner Bewunderung und Wünsche geworden ist. Im Folgenden stelle ich zuerst die Figur des Mannes und seine Vorstellungen in der Auffassung ausgewählter Autoren der „rheinischen Gruppe“ vor. Der Figur der Dame widme ich mich in der Abhandlung über das Frauenlied. 1. Die Figur des werbenden Mannes bei Heinrich von Veldeke - Akzente 101 Veldeke akzentuiert stark den moralischen Aspekt: das „richtige, tatsächlich „höfische“ Werben und Dienen. Er trägt viel zu der Entwicklung dieses Konzepts bei. Die Vorführung des „richtigen“ Werbens geschieht oft „ex negativo“: Veldeke lässt seinen männlichen Protagonisten falsch werben – der Minnende möchte seinen Lohn allzu schnell erwerben, indem er voreilige Anforderungen an die Dame stellt. Seine Klage über Abweisung wird mit dem Hinweis auf dieses unvernünftige Verhalten begründet: daz ich ir hulde hân verlorn / die ich ze der besten hât erkorn / ...noch sêre fürht ich ir zorn...Al ze hôhe gernde minne / brâhten mich ûz dem sinne. / ...der ich was gerende ûz der mâten, / ich bat si in der caritâten / daz si mich mües al umbevân. (Lied Nr. I, Str 2, V.6f. und 9, Str. 3, V.1f., Str.4, V. 4-6). Veldeke rechnet bereits mit dem fundierten Vorwissen seines Publikums: er lässt seinen Minnenden sein Schwanken zwischen der Hoffnung auf Belohnung und der resignierenden Trauer mit einem einzigen Begriff – der nôt – bezeichnen: Swie mîn nôt gefüeger waere, / sô gewunne ich liep nâch leide... (Lied III, Str. 2, Z.1f.). Der „rechten Minne“ wegen – als der einzig richtigen Ausprägung von Minne – muss man lange pîne erdulden (Lied V, Str. 1, V. 9). Oder er spricht über seinen Kummer, die riuwe, von der er sich - – in einem der wenigen Lieder mit einem freudigen Ausgang – nun abwende: daz ich von der riuwe kêre (ebda. Str. 3, V.3). Bezeichnend sind für Veldeke die Naturmotive (Frühlings- und Wintereingänge). Er verfügt über eine virtuose Ausnützung dieser Elemente, die in einigen seiner Lieder die gängige Art ihrer Verwendung weit überragt. Er setzt sie nicht isoliert ein: Sie sprechen nicht für sich, besagen nicht einfach, dass es jetzt z.B. eine Frühlingszeit kam. Sie stehen über der gewöhnlichen allgemeingültigen Gedankenverbindung (Schlussfolgerung): Es kommt Frühling – man soll sich der Minne erfreuen oder er bringt mir dennoch kein Minneglück (oder umgekehrt für den Wintertopos). Sie erfüllen eine abstraktere Funktion – erhoben über ihre eigentliche Bedeutung, werden sie zur Metapher für die innere Stimmung seiner MannesFigur – erst wird der Zusammenhang mit dem Innersten noch durch kleine Ergänzung leicht angedeutet (z. B. durch ein trauerndes Herz des Minnenden- Bsp.1), später begegnen wir diesen Motiven auch ohne jegliche weitere Ergänzung (Bsp.2). Die Entschlüsselung solcher Stellen war für das Publikum wohl nicht problematisch. Beispiel 1: 102 Sît diu sunne ir liehten schîn gegen der kelte hât geneiget und diu kleinen vogellîn ir sanges sint gesweiget, trûric ist daz herze mîn. ich waene ez wil winter sîn, der uns sîne kraft erzeiget an den bluomen, die man siht in liehter varwe erblîchen garwe. dâ von mir beschiht leit und anders niht. (Veldeke, Lied IV, Str. 2) Beispiel 2: Der schoene sumer gêt uns an, des ist vil manic vogel blîde, wan si fröuwent sich ze strîde, die schoenen zît vil wol enpf ân. jârlanc ist reht daz der har (der kalte Wind) winke dem vil süezen winde. ich bin worden gewar niuwes loubes an der linde. (Hoffnung auf Minne?, Linde als Liebesbaum wird hier zur Metapher der Minneerwartung). (Veldeke, Lied XXVI). 2. Die Grundbaustein-Struktur Die Bausteine (Motive), die er besonders akzentuiert, sind: die Leistung des Minnenden, verbunden mit der Lohnforderung und seiner Trauer über die mangelnde Gunst der Dame (Lied IV, Str. 2) oder gar die Nichterhörung (Lied XXXIX). Als eine Besonderheit lässt sich freudige Stimmung des Minnenden anführen, die aus dem richtigen Dienen entspringt und die Trauer der (momentanen) Nichterhörung immer mehr verdrängt. Dieser Idee werde ich mich in der folgenden Abhandlung über den Dienstgedanken noch näher widmen. 103 3. Der Dienstgedanke Der Dienstgedanke ist in dieser Phase bereits voll entwickelt. In dem Lied XL ist die Dienstkonzeption Veldekes sogar weit fortgeschritten. Es wird die Regel für „wahre Minne“ aufgestellt: „wol dienen“ – es bedeutet in erster Hinsicht das vorbildliche Dienen mit der Orientierung des ganzen Lebenssins auf die Dame – vor allem aber das geduldige Warten auf den Zeitpunkt, den die Dame selber auswählt, um dem Minnenden ihre Gunst zu erweisen: Swer wol gedienet und erbeiten kan... sît diende ich ir mit selchem muote / daz ich nie zwîvels gepflac. (Lied XL, Str.1, 1 und 5). Der grundlegende Neuansatz kommt in der 2. Strophe: Der Minnende beabsichtigt nicht, von der Trauer des langen Wartens zu singen – er fühlt sich beglückt bereits durch die ethische Dimension des richtigen Dienstes; seine Trauer über die (Noch)Nichterfüllung weicht vor der Freude eines solchen Dienstes immer mehr zurück. Waer ich unfrô dar nâch, alse ez mir stât / daz waere unreht unde wunder....diu minne ist, diu mîn herze alumbe vât / dâ ist nie dehein dorpeit under / wan blîschaft, diu die riuwe slât. (Str. 2, 1f. und 4-6). Mit dieser Konzeption steht Veldeke in diesem Lied nahe den Ideen, die später in dem Oeuvre Reinmars zur eigenständiger Ausfaltung und Präzisierung kommen: das Tragen des Leides mit höfischem Anstand (mit zühten). Die Akzentuierung der Freude an einem solchen Dienst ist Veldekes Spezifikum, im Unterschied zu Reinmar erhofft er sich doch eine Erhörung. Das Lied steht jedoch im Oeuvre Veldekes singulär, die Mehrheit der Lieder zeichnet sich durch die Konstellation eines unerhörten, leidenden Liebenden im Verhältnis zu einer hochgestellten Dame aus. Nur ein Lied, das Lied Nr. V., drückt offen Freude des Minnenden über eine Lohngewährung (Liebesvereinigung). Es lässt sich sagen, dass das Model der hohen Minne bei Veldeke zur Regel wird. 104 Das Fazit: Sollte die Figur des werbenden Mannes bei Veldeke charakterisiert werden, könnte man dies anhand seiner typischen Haltung verdeutlichend vorführen. Der Minnende preist seine Erwählte trotz seiner Nichterhörung: ich singe mit trüebem muoten / der schoenen frouwen und der guoten. (Ich singe mit traurigem Verlangen für die schöne und die gute Dame, Lied XXIX, V. 5-6). Es kann noch zugespitzter sein – bis zur absoluten Ergebenheit: als siz gebiutet, ich bin ir tôte / wan iedoch sô stirbe ich nôte. (Wenn sie es gebietet, sterbe ich für sie, wenn jedoch, so sterbe ich nur notgedrungen, Lied XXX, V. 5-6).69 4. Die Relation: Der werbende Mann – die Feinde oder Freunde der Minnebeziehung Die Hinweise auf die Mitglieder der höfischen Gesellschaft sind bei Veldeke reich vorhanden. Es sind die „guten“ wie auch die „bösen“: Swer mir schade an mîner frouwen, / deme wünsche ich des rîses (den Strang),...swer mîn dar an schône mit trouwen, / dem wünsch ich des paradyses (Lied III, Str.1, V.1-2 und 4-5). Vor allem aber ereifert sich Veldeke über die Neider und Feinde: Die mich darumbe wellen nîden, / daz mir leides iht geschiet, / daz mac ich vil sanfte lîden (Lied V, Str. 1., V.1ff.). Seine Missgunst steigert sich bis zum verbalen Fluch: sô fluochet man den fröidelôsen, / die rüegaere sint an maniger stat (Lied VI, V.3f.). Der werbende Mann empfindet es als eine Genugtuung, von den Neidern gehasst zu werden: Des bin ich getroestet iemer mêre / daz mich die nîdigen nîden./ nît und elliu boesiu lêre / daz müeze in daz herze versnîden / sô daz si sterben, unde deste ê (Lied IX, V.1-5). Im Allgemeinen richtet sich Veldeke in einer seiner sangspruchartigen Strophen gegen die huote: Swer den frouwen setzet huote / der tuot dicke daz übel stêt (Lied XXIV, V.1f.). Das Fazit: Die negativen Äußerungen über die Feinde der Minnebeziehung setzen das Repertoire der Frühgruppe genuin fort. Die Hofgesellschaft wird als Freunde oder Feinde reflektiert; die Einbeziehung der höfischen Gesellschaft als „Publikum“ in das Liedgeschehen kommt erst im „klassischen“ Minnesang zum Tragen. 1. Die Figur des werbenden Mannes bei Rudolf von Fenis-Neuenburg - Akzente 69 Übersetzung Schweikle (1993), S.197. 105 Sein Minnender ist – in seiner Grundhaltung – von der Hoffnungslosigkeit seiner Lage tiefst betroffen: er liebt eine Dame, die, noch mehr akzentuiert als bei Veldeke, absolut unerreichbar ist, kann jedoch aus seiner Minne keinen Ausweg finden. Diese bemächtigt sich mit überstarker, unwiderstehlicher Kraft seiner ganzen Persönlichkeit; seines Herzens wie auch seiner ganzen inneren Verfassung: ...ich enmac ez niht lâzen, / daz ich daz herze von ir iemer bekêre. / Ez ist ein nôt, daz ich mich niht kan mâzen... oder nû lieze ich es gerne, möht ich ez lân / ez wellent durch daz niht von ir mîne sinne (Lied II, Str. 2, 1f. und Str. 3, 7f.). Diese Grundposition des werbenden Mannes, die sich im ganzen Oeuvre Fenis nicht verändert, wird in anderen Liedern noch mehr präzisiert und durch neue Details verdeutlicht. Beispielhaft dafür steht das Lied III: sowohl von der Ferne als auch von der Nähe ist es für den Liebenden unmöglich, von seiner Dame zu lassen. Sein Gesang, durch den er sie loswerden wollte, vergegenwärtigt sie ihm leider noch mit stärkerer Sehnsucht als früher: sô ich ie mêre singe und ir ie baz gedenke, / sô mugent si (=die Sorgen) mit sange leider niht zergân... (Lied III, Str. 1, V.3-4). Sô ich bî ir bin, mîn sorge ist deste mêre... (Str. 4, V.1). Wie sehr er in ihrer Gegenwart auch höchst beklommen ist, kann er sich von ihr, seinem einzigen Lebensgrund, nicht entfernen: swenne ich bî ir bin, daz toetet mir den muot, / und stirbe aber rehte, swenne ich von ir kêre...(Str. 4, V.5f.). So wird Minne zu einer Zaubermacht, deren Werk die Entflammung des Liebenden ist: wan minne hât mich brâht in sölchen wân, / dem ich sô lîhte niht enmac entwenken...(Ebda, Str.1, V. 5f.). Sie wirkt auf ihn zerstörerisch und führt bis zu äußerster Grenze, der Todesbedrohung. Zum Ausmalen dieser düsteren Perspektive bedient sich Fenis seiner berühmter Bildvergleiche, die bis heute an ihrer Aussagekraft nicht verloren haben: Sô ich bî ir bin, mîn sorge ist deste mêre / alse der sich nâhe biutet zuo der gluot, / der brennet sich von rehte harte sêre. ...(Ebda, Str. 4, V. 1ff.). Ihre Schönheit, in der todesbringenden Verknüpfung mit ihrer Unnahbarkeit, stürzen ihn in den Tod: Ir schoenen lîp.../ er tuot mir als der fiurstelîn daz lieht, / diu fliuget daran unze si sich gar verbrennet. (Ebda, Str. 5, V.1ff.). Die sich verweigernde Dame ist die Grundvorstellung. Dieser ist das Ich hoffnungslos verfallen. Hier nochein Beleg dafür: Ich hân mir selber gemachet die swaere /, daz ich der ger, diu sich mir wil entsagen (Lied V, Str. 1, V.1f.). Die Überwältigung von Minne wie auch die Todesbedrohung durch sie sind die Grundkonturen des Oeuvre Fenis. Der Dichter schildert sie in Variationen und Bildern. Wir begegnen bei Fenis sogar eine ähnliche Idee wie bei Veldeke: Zum Erfolg bei der Dame führt gerade „langes Warten mit Anstand“: daz er mit zühten mac vertragen / sîn leit und nâch 106 genâden klagen, / der wirt vil lîhte ein saelic man (Lied VIII, Str.3, Z.6ff.). Diese Vorstellung liegt bereits sehr nahe dem Konzept des Leidens mit Anstand, das später Reinmar vertritt. 2. Die Grundbaustein- Struktur Der Zeitpunkt der erhofften, wohl nie gewährten Gunsterweisung wird ausschliesslich von der Dame bestimmt, diese stellt die einzige Hoffnung des Minnenden dar. Er wird der Dame in seiner ganzen Existenz ausgeliefert: Lîp unde sinne / die gap ich für eigen / ir ûf genâde, der si hât gewalt (Lied IV, Str. 2, V.1ff.). Der werbende Mann akzentuiert das Motiv „Belohnung“: Dieses Motiv verbindet er, als einen Beweis des minnesängerischen Könnens, mit anderen, hier dem „Frauenpreis“ und der triuwe als „Darlegung der Leistung“: ...ist daz diu schoene ir genâde an mir tuot / sô ist mir gelungen noch baz danne wol, / wan diu vil guote ist noch bezzer danne guot / von der mîn herze niht scheiden ensol (Ebda, Str. 3, V.710). Die motivische Struktur verdichtet sich in einigen Liedern zu einer kunstvollen Vernetzung. Die Motive der genâde und der Hoffnung (gedinge) werden um die Komponente des langen Wartens auf ein Gunst-Zeichen ausgeweitet, das ins Verderben führt, eingeführt mit knapp angedeutetem Naturmotiv des Vogelsangs, beschlossen mit der obligatorischen „Darlegung der Leistung“: swie vil si (=die Vögel) gesingent, mich dunket ze lanc / daz bîten, durch daz verzage ich an guoten gedingen, / dâ muoz ich dur nôt von verderben von ir, wan mir nie wîp sô nâhe gelac (Lied VII, Str. 1, V.4ff.) . 3. Der Dienstgedanke Der werbende Mann unterstreicht vor allem die Qualität seines Dienstes, die sich in der Beständigkeit äußert; da ist eine Hoffnung wohl nicht unbegründet: Swer sô staeten dienest kunde, / des ich mich doch troesten sol / dem gelunge lîhte wol (Lied VIII, Str. 2, V. 1ff.). Der Dienst verbindet sich mit dem langen Warten, das als notwendige Voraussetzung für die mögliche Erhörung gedeutet wird: Swer sô langez bîten schildet, / der hât sichs niht wol bedâht: / nâch riuwe sô hât ez wunne brâht (Ebda, Str. 3, V. 1ff.). Dieses Motiv (das Wartenkönnen) verbindet Fenis mit Veldeke, bei dem die gleiche Vorstellung, wie oben erwähnt wurde, zu finden ist. Der vorbehaltlose, beständige Dienst ist ein Charakteristikum für beide Dichter. Fenis lässt seinen Ritter stolz verkünden: ich diene ir iemer, swar ich kêre (Lied IX, Str. 1, Z.5). 4. Die Relation: Der werbende Mann – die Feinde oder Freunde der Minnebeziehung 107 Im OEuvre von Rudolf von Fenis ist diese Relation nicht thematisiert. Es wird dafür das Verhältnis der Minnende – die Dame um Perspektiven ausgeweitet, welche die Tragweite dieser Beziehung deutlich ausbauen. Wie wir bereits oben erwähnten, sind in seinem Oeuvre, in manchen Liedern oft gleichzeitig vertreten, zwei Minnekonzepte zu finden: 1. Das Konzept der Überwältigung von Minne 2. Das Konzept der Minne als zerstörerischer Macht Beides hat Auswirkungen auf seine Beziehung zu der Dame. In vieler Hinsicht entwickelt somit Fenis den Entwurf des Minneverhältnises, den Veldeke schuf, weiter. 1. Die Figur des werbenden Mannes bei Friedrich von Hausen -Akzente Auch für das Oeuvre Hausens gilt die zentrale Vorstellung der staete und des beständigen Dienstes, die als Hauptleistung des Minnenden hervorgehoben wird. Mehr als seine Vorgänger akzentuiert sein Ritter seine staete unter den Bedingungen des Fern-Seins; eng verbunden mit dieser Vorstellung ist die bedrückende Betrübnis des Minnenden, deren Ursache das Fern-Sein-Müssen von der Dame ist. Wie allgemein bekannt ist, spielen hier wohl autobiographische Gründe eine Rolle: Hausen urkundet in den 80. und 90. Jahren des 12. Jahrhunderts regelmäßig auf italienischem Boden und befand sich oft auf langen Reisen. Nicht zuletzt stirbt er auf dem 3. Kreuzzug. 2. Die Grundbaustein-Struktur Sein Minnender bezeugt seine Beständigkeit in wirkungsvollen Bildern: Mîn herze muoz ir klûse sîn / al die wîle ich habe den lîp (Lied I, Str.3, V.1). Oft verbindet er dieses Motiv mit dem des Preises. Als ein Beispiel für alle steht folgende Äußerung: Sît ich daz herze hân / verlâzen an der besten eine...(Lied XIII, Str. 2, V.1f.). Der Ritter bezeugt seine Treue mit umso größerem Nachdruck gerade in der Situation des Fern-Seins. Sein Innerstes leidet schwere Not: alrêrste hât daz herze mîn / von der frömde grôze swaere. / ez tuot wol sîn triuwe schîn (Lied IV, Str.2., V.3ff.). Das Motiv des Leids, das der Entfernung von der Geliebten entspringt, wird äußerst deskriptiv behandelt. Es wird zum Charakteristikum Hausens. Diese Betrübnis wird gerade während verschiedener Zeitpunkte „zur Schau“ gestellt: 108 - im Moment des Abschiednehmens des Minnenden: wan dô ich von ir schiet / und ich si jungest ane sach / ze fröiden muose ich urloup nemen, / daz mir dâ vor ê nie geschach (Lied VII, Str. 2, V. 6-9). - in der Reflexion über die Notwendigkeit der Trennung (aus ritterlicher miles-Pflicht): Mîn herze den gelouben hât, / solt ich oder iemer man beliben sîn / durch liebe oder durch der minnen rât, / so waer ich noch al umbe den Rîn (Lied X, Str. 1., V.1-4). - kurze Zeit nach der Abschiednahme : Dô ich von der guoten schiet / und ich zir niht ensprach / als mir diu minne wider riet / des lîde ich ungemach (Lied XII, Str.1, V.1-4). - wie bereits oben erwähnt, während der Entfernung – unter anderem Gesichtspunkt ausgedrückt: er malt seine Vereinsamung und sein „Abgeschnitten-Sein“ von jeder Nachricht aus der Heimat und vor allem von der Dame aus: sô friesche ich lîhte ein ander maere / des ich doch leider nie vernam, / sît daz ich über die berge(=die Alpen)70 kam (Lied IV, Str. 2, V.7ff.). Oder er ist während seiner Reise in Reminiszenzen an seine Dame vertieft: Ich denke underwîlen / ob ich ir nâher waere / waz ich ir wolte sagen./ daz kürzet mir die mîlen / swenne ich mîne swaere / sô mit gedanken klage (Lied XVIII, Str. 1, V.1-6). Der Preis der Dame kommt bei Hausen besonders deutlich zum Ausdruck. Bei ihm setzt sich dafür u. A. die Wortformel: der besten eine (Lied XIII, Str. 2, Z.2) durch – er vermeidet mit dieser vorsichtigen Formulierung die Verletzung anderer Angehörigen der höfischen Damengesellschaft. Sein werbender Ritter bedient sich an anderer Stelle z. B. des Kaisertopos: der keiser ist in allen landen / kuste er si ze einer stunt / an ir vil rôten munt / er jaehe, ez waere im wol ergangen (Ebda, Str. 1., Z. 5ff.). Ein weiterer motivischer Komplex ist die ungenügende Beachtung des Minnenden von seiner Dame, das in seine Klage über die Nichterhörung mündet. Das erstere Motiv erscheint im folgenden Lied mit dem der huote in eigenständiger Ausformung verknüpft: Der Minnende bedauert, durch die Missgunst der huote nicht gelitten zu haben – er war auf diese Beschwernis, die Minne und der Kampf um die Dame mit sich bringen, durchaus vorbereitet. Da er keine Minnebeziehung anknüpfen konnte, ließ ihn die huote unbeachtet: dies bereitet ihm das tiefste Leid, tiefer noch als die mögliche Missgunst der Geliebten: unbetwungen von huote, sô ist daz herze mîn. / mir ist leit von ir, daz ich den fride ie gewan / wande ich die nôt wolde iemer güetlîch lîden / het ich von schulden verdient den haz. / nît umb ir minne, daz taete mir baz / danne ich si beide sus muoz mîden (Lied II, Str. 3, V.3-8). 70 so Schweikle (1993), S.487. 109 Über das harte Herz der Dame handelt folgende Klage des Minnenden, der unerhört blieb und nahe dem Verderben ist: ein herte herze kan siz lêren, / daz alsô lîhte mac vertragen / sô grôzez wüefen unde klagen / daz ich lîde umb ir hulde mit sêren / daz ich niemer mac getragen (Lied III, Str. 3., V. 5-9). Die Nichtbeachtung von Seiten der Dame steigert sich oft bis zu deren offener Feindseligkeit. Hier bringt der werbende Ritter ein Argument ins Spiel, das im Minnesang bisher stillschweigend gemieden wurde: Er mahnt die Dame ihrer Sitten, indem er ihr Verhalten als unedel, unhöfisch bezeichnet. In dem argumentativen Vorgang des Minneliedes eröffnet er sich dadurch eine neue Perspektive, die ein wenig später behandelt wird: In seinem berühmtesten Kreuzzugslied wendet sich der Minnende Hausens von seiner Dame ab. Der verschleierte Tadel an der Dame kommt im Lied IV zur Geltung. Der Minnende gerät in zornige Verwunderung und zeigt wenig Verständnis für die Haltung der Dame angesichts seiner vorbildlichen Verdienste um sie: Er ist es doch, der sie vor aller Welt hochhält – wie kann er ohne Lohn auskommen? Als ungeloubic ist ir nît / daz si der zwîvel dar ûz bringet / daz si hât als selhen kîp / den ze rehte ein saelic wîp / niemer rehte vol bringet, / daz si dem ungelônet lât / der si vor al der werlte hât (Lied IV, Str. 3, V. 3-9). Mitunter verweigert ihm die Dame auch ihren Gruß, was er mit rhetorischer Geste der Klage bedauert. Ungeachtet ihrer Ungunst vergisst er nicht, sie in einem Zuge im Preis zu erhöhen (sie ist die Vollkommene, diu guote): Wâfenâ, waz habe ich getân sô ze unêren / daz mir diu guote ir gruozes niht engunde? (Lied V, Str. 2, V.1f.) Auch bei Hausen blendet die Minne völlig die Urteilskraft des Minnenden, er läuft seiner Einbildung (wân) nach, bittet um Erhörung – sonst wird er nicht geheilt: ...daz ich lie mîn gemüete / an solhen wân, der mich wol mac verwâzen / ez ensî daz ich genieze ir güete / von der ich bin / alsô dicke âne sin (Lied V, Str. 1, V.2-6). Seine Verwirrung durch Minne kommt wirkungsvoll zum Ausdruck, indem der Autor seinen Protagonisten töricht handeln lässt: ich kom sîn dicke in sô grôze nôt / daz ich den liuten guoten morgen bôt / engegen der naht (Lied VIII, Str. 1, V.5ff.). Dieser ist in einem seiner Lieder der Institution Minne für das erlittene Unrecht im höchsten Maße feindselig: und möhte ich dir dîn krumbez ouge ûz 110 gestechen / des het ich reht, wan du vil lützel endest / an mir solhe nôt...(Lied XVII, Str. 2, V. 3ff.). Mit diesen Motiven ist eng das Motiv der Minnebeteuerung verbunden, als ein Bestandteil der „Leistung“ des Minnenden: swanne si mîn ougen sân / daz was ein fröide für die swaere... (Lied IV, Str. 4, V. 6f.). Diese kann oft hyperbolische Züge annehmen, in unserem Beispiel wieder verbunden mit dem Phänomen der staete und der Dienstergebenheit: ich hân von kinde an si verlân / daz herze mîn und al die sinne.... mîn herze ist ir ingesinde / und wil ouch staete an ir bestân (Lied XIV, Str. 2, V. 3f. und 7f.). Die grundlegende Neuerung des Minnekonzepts besteht jedoch im Beschluss des werbenden Mannes, von der Dame, die selbst durch seine außerordentliche Leistung und sein intensivstes Flehen ihre Gesinnung nicht zum Guten wendet, Abschied zu nehmen und nun Gott zu dienen – dem einzigen, der entsprechend lohnen kann. Diesem Konzept folgt das berühmte, oben erwähnte Kreuzzugslied Nr. IX, das als ein Nebensstrang der Minnelyrik dieser Epoche unter Kreuzzugslyrik separat behandelt wird. Auch das Lied VIII behandelt dieses Thema: Ich kom von minne in kumber grôz / des ich doch selten ie genôz... doch klage ich daz / daz ich sô lange gotes vergaz / und wil ez iemer vor allen dingen klagen / und im dar nâch ein holdez herze tragen (Str. 5, V.1f. und 7-10). Das vorher Undenkbare, Abbruch des Dienstes an einer stets missgünstiger Dame, betritt die Minnesang-Szene, unterstützt sicher auch von der Kreuzzugslyrik und deren Hauptthema: Der Unvereinbarkeit der Bindung an die Dame und der Pflicht des Ritters, mit ganzer Persönlichkeit Gott zu dienen. Der Weg für den späteren Kritiker an den „allzu stolzen Damen“, Walther von der Vogelweide, fand in dieser Hinsicht bei Hausen seinen Anfang. 3. Der Dienst-Gedanke Der Dienst des Minnenden ist vor allem im Zusammenhang mit dessen Nichtbelohnung für seine Leistung akzentuiert: daz si dem ungelônet lât / der si vor al der werlte hât (Lied IV, Str.3, V. 8f.). Geradezu leidenschaftlich beteuert das Ich seinen Dienst: Sie darf mich des zîhen niht / mîn herze hete si in pfliht (Lied VIII, Str. 1, V.1f.). 4. Die Relation: Der werbende Mann – die Feinde oder Freunde der Minnebeziehung 111 Die Thematik der huote ist im Oeuvre Hausens zwar nicht häufig, jedoch vertreten. Der Bezug auf sie erfolgt entweder in allgemeiner Hinsicht- Mangen herzen ist von der huote wê (Lied II, Str. 2, V. 1.) – geht dann ins Persönliche über: unbetwungen von huote, sô ist daz herze mîn (Ebda, Str. 3, V. 3). Ebenso persönliche Einstellung, mit dem gängigen Motiv der Verwünschung der Minnefeinde, bringt das weitere Beispiel: Dô ich von der guoten schiet / und ich zir niht ensprach / als mir diu minne wider riet / des lîde ich ungemach. / daz liez ich durch die valschen diet / von der mir nie lieb beschach. / ich wünsche ir anders niet / wan der die helle brach / der vüege ir wê und ach (Lied XII, Str. 1). Eine andere Einstellung äußert der Minnende im Lied XV: er betrachtet es als gut, die Dame behüten zu lassen, um sie so vor zu offenem Minnewerben zu beschirmen. Er ist auch bereit, sie der huote wegen in der Gesellschaft zu meiden: umso mehr gedenkt er ihr heimlich: noch bezzer ist, daz man ir hüete / danne iegelîcher sînen willen / spraeche, daz si ungerne hôrte... Doch bezzer ist, daz ich si mîde,...frömede ich si mit den ougen / si minnet iedoch mîn herze tougen. Trotz dieser Einstellung ist er der huote schließlich – nach allgemeiner Sitte – nicht gewogen: dêswâr tuon ich in niht mêre, / ich vereische doch gerne alle ir unêre. (Lied XV, Str. 1 V.5ff., Str. 2, V. 1 und 7f., Str. 4, V. 7f.). Es lässt sich also sagen, dass die huote- Thematik ein Bestandteil der Dichtung Hausens ist. Allgemein ist sie bei Veldeke und Hausen (bei Fenis fehlt sie ja vollkommen) doch nicht dermaßen vertreten, wie es in der vorausgehenden Epoche der frühen ritterlichen Liebeslieddichtung der Fall war. Die Frühphase des Minnesangs gewährt dieser Figur im Rahmen ihrer mannigfaltigen Minnesituationen (und -konstellationen) deutlich mehr Raum. 5. Charakteristische Motiv- und Begriffskomplexe im Oeuvre der Dichter der „rheinischen“ Gruppe Anhand einer kurzen Auswahl von Motiven und Vergleichen, die für diese Phase des Minnesangs bezeichnend sind, möchte ich die markante Ausrichtung der Perspektive (Konzentration der Handlung) auf den werbenden Mann und sein Inneres belegen. In Anbetracht der größeren motivischen Vielfalt der Frühphase des Minnesangs ist es eine andere Art der Fokussierung. 112 Heinrich von Veldeke - Sein Ritter möchte seiner Dame stets in beständiger Treue ergeben sein und fürchtet ihre Reaktion wie das Kind die Rute: mich bindent sô vaste die eide / minne und triuwe beide, / des fürhte ich si als daz kint die ruote (Lied XV, V. 6ff.). - Sonne-und Mond-Thematik: Seine Dame ist dem Mann gegenüber nicht gewogen, deshalb ist seine Aussicht auf Anknüpfung der Minnebeziehung nur gering. Diese Situation ist mittels eines Vergleichs umschrieben: seine Minne scheint noch weniger als der Mond neben der Sonne. Gerade da begann er zu lieben: dâ mîne minne schînen min / dan der mâne schîne bî der sunnen / al dâ hân ich minne begunnen (Lied XXI, V.5ff.). Zwei originelle allgemeine Vergleiche: Den Bösen nachzustellen sei eine vergebliche Mühe, die mit der Mühe eines, der im Schnee springt, verglichen wird. Die Bösen finden nicht, was sie erwarten, ihre Bosheit braucht niemand zu bekümmern, denn sie suchen Birnen auf den Buchen: wan si (=die Bösen) warten und luochen / alse der springet in dem snê /... des darf doch nieman ruochen / wan sie suochen / birn ûf den buochen (Lied XXII, V. 3f.und 6ff.). Der werbende Mann bittet seine Dame um mehr Zuneigung. Wenn er diese allzu spät bekäme, warnt er davor, erst in der Sterbestunde zu singen; dazu bedient er sich eines auch später (z.B. bei Morungen und in der alttschechischen Dichtung im Záviš-Lied) verwendeten Vergleichs aus dem Tierreich: er werde dem Schwan gleichen, der erst im Sterben singt: geschiht mir als dem swan / der dâ singet als er sterben sal / sô verliuse ich ze vil daran (Lied XXVII, V. 5ff.). Rudolf von Fenis-Neuenburg a) Bilder, die von den Liedern Folquets de Marseille übernommen wurden: 1. Das Bild des im Baume Verstiegenen (der Minnende steigt in den Gedanken zu seiner Dame wie auf einen Baum, kann aber infolge ihrer Missgunst nicht höher, infolge seiner Minne auch nicht mehr nach unten steigen). Diese Verbildlichung demonstriert sehr anschaulich die zentrale Haltung in den Liedern Fenis: die Ausweglosigkeit der Situation des Minnenden: mir ist alse dem, der ûf den boum dâ stîget / und niht hôher mac und dâ mitten belîbet / und ouch mit nihte wider komen kan / und alsô die zît mit sorgen hine vertrîbet (Lied I, Str. 1, V.5ff.). 113 2. Das Bild des Spielers: Der Minnende hat seinen Sinn auf ein Spiel (=Spiel der Minne) gerichtet und verliert dabei (=bleibt unerhört). Auch wenn er dem Spiel später abschwört, ist es jedoch zu spät, er ist der List der Minne verfallen: Mir ist alse deme, der dâ hât gewant / sînen muot an ein spil und er dâ mite verliuset / und erz verswert, ze spâte erz doch verkiuset. / alsô hân ich mich ze spâte erkant / der grôzen liste, die diu minne wider mich hâte... (Ebda, Str.2, V. 1ff.). b) andere Bilder 1. Der Vergleich mit der Lichtmotte und Feuer:71 Der Minnende vergleicht sein Schicksal mit dem der Lichtmotte, die vom Licht (=der Güte der Dame) angezogen ist und ins Feuer stürzt. An diesem Bild ist die Vorstellung der Minne als tödlicher Verstrickung deutlich sichtbar: Ir schoenen lîp hân ich dâ vor erkennet: / er tuot mir als der fiurstelîn daz lieht / diu fliuget daran unze si sich gar verbrennet. / ir grôziu güete mich alsô verriet (Lied III, Str. 5, V. 1ff.). 2. Ein wirkungsvoller Einsatz des Sommer- und Wintertopos. Bringt dem Minnenden der Winter eine positive Wende in der Minnebeziehung, so will er den Winter immer ehren: mac mir der winter den strît / noch gescheiden hin zir, der ie gerte mîn lîp, / sô ist daz mîn reht, daz ich in iemer êre (Lied VI, V. 7ff.). 3. Das Bild vom Verhältnis der Sonne und des Mondes: Wenn der Ritter ein Zeichen der Gunst von seiner Dame bekäme, dann lacht er, seine Freude ist von ihr abhängig wie von der Sonne der Mond. Swenne si wil, sô bin ich leides âne / mîn lachen stât sô bî sunnen der mâne (Lied VII, V.7f.). Friedrich von Hausen Das Oeuvre Hausens ist nicht dermaßen reich an Bilder wie das Werk Rudolf von Fenis. Ich bringe deshalb an dieser Stelle neben den wenigen Bildern noch einige knappe Zusammenfassungen wichtiger Themen seiner Lieder. - Klage des Minnenden. Seine Überzeugung, dass seine Dame die Beste ist, überwältigt ihm das Herz und die Sinne. Sie ist ihm gegenüber jedoch feindlich gesinnt, verwehrt ihm selbst ihren Gruß (Lied V, Str.2, V. 1f., zum Text s. oben unter Grundbaustein-Struktur.). 71 Dieses Bild hat seinen Ursprung in arabischer Dichtung und Fenis lernte es wohl auch über die Romania kennen. Mehr dazu s. unter der Analyse zu diesem Gedicht. 114 Trotzdem ist er in seine Minne rettungslos verstrickt. Die Konsequenz – die Treue – wird wirkungsvoll mit der Verbildlichung der Liebespein verbunden: Er möchte der Dame weiterhin in Treue ergeben sein, die ihn jedoch so sehr auch ohne Rute züchtigt: unde wil dienen mit triuwen der guoten, / diu mich dâ bliuwet vil sêre âne ruoten (Ebda., Str. 2, V.7f.). - Klage des Minnenden über das Getrennt-Sein von seiner Dame, verbunden mit der Liebesbeteuerung: wan siht an mir wol âne strît / daz ich von der gescheiden bin / die ich erkôs für alliu wîp (Lied VII, Str.1, V.3ff.). - Die Minne des Mannes erreicht das äußerste Maß: er nimmt seine Umwelt gar nicht wahr. Dies wird verbildlicht durch seine Verwirrung: er wünscht den Leuten gegen Abend „guten Morgen“ (zum Text s. oben unter der Grundbaustein-Struktur). Dieses Bild wird noch fortgeführt: Er bemerkt nicht, wenn er gegrüßt wird: ich was sô verre an si verdâht / daz ich mich underwîlent niht versan / unde swer mich gruozte, daz ich sîn niht verstân (Lied VIII, Str.1, V. 8ff.). Trotz diesem und anderen Bezeugungen seiner Minne (beständigen Dienen) erntet er nur Missgunst seiner Dame. Eine Wende kommt zum Schluss des Liedes. Da er unbelohnt bleibt – die Dame ist ihm gegenüber ze unmilte – wendet er sich von ihr ab. Er will dem dienen, der lohnen kann (Gott). Seinen Entschluss wiederholt er noch in den Schlusszeilen des Liedes als eine Intensivierung an einer bedeutungsschweren Stelle. Dieses Lied ist das erste in der Reihe der Lieder mit ähnlichem Ausgang, das dieses Thema entfaltet: dô sich verlie / mîn herze ûf genâde an sie / der ich dâ leider funden niene hân. / nû wil ich dienen dem, der lônen kan (Lied VIII, Str. 4, V.7ff.). - Nach dem Schema des klassischen hohen Minneliedes ist, wie bereits oben ausgeführt, das Lied XIII erbaut: mit einem Preis der Dame mit Hilfe des Kaisertopos und mit einer Lohnforderung, die für diesen Dienst erhoben wird. - im Lied XVI finden wir ein interessantes Motiv, welches das übliche Schema – die Minnequal des Mannes, in die er sich selbst verstrickt hat – als eine Tat gegen den Willen Gottes betrachtet wird: Gott wollte dem Minnenden nicht erlassen, die Dame in sein Herz zu schließen. Das Ich leidet der Minne wegen eine Qual, die „einen weisen Mann“ bis zum Wahnsinn bringen könnte: Sich möhte wîser man verwüeten / von sorgen, der ich manige hân 115 / swie ich mich noch dâ von behüete. / sô hât got wol ze mir getân, / sît er mich niht wolte erlân / ich naeme si in mîn gemüete... (Str. 1, V. 1ff.). Das Ferne-Lied Nr. XVIII spricht von dem Leid über die Entfernung des Ichs von seiner Dame: die Feindseligkeit der Dame peinigt den Mann in der Ferne noch mehr als daheim. Trotzdem (als Reflexion über die Konsequenzen) möchte er ihr in seinen Gedanken immer verbunden sein – allein dadurch tröstet er sich: Ez ist ein grôze wunder: / die ich aller sêrest minne / diu was mir ie gevê./ nû müeze solhen kumber / niemer man bevinden... / erkennen wânde ich in ê / ...mir was daheime wê / und hie wol drîstunt mê (Str. 3, V. 1ff.) ...daz mir nieman kan / erwern, ich gedenke ir nâhe, / swar ich landes kêre / den trôst sol si mir lân (Str. 4, V. 3ff.). Die Nebenstränge: Das Frauenlied und das Kreuzzugslied Das Frauenlied Das Frauenlied ist als erster Liedtyp neben dem dominierenden Typus des hohen Minneliedes zu behandeln. In ihm tritt die Figur der Dame jedoch in einem völlig anderen Licht auf, als es bei der Frühgruppe war. Dort finden wir viele ihrer Erscheinungsformen: sie wird als selbstbewusste, werbende Herrin oder als beglückungsbereite Liebende dargestellt. Diese Perspektiven gingen unter dem romanischen Einfluss verloren. In den wenigen Fällen, in den die Dame selbst das Wort ergreift, umkreisen ihre Gedanken in erster Linie folgendes Problem: Selbst wenn ihr die Liebesbeteuerung des Mannes nahe ans Herz geht, wagt sie sich nicht, ihre hohe Stellung in der Gesellschaft, die durch ihre Makellosigkeit bedingt ist, durch die Enthüllung ihrer Gefühle oder gar die Erhörung zu gefährden. Auf diesen Zwiespalt reagiert sie mit Angst oder Klage. Diese ihre Haltung ist gegenüber der früheren Phase des Minnesangs neu. In der Regel enden die Lieder mit dem Entschluss der Dame, ihre êre durch eine Abweisung des Minnewerbens des Ritters zu behalten. 72 In einem knappen Abriss widme ich mich nun einigen Ausformungen dieses Liedtypus bei den Dichtern der „rheinischen Gruppe“: 72 Zu der verschwindenden Minderheit der Lieder gehört die Schilderung der Dame nach dem älteren Muster als einer, die dem Ritter Beglückung schenkte. Dieser Liedtypus vertritt die Wunschprojektion des Mannes, über die Liebesvereinigung berichtet der Mann. In der „rheinischen“ Gruppe finden ein solches Lied in reiner Form nur einmal: im OEuvre des Heinrich von Veldeke (das Lied Nr. V). Friedrich von Hausen bedient sich eines Wechsels: um die Verbundenheit der Dame dem Ritter von ihrem Munde darzustellen. Es bleibt jedoch – trotz ihrer heftigen Minnebeteuerung – verschleiert, wie weit die Dame in ihrer Minne gehen will (Lied Nr. XII). 116 Heinrich von Veldeke Im Lied Nr. II ereifert sich die Dame über ihren Verehrer, der nach anfänglichem höfischem Verhalten von ihr sein Minnesold allzu unhöfisch zu heischen begann. Dieses Verhalten bringe dem Mann nur Schaden – die Dame beendet umso rascher seine Versuche, eine Minnebeziehung anzubahnen: sît daz er den muot gewan / daz er an mich eischen begunde / des ich im baz verzîhen kan, / denne er ez umbe mich gewerben kunde...(Str. 1, V.5ff.), er iesch al ze rîchen solt...(Str. 2, V. 7), Er gerte al ze ungefüeger minne / an mir, der vant er niet... / swaz schaden im dâ von geschiet... (Str. 3, V. 1f. und 5). Lied XXXII, ein Wechsel, bringt uns die abweisende Stellungnahme der Dame in seiner II. Strophe. Sie liebt ihn, muss jedoch ihre Makellosigkeit bewahren Dur sînen willen ob er wil / tuon ich eins und anders niht. Sie bestätigt in ihrem Innersten ihre Liebe zu ihm: nieman in sô gerne siht. Es fallen die entscheidenden Worte: ich wil behalten mînen lîp (Str. 2, V. 1ff. und 4.) Im OEuvre des Rudolf von Fenis findet sich kein Frauenlied. Friedrich von Hausen: Bei Hausen finden wir das oben geschilderte Schema bereits zugespitzter und – wie das folgende Lied bezeugt - in Variation. Das Lied XIX zeigt Gefühle einer Dame, die, vom Flehen des Mannes stark angetan, mit Angst kämpft: Es steht ihr ein Treffen mit dem Ritter bevor, in dessen Rahmen sie jedoch ihre wahre Verfassung nicht verraten darf. Das Lied konzentriert sich so auf ein Moment im Innenleben der Dame, das es mit umso stärkerer Aussagekraft vor die Augen führt: Wol ir, si ist ein saelic wîp, diu von sender arbeit nie leit gewan, des hât ich den mînen lîp vil wol behüetet, wan daz mich ein saelic man mit rehter staete hât ermant, daz ich im guotes gan. nû twinget mich der kumber sîn und tuot mir wê, und ist daz mîn angest gar, sîn nement wol tûsent ougen war, wenne er komme, dâ ich in sê. 117 Das Lied XX zeigt eindrucksvoll die innere Zerrissenheit der Dame, ihr Hin- und Her zwischen ihrer Minne zum höfischen Ritter und dem Einhalten des höfischen Sittenkodexes. Sie wird in einem Konflikt erfasst: erfüllt sie sein Flehen, erntet sie dadurch „ungemach“ der höfischen Gesellschaft. Verwehrt sie sich ihm, verletzt sie ihn in seiner ritterlichern Würde. Schließlich entscheidet sie sich, als eine Dame der hohen Minne, für ihre Unversehrtheit. Lesen wir die Schlüsselpassagen: - Er ist mir liep und lieber vil/ danne ich im, vil lieben manne, sage./...getorste ich genenden, sô wolde ich im enden / sîne klage / wan daz ich, vil sendez wîp / erfürhten muoz der êren mîn...(Str. 1, V.1-10). - Owê, taet ich des er gert, / dâvon möht ich gewinnen leit und ungemach. / lâze aber ich in ungewert, / daz ist ein lôn der guotem manne nie geschach...(Str.2, V.1-4). - ich wil hüeten mîn. / ich engetar sîn niht gewern (Str.2, V.10f.). Das Kreuzzugslied Dieser Liedtypus wurde als ein Novum in der „rheinischen“ Phase des Minnesangs von der Romania nach Deutschland übernommen. Die Kreuzzugslieder könnte man als Sonderfall der „Ferne-Lieder“, als Ferne-Lieder unter extremen Bedingungen auffassen. Sie treten jedoch ungleich häufiger als jene auf. Die trennende Reise, die der Minnende anzutreten hat, ist nun ein Kreuzzug. Man könnte hier noch einmal unterscheiden zwischen: a) Kreuzliedern, die von der Situation der Kreuznahme für den Kreuzzug ausgehen, und b) Kreuzzugsliedern, denen ein bereits angetretener Kreuzzug, die Teilnahme an ihm, zugrunde liegt. Ich fasse für unsere überblickende Typologie beide Formen zusammen. Die Minneproblematik, die in der Situation des Kreuzzuges diskutiert werden kann und muss, hat – gegenüber den Ferne-Liedern – eine neue Dimension: In den Ferne-Liedern war die normale Minnebeziehung durch zeitlich-räumliche Trennung gestört. In den Kreuz- oder Kreuzzugsliedern treffen zwei Minnedienstverpflichtungen kollidierend aufeinander: 118 - die Verpflichtung der Frauenminne, des Frauendienstes, - die Verpflichtung der Gottesminne, des „Gottesdienstes“. Diese Kollision bedeutet nun nicht nur – wie bei den Ferne-Liedern – , dass der Frauenminnedienst für die Zeit einer – allerdings noch wesentlich gefährlicheren Reise (nieman weiz wie nâhe ime ist der tôt – Hausen, Lied VIII, Str. 3, V.10) – unterbrochen werden muss. Das ließe sich wohl regeln. Sie bedeutet, ob der Anspruch der Gottesminne, der ein Totalanspruch ist, ein Anspruch auf den ganzen Menschen, auf seine Lebensorientierung und seine Lebensentscheidung als Ganzes, - ob dieser Anspruch, der mit dem Kreuzzugsaufruf aktuell, akut wird, überhaupt den der Frauenminne länger neben sich dulden kann, der seinerseits auch ein Totalanspruch ist (die Dame stellt doch für den Ritter ein summum bonum dar, nun soll dieses Konzept übertroffen werden!) Zwei Orientierungs- und Selbstdarstellungsmuster, zwei Orientierungsansprüche totalen Charakters treffen aufeinander. Aus dieser Problem- Konstellation wird der merkwürdige Sachverhalt erklärlich, warum in Minneliedern die Kreuzzugsthematik abgehandelt wird. Man sollte deshalb eigentlich von „Kreuzzugs-Minne-Liedern“ sprechen.73 Die Vertreter dieser Dichtung im „rheinischen“ Minnesang sind Friedrich von Hausen und Albrecht von Johansdorf. Den zweitgenannten Dichter, der sich mit Vorliebe dieser Thematik widmet, behandle ich an dieser Stelle nur im Hinblick auf seine Kreuzlieder. Seine übrigen Minnelieder heben sich in der Haltung des Minnenden sowie in ihrer Grundbaustein-Struktur nicht im Wesentlichen von den vorausgehenden Autoren der Gruppe ab. Rein deduktiv betrachtet, sind drei Lösungen des Konfliktfalles möglich: 1. die Entscheidung für den Gottesdienst 2. die Entscheidung für den Frauendienst 3. ein Versuch des Ausgleichs Es gibt, in der „klassischen“ Phase des deutschen Minnesangs, auch reine Kreuzzugslieder ohne Minnebezug (z.B. Walthers „Palästina-Lied“L14,38; „Kreuzlied“ L76,22; „Alterselegie“ L 124,1.) Diese sind nicht der Gegenstand meiner Forschung. 73 119 ad 2: Es gibt – in den späteren Phasen des deutschen Minnesangs, tatsächlich einige wenige Lieder, in denen die Entscheidung für die Frauenminne fällt, allerdings nicht als Entscheidung gegen die Gottesminne, sondern als Zweifel am Kreuzzug. So setzt Neidhart an zwei Textstellen im Sommerlied 8 die Situation der Rückkehr vom Kreuzzug an, und er meldet der Geliebten sowie seinen Freunden und Verwandten: sô sage, wie wê uns die Walhen haben getân! ...(Str.VI, V. 6f.) ... wir leben alle kûme; daz ist mêr dan halbez mort...(Str. VIII, V.4f.) (Edition Helmut Lomnitzer, S.26) (Wir sind alle kaum noch am Leben; das Heer ist mehr als zur Hälfte umgekommen.) ad 1. In den meisten Liedern wird die Entscheidung für die Gottesminne, den Gottesdienst getroffen – wie man es angesichts des mittelalterlichen Weltbildes erwarten kann. Aber diese Entscheidung muss begründet werden. Die Kreuzzugslieder ermöglichen festzustellen, welchen Verbindlichkeitsgrad das Modell Minne für die damalige Hofgesellschaft hatte. Es handelte sich bei der Minne, wie sie zeigen, nicht um einen unverbindlichen Flirt, ein bloßes Spiel, weil die Lieder - Kreuzzug und Frauenminne gegeneinander abwägen - die Entscheidung für den Gottesdienst gegenüber der Minne begründen müssen. Die Entscheidung für den „Gottesdienst“: Die Kollision der zwei Totalansprüche hat in ihrer Radikalität Friedrich von Hausen in seinem berühmten Kreuzlied Nr. IX Mîn herze und mîn lîp die wellent scheiden eindrucksvoll dargestellt (zum Lied im Ganzen s. unter Analysen). Wie? Seine Entscheidung für die Dame, die von früher besteht, wird durch die Vorstellung seines Herzens verbildlicht, das sich vom Körper, der nun eine neue Verpflichtung annimmt und zum Kreuzzug aufbrechen möchte, lostrennt, sich verselbständigt, damit es bei der Dame bleiben kann. Indirekt wird in diesem Motiv die Beständigkeit des Minnenden als seine Minneleistung hervorgehoben. Als erster Problemkreis des Liedes wird die Gefahr diskutiert, die dem vereinsamten Herzen drohe, wenn sein Dienst von der Dame abgelehnt werden würde. (Es kann sich seines 120 Minneerfolges ja nicht sicher sein.) Es kann vom Minnenden, der nun die Kreuzzugsverpflichtung angenommen hat, keinen Beistand bekommen: owê, wie sol ez armen dir ergân / wie getorstest eine an solhe nôt ernenden?/ wer sol dir dîne sorge helfen wenden / mit triuwen, als ich hân getân? (Str. 2, V. 5ff.) Wir kommen zum Hauptthema: Der Konflikt zwischen zwei Verpflichtungen erschöpft ständig die seelischen Kräfte des Mannes. Die Entscheidung für Gott ist für den Ritter schließlich eine wichtigere, da sie mit der Vorstellung des ewigen Heils verbunden ist. Deshalb rügt er sein Herz, das ihn an der völligen Hingabe für Gott und folglich am Erlangen des Heils hindert: nû sihe ich wol, daz im ist gar unmaere / wie ez mir süle an dem ende ergân (Str. 3, V. 7f.). Das Lied schließt mit schweren Vorwürfen an die Dame, die ihre ständige Hartherzigkeit nicht zum Besseren wendet, und einer klaren Absage des Ritters von ihr. Seine Entscheidung für den Kreuzzug und Gott ist endgültig gefallen. ad 3. Ein Versuch des Ausgleichs: Ein Lied, das diesen Versuch unternommen hat, finden wir bei Albrecht von Johansdorf: Guoten liute, holt die gâbe (Lied Nr. XIV, s. auch unter den Analysen). Die Teilnahme am Kreuzzug wird als Gabe Gottes betrachtet, durch die das ewige Heil zu erwerben ist (guoten liute, holt / die gâbe, die got, unser herre, selbe gît). Die ritterliche Pflicht sowie die Möglichkeit, das ewige Heil zu gewinnen, werden vom Ich gleich zu Anfang des Liedes thematisiert: verdienent sînen solt, / der den saeldenhaften dort behalten lît / mit fröiden iemer manicvalt...got hât iu sêle unde lîp gegeben. / gebt im des lîbes hie, daz wirt der sêle dort ein êwic leben (Str. 1, V. 1f. und 4ff.). Der Liebende möchte sich von seiner Minnebindung für die Zeit des Kreuzzuges lösen. Es geht jedoch, wie er feststellt, nicht. Ihm bleibt nichts anderes, als die weltliche Minne in seinem Innersten mit in Gottes Land zu nehmen: wilt aber du ûz mînem herzen scheiden niht / daz vil lîhte unwendic doch beschiht / vüere ich dich danne mit mir in gotes lant,... (Str. 2, V.7-9). Diese Entscheidung wird in der Schlussstrophe aufs Neue mit der Vorzüglichkeit und Güte der Dame bestätigt, die ermöglicht, dass auch sie einen geistigen Anteil an der gefährlichen Reise nimmt. Indem sie für den Ritter zu hause leidet, bittet und sein Leben Gott anbefiehlt, 121 bezeugt sie ihrerseits nicht nur ihre Minne – als Beständigkeit und Verbundenheit mit ihrem Geliebten – sondern auch die Bereitschaft, das Leben ihres Liebsten für Gott zu riskieren. Dafür verdient sie die Hälfte des Lohnes, den der Ritter für sich erkämpft und über den er bereits in der 2. Strophe spricht: Wol si saelic wîp, / diu mit ir reinen wîbes güete machen kan / daz man si vüeret über sê... (Str. 4, V.1ff.)…. sô sî er der guoten dort umb halben lôn gemant (Str. 2, V.10). 122 Die „klassischen“ Autoren und ihre Minnekonzepte: - Hartmann von Aue Heinrich von Morungen Reinmar Walther Analysen ausgewählter Lieder 123 Hartmann von Aue – Analyse des Liedes VIII Rîcher got, in welher mâze wirt ir gruoz (Ed. Ernst von Reusner) a) zur Form: Metrisches Schema: 6ab,ab, ccd 7d Gegenüber den Versuchen, die dritte Strophe abzutrennen, wird in MFMT S.464 argumentiert. „Strophe 1 und 2 seien durch Reimresponsion, Strophe 2 und 3 durch den Inhalt verbunden; in „Ermahnung an die Frauen, in 3 an die Männer, staete zu sein.“74 b) Zum Inhalt: „Ein staete-Lied mit deutlichem Anklang an die Thematik des „Iwein“.“75 Das Lied behandelt die Grundlage aller Minnebeziehung – die Beständigkeit, die auch durch die Abwesenheit des Ritters unerschütterlich bleiben soll. Das Lied wird an entscheidenden Stellen durch Elemente der Didaxe geprägt: Man soll bedenken, was wahre Minne ist (nicht nur ein Denken an den Partner ohne die tiefgreifende Komponente der wahren Herzenstreue) und wie wahre Minne zum Vorschein kommt: Nicht durch schnell zählende Schmeichlerei, sondern auf viel mühsamerem Wege des unauffälligeren, beständigen Andenkens des geliebten Partners. Hartmann zeigt hier – im Vergleich mit der unzulässigen Art des (zeitbedingten) Werbens – die Qualität seiner Minne: Nur diese bringt ein dauerhaftes Glück. Strophe 1: Es spricht ein Ritter, der, nach einer längeren Abwesenheit am Hof, bei Heimkommen von Sorge geplagt wird, wie ihn seine Dame empfängt (V. 1-2). Dieses Bedenken wird noch verstärkt zum Vorschein gebracht: Auch der am Hof bei seiner Dame ständig Anwesende muss ihre Unbeständigkeit (wankes) fürchten, was erst der in der Ferne Verweilende! (V. 3-4) Die einzige Hoffnung des Mannes ist das unterscheidungsfähige Bescheidwissen (bescheidenheit) seiner Erwählten, die sie auch den wahren Grund seiner Abwesenheit erkennen lässt (V.5-6). Auf diese Weise soll sie an ihm (d.h. richtig) handeln: seine einzige Hoffnung baut der Minnende auf der Grundtugend der staete auf: gerade das staete herze (sowohl im Freundesbereich als auch in der Minne) ist die einzige Gewährung dafür, nicht verlassen (untreu) zu werden (V.7-8). 74 Reusner (1982), S. 122f. 75 Ebda,. 122f. 124 Strophe 2: Hartmann möchte die Konturen der wahren Minne näher beschreiben. Er tut es „ex negativo“, indem er zwei Beispiele des falschen Minneverhaltens anführt: 1.Bei ständiger Anwesenheit beider Partner am Hof und in höfischer Gesellschaft sind sie einander zu gewöhnt: auch unwillkürlich denkt man dann an den anderen. Das sei keine „wirkliche“ Liebe (herzeclîche liebe) (V. 1-3). 2.Viele Männer stellen die Dame zu lange auf die Probe, ihnen ihre Beständigkeit zu erzeigen (V. 4-5). Gerade weil sich der Ritter lange in der Ferne aufhielt, steigert sich seine Erwartung eines Beweises ihrer beständigen Liebe aufs Höchste. Ihr Versagen bedeutete für ihn die höchste, tödliche Bedrohung (ein slac) (V.6). Eine freundliche Gunst-geste (Empfang) würde seinen Dienst demgegenüber in höchstem Grad motivieren: wie sêre ich mit dienste daz iemer mê besorgen muoz (V.8). Strophe 3: Die Dimension der wahren Liebe wird noch weiter, vertiefter, dargelegt. Auf die Äußerungen vieler Hofgesellschaft-Mitglieder, welche den Erfolg der schnell handelnden Schmeichler bestätigen, besteht Hartmann, im rhetorischen Gestus der Verwunderung reagierend, auf seiner Position: Die Liebe gleicht keiner Schmeichlerei, wie weit es auch die Schmeichler bringen können. Er beklagt diese seine Überzeugung weiterhin in rhetorischer Weh-Gestik (wê!): Kann er mit seiner Haltung, die sich auf der Treue (triuwe) gründet, frei von jeder Falschheit ist und deshalb umso tiefgreifender seine Minne bezeugt, vor der Dame, welche von den Bildern einer gesunkenen Liebesmoral umgeben lebt, überhaupt bestehen? (V.1-4) Er gibt sich selbst die Antwort auf seine Frage: man muss seiner Minnevorstellung, die sich an Beständigkeit und inneren Reinheit gründet, treu bleiben ( V.5): doch wird er, wie er mit Überzeugung hinzufügt, auf diese Weise ein dauerhaftes Glück (staetez heil) erlangen (V.6); nur dieses ist langanhaltend: Das schnell und mit Falschheit Eroberte (gaehes heil) zerrinnt dem Ungeduldigen (dem mit Liebe Eilenden) zwischen den Fingern. Um diesen Gedanken rhetorisch zu verdeutlichen, greift Hartmann ein Wortspiel auf, das er in letzen Versen wiederholend ansetzt und seine Rede auf diese Weise umso wirkungsvoller steigert: sô des vil gâhe lôsen gaehes heil zergât / daz er an der vil gâhe lôsen gaehes vunden hât (V.7-8). Hartmann von Aue -Analyse des Liedes XVII – Ich var mit iuweren hulden (Ed. Ernst von Reusner). a)Zur Form: Metrisches Schema: 6a -5b, 6a-5b, 7cd 6dc. 125 b) Zum Inhalt: Das von der Forschung äußerst reich und vielfältig behandelte Lied stellt eines der programmatischen Lieder im Oeuvre Hartmanns wie auch innnerhalb der Gattung Kreuzzugslied dar. Es zeigt uns sehr anschaulich, welchen Verbindlichkeitsgrad das Modell Minne für die damalige Hofgesellschaft hatte. Gerade am Beispiel dieses Liedes wird die Defizienz, die Mangelhaftigkeit der Frauenminne gegenüber der Gottesminne aufgezeigt – im Hinblick auf die Erwartung, die sie zu erfüllen hat: - dass sie vom Partner her so zuverlässig ist, dass man tatsächlich sein ganzes Leben darauf bauen kann (staete, triuve) - dass sie sich erfüllen wird. Sehr trefflich gewählt sind hier die Argumentationsstrategien, deren sich Hartmann bedient. Ich möchte sie bereits an dieser Stelle herausstreichen: - er spricht immer allgemein von der „Minne“, die die richtige ist und enthüllt ihren weltlichen bzw. geistlichen Charakter absichtlich nicht. So kann er den Wert „seiner Minne“ umso eindrucksvoller und ohne Vorkennzeichnung aufzeigen. - er stilisiert sich als ein von dieser Minne tiefst Betroffener und Getroffener. Das ganze Kreuzzugslied wird nicht etwa als eine Kreuzzugsdidaxe (z. B. Conon de Béthume) abgehalten, sondern als Diskussion über die Minne, was für das Publikum sicher anziehend gewesen sein muss. Zur Interpretation:76 1. Strophe: Der Sänger nimmt Abschied – er verwendet dazu die toposhafte Wortformel: Ich var77 und setzt fort mit einer „Entlassungsformel“.78 Ein Segen an die Zurückgebleibenden / liut unde lant die müezen saelic sîn! beschließt diese spannende Einleitung, die noch im meisterhaften rhetorischen Spiel mit dem Publikum (eine unverhüllt-verhüllende Benennung des Zieles der Fahrt /reise/) weitergeführt wird: er sagt den Grund seines Aufbruchs: es ist die „Minne“, die ihn zu dieser Fahrt veranlasst hat, ihn besiegt, gegen sein Ehrenwort am Leben gelassen hat 76 Eine schlüssige und in vieler Hinsicht innovative Interpretation dieses Liedes sowie Stellungnahme zum „Forschungsstreit“ um seine Datierung bringt Johnson (1999), S. 141ff. 77 Mehr zu der Abschiedstopik bei Hugo Kuhn (1968), S.229. 78 Ebda, S.230. 126 und nun seinen „Dienst“ einfordert – diese Szene ist wie dem höfischen Roman entnommen (sicherheit)! Um der „Minne“ willen also zieht er aus. In den unausgesprochenen Details seiner Fahrt liegt die größte Spannung: es ist mit dem Vorwissen des Publikums zu rechnen: er bricht zu einem Kreuzzug auf. Welche Minne aber zieht ihn? Der Raum für weitere Argumentation ist offen. Genau an diesem Punkt verschafft sich Hartmann die beste Position für seine weitere Überzeugungsstrategie (V. 2-6). Seine Absicht wird abschließend noch einmal – mit erneuten Dringlichkeit – bestätigt: Es ist unmöglich, zurückzuschrecken, alle Beständigkeit und ritterliches Wort setzt er darauf an (V. 6-8). Strophe 2: Hartmann macht nähere Ausführung über die Minne, die ihn zieht: Es ist eine Minne, die werc, nicht nur wort fordert. Er führt sich selber als ein Vorbild für das richtige „Dienen“ – daz er ir diente, als ich ir dienen sol (V.1-4). Seine Minne fordert sogar die größte Opferbereitschaft: das sich ellenden. Zur Hervorhebung dieses Gedankens führt er fort: sie reißt ihn aus seiner Heimat über das Meer (in die Fremde) fort, dies ist sein (richtiger) Minnedienst (V.5-6). Als ein weiteres Unterstreichen dieser Perspektive gilt ein Argument „direkt aus dem Kreuzzugsgeschehen heraus“: selbst der prominente Gegner Saladin und sein Heer könnte ihn nicht zu einer solchen Fahrt veranlassen79, es geschieht nur und einzig um der Minne willen, gleich ob hier als Minnepartner Gott – Christus oder die Minnedame gemeint werden, einer „Minne über alle Minne“, derer außerordentliche Qualität im folgenden noch zu charakterisieren ist.80 3. Strophe: Eben diese Minne wird hier näher beschrieben – in einem rhetorischen „Ex – NegativoVerfahren“: da ist die Minne der minnesinger zum Scheitern verurteilt, weil sie auf unfestem Boden, auf wân, baut, auf einer unsicheren, unbegründeten Erwartung; seine Minne, mit der 79 Ich neige mich zu der Lesart ohne Komma, weil sie eine logischere ist. Vgl. dazu Bertau (1972, Bd. 1., S. 684) und Mertens (1978, S. 327). Zu der gleichen Meinung bin ich auch in der Disskussion mit Gerhard Hahn gekommen. Die Lesart wird von der Argumentationslogik der Strophe unterstützt.. 80 Johnson (1999), S. 142 fürht in diesem Sinne zur Saladin-Titulierung an: „Die Wendung mîn her Salatîn, die Anstoß erregt hat, scheint nicht problematisch; man muß sie nicht ironisch auffassen, sondern einfach als angemessenen Titel für einen mächtigen, wenn auch heidnischen Potentaten, den Bligger (MF119,1) und Walther (19,23) ohne jeden Spott zitieren können. ...Der Gedanke, daß Hartmann, wie er sich als dichterische Person in die Mitte der Bühne stellt, ohne den Tod seines Herren die Teilnahme am Kreuzzug verweigert hätte, zerstört die zentrale Opposition des Lieds: daß die bloße Feindseligkeit gegen Saladin und die Sarazenen ihn nie nach Palästina gelockt hätten, sondern nur die Liebe Gottes“. 127 er sich rühmen kann, ist in der zuverlässigen Gegenseitigkeit gegründet: sît mich diu minne hât und ich sî hân. Daz ich dâ wil, seht, daz wil alse gerne haben mich (V. 1-5). Erst in dieser Schlussstrophe wird wahrscheinlich, dass Hartmann „im Dienst“ der Gottesminne steht, obwohl er es nie ausdrücklich sagt. Er stellt diesen Gedanken auf, indem er immer wieder argumentative „Brücken“ baut: Wie ist dagegen die wân – Minne? Nochmals – in einem eindringlichen Widerspruch – wird sie von Hartmann vor die Augen geführt: Sie erweist sich als alle Hoffnung auf ewige Beständigkeit enttäuschend, erfüllt also nie diese stillschweigend hineinformulierte Grundbedingung Hartmanns (V. 6). Eine weitere Fortführung der Argumentation geschieht gleich im nächsten Satz: Die Haltung der Dame der hohen Minne – eine Abweisung des bis auf seinen Lebensgrund liebenden und dienenden Ritters, hält Hartmann damit als völlig unakzeptabel (ir ringent umbe liep, daz iuwer niht enwil). Damit ist auch der stärkste Argument für seine Entscheidung, nicht in dieser, sondern in einer andersartigen, einzig richtigen Minne zu verharren, genannt (V. 7). Ein letztes Mal führt sich Hartmann selbst als ein Vorbild in der „Kunst der wahren Minne“ an: wan müget ir armen minnen solhe minne als ich? (V. 8). Unter diese Bedingungen gestellt, die auch für die Frauenminne behauptet werden, erweist sich tatsächlich aber nur die Gottesminne als die wahre Minne. Der Kreuzzugsprediger Hartmann argumentiert nicht mit der Überlegenheit des geistlichen Anspruchs und des geistlichen Lohnes im Dienst an Gott. Er beeindruckt sein höfisches Publikum an der Stelle seines tiefsten Selbstverständnisses, in der Minne, indem er ihm nachweist, dass die Ansprüche an die Minne, wenn man sie ganz ernst nimmt, sich nicht – oder nur verweisartig in der Frauenminne erfüllen, sondern nur in der Partnerschaft mit Gott, in der Gottesminne. Deshalb geht er äußerst experimentatorisch vor, was bereits am Anfang dieser Ausführungen unterstrichen wurde: Als die Darbietungsweise wählt die des Minneliedes und die subjektive Art des Sprechens – die Ich-Form. Heinrich von Morungen: Lied I Si ist ze allen êren (Edition Helmut Tervooren) a) zur Form: Metrisches Schema: 4a b c, a b c, d (zweisilbig weiblich) 2c 4d (zweisilbig weiblich) 128 Auch hier hat man die Echtheit der 3. Strophe angezweifelt, doch „sprechen die starken Bezüge zu den Provenzalen für Morungen.“81 b) zum Inhalt: Ein reines Preislied, welches es im deutschen Minnesang vor Morungen in dieser Form nicht gab. Er lehnt sich in vielen seiner Bilder an mittelateinische und provenzalische Vorbilder. „Neu ist vor allem die detaillierte Beschreibung der äußeren Vorzüge der Frau.“82 1. Strophe: Die Herrin ist, wie der Mann gleich zu Anfang bemerkt, ringsumher in ihrem Ansehen (ze allen êren) und Vortrefflichkeit bekannt. Körperliche Schönheit (Äußeres – schoener gebaerde)83 verbindet sich mit ihrer Anmutigkeit und wohlerzogener Bescheidengeit (mit zühten – geistige Ebene). Deshalb wird ihr das höchste Maß an Lob zugesprochen: Im ganzen Reich wird sie gepriesen (V. 1-3). Dieser Gedanke wird nun mit Bildern von höchster künstlerischer Tiefe verdeutlicht: Ihre Makellosigkeit gleiche dem Mond,84 einer Metapher für ihre Güte. Wie der Mond, der sein Licht von sich gibt und seine breite Umgebung (al die welt) mit leuchtenden Strahlen begießt (wol lieht unde breit) (V. 4-7), so strahlt die Dame ihre Güte aus. Der Preis wird nochmals gesteigert: Sie sei, das spricht ihr der Minnende nochmals ausdrücklich zu, das Allerhöchste, eine Krönung aller Frauen (V. 8-9). 2. Strophe: 81 Tervooren (1992), S. 147. Ebda, S.147 83 Dieser Ausdruck bezeichnet die äußere Anmutigkeit der Dame und ist mit ziemlicher Sicherheit als eine Lehnübersetzung des provenzalischen Ausdrucks „bel semblan“ zu betrachten, der allerdings im Kontext der provenzalischen wie der deutschen Lieder mehrere Bedeutungsschattierungen aufweisen kann – von dem anmutigen Antlitz der Dame bis zum trügerischen, täuschendem Schein ihrer Gnade, die der Minnende für wahr hält und welche sich letztendlich als Ungnade erweist. Diese Wendung, im provenzalischen Minnesang in beiden angegebenen Bedeutungen sehr verbreitet, bezeichnet im Lied Morungens, „freundliches Äußeres oder Gesicht“ der Dame. Vgl. dazu Ecker, (1978) S. 134ff., der auch genügend Beispiele nennt. Annähernd gleich ist in unserem Falle z. B. die Formulierung des Bernart de Ventadorn: Ai! francha de bon aire / fezetz m´un bel semblan / tal don mos cors s´esclaire! („Can la frej´Aura“ V. 34-37) (Ach! Edle von guter Art, macht mir eine schöne Miene / zeigt mir ein freundliches Gesicht /, eine solche, durch die sich mein Herz erheitern mag.) Beide Begriffe - im Provenzalischen und im Deutschen - führe ich an dieser Stelle als einen möglichen Beleg für die Verbindung Morungens mit der provencalischen Lyrik an. 84 Tervooren (1992, S. 148) führt an dieser Stelle zwei Möglichkeiten der Deutung an: 1. Die Frau wird mit der mondbeschienenen Erde verglichen – d.h. sie empfängt passiv die Ausstrahlung des Mondlichts (Metapher der Güte- benignitas). 2. Sie wird mit dem Mond direkt verglichen und strahlt das Licht der Güte selbst aus (bonitas). Obwohl diese Stelle fragwürdig ist, neige ich mich zu der zweiten Lösung - einem Vergleich mit dem Mond, der das Licht (hier als Güte aufgefasst) ausstrahlt. Auch in anderen berühmten Liedern Morungens, z. B. in XVII,1, V.7 ist dies der Fall. 82 129 Der Minnende spielt mit folgendem Gedanken: Eben dieses höchste Lob, der nur seiner Dame zusteht und alle anderen in eine untergebene Position situiert ( nur sie ist zeiner krône gesetzet sô hô- V. 3), ist nahe daran, viele Frauen herabzusetzen (was eigentlich im höfischen Minnesang nicht zugelassen ist – V. 1-4). Aber Morungen benützt diesen Tabubruch, um das Lob der Dame weiter zu steigern – mit anderen Worten und auf andere Art: Sie ist nun einmal die krône über alle Frauen. Eine Ausweitung des Lobes kommt noch dazu: Sie ist (innerlich) frei von jedem Makel, äußerlich dann nicht zu übertreffen in ihrer Schönheit, von deren Merkmalen er nun reizvolle Schlankheit angibt. Auch ihr Gemüt sei unübertreffbar: Sie sei stolz und dabei heiter (V. 5-6). Der Gedanke, ihr gerade deshalb im Dienst ergeben zu bleiben, beschließt die Strophe: Er ist geradezu gezwungen, im Bereich ihrer Gnade zu bleiben – falls es nur ihr Wille ist, die ihm – mit nochmaliger überbietenden Verdeutlichung – die allerliebste unter allen anderen ist (V. 7-9). 3. Strophe: Die Erkorene soll deshalb auch lange leben, setzt der Mann fort, weil ihr Verhalten noch nie gegen irgendeine Regel des Sittenkodex verstieß (staete), seit er sie sich erwählte; er eröffnet so eine weitere Preisdimension. Er geht dann zu einer der detailreichsten Lob – Passagen des ganzen Minnesangs über: Ebenso durch ihre erotische Ausstrahlung – roten Mund und weiße Zähne – steht ihr sein Lob zu, ihr, der überall berühmten (V. 1-5). Das Nahesein bei ihr hatte für den Minnenden Auswirkungen: Er wird vollkommener – alle seine frühere Unbeständigkeit hat er von nun „abgelegt“, gerade ihrer Makellosigkeit, die breit mit Adjektiven beschrieben wird, gegenüber. (Sie war /von allen/ als reine, wîse, senfte, lôs gepriesen, V. 7-8). Gerade deshalb steigert er sein Lob fort – er besingt sie heute wie seit je (V 9). 4. Strophe: Der Preis ihrer Tugenden wird noch einmal, wenn überhaupt möglich, gesteigert. Der Minnende fügt ihr das höchste Attribut zu: Das der Sonne im Mai mit seiner unüberwindbaren Leuchtkraft (marianisches Symbol). Alles Niedrige, Störende (trüebiu wolken) wird fortgejagt; das ist auch die Quelle der Freude des Mannes: Selbst die besten aus dem weiblichen Geschlecht, die man in deutschen Landen überhaupt namhaft machen kann, überstrahlt sie in ihrem Ruhm (V. 1-7). Das Lob steigert sich noch ein letztes Mal – zum Schluss des Liedes: Sie ist nah und fern die berühmteste (V. 8-9). 130 Dieses Lied führt uns eine der Dimensionen des Minnesangs Morungens anschaulich vor Augen: Er schaut die Dame fast im Trance an, tief verwundet von Minne und voller Bewunderung, die ihm den eigentlichen Grund zur Freude gibt. Als eine Andeutung seiner Sehnsucht kann man seine Anpreisung der körperlichen Vollkommenheit der Herrin begreifen. Eine Erfüllung wird sonst nicht thematisiert. S. dazu die 4. Strophe – V.1-4. Heinrich von Morungen: Lied V – Von den elben wirt entsehen vil manic man (Das „Elfenlied“, Edition Helmut Tervooren) Im „Elfenlied“ ist der Sänger in einer „wartenden Haltung“ dargestellt, einer Gnaden-Geste der Dame harrend, von der sein künftiges Los abhängig ist. Dieses Lied ist ein Beispiel der grenzenlosen Leidenschaft in der Minne, suggestiv dargelegt in den wohlbekannten Bildern vom dämonischen Wesen der Dame, die in dem Sänger Liebesglut und Liebesbrand entfacht. (Str. 3). Damit hängt ein anderer wichtiger Denkmuster zusammen: die Überwältigung des Sängers von Minne: Entwicklungsgeschichtlich vertritt Morungen sicher eines der leidenschaftlichsten Minnekonzepte, so emotionsgeladen gerade deshalb, weil die angestrebte Erfüllung der alles überragenden Stellung der Dame wegen undenkbar ist. Der Sänger bedient sich dennoch, von der Romania und mittelateinischen Poesie inspiriert, eines ganzen Repertoires der Hoffnungsäußerungen, die am suggestivsten im Schlussbild des Liedes erscheinen: Der hoffende Mann verbildlicht sich als ein auf das Tageslicht wartender Vogel, der die lebensspendende Kraft des ersten Tagesschimmers (symbolisch für die Dame stehend) nicht mit eigenen Kräften herbeileiten kann. a) Zur Form: Metrisches Schema: 6a 5b, 6a 5b, 3b 4c 6c 5b, stolliger Bau des Strophe. Die Strophenanordnung richtet sich nach A. b) Zum Inhalt: 1. Strophe: 131 Die Macht der Minne, die von der Geliebten, der besten aller Frauen, ausgeht, ist eine Zaubermacht. Morungen vergleicht sie mit dem Blickzauber von Elfen, von verführerischen, betrügerischen dämonischen Wesen im Glauben der Zeit (V. 1-4). Hier ist sogleich zum Verständnis von Morungen eine deutliche Unterscheidung vorzunehmen: Die Geliebte ist in ihrem Wesen so vollkommen wie nur je eine Minnedame; Morungen steigert diese Vollkommenheit gelegentlich sogar ins Metaphysische. Die Wirkung aber, die von ihr ausgeht, wird vom Werbenden als eine negative erfahren: Gerade ihre höchste Idealität bindet ihn unausweichlich an sie und verletzt ihn zugleich aufs Tiefste, da die Vollkommenheit sie unerreichbar macht, als abweisend erscheinen lässt. Diese Art der Erfahrung von Minne, von der Morungen immer wieder und auch hier ausgeht, hat er zunächst durch den Blickzauber der dämonischen Elfen bildlich verdeutlicht. Der Vergleich der Dame mit dem Elfen legt die übernatürliche Gewalt dar, die sie auf ihn ausübt.85 Neben diesem Bildbereich von Dämonie (zu dem etwa auch der Venus-Vergleich MFMT 138,33 gehört), tritt in unserer Strophe sogleich ein weiterer kennzeichnender Bildbereich: Der von Fehde, Krieg, Kampf, Verwundung, Tötung. Der werbende erfährt die Wirkung der Minne als Fehdezug, Rachezug, die auf seinen Schaden, auf seine Vernichtung aus sind. Wie soll man sich einer solchen Macht gegenüber verhalten? Der übliche treue Dienst, der sich auf Lohn verrechnen lässt, ist hier nicht genügend. Wenn die Dame den Sänger, wie es aussieht, vernichten will, rät er ihr, das zu tun, worum er sie bittet – ihn zu erhören; es bedeute für ihn – den Bezauberten, einen Wonnetod – er wird vor lauter Glück sterben; dann hat sie ihren Willen erreicht. Mit anderen Worten – er bittet die Dame um eine Reaktion, bereits die Wonne, überhaupt wahrgenommen zu werden, führt zu seiner Zerstörung (V. 5-8). 2. Strophe: Die 2. Strophe entwirft wie die 1. zunächst wieder die Situation des Werbenden als die Situation eines in der Minne zur Ohnmacht Verdammten. Die Dame erteilt alle Befehle, und Auch Johnson (1999), S. 165, beschreibt mit ähnlichen Worten die „Macht“, die die Geliebte über ihren Diener ausübt. „Sie kann als Feudalmacht auftreten, mit dem Sänger als Leibeigenem der Geliebten (MFMT 126,16; 130, 20) oder als Kriegsmacht (MFMT 130,9); es kann sich auch um magische, dämonische oder (heidnisch)göttliche Kräfte handeln, die die Augen der Geliebten ausüben und ihn nicht nur wie üblich durch ihre funkelnde Schönheit gefangennehmen (MFMT 126, 8 ( /die Elben/,32; 138,25, 33 /Venus/)“. 85 132 dort, wo meine wichtigsten Lebensentscheidungen, meine letzten Verfügungen zu treffen sind, in meinem Herzen, dort bin nicht mehr ich, dort thront sie als die Herrin und Gebieterin, viel mächtiger als ich selbst. – Morungen steigert das gängige Bild von der „frouwe“ ins Übermächtige, Despotenhafte. Wieder: Wie soll er sich verhalten? Es bleibt nur ein ohnmächtiger Wunschtraum von Gegengewalt. Er wünscht, einmal drei Tage – diese Terminangabe ist nicht geklärt86 – und nicht gezählte Nächte – eine erotische Anspielung – seinerseits über sie Gewalt zu haben, was ihn kräftigen würde (V. 1-6). Die Überleitung zur tatsächlichen Situation, die genau umgekehrt ist, lässt den Sänger jedoch die Strophe resignierend zu beenden: jâ ist si leider vor mir alze vrî, völlig unabhängig (V. 8). 3. Strophe: Wieder, ein drittes Mal, die Minnesituation als Erfahrung der Wirkung der Minne, und abermals ein weiterer Bildbereich, der für Morungen kennzeichnendste: Der von Licht, Glanz, Feuer. In ihm kommt beides in einem Bild zum Ausdruck: - die Idealität der Dame als Glanz dieser Idealität, - die blendende, d.h. wieder zur Ohnmacht verurteilende Wirkung der Minne, die von einer Dame ausgeht. Morungen arbeitet nicht nur mehr als andere Minnesänger mit dem Mittel der Bildlichkeit; man kann bei ihm geradezu von „Bildargumentation“ sprechen: Er entwickelt ganze Gedankengänge in der Reihung von Bildern.87 Diesem Bildgebrauch für die Darstellung der Minne entspricht, dass die Dame und die Minnewirkung bei Morungen vor allem durch das Auge, durch sehen, schouwen, das auch visionäres Schauen sein kann, wahrgenommen und 86 Wahrscheinlich ist sie wie das Elfenbild dem Volksglauben entnommen, der Außerordentlichkeit und wohl auch Dämonie der Zahl „drei“. 87 Für alle anderen drückte – im Sinne Tervoorens – die künstlerische Gestaltung der Lieder Morungens Johnson sehr trefflich aus (1999), S. 160: „Die Bildhaftigkeit der Sprache Morungens ist im Minnesang einzigartig. ...Der Reichtum zeigt sich sowohl in der Häufigkeit als auch in der Palette der Erlebnissphären, von denen er sich herleitet.... Es gibt Begleitelemente, die zu einem Bild qua Bild nicht gehören, sondern bloß auf der Naturebene abrunden. Diese Nebenelemente, die keine Rolle auf der bildempfangenden Ebene spielen, können sich aber an anderer Stelle verselbstständigen und auf der figürlichen Ebene doch sinnvoll gemacht werden. Diese zu Morungens Zeit einmalige Ausnutzung der gebotenen Assoziationsketten (eine unauffällige, die sich scheinbar beinahe von selbst ergibt) ist ein Hauptcharakteristikum seines Genies.“ 133 erfahren werden. Dieses Begriffsfeld (sehen, schouwen, spehen, ouge) ist in seiner Lyrik überreich ausgebildet. Zurück zu unserer Strophe und zur konkreten Verwendung der Licht/Feuer-Metaphorik an dieser Stelle. Der Werbende empfindet sich als durren zunder, als totes Holz, das auf Wirkung von außen angewiesen ist. Diese Wirkung geht von der Dame aus und äußert sich in doppelter Weise: 1. Der Lichtglanz ihrer Augen (neben anderem auch Schönheitsmerkmal) „entzündet“ die Liebe des Minnenden; wenn sie sich ihm zuwendet, ihn ansieht, „entflammt“ es ihn; die Minnewirkung kann also durchaus eine positive sein. 2. Wenn sie sich von ihm abwendet (ir vremeden), so „löscht“ sie die „entzündete Glut“: Sie bereitet seinem Herzen, seinem Innersten tiefsten Schmerz. Die Pointe dieses Bildes ist wieder – wie in Str. 1 und 2: Ihre absolute Macht in der Minne (zu beglücken, zurückzustoßen), seine absolute Ohnmacht, sein „Verurteiltsein“ zur Passivität (V. 1-4). Das hiermit kein Makel ihres Wesens gemeint ist, zeigt beweisend und eindrucksvoll der hohe Frauenpreis, der sich im zweiten Strophenteil direkt und unvermittelt anschließt: ihre Vollkommenheit ist es, die so auf ihn wirkt: Und ir hôher muot und ir schoene und ir werdecheit und daz wunder, daz man von ir tugenden seit, daz wirt mir vil übel – oder lîhte guot? (V. 5-8) Reaktion des Werbenden kann nur eine bange, im Aussprechen schon resignierende Frage und Bitte sein (V. 8). Und noch einmal, geradezu „monomanisch“ – dasselbe in der letzten Strophe. 4. Strophe : Sie beginnt mit dem konventionellen Motiv der Minnefeinde, die die Minne von außen zu stören und zu hindern suchen, formuliert es aber auf Morungensche Weise: Er verflucht die, 134 die den Blickkontakt unterbrechen. Ihre Blicke besitzen eine überwältigende Kraft, auch das Dämonische wird in dieses Bild wieder inbegriffen (V. 1-4). Aber nicht darin liegt das Problem der Morungen-Minne. Das konventionelle Motiv der Minnefeinde dient nur dazu, das Wichtigere, Wesentliche zu betonen. Dieses wird abermals im Bild vorgeführt, und dessen Zielrichtung ist die der anderen Bilder. Der Minnende – und Sänger – ist durch den Blick der Dame geradezu hypnotisiert und hofft doch noch (TranceEffekt! – ich muoz vor ir stên / unde warten der vröiden mîn): Dieser Zustand ist mit dem suggestivsten Vergleich beschrieben: er , „vor Ohnmacht versteinert“, regungslos, gleicht kleinen zitternden Vögeln in der Nacht, die ihre Lebenskraft, ihre Rettung, aus dem ersten Strahl des leuchtenden Morgens schöpfen (V.5-7). Das Lied endet – und kann nur enden – in der erneut wiederholten bittenden Frage: Wann wird mir je Glück zuteil werden? (V. 8) Alle wichtigen Merkmale der Morungenschen Lyrik und sein Minnekonzept, das der Überwältigung von Minne, wurden somit anhand dieses Liedes präsentiert. Reinmar: Lied XIII – Ich weiz den weg nû lange wol (Ein wîse man sol niht ze vil), (Edition Günther Schweikle) Es ist notwendig, als Beleg des Reinmarschen Minnekonzeptes und seiner künstlerischen Raffinesse eines seiner programmatischen Lieder zur Interpretation zu wählen. Das oben genannte Lied ist dazu noch in einer besonderen Hinsicht zu betrachten: Es ist in den Handschriften in verschiedener strophischen Reihenfolge und mit schwankender Strophenzahl überliefert. (Die Strophen 5 und 6 wurden in C sogar einem anderen Lied Reinmars (in der Edition Schweikles unter Nr. 10) zugereiht).88 Die heutige Forschung ist sich darüber einig, dass Reinmar dieses Lied offensichtlich je nach verschiedenem Kontext mit anderer Pointe und in wechselnder strophischer Reihenfolge angesetzt haben kann. Er kann auch das Lied in verkürzter Form dargeboten haben, wie die Überlieferung in den Hs. A und B bezeugt. Ich wähle – gegen die Anordnung der Strophen im MFMT – die strophische Abfolge nach der Edition Schweikles, in der das Lied – trotz der anfänglichen Resignation – in hoffender Pose endet: Der Sänger verspricht sich von seiner 88 Näheres in Schweikles Edition (1986) und im MFMT (1988). 135 Haltung und der Kunst, das vielfältig thematisierte Leid zu ertragen, letztendlich doch noch einen Erfolg.89 a) zur Form: Es lässt sich – bei allen Unregelmäßigkeiten, die wohl auch die Pointen des Liedes zu unterstreichen haben – folgende Grundstruktur festellen: 4ma5mb/ 4ma5/6mb//7mc7mc4md4mx5/6md. Versgrenzenverschiebungen könnten in 4,5.6 und 5,5.6 vorliegen (6/8 statt 7/7).90 b) zum Inhalt: Alle Strophen muss man als eigenständige inhaltliche Aussagen betrachten, zwischen denen nur eine lose Verbindung existiert. 1. Strophe: Das Lied beginnt mit einer Situation des Minneleids: Der Weg, der von Freude bis zum Leid führt, kennt der Sänger leider schon seit langem. Die gängige Vorstellung von der unauflösbaren Verknüpfung von Freude und Leid als allgemeines Welt- und Lebensgesetz ist hier wieder einmal verwendet und wiefolgt pointiert: Die andere Richtung, vom Leid zur Freude, wurde ihm noch nicht bereitet. Das Thema der Klage ist angeschlagen (V. 1-4). Das Ausmaß seines Leides ist unermesslich. Wie verhält man sich in dieser Situation am besten? Reinmar gibt hierfür einen Rat: Man macht diesen Zustand erträglich, wenn man sich ihm gegenüber wie tot stellt, wenn man ihn „überhört“, wenn man versucht, diese Gedanken wie von etwas Fremdem, den Betroffenen nicht Angehendem wegzuwenden (V. 5-6, der gleiche Reim ist hier ein Mittel zur Hervorhebung der Aussage). Diese bedeutungsschweren Verse bilden – in der Mitte der Strophe gelegen – auch die Handlungsachse ihres ganzen Geschehens. Das Wesen der Minne scheint also nur Leid zu sein. Die Strophe zieht eine schwerwiegende Folgerung: Sie endet mit einer Verfluchung der Minne als einer immer nur „bleichen“ Gestalt: so müeze minne unsaelic sîn. (In etwas anderem Zusammenhang spricht Gottfried im „Tristan“ von der Minne als „gespenstischer Minne“). Der Fluch bedeutet aber nochmals eine dramatische Steigerung des Leiderlebens, in 89 Schweikles Reihenordnung der Strophen geht von der Annahme aus, dass diese innerhalb des Liedes frei austtauschbar sind, die ersten drei Strophen druckt er nach der Reihenfolge in der Hs B ab. Mehr dazu in seiner kurzen Interpretation des Liedes auf S. 343f.. 90 Schweikle (1986), S.345ff. 136 keinem Falle Absage an die Minne: eher einen dringenden Appell, diesen Zustand zu ändern (V. 7-9). 2. Strophe: Reinmar setzt sich mit einer Gruppe von „Minnefeinden“ auseinander, den lügenaeren, solchen, die das Minneverhältnis durch Verleumdungen zu stören versuchen, die auf diese Weise „Leid“ in das Minneverhältnis hineintragen. Man hat wieder mit einer anderen Ausprägung von Leid zu tun. Wie kann man mit dieser Art von Leid fertig werden? Reinmar gibt den „weisen“ Ratschlag, solchen bodenlosen Verleumdungen nicht auf den Grund gehen zu wollen, vor allem nicht in der Weise, dass man seiner Minnedame fallenstellend auflauert (versuochen) und ihr Vorwürfe macht (gezîhen), – der erwählten Minnedame, von der er sich ja doch nicht trennen will. Thema ist also wieder – eine bestimmte Art des Leides in der Minne und eine nunmehr neue Überlegung, wie man damit umgehen kann, wobei unumstößliche Voraussetzung dafür ist, dass die Minnebindung selbst nicht aufgelößt, die Integrität der Minnedame nicht angetastet werden kann (V. 1-4). Eine der zwei folgenden sentenzartigen Aussagen – der inhaltliche Kern – ist wieder in die Mitte der Strophe eingebaut: Es ist unmöglich, der Lügenhaftigkeit der Welt ein Ende zu machen, dies wäre eine unlösbare, äußerst leidbringende Aufgabe. (V. 5-6, der Reim ist hier wiederum ein Mittel zur Hervorhebung der Aussage). Eine weitere allgemeingültige Sentenz – man soll die üblen Reden mit Schweigen übergehen – beschließt die Strophe. 3. Strophe: Es ist ein erneuter Entwurf einer Leid-Situation und –ursache. Man sagt, dass die Beständigkeit die Herrin der anderen Tugenden sei – als eine am meisten zu lobende Eigenschaft, eine Grundtugend – mit triuwe verbunden. Nun weist Reinmar auf die „Doppelwertigkeit“91 dieses Begriffs hin: Es ist gerade die staete mit ihrer höfischen Sittsamkeit, die ihm in seinen jungen Jahren viel Leid brachte (wohl als eine beständige Abweisung von Seiten der Dame?) und ihn derart unglücklich machte, dass er diese 91 Schweikle (1986), S.344. 137 Grundtugend nie mehr loben möchte! (V. 1-5, im Vers 5 liegt die äußerste Zuspitzung der ganzen Aussage). Reinmar wählt als eine genuine Fortsetzung eine Zeitklage. Nicht ihm und seiner (guten, von Jugend erlernten und befolgten) Art des Minnens sind die heutigen Damen gewogen, sondern den Werbern, die sich wie verrückt aufführen, Liebesraserei vorspielen (...swer nû vert sêre wüetende als er tobe / daz den diu wîp noch minnent ê) (V.6-7). Einer, der das nicht kann, ist bei ihnen verloren. Er mit seiner Art der Darbietung ist den Damen noch nie so nahe gekommen wie jene anderen (V. 6-9). Es geht also um zwei verschiedene Leidsituationen: Die sich negativ auswirkende Beständigkeit und die nicht richtige Art des Werbens, die aber Erfolg hat. 4. Strophe: Es wird eine weitere Leiddimension thematisiert. Das Leid geht von seiner Minnedame aus. Sein richtiges Werben wird von ihr missverstanden, für das er eigentlich belohnt werden sollte, den muot hôhe tragen sollte. Wir sind mit einer hohen, nicht erfüllten Minne in der klassischen Klage-Situation des hohen Minneliedes konfrontiert. Die Frage nach den Gründen der Nicht-Erhörung, mit der die Strophe eröffnet wird, gehört zu der Inszenierung dieser Klage (V.1-2). Es geht um ein Werben, das nicht mit „kennerischen Tricks“ (mit kündekeit) geschieht und nur, um die Haltung der Dame einfach einmal auszuprobieren (durch versuochen) (V.3-4). Das „Ich“ wirbt in triuwe, in zuverlässiger Aufrichtigkeit und Verbindlichkeit: Der Sänger verdeutlicht eindringlich, dass nur Eines – die Begegnung mit der Dame – ihm Freude brachte (V. 5), was er ihr auch immer darzulegen versuchte – noch einmal hervorgehoben – aufrichtig, so, dass es aus dem Herzen kommt. Der „Professionelle“ hebt dabei besonders auf seine Worte, auf sein Minnesingen ab: und gie von herzen gar, swaz mîn munt ie wider si gesprach (V. 6). Er fühlt sich in seiner triuwe zu Recht missachtet und gerät deshalb in Zorn (Zorn – eine offizielle Antwort-Geste auf die Vermutung und die Tatsache von Ungerechtigkeit – steht hier als ein rechtlicher Termin). Es ist aber ein kleiner, „gebremster“ Zorn, den ihm doch in seiner Situation niemand für böse halten könne (V. 7-9). 5. Strophe: Es geht hier wieder um Leid – diesmal um eine neue Art und Möglichkeit seiner Bewältigung. Sie erhält in dieser Strophe zwei Antworten: die zweite, im zweiten Teil der Strophe, ist die, dass das werbende Ich sô senften muot, eine so bereitwillige Gesinnung aufbringt, dass es die 138 abweisende Haltung (haz) der Dame sich zur fröide werden lässt. Das gängige Motiv, der Zorn der Dame sei wenigstens eine Wahrnehung der Existenz des Minnenden, über die er sich freuen kann, kommt hier aufs Neue zum Tragen. Die erste Antwort im ersten Teil der Strophe ist die wichtigere. Es ist ein provozierend hoher Anspruch des Ich, aus dessen Rollenhaftigkeit der Autor – Sänger Reinmar – wenn irgendwo, dann hier – hervortritt: Er beansprucht unvergleichliche, singuläre Meisterschaft, Anerkennung, Kunst im Sinne vollendeten Könnens dafür, dass er sein Leid zu tragen versteht wie niemand sonst auf der Welt. Dabei darf der Satz daz nieman sîn leit sô schône kan getragen sicher in einem doppelten Sinn verstanden werden: 1. Als Aussage über seine vollendete, vorbildliche ethische Haltung im Ertragen von Leid. 2. Als Aussage aber auch über die Fähigkeit, wie die Begriffe meister und kunst andeuten, das Leid künstlerisch im vollendeten Gesang zu bewältigen, es im Gesang zu zelebrieren, gleichsam zelebrierend vor sich „herzutragen“, darzubieten.92 Das selbstbewusste Hervortreten des Sängers im V. 5 ist eng an die nächste Äußerung angeknüpft: Seine Klage wird hier noch intensiviert:er kann – geplagt von der Ungunst der Dame- sein Leid nicht einfach still unterdrücken, sondern muss von ihm unaufhörlich singen: des begêt ein wîp an mir, daz ich naht noch tac niht kan gedagen (V.6). Nichts desto trotz – wie ich schon zu Anfang dieser Strophe erwähnt habe – nimmt er sein Schicksal mit senftem muot hin, obwohl es im rehte unsanfte tuot. Das etymologisierende Sprachspiel soll diesen Widerspruch auf rhetorischer Ebene unterstreichen. 6. Strophe: Reinmar kehrt hier zum dem einleitenden Motiv aus der ersten Strophe: Dem unauflöslichen Zusammenhang von Leid und Freude. Als allgemeines Weltgesetz und eine Lebensregel eröffnet diese Sentenz die Strophe. Jeder Mensch, der auf die Freude zielt, muss imstande sein, das eine um des anderen willen zu erdulden: Das ist Reinmars Strategie der Leidbewältigung. Im Zentrum der Strophe – Vers 5 – wird sie eingehend beschrieben: Die Art des Leiderduldens soll eine bescheidenlîche klage sein – durchaus also eine Klage, die aber kein blind-emotionales Jammern ist, sondern „wissende Klage“, wissend um den Weltlauf und seine Bedingungen, ein Akt also schon überwindernder Weisheit. Reinmar wehrt weiter 92 ´Diese Möglichkeit der Leidbewältigung findet man bereits bei Morungen (Bild vom sterbenden Schwan). Es ist zu werten als eine Möglichkeit des „professionellen“ Minnesängers, und als ein erster Schritt vom Minnesang als „Ritual“ hin zum Minnesang als Literatur, als einem eigenständigen, eigenwertigen Medium. Diese Deutung darf man – mit ihrer literaturgeschichtlichen Tragweite – auch an Reinmars Strophe anlegen. 139 die Reaktion von arger site ab, die das Leid als Lizenz für Bosheit, bösartiges Verhalten nimmt. Und er nennt als höchstes Gut angesichts des unvermeidbaren Leides: guot gebite, geduldig-gelassenes rechtes Warten-können, Durchhalten-können (V. 6). Wer das Leid so, in solcher wissend-disziplinierter Haltung erträgt, ist auch im Leid schon auf dem Weg zur fröide und wird am Ziel beständiger fröide ankommen (V. 7-8). Dieser Gedanke bereitet den Weg der Schlusspointe des Liedes, falls die Reihenfolge der Strophen in dieser Anordnung erfolgt: Auch das minnende Ich zieht aus dieser allgemeinen Lebensregel Lehre und hofft, noch „getröstet“ zu werden, noch zur Zuversicht und Liebesglück zu gelangen. Der Schlussvers 9 des ganzen Liedes dient gleichzeitig als ein letzter Appell des Sängers an die Dame, das ihm gegenüber verletzendes, leid bringendes Verhalten zu ändern – eine letzte Bezeugung seiner Minne, sein letzter Versuch, sie zur Gnade zu bewegen: alsô dinge ich, daz mîn noch werde rât. Die Sendung der Strophe enthält auch einen allgemeinen Appell und lässt sich auch wie folgt umschreiben: Die Ethik, die in der Minne gelten soll, ist eine Ethik, die für das ganze Leben gelten kann; als Modell der Leidbewältigung für übergreifende Lebenshaltungen. Das kann und soll ineinandergreifen. Das ist der Sinn des Minne-Modells weit über jede private Zweisamkeit hinaus.93 Fazit: Minne ist in diesem Lied als „Leid“ von verschiedenster Hinsicht durchgespielt, immer auf Neue, unter verschiedener Perspektive. Dementsprechend sind auch die Bewältigungsstrategien immer anders. Es ist überhaupt die Kennzeichnung des Reinmarschen Minnesangs: Die unerfüllte Liebe bedenkt er ständig aufs Neue, in geschlossenen Gedankengängen, in sich abgekapselt. Die einzelnen Strophen weisen so relative Selbständigkeit auf. Reinmar: Lied X – Swaz ich nu niuwer maere sage (Edition Günther Schweikle) Dieses Lied, dessen Schlüsselmotive Frauenpreis und Leid über die Unerfüllbarkeit der Minne sind, nimmt im Reinmars OEuvre ebenso eine zentrale Position ein. a) zur Form (nach Schweikle, S. 334): metrisches Schema: 4ma6mb/4ma6mb//6mc7mc3md5mx5md. 93 Für eine anregende Diskussion zu diesem Lied danke ich Herrn Prof. em. Dr. Gerhard Hahn. 140 In jeder Strophe ist V. 8 jeweils auftaktlos (in der defekten Strophe 5 konjiziert). Jeweils zwei Verse ergeben eine Periode von zehn Takten, mit Ausnahme des 1. Verses des Abgesangs, der als Sechsheber isoliert steht. Dies könnte ein Hinweis auf die Melodiestruktur sein. b) zum Inhalt: Die auch von Schweikle vertretene Reihenfolge der Strophen ergibt sich aus der sehr guten Überlieferung (in A, B, C die gleiche Reihenfolge von 4, in E von 5 Strophen, eine Umstellung ist nur in A zu verzeichnen). 1. Strophe: waz mir doch leides unverdienet...und âne schulde geschiht! (V.6f.) Also wieder Leid? Worin besteht es jetzt? Darin, sagt Reinmar, dass er wieder nichts Neues (maere), sondern wieder nur die alte Minneklage vorzubringen hat und solche Darbietung allmählich auch die friunde, die ihm wohlwollend gegenüberstehen, verdrießen kann und ihm nur noch Schaden und Spott einträgt. Es sei dahin gestellt, ob Reinmar hier auf tatsächliche Vorwürfe reagiert oder ob er sie nur fingiert, um umso deutlicher auf die Besonderheit seines Minnesingens, eben die unendliche Klage, hinzuweisen, sie zu betonen und zu begründen. – Jedenfalls haben wir eine der belegfähigen Stellen dafür vor uns, dass die „Professionellen“ neben der Minne nun ständig auch das Minnesingen, die Beziehung des Sängers zum Publikum einbeziehen, thematisieren und auch problematisieren. Die Lösung, die vorgeschlagen wird, ist in dieser Strophe eine ganz konventionelle: Wenn mich die Dame erhört (bî ligen), hab ich fröide und kann sie singend weitergeben. Eine Erhörungsbitte, die der Dame die Verantwortung nicht nur für das Wohl des Werbenden, sondern, steigernd, auch für das Wohl der Gesellschaft zuschiebt. 2. Strophe: Auch diese Strophe zeigt das Ich unter Kritik, Abweisung, Nicht-Anerkenung gestellt – kurz: wieder in eine Leid-Situation. Es sieht sich der Verdächtigung und Bezichtigung ausgesetzt, dass er seine Minnedame nicht in dem Maße minne, wie er sich verbal – in seinem Minnesang – anstelle: er mache nur verbalen Wind (V. 1-2). 141 Diese Art von Verdächtigung finden wir öfter nicht nur gegenüber Reinmar, sondern auch gegenüber anderen „Professionellen“ wie Walther ausgesprochen. Da die Dame nur „Spielfigur“ ist, wäre dieser Verdacht etwa so zu übersetzen: Der „Professionelle“ mache eben Worte, aber den Sinn des Orientierungs- und Repräsentationsmodells Minne mit der Minnedame als Mittelpunkt nehme er letztlich nicht ernst, er unterstelle sich nicht dem persönlichen und gesellschaftlichen Verpflichtungsanspruch dieses Modells. Dass diese Verdächtigung in unserer Strophe aber von den hôchgemuoten (V. 1) ausgesprochen wird, hat sie noch eine besondere Pointe. Die hôchgemuoten sind m. E. nicht die „Hochmütigen“ (so Schweikle), auch nicht die „Sachverständigen“ (Brackert). Es sind solche, die den erstrebten hôhen muot – offensichtlich durch Erfolg – demonstrieren oder es zumindest vorgeben. Aus dem Mund dieser „Erfolgreichen“ enthält der Vorwurf, dass Reinmar-Ich nur verbalen Wind mache, zugleich eine „hochmütige“ VerdächtigungKomponente: Woraus resultiere die leidvolle Erfolglosigkeit Reinmars in der Minne? Reinmar spielt also über die hôchgemuoten eine weitere, denkbare Möglichkeit ein, die leidvolle Erfolglosigkeit könne Schuld des falsch, unernst werbenden Ichs sein, – aber nur, um sie sogleich vehement mit Schwur und Verfluchung der Kritiker zurückzuweisen: si was mir ie gelîcher mâze sô der lîp (V. 4). Nicht an ihm liegt es, wenn Minne sich als Leid darbietet, sondern – wieder ganz konventionell wie in Strophe 1. – an der Dame : da sie, ungnädig, kein tröstliches Entgegenkommen gewährt. Es bleibt nur die bittende Frage, ob er wohl noch einmal einen guten Tag erleben wird – wie früher: Gemeint ist wohl nach dem traditionellen Motiv des Minnesangs:wie vor der Minnebindung. Ich intrepretiere an dieser Stelle die nur in E überlieferte Strophe 5. Sie klingt wie eine Variation zum Thema der 2. Strophe in umgekehrter Reihenfolge der Hauptmotive und war vieleicht auch eine „Ersatz und Austauschstrophe“. Reinmar beginnt mit der Klage über unverschuldetes Minneleid, die indirekt den Frauenpreis und die – berechtigte – Bitte um Erhörung transportiert, und wendet sich im zweiten Teil jenen zu, die ihm Unernsthaftigkeit vorwerfen (...daz ich ze spotte künne klagen - V. 5). Er setzt die feierliche Versicherung entgegen, jedes seiner Worte habe, ehe es den Mund verließ, seinem Herzen „beigelegen“(er verwendet somit die Vokabel der letzten Liebeserfüllung). 142 3. Strophe: Diese Strophe gilt bekanntlich als eine der schönsten, der vollkommensten Minnepreisstrophen nicht nur Reinmars, sondern des ganzen Minnesangs. – In seinem Nachruf auf Reinmar, in dem Walther von der Vogelweide sich von der Person Reinmars distanziert, seine Kunst aber aufs Höchste preist, stellt Walther fest: Wenn du, Reinmar, nur die eine Strophe gesungen hättest: Sô wol dir, wîp, wie reine ein name!(V. 1) – so hättest du damit die Frauen so gepriesen, dass sie alle verpflichtet wären, Gottes Gnade für dich zu erflehen (L 82,35). Walther hat völlig richtig gesehen, dass Reinmars Preis so angelegt ist, dass er über das Lob einer Einzelnen hinausgeht. Er gilt dem Namen wîp, dem Begriff der Frau, in dem ihr Wesen enthalten ist und sich kundgibt. Dieser name ist rein, untadelig vollkommen. Ihn denkend auszuschöpfen (ihm nachzusinnen) und ihn auszusprechen (vor allem im Minnelied, ist wohl gemeint), tut wohl. Es gibt nichts Preiswürdigeres; es gibt aber keinen Preis, der diesen Gegenstand je erreichen könte (Unsagbarkeitsopos). Der Mann ist glückselig, dessen Leben ist lebenswert, dem sie sich mit Treue zuwendet. Darüber hinaus: Sie schenkt der ganzen Gesellschaft hôhen muot. Wir sehen, dass die gewünschte „Superlativität“ des Frauenpreises gewährleistet ist. Was sagt Reinmar weiter? ...dâ du ez an rehte güete kêrest, sô du bist (V. 4) – bedeutet das eine Bedingung: Das Lob, dass du das lobenswürdigste bist, gilt dann, wenn du dich an die rehte güete hältst? Und was ist rehte güete? Wahre Vollkommenheit? Dann hätte Reinmar schon andeutend vorweggenommen, was Walther scharf ausformulieren wird: Die Frau ist zwar zur Volkommenheit disponiert, aber es bedarf auch ihres bewussten, verantworteten Dazustehens. Heißt rehte güete das Wirksamwerdenlassen der Volkommenheit, des GutSeins, durch „gütige“ Zuwendung zum Partner? Wie es wiederum Walther pointiert im Wortspiel ausformulieren wird: vil guot sît ir, dâ von ich guot von guote wil (L 62,35) ( ihr seid überaus, vollkommen „gut“, aber ich will Gutes erfahren von eurem Gutsein). Oder liegt in diesem Satz Reinmars keine Einschränkung, keine Bedingung vor, im Sinne von: gleich wo, überall dort, wo du bist und damit deine wahre Vollkommenheit zur Geltung bringst, bist du das Lobwürdigste, das es überhaupt gibt. (Ich vermute, dass Reinmar Letzteres gemeint hat, dass Walther aber, indem er diese Stelle für seinen Nachruf wählt und als das Beste an Reinmar heraushebt, eine Stelle gewählt hat, die auch im Sinne des Waltherschen Programms gedeutet werden konnte. Ein Vorgang dann nicht ohne versteckte 143 Bosheit: das beste, das du, Reinmar, je gesagt hast, ist etwas, was ich, Walther, ja dauernd sage!) Eine großartige Preisstrophe jedenfalls, in der, gleich ob der Preis unbedingt oder unter Bedingung ausgesprochen ist, die Frau als vollkommen oder als disponiert zur Vollkommenheit wie nichts anderes auf der Welt gepriesen wird. Warum aber diese Preisstrophe in diesem auf klage, besser: auf die Rechtfertigung von klage abgestimmten Lied? Man könnte sagen: der Frauenpreis gehört, ob breiter ausgeführt der angedeutet, obligatorisch zu jedem Minnelied, da er ja eben die Grundvoraussetzung für Minne formuliert, die Vollkommenheit der Dame. Es hat bei Reinmar aber sicher die weitergehende Funktion, eindringlich zu begründen, warum der Minnende trotz der Abweisung, trotz des dominierenden Leides in der Minne an die Dame in ihrer unvergleichlichen, unersetzlichen Vollkommenheit gebunden bleibt, – und an das, was nur sie zu geben imstande ist, fröide, hôhen muot, auch wenn sie jetzt noch nicht gewährt sind: maht ouch mir ein wênic fröide geben! ( V. 9). 4. Strophe: Sie ist in A, B, C wohl nicht ohne Grund die Schlussstrophe. Um ihretwillen habe ich das Lied zur Interpretation ausgewählt. Sie tritt aus dem Horizont herkömmlicher Minneüberlegungen und -aussagen heraus; Reinmar erreicht auf seine Weise in ihr das Reflexionsniveau, das wir aus Morungens „Narzisslied“ kennen. Zwei Verhaltens-, Handlungsweisen, die sich als entgegengesetzte Möglichkeiten von gerade rechtlicher Bedeutsamkeit (dinc) darstellen, wollen überlegt sein, über sie will entschieden sein. (1) Soll ich mit mînem willen, (V.4) d.h. mit Wissen und Absicht, ihre hôhe werdekeit, (V. 3) den Wert und die öffentliche Wirkung des Wertes der Minnedame, ihre Würde, mindern, herabsetzen wollen? Wodurch dies geschehen könnte, wird an dieser Stelle nicht gesagt, erst bei der Alternative angedeutet, wenn die Rede davon ist, dass die Dame frî bleiben müsse von ihm und alllen Männern, „unberührt“, „unangetastet“. Gemeint ist wohl – wie in der Bildsprache Morungens – dass die „Besitznahme“, die die Liebeserfüllung bedeuten würde, etwas zerstören würde. Reinmar spricht von laster, von der 144 Möglichkeit einer „Verunglimpfung“ der Dame, vom Verlust dessen, was ihre Position in der minneorientierten Gesellschaft ausmacht: Vom Verlust der ungetrübten Strahlkraft ihrer Idealität, die maßstabsetzend und fordernd in die Gesellschaft hineinwirkt. Wie bie Morungen könnte man allerdings auch bei Reinmar daran denken, dass hier eine Umsetzbarkeit des literarischen Modells Minne in die Lebenswirklichkeit, eine direkte „Nachlebbarkeit“ problematisiert wird. Ergebnis solchen „Zugriffs“ wäre in jedem Fall Leid (ich enwirde ir lasters niemer frô)(V.8). (2) Die Alternative wäre eben der Verzicht auf solchen „Zugriff“ durch ihn und alle anderen Männer, in der Absicht, ihre werdekeit noch groezer sein zu lassen (V. 5). Was aber wäre in diesem Fall das Ergebnis für den Minnenden? – Leid! Er könnte zeitlebens nicht mehr frô werden, zu einem Selbstwertgefühl kommen, wenn ihn in dieser Verzichts-Konstellation die Dame „übergeht“, wenn nichts mehr von erotischer Verheißung von ihr zu ihm übergeht. Wir wissen doch, welche fundamentale Rolle das erotische Moment im Orientierungs- und Erziehungsmodell Minne spielt. Gesamtergebenis: die beiden Möglichkeiten: siu tuont mir beidiu wê! (V. 7) Beide Möglichkeiten münden in Leid. Das heißt aber: Wenn der Minnesänger Reinmar sich zum Meister der Leid-Zelebration stilisiert und darauf seine Stellung in der Gesellschaft und seine Ansprüche an sie gründet, – so kultiviert er nicht einfach eine beliebige „Masche“, die ihn als Reinmar erkennbar und von anderen Minnesängern unterscheidbar macht, – sondern er tut das einzig Konsequente und Richtige in Minne und Minnesang: Er hat aus der Konstellation der Minne folgerichtig abgeleitet, dass sie in jedem Fall, so oder so in Leid mündet und notwendigerweise literarisch in der Form der Klage behandelt werden muss. Reinmar erhebt mit seinem klagenden Gesang über das unausweichliche vielgestaltige Leid in der Minne und in der minneorientierten Gesellschaft den Anspruch, das Richtige zu tun. Klage ist bei ihm wie in Morungens niuwer klage nicht mehr nur Klage über die „NichtErhörung“, sondern Klage über die „Nicht-Erhörbarkeit“ in der Minne. 145 Sein Thema ist nicht mehr nur die Minne, sondern die Möglichkeit von Minne und damit von Minnesang. 94 Sägen die „Professionellen“, die ihre gesellschaftliche Anerkennung und unter Umständen sogar ihre materielle Absicherung auf ihren Minnesang gründen, nicht am eigenen Ast, wenn sie derart radikal nach der Möglichkeit von Minne und Minnesang fragen? – Man muss diese Frage wohl dahin beantworten, dass sie das Agieren auf dieser „Metaebene“ als überlegene Fähigkeit gegenüber dem „adeligen Dilettanten“ in Anspruch nehmen. Die Dame erscheint in den Werbungsliedern Reinmars schemenhaft, schemenhaft auch in ihren Regungen und Äußerungen, die sich der Werbende dann zu deuten hat und in der Regel als ablehnende, abweisende deuten zu müssen glaubt. In der neueren Forschung wurde die Anordnung der Strophen im Reinmar-Oeuvre viele Male je nach den Textzeugen geändert und ausgewechselt. Es ist nicht mein Ziel, die vielen (heute überholten) Eingriffe der älteren Forschung (v. Kraus) zu kommentieren. Indem sich die Edition Schweikles auf die Hs. B stützt, wurde von anderen (vor allem von Hausmann) ein gelungener Versuch unternommen, einige der Schlüssellieder in der Nummerierung der Tradition AE abzudrucken und neu zu interpretieren. Dies geschieht auch im Falle des Reinmarschen Liedes MFMT XIII (Schweikle XIV). Schweikle wie Hausmann vermuten zu Recht, dass dieses Manneslied motivische Zusammenhänge mit dem ersten der Frauen- oder der Botenlieder aufweist (Nr. XXVII).95 Beide diese Lieder stehen als eklatante Beispiele des Reinmarschen Minneprogramms und seiner Auffassung von Minnesang, welche von beiden Perspektiven – der des Mannes und der der Dame – auf sich bezugnehmend erörtert werden. Aus diesem Grunde wählte auch ich beide Lieder zur Interpretation: Reinmars eigenständige Fortführung der Grunddenkstrukturen des Minnesangs kann anhand dieser beiden Texte gut veranschaulicht werden. Wir sind im Manneslied Nr. XIV bis an die Grenzen der äußersten Ausweglosigkeit des männlichen Werbens geführt. Es ist aber in dessen Parallele, dem Frauenlied Nr. XXVII – neu gegenüber der „rheinischen“ Phase des Minnesangs – der Grund des männlichen Scheiterns genannt: Das Werben muss gerade an der staete, hier als sittliche Makellosigkeit der Dame begriffen, 94 Für die anregende Diskussion zu diesem Lied, besonders zu den Horizonten und Möglichkeiten vom Reinmarschen Minnesang, danke ich Herrn Prof. em. Dr. Gerhard Hahn. 95 Hausmann (1999), S. 197 ff. legt in kluger Argumentation den gedanklichen Ablauf und die innere Verknüpfung beider Lieder nahe. Besondere Beachtung schenkt er auch der formalen Struktur des Liedes XIII: er sieht das Lied in drei Strophenpaare eingeteilt und deckt ihre inneren Zusammenhänge auf, welche die Aussage des Liedes zielgerichteter erscheinen lassen. 146 scheitern, deren Hingabe ihr nicht nur den „Makel“ vor der Gesellschaft (werlte), aber vor allem in den Augen ihres Verehrers – des Sängers selbst – bringen würde. 96 Die Innenwelt der Dame ist im Reinmarschen Frauenlied – nach vielen Jahrzehnten des aus der Romania übernommennen Muster, nach dem die Unerreichbare schweigt – wieder enthüllt – von Reinmar wohl als ein hilfreicher Erklärungsversuch gedacht, sein innovatives Programm vor dem Publikum zu rechtfertigen? Reinmar folgt zwar der Tradition der Frauenlieder und der Frauenstrophen, die wir schon von der frühesten Phase ritterlicher Liebeslieddichtung her kennen, darin, dass sich die umworbene Frau durchaus als angerührt durch die Person und die Minne des Werbenden zeigt; sie setzt sich (im Geiste der Reinmarschen Minnekonzeption und im Gegensatz zu den frühen Frauenliedern und den Frauenstrophen) aber selbst Grenzen ihres Entgegenkommens und dessen Ausdrucksmöglichkeiten. Wenden wir uns zuerst dem Manneslied zu: Reinmar – Lied XIV (Edition Günther Schweikle)- (MFMT Nr. XIII) – Mich hoehet, daz mich lange hoehen sol (Manneslied) Es muss noch einmal an die komplizierete Überlieferungssituation eingegangen werden: Schweikle sieht zwar eine Reihe von motivlich-thematischen Verknüpfungen, geht aber nicht weiter darauf ein, ob daraus auf einen spezifischen Liedvorgang und eine bestimmte Strophenfolge zu schließen ist. Die Strophen 1–6 bilden für Schweikle also ein Liedganzes, ohne dass diese Ganzheit auf eine spezifische aussagetragende Kohärenzkonstitution zurückgeführt wird.97 Schweikle entfernt auch die 7 Strophe als eine dem Text des Liedes unorganisch beigefügte. Hausmann geht von dem Befund aus, dass das Lied in drei Strophenpaare untergliedert werden kann, die „tragende Elemente eines diskursiv angelegten Vorgangs sind, der das Verhältnis der Strophen zueinander definiert“.98 Er untersucht vor diesem Hintergrund sowohl die Strophenabfolge der AE-Tradition: 1/2, 3/4, 5/6 als auch die Abfolge der Tradition BC: dieser liegt ein siebenstrophiges Lied mit der Folge 1/2, 5/6, 3/4, 7 zugrunde. Nach Hausmann kommt deshalb auf die Abfolge der Strophenpaare 3/4 und 5/6 nicht dermaßen an, die Pointe des Liedes konnte so unter Umständen variieren, obwohl die Strophenfolge nach E logisch stringenter sei. Ich wähle deshalb die Strophenabfolge in der 96 Im Sinne der Ausführungen Hausmanns (Ebda). Ebda, S.201 98 Ebda. S.201 97 147 Tradition AE (nach E); die von Hausmann angedeuteten Zusammenhänge der Strophenpaare, die sich in dieser Konstitution und Reihenfolge „am besten“ verfolgen lassen, lege ich auch meiner Interpretation zugrunde .99 a) zur Form: metrisches Schema: 5ma 4mb/ 5ma 4mb// 4wc 8wc 4md 8md Wie schon Schweikle und nach ihm auch Hausmann betonen, sind einige unübersehbare formale Bindungen zwischen den Strophen(paaren)100 zu verzeichnen (ich richte mich nach der Strophenabfolge in E): 1.Zwischen Str. 3 und 4 (in E und BC) : die Schlusszeile der 3. Strophe und die Anfangszeile der 4. Strophe beginnen jeweils mit owê, 2. Das Verb sach eröffnet und beschließt dieses Strophenpaar (3,1 und 4,8) 3. Die beiden letzten Verse des Abgesangs reimen untereinander 3,7/8 geschach: umbesach – 4,7/8 sprach: sach101 4. Auch die beiden anderen Strophenpaare sind nach Hausmann durch Reim(wort)responsionen verknüpft: der Reim der Waisentercine der Strophe 1: mîn : sîn wird in 2, 1:3 wiederholt (gesîn: mîn) 5. Die strophenverknüpfende Funktion von den Begriffen sehen und geschehen ist offensichtlich, in den Strophen 1 und 2 erscheint in derselben Funktion der Begriff trôst (jeweils im vorletzten Vers beider Strophen), eine weitere Verknüpfung wird über unmaere (1,5; 2,2) hergestellt.102 Diese Bespiele stehen für alle. b) Zum Inhalt: Das Strophenpaar A: Die Strophen 1 und 2 Die Schwerpunkte, die in diesem Lied thematisiert werden, seien an dieser Stelle vorwegnehmend genannt (eine eingehende Interpretation folgt): - die Dichter-Leistung Reinmars (Str.1) 99 Ebda (1999) S. 199f. Die Strophenpaar-Struktur ist ein Terminus Hausmanns, der von der Absicht Reinmars, Strophenpaare aufeinander zu beziehen, überzeugt ist. 101 Schweikle,(1986), S.349f. 102 Hausmann (1999), S. 202 100 148 - Liebesbeteuerung, die umso wertvoller ist, weil sie unter den Bedingungen der Abweisung von Seiten der Dame geschieht (Str.2) - Schilderung eines kurzen Treffens, bei dem der Dichter vor Glück, mit der Dame sein zu können, verstummt und ihr sein Anliegen nicht mitteilt, worüber er klagt (Str.3 und 4) - Strategie der Leidbewältigung (Str.5) - Eine abschließende Rückkehr zur Klage über die Nichterhörung (Str.6) Das Strophenpaar A – Die Strophen 1 und 2: 1.Strophe: Im Einklang mit Hausmann ist ein weiteres Thema des Liedes „die Möglichkeit von rede, die Möglichkeit des Singens“103, durch die sich der Sänger als einer der besten Meister (Professionals) des Gesangs von Minne qualifiziert und seine makellose Art des Lobens der Dame vom vornherein gegenüber andere abgrenzt. Reinmar betont seine Dichter-Leistung, indem er seine Dichtung als Dienst an der Dame versteht. Die Dichtung – als Zelebrieren der Dame – verleiht ihm hohe Gesinnung. Er hebt die Qualität seiner Kunst hervor: Nie hat er den Unwillen der Dame mit seinem Sang entfacht (V.1-2). Das unterscheidet ihn von allen denen, die die Dame auf irgendeine Weise durch Worte beleidigt hatten – und dadurch eine – wie er im Hinblick auf sein vorbildliches Verhalten erneut betont – unvergebliche Fehlertat begingen. An dieser Stelle setzt er zur Klage an. Wiewohl er die Damen nur zu loben wusste und in ihre Gnade ihm höchste Freude gebracht hätte – blieb er ihnen – gerade er in seiner vorbildhaften Sänger-Haltung – noch mehr als gleichgültig (sô gar unmaere, V. 5). Der Gegensatz von vorbildlichem Leben und Dienst und unbegreiflicher Abweisung wird so dem Publikum in seiner höchsten Intensität vor die Augen gestellt (V. 3-6). Die Konsequenz, die Reinmar zieht, ist eine des Hohen Minneliedes: ein „Dennoch“ – er werde trotzdem den Dame so wie immer, mit Beständigkeit dienen, besonders der einen Erwählten, an der alle seine Lebenslust und alle seine Freude liegen (V. 7-8). 2. Strophe: Es folgt eine Liebesbeteuerung, die in steigernder Art an die vorausgehenden Formulierungen anknüpft. Er liebt sie auch unter den Bedingungen der Abweisung; gerade für diese Leistung, die sich rational eingestuft „gegen den klaren Verstand richtet (V. 4)“ verdient er sich von der 103 Ebda, S. 202 149 Dame Hilfe in Form von Gnade, bevor er ins Verderben stürzt. (Die Klangfigur des Reims: erwenden / senden wird zur Hervorhebung der ernsten Lage im V. 6 nochmals im Lauf des Satzes an beschwerter Stelle als Assonanz: mich verderben nicht wiederholt und erfüllt eine genau durchdachte inhaltsdienliche Funktion – V. 5-7). Reinmar beruft sich auf eine allgemeine Lebensweisheit: Was geschehen soll, das geschiet. Sie gilt auch für seine Liebe; einerseits tröstet er sich damit, andererseits lässt er mit derselben Formulierung eine kleine Hoffnung (swie klein!) auf Wandel der ihm ungünstigen Liebessituation aufleben. Kann er noch hoffen? (V.8) Das Strophenpaar B - die Strophen 3 und 4: 3. Strophe: Reinmar gelangt von der abstrakten Überlegung zur Schilderung einer konkreten Situation: Er konnte die Dame sehen. Der Anblick, wenn er ihm auch Leid brachte, weil ihm seine Dame Ungnade zeigte, benennt er jedoch als minneclîche arebeit, das Herrlichste, was dem Sänger widerfahren konnte (V. 1-4). Umso trauriger ist das Scheidenmüssen – nach kurzem Augenblick des Zusammenseins. Negative Begriffe überhäufen sich: vil schiere leide, nôt, sô wê, owê, jaemerlîch (V. 5-8). 4. Strophe: Aber gerade in der geeignetsten Situation, einer des Zusammenseins, überrascht der Sänger sein Publikum, mit dessen Erwartung er meisterhaft spielt, mit einer enttäuschenden Klage: es kam zur „rede“(hier als konkretes Gespräch gemeint) nicht! Wie schmerzlich es für ihn ist – angesichts seiner Liebe zu der Dame! Sie saß ihm âne huote gegenüber – das Glück dieses lange ersehnten Augenblicks (stunde, wîle) verschlug ihm völlig die Sprache (was noch durch die verstärkte Verneinungspartikel niene herausgestrichen wird): daz ich vor liebe niene sprach (V.1-7). Er fügt noch hinzu: dieser Augenblick war so berauschend, dass es in seiner Situation auch anderen genauso ergänge (in dieser Äußerung verbirgt sich ein indirekter Preis der Dame, den Reinmar am Ende der Strophe virtuos hervorhebend zum Ausdruck bringt, V. 8). Das Strophenpaar C - die Strophen 5 und 6: 5. Strophe: 150 Die Situation der verpassten rede wird noch mehr verdeutlicht; um überhaupt weiter existieren zu können, entwickelt der Sänger eine Strategie der Leidüberwältigung: 104 trotz der boesen, ungetriuwen tagen, die er erlebt, erträgt er seine Situation mit Anstand (mit züchten), in einer vorbildlich ausgeglichenen, stoischen Haltung; nur diese Strategie bringt ihn über sein Leid hinaus, zur Hoffnung auf ein genesen (V. 1-4). Er hat dafür auch eine wichtige Motivation: Ließe er sich von seiner Trauer überwinden, würde ihn auch die Gesellschaft, die ihm bisher zugetan war, verlassen (V. 5-7). Es ist aber, wie der Sänger im Schlussvers ausdrücklich betont, äußerst schwer, sich unter diesen Bedingungen zur Freude zu zwingen. Damit betont er wieder – von einem anderen Blickpunkt eingeleitet und mit seinem Publikum erneut spielend – die Tiefe seiner Minne: indem er mit Nachdruck bezeugt, wie er sich zur Freude zwingt, offenbart er umso eindrucksvoller seine Klage (V. 8).105 6. Strophe: Noch einmal auf die Sänger-Leistung bezugnehmend, wendet sich Reinmar auf diejenigen, die als Minnende den gleichen Weg gehen wollen. Dies ist jedoch mit einer Tücke verbunden, die – als Hintergedanke, aus dieser Formulierung zu erahnen ist: gäbe es überhaupt jemanden, der die Gesellschaft besser zu erfreuen vermag als er? Wenn ja, so gehört sich vor allem zweierlei: ihm soll doch genâde, Dank der Öffentlichkeit sowie und vor allem Gewogenheit der Dame gelten (V. 1-2). Wie verhält es sich aber in dieser Hinsicht mit Reinmar? Er aber ist bereits des Sanges müde106 (V. 3), was er auch in erneuter, abschließender Klage begründet: Sein rede, sein kunstvoller Gesang, erbrachte ihm keine Belohnung, dies ist in schlagender Kürze und durch Klangähnlichkeit der Schlüsselbegriffe hervorgehoben: mir hat mîn rede niht wol ergeben: / Ich diende ie, mir lônde niemen (V. 4-5). Nochmals verdeutlicht er seine Strategie der Leidbewältigung: Niemand sah ihn trauern, er verbarg seine peinigenden Leidgefühle und Verzweiflung (ungebaerde) in sich (V. 6). Auch in dieser höchsten Not 104 Das Leidüberwältigung-Motiv verknüpft dieses Lied mit dem vorausgehenden Lied Nr. XIII (Ed. Schweikle). Dieses Motiv ist für die Reinmarsche Minne- Konzeption kennzeichnend. 105 Der Begriff fröide ist hier zumindest doppeldeutig zu verstehen:Wie Hausmann (1999, S.205) richtig erkannt hat, handelt es sich im Schlußvers 8 auch um eine andere Art der fröide: Es ist eine beglückende Wirkung des Sanges auf die werlte; seine Kunst und sein Programm sollten dadurch vom Publikum gewürdigt werden. Hier ist die Rede nicht bloß von der Freude, die aus der Erfüllung resultiert; gemeint wird eine „übergeordnete vröide, die nur erlangen kann, wer den Sinn dieses Singens versteht: gefordert ist die Aktivität des Publikums.“ 106 Hausmann, S. 205, glaubt hier die Unvollkommenheit des Publikums zu sehen, das nur freudige Lieder, d.h. auf Erfüllung ausgerichtete und aus dieser Erfüllung hervorgehende Lieder hören und würdigen möchte. Eine Erfüllung ist beim Konzept Reinmars, wie auch seine weiteren programmatischen Lieder bezeugen, jedoch unmöglich. Das mangelnde Verständnis des Publikums für die „Freude des Sanges an sich“ , „Freude des veredelnden, kunstvoll dargebrachten Leides“ werde hier in der Schlussstrophe angeprangert. 151 trennte er sich nicht von seiner Dame, die letzte Bezeugung der triuwe und staete erfolgt so im nachfolgenden Vers 7. Am Strophenende sehen wir den Sänger in äußerst gesteigerter trotzig-drohenden Gebärde: Falls ihm die Dame nicht ausdrücklich den Sang gebietet, singt er nie mehr ein Lied. Zum letzten Mal wird hier das Singen thematisiert, hier wieder in einem neuen Zusammenhang: als Singen, das der Gesellschaft Freude bringen soll. Das Verstummen des Sängers ist so angesichts der werlte ein Problem, eine Last, die er nun der Dame aufbürdet: sie soll es lösen. Er fordert sie damit energisch zum Handeln auf. Ihre Rolle sollte die einer Freudestifterin sein; das Lied endet jedoch skeptisch: der Sänger will vorerst schweigen. Reinmar – Das Lied Nr. XXVII – ein Frauen-Botenlied Sage, daz ich dirs iemer lône Wie schon oben angedeutet wurde, bezieht sich das Lied – nun aus der Perspektive der Dame, auf einige Schlüsselformulierungen des Mannesliedes XIV. Neben der Dame tritt in den ersten drei Strophen im Dialog mit ihr der Bote auf; er berichtet ihr von der Befindlichkeit des geliebten Mannes, vor allem bestätigt er ihr seine Haltung vom Schluss des Liedes XIII: Der beständig minnende Mann liefert sich und damit indirekt auch die auf Freude ausgerichtete werlte völlig der Gewalt der Dame aus. Ohne ihr Gebot wird er nicht mehr singen. Sie kämpft einen inneren Kampf und steht vor einem Dilemma, dessen Bewältigungsmöglichkeiten – der eigentliche Kern des Liedes – den Inhalt der zwei letzten Strophen des Liedes bilden. Reinmar zeigt, ähnlich, jedoch noch zugespitzter und pointierter als Veldeke, in aller Deutlichkeit die Position der Minnedame der Hohen Minne: Ihre Vollkommenheit und Makellosigkeit erlauben ihr nicht, dem Minnenden eine Erfüllung zu schenken, obwohl sie ihn im Herzen trägt – mehr, als er je denken kann; ihre Gedanken kreisen immer mehr um ihren Verzicht auf „Erfüllungsminne“ und daraus folgendes Leid herum.107 Dieser Kampf kann nur vor dem Boten, nicht jedoch vor dem Sänger ausgetragen werden. 1. Strophe: Die Dame wendet sich an den Boten, einen Vermittler, mit der Frage nach dem Befinden des Mannes, der ihr sehr ans Herz gewachsen ist und für den sie eine liebevolle Sorge birgt, wie aus den angehängten Formeln daz ich dirs iemer lône, vil lieben man ersichtlich ist. Ihr 107 Die Dame entscheidet sich, staete in seiner abweisenden Haltung zu sein, also zu Ungunsten des Sängers. Das korrespondiert auch mit der berühmten Klage- Passage des Mannesliedes XIII,, Str. III, V.3-5, in der Reinmar die Doppelwertigkeit der staete thematisiert und auf die für ihn daraus erwachsenden äußerst negativen Folgen hinweist. Auch durch diese Beschreibung der Dame wird sein Minnesang charakterisiert. 152 liebendes Interesse ist groß: Ihr reichen nicht die „offiziellen“ Nachrichten von ihm, sie muss sich noch heimlich durch Boten überzeugen. Lebt er auf höfische Weise, so wie sie es von den anderen Berichten hört? – so fragt sie (V.1-4). Die Antwort des Boten, des Augenzeugen, bringt die erfreuliche wie bedrückende Sicherheit − sie muss über seine Hochgestimmtheit entscheiden: er ist frô. / sîn herze stât, obe irz gebietent, iemer hô (V. 5-6). Für die Dame heißt es: Er liebt und hofft. 2. Strophe: Die Dame ist offensichtlich über diese Botschaft beunruhigt. Es bringt ihr Sorgen, die die fröide, den zentralen Kernbegriff der Bemühungen des Mannes betreffen, der in dieser Situation nicht – wie in anderen Liedern Reinmars – eine Freude der Entsagung bedeutet, sondern nur aus dem Entgegenkommen der Dame resultieren kann. Sie – so setzt sie an, würde schon „mitspielen“, nur wenn er eine rede, offensichtlich eine zu nahe gehende Erhörungsbitte, unterließe. Das ganze Wohlergehen der Dame ist von dem Verschweigen dieser „rede“ abhängig – deshalb untermauert sie ihre Äußerung durch inständiges Bitten: Des bite ich in hiut und iemer (V. 3). Es sei zu verbieten (V. 4). Der Bote zitiert den Mann (diese Worte sind wörtliche Wiederholung der Mannesrede vom Lied XIV): allez daz geschehen sol, daz geschiht. Der Mann unterwerfe sich doch mit dieser Äußerung der Gewalt der Dame. Lässt sie ihn hoffen oder bleibt sie ihm gegenüber gleichgültig? 3. Strophe: Die Dame möchte aber noch detailierter die Äußerungen des Mannes überprüfen. Deshalb nimmt sie Bezug auf die (ihr wohl von anderer Seite berichtete) Mittelung des Mannes, die uns vom Ende des Liedes XIV bekannt ist: Singt er wirklich niemals mehr ein Lied, wenn ich ihn darum nicht bitten wolle? Dieser Entschluss des Mannes wird vom Boten aufs Wort bestätigt(V. 1-5). Die Dame gibt ihren Emotionen freien Lauf : Owê! – Ein noch nicht erläuterter, jedoch ernsthafter Schaden erwächst ihr davon, falls sie auf die Forderung des Mannes, den Sang zu gebieten, eingeht. Hier endet die Rede des Boten, die von dem emotionsgeladenen Monolog der Dame in den zwei nachfolgenden Strophen abgelöst wird – das Geschehen wird vom Reinmar auf diese Weise gesteigert. Der Bote kann dem Mann keine Entscheidung von Seiten der Dame überbringen: Sie ist von seiner Rolle, in die sie vom Mann gezwungen ist, offensichtlich tiefst 153 beunruhigt und unglücklich. Ihr Zustand bedarf auch näherer Erläuterung, die Reinmar in den Strophen 4 und 5 bietet. 4. Strophe: Die Dame ist in ein Dilemma verstrickt. Die entgegensetzten Begriffe „gebieten“ und „verbieten“ bilden die Grenzpunkte dieser Verstrickung. Wenn sie dem Mann nicht gebietet zu singen, klagt sie, ist das dünne Garn ihrer Beziehung, die ihr durchaus Freude brachte (mîne saelde) zerrissen; und nicht nur das – sie erntet Unwillen (Missgunst) von der höfischen Gesellschaft, deren fröide sich an dem (bereits im Lied XIV gründlich erörterten) Gesang gründet. Das fügt ihr ein schweres Dilemma zu (V.15). Die Ausweglosigkeit ihrer Position führt sie vorerst zu keiner Entscheidung, sie lässt sie bloß emotional reagieren: nach dem Aufschrei owê! erfahren wir über ihre Unschlüssigkeit. Weiß sie aber, was sie überhaupt will?108 In ihrem Innersten eigentlich Beides: Sowohl die (gefährliche, schadenbringende) Minne des Mannes als auch ihre makellose Unberührtheit. Das lässt sich aber nicht vereinigen. 5. Strophe : Hier erfahren wir über den schaden, welcher der Dame aus der Werbung des Mannes erwächst. Die Dame beklagt die Art dieser Werbung, die offenbar darauf ausgerichtet ist, mehr als freundliche Worte (der Begriff rede wird her wieder konkret gebraucht) als lôn zu beanspruchen (V. 1-2) Der Dame bereitet diese Feststellung die größte Sorge (daz müet mich), die sie bis zur spontanen Verweigerung von Minne bringt: ...ich enwil niht minnen! (V.3) Gerade der Mann ist es, der ihre Vollkommenheit anpreist und sie nie aus dem Rahmen ihrer êre „aussteigen“ lässt. Dazu gehört auch ihre staete, die ihr jetzt eine weitergehende Zuneigung – trotz der Beglückungsbereitschaft in ihrem Inneren – verbietet. Dem Herzen ohne Rücksicht auf ihre êre zu folgen wäre doch Beweis von unstaete, die ihr wê täte, ein Makel (V. 4). Und der Verlusst ihrer Makellosigkeit wäre auch für den Mann ein Grund, sie zu verlassen. Die subtile Bindung, der Faden der hohen Minne zwischen ihnen wären so gelößt. Eben das will sie mit ihrer Entscheidung, wenn auch schweren Herzens, verhindern. 108 Ähnlich fragt Hausmann (1999), S. 211ff. 154 Deshalb bleibt der Dame nicht anderes, als die Rolle einer „hohen, unerreichbaren Minnedame“ weiter zu spielen (V. 5-6) – trotz aller Pein der Minne, die in dem Augenblick ihrer Ablehnung des Mannes keineswegs endet.109 Die Lieder Walthers von der Vogelweide Eine Chronologie der Minnelieder Walthers ist – allein schon wegen des Gattungsprinzips von Schema und Variation – bis heute nicht gelungen. Sieht man von möglichen Jugend- und Altersliedern ab, so hatte bis in unsere Zeit zumindest eine Gruppierung der Lieder breitere Anerkennung gefunden, die Carl von Kraus in seinen „Walther- Untersuchungen“ von 1935 vorgeschlagen hatte und die er nicht im Sinne einander abfolgender Phasen, sondern sich durchdringender Sachkomplexe verstanden wissen wollte: 1. „Gruppe des Preisliedes“ (bei Hahn „Kritisches zu überhêren frouwen“) Hieraus interpretiere ich das Lied Saget mir ieman, waz ist minne und ausschnittweise das Lied Lange swîgen des hât ich gedâht (Sumerlaten-Lied.). 2. „Niedere Minne“ – Heute in der Regel und bei Hahn „Mädchenlieder“ Ich wähle aus dieser Gruppe das Lied Herzeliebez frouwelîn. 3. „Neuerliche Hohe Minne“ – Heute meist und bei Hahn „Neue hohe Minne“110 Als Beispiel zur Interpretation nehme ich das Lied Die verzagten aller guoten dinge.111 Walther von der Vogelweide - das Lied Saget mir ieman, waz ist minne (L 69,1, Edition Günther Schweikle, S. 368ff.) a) zur Form (nach Schweikle, S. 731): 109 Im Sinne von Hausmann, S. 208: Der Botenfigur wird vom Reinmar nicht nur Vermittlerrolle zwischen Mann und Dame zugesprochen. Sie erfüllt auch – auf einer abstrakten Ebene – eine überbrückende Funktion zwischen den Gattungen Manneslied und Frauenlied. Auf S.214 beschließt er: Die „frühminnesängerisch disponierte, ... grundsätzlich liebesbereite“ Dame „wird hier von Reinmar konzeptionell völlig konsistent in den hohen Minnesang...integriert“. 110 Ich stütze mich hier auf die Ausführungen Hahns im Buch „Walther von der Vogelweide. Epoche –Werk – Wirkung (1996). 111 Die folgenden Analysen der Lieder Walthers sind darüber hinaus aus meinen Diskussionen mit Herrn Prof. em. Dr. Gerhard Hahn erwachsen; ihm gilt mein Dank für sein Engagement und hilfreiche Denkanstöße bei meinem Versuch, manches Bekannte in anderer Sicht zu zeigen. 155 7zeilige Strophe mit unklarem Aufbau in allen Fassungen. Der stollige Grundgriss (Reimschema ab ab cxc) ist in allen Strophen mehrfach gestört: in der Fassung C durchgehend im 4. Vers Sechstakter statt (durch Parallelismus nahe gelegtem) Fünftakter (1. Periode: 5ka 5mb 5ka 6mb). Davon abweichend zeigt Str. 4 (hier 3) in V. 1 und 2 überdies 6 statt 5 Takte. Die 2. Periode besteht aus einer Waisenterzine: 4mc 6kx 6mc, in Str. 4 (hier 3) mit Versgrenzenverschiebung (5kx 7mc). b) zum Inhalt: Aus demselben Grund wie bei Reinmar, dem hohen Selbständigkeitsgrad einzelner Strophen und mehreren Möglichkeiten ihrer Verknüpfung und Pointierung, ist wohl auch bei diesem Lied nicht nur an eine einzige Strophenabfolge zu denken. Aus interpretatorischen Gründen wähle ich die jedoch gegen die Strophenanordnung Schweikles die folgende: Str.2 - Str.3 Str.4 - Str. 1 (die Strophennummern stimmen mit denen in der Edition Schweikles überein). Das Lied dient als Beispiel für die kritischen Lieder gegenüber die abweisende frouwe. 2. Strophe: Wir stoßen sofort auf ein wesentliches Darstellungsmittel Wathers, seine ausgefeilte Rhetorik als Kunst der Publikumsbeherrschung. Er setzt seine eigene Urteilskraft herab und erhöht die seiner Zuhörer (Saget mir ieman, waz ist minne?.../ swer sich rehte nû versinne), versichert sich damit des Wohlwollens seines Publikums (captatio benevolentiae), aber nur, um geschickt dessen Zustimmung zu seiner Auffassung einzuholen (V.1-4). Und die bedarf einer rhetorischen Vorbereitung bei einer Hörerschaft alllerdings, die die LeidBetonung bisherigen Hohen Minnesangs oder gar Reinmars „im Ohr“ hat. Beachten wir auch die Rigorosität und Exklusivität mittelalterlichen Definierens, mit der Walther sein Konzept vorträgt: Minne ist überhaupt nur dann Minne, verdient nur dann rechtens den Namen Minne, wenn sie guttut; und: Wenn sie Schmerz, Verletzung bereitet, heißt sie nicht mit Recht Minne: „Ich weiß nicht, wie man das Ding dann nennen soll“ (V. 5-7). Die Strophe belegt uns eindrucksvoll, ja drastisch das wichtige Stichwort des Waltherschen Minnekonzepts: die „Beglückung“. Worin diese begründet ist, zeigt die Strophe 3, die noch einmal rhetorisch das laute „Ja“ des Publikums einfordert (V. 1-2). Minne als Beglückung entsteht und ist gegeben, wenn sie zwei 156 Menschen in ihrem Innersten (herze) zu gleichen Teilen teilen: minne ist zweier herzen wünne: / teilent sie gelîche, sô ist diu minne dâ (V. 3-4). Das wird durch eine negative Formulierung noch einmal eindringlich bestätigt. Minne ist nach Walther nicht einseitiger, entsagungsvoller, hoffnungslos hoffender Dienst. Minne ist Minne nur als „partnerschaftliche Gegenseitigkeit“ zwischen Mann und Frau. Ich möchte an dieser Stelle eines betonen: Das meint nicht die unverwechselbare Beziehung zweier unaustauschbarer Individuen, „wahre Liebe“, „echte Liebe“.Walthers Liebeskonzept ist ein Minnekonzept, ein allerdings neu akzentuiertes Minnekonzept. Es soll für alle gelten, wie die Minnekonzepte davor. Es will gesellschaftliches Programm sein, zum Wohl des Einzelnen in der Gesellschaft und der Gesellschaft insgesamt. Das darf man nie aus dem Auge verlieren. – Allerdings auch nicht, dass hier dennoch eine Tür in die Zukunft aufgestoßen, ein Weg angebahnt wird, der zu uns führt. Die Definition von Minne, die Walther in den Strophen 1 und 2 mit exkludierender Bestimmtheit vorgetragen hatte, diese „Messlatte“ legt er in den folgenden Strophen an „seine“ frouwe (immer im Sinne der „Spielfigur“) und an „seine“ Beziehung zu ihr an: Kann sie dem entsprechen? 4. Strophe: Sie entspricht dem nicht! (Frouwe, ich eine trage ein teil ze swaere, V. 1). Welche Konsequenzen sind zu ziehen? Die konventionelle, bei Reinmar verstärkte, ist die: Ich diene trotzdem in triuwe und staete weiter. Die Drohungen, den Dienst einzustellen, die Minne aufzugeben (z. B. im Hausen-Lied Mir ist daz herze wunt) werden nur dazu vorgebracht, um wirkungsvoll zurückgenommen zu werden. Nicht so bei Walther. Und das ist das provozierend Neue. Er stellt ein Ultimatum (daz sprich endelîche – V. 4) und sieht für sich die Berechtigung gegeben, wieder ein ledic man zu sein, schuldlos frei von den Verpflichtungen der Minne (V. 5). Wenn die Verpflichtungen der Minne nicht gegenseitig eingelöst werden, also auch von der frouwe, darf sich der Werbende vorwurfslos als frei wissen. Auf das, was der Werbende einbringt und worauf die Dame künftig würde verzichten müssen, verweist warnend das Strophenende: Keiner könnte dich besser loben (V. 6f.). Der „Professionelle“ verweist auf seinen „Beruf“. 1. Strophe : 157 Das vorliegende Verhältnis ist nicht nur ein gegenseitiges, es ist ein verletztend, erniedrigend einseitiges, wie Walther in einer Reihe rhetorisch – empörter Fragen vorführt (V. 1-2). Sie münden im – für den „Professionellen“ – Schwerwiegendsten: Er tauscht bei ihr preisende Erhöhung gegen Herabsetzung und Erniedrigung ein. Dass er sie preisend so hoch erhöht, nützt sie, um von umso höher auf ihn herabzublicken (V. 3-4). Er ist nicht mehr bereit, diesen Zustand hinzunehmen. Er hat sich an ihr, in seiner Wahl geirrt (unrehte spehen – V. 5): Hier ist das Motiv der „Unterscheidung zwischen den „guten“ und „bösen“, nicht minnewürdigen Damen besonders gut veranschaulicht. Und dann ein merkwürdiger Schluss! Walther nimmt seine Worte scheinbar zurück (wê, waz sprich ich, ôrenlôser, ougen âne! – V. 6) – sie seien von einem tauben Blinden, von der Minne Geblendeten, durch Minne nicht im Besitz seiner Urteilskraft Befindlichen gesprochen (Motiv der Liebesblindheit, -taubheit, -raserei). Man hat erkannt, dass Walther mit der rhetorischen Figur der Revocatio endet, einer Figur, mit der man Gesagtes scheinbar – sich entschuldigend – zurücknimmt, es aber als einmal Ausgesprochenes doch „im Raum stehen“ lässt. (Und Walther wird es tatsächlich genug wiederholen!) Und, mit Waltherschem Hintersinn gesagt: Blind sind natürlich auch die anderen, die sich andersartig auf die Minne einlassen. Der Dame soll noch einmal Gelegenheit zur Umkehr gegeben werden – sprich: der Gesellschaft soll Gelegenheit gegeben werden, auf das Minnekonzept des Minnesängers Walther umzuschwenken. Walther von der Vogelweide – das Lied Lange swîgen des hât ich gedâht (SumerlatenLied) (L 72,31, Edition Günther Schweikle, S. 168ff.) a) Zur Form: Fassung ACE besteht aus 6zeiliger Stollenstrophe mit asymmetrischem Abgesang . Metrisches Schema (Fassung ACE): 5ma 4mb 5ma 4mb (Aufgesang) 4mc 8mc (Abgesang) Metrisches Schema (Fassung b): 7zeilig, der Abgesang ist als eine Waisenterzine gestaltet: 4mc 5mx 4mc (nach Schweikle, S. 612) b) Zum Inhalt: 158 Dieses Lied gilt als Höhepunkt der kritischen, an eine frouwe herkömmlichen Zuschnitts gerichteten Lieder. In der letzten, 5. Strophe, droht das Walthersche Ich sehr ungalant an: Wenn die Dame, alt geworden, ihn, den ebenfalls Ergrauten, noch immer nicht erhört hat und vielleicht einen Jüngeren vorzieht, so soll ihr dieser ihre „alte Haut“ mit sumerlaten, jungen Zweigen, bestreichen. Es ist eine der im Mittelalter gebräuchlichen „bezeichnenden“ – die Schuld kennzeichnenden – Strafen. Das Schlagen mit jungen Zweigen ist ein Fruchtbarkeitsritus. Die „Alte“, die vom Sänger wegen ihrer „alten Haut“ verspottet wird, soll gerade für die lange Zeit der Nicht-Erhörung gegenüber ihm, dem treuen Liebhaber, sowie für ihre unziemliche Liebesgier gegenüber einem neuen jüngeren bestraft werden. Ich will etwas Wesentlicheres hervorheben. Das Lied stellt eine Steigerung gegenüber dem zuletzt interpretierten dar, nicht nur im Ton. Hatte Walther die Dame dort gewarnt, keiner könne sie besser loben, so stellt er ihr in der 2. Strophe vor Augen: jâ enweiz si niht, swenne ich mîn singen lâze, daz ir lop zergât? (daz ihr Ruhm zerrinnt, wenn ich zu singen aufhöre? V. 6). Hatte Reinmar seine totale Lebenshingabe an die frouwe, seine völlige, unabdingbare Abhängigkeit von ihr trotz Ablehnung und Leid auf die feierliche Formel gebracht: stirbet sî, sô bin ich tôt (MFMT 158,28), so knüpft Walther bewusst daran an, grentzt sich ab, stellt die Formel „auf den Kopf“ und singt (nach E-Überlieferung): stirbe aber ich , sô ist si tôt (wenn ich, der Sänger, sterbe, auch für sie bedeutet es den Tod – Strophe 4, V. 6). AC überliefern, in die gleiche Richtung zielend: sterbet si mich, sô ist si tôt: bringt si mich – durch ihre Verweigerung – um, tötet sie sich dadurch selbst. Das ist nicht nur ein Vorwitz, sondern bedeutet etwas, das alte Fundamente zerstört und neue zu legen versucht. Es geschieht in diesem Lied, dass Walther vor seinem Publikum darlegt: Wenn man in der Frau jene ideale „Minnedame“ erblicken darf, die Minne mit allen ihren erotischen, ethischen und gesellschaftlichen Implikationen in Gang setzen kann, wenn sie selbst sich als solche sehen kann, ist das allein sein, des Sängers Werk. Diese „ideale Minnedame“ ist sein Geschöpf, das Produkt seines Singens. Es ist nicht so, dass vorhandene Idealität Sängerpreis erzwingt. Es ist so, dass Sängerpreis Idealität „entstehen lässt“. Das heißt aber auch, dass sie mit seinem Sang entschwindet: jâ enweiz si niht, swenne ich mîn singen lâze, daz ir lop zergât? (Str. 2,6). Wir dürfen sicher davon ausgehen, dass das Minnesangpublikum um den Unterschied zwischen minnesängerischem Idealbild und der Realität wusste. Aber dieses Wissen bleibt ebenso ausgeblentet wie das um den betrogenen Ehemann, die gebrochene Ehe, das Altern, solange das Rollenspiel der Minne gespielt wird, für das der Minnesänger die 159 Rollen entwirft und anbietet. Wenn Walther in einem Minnelied, bei einem Auftritt als Minnesänger gerade diesen Sachverhalt nun ausdrücklich aufdeckt, hebt er die Möglichkeit auf, mit Minne und Minnesang umgehen zu können wie bisher. Wie Reinmar und Morungen auf ihre Weise stellt Walther hier auf seine Weise die grundsätzliche Frage nach Voraussetzung, Sinn und Möglichkeit von Minne und Minnesang. Keine Minne ohne Minnesänger: Sein literarisches Wirken ist Voraussetzung schlechthin. Darauf, nicht nur auf seine Fähigkeit, bezzer als andere loben zu können (vgl. L 69,21), gründet sich letztlich sein Anspruch auf dankendes, lohnendes Entgegenkommen von Seiten der Dame und der Gesellschaft. Das ideale Frauenbild und in ihm das höfische Menschenbild des Minnesangs sind Entwurf des Sängers. Die Dame und die Gesellschaft können es nicht als bestehende Realität in Gebrauch nehmen, wenn sie sich in ihm sehen und darstellen wollen.Es ist ihnen als literarisches Leitbild vorgegeben, das erst zu erfüllen ist. Darin gründet letztlich das Motiv der Unterscheidung zwischen den minnewürdigen und -unwürdigen Damen und, umfassender, die neue Sinngebung des Minnesangs als Gradmesser solcher Erfüllung. Noch kurz zu der 1. Strophe. Walther gibt an, er habe – entsprechend den Minne-Zuständen – lange, vielleicht für immer schweigen wollen. Dass er nun doch wieder singt: dar zuo hânt mich guote liute brâht (V. 3). Während die konventionellen Minnesänger ihr Singen dargestellt haben als Dienstleistung an der Dame, abhängig von ihrem Verhalten, während die „Professionellen“ Morungen und Reinmar Ansprüche ihres Publikums mitreflektieren, geht Walther wieder einen entscheidenden Schritt weiter: er spricht direkt aus, dass Minnesang für die Gesellschaft gemacht wird und von ihr abhängt, und zwar nicht nur von deren ästhetischen Wünschen, sondern von ihrem ethischen Zustand. Nicht die frouwe, nicht ein etwa niuwer maere „gieriges“ Publikum haben ihn dazugebracht, doch wieder zu singen, sondern guote liute, deren Gut-Sein nicht zuletzt darin besteht, dass sie den Sänger mit seinen Problemen (kumber) ernst nehmen, dass sie die „Gegenseitigkeit“ üben, die auf der Minneebene so schmerzlich aussteht. – ... werden tiutsche liute wider guot, / unde troestet si mich, diu mir leide tuot, / so wirde ich aber wider frô. (Wenn die Deutschen wieder vorbildlich werden und wenn die mir entgegen kommt, die mir jetzt Leid zufügt, dann erst werde ich wieder froh und stolz) – so Walther in einem weiteren Lied (L 117,5ff., Schweikle S. 418). Walther von der Vogelweide – das Lied Herzeliebez frouwelîn (Edition Günther Schweikle, S. 284ff.) 160 a) Zur Form: 6zeilige Stollenstrophe aus Viertaktern mit Schlussbeschwerung (Achttakter mit wechselnder Zäsur) Evtl.könnte der Abgesang auch als Waisenterzine gedeutet werden. Metrisches Schema: 4ma 4mb 4ma 4mb (Aufgesang) 4mc 8mc (oder 4mc 4mx+4mc) (Nach Schweikle, S. 680). b) Zum Inhalt: Gegenüber der Fassung C, der Schweikle den Vorrang gibt, interpretiere ich das Lied nach der Fassung der Hs. A und E in folgender Reihenordnung der Strophen (die Strophennummern entsprechen hier der Edition Schweikles): Str.1 - Str. 2 - Str. 4 - Str. 3Str.5. Diese Strophenfolge ist m. E. unumstritten. Dieses Lied wähle ich als Beispiel für die Waltherschen „Mädchenlieder“. Es scheint auf Kritik an derartigen, nicht an eine hohe frouwe gerichteten Liedern zu antworten: Man könnte an das berühmte Under den linden (L 39,11), an Nemt, frouwe, disen kranz (L 74,20), eventuell an Bin ich dir unmaere (L 50,19) denken. 1.Strophe: Es handelt sich um eine grüßende Anrede an die Partnerin und um einen Segenswunsch. Frouwelîn ist der Diminutiv zu frouwe, lässt das achtungsvolle „Herrin“ anklingen und stellt es zugleich in eine Aura von Zärtlichkeit: „Kleine Herrin“. Herzeliebes wird meist als „von Herzen, innig geliebt“ o. ä. übersetzt. Ich sehe – im Kontext des ganzen Liedes – in diesem Adjektiv eine Eigenschaft der Partnerin dem Ich gegenüber benannt: „im Herzen zur Liebesbeglückung bereit“ (V. 1). Ein gesteigerter Segenswunsch: „Alles Gute“ von Gott für jetzt und allezeit – Bereitschaft zu noch mehr an guten Wünschen – und zuletzt die schlicht-feierliche Zusicherung: wan daz dir nieman holder ist! (V. 6) Die Strophe endet mit einer rätselhaften, an dieser Stelle nicht aufgelösten Klage. Beachten wir ab hier schon den geplanten Aufbau dieses Liedes, was die Adressierung der Strophen angeht: Str.1 wendet sich an die Partnerin, Str.2 an die Kritiker, Str.3 (bei Schweikle 4) ist eine Definitionsaussage, 161 Str.4 (bei Schweikle 3) wendet sich wieder an die Kritiker und überleitend zu Str.5 an die Partnerin. 2. Strophe: Die tadelnden Kritiker werden nur durch den Inhalt ihres Tadels bestimmt. Sie werfen ihm vor, dass er sein Singen „zu niedrig“ ausrichte. Zuo sô nidere ist nach dem Fortgang des Liedes (das billige Ringlein aus der Strophe 3) zuerst und vor allem als „sozial niedrig“ zu verstehen, enthält damit aber auch die Verdächtigung des „moralisch niedrig“, da im konventionellen Minnedenken sozialer und ethischer Rang korrespondieren. Vielleicht meint das ze nidere aber auch die bewusst schlichte Form und Formulierung dieser Lieder. Walther antwortet mit äußerster Schärfe (einer Verfluchung), dass die Tadler, die ihm ein ze nidere vorwerfen, nicht verstanden und erfahren hätten, was liebe sei. Liebe heißt hier und sonst bei Walther „Liebe als Glück, als Beglückung“, wie wir ja bereits kennen. Das bedeutet aber, leitet Walther mit dem ihm eigenen Sarkasmus ab, dass die Tadler ihre Minne, indem sie so tadeln, wie sie tadeln, offensichtlich auf etwas anderes ausrichten, nämlich nach dem guote und einer darauf bauenden schoene minnen. Beachten wir die Rafinesse dieses Gegen-Tadels: guot und schoene, innere und nach außen strahlende Vollkommenheit, sind die Grundeigenschaften der idealen Minnedame. Die Tadler des zuo nidere richten ihre Minne also offensichtlich nach dem guote, d.h. nach Reichtum, Besitz und Macht und einer darauf beruhenden „äußerlichen Schönheit – wê wie minnent die! (V. 6) 4. Strophe: Es handelt sich um die mittlere, „definitorische“ Strophe. Sie behandelt das Verhältnis von liebe und schoene. liebe, Beglückungsbereitschaft von Seiten der Partnerin, ist (1) „das Bessere“ für das herze,(V. 3) das Innerste des Minnenden, aus dem seine Lebensentscheidungen und -antriebe kommen; (2) diese Liebe ist es, die der schoene vorangeht (V. 4), die Frauen wahrhaftig schoene macht. Liebe, ein „liebes, beglückungsbereites Wesen“ der Partnerin, ist die richtige Voraussetzung und Bedingung für wahre Frauenschönheit (V. 5) – Walther macht sogleich eine bestätigende „Gegenprobe“, die er meisterhaft an zwei exponierte Textstellen der Strophe anbringt: „Äußerliche Schönheit“ ist oft genug mit 162 gehässiger, ablehnender Gesinnung verbunden (Strophenanfang, V.1); solche Schönheit ist von sich aus nicht imstande, ein „liebes Wesen“ hervorzubringen (Schlussvers 6). Beachten wir auch hier nochmals die Raffinesse von Walthers Argumentation. Wenn er in seinem Konzept von Minne das innere Wesen, hier liebe, zur Voraussetzung für die Schönheit als Erscheinungsform macht, liegt er, Walther, genau richtig im Hinblick auf die allgemein akzeptierte Minnevorstellung – seine Tadler liegen demnach genau falsch. 3. Strophe: Zunächst wieder an die Tadler gewendet: Ich nehme ihren Tadel gelassen hin: Er trifft mich nicht! (V. 1-2) Dann wendet sich der Minnende der Partnerin zu: dû bist schoene und hâst genuoc (V. 3) – Zur ersten Satzhälfte: Er kann ihr nach der vorausgehenden Definition uneingeschränkt schoene als wahre Schönheit zuerkennen und zusprechen. Was aber heißt und hâst genuoc? Genug an schoene und damit auch an liebe, wie es meist interprätiert ist? (In alten biographischen Interpretationen hat man an die ausreichende Aussteuer der verlobten Walthers gedacht.) Ich meine, die Stelle ist anders zu deuten. Noch steht ja aus, dass Walther, nachdem er gegenüber den Tadlern zur schoene Stellung genommen hat, etwas zu dem guote – auf dem Hintergrund des ze nidere – sagen muss. Er verweist auf das billige Ringlein der Partnerin (aus Glas oder mit einem Glasstein) und stellt es dem Goldring der Ranghöchsten, einer Königin, gleichwertig zur Seite oder sogar noch darüber (für) (V. 6). Was aber gibt dem billigen Ringlein, das der Minnende offensichtlich als Liebeszeichen, als Liebespfand von der Partnerin empfangen hat, seinen Wert? Guot, Besitz, Reichtum, gilt dem Mittelalter nicht als Wert für sich – das ist sogar verwerflich – , sondern hat Wert nur durch die richtige Gesinnung und die richtige Art der Verwendung, – etwa wenn es in einer Geste der milte, der Freigebigkeit als hoher Adelstugend, an Gleichgestelte und Untergebene verschenkt wird, -oder wenn es als almuosen in christlicher Gesinnung an Bedürftige verteilt wird. D.h. als Zeichen ihrer Gesinnung der liebe verschenkt, hat das billige Ringlein den Wert eines Goldrings der Königin – oder noch höheren Wert: dû... hâst genuoc (V. 3). Beachten wir wieder die richtige Richtung von innen nach außen! 5. Strophe: 163 Eindringlich an die Partnerin gewandt, trägt das Walthersche Ich gegenüber dem Einwand der Tadler vor, worin nun tatsächlich eine Gefährdung der Beziehung liegen könnte, mit anderen Worten: worauf es ihm unmissverständlich ankommt. In der Partnerin kann liebe als Beglückungsbereitschaft vorausgesetzt werden. Die PartnerinFigur in diesem Lied und den anderen „Mädchenliedern“ ist wahrscheinlich nach den puella-, virgo – Figuren lateinischer vagantischer Liebesdichtung (etwa der Carmina Burana) gemodelt, die durch Beglückungs- bis zur Hingabebereitschaft – meist im Freien – gekennzeichnet sind. Mit diesen Figuren konnte Walther das Moment der liebe aufrufen. Aber das macht noch nicht sein volles Konzept aus. Zur liebe müssen unabdingbar die Grundtugenden der Minne hinzutreten: triuwe und staetekeit, (V. 1) auf die man wirklich sein ganzes Leben bauen kann (V. 2-4). Das macht Walther unmissverständlich und mit großem Ernst deutlich, wenn er diese Eigenschaften in direkter Anrede an die Partnerin zur unabdingbaren Voraussetzung einer Beziehung macht: hâst aber dû der zweier niht / sône müezest dû mir niemer werden.(/) owê danne, ob daz geschiht! (V. 5f). Diese bangend-fordernde Frage lag wohl schon der Klage owê der Strophe 1 zugrunde, nicht nur der Angriff der Tadler. Walther trägt also sein Minnekonzept nicht als ein leicht erfüllbares oder gar bereits erfülltes vor (Ausnahme stellt vielleicht das „Lindenlied“); er formuliert es als Forderung an die Gesellschaft. Es gilt hier im Übrigen: kein „revolutionäres“ Antasten der Ständeordnung, sondern ein provokativ zugespitztes Betonen dessen, worauf es Walther in der Minne ankommt, auf liebe als Beglückungsbereitschaft, vorführbar und vorgeführt in der maget-, puella-, virgoFigur ; auf liebe, aber unverzichtbar verbunden mit triuwe und staete. Der Apell auch der „Mädchenlieder“ ergeht an die höfische Dame und höfische Gesellschaft. Walther ist Missverständnis und Kritik noch auf andere Weise entgegengetreten. Man kann einige seiner Lieder – grob und mit fließenden Grenzen – als Lieder der „Neuen hohen Minne“ zusammenschließen. Wie begreift er „hohe Minne“? Er setzt nun wieder eine frouwe als Partnerin-Figur ein, deren Wert und Würde nicht angezweifelt werden konnte; auch spielen die Lieder vor der Liebeserfüllung. 164 „Neu“ soll heißen: Die jetzt eingesetzte „neue“ frouwe-Figur lässt – im Gegensatz zur „alten“, überhêren frouwe-Figur – mit Zuversicht Entgegenkommen erwarten. Zu den „Mädchenliedern“ verhalten sich die Lieder der „Neuen hohen Minne“ spiegelbildlich: - In der maget-Figur konnte Beglückungsbereitschaft vorausgesetzt werden, während die Minneethik (triuwe, staete) zu fordern war. - In der „neuen“ frouwe-Figur kann die ethische Idealität vorausgesetzt werden, während das Entgegenkommen zu erfragen ist – aber mit Zuversicht (im Gegensatz zur „alten“ frouwe) erwartet werden kann. Aus dieser „Definition“ ist ersichtlich, wie die unterschiedlichen Ansätze, je das eine oder andere verdeutlichend, in die gleiche Richtung zielen. Walther von der Vogelweide - Das Lied Die verzagten aller guoten dinge (Edition Günther Schweikle, S. 384ff.) a) Zur Form: 6zeilige Stollenstrophe. Metrisches Schema: 5wa 5mb 5wa 5mb (Aufgesang) 4mc 5mc (Abgesang) Eine Möglichkeit, die Verse 1 und 3 des Aufgesangs klingend zu lesen, gibt Schweikle, (S. 739), an: als 6ka 5mb 6ka 5mb. Die Liedfassung richtet sich nach B und C. b) Zum Inhalt: Ich beginne mit den eng zusammengehörigen Strophen 3 und 4: Adressatin ist eine frouwe (Str.4, V. 1). Aber das Walthersche Ich möchte zwei Ausprägungen weiblichen Minneverhaltens in einer Person (an iu einer) (Str.3, V. 2) oder, noch anschaulicher: in einem Gewand (in einer waete) vereinigt wissen. (1) friundinne. (Str.3, V. 1+5). Das süeze wort (Str. 3, V. 5) vertritt Begrifflichkeit der frühen ritterlichen Liebesdichtung, vielleicht die archaisch formulierende Heldenepik aufgreifend (Nibelungenlied) das erotische Moment, die ungezierte Bereitschaft zur Beglückung, ja Hingabe. (2) frouwe (Str.3,V. 1+6) fasst zusammen, dass in der Partnerin alle höfischen Werte, die innerlich erheben und von außen Anerkennung einbringen (tiuren), versammelt sein sollten. 165 Beides, ungetrennt, möchte das Walthersche Ich in der Partnerin haben. Es würde ihn doch interessieren, sagt er, ob diese Kombination tatsächlich ihm so gut tun würde (sô rehte sanfte taete) (Str. 3, V. 3), wie ihm sein Innerstes verheißen hat. Die Strophe 4 greift das Spiel mit den Bezeichnungen, den Titeln, auf. Er möchte von ihr die beiden genannten Titel, friundîn und frouwe. Gemeint ist: sie solle erlauben, dass er sie damit anredet: sie möge ihm das sein, was in den Titeln enthalten ist (V. 1-2). Dann will auch er ihr zwei wort zur Benützung ihm gegenüber schenken, wie sie besser kein Kaiser (der KaiserTopos) bieten könnte: friunt und geselle, diu sint dîn (V. 5). (1) friunt korrespondiert der friundîn und beschreibt somit Minne als Liebesglück. Zu beachten ist das andere Wortpaar.112 Als Gegenbegriff zu frouwe / „Herrin“ würden wir in der Tradition des Hohen Sangs erwarten man, eigen man oder eine andere Bezeichnung für den Untergebenen, Dienenden. Stattdessen bei Walther: geselle. Wer ist das? Von der Wortgeschichte her der, mit dem man den Saal teilt (ahd. gisallio, gisello), d.h. einer, der zu einem gehört, zu dem man Vertrauen hat. In der höfischen Sphäre: mit dem man die Wertvorstellungen und Lebensansichten teilt.113 Das Wortpaar frouwe-geselle meint also die Gemeinsamkeit in den höfischen Wertvorstellungen: darin (nicht im Sinn sozialer Überlegenheit) soll die frouwe die Leitende, die Führende sein. Minne als erotisches Liebesglück und ethische Übereinstimmung, als partnerschaftliche Gegenseitigkeit, die Forderung, dass all das zu verwirklichen sei und dass dann Lob, höchster Lobgesang, ein „Hohes Lied“ am Platze sei (mit hôhen liuten Schallen V. 1) – diese wesentlichen Momente des Waltherschen Minne- und Minnesangskonzepts zielen also auch die Lieder der „Neuen hohen Minne“ an. Ein Blick noch auf die Strophen 1 und 2. 1. Strophe: Wie Reinmar hat sich auch der „Professionelle“ Walther immer wieder mit Verdächtigungen, Angriffen, Neid und Gehässigkeit usw., ob real, ob geschickt fingiert, auseinanderzusetzen. Es mögen seine kritischen Lieder, seine Zeitklagen gewesen sein, die die verzagten (V. 1) veranlassten, Walther zu den ihren zu zählen; jene also, die pessimistisch ängstlich und Zum Begriff „Wortpaar“ in diesem Lied: Wolfgang Mohr hat an anderer Stelle, in Bezug auf Tristan und Isolde in Gottfrieds Werk, von einem „Liebes- und Werbespiel“ mit Worten, in der Syntax, gesprochen. Man könnte Walthers Strophen hier zuordnen. 113 Das Verhältnis des armen Ritters Engelhard und des mächtigen Herzogs Dietrich wird in Konrads von Würzburg „Engelhard“ wegen der gemeinsamen höfisch-ritterlichen Ziele pointiert als geselleschaft bezeichnet. 112 166 gelähmt nichts Gutes mehr für die Zukunft von Gesellschaft und Welt erwarteten. – Von diesen grenzt sich Walther deutlich ab: Er hat feste Zuversicht (trôst) auf fröide(V. 3) – ihretwegen, von der er liep (V. 5) erwartet. – Mit anderen Worten: mein, Walthers Programm von Minne als liebe ist dazu befähigt, guote dinge (V. 1) wieder herbeizuführen. 2. Strophe: Wie kann man gehässigen Neid (nît) ertragen, vielleicht sogar gerne ertragen? (V. 1) – Indem man ihm Berechtigung gibt. Verhilf mir dazu, frouwe; (V. 2) schenke mir liep, Liebesglück, schaffe , daz ich frô gestê, (V. 5) dann haben sie Grund zum Neid – und herzeleide dazu (V. 3 -4, 6). Es ist eine jener witzigen Argumentationen, die wir bei Walther, dem großen „Unterhalter“, der er auch ist, nicht selten finden, und sie dabei doch genau auf das Wesentliche zielt: Minne als liep, liep als Kraft, die nît als ethische „Missbildung“ widerstehen hilft. Die Strophen 1 und 2 sind auf ihrer Grundebene Werbungsstrophen um die frouwe, die mit deren Verantwortung nicht nur für das Glück des Einzelnen, sondern für das Wohl der Gesellschaft (alle guoten dinge) argumentieren. In die Realität der Aufführungssituation übersetzt: Walther wirbt für die Annahme seines Minnekonzeptes bei seinem Publikum. Fröide, Ziel aller Minne und allen Minnesangs, sei mit seinem Konzept erreichbar. 167 Der deutsche Minnesang im 13. und 14. Jahrhundert: Ein Ausblick. Im Folgenden sollen die Tendenzen der Entwicklung des deutschen Minnesangs im 13. und 14. Jahrhundert in knapper Form skizziert und an Beispielen belegt werden, da eine eingehende Beschreibung dieser Tendenzen den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Diese Skizze soll dem späteren Vergleich mit der alttschechischen Liebeslieddichtung dienlich sein, welche danach befragt wird, ob überhaupt oder in welchem Maße sich diese Tendenzen auch in den alttschechischen Liebesliedern widerspiegeln. Es sind eben diese deutsche Minnelieder, die den alttschechischen Liebesliedern zeitlich am nächsten stehen: Von daher ist ihr Vergleich mit dem alttschechischen „Erbe“ des Minnesangs sicher berechtigt. An erster Stelle sprechen wir mit Hugo Kuhn über den ausgeprägten Formalismus, der a) auf der Ebene der Formgebung: Reimkunst mit häufigen Innenreimen, komplizierte strophische und metrische Strukturen, „Variation“ im Formalbereich („schwäbische Minnesang-Schule“, Konrad von Würzburg) zur Geltung kommt. Wir verzeichnen zwei Stilhauptrichtungen: - den sog. leichten, eleganten Stil, v.a. geprägt durch Wiederholung von – Wörtern (direkt oder als Figura etymologica), – Wendungen, Sätzen bis zum Refrain (Gottfried von Neifen). - Den Stil „schweren“ Schmucks, hinführend zum „geblümten Stil“ (Kuhn, 1967, S. 7ff.), vor allem geprägt durch Formen übertragener Rede (Genitiv – Metaphern und andere Arten von Metaphern, Bilder, Vergleiche, Allegorien, die möglichst fremdartig, überraschend, gelehrt bis rätselhaft sein sollen (Burkhart von Hohenfels, z.B. Element der Minnejagdallegorie in seinem Lied IX).114 Natureingang wird in dieser Dichtung nahezu obligatorisch. b) Formalismus auf der inhaltlichen Ebene: Die Idee der Minne wird durch immer kunstvollere Ausgestaltung zur Geltung gebracht. Das hohe Minnelied arbeitete von Anfang an mit einer begrenzten Zahl von Grundmotiven (Preis, Klage etc.), diese aber wurden, besonders bei den „Professionellen“ mit spezifischen Konzept, zielgerichtet angeordnet. Sie werden jetzt zu nahezu beliebig anzuordnenden „Bausteinen“. Schon bei de Boor, 114 Kuhn (1962), S.10f. 168 Literaturgeschichte, kann man lesen: „… auch die Inhalte sind zu Formeln geworden, zu Stichwörtern, die man sich in der höfischen Gesellschaft elegant zuwirft. … Sie sind Zeichen, an denen sie sich erkennt und durch die sie sich im Leben sichert.“115 D.h. auch die Funktion des Minnesangs hat sich verändert: er wendet sich von der großen Phase der „Professionellen“, bei denen der Minnesang „suchend, fragend, diskutierend an der Suche nach dem verbindlichen Menschenbild teilgenommen hatte“116 zu seinem zeremoniellen, rituellen Charakter zurück, mit starker Betonung seiner gesellschaftsunterhaltenden Funktion. Eine Entwicklungsrichtung lässt sich doch bei allem Formalismus im Minnekonzept des späten Minnesang feststellen: Starke Betonung des Freude-Motivs. Minne soll in erster Linie Freude bringen, auch wenn sie noch nicht erfüllt ist (eines der Grundtypen bleibt nach wie vor die Minneklage). Es ist jedoch nicht die Freude, nach der Walther fragt, die sich auf dem Wert der Partnerin gründet. Auch das Grundmotiv des Warum der Nichterhörung tritt zurück, ebenso wie auch die „Ethisierung“ des Minneverhältnisses. Zu einer Modererscheinung wird der „dörperliche“ Minnesang im Stil Neidharts. Statt einer gesellschaftskritischen Note tritt das unterhaltende Moment stark in den Vordergrund, das von feinsinniger Ironie bis zu sexueller Drastik (Neifen – Büttenaere-Lied Nr. XXXIX, Kuhn, 1962 S. 28f.) reicht. Zu einer weiteren Modeerscheinung wird der lehrhafte Minnesang. Das normale hohe Minnelied führt Minne als Reflexion eines davon betroffenen männlichen Ich (ich minne, ich wirbe) vor. Bei den „Professionellen“ um 1200, besonders bei Walther, konnten wir aber beobachten, dass sie auch von einem Standpunkt außerhalb „über“ die Minne sprechen. Diese Darbietungsweise wird nun oft gewählt (Belehrung über die Minne, Konrad von Würzburg, Lied 12).117 Eine weitere Tendenz lässt sich als „Episierung“ bezeichnen. Das „genre subjectif“, besonders das hohe Minnelied, bleibt auch im 13. Jahrhundert zwar die dominierende Form, aber das „genre objektif“ nimmt proportional zu. Es ist sicher verbunden mit dem Aufkommen modischer Situationen und Liedelemente wie dem Natureingang und den Liedtypen wie de Boor – Newald, Literaturgeschichte (1991) 2, S. 333. Hahn, Vorlesung Minnesang 1995, S. 108f. 117 Ausgabe Schröder (1967), S. 29. 115 116 169 Tagelied oder Pastourelle, die es z. T. bereits in der Minnesang-Tradition gab. Hierzu kommen auch weitere Typen mit erzählendem Eingang (einige Lieder des Johannes Hadlaub). Die letzte gemeinsame Tendenz in der deutschen Lieddichtung des 13. Jahrhunderts lässt sich als „Gegengesang“ bezeichnen, mit einem Sammelbegriff also für Lieder, die in sich Haltungen von gutmütigen Spott bis zur beißenden Kritik zur Minne, zum Minnesang, zu einzelnen Typen Liedern, Sängern, Werten beinhalten. Was bereits bei Walther (WaltherReinmar-Fehde) und Neidhart anfing, findet im 13. Jahrhundert Fortsetzung. Die deutschen Autoren des 13. Jahrhunderts: Versuch einer Analyse ausgewählter Lieder Bei den folgenden Analysen kann ich von beachtenswerter Vorarbeit ausgehen: Die Zusammenhänge unter den Autoren des geblümten Stils wurden von Hugo Kuhn in Minnesangs Wende118 aufgezeigt, ihre einzelnen Lieder von demselben Forscher im Kommentar zur Krausschen Deutschen Liederdichtern eingehend analysiert, wertvolle Schlüsse auf den Minnesang um 1400 sind den Arbeiten von Kühnel, Joschko119 und vor allem Brunner120zu entnehmen. Deshalb konzentriere ich mich lediglich auf die wesentlichsten formalen und inhaltlichen Züge dieser Dichtung, die bei dem künftigen Vergleich mit der alttschechischen Liebeslieddichtung relevant sein könnten, indem der Anteil des Traditionellen und des Neuen bemessen wird. Die analysierten Lieder sind folgenden Liedsammlungen entnommen: Hugo Kuhn (Hrsg.): Minnesang des 13. Jahrhunderts, Tübingen 1962 Karl von Kraus (Hrsg.): Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts, Bd. 1, Text, zweite Auflage durchgesehen von Gisela Kornrumpf, Tübingen 1978, Bd. II, Kommentar, besorgt von Hugo Kuhn, zweite Auflage durchgesehen von Gisela Kornrumpf, Tübingen 1978 (weiter KDL). Helmut Brackert (Hrsg.): Minnesang. Mittelhochdeutsche Texte und Übertragungen. Frankfurt am Main 1983 118 1967 beide 1986 120 1978, 1983 119 170 Elizabeth Hages-Weißflog: Die Lieder Eberhards von Cersne. Edition und Kommentar, Tübingen 1998 Eugen Thurnher – Franz V. Spechtler – George F. Jones – Ulrich Müller: Hugo von Montfort, Bd.II – Die Texte und Melodien der Heidelberger Handschrift cpg 329 (Transkription von F.V. Spechtler), Göppingen 1978 1. Der geblümte Stil: Burkhart von Hohenfels, Lied IX Mîn herze hât mînen sin (KDL, Bd. I, S.41f.) a) Zur Form: Sie ist von Kuhn in KDL als „äußerst sorgfältig gebaut“ bezeichnet und wie folgt beschrieben: A I = II 4a / 4b / 6c B III IV 6α / 4β 4β / 6α121 b) Zum Inhalt: Der Formalismus wird bereits auf Wortebene sichtbar: es wiederholen sich einzelne Wörter (wilt – I, 2: I,6: II,1:), verbunden mit Figura etymologica: dâ von hôher muot mir wildet, (III.3), Minne vert vil wilden strich (V,1), zuo dem wildrer wil si pflihten (V,3). Sie beziehen sich auf eine Minnejagdallegorie, von der das ganze Lied geprägt ist, mit bekannten Motiven, die in die zentrale Allegorie als kleine allegorische Bestandteile hineingebaut sind: Das Herz des Liebenden hat seinen Sinn auf Jagd (nach der Liebsten) ausgesandt. Das Wild wird gehütet von seiner Erwählten, vermutlich sie selbst kann dieses Wild sein (Beschreibung des wilden Tieres und Preis seiner Eigenschaften).122 Dies ist der Inhalt der Strophen I und II. Die anfängliche Allegorie wird in die traditionelle Minneklage überleitet, in der jedoch nicht nur traditionelle, sondern auch originelle Metaphern zum Tragen kommen: Trûren mit gewalte hât / gankert in mîns herzen grunt; / dâ von hôher muot mir wildet. / fröiden segel 121 KDL, Bd. II, S. 42 Einen guten Vergleich bietet im deutsch – tschechischen Kontext die alttschechische avancierte allegorische Dichtung „Tkadleček“ aus dem Jahr 1408. Hier wird eine Minnejagdallegorie beschrieben, in der ein Jäger das edle Wild – d.h. seine Erwählte, „zum Erliegen“ zu bringen versucht. Seine Tat wird als Verletzung des Ansehens der Frau getadelt und somit – gegenüber einer bloßen Schilderung der Minnejagd – aus einem neuartigen Blickwinkel gesehen. 122 171 von mir gât, / werder trôst ist mir niht kunt, / sist mir in dem muot gebildet, / wol versigelt und beslozzen dâ, / sam der schîn ist in der sunnen. / diu bant hânt die kraft gewunnen, / daz siu braeche niht des grîfen klâ (Str. III). Es folgt eine Preispassage, in deren traditionellen Bau (v.a. IV, 1-3) wieder neuartige Elemente einkomponiert werden: Die Schönheit der Dame legt ein Fangnetz, mit Hilfe dessen sie die Gedanken des Liebenden „fangen“ will. Jeder, der sich auf diese Weise einfangen lässt, übergibt seinen Frohsinn in ihre Hände (Strophe IV). In der letzten Strophe werden die Zauberkünste der Minne aufgezählt: Sie können den Liebenden, der weiterhin in der Allegorie als Jäger auftritt, betören, indem die Minne ihm die süßesten Erwartungen verspricht. Jeder, der jedoch nicht die triuwe besitzt, muss auf einen solchen Gewinn verzichten. Das Lied endet also mit einer didaktischen Belehrung. Fazit: Bezeichnend für das Lied ist die Allegorie und der „geblümte“ Stil, den Metapher prägen. Eine Minneklage, dessen traditioneller Bestandteil der Preis der Dame ist, wird mit neuartigen Elementen zur Sprache gebracht und gegen ihrem Ende didaktisch eingefärbt. Man kann gut eine Weiterentwicklung der ererbten Komponenten des traditionellen Minneliedes beobachten. 2. Der Formalismus im Bau: Gottfried von Neifen, Lied IV Saelic sî diu heide! (KDL, Bd. I, S. 86f.). a) Zur Form: A I = II 4a / 4b / 8c B III 6α / 8β / 8c123 b)Zum Inhalt: Der Leitbegriff des Liedes ist, mit Kuhn gesagt, die Freude,124 zu der der Liebende gelangen möchte. Ein altes Motiv, kosmisches Gesetz des Frühlings als einer freudigen Zeit, die ihre Macht über die Natur zeigt, eröffnet, zu einem formalistischen Natureingang geworden, das Lied. Die traditionellen Frühlingstopoi werden zur Hervorhebung dreimal mit dem Adjektiv saelic in ihrer Bildkraft gesteigert (I, 1-3) Es folgt eine traditionelle logische Überleitung: so wie die Natur möchte auch der Liebende durch Freude wieder jung werden, getröstet von dem roten Mund seiner Liebsten, nach der er sich in seinem Innersten sehnt (I, 8-9). Ein Bote 123 124 KDL, Bd. II, S. 96. Frei nach Kuhn, Kommentar zu KDL, Bd. II, S. 97. 172 (auch ein ererbtes Motiv) deutet dem in Qual dahinsiechenden Liebenden eine Hoffnung auf die Gunst der Dame an. Rhetorisch raffiniert und reizvoll spricht er von einem „roten Glanz ihres Mundes“, der wohl „in sein Herz lieblich hinein erstrahlen würde“ (Übersetzung Brackerts, S.197). Der Liebende unterordnet sich völlig der Minne, übergibt sich in ihre Gewalt (Str. II). Der rote Mund, ein Stichwort bereits aus beiden vorausgehenden Strophen, wird als Metapher für die Erwählte in der bekannten dritten Strophe in stilistisch- akustisch brillanter variierender Wiederholung angesprochen: Rôter munt, nu lache / daz mir sorge swinde. / rôter munt, nu lache, daz mir sendez leit zergê. / lachen du mir mache, / daz ich fröide vinde. / rôter munt, nu lache, daz mîn herze frô bestê (III, 1-6). Eine Variation aus den Wortformeln rôter munt, lachen und fröide bzw. frô, in denen der Inhalt selbst zur Form wurde! Es wird zunehmend die Freude akzentuiert und angefordert. Denselben Inhalt, die ähnlichen, sich wiederholenden Wortformeln (minneclîch gedinge, rôter munt) führt verdeutlichend die IV. Strophe aus. Die zentrale Bitte des Liebenden in dieser Strophe: rôter munt, hilf mir von senden noeten! (V.7) wird durch den der Tradition entnommenen Preis der Frau gesteigert (ein Argument des Liebenden, weshalb er sich gerade diese Frau erwählt): âne got sô kan dich nieman alse wol geroeten; / got der was in fröiden dô er dich als ebene maz (V.8f.). (Außer Gott kann dich niemand so schön röten. / Gott war in guter Laune, als er dich so ebenmäßig geschaffen hat – Brackert, S. 199). Die Strophe bringt also als Fortführung des Geschehens die Forderung der Belohnung und den Preis, in formalistischer Ausgestaltung (Str. IV). Im Grunde bringt die Schlussstrophe V keinen neuen Inhalt. Sie bestätigt das bereits vorhin Gesagte: Noch einmal variierend den Naturtopos wiederaufnehmend, spricht man von einem Tausch: Alle Freude der Natur würde der Liebende für das Gewogensein seiner Erwählten tauschen. Wie würde seine Trauer dann verschwinden und seine Freude das Szepter übernähme! (V, 6). Zum Schluss bittet er die Institution Minne um Hilfe, damit seine Qual der Liebsten zum Herzen kommt – wiederum ein traditionelles Motiv. Formalistisch erscheinen vor allem die vielen adjektivischen Erweiterungen: sende sorge, helferîchiu süeze Minne, senelîchen pîn (V, 2, 7, 9). Fazit: Die Neuerungen kommen nicht im Inhalt (das Lied ist vor der Folie der traditionellen Minneklage gedichtet), sondern in der rhetorisch brillanter Form zum Tragen. Vor allem in der III. Strophe, einem der Höhepunkte von Neifens formaler Kunst, sind Anklänge an den Refrain deutlich zu hören. 173 Ähnliche Gestaltung finden wir auch bei manchen namenlosen Liedern, die – wie Neifen den traditionellen Inhalt der Minneklage mit den Begriffen zu erfassen versuchen, die einen Charakter der Mikrosignale annehmen (Rosen auf der Wiese, der von der Kälte des Winters unterdrückte Gesang kleiner Vögel, Minnedienst selbst wird zur Wortformel, zum bloßen Zeichen). Daneben prägen das Lied neuartige Elemente der Allegorie, die, aus der Tradition erwachsend, sich jetzt verselbständigen (nun muss ein rôter munt statt der Blumen den winterlichen Anger verschönern) und refrainartig wiederkehrende Passagen, wie es z.B. im namenslosen Lied El 13b, Str. 2, V.5-9, der Fall ist: Wê, wê, wâ rôter munt zieret nû den anger? Ach, ach der leiden stunt; smieret er niht langer gen mir, sô mac mîn dienst mich riuwen.125 3. Konrad von Würzburg: Tagelied didaktischen Charakters (Brackert S. 234) a) Zur Form: Sie bringt uns ein extremes Beispiel der Formkunst: jedes Wort dieses Liedes wird an der entsprechenden Stelle in eine Reimbindung gebracht. Nach Brackert verleiht dieses Verfahren dem Lied einen hohen Grad der Abstraktion. Der Inhalt mit seinen syntaktischen Fügungen wirkt auch entsprechend „gelehrt“.126 Es ist sehr schwierig, metrisches Schema nachzubilden, deshalb bringe ich auch den Text des Liedes. I = II 1a 1b 1c 2d 1e 1f 2g 1h 1i 2j 2k 2l 2m 2n 2 o III=IV 1p 2q 2r 2s 2t 2u 1v 1w 2x 2y 2z Swâ tac er- schînen sol zwein liuten die ver- borgen inne liebe stunde müezen tragen, dâ mac ver- swînen wol ein triuten: 125 126 Kuhn, Minnesang des 13. Jahrhunderts, S. 55f. Frei nach Brackert (1983), S. 331. 174 nie der morgen minne diebe künde büezen klagen. er lêret ougen weinen trîben; sinnen wil er wünne selten borgen. swer mêret tougen reinen wîben minnen spil, der künne schelten morgen. Hier begegnet man der komplizierten Form halber keine Anhäufungen von schmückenden Adjektiven, dafür jedoch wohlbekannte Stichworte in neuartigen syntaktischen Konstruktionen: minne diebe, swer mêret tougen... minnen spil… b) Zum Inhalt: Konrad deutet bereits am Liedanfang unmissverständlich die Atmosphäre eines Tagelides an, mit üblichem Inhalt, der jedoch nicht szenisch (als genre objektif) aufgefasst wird, sondern von der Warte eines belehrenden Erzählers: Der Tag, der zweien Liebenden erscheint, die im Verborgenen ihre liebe stunde genießen, bringt den Zärtlichkeiten immer ein rasches und traditionsgemäß verwünschtes Ende; man beklagt den Morgen (Str. I, II). Der gleiche Inhalt – die Klage über den Morgen, wird nun amplifiziert: Der Morgen lehrt die Augen weinen, auch den Sinnen bereitet er niemals Freude. Zum Schluss des Liedes kommt die allgemeine Belehrung, der übliche Inhalt wird − als Neuerung − didaktisiert: Jeder, der den edlen Frauen heimlich das Liebesspiel mehrt, hat Grund, den Morgen zu schelten (Str. III, IV).127 Fazit: Die eigentliche Neuartigkeit des alten Inhalts besteht in der virtuosen Formkunst und in der Erfassung des Stoffes unter didaktischem Aspekt. 4. Ulrich von Winterstetten Lied I – Minneklage: Ich wil aber disen sanc (KDL Bd. I, S. 511f.) Lied XXXVI – Dialoglied: Komen ist der winter kalt (KDL, Bd. I, S.550f.) A) Lied I – Minneklage: Ich wil aber disen sanc a) Zur Form: 127 Übersetzung nach Brackert (1983), S. 235. 175 Das Lied folgt dem metrischen Schema A I 4a /4b II 4c/ 4c III 4a /4b IV 4d /4d B V -2α,-,- 4β -, / -2α,-,- 4β -, VI 4γ-, / 4γ – Refr. –2δ -, - 2δ -, - 2δ - 128 Bezeichnend für Winterstetten-Lieder insgesamt ist der Refrain. b) Zum Inhalt: Mit der monologischen Klage eines leidenden Ichs wird ein altes Sujet aufgegriffen: Der Körper wie die Sinne des Mannes sind von der bisher unerfüllten Minnewerbung betroffen; er verlangt einen gruoz von seiner Frau, metaphorisch ausgedrückt von ihrem mündel rôt, sonst droht er mit seinem Liebestod. Dies sind allesamt alte Wortformeln und Fügungen, eine Neuerung stellt der als Refrain gestaltete Schlusssatz, mit dem der Liebende seine Erwählte zu einem schnellen Handeln zu seinen Gunsten auffordert: liep, sich dar zuo, est niht ze fruo, alsô tuo! (I. Strophe) Die Klage des Liebenden wird noch durch als Aufschreie formulierte Bekundungen des Liebesschmerzes gesteigert. (Ach ich sender man! Ach waz hilfet swaz ich sage!...Ach wie kumt daz sô?II, 4,5,8). Mit einem konventionellen Motiv, der Bitte an die Minne um Gelingen seiner Forderungen, verbindet sich ein Motiv, das in der späten Liebeslyrik verbreitet erscheint: Der Liebende ergraut vor unglücklicher Liebe (auch im Lied Frauenlobs Nr.2, B, XIV,7, V. 7).129 Im Grunde nichts Neues auf inhaltlicher Ebene bringt auch die III. Strophe, eine Fortsetzung der Minneklage mit traditionellen motivischen Ausweitungen: Der Liebende ist bereits lange unglücklich, kann weder am Tag noch in der Nacht Ruhe finden, führt ein freudloses Leben. Minne und die gepriesene Frau sollen ihm Trost bringen. Damit schließt das Lied im ganz traditionellen Sinne. Fazit. 128 129 Nach Kommentar Kuhns in KDL II, S. 575. Edition Stackmann-Bertau, 1. Teil: Einleitungen, Texte, Göttingen 1981, S.563. 176 Wie wir sehen, geht die einstige ethische Dimension völlig verloren, der Inhalt – das Nichterhörtsein – wird nicht nach seinen Ursachen wie im klassischen Minnesang befragt, nur immer wieder in variierender, teilweise eleganter, teilweise erstarrter Formulierung zur Sprache gebracht. So wird auch bei diesem Lied der Inhalt zur bloßen Formel, was jedoch keine abwertende Charakteristik sein soll. Es ist eine Entwicklungsstufe des Minnesangs, der die alten Inhalte durch virtuose Form und Rhetorik zu beleben und neuartig zu gestalten versucht. B) Lied XXXVI – Dialoglied: Komen ist der winter kalt ( nach Kuhn in KDL Bd. I, S.550f.) a) zur Form: Das Lied wird wie folgt metrisch gebaut: A I = II 4a - / 4b - / 6c - B III 2c -, - 2a - / 4β – IV 4a -, / 4β - / 6c – Refr. 1γ -, - 1γ -, - 2δ - / 2ε-, - 2ε, - / 4δ - (KDL, Bd. II, S. 594) Der Refrain lässt das Lied auch u.U. als ein Tanzlied erscheinen. b) Zum Inhalt: Das Lied variiert eingangs längst bekannte Topoi – den Natureingang (Wintereinbruch und Stichworte wie die vom Winter fortgenommenen bluomen, klê, loub usw.). Dennoch singt der Liebende, welcher sich zunächst darüber in einer rhetorischen Geste selbst verwundert. Er überleitet diese Situation in ein ebenso traditionelles Motiv: Er würde weiter singen, nur falls er Hoffnung auf Liebeserfüllung hegt, sonst würde er verstummen. All diese Motive stellen ein Verharren in der Tradition dar. Eine Belebung wird vom Refrain erzielt, der nicht ohne rhetorischen Aufwand und Witz gebaut wird: hundert wundert wâ si sî. / in dem muote ist mir diu guote / staeteclîchen bî (Strophe I). Neu an der inhaltlichen Gestaltung der II. Strophe ist der Widerspruch zwischen dem Preis der Frau am Anfang der Strophe (V.1-4) und dessen abrupter Wendung in eine zänkische Äußerung der Frau, mit der sie das Werben des Mannes kritisch betrachtet (…“ iuwer dienst niht fröide gît / hôchgemuoten wîben. / gât, ir tuot uns michel ungemach.“ V.9-11). Umso 177 entgegengesetzter und unpassender, ja fast parodistisch, wirkt in diesem Zusammenhang der direkt angekoppelte Refrain (s. oben). Die III. Strophe hebt zwar mit einer konventionellen Klage an (wan mir was ir hulde gar verseit V. 3), befolgt jedoch weiter das Muster eine Gesprächssituation, die vom Liebenden in demselben parodistisch – heiteren Ton getragen wird: Einen Kuss von seiner Erwählten fordernd, erntet er ihre patzige Entgegnung − er kenne nicht das edle Benehmen, sie ließe ihn sofort aufhängen, wenn er ihr Kleid anrühren würde. Der Refrain, der in dem einstigen Minnesang von den innigsten Gefühlen des Minnenden sprach, erzeugt diesem Zanken einen erneut und vertieft parodistisch anmutenden Rahmen (s. weiter oben). Fazit: Die Tradition der Gesprächslieder (ein schon seit Johannsdorf gepflegter Liedtypus – MF 87,13)130 ist hier durch die Parodie deutlich modifiziert und damit auch in ein neues Licht gestellt. (Parodistische Lieder dieser Art kannten bekanntlich bereits die Trobadors). Die Verspieltheit der Form geht in diesem Lied Hand in Hand mit dem witzigen, halbernsten Inhalt, der sich nun immer mehr von der Tradition in Richtung Gesellschaftsunterhaltung, dem charakteristischen Zug der Minnedichtung der spätstaufischer Zeit, bewegt. Unseren knappen Exkurs in den späten Minnesang setzen wir mit zwei Autoren des 14. und 15. Jahrhunderts fort, dem Eberhard von Cersne und dem Hugo von Montfort – Bregenz. Manchen Leser mag verwundern, dass hier der Neidhart und sein Einfluss auf die späte Liebeslieddichtung in deutschen Raum nicht entsprechend gewürdigt wird, dass hier die avanciertesten Dichter wie der Frauenlob, Mönch von Salzburg und Oswald von Wolkenstein nicht genug zur Sprache kommen. Dies liegt in der Intention dieser Arbeit, welche die alttschechische Liebeslieddichtung mit den Strömungen des deutschen Minnesangs zu vergleichen versucht, die für sie am relevantesten erscheinen. Ich traf die Entscheidung für Cersne und Montfort vor allem deshalb, weil sie – bei aller Neuartigkeit – dem traditionellen Minnesang, der – wie es scheint − für die alttschechische Liebeslieddichtung am meisten maßgebend war, doch näher als die avancierten Autoren stehen. Als bezeichnend erweist sich auch, dass sich die formalistische Ausrichtung des spätstaufischen Minnesangs in der alttschechischen Liebeslieddichtung nicht mehrheitlich durchgesetzt hat, sondern, wie wir 130 De Boor-Newald, Literaturgeschichte (1991) S. 337 178 sehen werden, auf Einzellieder begrenzt bleibt. Ohne einen Einfluss blieben auch die Lieder Wenzels von Böhmen, bzw. Frauenlobs.131 Der späte Minnesang Eberhard von Cersne (Schaffenszeit um 1400-1420)132 Ich führe beide Liedtexte in vollem Umfang und in Übersetzung von Elisabeth Hages-Weißflog an. Lied II I Ez anheyßchit nu de tzijt, daz men sich van eyde scheyde: so leyde ist mir armen nu gescheen. (Ich waz meniger sorge quijt, dye mir große veyde breyde.) dye weyde machit, daz ich nicht geseen Mag, da ynne nach wunschen ist belannet, bemannet vermuret, beschuret, und leyder nu vorhuret, da ich uff hatte luret, eyn thorm, da uff den tzynnen curet 131 In einem wichtigen, anregenden Aufsatz über den möglichen Zusammenhang der Dichtung Frauenlobs und des alttschechischen Liedes „Otep myrry“ hat März (2002) nachgewiesen, dass sich das alttschechische Lied, das vor der Folie des Hohenliedes gebaut wird, von dem Stil Frauenlobs keineswegs inspirieren ließ. Das alttschechische Lied geht eigene Wege. Ich danke an dieser Stelle Frau Dr. Gisela Kornrumpf (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Kommission für ältere deutsche Literatur), für die freundliche Zusendung dieses Aufsatzes. 132 Die zwei hier analysierten Lieder sind der kommentierten Edition von Elizabeth Hages-Weißflog: Die Lieder Eberhards von Cersne. Edition und Kommentar, Tübingen 1998, entnommen. Hages-Weißflog bestimmt auch die Schaffenszeit Eberhards, wie oben angeführt wird. 179 eyn wachtir, der mich heßlich heyßit flen. (Die Zeit verlangt es, dass man sich von alten Eiden lößt: Eben dieses Leid ist mir Armem nun geschehen. / (Ich war von mancher Sorge befreit, die mir großer Haß zuvor bereitet hatte.) / Das Gehölz macht, dass ich das nicht sehen kann, darin – in idealer Weise verziert, von Mannschaften und Mauern umgeben, beschützt und leider nun auch anderweitig vergeben-, das ist, worauf ich mich gerichtet hatte, einen Turm nämlich, auf dessen Zinnen ein Wächter sitzt, der mich haßerfüllt fliehen heißt.) II Wistich kunst, list, starke macht, wye men mochte dichen vurlichen dy sichen, dy da scrankit umme gen, Den woltich tag unde nacht slufin unde slichen, krychen, nicht wichen, van der slawe und umspeen, Biz ich beyde plancken unde hagen umfagen, tzutrechen, vursechen, […] tzustechen kund und gar tzubrechen, stormen und nach willen rechen: da obe dem werdir fro woltich sten! (Wüßte ich Kunst, List oder Gewaltmittel, wie man die Wasserarme, die in Ringen außen herumlaufen, aufschütten und einebnen könnte, dann wollte ich Tag und Nacht schleichen und kriechen, die Spur nicht verlassen und umherspähen, bis ich beides, Planken und Heckenwerk, packen, zerreißen, zerhacken und ganz und gar zerbrechen könnte, es im Sturm 180 erobern und nach Lust und Laune zusammenfegen: Dort auf der Insel wollt´ ich fröhlich stehen!) III Mir ist aber worden kund, wye men noch mid tete, gerete, vorrete, nicht dye veste wynnen kan. Doch wil ich tzu allir stund denken an ir sete, - mete nach bete – unde hoffin nicht vurlan. Myd allem ungeferte ich varen wil tzwaren nu laßen dye straßen Tzwifel und hern Trurenfelt, dy mich sust lang han gequelt, und zyn tzu Troste me gesellt: lieb Trost, nu laß mich zyn dyn eigen man! (Mir ist jedoch einsichtig geworden, dass man die Feste weder mit Tat noch mit Gerät noch anderem Vorbedacht einnehmen kann. Dennoch will ich zu aller Zeit an ihre sittliche Vollkommenheit denken, daran, Lohn von ihr zu erhalten, wie ich mir erhoffe, und das Hoffen nicht aufgeben. In der Tat, ich will Zweifel und Herrn Trurenfeld mit all ihrem Ungemach nun verabschieden, die mich so lange gequält haben, und mich in das Gefolge der Frau Trost begeben: Liebe Frau Trost, nun laß mich dein Gefolgsmann sein!) a) Zur Form: Es handelt sich um eine in vieler Hinsicht formalistisch gebaute Liebesklage. Wie 181 Hages-Weißflog anführt, besteht das Lied aus metrisch komplizierteren Kanzonenstrophen. Das Schema des Aufgesangs ist: .4a .3b .1b 1b .4c ://. Im Abgesang wäre das Schema nach Maßgabe der ersten Strophe: .5d 1d 1e 1e 3e 3e 4e 5c.133 b) Zum Inhalt: Ich wählte mir eben dieses Lied Cersnes aus, um darzulegen, dass es in seinem OEuvre neben den traditionellen Minneklagen auch Lieder gibt, denen großangelegte, komplizierte allegorische Vorstellungen zugrunde liegen, mit denen das alte Sujet – Erlangung der Gnade der Dame – umschrieben wird. Die Dame wird in der I. Strophe als ein von einem hohen Burgturm umgebener Schatz dargestellt, der von einem Wächter bewacht wird. Es ist sehr schwer, einen Zugang zu diesem gut beschützten Turm zu finden. Daraus entspringt auch das Leid des Liebenden, von dem eingangs der Strophe berichtet wird. Strophe II: Auch sie wird von der angedeuteten Allegorie, die noch weiter ausgeführt wird, getragen. Um den Turm zu erobern, würde der Liebende alles tun: In rhetorischer Virtuosität, die inhaltlich seine Bemühung um die Dame hervorheben soll, spricht er darüber, was er versuchen würde, um Erfolg zu erzielen − ununterbrochen schleichen, kriechen, auf der Spur sein, umherspähen, wenn es nur möglich wäre, die Wasserarme einzuebnen – statt einer Schilderung des seelischen Kampfes folgen nun verschiedene, immer weiter führende Bilder – die einzig folgenden „alten“ Inhalt in ein „neues“ Gewand kleiden sollen: Er möchte bei seiner Dame sein! Strophe III: Es wird zunächst mit Klage fortgesetzt, die über die Unmöglichkeit der Eroberung der Feste, also der Dame, spricht. Nun greift Cersne zu einem traditionellen Mittel der Lohnforderung, zum Preis der Dame. Indem er ihre Sitten würdigt, bittet er damit um Besinnung der Dame: In ihrer Vollkommenheit soll sie sich ihm in Freundlichkeit und Gnade zuwenden. Deshalb hofft er auf seinen Lohn: dies wird wiederum allegorisch-bildhaft dargestellt: er möchte zwei personifizierte Begriffe: Zweifel und Trauer (Herrn Trurenfeld, eine Figur aus seinem Werk 133 Hages-Weißflog (1998), S. 45f. Das Fehlen des Auftakts markiert Hages-Weißflog durch einen Punkt vor der Hebungszahl. Im Abgesang verzeichnet man metrische Lizenzen. 182 „Der Minne Regel“)134 verabschieden und sich in das Gefolge von Frau Trost begeben, um dort den Lohn zu erwarten (alte Begrifflichkeit, in formalistische Allegorie umwandelt!) Fazit: Das Lied schildert alte Vorstellungen (Entfernung von der Dame, Liebesleid, Hoffnung auf Lohn) mit Hilfe von Allegorie und den neuartigen, aus den Minneallegorien stammenden Einzelvorstellungen – die Hauptidee ist die der Eroberung einer Burg als Ausdruck des Verlangens nach der Dame. Das formalistische Spiel auf Reimebene (viele nacheinander folgende Reimstrukturen) verleiht dem Lied eine ausgesprochen spätzeitliche Note. Lied XIV I An mir saltu keyn tzwifel han. al tzijt saltu mich vinden recht: trut lieb, vorsoche dinen knecht! du siest on gruntlich bosheid aen. Wes wiltu mich vorterbin lan, myn heyl, myn trost, myn salden lecht? vundich din word als e nu echt, daz ez vorblebe uß getan, Refr.: So werich froer vil dan fro, mir beßirs kundich wunschen nicht. geb fruntlich mir min angesicht und laß mich syn din sunder O.! (An mir brauchst du nicht zu zweifeln. Allezeit wirst du mich recht finden: Liebste, prüfe deinen Knecht! Du siehst mich böse an, ohne dass es dafür einen Grund gäbe. Warum willst du mich verderben lassen, mein Heil, mein Trost, du Licht meiner Seligkeit? Fände ich, dass dein Wort Gültigkeit besäße wie zuvor, so dass es bestehen bliebe, Refr.: Dann wäre ich noch viel mehr als froh. Etwas Besseres könnte ich mir nicht wünschen: Wende mir ein freundliches Antlitz zu und laß mich dein eines und einziges O. sein!) II 134 Hages-Weißflog im Kommentar zu diesem Lied S. 59f. 183 Mochtich biz an myns todes mal gantz blibin din unufgelost, vundich an dir den sußin trost, so enrochtich schatz noch gral. Min hertze sam eyn tzintzich al hastu durchslungen, daz ich rost noch rast enhabe: daz du toest! Lieb, bald irlessche myne qual: Refr.: So werich froer vil dan fro, mir beßirs kundich wunschen nicht. geb fruntlich mir min angesicht und laß mich syn din sunder O.! (Könnte ich bis ans Ende meiner Tage ganz unauflösbar dein bleiben, fände ich an dir das süße Glück der Liebe, so wären mir Schatz und Gral gleichgültig. Mein Herz hast du durchschlungen wie ein zappelnder Aal, so dass ich Rast noch Ruh´ mehr habe: das tust du mir an! Liebes, lösche alsbald meine Qual: Refr.: Dann wäre ich noch viel mehr als froh. Etwas Besseres könnte ich mir nicht wünschen: Wende mir ein freundliches Antlitz zu und laß mich dein eines und einziges O. sein!) III Ich han irfaren ettewas, des ich doch wil geloubin nicht. ich wil gantz sin nach dir gericht und slan hin tzwifel an daz gras. Mich mach nicht wol irfroyen bas dan mit gunst din angesicht: wan mir daz kurtz van dir geschicht, daz y und y myn gerde was: Refr.: So wordich froer vil dan fro, mir beßirs kundich wunschen nicht. geb fruntlich mir min angesicht und laß mich syn din sunder O.! 184 (Ich habe etwas erfahren, das ich jedoch nicht glauben mag. Ich will ganz und gar auf dich hin leben und jeden Zweifel niederschlagen. Mich kann wohl nichts mehr erfreuen als ein huldreicher Blick von dir: Wenn mir das bald zuteil wird, was doch immer mein Verlangen war: Refr.: Dann wäre ich noch viel mehr als froh. Etwas Besseres könnte ich mir nicht wünschen: Wende mir ein freundliches Antlitz zu und laß mich dein eines und einziges O. sein!) Zur Form: Wie Hages – Weißflog anführt, besteht das Lied aus drei Strophen mit Refrain, die vierhebig sind und mit männlicher Kadenz beschlossen sind. Der Auftakt fehlt nur in II,4 und III,6. 135 Die Strophe folgt also dem Schema: 4a 4b 4b 4a /4a 4b 4b 4a / Refr. 4c 4d 4d 4c. Es handelt sich also um eine Variation der Kanzonenstrophe. Zum Inhalt: In diesem Lied hält sich Cersne an traditionelles Vorstellungsgut, das er z. T. um neuartige Elemente, vor allem Bilder, erweitert. Bereits der Anfang geht von der alten Vorstellung der Beständigkeit aus, die der Liebende als seine Devise vor seiner Dame präsentiert. Ihre Einstellung ist jedoch feindlich, auch diese Vorstellung verharrt ganz in der Tradition, wie auch die Vorwürfe des Liebenden an sie (I, 5), die seine Klage unterstreichen. Es folgt ein ebenso konventioneller Preis (die Dame als Trost, Heil, Licht der Seligkeit – I,6). Der Liebende bittet um Beständigkeit auch ihrerseits – was doch eine gewisse Innovation im Bild der Dame gegen den klassischen Minnesang darstellt. Der Refrain steht unter sichtlichem Einfluss der Spätzeit; die Abkürzung für (vermutlich) den Kosenamen des Liebenden an dessen Ende136 scheint neu und modisch gewesen zu sein (es erinnert u. A. an die Spiele mit den Namensinitialen beim Mönch von Salzburg). Der Sinn des Refrains ist die Gewinnung der Gunst der Dame: Sie wird vom Liebenden zur Gewogenheit aufgefordert: Neuartig ist auch der heitere Ton des Refrainendes (Strophe I). Strophe II: 135 136 Hages – Weißflog (1998), S. 195f. Hages – Weißflog (1998), S. 198 in Bezug auf Brunner (1978), S. 141, Anm. 32. 185 Cersne demonstriert seine gute Kenntnis der Minnesang –Tradition: alles, worauf er hier baut, sind gut bewährte Topoi: Treue Bindung an die Geliebte, Forderung des Lohnes in alter Begrifflichkeit (sußin trost – II,3), der alle Schätze, sogar den Gral, überstrahlt (II,4). Eine Neuerung dagegen bringt die Tiermetapher des Aals, mit dem die Liebesverstrickung des Protagonisten verbildlicht ist. Das Sujet wendet sich jedoch schnell ins Traditionelle: die Dame nahm dem Liebenden alle Ruhe. Beschlossen wird die Strophe mit einer heischenden Bitte um Erhörung, an inhaltstragender Stelle. Mit dem Refrain lässt sich das Ganze gut verknüpfen. Str. III: Das alte Motiv der Treue und Beständigkeit wird unter einem neuartigen Aspekt aufgegriffen, der wohl auf die Anfangsstrophe des Liedes Bezug nimmt: die Treue der Erwählten wird in Zweifel gezogen (III, 1-2 bzw. I, 7-8). Damit ist das Erscheinungsbild der Frau doch anders als im klassischen Minnesang beschrieben. Gleich in den nächsten Versen wird aber jeder Zweifel an der Liebenden resolut zurückgenommen (III,3-4). Dies kann erneut als eine Zuwendung zu der Tradition gedeutet werden. Eine erneute Bitte um Gunst unter erneuter Beständigkeitsbeteuerung beschließt die Strophe, die vielfach alte Motive zur Sprache bringt. Der Refrain verstärkt noch die Bitte um Belohnung. Fazit: Das Lied XIV gründet sich zwar auf altem Vorstellungsgut, versucht jedoch, ins dieses Motivgerüst an mehreren Stellen neuartige Bilder einzukomponieren: Das markanteste stellt das Bild des Aales dar, der die Liebesmacht der Erwählten über dem Liebenden verkörpern soll: dass die Minne blitzschnell wie ein Aal das Innerste des Protagonisten durchfährt, ist ein wahrlich neuartiges Bild! Es muss betont werden, dass auch der in seinem Schaffen als traditionell angesehener Cersne nicht immer und nicht nur Traditionelles bietet – vgl. nur das vorausgehende Lied II! Hugo von Montfort (1357 – 1423)137 Wegen des erschwerten Zugangs an die Lieder Montforts führe ich beide Liedtexte in vollem Umfang an. Die zwei hier analysierten Lieder entstammen der Edition von Eugen Thurnher – Franz V. Spechtler – George F. Jones – Ulrich Müller (Hrsg.): Hugo von Montfort. Die Texte und Melodien der Heidelberger Handschrift cpg 329, Bd. II – Transkription (Spechtler), Göppingen 1978 (Göppinger Beiträge zur Textgeschichte Nr. 57). 137 186 1) Das Einlasslied Spechtler- Nr. 8 I Ich fröw mich gen des abentz kunft der nacht wenn sy her slichen tut das machet als ir lieb vernunft davon so han ich hohen mut das ich ir gut solt sehen an frowt sy mich nit die rain die zart so wer ich gar ain hürnin man II Ain glöggli man erklenket suss darnach hör ich ains hornes don ain halsen und ain lieplich kuss das wirt uns beiden nun ze lon wann schaiden daz tut also we und gedecht ich nit hinwider ze koment so wer mins senens dester me III Mitt zuchten schon gar an gevaer daby so mug wir wol bestan sait yeman davon adre mer da beschicht uns gar ungutlich an Venus und auch Jupiter die gand vor der sunnen damit so vert der tag daher Zur Form: Einfache Kansonenstrophe mit dem metrischen Bau: 4a 4b 4a 4b / 4c 4x 4c 187 Zum Inhalt: Strophe I: Das Lied verbindet in sich traditionelle Tageliedmotive, die es teilweise modifiziert. So wird hier der Liebende als derjenige ausgemalt, der mit Freude den Abend preist, an dem er sich mit seiner Erwählten treffen soll, in Hoffnung auf ein nächtliches Zusammensein. Traditionelle preisende Adjektive (die rain, die zart -V.6) werden mit der spätzeitlichen Metapher der Hörner verbunden, die dem Liebenden auf dem Kopf aufwachsen, falls er nicht erhört würde.138 Hier klingen also die Motive der Serena – eines abendlichen Zusammentreffens des Liebespaares − und der Befürchtung, nicht erhört zu werden, in neuartiger Ausformung an. Strophe II: Das Paar bekommt ein Zeichen (Glocke, Horn – oder handelt es sich um eine Abendglocke, ein Hornsignal, der den Abend ankündigt?) und erfreut sich am Liebesspiel, das in traditioneller Begrifflichkeit beschrieben wird (halsen, lieplich kuss -V. 3). In rascher Abfolge lässt Montfort die konstitutiven Tagelied-Motive anklingen ( das Sich-Scheiden-Müssen, Sehnsucht des Liebenden, wieder zu kommen, sonst wird sein Sehnen unerträglich), die bereits zu Formeln verkürzt sind, ohne den Inhalt des Tageliedes eigens formulieren zu müssen. Darin besteht die Neuartigkeit der Strophe. Strophe III: Die hier verwendeten Vorstellungen entstammen der Tradition: Der Liebende möchte die Heimlichkeit der Beziehung nicht verletzen und fürchtet, vom Munde der Dritten verraten zu werden (V.3f.). Ohne eine Erläuterung geben zu müssen, koppelt er an diese Vorstellung das Motiv des aufgehenden Morgensterns und des Jupiters: Gerade in diesem Augenblick ist das Liebespaar, wie das Publikum aus der Tradition weiß, am verletzbarsten. Der Tag kommt, die Trennung der beiden mitt zuchten steht bevor… Mit diesem Moment holt Montfort in sein Lied die alte Spannung, die aus der Bedrohung des Liebespaares durch den einhergehenden Tag resultiert, nur scheinbar zurück: Der traditionelle Ablauf, der mit dem Tagesanbrechen beginnt und über den Dialog der Liebenden mit deren Treuebekundungen bei ihrer Trennung 138 Ein ähnliches Motiv der wachsenden Hörner verzeichnet man in dem alttschechischen, in Form von Liebesbrief konzipierten späten Lied „Liebe in allen Ehren und in Treue“, wo der allzu lange der Gunst der Frau harrende Liebende fürchtet, es könnten ihm von dem langen (erfolglosen) Warten Hörner aufwachsen: … ich erfahre ständig genug Leid / von dem mir Hörner aufwachsen können / weil ich mit dir nicht sein / und in Freude verweilen kann. (Str. XV), Ed. Lehár (1990), S.228, Übersetzung Stanovská. 188 endet, wird jedoch ausgespart. Es sind hier mosaikartige Motive zusammengestellt, ineinander skizzenhaft verwoben. Fazit: Die Neuartigkeit des Liedes besteht einerseits in teilweise neuer Motivik und Bildlichkeit (Serena-Anklang, Hörner als Zeichen des Unerhörtseins). Neu ist vor allem die andeutende, skizzenhafte Art, auf die die alten Tagelied- Motive ins Geschehen gebracht werden. 2) Ein Tagelied (Dialog eines Sängers mit dem Wächter) Spechtler, Nr. 11 I Mich straft ain wachter des morgens fru er sprach wenn wilt du haben ruw din / singen abelan lieder tichten tu nit mer das rat ich dir by miner er davon man tantzen tut wachter des wil ich volgen dir der lied geticht ich niemer mir des solt du sicher sin suss muss ich loben selge weib die sind der welt doch laid vertreib ach gott wie lieb und zart ich welt / wer frowen übel sprech das man in durch die zungen stech das laster musst er han II Wachter nu merkh was da beschach was ich auff erden ye gesach das dunkht mich ain wind gen zarter lieber frowen gunst da hilfet weder sinn noch kunst das ist beweret wol 189 David und auch Salamon Sampson der möcht nit bestan der schönst verlor den leib das machet als der frowen werkh ain junfrow rait der künsten perkh nu dar ir seligen weib wer von den frowen schemlich sait das wirt im noch am lesten laid sy gat ain laster an III Wachter sich auf andz firmament er gat daher von orient ich hör der vogel sang durch gott wek alle selge weib ir er behuet irn stoltzen leib vor böser klaffer zung die minner die da rumser sind die sind in gesehenden ogen blind sy mugent nit bestan was ich von rosen ie gesach all blumen vin der lober tach daz dunkhet mich ain schimpf gen zarten lieben töchterlin ir geberd sind gut die blik sint vin gott geb in selgen tag a) Zur Form: Der metrische Bau folgt dem Schema: 4a 4a 3b 4c 4c 3d 4e 4e 3f 4g 4g 3h 4i 4i 3j. b) Zum Inhalt: In diesem Lied verbindet Montfort viele traditionelle Motive, die er jedoch in einem neuen Kontext behandelt. Auf den ersten Blick fällt die Figur des Mannes auf, der nicht mehr als Liebender, sondern als Sänger auftritt, der die guten Frauen mit seinem Sang preist. In diesen 190 Rahmen ist ein Tageliedgeschehen in völlig modifizierter Weise, ohne den üblichen Inhaltsablauf zu befolgen, eingefasst: Ein Wächter möchte den Sänger dafür bestrafen, dass er Tanzlieder verfasst. Der Sänger gelobt, weiterhin nur Lieder zu verfassen, die tugendhafte Frauen, ein laid vertreib (V. 11), besingen. Es wird weiter eine Kläfferschelte angekoppelt, die denjenigen treffen soll, der den guten Frauen Übles nachsagt (Str. I) Str. II: Der Dialog mit dem Wächter wird nun ins Didaktische gewendet, was ein modischer Zug der Spätzeit ist. In gebotener Kürze: Es sei unmöglich, den Frauen zu widerstehen, sie hätten schon das Leben vieler bedeutender Persönlichkeiten aus der Geschichte erschwert oder gar zerstört (David, Samson, Salomon, in Umschreibung wird auch Aristoteles - Phyllis Beziehung erwähnt – V. 26. Der Sänger möchte damit seine Belesenheit demonstrieren und belehren, indem er sich auf Autoritäten aus der Geschichte beruft). Der Schluss der Strophe klingt versöhnlicher aus: Nichts desto trotz sollen die guten Frauen vor der bösen Zunge eines Kläffers geschützt werden (V.28-30). Mit dieser Strophe wird von einem Tagelied Inhaltsablauf gänzlich ins Lehrhafte abgewichen. Gerade die Kontamination der Bauelemente ist in diesem Lied neuartig. Str. III: Am Interessantesten scheint die letzte Strophe zu sein. Mit dem Motiv des Tagesanbruchs beginnend, überleitet Montfort zu einer völlig neuen Situation: der Sänger fleht den Wächter an, mit Gottes Hilfe alle guten Frauen zu wecken, deren Makellosigkeit vor der üblen Nachrede der Kläffer zu behüten sei. Der Schutz Gottes soll sich m. E. auf die Tageliedsituation beziehen. Es klingt hier an, dass die Frauen (mit ihren Partnern, die während der Nacht bei ihnen weilten?), vor den Kläffern durch Gott beschützt werden sollen (V.34-36). Eine neue didaktische Ausweitung folgt unmittelbar nach: Diejenigen, die mit ihrem Minneerfolg prahlen, gleichen einem „sehenden Blinden“ und können den Anforderungen der Minne nicht Rechung tragen (V.37-39). Gott soll allen lieben schönen Frauen, die – im Vergleich mit all den Blumen der Welt – unvergleichbar mehr bedeuten – einen guten Tag schenken. Montfort möchte für diese Gottes Schutz erbitten. Fazit: 191 Das Lied kontaminiert viele nicht unmittelbar zusammenhängende Motive: Güte der Frauen, Frauenpreis, Kläfferschelte, Gefährlichkeit des Frauenzaubers (die guten Frauen sollen ja ausgenommen werden), vor der Folie eines Tagelied-Geschehens, das jedoch als ein loser Rahmen für die genannten motivischen Ausweitungen dient. Auch die Funktion des Wächters wird wesentlich modifiziert: Sein Weckruf soll alle guten Frauen unter Gottes Macht bringen und sie vor den Gefahren, die in einem üblichen Tagelied beschrieben werden und die hier nur andeutungsweise benannt werden, beschützen. Wir haben vor uns ein in vieler Hinsicht innovatorisches Lied. 192 Jüngere deutsche Liebeslieddichtung im Licht der gegenwärtigen Forschung Welche Charakteristika besitzen die jüngeren deutschen Liebeslieder? Diese seien hier in Anbetracht der bevorstehenden Analysen der alttschechischen Beispiellieder, denen entsprechende deutsche Liebeslieder zugeordnet werden, knapp zusammengefasst. Der Forschungstand zu der jüngeren deutschen Liebeslieddichtung, die ja viel vielfältiger als der Minnesang in ihrer Entwicklung ist, ist notwendigerweise noch weitmaschiger in der Auffassung. Ich lege einige vorläufige Zusammenfassungen zugrunde. Ein Teil dieser Lieder befolgt das „alte“, traditionelle Liedmodell (dies gilt beispielhaft für sehr viele Lieder aus dem Liederbuch der Clara Hätzlerin). Aber für die Mehrheit der Lieder ist demgegenüber ein „neues“ Liedmodell typisch (sei es als Liederbuchlyrik oder in OEvres einzelner „jüngerer“ Autoren). Brunner (1978) nennt als ein Charakteristikum eine „neue“ Liebesauffassung, eine „neue“ Art von Liebe: Beide Partner sind bereits in Liebe verbunden, ihr Verhältnis ist „weitgehend konfliktfrei“.139 Die Umbildung des „alten“ Liedmodells zu dem „neuen“ erfolgt nach Brunner in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts.140 Wachinger (1999) spricht in diesem Zusammenhang über eine Verschiebung des Zeitpunkts, in dem der Liebende seine Partnerin anspricht, von der Situation „vor irgendeinem Zeichen von Gegenliebe“ (Hohes Minnelied) zu einer bereits bestehenden Liebesbindung, aus der heraus der Liebende spricht (jüngeres Liebeslied).141 Ein neuer Wesenszug dieser Lieder ist, als eine Konsequenz ihrer Umgestaltung, eine neue, weitgehende Schematisierung und Typisierung. Die Gefährdung der Liebesbindung der Partner kommt in „neuem“ Liedmodell von Außen her: oft durch die „Kläffer“, die das Verhältnis der Liebenden stören oder sie zu verfeinden trachten. In diesen Liedern wird am häufigsten die räumliche Trennung beider Partner zum Thema (das nicht selten durch die Kläffer verursacht wurde). Umso mehr hofft der Liebende, dass ihm seine Partnerin treu und gewogen bleibt. Die „neue“ Richtung vertreten nach Brunner unter den Autoren in erster Linie der Mönch von Salzburg, in der Liederbuchlyrik dann die Lieder der Sterzinger Miszellaneen-Handschrift, die als Beispiel für viele Lieder des 15. Jahrhunderts steht.142 Bis zum heute ist die jüngere deutsche Liebeslieddichtung nur zu einem Teil in Editionen und Monographien erschlossen. In der letzten Zeit ist in diesem Zusammenhang auf folgende 139 Brunner (1978), S. 136. Brunner (1978), S.124f. 141 Wachinger (1999), besonders S. 21f. 142 Brunner (1978), S.124-129. 140 193 Arbeiten hinzuweisen: Hages-Weißflog übersetzte, untersuchte und kommentierte in ihrer Edition eingehend die Lieder Eberhards von Cersne, wobei sie u. A. die Zusammenhänge erhellt, die zwischen der Bildlichkeit dieser Lieder und den Bildern im Minnesang und in der Minnerede bestehen (1998).143 März charakterisierte in seiner Edition der weltlichen Lieder des Mönchs von Salzburg (1999) sehr anschaulich den Experimentierwillen, die hoch entwickelte Artistik und Symbolträchtigkeit dieser Lieder.144 Wachinger bringt in seiner Edition der Lieder des Oswalds von Wolkenstein neben den Kommentaren auch deren Übersetzungen.145 Wachinger brachte auch in neuester Zeit eine repräsentative Edition der Lyrik des späten Mittelalters, ebenfalls mit Übersetzungen und Kommentaren versehen (2006).146 Nicht nur die Oeuvres der einzelnen Autoren der Spätzeit, sondern auch die Poetik der Liederbuchlieder wird zum Gegenstand einer fortlaufenden Erforschung. Meyer und Kern (2002) behandelten besonders die Lieder mit Tier- und Falkensymbolik, die als ein charakteristisches Beispiel für die Wesensart dieser Lieder stehen. Kern hebt als Charakteristika dieser Lieder besonders hervor: die Heterogenität der Überlieferungsträger147 und Synkretismus (Anreicherung traditioneller lyrischer Grundmuster um „Stimmen, die aus anderen lyrischen oder epischen Gattungen stammen“)148, die Mischung von Gattungs- und Diskurstypen.149 Von einer Kontinuität mit traditionellen Vorläufern darf dabei nicht abgesehen werden. Mit Kern gesagt: Kontinuität ist in Wortschatz, Sujets, Formen, Aufführungsmodi, Registern und Überlieferungstypen benennbar.“150 In einem weiteren Aufsatz über die deutsche Liebeslyrik des 15. und des 16. Jahrhunderts charakterisiert Kern die Wesensart dieser Lyrik mit Hilfe des Begriffs „Hybridität“, der eine Vermischung von Sichtweisen und von den Blickwinkeln bezeichnet, unter denen ein Thema behandelt wird. Ein Lied kann, wie Kern an seinem Beispiellied darlegt, einen losen Rahmen eines Abschiedsliedes aufweisen, in den nicht nur der Abschiedsdialog der Hauptprotagonisten wie erwartet zu finden ist, sondern auch mitunter misogyne Frauenkritik und schwankhafte Motive, didaktischer Unterton, ein eingeschobener Exkurs aus dem Liebesleben des Vergils u.A.m. Ein Thema kann hier beliebig „ausufern“, ausarten. Dies führt 143 Hages-Weißflog (1998) März (1999) 145 Wachinger (1995) 146 Wachinger (2006) – Bibliothek des Mittelalters, Band 22. 147 Kern (2002), S. 568. 148 ebenda, S. 574. 149 ebenda, S. 575. 150 ebenda, S. 569. 144 194 zu einer Schwierigkeit, die Poetik dieser Lieder mit den heutigen theoretischen Kriterien zu erfassen.151 Abweichend vom bisherigen Verfahren interpretiere ich charakteristische deutsche Lieder dieses Abschnitts im Zusammenhang mit der Charakterisierung der alttschechischen Liebeslieddichtung (Teil II). TEIL II Alttschechische Liebeslieddichtung – Versuch einer Charakteristik Die alttschechischen Liebeslieder sind ein Teil der europäischen weltlichen Liebeslieddichtung. Eine besondere Nähe zeigen sie einerseits zum deutschen Minnesang, andererseits zu der jüngeren deutschen Liebeslieddichtung. Bereits während meiner Arbeit an der deutschsprachigen Edition der tschechischen weltlichen Liebeslieder des 14. und 15.Jahrhunderts152 wurde mir der besondere Charakter der alttschechischen Liebeslieddichtung bewusst: Die Grundhaltungen des Minnenden spielen vor der Folie des klassischen Minneliedes. Das „alte“ Liedmodell wird in den wichtigsten alttschechischen Liedtypen, der Liebesklage und dem Preislied, präsent. Die Tradition des deutschen Minnesangs von seinen Anfängen bis ins 13. Jahrhundert dokumentierte ich im ersten Teil dieser Arbeit anhand der Analysen charakteristischer Liedbeispiele. Manche davon sind bereits viele Male interpretiert worden; als „Hauptlieder“ waren sie für diese Untersuchung jedoch nötig, um in der alttschechischen Liebesdichtung gerade die älteren Denkmodelle, Themen und Motive aufzuzeigen, die sie nicht in wenigen Fällen auf eine erstaunlich präzise Weise wiedergibt. Die alttschechische Liebeslieddichtung rezipierte gleichzeitig auch Neues, in erster Linie Elemente wie Farbenallegorie (Minnelehre, Preislied), einfache Sprachformeln (Liebesbrief), lehrhafte Passagen (Liebesklage), Kläffer-Motiv (Liebesklage, Tagelied). Dies sind Neuerungen, die Brunner als Elemente anführt, die auch in der zeitgleichen jüngeren deutschen Liebeslieddichtung zu finden sind.153 Diese neuen Elemente, die es in vielen alttschechischen Liedern gibt, dienen hier – was überraschen mag – jedoch nicht selten der 151 Kern (2005), S. 11-39. Stanovská / Kern (Hrsg.): Alttschechische Liebeslyrik. Wien 2010. (Kommentierte Edition mit deutscher Prosaübersetzung aller Lieder). 153 Brunner (1978), S. 118. 152 195 Betonung des „alten“ Liedmodells. Ähnliches ist auch bei einem Teil der jüngeren deutschen Liebeslieddichtung festzustellen. Dies ist höchstwahrscheinlich als eine Reaktion der Autoren auf den Wandel der Liedmodelle in der Lieddichtung zu werten, der um 1400 voll im Gang war. Die alttschechischen Autoren waren, wie bereits die Edition deutlich zeigt, in ihrer Mehrheit mit den Traditionen unterschiedlicher Phasen des Minnesangs sehr gut vertraut;154 sie kannten aber offensichtlich auch die „neuen“ Tendenzen und waren bereit, mit diesen vor allem innerhalb des „alten“ Liedmodells zu experimentieren. Die alttschechischen Lieder nehmen so eine Zwischenstellung zwischen dem älteren deutschen Minnelied und dem neueren deutschen Liebeslied ein. Es ist eine Aufgabe der folgenden Analysen, die wesentlichen Einflussbereiche des Alten und Neuen in den alttschechischen Liebesliedern im Detail aufzuzeigen. Als Arbeitsmethode wurden deren Vergleiche mit der älteren wie auch der neueren Minnesang- und Liebesliedtradition gewählt. Die Mehrheit der alttschechischen Lieder verbindet in sich Altes und Neues. So sind hier keine „Phasen“ wie bei dem deutschen Minnesang festzustellen, sonder jedes Lied muss als ein Neuansatz betrachtet und interpretiert werden. Jedes Lied steht also für sich, kann nicht für ein anderes Lied stehen oder es vertreten. Dies ist ein Charakteristikum der alttschechischen Liebeslieddichtung, die sich gegenüber der deutschen Liebeslieddichtung, welche in vielen Fällen auf Schemata beruht, als viel vielfältiger erweist. Deshalb wäre es geboten, alle alttschechischen Lieder einzeln zu interpretieren. Ich interpretiere zwar die Mehrheit; aus Raumgründen werden manche Liebeslieder in Form von summarischen Kennzeichnungen angeführt. Für eine Gliederung bietet sich an, die Lieder nach den Liedtypen einzuteilen, die in der Arbeit an der Edition gewonnen wurden. Die Lieder wurden insgesamt in acht Liedtypen aufgeteilt: 1. Liebesklage 2. Altersklage 3. Liebesklage und Liebeslehre 154 Diese Feststellung erhärtet die Hypothese, dass im böhmisch-mährischen Raum die Minnesang-Tradition lebendiger gewesen sein muss als man bisher meinte. Vor dem Hintergrund der erstaunlicher „Antikvierung“ mancher alter Topoi ist sogar an die Existenz schriftlicher Aufzeichnungen der Minnelieder älterer Art durchaus zu denken. 196 4. Preislied 5. Preislied an den Geliebten 6. Tagelied 7. Minneleich 8. Minnebrief Bei jedem Liedtyp werden ein oder mehrere alttschechische Lieder als Beispiele interpretiert, wobei zum einen der Zusammenhang mit dem deutschen Minnesang, wie er in dem Teil I der Arbeit charakterisiert ist, zum anderen mit der jüngeren deutschen Liebeslieddichtung, zu der in diesem Teil II Beispiele herangezogen werden, hergestellt werden soll. Die hier an dieser Stelle angeführten jüngeren deutschen Lieder sollen ähnliche Typen repräsentieren. Es soll für beide Sprachräume vor allem die Vielfalt der Möglichkeiten, die bei der Einbettung von ähnlichen Motiven und Elementen in diese Lieder entsteht, gezeigt werden. Die Lieder sollen danach befragt werden, ob sie eher das „alte“ oder das „neue“ Minnemodell vertreten und welche Aufgabe die Darstellungsmittel, seien sie alt oder neu, dabei erfüllen. Die jüngere deutsche Liebeslieddichtung wird teilweise durch die Lieder aus dem OEuvre einzelner Dichter, teilweise durch Lieder aus den Liederbüchern vertreten. Es werden Lieder folgender Autoren in die Betrachtung einbezogen: Eberhard von Cersne, Hugo von Montfort-Bregenz, Mönch von Salzburg, Oswald von Wolkenstein. Die Breite der anonymen Überlieferung (der Liederbuchlyrik) lässt eine Einschränkung geboten erscheinen. Es werden deshalb folgende Liederbücher herangezogen: 1. Die Sterzinger Miszellaneen-Handschrift ( erstes Jahrzehnt des 15. Jhs., Edition Zimmermanns) 2. Die Berliner Handschrift Germ. Fol. 922 (zwischen 1410-1430 geschrieben, Edition Langs) 3. Das Liederbuch der Clara Hätzlerin ( 1470, Edition Haltaus bzw. Fischers) 4. Das Königsteiner Liederbuch (um das Jahr 1469 niedergeschrieben, Edition Sapplers) 5. Die Darfelder Liederhandschrift ( zwischen 1546-1565 niedergeschrieben, Edition Brednischs) 6. Das Lochamer Liederbuch (Edition Salmens / Petszchs, um die Mitte des 15. Jahrhunderts niedergeschrieben) 197 Beigezogen wurden auch die Edition der jüngeren deutschen Liebeslieddichtung von Kiepe (Epochen der deutschen Lyrik, hrsg. von Walther Killy, Band 2, 1972 und die bisher neueste Edition der jüngeren deutschen Liebeslieddichtung von Wachinger (2006). Eine Gegenüberstellung ist vor allem deshalb kompliziert, weil man in der deutschen Literatur das Erbe des Minnesangs gleichzeitig in mehreren Ausprägungen des späteren Liebesliedes feststellen kann: Die OEuvres der angesehenen Autoren der Spätzeit bieten ein anderes Erscheinungsbild als der Strom der anonymen späteren Liebeslieddichtung. Deshalb können die folgenden Analysen nichts mehr sein als ein Ansatz zur weiteren Erforschung. Es soll die Art aufgezeigt, auf welche in den Liedern beider Sprachräume die Tradition und Innovation miteinander verwoben sind. Liedtyp I: LIEBESKLAGE Mehrere alttschechische Liebesklagen schildern die Situation eines Liebenden, der bei seiner Dame in Ungunst geraten ist. Als Grund dafür gibt der Liebende eine Verleumdung von Seite Dritter (Kläffer) an. Dieses Szenario, das in den Liebesklagen wiederholt Anwendung findet, ist eine Variation einer traditionellen Liebesklage, in welcher der Mann keine Zuwendung der Dame findet. Im Einklang mit den spätzeitlichen Tendenzen wird im alttschechischen Milieu die Gefährdung des Liebenden von Außen betont. Grundsätzlich ist jedoch die Frage: Wird hier der Zeitpunkt näher erfasst, zu dem die Handlung spielt? Ist hier von einer Liebesklage im „alten“ Sinne zu sprechen, die den Liebenden am Anfang seiner Bemühungen um die Gnade der Dame darstellt, oder von einer Beziehung, die, bereits bestehend, gefährdet ist? BEISPIEL I I,1: Das Lied „Ach, toť sem smutný i pracný” / Ach, wie bin ich traurig und bekümmert a) Überlieferung: Sandomir in Polen, 2.Hälfte des 14. Jhs. 1 Pergamentblatt, Faksimile bei Zíbrt, Český lid 22 (1913),S. 235f. Heute verschollen. b)zur Form: Strophenbau 8a 4a 4b 8c 4c 4b 8d 4d 4e 8f 4f 4e 198 Die metrische Struktur der Strophe (regelmäßiger Wechsel zwischen den Lang- und Kurzversen) trägt zur Dynamik der Aussage bei. Die Wiederholung der Kurzverse beschleunigt den Rhythmus und unterstreicht den Klagegestus. c)zum Inhalt: Strophe I: Klage eines Liebenden, der über seine Leidsituation in Form einer rhetorischen Frage berichtet, die von der Interjektion des Leids Ach eingeleitet ist. Seine seelische Befindlichkeit betonen weiter gleich drei Adjektive: traurig, bekümmert, unbeachtet (auch im Sinne von unwillkommen); Das Ich befindet sich in der Fremde (V. 1-3). Sowohl eine wörtliche als auch eine metaphorische Bedeutung dieser Wendung ist denkbar: der Minnende kann tatsächlich in eine Situation des Fernseins von seiner Dame geraten sein. Der Begriff Fremde kann aber auch Metapher für einen in Missgunst Geratenen, „Fremdgewordenen“ sein. Entsprechend mehrdeutig sind auch die unmittelbar darauf folgenden Verse zu verstehen, die die zweite Strophenhälfte eröffnen: Fern bin ich, ganz unbekannt (V. 4). Der Liebende verzehrt sich trotz Ungunst in Liebe: ich seufze vor Sehnsucht (V. 5-6). Die Gesellschaft ist durch die „Feinde“ der Liebesbeziehung repräsentiert. Der Liebende wird in jeder seiner Regungen genau beobachtet − dies ist auch der Grund seiner Klage: Wohin ich mich auch wende, dort spricht man von mir: Dadurch ist er beängstigt (V. 7-9). Dies wird ausgeführt: Er kann böser Nachrede nicht entkommen (Viele reden <über mich> nach Belieben, ungehindert) (V. 10). Das Motiv der Liebesfeinde ist im Einklang mit den neuen Tendenzen entsprechend akzentuiert. Dennoch hofft er auf bessere Zeiten: doch noch habe ich den Mut nicht verloren / und trage Hoffnung im Herzen (V. 11-12). Das „alte“ Motiv der Hoffnung (vgl. das mhd. gedinge) deutet darauf, dass sich der Liebende erst in der Anbahnungsphase seiner Beziehung zu der Dame befindet. Strophe II: Der Liebende begründet seine Hoffnung im traditionellen Sinne mit seiner größten Tugend, der Beständigkeit, durch die er sich mit seiner Erwählten auch gerade in der Situation der Trennung verbunden fühlt: Er richtet seinen Sinn stets auf sie. Dieser Hinweis auf seine Leistung unterstreicht indirekt sein Hauptanliegen, seine „Minnewürdigkeit“, sein Recht, von seiner Partnerin belohnt zu werden (V. 1-3). 199 Da sich seine Lage als die der größten Not erweist, wendet er sich an den Höchsten: Er umschreibt sich selbst, sein Missgeschick hervorhebend, als einen, der keine Gnade finden kann; der deshalb Gott, den Allmächtigen, ohne Unterlass, Tag und Nacht um Hilfe anruft (V. 4-6). Auch dieses Motiv ist dem Fundus der traditionellen Liebesklage entnommen. Es findet in dem jüngeren Liebeslied ebenfalls reiche Anwendung. Der Liebende wies bereits auf seine beste Eigenschaft, die „Beständigkeit“ (staete), hin. Deshalb betrachtet er die feindliche Haltung der Dame als eine unbegründete: Er weist ihr diese als eine Schuld zu, die sie zu sühnen hat. Noch ist es leicht zu machen, wenn sie ihre Missgunst ins Gegenteil wendet (V. 7-9). Der Mann unterstreicht seine Aussage mit dem wichtigsten Argument, der, als Ausruf gestaltet, die Situation noch bewegender erscheinen lässt. Wieder ist Gott angerufen, in gezielter Richtung: selbst Gott möge sich darüber erbarmen, dass dem Liebenden, der an sich doch der Tugendhafte ist, ohne jede Schuld Leid zugefügt ist. Er argumentiert raffiniert: Gott müsse sich meiner erbarmen; bis in den Himmel hinan ruft meine Unschuld! (V. 10-12) Strophe III: Sie gründet sich auf die allgemeine christliche Lehre, dass Gott mehr die Guten (Tugendhaften) als die Bösen belohnen wird. Der Liebende hofft deshalb darauf, dass die böse Absicht den Feinden nichts bringt und die Fremden (d.h. die unschuldig Leidenden, Verstoßenen) wie er, Gottes Gnade erfahren (V.1-3). Zum Schluss des Liedes wendet er sich noch einmal an Gott: Als Gottessohn solle Christus seine Macht über die Lügner (wörtlich diejenigen, die Krummes denken) so vollstrecken, dass sie seine Bestrafung fühlen. Die Strophe wird in Form einer flehenden Bitte des Liebenden an Gott arrangiert, die missgünstigen Zustände zu ändern (V. 4-6). Fazit: Die wesentlichen Denkbewegungen des Mannes stimmen mit der traditionellen Liebesklage überein: die „alte“ Perspektive eines unbegründet hoffenden Mannes wird hier durch den Aspekt der Verleumdung von Seite Dritter steigernd und auf eine „neue“ Art zum Ausdruck gebracht. Die Verleumdung scheint die Beziehung gleich an ihrem Anfang, in ihrer Anbahnungsphase, zu beeinträchtigen: Hier sehe ich eine besondere Nähe zu der traditionellen Liebesklage. Das „alte“ Liedmodell wurde hier weiterhin genutzt, indem das „modische“ Motiv der Kläffer in die „alte“ Perspektive einbezogen wurde. 200 Text des Liedes und seine deutsche Prosaübersetztung:155 I 5 10 II 5 10 III 5 I 5 10 II 155 Ach, toť sem smutný i pracný i nevzácný v cizém kraji! Dalekoť sem v neznámosti, v nemilosti túhú lkaji. Ro. Kudyžt‘ sě koli obráci, tuť sem v práci, až sě bojím. Mnohýť mluví, jakštoť ráčí; bez rozpači srdce kojím. V. Bych byl dále nežliť mnoho, vždy dle toho chci pomnieti. Ve dne v noci křičím k Bohu, jenž nemohu přiezni jmieti. Ro. Snadnoť paní spraví vinu v tu hodinu, když chtie jieti. Sžěl sě toho Hospodinu! Pro nevinu jmiech vzieti i trpěti. V. Však žeť zlým zlost nespomóž, vieceť Bóh móž cuzím dáti. Synu boží milostivý, vieš, kto křivý, rač to znáti. Ach, wie bin ich traurig und bekümmert und unbeachtet in der Fremde! V. Fern (von ihr) bin ich, ganz unbekannt, und in Ungunst seufze ich vor Sehnsucht. Ro. Wohin ich mich auch wende, da spricht man von mir, bis ich ganz verängstigt bin. Viele reden (über mich) nach Belieben, doch noch habe ich den Mut nicht verloren, und trage Hoffnung im Herzen. V. Auch wenn ich ferner als fern von ihr wäre, würde ich meinen Sinn stets auf sie richten. Alle hier angeführten Texte wie ihre Prosaübersetzung sind der Edition von Stanovská / Kern entnommen. 201 5 10 III 5 Tag und Nacht rufe ich zu Gott, ich, der ich keine Gnade finden kann. Ro. Leicht kann die Herrin ihre Schuld wieder [sühnen, in der Stunde, da sie ihre Gnade [erweisen will]. Gott möge sich darüber erbarmen! Obwohl ich unschuldig bin, musste ich bis anhin (Leid) annehmen und [leiden. V. Da aber böse Absicht den Bösen nichts bringt, wird Gott eher die Fremden belohnen. Barmherziger Sohn Gottes, du weißt, wer Krummes denkt – mögest du es vermerken. DER ZUSAMMENHANG MIT DEM MINNESANG: Das Motiv der Bedrohung von Seite der Verleumder, welches nicht weiter ausgeführt ist, findet sich bereits in der rheinischen Phase des Minnesangs bei Friedrich von Hausen, Str. MFMT 48,32. So wie beim alttschechischen Lied wird hier Gott angerufen, den Verleumdern Lied zuzufügen: Dô ich von der guoten schiet und ich ir niht ensprach, als mir waere liep, des lîde ich ungemach. daz liez ich durch die () diet, von der mir nie geschach deheiner slahte liep, wan der die helle brach, der vüege in ungemach. Durch sein Fernsein möchte hier ein Liebender die Gefahr von Seiten seiner Gegner vermeiden. Das Lied setzt mit einer Frauenstrophe als Wechsel fort. DAS ALTTSCHECHISCHE LIED IM LICHTE DER SPÄTEREN DEUTSCHEN LIEBESLIEDDICHTUNG 202 Ähnliches bietet das Lied I/Nr. 90 des Liederbuchs der Clara Hätzlerin (Edition Haltaus). Es stellt ein traditionelles Lied dar, in dem die „neuen“ Motive in die „alte“ Perspektive eingebettet werden, ohne diese zu beeinträchtigen. Ein Liebender klagt in der Anfangsstrophe über die Missgunst, die ihm von Seiten seiner Partnerin widerfährt: Mit senen bin ich überladen! / Die sucht will mich die krencken, / das mich mein lieb nit will genaden; Wes sol ich mir gedencken? (Strophe 1). Schuld daran sind die Kläffer, deren Neid dem Liebenden böse zugesetzt hat und der seine jetzige Lage verursachte: Der claffer neid ist mir ze swär / des hab ich wol empfunden (Strophe 2, V. 1-2). Dieses Motiv wird noch gesteigert: der Liebende wünscht, sich an den Kläffern rächen zu können. Der anonyme Autor bedient sich an dieser Stelle „neuer“ Sprachformeln und „neuer“ Bildlichkeit: der Liebende würde die Kläffer am liebsten mit einer Hundemeute verfolgen und weghetzen: Solt ich mich rechen nach meiner ger / Ich hatzt sy vsz mit hunden (V. 3-4). Das Motiv der Rache an Merkern, die hier als „Kläffer“ auftreten, gehört zum motivischen Fundus des Minnesangs. Die Erweiterung zu einer Jagdszene ist ein Element neuerer Art (Strophe 2). Auch der alttschechische Dichter äußert die gleiche Absicht, die Kläffer zu bestrafen. Er greift dabei auf das alte Motiv der Bitte Gottes um Hilfe zurück, das er in verdeutlichender Funktion an den Schluss des Liedes einbringt: Barmherziger Sohn Gottes, / du weißt, wer Krummes denkt – / mögest du es vermerken (III,10-12). In dieser Hinsicht bleibt das alttschechische Lied traditioneller. Der Liebende im deutschen Lied wendet sich indirekt an die Partnerin. Er bittet Gott, dass sie sich besinnt und an ihm gerecht handelt. Das Motiv der Anrufung Gottes verwendet hier der deutsche Verfasser in ähnlicher Funktion wie im alttschechischen Lied. Als die Hauptleistung, die als ein Argument dient, die Dame zu Gnade zu bewegen, wird die Beständigkeit des Liebenden betont. Diese Motive und deren Verwendung stehen dem alttschechischen Lied, besonders folgenden Textpassagen: II,4-12, III (Anrufung Gottes) insgesamt sehr nahe: Ach got, das sy sich recht bedächt / Vnd nem von mir mein leiden / So wolt ich sein ir triuer knecht / Vnd vnmuot gantz vermeiden (Strophe 3). Der Liebende kommt nochmals verdeutlichend auf die Verleumdung von Seite der Kläffer zurück. Er sagt klar: Weil er jetzt für „eine Situation, welche die Fremden verursacht haben“ büßen muss, trauert er und wartet mit Ungeduld auf eine Besserung seiner Lage, die jedoch, wie der letzte Vers andeutet, völlig im Ungewissen liegt: Muosz ich engelten främder Schuld, 203 / Das will ich ymmer clagen, / Vnd wirt gar grosz mein vngedult, / Hartt kann ich daz getragen (Strophe 4). Der alttschechische Dichter thematisiert denselben Aspekt: (Obwohl ich unschuldig bin, / musste ich bis anhin (Leid) annehmen und leiden- II,10-12). Die letzte Strophe des deutschen Liedes, die Hoffnung des Mannes auf Wendung dieser Umstände thematisiert, ist in ihrem Schluss (ähnlich wie die II. Strophe mit Hilfe der Jagdthematik) mit Hilfe des Motivs „Verderben durch Liebe“ „Liebestod“ gesteigert: Der Liebende hofft auf Gnade der Partnerin. Wenn dies nicht geschehen sollte, würde er lieber sterben. Diese seine Haltung, an inhaltstragender Stelle zur Sprache gebracht, soll die Dame endlich zu einer Geste der Gunst bewegen. Ich harr getraw vnd hab gedingen, / Sy lasz mich nit verderben, / Wann solt mir von ir nit gelingen, / Vil lieber wolt ich sterben! (Strophe 5) Der alttschechische Dichter bedient sich an der gleichen Stelle des Motivs der Anrufung Gottes um Hilfe. Dieselbe Absicht des Liebenden: Seine Hoffnung, Lohn zu erlangen, wird Gott, dem Höchsten, anbefohlen: Da aber böse Absicht den Bösen nichts bringt, / wird Gott eher /die Fremden belohnen (III,1-3). Fazit: In beiden Liedern wird ein und dasselbe Thema – Ungunst der Dame – unter Verwendung von teilweise gleichen (Beständigkeit, Hoffnung), teilweise unterschiedlichen Motiven (Liebestod des Mannes im deutschen Lied) durchgespielt. Das wichtigste gemeinsame Motiv ist die Verleumdung des Liebenden durch den Mund der Kläffer. Dadurch fällt er bei seiner Dame in Ungnade. Die Perspektive ist in beiden Liedern traditionell: Der Liebende hegt Hoffnung auf Wendung seiner Lage. Es liegt dabei völlig im Ungewissen, ob ihm die Gunst seiner Partnerin tatsächlich zuteil werden wird. Im Lied Nr. 45 des Königsteiner Liederbuchs (Edition Sapplers) wird das Motiv der „Kläffer“ im ähnlichen Sinne eingesetzt, mit dem Unterschied, dass hier die „Kläffer“ eine bereits bestehende Liebesbeziehung stören. Der Liebende beklagt sich eingangs − ebenfalls in Form einer rhetorischen Frage – über sein Unglück: er wurde von den Kläffern verleumdet: Ach got, wie sal ich eß nemen vor / ander was ich begene? / das ich muß schwigen, so ich dach hor, / das bedrübet mir die sinne; / das brengt mir leit an underscheit / und han kein freid / wan ich eß recht besinne. (Strophe I) 204 Genau in der Situation, in der die Dame dem Liebenden gewogen ist, kommt der „Hass und Neid“ der „Kläffer“: Ab nuw zu zittten qwem die wil, / das ich in freuden stan, / so kommet haß und nitt mit schneller il, / heißet mich von dannen gan. (II, 1-4) Der Liebende muss sich deswegen von seiner Dame entfernen. Die Neider werden verflucht: die sent gebarn zu itelm zorn (II, 5) Hier besteht der markanteste Unterschied zu dem alttschechischen Lied: Die Dame wird als eine dargestellt, die dem Liebenden entgegenkommt (V. 1) Der Liebende hofft aber weiter auf Wendung dieser für ihn unglücklichen Lage. Er beschuldigt die Kläffer: Ihretwegen schwindet seine Freude. Er würde auf einen glücklichen Ausgang hoffen: Er möchte in der Nähe der Dame sein. Dies wird aber vom „Kläffer“ erschwert: Walt noch gelöck mer wonen bi, / so wolt ich inn freuden stan, / und hoffen soll dann warten min, / es mack noch minem wiln ergan. / der kleffer haß der thut mir das / das ich varbaß / inn freuden kann gestan (III. Strophe). Das Maß seiner Zuversicht, Erfolg zu erzielen, (es mack noch minem wiln ergan), ist bereits höher als im „klassischen Minnelied“ eingeschätzt. Dies verrät eine allgemeine Tendenz der Lieder der Spätzeit, die den Mann dominanter erscheinen lassen: er möchte selbst aktiv sein.156 Fazit: Die wichtigste Neuerung dieses Liedes gegenüber dem alttschechischen Liedbeispiel besteht in der Darstellung der Dame, die dem Liebenden gegenüber Gewogenheit zeigt. Der Verlauf ihrer Beziehung wird jedoch von den Kläffern beeinträchtigt. Das Lied bahnt sich den Weg zum „neuen“ Liedmodell. BEISPIEL II Das Lied „Předobře rozumiem tomu“ / „Ich verstehe allzu gut“ Die folgende Analyse bringt ein alttschechisches und ein deutsches Absagelied: Der werbende Mann wendet sich von seiner Erwählten ab, weil er nicht erhört wird. Dieses Thema, das im Widerspruch mit der Haltung des Liebenden im „hohen“ Minnesang steht, kommt deshalb bei den älteren Autoren nur sehr selten zum Tragen (z. B. in Hausens Kreuzzugslied MFMT 47,9ff.). In der späten Lyrik wird es viel öfter thematisiert. Das tschechische Lied verwendet in dieser Hinsicht ältere Begrifflichkeit: Der Mann betont seinen „Dienst“, den er aufkündigt. 156 ähnlich Brunner (1978), S. 136. 205 Wie der Vergleich zwischen beiden Liedern zeigt, liegt hier nicht nur Gemeinsames vor. Im alttschechischen Lied ist sein „Mischcharakter“, im deutschen Lied sind eindeutige Züge der Spätzeit, des „spätmittelalterlichen Minneliedes“157 nachweisbar. Die alttschechische Liebesklage Ich verstehe allzu gut a) Überlieferung: Vyšší Brod – Knihovna cisterciáckého opatství (Bibliothek der Zisterzienser-Abtei), Ms. 42, Innenseite des Vorderdeckels. Die Edition von H. Rothe bietet eine Übersetzung und ein Faksimile des Textes (S. 39 und S. 63). b) zur Form: einfache Achtzeiler, metrischer Bau der Strophe: 4a4b4a4b4c4d4c4d c) zum Inhalt: Thema: Der werbende Mann, der trotz seines beständigen Dienstes bei seiner Erwählten keinen Erfolg erzielen konnte, bricht seinen Dienst ab. Die Aufkündigung wird durch Argumentationsschritte begründet. Strophe I: Sie wird eröffnet mit der rhetorischen Geste der Empörung des Mannes (ich verstehe allzu gut / die Haltung, die mein Herr mir gegenüber einnimmt)(V. 1-2). Daraus folgert er: Er muss anderswo einen Dienst antreten, um nicht länger dem Spott der Liebsten ausgesetzt sein zu müssen (V. 3-4). Das Motiv des Spottes ankert z. T. im älteren Minnelied, wurde jedoch vom späteren deutschen Liebeslied übernommen und häufig verwendet. Es ist hier jedoch ein deutlicher Hinweis auf alte Liedtradition aufzufinden, der umso mehr überrascht, umso neuartiger das Sujet des Liedes ist: Die Frau wird vom Mann konsequent mit dem maskulinem Terminus „mein Herr“ bezeichnet.158 157 vgl. Brednich (1976), S. 197 (Darfelder Liederhandschrift). Es ist rätselhaft, wie dieser Einfluss in die alttschechische Liebeslieddichtung gelangt sein mag, der entfernt an die romanische Trobador- und Trouvérelyrik erinnert. Es ist hier wohl an eine Berührung mit dem romanischen Raum, mit der weltlichen Liebeslyrik Italiens und Frankreichs zu denken, wohin die tschechischen Scholaren, die seit Vilikovský für Hauptverfasser der tschechischen weltlichen Liebeslyrik gehalten werden, oft zum Studium kamen. Im deutschen Raum hat sich dieser Terminus nicht durchgesetzt. 158 206 Der Betroffene, seinen Misserfolg trotz treuem Dienst beklagend, begründet damit seinen Entschluss: ich will einem anderen Herrn dienen (V. 4-8). Strophe II: Dies wird noch ausgeführt: zuerst will er die einstige Erwählte meiden, im Moment einer neuen Dienstaufnahme endgültig Abschied nehmen (V. 1-4). Das Motiv des Abschieds wird rhetorisch verdeutlicht: Der Mann empfindet ihn als überaus schmerzlich: Er scheidet leidvoll und leiderfüllt, höchst ungern (V. 5f.). Die Szene wird zum zweiten Mal intensiviert: zum zweiten Mal äußert der Mann sein empörtes Bedenken über die Hartherzigkeit der Geliebten: ich staune über deine Liebe / dass du mich jemals von dir gehen lässt (V. 7f.). Diese Passage besitzt außer ihrem verdeutlichenden Charakter auch einen wirkungsvollen argumentativen Wert. Strophe III: Sie ist ein weiteres Beispiel für eine Steigerung, die argumentativ ausgenutzt wird, obwohl sie denselben Inhalt wiedergibt. Entscheidend ist hier die Intensität der Formulierung, die mit Hilfe von einfachen Formeln erzielt wird: Durch die Wiederholung der Verse 2 und 4 in variierter Wortfolge (Vorwurf an die Partnerin): Ich war dir immer in treuem Dienst ergeben, aber es hilft nichts. Weshalb sollte ich unbelohnt dienen, wenn es nichts hilft? (III, 1-4) Mit Hilfe von traditioneller Terminologie entschließt sich der Mann, seine Liebste zu verlassen: Da er nie ein Gunstzeichen (liebes Wörtlein) gewinnen konnte, stellt er sich zur Wehr gegen den Spott, von dem er bereits in der Anfangsstrophe spricht (III, 5-7). Durch das Motiv der Verspottung des Mannes werden die Strophe I und III motivisch verbunden. Im letzten Vers erfährt die Strophe eine letzte Steigerung durch die Verwendung des Narrenmotivs (Liebesnarr), das in diesem Kontext als ein verbreiteter Topos vor allem in der 207 Spätzeit galt. Das geschieht in Form eines letzten Zornausbruchs: mach einen anderen nun zum Narren! (V. 8). Der Text des Liedes und seine Prosaübersetzung: 5 II 5 III 5 I 5 II 5 III Předobře rozumiem tomu, kterak mój pán ke mně miení. V. Proto chci slúžiti z domu, nechciť býti v jeho smiení. Ro. Poněvažť neráčí dbáti na svého sluhu věrného, Ro. musiem službu nerad vzdáti, chciť mieti pána jiného. V. Vystřiehámť se proti tobě žeť již nemiením ostati. V. Kdyžť já pána optám sobě, tedyť tě chci požehnati Ro. velmě s velikú žalostí, nebť bych nerad od tebe. Ro. I divím se já tvé milosti, že mě kdy pustíš od sebe. V. A jáť sem vždyckny věrně slúžil, anoť to platno nic nenie. V. Čemužť bych já zdarma slúžil, anoť to platno nic nenie? Ro. Neboť sem nemohl nikdy mieti od tebe slóvce milého, Ro.viec mi se nebudeš smieti: mějž tolik blázna jiného! Ich verstehe nur allzu gut, die Haltung, die „mein Herr“ mir gegenüber einnimmt. V. Daher möchte ich meinen Dienst anderswo antreten, und nicht länger seinem Spott ausgesetzt sein. Ro. Da er mir, seinem getreuen Diener, keinerlei Beachtung schenkt, Ro. muss ich, ohne es zu wollen, meinen Dienst aufkündigen und will einem anderen Herrn dienen. V. Ich werde dich meiden, weil ich nicht mehr bleiben will. V. Sobald ich bei einem anderen „Herrn“ diene, möchte ich von dir Abschied nehmen Ro. leidvoll und leiderfüllt, weil ich höchst ungern von dir scheiden würde. Ro. Ich staune über deine Liebe, dass du mich jemals von dir gehen lässt. V. Ich war dir immer in treuem Dienst ergeben, 208 5 aber es hilft nichts. V. Weshalb sollte ich unbelohnt dienen, wenn es nichts hilft? Ro. Da ich von dir niemals ein liebes Wort gewinnen konnte, Ro. wirst du mich nicht mehr verspotten: mach’ einen anderen nun zum Narren! DER ZUSAMMENHANG MIT DEM MINNESANG: Die Dienstaufkündigung ist ein traditionelles Motiv des Minnesangs: sie wird jedoch in allen Phasen des Minnesangs vom Minnenden sofort zurückgenommen; als ein rhetorisches Mittel, damit seine beständige Haltung noch deutlicher unterstrichen werden kann. Sie dient als ein wirkungsvolles Argument für die Lohnforderung (für alle sind Fenis oder Reinmar anzuführen). Diese Reflexion lautet z. B. bei Reinmar, Lied XI Ich wirbe umbe allez , daz ein man (Edition Günther Schweikle, S. 140), Strophe II: Alse eteswenne mir der lîp durch sîne boese unstaete râtet, daz ich var Und mir gefriunde ein ander wîp, sô wil iedoch daz herze niender wan dar. Wol ime des, daz ez so rehte welen kan und mir der süezen arbeite gan. doch hân ich mir ein liep erkorn, deme ich ze dienst, und waer ez al der werlte zorn, wil sîn geborn. Das Motiv der Herabsetzung des Minnenden klingt bei Walther an, als Element seiner „kritischen Lieder über überhêre frouwen“. Anzuführen ist die Passage aus seinem Lied Saget mir ieman , waz ist minne (Ed. Schweikle, S. 368, hier Strophe I), die über die Schmach reflektiert, die der Minnende erlebt, wenn sich seine Dame ihm gegenüber überheblich verhält. Die Passage ist ein Musterbeispiel 209 Waltherscher Argumentation, die ich bereits im ersten Teil meiner Untersuchungen behandelt habe. Kan mîn frouwe süeze siuren? waenet si, daz ich gebe liep umbe leit? sol ich si dar umbe tiuren, daz si ez wider kêre an mîn unwerdekeit?(...) DAS ALTTCHECHISCHE LIED IM LICHT DER JÜNGEREN DEUTSCHEN LIEBESLIEDDICHTUNG Das Absagelied Nr. V. der Darfelder Liederhandschrift (1546 – 1565) steht dem alttschechischen Liedbeispiel nahe, was das Hauptthema und das Narrenmotiv betrifft. Wie sein Gegenstück stellt das Lied eine Klage des werbenden Mannes über den allzu langen erfolglosen Dienst dar. Obwohl er diesen – im Unterschied zum alttschechischen Lied – nicht ausdrücklich aufkündigt, hält er seine Werbung um die Frau für bereits verloren; er möchte sich trennen, er spielt auf einen Nebenbuhler an. Dieses Motiv ist gegenüber dem alttschechischen Lied neu und für die Spätzeit typisch. Im Lied sind Motive vorzufinden, deren Gestaltung nicht in jeder Hinsicht mit dem alttschechischen Lied übereinstimmt; sie erfahren bereits eine stärkere Art der Schematisierung. Strophe I: Lange Zeit des Dienstes (der Mann gibt den Zeitraum von sieben Jahren an) erbringt dem Liebenden keine Beachtung. Der Grund ist angegeben: Ein Konkurrent in der Liebe. Der gewählte Ausdruck für die Frau ist im Vergleich mit dem alttschechischen Lied viel jüngeren Ursprungs (die Frau wird als cleine bezeichnet). Das alttschechische Lied bewahrte auch die wesentlichen „alten“ Begriffe wie „Diener“,“Dienst“, Strophe I, V. 5ff. (…) da ich mich hab so lanchg verpflicht 210 zu denen einer cleinen, ich ffrucht sey weirt min achten nich, ein ander weirt sey fforen hemen. Dazu das alttschechische Lied: Strophe II Da er (=die Frau, Anm. der Verf.) mir, seinem getreuem Diener, keinerlei Beachtung schenkt, muss ich, ohne es zu wollen, meinen Dienst aufkündigen, und will einem anderen Herrn dienen. Der treue Dienst wird ähnlich akzentuiert, im tschechischen Lied unterstreicht der Mann noch deutlicher sein Leid vor der bevorstehenden Trennung (muss ich, ohne es zu wollen, meinen Dienst aufkündigen, V. 3). Strophe II: Auch wenn der Mann die Liebesgöttin Venus um Beistand bittet, entwickelt sich die Situation zu seinen Ungunsten: Wey well ich hais ffrou Ffenis soen, es ist doech verloren (II, V.1f.). Es wird weiter ein annäherndes Narren-Motiv wie im alttschechischen Lied verwendet, hier jedoch breit ausgeführt, mit Vorliebe für bildhafte Details, die den Inhalt verlebendigen und betonen: Der Mann verdiente sich als „Lohn“ eine Narrenkappe mit zwei Ohren, an denen Schellen gehängt sind. Diese „manieristische“ Rhetorik ist für das späte Liebeslied typisch. ein naren kap min bester loen, ein kap mit zveyen oren; zva schellen groes dar an gehenchkt weirt mir erst rech zu gemessen... (II, V. 3-6) Zum Schluss der Strophe erklingt erneut Klage: es wird wiederum der missachtete treue Dienst aufgegriffen. Zu beachten ist eine ähnliche rhetorische Gestaltung dieser Passage wie 211 im tschechischen Lied: zwei fast gleichgebaute Sätze werden zur Intensivierung nacheinander wiederholt – als ein letztes Argument für die Lohnforderung: min truer dinst blipt gans unerkant, min truen dinst weirt vergessen. (II, V.15f.) Im tschechischen Lied wird diese Passage pointierter arrangiert; sie begründet die Entscheidung des Mannes, den Dienst abzubrechen: Ich war dir immer in treuem Dienst ergeben, aber es hilft nichts. Weshalb sollte ich unbelohnt dienen, wenn es nichts hilft? (Strophe V, V. 2 und 4) Strophe III: Nach einer allgemein formulierter Reflexion über viele Fälle von Untreue und missachtetem Dienst gelangt der Liebende zu einer ähnlichen Erkenntnis wie im tschechischen Gegenstück: er kehrt der Liebsten den Rücken zu. Es folgt eine Reflexion: er zieht aus dem Vorfall eine Lehre. Künftig werde er sich vor Untreue besser bewahren; er trage an seiner Liebesverstrickung selbst Schuld – seine Entscheidung für diese Frau war nicht gut getroffen: So geschidt es uff und ffeil mer, [...] / es ist doch alles min eichgen scholt, / ich will min bas don bewaren, / dan das ich einem frollen holt / wolt denen seben yaren (III, 1 und 5-8). Das Element der Lehrhaftigkeit ist für die späte Lieddichtung typisch und erweist sich gegenüber dem alttschechischen Lied, das mit dem Redegestus des Liebenden mehr im Rahmen der Liebesklage angesiedelt ist, als neu. Zu den unterschiedlichen Sprachformeln und Motiven: Das alttschechische Lied hat in seine Struktur mehrere Ausdrücke eingebaut, die auf eine ältere Liedtradition zurückzuführen sind: vor allem die Bezeichnung „Herr“ für Frau, es wird auch stärker das „Leid“ des Werbenden vor Trennung und endgültiger Scheidung akzentuiert. 212 Diesen Unterschied merkt man im Wortschatz: Altertümliches im tschechischen Text, Liebesterminologie der Spätzeit im deutschen Lied (gut sichtbar an den Benennungen für die Frau: Herr gegen eine cleine, ein frollen holt). Fazit: Das Thema des deutschen Liedes ist klar umrissen: Eine Dienstaufkündigung des Mannes, den seine Partnerin eine lange Zeit nicht beachtete. Dominant ist zum einen das Motiv des missachteten langen Dienstes, zum anderen das Bild des Mannes als eines Liebesnarren mit dem verdeutlichenden Detail der Narrenkappe, die ihm als „einziger Lohn“ zukommt. Auf dieses Motiv wir indem alttschechischen Lied bloß angespielt. Ein (spätzeitliches) Element der Didaxe ist nur im deutschen Lied präsent. (III,1) Gegenüber der traditionellen Begrifflichkeit des alttschechischen Liedes überwiegen im deutschen Lied die Sprachformeln der Spätzeit. Ein weiteres Merkmal der Spätzeit ist in beiden Lieder der einfache Strophenbau. Trotz der oben genannten Unterschiede weisen beide Lieder in ihrem Hauptthema unübersehbare Parallelen auf. BEISPIEL III Die alttschechische Liebesklage „Ach, toť těžkú žalost jmám“ / „Ach, ich erfahre ein schweres Leid“ a) Überlieferung: Prag, Archiv Pražského hradu (Archiv der Prager Burg): Fond: Knihovna metropolitní kapituly Sv. Víta (Bibliothek des Metropolitankapitels St. Veit), Ms. O.48, fol. 216r. b) zur Form: Die anspruchsvolle stollige Form ist ein Hinweis auf ältere Liedtradition. Strophenbau 7a 8a 4a 7x / 7b 8b 4b 7y / (Aufgesang) 7c 7c 7d 7d (Abgesang). c)zum Inhalt: Die folgende Liebesklage wähle ich, weil sie zwei wichtige späte Motive akzentuiert, die in das „klassiche“ Szenario einer Liebesklage einbezogen wurden, ohne die traditionelle 213 Perspektive zu beeinträchtigen. Es sind die Verleumdung des Liebenden von Seiten des „Kläffers“ und der Wunsch des Liebenden, diesen Verleumder, der zugleich sein Liebeskonkurrent ist, in sichere Entfernung von der Dame zu bringen. Strophe I: Zu Anfang des Liedes klagt ein Mann in Ich -Form über sein Leid, dessen Ursache er auch gleich benennt: Es ist die Abwesenheit seiner Dame. Um diese Klage noch zu intensivieren, wird in den Zeilen 3 und 4 mit Selbstironie bemerkt: ich weine vor Sehnsucht – das muss mein Trost sein. Es wird präzisiert: Er fiel bei seiner Dame in Ungnade (V. 8), die er jedoch nicht selbst hervorgerufen hat: Er sieht sich als Opfer einer Verleumdung von Seiten der Widersacher des Paares, der lügenaere. Als Reaktion darauf hebt er seine Beständigkeit, die Grundtugend der Minne, hervor (V. 9f.) und äußert Hoffnung auf baldige Belohnung für seine vorbildliche Haltung (V. 11f.). Das Motiv der Sehnsucht nach der Liebsten entstammt der älteren Tradition. Die starke Berücksichtigung der Außenwelt – in unserem Falle der lügenaere – ist ein Merkmal der späteren Zeit. Strophe II: Der Minnende, immer noch in Trauer über die Ungnade, stellt sich die Situation vor, wie er sich fühlen würde, wenn ihm seine Dame ihre Gunst schenken würde. Er bedient sich dazu eines alten Topos des Minnesangs: des Kaisertopos: Wenn sie mir ihre Gunst schenken würde / würde ich, Trauriger/ dafür kein Kaiserreich der Welt / weder gewinnen noch besitzen wollen (V. 1-4) Der alttschechische Autor konnte sich wohl an der Tradition schulen, z. B. bei Heinrich von Morungen (Edition Tervooren, Lied Nr. XXII, Str.1, V. 5-8): ...daz ich ein künicrîche / vür ir minne niht ennemen wolde, / ob ich teilen unde weln solde?159 Der Gedanke an den Kaiser und das höchste Machtgefühl werden im traditionellen Sinne mit dem erhöhten Selbstwertgefühl des Minnenden, dem höchsten ethischen Ziel der Minne, verbunden: Der Minnende sagt, immer im Vorstellungsbereich von Kaisertum und Königtum: Mein Hochgefühl würde sich / über alle Könige erheben, / und dein Ansehen preisen (V.5-7). Die Verbindung des Gefühls des „hôhen muotes“ mit der königlichen Sphäre ist ein Beispiel für die variierende Verarbeitung seiner Vorbilder (bereits bei Meinloh von Sevelingen, Lied I, V.4: er ist vil wol getiuret, den du frouwe wilt haben in phliht. Auch hier fühlt sich der Minnende „gar hoch geadelt“).160 Man könnte natürlich viele Beispiele für den Terminus 159 160 Ed. Tervooren (1992), S. 104. Originaltext sowie Übersetzung bei Schweikle (1993), S. 126f. 214 „hôher muot“ im deutschen Minnesang aller Phasen finden (z. B. wieder bei Morungen im Lied XXII, Strophe 4, Vers 8: daz mîn muot stêt hôhe sam diu sunne.)161 Die II. Strophe schließt mit einem traditionellen Frauenpreis. Ich zitiere: Nirgendwo lebt eine schönere Herrin. Sie ist allen Lobes würdig / vor allen Jungfrauen und Frauen./ Wahrhaftig, makellos ist sie,/ diese wunderschöne Herrin (V. 8-12). Auf die überaus reichen Beispiele aus dem deutschen Minnesang kann ich hier verzichten. Diese Strophe stellt ein anschauliches Beispiel dar, wie verbunden sich der alttschechische Autor noch in der Mitte des 14. Jahrhunderts der Tradition des Minnesangs fühlte. Strophe III: Die Strophe ist ganz der Relation „der Minnende – der Verleumder“ gewidmet. Nach einer knappen Charakteristik der zerstörerischen Tätigkeit seines Widersachers (V.1-4) verbindet der Minnende dieses Motiv sehr eigenständig mit dem einer Fahrt über das Meer: Er wünscht sich, dass der Verleumder in weite gefährliche Ferne reist, damit er nicht mehr in der Umgebung seiner Dame sein kann. Hier wird vom alttschechischen Autor das alte Motiv einer Pilgerfahrt, wenn nicht sogar einer Kreuzfahrt aufgenommen und eigenständig bezogen: Er „gönnt“ seinem Gegner eine durchaus ehrenvolle Aufgabe, allerdings mit einer Hinterlist: eine Pilger- oder Kreuzzugsfahrt ist immer mit der Todesgefahr verbunden. Auch wenn er die Gefahren der Reise überlebt, er möge dann, in weiter Entfernung, mächtig und reich werden. Für den Minnenden ist es entscheidend, dass er nicht mehr bei der Dame ist. Den neuen Kontext, in dem das Pilger- oder Kreuzzugsmotiv einbezogen ist, betrachte ich als eine der Hauptneuerungen dieses Liedes. Fazit: Insgesamt finden wir in dem Lied alte Grundmotive mit einer neuen Schlusspointe. Dies bezeugt sehr anschaulich seinen „Mischcharakter“. Es überwiegt die „traditionelle“ Perspektive: die Liebe ist nicht erfüllt, der Liebende wünscht sich, die Gewogenheit der „Herrin“ zu gewinnen. Die „neuen“ Motive (Verleumdung, Liebeskonkurrent, der fern von der Dame gehalten werden soll) wurden in diesen Handlungsrahmen eingebaut. Die stollige Form zeigt ebenfalls auf ältere Vorbilder des Liedes. Sowohl der Inhalt als auch die Form des Textes legen nahe, dass der anonyme alttschechische Autor über gute Kenntnisse der älteren Liedtradition verfügte. 161 Ed. Tervooren (1992), S. 106. 215 Der Text des Liedes und seine Prosaübersetzung: I 5 10 II 5 10 III 5 10 I 5 10 Ach, toť těžkú žalost jmám, žeť tebe nečasto vídám, než túhú lkám, toť jmám za utěšenie. Toť mi zlí lidé činie, žeť mě tak bezprávně vinie. Jázť mám nynie nemilost krásné panie. Ro. Všakť jiej chci s vierú přieti, sobě za milú jmieti, zať dá viery užiti, nedáť déle slúžiti. Byť mi ráčila přieti, chtěl bych za to, smutný, vzieti ani jmieti ciesařstvie na tom světě. Já svú myslcí namále sáhl bych nade všě krále, tvú čest chvále, žeť nikdiež kraššie nenie. Ro. Dóstojnať jest chválenie nade všě panny, panie. Vieru nehanba za ni, za tak přěkrásnú paní. Hladkýť mi najviec škodí, kdežť móž, smutekť mi přivodí i otvodí mému srdci veselé. By sě ten bral za moře – tiemť bych, smutný, pozbyl hořě nynie vskóřě –, nemohl za sě prospěti, Ro. byl tam králem žoldánem nebo najvěčším pánem i jměl tam, což chtě, jmajě, viec tebe nevídajě! Ach, ich erfahre ein schweres Leid, weil ich dich selten zu sehen bekomme, ich weine vor Sehnsucht – das soll mein Trost sein. Dies tun mir die bösen Hofleute an, die mir ohne jedes Recht Böses unterstellen. Nun falle ich bei der schönen Herrin in Ungnade. Ro. Ich möchte ihr dennoch in Treue zugetan sein und sie zur Geliebten haben. Möge sie meine Treue belohnen, 216 möge sie nicht zulassen, dass ich weiter (unbelohnt) diene! II Wenn sie mir ihre Gunst schenken würde, würde ich, Trauriger, dafür kein Kaiserreich der Welt gewinnen oder besitzen wollen. Mein Hochgefühl würde sich über alle Könige erheben, und dein Ansehen preisen. Nirgendwo lebt eine schönere Herrin. Ro. Sie ist allen Lobes würdig vor allen Jungfrauen und Frauen. Wahrhaftig, makellos ist sie, diese so wunderschöne Herrin. 5 10 III 5 10 Der Verleumder bringt mir den meisten Schaden, wo er kann, fügt er mir Leid zu und führt alle Freude von meinem Herzen fort. Wenn der eine Reise über das Meer antreten würde, wäre ich, Trauriger, mein Leid los, weil er dann gegen mich (bei der Herrin) keinen Erfolg mehr hätte. Ro. Dort möge er ein König oder ein Sultan oder auch der mächtigste Herr werden und besitzen, was er wolle, nur dass er dich nicht mehr sehen würde! DER ZUSAMMENHANG MIT DEM MINNESANG Die Grundtopoi des Minnesangs (Kaisertopos, hôher muot – Topos, Frauenpreis) wurden in der vorausgehenden Analyse bereits angeführt. DAS ALTTSCHECHISCHE LIED IM LICHTE DER JÜNGEREN DEUTSCHEN LIEBESLIEDDICHTUNG Den Gedanken, den Liebeskonkurrenten aus dem Weg zu schaffen, beinhaltet z.B. das deutsche Lied des späten Schweizer Minnesängers des Grafen Werner von Hohenberg (13001320).162 An diesem Beispiel ist sehr anschaulich zu sehen, wie anders der deutsche Autor vorgeht: er kombiniert das „alte“ Liedmodell mit den Motiven, die deutlich derber als das alttschechische Lied klingen und von einer deutlich späteren Note sind. 162 Kiepe: Epochen der deutschen Lyrik 1300-1500, S. 46 217 Lediglich die I. Strophe bedient sich eingangs des traditionellen Wortschatzes und traditioneller Motive (Gott als der Urheber ihrer Schönheit). Die weitere Darstellung der Frau trägt bereits spätzeitliche Züge. In dem traditionellen Frauenpreis wird die körperliche Schönheit der Frau stark akzentuiert (ihr wie ein Zunder rot brennender Mund). Dieser Akzent führt bis zu der kuriosen Vorstellung, dass der Mund der Frau deshalb so rot leuchtet, weil sie „eine Rose gegessen habe“: I. Strophe: Wol mich hut und iemer me! ich sach ein wip, der ir munt von rote bran sam ein furin zunder. ir wol trutelechter, minneklicher lip, het mich in den kvmber bracht. von der minne ein wunder an ir schoene hat got nit vergessen. ist es recht, als ich es han gemessen, so hat si einen roten rosen gessen. Im weiteren Verlauf der Handlung konzentriert sich der Autor auf den Liebeskonkurrenten. Dieser wird mit Hilfe eines derben Wortschatzes geschmäht (II, 2): „er ist es nicht wert, mit ihr auf Stroh (im Bett) zu liegen“. Sein Erfolg in Liebe wird in den Vergleich mit dem „höfischen“ Liebenden gesetzt, der für die Frau zu sterben und sich allen Liebesqualen zu unterziehen bereit ist: Diesem gegenüber verhält sich die Frau missgünstig (II, 3f.) Diesen Formulierungen liegt ein anderer, entsprechend höherer Stil zugrunde, der den Unterschied zwischen beiden Männern betonen soll (II,1-4). Die Strophe schließt mit dem Motiv des Vorwurfs an Gott, welcher „in ungleicher Weise“ teilt: Der Liebeskonkurrent wird als „hesslich“ bezeichnet, was der Anmutigkeit der Frau widerspricht. Sie wird noch einmal – im steigernden Maße und im raffinierten Kontrast – gepriesen: Ihr Dasein gleich dem „Himmelreich“, in dem der Liebeskonkurrent als „Teufel“ nichts zu suchen hat. Die Motive der Verspottung des Liebeskonkurrenten nehmen hier die Oberhand, während im alttschechischen Lied an dieser Stelle das „alte“, auch raffiniert bezogene Motiv einer „Pilgerfahrt“ genutzt wird. Str. II: So ist der eine, der des nit were wert, 218 das er leg vf einem strou: der trut ir wiplich bilde; so ist der ander, der des todes dvr si gert vnd zuo zallen marsen vert: dem muos si wesen wilde. heya got, wie teilst so vngeliche: ist er hessulich, so ist si minnenkliche. was solt der tuvel vf das himilriche? Der Liebende sehnt sich, und dies ist das Hauptanliegen des Liedes, an die Stelle seines Widersaches zu gelangen. Im Einklang mit der Tradition bedient sich der Autor des Motivs der Hilfe Gottes in Liebesdingen. Gott soll den Liebeskonkurrenten von seiner „Wonne“ wegbringen (III, 1-3). Dies wird noch intensiviert: Alle Welt soll dem Liebenden helfen, Gott um die Erfüllung seines Wunsches zu bitten: Den Konkurrent durch die Verstoßung (metaphorisch?) zu „verwunden“ (III,4-7): Str. III Herre got, vnd het ich von dir den gewalt, das ich moecht verstossen in von der grossen wunne, So moecht ich in gantzen froeiden werden alt. helfent alle bitten mir got, das ers mir gunne, das der selbe tuvel wert geletzet, vnd ich wert an sine stat gesetzet; so bin ich mis leides wol vrgetzet. Fazit: Das Lied ist vor der Folie der „alten“ Perspektive gestaltet, in der die Liebesbeziehung als eine noch nicht bestehende und die Liebe als eine nicht erfüllte dargestellt werden. Neueren Ursprungs ist das Motiv des Liebeskonkurrenten, der bei der Dame Erfolg einschließlich der Erfüllung erzielte (der trut ir wiplich bilde, II, 2). So erscheinen im Lied die „alten“ und die „neuen“ Motive nebeneinander. Der derbere Wortschatz, der hier pointiert genutzt wird, ist für die Spätzeit typisch. Das alttschechische Lied verwendet demgegenüber ein exakt höfisches Vokabular. 219 Der Wunsch des Mannes, die Position seines Konkurrenten zu erlangen, akzentuiert den erotischen Unterton des Liedes, der im ganzen Lied überwiegt. Hier liegt der deutlichste Unterschied gegenüber dem „alten“ Liedmodell der alttschechischen Liebesklage, in der die Unerreichbarkeit der Dame betont wird. BEISPIEL IV Die Untersuchung der alttschechischen Liebesklage „Již tak vymyšlený květ“ / „Die wundersam herrliche Blüte“ befragt gezielt das Verhältnis zwischen der traditionellen Haltung eines Liebenden und einigen Elementen der Spätzeit. a) Überlieferung: Třeboň, Státní oblastní archiv (Staatliches Bezirksarchiv), Ms. A 7 – Sammelhandschrift des Schreibers Oldřich Kříž von Telč, fol. 152v - 153r. b) zur Form: Das metrische Grundschema der Strophe ist 7a 7b 7a 7b. Im Lied verzeichnet man jedoch zahlreiche metrische Lizenzen. c) zum Inhalt: Strophe I: Der Anblick der Erwählten bringt dem Liebenden das Gefühl höchster Glückseligkeit. Dabei ist die Bildlichkeit hervorzuheben: es haben sich hier zwei traditionelle Vorstellungsbereiche durchdrungen: die Blumen- und die Lichtmetaphorik. Die Liebste wird erstens metaphorisch als wundersam herrliche Blüte, die so leuchtend erblüht umschrieben (V. 1), weiter als Rose präzisiert: wie eine Rose (V. 2). Der Vergleich wird jedoch in einer Art ausgeführt, die deutlich an die Bildmetaphorik des klassischen Minnesangs erinnert: er wird mit der Vorstellung des ersten Tagesschimmers suggestiv verknüpft. Die Geliebte bedeutet für den Mann eine Rose, deren Blüte das schimmernde Spiel des Tageslichts in besonderer Anmutigkeit widerspiegelt. Seine Erwählte nimmt in seiner Phantasie die Gestalt einer Rose im ersten Morgenlicht an: Von ihr aus strahlt seinem Innersten der neue Tag entgegen: Wo die Rose hell erblüht, / von dort her schimmert meinem Herzen der Tag (V. 3-4). 220 Das Ergebnis dieser Vorstellung ist eine Verdoppelung, ja Verdreifachung preisender Metaphern (der Rose, des ersten Sonnenstrahls und des /neuen/ Tages). Alle diese drei Vorstellungsbereiche ankerten ursprünglich in der europäischen geistlichen Literatur des Mittelalters und kamen besonders in der Mariendichtung zur Entfaltung; von dort gingen sie in die weltliche Liebeslieddichtung über. Der alttschechische Autor erweist sich hier als ein guter Kenner dieser Tradition, der er die Metaphern der Rose und des ersten Morgenstrahls höchstwahrscheinlich entnahm. Seine „Leistung“ besteht darin, dass er beide Metaphern zu einer fesselnden Bildvorstellung verknüpfte.163 Strophe II: Der werbende Mann wendet sich nun direkt an seine Liebste, wobei die Anreden meine Liebste, meine Freude, mein lieber Trost trotz des unverkennbaren Ursprungs der Letzten im traditionellen Formelschatz des Minnesangs deutlich unmittelbarer wirken als der einstige Redegestus des Minnesangs (V. 1-2). Auch die weiteren Worte des Mannes wirken direkter als in der „alten“ Minneklage: wisse, dass aus der Liebe zu dir / alle meine Gedanken kommen, (in der Liebe zu dir fest ankern) (V.3-4). Strophe III: Der Mann fühlt sich dazu veranlasst, seine Gefühle vor der äußeren Welt zu verheimlichen. Er verschweigt seine Empfindungen vor Ehrfurcht, die er vor seiner Erwählten empfindet und die ihn ihr gegenüber sprachlos macht: obwohl ich darüber nicht sprechen durfte, / als ich vor Liebe zu dir in Ehrfurcht und stumm dastand. (V. 1-2). Wir sind an dieser Stelle mit einer Verknüpfung zweier bekannter Topoi des Minnesangs konfrontiert: Mit der Verheimlichung der Liebe vor der „werlte“ (tougen minne) und mit dem minnebedingten Verstummen, der Sprachlosigkeit angesichts der Liebsten. Die Rede des Mannes zur Geliebten setzt unter traditioneller Ergebenheitsgestik und Beständigkeitsbeteuerung fort: Weil er seine Gemütsregungen so lange verschwieg, beteuert 163 Vgl. dazu die Ausführungen über die Rosen-Symbolik im Lexikon des Mittelalters, Bd. VII (1999), Sp. 1032f.: „Rose als Inbegriff der Minne und (geistlicher wie weltlicher Schönheit)“ wurde von einem bevorzugten Symbol Mariens (Sittsamkeit) bald „auf profane Zusammenhänge übertragen“ (Liebesgarten). Im Minnesang galt sie als Minnesymbol. Die Lichtsymbolik ist wie bekannt eines der Zentralmotive im kirchlichen Schrifttum, in der geistlichen Dichtung und insbesondere in der Mariendichtung ( Licht – ein Grundsymbol für das Heilige und das Göttliche, Maria als der „neue Tag“, der das Gewölk der Sünde überwindet), wurde von der weltlichen Dichtung übernommen und, besonders im klassischen Minnesang als eine preisende Metapher oder ein Attribut der frouwe verwendet (Morungen, Walther). Ausführungen zu diesen Thema bei: Peter Dinzelbacher (Hrsg.) Sachwörterbuch der Mediävistik (1992), S. 481, und Helmut Tervooren: Heinrich von Morungen: Lieder (1992), Kommentar zum Lied Nr.X , S. 158f., ferner zum Lied Nr. I. S. 148. 221 er ihr nun umso nachdrücklicher und für immer seine Beständigekit (staete): Nun sollst du wissen, Liebste, / dein bin ich immer in beständiger Treue. (V. 3-4). Strophe IV: Der Verschwiegenheitstopos wird in folgender Strophe in seiner Bedeutung erweitert – zu einer Geste des Liebenden, die abermals dem traditionellen Motivfundus des Minnesangs entnommen wurde: der Mann verstellte sich, wie aus seiner Rede hervorgeht, bereits viele Male den „Leuten zuliebe“ als ein Unbesorgter und Gutgelaunter; seinen wahren Seelenzustand verbirgt er in sich (V. 1-4). Einer der Gründe dafür ist gewiss die Verheimlichung seiner Liebesempfindung im Sinne der tougen minne. Der Sinn dieser Passage ist jedoch ein anderer: der werbende Mann verdeutlicht seine „Leistung“ in der Liebe, die lange Zeit, die er in seinem heimlichen Liebesschmerz lebt. Mit Hilfe eines alten Topos wird hier ein traditionelles Motiv der Minneklage, die „Darlegung der Leistung“, entfaltet. In den Strophen V-VII wird im traditionellen Geiste fortgesetzt. Der Redegestus ist einer der klassischen Minneklage. Zum Hauptthema wird die lange Dauer des Leids als eines negativen Zustandes (V. Strophe). Dies geschieht mit rhetorischem Aufwand: in einer Apostrophe wird hier das Leid angesprochen und seine Gewalt über den Liebenden mit Nachdruck beklagt. Ach, unselige Liebesqual, wüßte ich, dich einem anderen zu übergeben! Du überwältigst mich und herrschst über mich nach deinem Belieben! (V. 1-4) Das Hauptanliegen des Mannes ist die Umwandlung des Leides in Freude. (VI. Strophe). Dazu nützt er eine rhetorisch gut arrangierte Argumentation: Er redet immer noch direkt zum personifizierten Leid, stellt aber jetzt dessen uneingeschränkte Gewalt über sich in Zweifel. Seine Argumentation nimmt eine andere Richtung und zielt, indirekt und umso nachdrücklicher, an die Dame. Hier orientiert sich der Verfasser völlig nach dem alten Denkmodell der Minneklage, der auch die tragenden Wortformeln entstammen: Die einzige Hoffnung des Mannes, durch Liebesqual nicht ins Verderben zu stürzen, stellt die „einzige Herrin“ dar. Er liefert sich so der Gewalt der Dame „auf Gedeih und Verderb“ aus. Nur sie kann über sein weiteres Schicksal entscheiden: Dies ist eine indirekte Forderung des „Lohnes“ aus dem Mund des Mannes. Liebesqual, meinst du, du hättest die Gewalt, 222 mich für immer zu Tode zu bringen? Wäre es nur der Wille einer einzigen Herrin, sie könnte es wenden. (V. 1-4) Der gezielte Appell an die Frau, ihre Gnade zu zeigen, steigert sich in rhetorisch treffender Ausdruckweise noch zu Beginn der Schlussstrophe VII: Der Liebende unterstellt seiner Liebsten sogar Freude an seinem Leid. Dies ist eine letzte indirekte dringende Aufforderung, diesen Zustand zu ändern: Aber wahrscheinlich ist sie froh darüber / dass ich Trauriger mich nach ihr sehne (V. 1-2). Hier wird erneut der zentrale Gedanke, seine Liebessehnsucht, aufgegriffen, um dieses Motiv nochmals zu verdeutlichen: die Stichworte sind „ich, (ein) Trauriger“, „sehne“. Das ist eine schlagende Figur der „Revokatio“ im alten Sinne. Das Lied gipfelt in erneuter Beständigkeitsbeteuerung, die neben dem Treueeid Ich leiste heute meinen Eid darauf (V. 3) vor allem die Dienstmetaphorik in der alten Art entfaltet: Mit Hilfe der „alten“ Sprachformeln: ihr vor allen anderen (Damen) zu dienen (V. 4). Das Fazit: Betrachten wir das Lied im Ganzen: von den anfänglichen innovativen Zugängen (Kombination des Rosen- und Tagesschimmer-Motivs, eine größere Nähe zur Frau in der direkteren Liebesbekundung des Mannes in den Strophen II und III) ausgehend, wendet sich das Lied „ zum „alten“ Modell der Liebesklage zurück. Es werden „alte“ Topoi verwendet: „Verschwiegenheit“, „ liebesbedingtes Verstummen“, „ Sich-Verstellen wegen der Gesellschaft“ (werlte), vielfältig arrangierte Leidbekundungen, Dienst-Lohn-Verhältnis. Im Lied durchdringen sich somit einzelne Teilansätze zu der neuen Einstellung zur Liebe und Partnerschaft mit den „alten“ Motiven des Minnesangs. Der Text des Liedes und seine Prosaübersetzung: Již tak vymyšlený květ jako ruožě prokvítá. Kdež ta ruožě prokvítá, odtud mému srdci svítá. II Protož, milá radosti i mé milé utěšenie, věziž, žeť již od tvé milosti mé všecko pomyšlenie, III ačť sem nesměl pověděti, ostýdaje sě tvé milosti. 223 Protož, milá, rač věděti, žeť sem tvuoj vždy v uostavnosti. IV Mnohokrát lidem k libosti činím dobrú mysl sobě; ač mi to na mysli nenie, tohoť chovám při sobě. V Ach, nešťastná žalosti, bych tě věděl komu dáti! Již tebe mám přieliš dosti, ujalas mě k své libosti! VI Žalosti, mníš, by moc měla, že mě vždy chceš umořiti? Byť jediná paní ráčila, tať mi to muož zrušiti. VII Ale onať snad tomu ráda jest, že já smutný po ní túžím. Dnes to beru na svú vieru, žeť jí nade všecky slúžím. I Die wundersam herrliche Blüte erblüht bereits so leuchtend wie eine Rose. Wo die Rose hell erblüht, von dort her schimmert meinem Herzen der Tag. II Darum, liebe Freude und mein lieber Trost, wisse, dass aus der Liebe zu dir alle meine Gedanken kommen, III obwohl ich darüber nicht sprechen durfte, als ich vor Liebe zu dir in Ehrfurcht und stumm dastand. Nun sollst du wissen, Liebste, dein bin ich immer in beständiger Treue. IV Oftmals zeige ich mich den Leuten zuliebe als ein gutgelaunter Mann; worüber ich (aber) im Inneren nachsinne, das verberge ich. V Ach, unselige Liebesqual, wüsste ich, dich einem anderen zu übergeben! Du überwältigst mich und herrschst über mich nach deinem Belieben! VI Liebesqual, meinst du, du hättest die Gewalt, mich für immer zu Tode zu bringen? Wäre es nur der Wille einer einzigen Herrin, sie könnte es wenden. 224 VII Aber wahrscheinlich ist sie froh darüber dass ich Trauriger mich nach ihr sehne. Ich leiste heute meinen Eid darauf, ihr vor allen anderen zu dienen. DER ZUSAMMENHANG MIT DEM MINNESANG: Im Unterschied zu meiner bisherigen Vorgehensweise behandle ich zunächst die einzelnen tragenden Motive des alttschechischen Liedes, wie sie auch in der Minnesang-Tradition auftauchen. 1) Die Rosensymbolik Das Motiv der Rose ging von der Mariendichtung in den Minnesang über. Als Inbegriff für die weibliche Schönheit, wohl mit dem roten Mund der Dame assoziiert, finden wir dieses Motiv z. B. in dem Lied 2 Frauenlobs ausgeführt, in den Strophen A und B: Strophe A: Ein sehnsüchtiger Liebender (V. 1-2) äußert vor seiner Dame, die er metaphorisch „liechte ougenweide“ (Labung seiner Augen) nennt, fast übereilig seinen Wunsch nach Belohnung. Dieser wird in Form einer Frage an die Dame adressiert: Wanne wirt mir sorgen buz?(V. 4) Es wünscht sich, von ihrem verlockenden Mund lieb angesprochen zu werden (V. 5-6). Der Liebende stellt sich eine Rede der Dame vor, die ihn gewogen behandelt: so, dass sie seinem Wunsch nach Erfüllung entgegenkommt (V. 6-7). Frauenlob: Text der Strophe A (Edition Stackmann − Bertau, Teil 1 /1981/, S. 563) XIV,6 Ouwe, herzelicher leide, die ich sender tragen muz. Ouwe, liechter ougenweide, wanne wirt mir sorgen buz? Wanne sol din roter munt mich lachen an, unde sprechen: „selig man, swaz du wilt, daz si getan“? Text der Strophe B (dieselbe Edition): 225 Deutliche Akzentuierung des Erotischen in der Eingangspassage dieser Strophe, die das Motiv des „roten Mundes“ und der Rosen mit Hilfe kunstvoller Klangfiguren miteinander verbindet: Ja meine ich den munt so losen, /an dem al min trösten liget. / Sprechet alle, rote rosen, / daz ein munt mit roten siget (V. 1-4). Die Werbung des Mannes wird schließlich in eine Liebeslehre gewendet: Das bisherige „Nein“ der Dame ließ den Liebenden trauern, was mit Hilfe der Farbensymbolik verdeutlicht wird: Blaue Farbe erscheint hier höchstwahrscheinlich als Farbe der Wunden der Märtyrer, so in der geistlichen Farbensymbolik.164 Ihre Ungunst ließ ihn auch „alt und grau“ werden (so die V. 6-7). Der Liebende würde sich von der Dame ein liljenwizez ja wünschen! Das Motiv der Lilie (ein Symbol für Reinheit, bereits in der Mariendichtung), wird hier noch mit der weltlichen Symbolik der weißen Farbe verdeutlicht (Hoffnung in der Liebe). Dies deutet darauf hin, dass der Liebende eine Zuwendung seiner Liebsten anstrebt, die nach höfischer Sitte das Ansehen der Dame nicht beeinträchtigt. Die Farben- und Blumensymbolik, beides Elemente der Spätzeit, spielen hier eine wichtige Rolle: Sie akzentuieren die „alte“ Hoffnung des Mannes, dessen Werbung um eine unerreichbare Dame ethische Dimension besitzt. In dieser Hinsicht stehen die beiden Frauenlobschen Strophen dem alttschechischen Lied in besonderer Weise nahe: Wie Frauenlob mit seinen Darstellungsmitteln und seiner „geblümten“ Sprache akzentuiert der alttschechische Autor mit Hilfe der Bildlichkeit des Minnesangs in der übernatürlichen Erscheinung der Dame (sie leuchtet wie eine Rose, so sehr, dass es tagt) ihre hohe Stellung. Text der Strophe B (Edition Stackmann- Bertau, Teil 1 /1981/, S. 563) XIV,7 Ja meine ich den munt so losen, an dem al min trösten liget. Sprechet alle, rote rosen, daz ein munt mit roten siget. Baz dem munde zeme ein liljenwizez ja dann ein nein von jamer bla: daz wort machet min jugent gra. Eduard Petrů: Symbolika drahokamů a barev v Životě svaté Kateřiny. (Zur Symbolik der Edelsteine und Farben im „Život svaté Kateřiny“). Slavia 64 (1995), S. 381-387. 164 226 Eine Gleichsetzung der Frau mit der Rose bringt u. A. ein weiteres Lied der Berliner Handschrift (Edition Lang, 1941), das Lied Nr. XXXII. Es zeigt, dass dieses Motiv in der Liebesdichtung lange überdauerte: Strophe II Trout zalich wiif, sal ich alzus verdommen mijn ionghe liif? Boven allen vrouwen wijs ercoren, ghenade, bloiende rosen, liefste liif! 2) Die Licht- und Tagesschimmermetaphorik „Licht“, die Frau als „Leuchtende“ Im alttschechischen Lied ist es die Rose, die „so leuchtend erblüht“ und für die Dame steht. Der Kern dieses Bildes liegt in der übernatürlichen „leuchtenden Ausstrahlung“ der hochgestellten Dame, deren Idealität im Minnesang zelebriert wurde. In vielgestaltiger Ausformung finden wir diese bereits auch im der provencalischen höfischen Lyrik, auf deutschem Boden vielfältig ausgeformt bei Morungen, der Kenner dieser Tradition war. Hier einige seiner Formulierungen, einfacher wie auch anspruchsvoll gestaltet, im Beispiel 2 in direkter Anlehnung an provencalische Vorbilder: Das Lied XXII Ich waene nieman lebe (Edition Tervooren, 1992, S. 104ff.) Strophe IV, V. 1-4: Dô si mir alrêrst ein hôchgemüete sande in daz herze mîn, des was bote ir güete, die ich wol erkande, und ir liehter schîn... „Der Tagesschimmer“ 227 An erster Stelle zu nennen und am ähnlichsten dem tschechischen Lied steht in dieser Hinsicht wieder Morungen: In seinem bekannten Lied Ich hân si für alliu wîp bringt er dieselbe Vorstellung: Nach dem Erblicken der Dame tagt es in seinem Innersten, die Dame wird so indirekt mit dem Tagesschimmer gleichgesetzt (Edition Tervooren, 1992, Lied X, S. 60ff.): swenne aber sî mîn ouge an siht, seht, sô tagt ez in dem herzen mîn. (Strophe I, V.7-8) Dasselbe, offensichtlich stark beeindruckende Bild wiederholt er verdeutlichend in leichter Variation an derselben Stelle der Strophe III. 3)Topoi: a. „Verstummen“ vor Liebe (aus Verlegenheit, aus Sinnesverwirrung, aus Ehrfurcht) (z. B. bei Morungen, Reinmar) Der Liebende verstummt angesichts seiner Liebsten vor Glück (Sinnesverwirrung): Bei Morungen wird dieses Motiv rhetorisch ausgeführt, sogar noch mit der Ausmalung der körperlichen Gestik eines Stummen: Das Lied XVI Wê wie lange sol ich ringen (Edition Tervooren, 1992, S. 86f.) Strophe II, V. 1-4 Ich weiz vil wol, daz si lachet, swenne ich vor ir stân und enweiz wer ich bin. sâ zehant bin ich geswachet, swenne ir schoene nimt mir sô gâr mînen sin. Strophe III, V. 1-5 Ôwê des, waz rede ich tumme, daz ich niht enrette als ein saeliger man! sô swîge ich rehte als ein stumme, der von sîner nôt niht gesprechen enkan, Wan daz er mit der hant sîniu wort tiuten muoz. Im tschechischen Lied finden wir eine viel knappere Andeutung dieses Motivs, verbunden mit dem Motiv der Verheimlichung der Minne: 228 obwohl ich darüber nicht sprechen durfte, als ich vor Liebe zu dir in Ehrfurcht und stumm dastand. (Str. III, V. 1-2) Wie die Verheimlichung der Liebe, die Grunddevise des Minnesangs, so ist auch das „SichVerstellen“ des Liebenden vor der Außenwelt (z. B. bei Hausen) ein aus der Tradition entnommenes bekanntes Motiv. Es erübrigt sich, Beispiele anzuführen. DAS ALTTSCHECHISCHE LIED IM LICHTE DER JÜNGEREN DEUTSCHEN LIEBESLIEDDICHTUNG Das Lied Nr. III der Berliner Handschrift Fol. Germ. 922 (Edition Margarete Lang, 1941) nimmt nach Sittig innerhalb der jüngeren deutschen Liebeslieddichtung eine seltene Position ein: es handelt sich um eine „echte“ Klage, d.h. um eine solche, „die der traditionellen Minneklage nach Inhalt und Grundstimmung noch am nächsten steht“.165 Das Lied zeigt den Liebenden nicht nur in der Pose eines der Dame Untergebenen wie sein alttschechisches Gegenstück, sondern setzt sich zum Teil aus ähnlichen Motiven zusammen: Es schildert eine „unglückliche Liebe zu einer Dame, die dem Mann keine Erhörung gewährt, obwohl er ihr seinen Dienst anbietet, sie seiner Beständigkeit versichert und sich gänzlich in ihre Gewalt begibt.“ 166 Analyse des Liedes Nr. III Strophe I: Der Liebende wird als ein schon lange Zeit Leidender und Hoffender dargestellt. Der Verfasser geht zu dem Vorstellungsbereich „Befreiung von der Liebesqual“ über, zur „Bitte um Hilfe“, welche ihm die Erwählte leisten soll: Kein großer Raum mehr für den Diskurs über die peinigende Nichterhörung, von dem der klassiche Minnesang so entscheidend geprägt wurde! Och, zal min hoffen ende miin langher leyden / nicht helfen, zo ist miin heyl verloren (I, 1-2) Mittelteil der Strophe: Zuerst gibt der Liebende einer emphatischen Bekundung der Liebesnot (I. 3-4), dann der erneuten Hoffnung auf die genâde der Erwählten Ausdruck (V.5-6); beides wird mit Hilfe des „alten“ Vokabulars ausgedrückt. Hier die ganze Passage: Miin leyt das ist gezworen by dem eyden, 165 166 Sittig (1987), S.121. Ebenda, S. 121. Auf der S.121f. bringt Sittig einen knappen Anriss der Handlung des Liedes Nr. III. 229 tso zucher noet ich waert gheboren! Das mach eyn wijf wal wenden, van yr ghenaden zint. Mit ter liever en kůnde ich nie wl enden, daer van miin vrude zwint. (V. 3-8) Im alttschechischen Lied finden wir die Leidbekundung des Mannes und das Motiv seiner Bitte um eine liebende Zuwendung von Seiten der Liebsten als eine direkte Frage an die Liebesqual adressiert: Liebesqual, meinst du, du hättest die Gewalt, / mich für immer zu Tode zu bringen? Wäre es nur der Wille einer einzigen Herrin, / sie könnte es wenden (VI. 1-4). Strophe II: In seiner Wunschvorstellung schildert der Mann, wie es wäre, wenn sich seine Erwählte seiner erbarmen würde. Er verwendet dazu die traditionelle Liebessprache: Och, wolde die hertz lieve zich erbarmen onde helfen mer tso zinne weder, des weer eyn zelijch stont mich zenden armen, want al miin hoffen leghz nieder (V. 1-4) Das Denkmodell ist das des Minnesangs. Auch die zweite Strophenhälfte weist traditionelle Züge auf: Der Liebende gibt sich dem Willen seiner Liebsten preis. Ich neem des al voer gůete was mer die lieve důet (V. 5-6) Wir sehen, dass sich das Lied an dieser Stelle deutlich auf die Minneklage stützt, worauf auch das Dienst-Motiv deutet. Dieses Motiv ist beiden Liedern gemeinsam. Unterschiedlich ist jedoch seine Tragweite: Während der deutsche Text im Ganzen eher schematisch wirkt, erscheint der Dienstgedanke in dem alttschechischen Lied als Schlusspointe in „alter“ inhaltsdienlicher Funktion: Der deutsche Text: 230 Zi haet mer gheholden in den gloeden, das ich yr dienen moyt. (V. 7-8) Alttschechisches Lied: Ich leiste heute meinen Eid darauf, ihr vor allen anderen (Damen) zu dienen. (Schlussstrophe VII, 3-4) Strophe III: Die Strophe führt den traditionellen Topos aus, in dessen Rahmen sich der Liebende vor der Außenwelt in der Haltung eines Sorglosen, Gutgelaunten zeigt, um seine Liebe zu verheimlichen. Dieses Motiv ist im Mittelteil der IV. Strophe des alttschechischen Liedes thematisiert. Vůer die lůede haen ich zulch ghebere, of mer nicht leydes wee/re/by, unde leve gaer zůůerlich an alle zwere, daer tso van menigher zorghen vry. (V. 1-4) Hier vergleichend die entsprechende Passage aus dem alttschechischen Lied. Das Leid wird hier pointierter zum Ausdruck gebracht: Oftmals zeige ich mich den Leuten zuliebe als ein gutgelaunter Mann – worüber ich (aber) im Inneren nachsinne, das verberge ich. (Strophe IV) Um seine heimliche Liebesnot zu verdeutlichen, beruft sich der Liebende im deutschen Lied auf Gott, dem seine Liebespein nicht verborgen bleibt. Schon resignierend, bricht er in erneuter Klage über die Missgunst von Seiten seiner Erwählten aus. Sie hat sich seiner nicht erbarmt. Das Motiv Gottes, an sich traditionell, fehlt im alttschechischen Lied. Mer god weys al miin hertz, wye ich verdruevet byn. (V. 5-6) Zi hayt mer ghelayzen in der smertz, 231 miin zuetz rosen gaerdeliin. (V. 7-8) Die Rose als Metapher für die Frau vom Anfang des alttschechischen Liedes wird hier in Diminutivform „süßes Rosengärtlein“ präsent; diese trägt bereits deutliche Züge der Spätzeit. Fazit: In beiden Liedern, die vor der Folie der Liebesklage der alten Art gestaltet sind, finden sich bei aller Unterschiedlichkeit des Inhalts tragende gemeinsame Motive und Vorstellungen. Es handelt sich vor allem um „alte“ Topoi und Vorstellungsmuster (indirekte Bitte um Gunst, Gnade, Topos des Liebenden, der sich als ein Fröhlicher verstellt, um seine Liebe zu verheimlichen). Der Ausgang beider Lieder ist unterschiedlich akzentuiert. Der alttschechische Autor lässt den Liebenden als einen erscheinen, der die Dame auffordert, ihn gnädig zu behandeln. Er verharrt im Einklang mit der Tradition in dem unermüdlichen Dienst an der Dame (Schlussstrophe VII). Der deutsche Verfasser stellt seinen Liebenden als einen bereits Resignierenden dar, der auf eine Wendung seiner Lage keine Hoffnung mehr hegt (Schlussstrophe III). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das alttschechische Lied in seinem Aufbau und seinen Hauptmotiven (Rose, Tagesschimmer, Verstummen vor Liebe, Verstellung des Liebenden als eines Sorglosen) viel stärker traditionsgebunden ist. Einige „neue“ Elemente am Anfang des Liedes sind in das alte Schema integriert. Das deutsche Lied der Berliner Handschrift gründet sich auf dem „alten“ Liedmodell, bringt jedoch manche dieser Motive in einer bereits spätzeitlichen, vereinfachten Form zum Ausdruck. BEISPIEL V Das alttschechische Lied „Noci milá“ / „Liebe Nacht“ a) Überlieferung: Třeboň, Státní oblastní archiv (Staatliches Bezirksarchiv), Ms. A 7 Sammelhandschrift des Schreibers Oldřich Kříž von Telč, fol.154v. 232 Vilikovský macht darauf aufmerksam, dass die Weise des Liedes „Noci milá“ im XVI. Jahrhundert öfters zitiert wird zu geistlichen Liedern. Es scheine fast sicher zu sein, dass es sich um unser Lied handelt.167 Eine Sehnsuchtsklage. Der Vergleich mit der Tradition des Minnesangs (s. unten) demonstriert in erster Linie ihr grundsätzliches Verhaftetsein im alten Denkmodell der Minneklage. Durch das Heranziehen der deutschen Sehnsuchtslieder des jüngeren Typus, in denen die Liebessituation bereits „neuartig“ dargestellt wird, tritt der Unterschied zwischen ihnen und dem tschechischen Lied in aller Klarheit hervor. Das Arrangement des alttschechischen Liedes verrät, wie souverän der Autor aus mehreren Bereichen der Minnedichtung schöpfte. Er verfügte über Kenntnisse der traditionellen Poetik (Vertrautheit im Umgang mit älteren Liedtypen). Er verlieh dem Text darüber hinaus eine wunderbare Leichtigkeit und Klarheit durch die Wahl einfacher formaler Mittel. Durch den Einsatz von Klangfiguren entsteht ein ausgeprägter akustischer Eindruck. b) zur Form: einfache Strophenform, Metrum 4a4a4b4b, Paarreim. c) zum Inhalt: Zur Grundsituation: Sie ist auch aus der deutschen Tradition der Sehnsuchtsklage als ein spezifischer Fall der Trennung bekannt: Die nächtliche Einsamkeit des Liebenden steigert seine Sehnsucht nach seiner Erwählten. Strophe I: Ihrer Arrangierung liegt das Modell der monologischen Liebesklage zugrunde. Der (personifizierten) Nacht wird vom Liebenden vorgeworfen: sie dauere zu lange. Hierzu bedient er sich im Anfangsvers einer Apostrophe: Er spricht sie als Liebe nacht an, wohl in der Absicht, ihre Dauer durch diese schmeichelnde Anrede zu vermindern. Er leidet unter Sehnsucht: Ich sehne mich sehr nach meiner Liebsten, / mit der ich nun nicht sprechen kann (I, 2-3). Gegenüber dem hohen Minnelied romanischer Prägung (Unerreichbarkeit der Dame) wird ihm von seiner Erwählten (bei Tag) anscheinend zumindest ein Gespräch gestattet. Auch diese Situation ist dem Minnelied als eine der Kommunikationsstufen zwischen den Protagonisten bekannt und ist bereits ein Topos geworden (vgl. Hausen, MFMT 48,32, Ed. Schweikle /1993/ Lied Nr. XII, V.1-4, ein stilisiertes Gespräch mit der Dame bei Johannsdorf, MFMT 93,12, Ed.Schweikle /1993/, Lied Nr. XIII, V.1-6). 167 Vilikovský (1940), S.183 233 Die Sehnsuchts- und Leidbekundungen werden durch den nächsten Vers, einen Ausruf in Gestalt einer rhetorischen Frage, intensiviert: Bei wem soll ich Trost finden? (I. 4) Der Verfasser nützt die intensivierende Wirkung der alttschechischen Langvokale im Paarreim der ersten Strophenhälfte zur Verdeutlichung der Sehnsuchtsgestik: Die Nacht ist lang (dlúha), wodurch die Sehnsucht des Liebenden (túha) − immer unerträglicher wird. Strophe II: Sie stellt eine Variation, eine Entfaltung desselben Themas (Schmerz vor Sehnsucht) dar, nun unter Bezug auf das Innerste des Mannes; bei der Amplifikatio wird die alte, traditionelle Begrifflichkeit verwendet: sein Herz lebt in Trauer / in Leid...in sehnsuchtsvollem Schmerz (II,1-2). Das Motiv des Getrennt-Sein-Müssens wird in den nachfolgenden Versen (II, 3-4) in verdeutlichender, intensivierender Absicht wiederholt, wozu alte Begrifflichkeit herangezogen wird: Das alles kommt davon, / dass ich nicht bei meiner liebsten Herrin bin. Auch hier kommt eine verdeutlichende Klangfigur zu Wort: Ein euphonischer Effekt der alttschechischen Dipthonge im Auslaut, die den Paarreim bilden: nebývanie / panie. (II,3-4). Strophe III: Sie erscheint vor der Folie des Liedtypus als die weitaus interessanteste und wird als monologische Klage mit einer Anrufung Gottes um Hilfe (einem ebenso traditionellen Motiv) gestaltet. Die Apostrophe Gottes weist, parallel zu der der langen Nacht (Str.I,1), ein gleiches Attribut auf: Lieber Gott, lass es nicht zu / dass ich mich noch lange nach meiner Liebsten sehne! (V. 1-2) Es wird hier, auch parallel situiert, die Klangfigur der Strophe I,1-2 wiederholt: dieselben Wörter und der entsprechende verdeutlichende Gleichklang des Langvokals: dlúze / v túze. In der letzten Strophenhälfte, dem Schlussteil des Liedes, greift der Verfasser auf das „neue“ Motiv der „Antwort der Frau“ zurück: es erklingt ein Satz, welcher die Pointe des Liedes mehrdeutig erscheinen lässt: „Mein lieber Freund, beklage dich nicht / ich möchte dir vor allen anderen gewogen sein.“ (V.3-4). Hier lassen sich nur Vermutungen über den Charakter des Liedes anstellen. Diese Verse lassen sich wie folgt deuten: Vor dem Hintergrund des Minnesangs und der jüngeren deutschen Liebeslieddichtung sind die Verse am wahrscheinlichsten als Antwort der Frau zu deuten. Dies ergibt sich aus dem Vergleich mit der Gattungstradition, mit der 234 diesbezüglich eindeutige Berührungspunkte vorliegen. Für das Lied scheinen in diesem Licht erwägbar: - eine Verbindung zum Wechsel (die Heranziehen dieses alten Liedtypus überrascht im Hinblick auf die Überlieferungszeit) - ein Anklang an das Frauenlied (eine Inspiration durch ein ebenso traditionelles Liedmodell, seit den Anfängen des deutschen Minnesangs /Frauenstrophe/ bis zu der Spätzeit praktiziert.) Die Antwort der Frau ist in diesem Lied traditionell im Zeitpunkt vor einer Erhörung angesetzt: sie verspricht dem Liebenden Gnade. Die Passage kann aber auch anders ausgelegt werden: als sich „nur“ in den Gedanken des Mannes abspielend. Auch dies – seine Wunschvorstellung also − ist ein traditionelles Vorstellungsmuster, zu dem sich Beispiele aus der deutschen Liebesliedtradition anführen ließen. Fazit: Das Lied arbeitet mit den einfachsten formalen Elementen: einer einfachen Strophenform mit Paarreim. Diese lässt die erwähnten Klangfiguren, die gleichmäßig auf alle drei Strophen verteilt wurden, ihre volle Wirkung entfalten. Durch die Variation des „gewöhnlichen“ Klagemonologs durch die Aussage der letzten zwei Verse (Frauenrede ggf. Wunschantwort) wurde ein Effekt erzielt, der das Lied als ein „Zwischentyp“ zwischen mehreren traditionellen Gattungstypen, bzw. eine reizvolle Verarbeitung der Tradition zu charakterisieren erlaubt. Die Frage, ob sich der alttschechische Autor des Effekts der Mehrdeutigkeit des Liedausgangs absichtlich bedient hat, bleibt freilich nicht eindeutig beantwortet. Einige Wendungen deuten darauf, dass die Perspektive, aus der der Liebende seine Liebessituation betrachtet, nicht mehr die des hohen Minneliedes ist. Dies lässt sich wie folgt begründen: - hier legt man schon mehr Wert auf die Kommunikation (Gespräch mit der Liebsten) - einige Wortformeln deuten auf eine Nähe, die dem hohen Minnelied eher fremd ist: po mé milé jest mi túha (ich sehne mich nach meiner Liebsten) (im Mund des Mannes), und vor allem brachku milý (lieber Freund im Sinne des mhd. geselle) als dessen vertrauliche Anrede. 235 Diese Perspektive würde eine Inspiration durch die bereits oben angegebenen Gattungstypen verraten (Wechsel, Frauenlied). Es ist heute in der Forschungsdiskussion betont, dass eben diese Liedtypen – wohl neben dem klassischen Minnelied − am Zustandekommen des jüngeren Liebesliedes beteiligt waren. Als weitere Nuancen, durch die sich der Text vom Minnelied der alten Art abhebt, lassen sich anführen: keine Ergebenheitsgestik des Mannes, keine Dienstmetaphorik, kein „Ethos“ der Liebe verdeutlicht.168 Die entscheidenden Impulse und Gestaltungsformen, die dem Lied zugrunde liegen, vor allem der Zeitpunkt der Liebessituation noch vor einer Erhörung, sind traditionell. Zur Forschungsgeschichte: Lehár sieht die letzten zwei Verse des Liedes Gott in den Mund gelegt, den der Liebende um Hilfe in Not anruft.169 Gegen seine Annahme spricht eindeutig die Gattungstradition, die den Text, wie oben dargelegt, entweder als Frauenrede oder als Wunschvorstellung des Mannes betrachten lässt. Der Text des Liedes und seine Prosaübersetzung: I V. Noci milá, pročs tak dlúha? Po mé milé jest mi túha, že mi s ní nelze mluviti. Komu se mám utěšiti? II V. Již mé srdce bydlí v strasti, v smutku, v túžebné žalosti. To vše činí nebývanie u té najmilejší panie. III V. Milý Bože, nedaj dlúze po mé milé býti v túze! „Brachku milý, nestyšť sobě, nad jinéť chci přieti tobě.“ I V. Liebe Nacht, warum dauerst du so lange? Ich sehne mich sehr nach meiner Liebsten, mit der ich nun nicht sprechen kann. Bei wem soll ich Trost finden? II V. Nun lebt mein Herz in Trauer, in Leid und in sehnsuchtsvollem Schmerz. Das alles kommt davon, dass ich nicht bei meiner liebsten Herrin bin. 168 169 im Sinne des hohen Minnelides. Lehár (1990), S.351 236 III V. Lieber Gott, lass es nicht zu, dass ich mich noch lange nach meiner Liebsten sehne! „Mein lieber Freund, beklage dich nicht, ich möchte dir vor allen anderen gewogen sein.“ DER ZUSAMMENHANG MIT DEM MINNESANG: Eine ähnliche Inszenierung der Situation lässt sich bereits in der frühen ritterlichen Liebesdichtung belegen: Bei Dietmar von Aist. Sein Lied Waz ist für daz trûren guot (Kombination des Wechsels und des Dialogliedes, bei Schweikle (1993) unter der Nr. I, im Teil I dieser Arbeit analysiert) thematisiert in der III. Strophe die Pein des Liebenden wegen einer schicksalhaft liebgewonnenen schoenen frouwe. Seine Liebesqual wird − ähnlich wie im alttschechischen Lied − durch die Situation der nächtlichen Vereinsamung noch intensiviert. Einen schwerwiegenden Unterschied gegenüber der Darstellung des alttschechischen Liedes stellt das Verständnis der Minne dar: Minne als eine überwältigende Schicksalsmacht und Bindung, die, bis zum Tod ernst, für den aus seiner bisherigen Lebensbahn völlig geworfenen Liebenden zur Bedrohung wird und ihn in völlige Ratlosigkeit geraten lässt. Aus ihr heraus hadert er mit Gott: Weshalb ließ er diese Frau ihm, dem armen Mann, zur Qual werden? Der Text: Sô al diu werlt ruowe hât, sô mag ich eine entslâfen niet. daz kumet von einer frouwen schoene, der ich gerne waere liep, an der al mîn fröide stât. wie sol des iemer werden rât? joch waene ich sterben. wes lie si got mir armen man ze kâle werden? Das alttschechische Lied stellt neben dem Akzent auf „Sehnsucht“ das Moment des „Trostes“ viel deutlicher heraus. DAS ALTTSCHECHISCHE LIED IM LICHT DER JÜNGEREN DEUTSCHEN LIEBESLIEDDICHTUNG Innerhalb der jüngeren deutschen Liebeslieddichtung soll das Augenmerk zunächst auf die Liederbuchlieder gerichtet werden. Sittig erwähnt unter den behandelten Sehnsuchtsklagen keine, die eine nächtliche Einsamkeit des Liebenden zum Thema hätte. 237 März (1999) nennt unter diesem Gesichtspunkt das Lied 18 des Hugo von Montfort170 und vier Lieder aus dem Liederbuch der Clara Hätzlerin: I,7; I,87; II,5, II,34.171 Die Grundsituation − nächtliche Sehnsucht des Liebenden − wird in allen diesen Textzeugen um ein gerade in der Spätzeit neu aktuell gewordenes Motiv erweitert: Das des Traumes von der Geliebten, der mit der Enttäuschung beim Erwachen (Entschwinden dieser Vision) endet. (vgl. unten unter Mönch und Oswald). Am geeignetsten für einen Vergleich erweist sich das Lied I/7 aus dem Liederbuch der Clara Hätzlerin: Die Liebessituation wird hier im Einklang mit dem alttschechischen Lied noch im Zeitpunkt vor der Erhörung erfasst, der Liebende sehnt sich nach dem Trost von seiner Liebsten (er spricht sie direkt an). Dies geschieht unter Dienstmetaphorik und Einsatz des traditionellen Vokabulars: Ich hoff, mein dienst sey nit verloren / Der gnad ich allzeitt harr vnd peitt (V.71f.). Die eigentliche inhaltliche Neuerung des Liedes ist der Einschub der Liebesspiel-Traumvision. Hier wird die Sinnlichkeit zwar schon akzentuiert, jedoch: Die dazu eingesetzten gängigen Wendungen wirken eher dämpfend; sie vermeiden – im Unterschied zu Mönch und gar zu Oswald – erotisierende Details und Bildlichkeit. Das insgesamt längere Lied, das Grundthema gelegentlich auch um andere Elemente erweiternd (Verstocktheit vor Liebessehnsucht /Strophe16/, Frauenpreis /Strophe 20/) schließt mit mehrfachen Bitten des Mannes um Erhörung. Der lange und gedanklich ziemlich unstringente Text ist von der formalen wie auch inhaltlichen Geschlossenheit des alttschechischen Liedes weit entfernt. Hier einige dem alttschechischen Text annähernd gegenüberzustellende Passagen in knapper Auswahl: Zur Zeit des Morgenanbruchs − nach einer langen sehnsuchtsvollen Nacht − leidet der Mann unter großer Pein: Die vinster nacht ain end will han, Darynn ich nye chain ruo gewan. Das ist mir, fraw, von dir getan, Du krenckst mir als mein gemüt. (II. Strophe) Klagebekundung: 170 Edition Wackernell (1881), S.52ff. März (1999), S. 369 im Kommentar zum Lied W1 des Mönchs (Nachthorn) verweist auf diese Lieder im Hinblick auf die Liebestraum-Thematik. 171 238 Ich schrey zu dir vsz meinem synn Vmb trost, mein vsserwelter hordt, Hör, aller liebste helfferin, Verstand von mir mein clag vnd wort (III. Strophe) Eine dem alttschechischen Lied in Grundkonturen annähernd entsprechende Situation „eines sich nachts nach seiner Erwählten sehnenden Liebenden“ findet sich bei den avanciertesten Dichtern der Spätzeit Mönch von Salzburg und Oswald von Wolkenstein, wenngleich in den Kontext des Liebesliedes des jüngeren Typus eingebettet: der Monolog des Liebenden wird „aus einer Beziehung heraus“ geführt (die Liebe wird nicht ernsthaft bedroht), es geschieht darüber hinaus noch in „experimentatorischer“ Absicht. Vor allem vor der Folie dieser Lieder tritt der traditionelle Charakter des alttschechischen Liedes deutlich hervor. Das Nachthorn des Mönchs von Salzburg (in der Edition von März 1999 unter W1) - die Grundsituation – Vereinsamung in der Nacht – wird zum Ausgangspunkt für die experimentelle Umkehrung des Tageliedmodells - es herrscht eine andere Darstellung der Liebe (als freudebringend) Summarische Kennzeichnung: 1) Der sich nachts in Sehnsucht verzehrende Liebende findet im Gedenken an die Treue und Beständigkeit der abwesenden Liebsten Linderung seines Leids. 2) Der einsame Liebende träumt nachts vom Liebesspiel: Ein zwar seit je bekanntes Motiv,172das der Mönch jedoch spielerisch entfaltet. Es wird nicht nur im Hinblick auf den Liebenden, sondern auch umgekehrt auf die Geliebte bezogen: Auch sie (so sein Wunsch) solle vom Liebesspiel mit ihm träumen. Die ganze II. Strophe entfaltet dieses Motiv unter variierendem Ausdruck. 172 In der provencalischen Liebesdichtung, auch bei Morungen als Vision der Liebsten in der Nacht, wird das Geschehen jedoch vor der Folie der Unerreichbarkeit der Dame thematisiert, bei Walther (, L 74,20 - Tagestraum von der Liebsten) - wird mit dem Element der Erhörung gespielt. Das Motiv der Vision der Liebsten, modisch geworden, begegnet man häufig in der Gattung der Minnerede. Dort kommt es im Traum meistens zum Zwiegespräch zwischen dem Mann und der Geliebten über den Gegensatz zwischen ihrer êre und dem „Minnesold“. Der Mönch ist in dieser Hinsicht fortgeschritten und experimentatorisch zugleich: Im Nachthorn soll schon direkt über das Liebesspiel geträumt werden. Das alttschechische Gegenstück der Minnereden aus dem Liederbuch der Clara Hätzlerin stellt das Gedicht „Ein Maitraum“ von Hynek von Poděbrady (15. Jh.) dar. Seine Sinngebung ist aber noch kühner: die Frau wird in der Traumvision vom Liebenden gleich zu Anfang aufgefordert, sich zu entkleiden und zum Mann ins Bett zu legen. 239 Dieses Motiv wird in der III. Strophe „negativ“ aufgegriffen: im Vordergrund steht das enttäuschende Erwachen vom Liebestraum: Die schöne Vision ist zerstört. Dieses Moment wird übrigens bereits bei den Provenzalen, bei Hausen (MFMT 48,23, Schweikle ,1993, Nr. XI), bei Walther präsent (L 74,20, Schweikle, 1998 S.282, Str. 5). Entscheidend ist jedoch der „neue Geist“, in dem das Lied beschließt: Die der Vereinsamung entspringende Sehnsucht wird zwar noch einmal verdeutlicht, jedoch vor dem Hintergrund der Zuversicht des Liebenden auf baldigen Trost von seiner Partnerin. Fazit: Die thematisierte Grundsituation wird also experimentell erweitert: - Es ist vor allem die Umkehrung von Tageliedmotiven:173 das Nacht-Motiv ist nicht mehr Topos für das heimliche Treffen und Liebesspiel des Paares, gerade umgekehrt: Der Liebende wartet sehnsüchtig auf den Tag, um getröstet zu werden. Als ein Sehnsuchtslied − allerdings an seine Ehefrau gerichtet − in dem das erotische Moment, durch die typische Metaphorik Oswalds verbildlicht, noch stärker in den Vordergrund rückt, führe ich das Lied Ain tunkle varb in occident (Edition Wachinger 1995, dort unter Nr.15) an. Das Lied bringt bekanntlich eine annähernd gleiche Umkehrung von Tageliedmotiven wie „Das Nachthorn“ des Mönchs.174 Kurze Inhaltsbeschreibung: Die wesentlichen Neuerungen des Liedes sind schon aus der I. Strophe ersichtlich: Die nächtliche Einsamkeit des Liebenden wird weit mehr, in krasseren Farben als beim Mönch veredeutlicht: Ain tunkle varb in occident / mich senlichen erschrecket. Das erotische Verlangen wird gleich anfangs signalisiert: seit ich ir darb und lig ellent / des nachtes ungedecket. (I, 1-4) Die Erinnerungen an die Liebesfreuden entfachen das Verlangen und lassen eine Klage erklingen: 173 so Wachinger (1995) S. 99. 174 Ebda. Nach Wachinger ist ein Zusammenhang zwischen beiden Liedern unbeweisbar. Vgl. dazu auch Backes (1992), Kommentar zu „Nachthorn“ S.285f. Anderer Meinung ist Spechtler (1980), S.179, der „Das Nachthorn“ als Vorlage des Liedes Ain tunkle varb in occident bezeichnet. Der umfangreichste Kommentar zum Lied bei März (1999), S. 367-370. 240 Die mich zu fleiss mit ermlin weiss und hendlin gleiss / kann frölich zue ir smucken / die ist so lang, das ich von pang in dem gesang/ mein klag nicht mag verdrucken.(I, 5-8) Die Klage wird immer detailreicher: die Details sollen das zentrale Moment der (körperlichen) Sehnsucht verdeutlichen: Von strecken krecken mir die pain / wenn ich die lieb beseufte, die mir mein gir neur went allain / darzue meins vaters teuchte. (Wachinger übersetzt: den Krampf meiner Lenden). (I,9-12) Ähnliche neuartige Momente werden in der II. Strophe in bunter Variation zum Ausdruck gebracht: vor allem das schlaflose Herumwälzen und die Plage des Liebenden: dies geschieht unter Heranziehung typischer Formeln und Bilder Oswalds, die situationsgerecht umgangssprachlichen Ursprungs sind: Auch ein Charakteristikum der Spätzeit. Sie seien nur stichwortartig vergegenwärtigt: winkenwank, feur in dem dach, als ob mich prenn der reiffe. Die Schlussstrophe akzentuiert vor allem seine Bitte an die geliebte Gemahlin „Gret“, zu ihm zu kommen und seine Sehnsucht endlich zu stillen: Dabei wendet sich das Geschehen im Einklang mit der Spätzeit stark ins Erotische, wie die Metapher der sexuellen Erregung (Ratte) bezeugt, die typisch für Oswalds Vorstellungsvermögen ist: Kum, höchster schatz! mich schreckt ain ratz mit grossem tratz... III, 5). Auch das autobiographische Moment (liebe Gret) ist dabei innovativ. Das Lied schließt bezeichnend: Seine „Gret“ solle ihm gegen Morgen ein schönes Liebeserlebnis bereiten: … lieb, darzu tue, damit das pettlin krache!(III, 7f.). Mit dem Bild des dem Rausch dieser Vorstellung völlig verfallenen Liebenden, der voller Erwartungsfreude fast schon jubeln möchte, endet das Lied. Fazit: Das alttschechische Lied wirkt im Licht der Experimentatoren Mönch und Oswald sehr traditionell: das erotische Verlangen wird mit traditionellem Vokabular beschrieben (Sehnsucht), auch das zentrale Moment − die Gunstzusage (vom Mund der Frau?) ist traditionell. Wir haben vor uns eine Sehnsuchtsklage: ohne die von der Frau real oder fiktiv gesprochenen Schlussverse wäre diese, wie unzählige ihre Vorgängerlieder, an eine unerreichbare frouwe gerichtet. Durch die Antwort der Frau entsteht eine spannende Pointe, auch wenn die Worte der Frau nur als eine Wunschprojektion des Mannes zu verstehen wären. Liedtyp II: „NEUE“ DARSTELLUNG DER LIEBESKLAGE MIT HILFE DER MOTIVE DER ALTERSKLAGE 241 Das Lied „Tvorče milý“ / „Lieber Schöpfer“ a) Überlieferung: Knihovna cisterciáckého opatství ve Vyšším Brodě − Bibliothek der Zisterzienser-Abtei in Vyšší Brod, Ms. 42, Innenseite des Vorderdeckels. b) Metrischer Bau der Strophe: 8a 8b 8x 8b 8c 8d 8y 8d mit vielen Abweichungen von diesem Schema, vor allem in der zweiten Hälfte der Schlussstrophe, die ungereimt ist. c)Zum Inhalt: Das Lied „Tvorče milý“(„Lieber Schöpfer“) ist als eine Klage eines Liebenden gestaltet, der Gott um Hilfe anruft, um dem „Leid“, das sein Leben unerträglich und wertlos macht, zu entgehen und wieder „froh“ zu werden (I, 1-6). Er möchte sich aus seiner jetzigen Lage, die er metaphorisch als „Finsternis“ bezeichnet, befreien. Er wartet auf „Erbarmen“ (I,-7-8). Die Hauptstichworte stimmen mit denen der Liebesklage überein (Strophe I). Gott wird – ähnlich wie in der vorausgehenden Strophe – angerufen, um den Liebenden aus seiner „Seelennot“ zu befreien: Was möchte der Liebende? „Dauerhafte Gesundheit und Glück“ (II, 1-4); nur unter diesen Umständen könnte er „getröstet werden“, „wieder froh sein“ (II, 5-6). Auf welche Weise? Das verwendete Vokabular deutet nur auf eine Möglichkeit: der Mann würde dann eine Liebesbeziehung erleben können, die ihn als einen erscheinen lässt, der seinen Konkurrenten und Feinden überlegen ist: Dann könnte mein Herz Trost empfangen, / und in Freude verweilen / mit einem grünen Kranz (auf dem Haupt) könnte ich einhergehen, / alle bösen Feinde nicht beachten (II, 4-8). Auf eine Möglichkeit der weltlichen Liebesbindung deutet die Verknüpfung der Begriffe „Trost“, „Freude“ mit dem Bild des „grünen Kranzes“ (Geschenk, das eine Auserwählung in Liebe bedeutet) (Strophe II). III. Strophe: Der Liebende wird von seiner Erwählten angesprochen, sie kommt ihm gewogen entgegen. Dieser überwältigende Eindruck wird mit Hilfe des Vokabulars geschildert, das, aus der geistlichen Dichtung übernommen, im klassischen Minnesang genutzt wird, um die hohe Stellung der Dame zu verdeutlichen: Die Frau ist als eine hohe, himmlische Erscheinung dargestellt, das Liebesleid des Mannes (wohl auch seine Feinde) ist mit der Metapher der „Wolke“ umschrieben. In derselben Bildlichkeit, die am meisten von Morungen genutzt wird, wird die Gnade der Herrin metaphorisch als „strahlendes Licht“ bezeichnet: Vom Himmel antwortete mir / eine Jungfrau mit engelhaftem Antlitz; / sie sprach: „Leide nicht mehr, komm heraus aus der Wolke, / tritt in helles Licht“ (III, 1-4). Für die Reaktion des Mannes ist das Modell der Altersklage gewählt. Er verharrt in seinem Leid schon eine unermesslich lange Zeit (dies wird mit dem Bild des langen „Kampfes“ in der 242 Welt illustriert III, 5-6). Das lange Leiden-Müssen „machte ihn alt“: Wie er feststellt, kann er, alt und grau, eine so lange begehrte Liebe nicht mehr aushalten. Dies wird wirkungsvoll im Topos der Verfluchung seiner eigenen Geburt (schon Hiob) zum Ausdruck gebracht (III, 7-8). Im Hinblick auf die einleitenden Leidbekundungen des Mannes lässt sich vermuten, dass bereits auch hier das Modell einer Altersklage genutzt wird: es wird hier ein Mann dargestellt, der von den Gefühlen der Verlorenheit, der Gottesferne und eines unermesslichen Leids zerfleischt wird. Dies sind traditionelle Attribute einer Alterklage. Dass es sich um das lange Leid der Nichterhörung von Seiten seiner Liebsten handelt und das ihre Zuwendung zu spät kommt, wird im Lied langsam entfaltet. Diese Darstellungsform ist insgesamt als neu zu betrachten. Hier durchdringen sich das „alte, traditionelle“ Vorstellungsmuster einer Liebesklage mit dem der Altersklage. Diese führt der Liebesklage existentielle Dringlichkeit und hoffnungslose Endgültigkeit zu. Dies macht das Lied in besonderer Weise bemerkenswert. Der Text des Liedes und seine Prosaübersetzung: I 5 II 5 III 5 I Tvorče milý, v tu naději chciť já rád sobě odtušiti. V. Vezma tvú milost na pomoc chciť tu žalost zrušiti, Ro. v nížť přebývám ve dne i v noci, ažť mi život žáden nenie. Ro. Znám to, ež sem byl v temnosti a čekajě smilovánie. V. Tvorče milý, rač spomoci, bych neumieral v této túze. V. V dlúhém zdraví, dobrém sčěstí daj mi milost, svému sluze. Ro. Jižť bych odtušil srdéčku, v radosti přebývaje, Ro. chodě v zeleném věnečku, na zlé soky nic nedbajě. V. Z nebes mi jest odtušila panna v anjelské tváři V. a řkúc: „Netuž, poď ven z mračna, vystup na jasnú záři.“ Ro. Již sem byl tam, zde i onde, i v rozličném boji. Ro. V neščastný sě den narodil, ty šedivý, starý mužíku! Lieber Schöpfer, ich habe Hoffnung, dass ich mich trösten und wieder froh werden kann. 243 5 II 5 III 5 V. Mit Hilfe deiner Gnade möchte ich mich von dem Leid befreien, Ro. in dem ich Tag und Nacht befangen bin, so sehr, dass mir mein Leben wertlos erscheint. Ro. Ich bekenne, in der Finsternis gewesen zu sein und warte auf Erbarmen. V. Lieber Schöpfer, mögest du mir dazu verhelfen, dass ich in dieser Seelennot –einem Sterben – nicht ausharren V. Zu dauerhafter Gesundheit und Glück [muss. verhilf mir, deinem Diener, gnädig. Ro. Dann könnte mein Herz Trost empfangen, und in Freude verweilen, Ro. mit einem grünen Kranz (auf dem Haupt) könnte ich alle bösen Feinde nicht beachten. [einhergehen, V. Vom Himmel antwortete mir eine Jungfrau mit engelhaftem Antlitz; V. sie sprach: „Leide nicht mehr, komm heraus aus der tritt in helles Licht.“ [Wolke, Ro. Ich war bereits dort, hier und anderswo, auch in verschiedenste Kämpfe verstrickt. Ro. An einem Unglückstage kamst du zur Welt, grauhaariger, alter Mann! DER ZUSAMMENHANG MIT DEM MINNESANG: Eine Darstellungsform, wie sie anhand des alttschechischen Liedes beschrieben wurde, als Mischung zweier Gattungen, findet man im deutschen Minnesang nicht. Zwei Lieder Walthers von der Vogelweide sind ihrer Gattung nach „Altersklagen“. Wenn Walther in dem einen (L66, 21), das Thema der Minne aufgreift, dann in Bezug auf die Rolle des alternden Sängers, der seine Minneerfahrung und seinen Minnesang den jüngeren überantwortet. In der „Elegie“ (L124,1) taucht das Thema „Minne“ nur indirekt im Rahmen von Gesellschaftskritik auf, in der Kritik am „freudelosen“ Verhalten der jungen Leute. DAS ALTTSCHECHISCHE LIED IM LICHTE DES SPÄTEN MINNESANGS UND DER JÜNGEREN DEUTSCHEN LIEBESLIDDICHTUNG Viel näher steht unserem Lied das Motiv des „Altwerdens vor unerhörter Liebe“, das in dem späten Minnesang und der jüngeren Liebeslieddichtung oft thematisiert wird. An dieser Stelle seien einige Beispiele angeführt werden, die für alle stehen. 244 In dem Lied 2 Frauenlobs (Edition Stackmann-Bertau, S. 385) die ersten zwei Strophen des Liedes wurden bereits in der vorausgehenden Analyse herangezogen und interpretiert), beklagt sich der Liebende, von Seiten seiner Dame nicht erhört zu werden. Es ist besser, sagt der Liebende, eine Zuwendung der Dame zu erfahren, die in aller Unschuld gewährleistet ist, (dafür stehen die weiße Farbe und das Bild der Lilie) als stets abgelehnt zu werden: Dies bringt dem Liebenden Pein (blaue Farbe) und das vorzeitige Ergrauen – also das Altwerden. Die blaue Farbe als Farbe der Wunden der christlichen Märtyrer (so z. B. in der alttschechischen Legende über die Heilige Katharina und ihren Märtyrertod aus der II. Hälfte des 14. Jahrhunderts symbolisch ausgelegt)175 steht hier höchstwahrscheinlich für die Liebespein. Das Motiv des „vorzeitigen Altwerdens vor Liebespein“ ist hier deutlich akzentuiert. Hierfür wird ein Darstellungsmittel beigezogen, das als „spätes“ zu bezeichnen ist; die Blumen- und Farbensymbolik. Das „alte“ Liedmodell der Liebeklage und der Lohnforderung wird mit dem Motiv des „Alters“ und mit Hilfe der Blumen- und Farbensymbolik von Neuem tragfähig gemacht. Baz dem munde zeme ein liljenwizes ja dann ein nein von jamer bla: das wort machet mein jugent gra. (Lied 2, Strophe B, V.5-7) In schematischer Vereinfachung findet man das Motiv „Altwerden vor Nichterhörung“ vor allem in der jüngeren deutschen Liebeslieddichtung. Dies bringt z. B. das Lied Nr. 27 der Sterzinger Miszellaneen-Handschrit (Edition Zimmermann, S. 153) zur Geltung. Hier wird das Motiv genutzt, um die Befindlichkeit eines noch nicht erhörten Liebenden zu beschreiben, der die Gnade seiner Liebsten den Wonnen der ganzen Welt vorziehen würde: I Trostlicher Trost, mein hochstes hail, dein fromdigkait die pringt mir laid. ich nem ir gunst zu meinem tail für alles, das die erde trait. Eduard Petrů: Symbolika drahokamů a barev v Životě svaté Kateřiny. (Zur Symbolik der Edelsteine und Farben im „Život svaté Kateřiny“). Slavia 64 (1995), S. 381-387. 175 245 Die Erwählte ist ihm nicht gewogen. Das „macht ihn“ trotz seiner Jugend, die er hervorhebt, „alt“. II Sie ist mir frömde, die wolgestalt, si tut mich aller frewdn on. trostlicher trost, du machst mich alt, wie wohl das ich der jar nit han. Zuletzt hofft der Liebende auf einen guten Ausgang seiner Bestrebungen. Das „alte“ Motiv der Hoffnung wird im Modus einer Lehre vorgetragen. Diese Darstellungsart, die besonders der sprichwortartige Schlussvers bezeugt, ist für die Spätzeit insgesamt typisch. III So han ichs doch gehört sagen, das hoffen erner den menschen dick. dar vmb so wil ich nit verzagen, die zeit leit nit an einem strick. Das anonyme Lied „Der walt hat sich entlawbet „ aus dem Lochamer Liederbuch (Edition Salmen /Petzsch, Nr. 16, S. 49-55) ist vor der Folie des Sehnsuchtsliedes gestaltet. Ein Liebender muss seine Liebste meiden, weil ihre Liebesbeziehung die Kläffer mit ihrem bösen Werk stören. Die düstere Stimmung des Liedes ist noch durch den Wintereingang verdeutlicht. Das ist die Grunddisposition des Liedes. Der Liebende hofft auf Treue seiner Partnerin während ihrer Trennung. Diese kommt dem Mann gegen Schluss des Liedes in Verbundenheit liebend entgegen (was als ein häufiges Motiv der Spätzeit zu werten ist). Das Motiv des „Altwerdens vor Liebespein“ betont hier die Sehnsucht des Mannes nach seiner Liebsten gleich im Eingang des Liedes: Strophe I 246 Der walt hat sich entlawbet gen disem winter kalt. mein(e)r freud pin ich berawbet, gedencken machen mich alt. Das ich so lang muß meiden, die mir gefallen(d) ist, das schafft der klaffer neide, dar zu ir arger list. Das Motiv „Ohne Liebe ist man ein Greis“ ist – in einem ähnlichen Kontext − auch aus der mittelateinischen Liebesslyrik zu belegen. Im Lied Nr. 104 „Egre fero, quod egroto“ (Ich bin wütend über meine Krankheit!) der Carmina Burana (Edition und Übersetzung Vollmann, S.393f.) charakterisiert ein Liebender seine Vergangenheit als eine Zeit, in der er vor (Liebeslied?) sich selbst als Greis wahrnahm. Seit er in Liebe zu einer Neuen entflammt ist, fühlt er sich wieder „jung“: II. Strophe: Nuper senex iuuenesco, desenesco, nec compesco motus animi. (...) (Eben noch ein Greis, werde ich wieder jung, das Alter fällt von mir ab und ich unterdrücke keineswegs meine Gefühlsregungen.) III. Strophe: Amor noster senuit, dum re peramata, renouata Veneris scintillula in nouam nouellula 247 michi me subripuit (...) (Mein Liebesverlangen war vergreist, bis das Venusfünklein, durch ein überaus geliebtes Wesen erneuert, von neuem auf eine Neue gerichtet, mich um meinen Verstand brachte). Liedtyp III. LIEBESKLAGE MIT ELEMENTEN DER LIEBESLEHRE Das Lied „Dřěvo se listem odievá“ / „Der Baum belaubt sich mit Blättern a) Überlieferung: Österreichische Nationalbibliothek Wien, Ms. 4558, fol .24v-25r. b) Zur Form: Stollenstrophe, idealtypischer metrischer Bau: 8a 7a 7b 8b 8c 7c 7d 8d /Aufgesang/, 8e 8e 8f 6f /Abgesang/ c) Analyse des Inhalts: I. Strophe: Das Lied ist zunächst vor der Folie einer traditionellen Minneklage gestaltet. Ein Liebender beklagt sich über seine Liebespein, die ihm die abweisende Haltung seiner Liebsten bereitet. Um sein Leid zu betonen, hebt er den Widerspruch zwischen einer Mailandschaft, die im Detail des sich belaubenden Baumes und der singenden Amsel erfasst wird (Frühlingstopos), und seiner Liebespein hervor. Dies ist eine traditionelle Motiverknüpfung (I, 1-4). Für seinen Liebesschmerz wählt er ein „neues“ Bild: Das der Marterung des Herzen. Seine Geliebte führt eine Säge, die tief in sein Herz schneidet. Dennoch – nach alter Art − beteuert der Liebende seiner Liebsten seine Beständigkeit. Das „neue“ Bild der Säge im Herzen unterstreicht hier die „traditionelle“ Perspektive (I, 5-8). Das Bild des gemarterten Herzen ist in der Spätzeit zu einem Sinnbild der Liebesschmerzes geworden. Es liegt auch in vielen Abbildungen vor. Für alle steht das Bild dieser „Marter“ von Casper von Regensburg, der im Jahre 1479 diese Thematik als Holzschnitt darstellte: Viele Herzen der Liebenden werden auf verschiedene Art gemartert, darunter auch mit Hilfe der Säge entzwei geschnitten .176 176 Das Bild ist bei Michael Camille: Die Kunst der Liebe im Mittelalter, Köln 2000, S. 117 abgedruckt. 248 Der Liebende ist erstaunt über die Eigenschaft seines Herzens, das sich trotz seiner Pein seiner Erwählten als eigen gibt. Es siecht dahin – wegen einer, die heimlich geliebt wird: Mein liebes Herz, ich wundere mich über dich, / warum möchtest du dich nicht lieber schonen? / Dein Frohsinn und deine Freude gehen zugrunde / der einen Ungenannten wegen. Das anschließende Motiv, den Namen seiner Liebsten zu verschweigen (sie ist die „Ungenannte“), ist aus der Tradition des Minnesangs entnommen (I, Ro. :9-12). II. Strophe: Das Schlussmotiv der vorausgehenden Strophe, die Verheimlichung der Identität der Liebsten, wird unter lehrhaftem Aspekt aufgegriffen. Der Liebende verdeutlicht exemplarisch am eigenen Beispiel, was geschehen würde, wenn er seine Verschwiegenheit durchbrechen würde. Er würde „von vielen aufgeklärt und als einer, der mit Liebeserfolg prahlt, abgestempelt“: Würde ich sie beim Namen nennen, / manch einer würde mich tadeln /und sagen: „Warum dienst du so? / Warum prahlst du mit deinem Erfolg in der Liebe?“ (II, 1-4). Der Autor führt hier genau wie in der vorausgehenden Strophe einen Vergleich an, in dessen Zentrum ein neues Bild steht. Er möchte dadurch die Situation der „falschen Art der Liebe“ noch eingehender beschreiben. Ein „Prahler“ hält nicht die Treue und wird ein „unbeständiger Liebender“ genannt, der „einer Klette am Wegrand gleicht“. Die Klette steht hier symbolisch für eine wertlose Blume, bzw. den wertlosen Liebenden (II, 5-8). Im Unterschied zu dieser Art von Liebe bringt der Autor mit dem Liebenden ein Beispiel der Tugend: Er stellt den Liebenden als einen dar, der das Verschwiegenheitsgebot immer, auch in der Situation der Liebespein einhält (Wer bin ich? Derjenige, der die Säge /im Herzen/ trage) und seine Liebste vor allen preist (habe die schönste Geliebte, / deren Namen ich niemandem verrate, / nur ich und mein Herz kennen diesen) (III, 9-12). Ein alter Topos des Minnesangs – Verschwiegenheit in Liebe − wird hier „neu“ thematisiert. III. Strophe: Der Liebende hofft darauf, von seiner Liebsten dieselbe Treue und Verschwiegenheit erfahren zu dürfen. Dies wird in den Rahmen einer kleinen Liebeslehre gefasst: In Sachen Liebe sollte man das Liebesgeheimnis nie einem Dritten mitteilen. Eine Zuversicht hilft der anderen Zuversicht. / Dort, wo beide Liebenden einander treu bleiben – / er ihr und sie ihm –, / sag’ das nicht einem Dritten (III,1-4). Dieser plaudert alles aus. Die weiteren Äußerungen des Liebenden sind vor der Folie einer Kläfferschelte gestaltet. Das Motiv der Kläffer ist dem 249 jüngeren Liebeslied entnommen. Ein „Plauderer“ wird gescholten: Ach, wehe ihm! Böse Gewohnheit pflegt er! / Wer einen solchen kennt, nehme ihn nicht in seine Gunst (III,7-8). Der Liebende strebt an, ihn aus dem Kreis „aller treu Liebenden“ mit einer deutlichen körperlichen Geste, mit dem Ellenbogenstoß, wegzuschaffen (III, 5-12). Fazit: Die neue Bildlichkeit (Säge im Herzen, Klette) wird in den Rahmen des alten Liedmodells inhaltsdienlich eingebettet. Die traditionelle Liebesklage, deren Motive im Lied dominieren, wird hier mit den „neuen“ Elementen der Lehrhaftigkeit und der Kläfferschelte kombiniert. Es durchdringen sich hier somit alte und neue Gattungstypen (Liebesklage, Minnelehre, Kläfferschelte). Die Grundhaltung des Liebenden ist die der Liebesklage: Er, ein Vorbild der Tugendhaftigkeit, hofft unbegründet auf Zuwendung seiner Erwählten. Mit seiner Liebeslehre möchte er Eines erzielen: sich in bestem Licht darzustellen (Leistung in der Liebe, Strophe II) und damit seine Liebste zur Zuwendung bewegen. Die Liebste wird − was ein jüngeres Motiv ist – zur Beständigkeit in Liebe aufgefordert (Strophe III). So stellt sich der Liebende die ideale Liebebeziehung vor. Die Gegenseitigkeit in Liebe ist hier eine Vorstellung des jüngeren Liebesliedes. So durchdringen sich auch auf dieser Ebene „Altes“ und „Neues“. Der Text des Liedes und seine deutsche Prosaübersetzung: I 5 10 II Dřěvo sě listem odievá, slavíček v keřku spievá. Máji, žaluji tobě a mécě srdce ve mdlobě. V. Zvolil sem sobě milú, ta tře mé srdce pilú. Pila hřeže, ach bolí, a tvójť budu, kdeť sem koli. Ro. Srdéčko, divím sě tobě, že nechceš dbáci o sobě. Tvá radost, veselé hyne pro tu beze jmene. Ačť bych já ji zmenoval, mnohýť by mě štrafoval a řka: „Proč ty tak slúžíš? 250 5 10 III 5 10 I 5 10 II 5 10 III Čemu sě milostí chlubíš?“ V. Neustavičný milovník jako u cěsty hřěpík: k čemu sě koli přičiní, a tomu všemu uškodí. Ro. Ktoť sem, tenž nosímť pilu, jáť mám najkrašší milú, téť nikomu nepoviem, sámť ji s mým srdéčcem viem. V. Viera vieřě pomáhá. Kdeť sú dva sobě věrna – on jí a ona jemu –, nepoviedaj třeciemu. Mnohýť sě rád honosí, tenť tajemství pronosí. Ach naň, zlýť obyčejť jmá! Nepřejtež mu, ktoť jeho zná. Ro. Poniž on vás tak hanie, prosímť vás, panny i panie, přezdiec jemu: „Rušikvas,“ vyšcěrčmež jeho pryč od nás! Der Baum belaubt sich mit Blättern, die Nachtigall singt im Strauch. Mai, ich beklage mich bei dir, mein Herz ist in Ohnmacht gefallen. V. Ich erwählte mir eine Geliebte, die zersägt mein Herz mit der Säge. Die Säge schneidet tief, ach, sie schmerzt so sehr, dein bin ich immer und überall. Ro. Mein liebes Herz, ich wundere mich über dich, warum möchtest du dich nicht lieber schonen? Dein Frohsinn und deine Freude gehen zugrunde der einen Ungenannten wegen. Würde ich sie beim Namen nennen, manch einer würde mich tadeln und sagen: „Warum dienst du so? Warum prahlst du mit deinem Erfolg in der Liebe?“ V. Ein unbeständiger Liebender gleicht einer Klette am Wegrand: wenn er eine Liebesbeziehung anbahnt, verdirbt er sie ganz und gar. Ro. Ich bin einer, der mit einer Säge (im Herzen) herumgeht, habe die allerschönste Geliebte, diese verrate ich niemandem, nur ich und mein Herz kennen sie. V. Eine Zuversicht hilft der anderen Zuversicht. Dort, wo beide Liebenden einander treu bleiben – er ihr und sie ihm –, sag’ das nicht einem Dritten. 251 5 10 Manch einer prahlt gerne, der verrät geheime Dinge. Ach, wehe ihm! Böse Gewohnheit pflegt er! Wer einen solchen kennt, nehme ihn nicht in seine Gunst. Ro. Da er euch nur Übles nachsagt, bitte ich euch, Jungfrauen und Frauen, nennt ihn: „Festverderber“, dann wollen wir ihn mit dem Ellenbogen von uns wegstoßen! DER ZUSAMMENHANG MIT DEM DEUTSCHEN MINNESANG: Wie in der Analyse dargelegt wurde, greift das alttschechische Lied mehrere „traditionelle“ Topoi des Minnesangs auf: Erstens den Frühlingseingang, der im Widerspruch mit der Befindlichkeit des trauernden und hoffenden Ichs steht, das trotz der Ungunst von Seiten seiner Liebsten ihr gegenüber seine Beständigkeit bekundet, zweitens die Verschwiegenheit in Liebe als Hauptbedingung für die höfische Minne. Es erübrigt sich, für diese bekannte Topoi Entsprechungen aus der Tradition des deutschen Minnesangs einzeln aufzuzeigen. DAS ALTTSCHECHISCHE LIED IM LICHTE DER JÜNGEREN DEUTSCHEN LIEBESLIEDDICHTUNG Im alttschechischen Lied finden wir alte Topoi, die von neuer Bildlichkeit (Säge im Herzen, die für Liebespein steht, Klette als wertlose Pflanze, die für den „Plauderer“ steht) unterstützt werden. Das Lied setzt sich aus mehreren motivischen Bereichen zusammen: Das Motiv der Verschwiegenheit wird zunächst als eine Tugend des Ichs, dann im Rahmen einer Liebeslehre in Anbetracht der Gefahr von Seiten der Kläffer thematisiert, schließlich geht das Lied ganz in eine Kläfferschelte über. Diese Art, auf die der Autor des Liedes diese Motive miteinander verknüpft, macht die Besonderheit des Liedes aus, welche vor Augen tritt, wenn man das Lied einigen jüngeren deutschen Liebesliedern gegenüberstellt. Im alttschechischen Lied sind alle Motive vor dem Hintergrund eines Liebenden thematisiert, dessen Haltung der Haltung der alten Minneklage entspricht. Einen ähnlichen Liedtyp, der eine Durchdringung von Altem und von Neuem wie das alttschechische Lied beinhalten würde, findet man unter den Materialien, die mir zur Verfügung standen, nicht. Unter den Liedern der späteren deutschen Liebeslieddichtung erscheint häufig ein Liedtyp, das nur das eine Motiv entwickelt, sei es Kläfferschelte (z. B. das Lied 114 des Königsteiner 252 Liederbuchs), sei es die Verschwiegenheit in der Liebe (das Lied W11 des Mönchs von Salzburg). Eine Verbindung genau dieser Motive ist seltener zu finden. Ich interpretiere vor diesem Hintergrund ein Lied aus dem Liederbuch der Clara Hätzlerin, eine Liebeslehre, welche die Motive „Verschwiegenheit“ und „Warnung vor den Kläffern“ in einem Zusammenhang aufgreift. Das Lied beschreibt eine Nähe des Liebenden zu seiner Partnerin, wie sie für das jüngere Liedmodell typisch ist. Es veranschaulicht die Unterschiede zwischen dem alttschechischen Lied und einem Lied „neuer“ Art. Das Thema des Liedes I /63 Ich brüff gar dick aus dem Liederbuch der Clara Hätzlerin ist die Verschwiegenheit, die vom Liebenden vor dem Hintergrund der Gefahr von Seiten der Kläffer als Hauptbedingung für eine funktionierende Liebesbeziehung gehalten wird. Das Lied ist als eine Lehre gestaltet: zunächst als Warnung vor Kläffern anhand folgender Situation: wenn sich zwei Liebenden einander zu offen liebend ansehen, ohne das wache Auge der Kläffer genug zu beachten, kann es ihnen viele Schmerzen bereiten. Diesen Rat soll man befolgen, um die größte Freude der Welt, die der Liebe, erfahren zu können (I. Strophe). Text der I. Strophe: Ich brüff gar dick, Das sältzamm plick Pringt friuntlich strick. Wva lieb lieb on versehentlich an sicht, Wee baiden hertzen da geschicht, Das icht merck chain valscher wicht. Des solt man pillich geüden, Wann solicher lieben fräden Chain fräde vff erd ward nye geleich. Die Liebeslehre hebt die Verschwiegenheit hervor: Als Vorbeugungsmittel gegen die „Kläffer“, die die Liebe verraten („kallen“) und dadurch betrüben würden. Es wird eine weitere Situation entworfen: Als ein Beispiel für ein gutes Verhalten, das für jeden gelte, wer zufällig ein Liebespaar sieht. Man sollte sich zurückziehen und über alles schweigen. Jedem 253 kann dasselbe passieren; im Moment seines Liebesglücks würde er auch nicht wollen, gesehen und verraten zu werden (II. Strophe). Text der II. Strophe: Welcher guot gesell Fräd haben wöll Vor vngefell, Der schweig, wva er lieb sach ersäch, Vff das ob Im icht guotz beschäch, Das nyemantz args dazuo iech. Gar pillich ich von dann entweich Vnd gedenck, es möcht dir misseuallen, Wurs yemant args darzuo kallen. Als eine weitere Möglichkeit, dem wachen Auge der Kläffer zu entgehen, wird eine dritte Modellsituation dargestellt: In Form einer Lehre (des Liebenden) an seine Erwählte. Sie soll den „friunden“ zugetan sein, die Kläffer demgegenüber mit ihrem Verhalten täuschen: Im Liebesleid soll sie „lachen“, in Liebesfreude soll sie der Außenwelt gegenüber eine traurige Miene tragen und so ihre „Blicke“ verheimlichen: Wann anplick verraten dick liebe sach! in fräden seuftz, in trauren lach (III, 4 -5). Nur so kann man die Kläffer überlisten: Das chain schalck merck dein vngemach! Selbander solt du beleibn, / wilt du lieb sach treiben! So beleibt dein hertz in fräden reich (III, 7-10). Text der III. Strophe: Ach weipliches pild, Beleib friunden milt, Gen den schalcken wild, Wann anplick verraten dick liebe sach! In fräden seüftz, in trauren lach, Das chain schalck merck dein vngemach! 254 Selbander solt du beleibn, Wilt du lieb sach treiben! So beleibt dein hertz in fräden reich. Fazit: Das alttschechische Lied ist in seiner Perspektive viel traditioneller: Eingeleitet als Liebesklage (I. Strophe), setzt es sich als Liebeslehre fort, die am Beispiel des Liebenden ein vorbildhaftes Verhalten in der Liebe zeigt. In dieses Verhalten ist neben der Beständigkeit die Verheimlichung des Namens der Geliebten eingeschlossen. Beide Motive sind alt und der Tradition des Minnesangs entnommen (II. Strophe). Die Gegenseitigkeit der Treue ist angesichts der Gefahr, von einem Dritten verraten zu werden, das Thema der dritten Strophe. Erst hier setzt eine „neue“ Vorstellung ein: Der Liebende fordert die Treue der Partnerin und schilt den Kläffer. Das deutsche Lied, vom Anfang an als eine Liebeslehre gestaltet, verdeutlicht unter dem Stichwort „Verschwiegenheit als Vorbeugung gegen die Kläffer“ drei verschiedene Verhaltensmuster, die allgemein gelten sollen: Erstens als Lehre für ein Liebespaar (sie sollen ihre Blicke verheimlichen), zweitens als Lehre für einen zufälligen Beobachter des Liebespaares (er soll verschwiegen sein), drittens für eine Frau ( hier kann auch die Partnerin des Ichs mitgemeint sein), sie soll gerade das Gegenteil ihrer Gefühle der Außenwelt gegenüber, die Kläffer einschließt, in ihren Gebärden ausdrücken. Die Verschwiegenheit ist hier breiter und systematisch unter drei Gesichtspunkten thematisiert. Die Form einer Liebeslehre ist „neu“. Es wird, im Unterschied zum alttschechischen Lied, das in der traditionellen Art als Monolog eines hoffenden Liebenden angelegt ist, eine feste Bindung des Paares –das neue Liedmodell − vorausgesetzt. IV. Liedtyp PREISLIED Beispiel I: Das alttschechische Lied „Poznal jsem sličné stvořenie“ / „Ich lernte ein anmutiges Wesen kennen“ a)Überlieferung: Landesarchiv Opava, Arbeitstelle Olomouc, Ms. O.C. 300, fol. 285r. 255 b) Zur Form: idealtypische Form der Strophe ist 8a / 8b / 8a / 8b/ mit verhältnismäßig vielen Abweichungen in der Silbenzahl und etlichen Assonanzen. c) Analyse des Inhalts Die ersten zwei Strophen des Liedes bringen einen Preis der Frau aus dem Mund des Liebenden. Dabei werden traditionelle Motive genutzt. Die Erwählte überragt alle Frauen in der Welt, besitzt alle denkbare Tugend, Schönheit, Edelmut (Strophe I), Güte, ihre Gestalt ist engelgleich: Die Wahrnehmung ihrer körperlichen Schönheit ruft im Liebenden die Vorstellung hervor, im Paradies zu sein. Vor allem die letzten Motive − die Gleichsetzung der Frau mit dem Engel und das Paradies-Bild − sind in der Lyrik der Spätzeit beider Sprachräume sehr verbreitet (Strophe II). Der „reine“ Frauenpreis geht in eine Liebeslehre über, wieder aus dem Mund des Liebenden: seine Vorstellung von der Liebesbeziehung ist die der Gegenseitigkeit in Liebe: Um dies zu verdeutlichen, wählt er das traditionelle Bild von „zwei Herzen in einem Leib“ (bereits im Tagelied I des Wolfram von Eschenbach, Weiteres s. unten). Diese Vorstellung wird noch um den Aspekt gegenseitiger Achtung erweitert. Dies sind höfische Verhaltensnormen, die die Spätzeit übernommen hat (Strophe III). Der Liebende setzt seine Liebeslehre fort: er wünscht sich, dass eine Frau einem liebenden Mann nicht nur Zuwendung schickt, sondern dass sie ihm in unverbrüchlicher Treue verbunden bleibt. Die Aufforderung des Mannes zur Treue der Partnerin ist ein Motiv der Spätzeit (Strophe IV). Die allgemein geltende Lehre bezieht der Liebende nun auf sich: Der Liebende hofft, die Treue, die er in der Liebeslehre exemplarisch behandelte, bei seiner Erwählten voraussetzen zu können. Es wird zum Szenario einer Liebesklage übergegangen. Er fordert sie zur „Hilfe“ auf: Es klingt hier das „alte“ Motiv der Lohnforderung an (Strophe V). Die traditionellen Motive der Liebesklage werden weiter ausgeführt: Der einsame Liebende klagt über seine Liebessehnsucht. Völlig im Einklang mit der Tradition führt er als seine Leistung, die ihm „Lohn“ bringen soll, seinen treuen Dienst an. Um dies zu betonen, bedient sich der Autor einer Figura etymologica: Sie hat keinen Diener, der sich mehr Verdienste / um sie erworben hat, als mich, / – sie, der ich vor allen anderen diene (VI, 2-4). Aus dem Fortgang des Liedes ergibt sich, dass die Partnerin dem Liebenden gewogen ist. Dies bestätigen unmissverständlich die Verse der VII. Strophe. Sie nutzen als Verdeutlichung des Anliegens des Liebenden, eine beständige Partnerin zu gewonnen zu haben, das „neue“ Mittel der Farbensymbolik. Der Liebende möchte einer Partnerin nahe kommen, die „seine“ Farbe trägt : Ich möchte ihr vor allen anderen treu dienen, / damit ich ihr nahe komme, / ihr, 256 die in mir Freude erweckt, /die in meiner Farbe (gekleidet) geht. Dass es sich um die blaue Farbe handelt, die symbolisch für die Beständigkeit in Liebe steht, wird in der Strophe X präzisiert, welche die Motive des Dienstes und des Preises miteinander verknüpft: Ich lernte sie in blauer Farbe kennen, / gleich befahl ich mich in den Dienst, / dieser anmutigen, schönen Frau, /und diene ihr ohne Unterlass. Vor dieser Strophe wurden noch die Strophen VIII und IX eingeschoben: die Strophe VIII stellt einen Dank des Liebenden an Gott dar, dessen Fügung es war, dass der Mann seine Liebste kennen lernte (was ein traditionelles Motiv ist), die Preisstrophe IX hebt verdeutlichend ihre vorbildlichen Eigenschaften und ihre Minnewürdigkeit hervor: sie ist dessen würdig, dass er ihr bis ans Ende seinen Lebens dient. Das Dienstmotiv wird in der Schlussstrophe XI auf traditionelle Weise unter Benutzung „alter“ Wortformeln wieder aufgenommen und betont: Der Liebende möchte seiner Liebsten sein ganzes Leben lang dienen. Erst in seiner Todesstunde möchte er die Frau er um „Erlaubnis“ bitten, aus dem Dienst austreten zu können. Fazit: Im Lied vermischt sich die „alte“ Haltung des Mannes, die seines Preises der Frau, seiner Hoffnung auf eine Geste ihrer Gnade (Strophen I, II, V, VI) und seines Dienstes an der Frau(X, XI) mit neuen Ansichten auf Liebe und Partnerschaft, deren Ausdruck die Forderung der Gegenseitigkeit in Liebe und der beständigen Zuwendung der Partnerin sind (III, IV). Für diese Motive wird die modische Form der Liebeslehre gewählt. In einigen Strophen wird die Frau zugleich als eine dargestellt, die dem Mann gegenüber Gewogenheit äußerte, was mit dem Darstellungsmittel „Farben“ symbolisch unterstrichen wird (VII, 3-4, X). Die unstringente Gedankenführung ist ein typisches Merkmal der Spätzeit. In dem Lied, das insgesamt vor der Folie der Liebesklage gestaltet wird (so ist auch die Schlussstrophe zu verstehen), durchdringen sich somit „alte“ und „neue“ Vorstellungen. Der Text des Liedes und seine Prosaübersetzung: Fassung O I Poznalť jsem sličné stvořenie, jemuž v světě rovné nenie, podobnať jest ke všie ctnosti, krási i všie šlechetnosti. II Pravím to bez pochlebnosti, že dobrota při její ctnosti, 257 jestiť andělské postavy, kdyžť ji vidím, mniem, bych byl v ráji. III Mohuť to řéci cele, že jsta dvě srdci v jednom těle, muožeta spolu přebývati a ve cti sě milovati. IV Ještěť viece pravím k tomu: Kteráž s věrú přěje komu, jmáť jmieti mnohé myšlenie u vieřě bez pochybenie. V Neb sě ta řeč ke mně miení, úfám, žeť mi toho nepromění. Chciť bydliti k její moci, zdaliť mi ráčí zpomoci? VI Mně smutnému těžké túhy: Nejmáť věrnějšieho sluhy než mne podlé zaslúženie, kteréjžť já slúžím nad jiné. VII Chciť jí s věrú nad jiné slúžiti, bych sě mohl k ní přiblížiti, k té, jenž mi veselé plodí, kteráž v méj barvě chodí. VIII Zajisté to řéci mohu: Z toho děkuji milému Bohu, žeť mi sě dal s ní poznati, kterúžť já chci milovati IX nade všěchny panny i panie, bydlitiť s ní do skončenie, neboť jest duostojna toho, cti, krásy má přieliš mnoho. X V modréjť jsem ji barvě poznal, hned jsem sě jí v službu přikázal, té milé, krásné panie, jáť jí slúžím bez přěstánie. XI Kdyžť já budu jmieti umřieti, teprv chci odpuštěnie vzieti od té milé, sličné panie, jenž jí slúžím z dávné chvíle. Fassung O I Ich lernte ein anmutiges Wesen kennen, in der ganzen Welt gibt es nicht seinesgleichen, sie besitzt alle Tugenden, 258 Schönheit und allen Edelmut. II Ich sage es ohne Heuchelei, zu ihren Tugenden gehört auch die Güte, sie ist von engelhafter Gestalt, wenn ich sie erblicke, meine ich, im Paradies zu sein. III Ich kann es offen sagen: Wenn zwei Herzen in einem Leib wohnen, so können sie einander verbunden sein und sich in Ehren lieben. IV Ich sage dazu noch mehr: Wenn eine (Frau) einem (Mann) in Treue zugetan ist, soll sie in treulichen Gedanken und ohne jeden Zweifel ausharren. V Da sich diese Rede auf mich bezieht, hoffe ich, dass sie mir ohne jeden Wandel verbunden bleibt. Ich möchte für sie leben – ob sie mir dabei hilft? VI Ich Trauriger leide an schwerer Sehnsucht: Sie hat keinen Diener, der sich mehr Verdienste um sie erworben hat, als mich, – sie, der ich vor allen anderen diene. VII Ich möchte ihr vor allen anderen treu dienen, damit ich ihr nahe komme, ihr, die in mir Freude erweckt, die in meiner Farbe (gekleidet) geht. VIII Ich kann es wahrhaftig sagen: Ich danke dem lieben Gott dafür, dass er mich sie kennen lernen ließ, sie, die ich lieben möchte IX vor allen Jungfrauen und Frauen, mit ihr bis ans Ende zusammenwohnen, weil sie dessen würdig ist, sie besitzt Ansehen und Schönheit im Überfluss. X Ich lernte sie in blauer Farbe kennen, gleich befahl ich mich in den Dienst, dieser anmutigen, schönen Frau, und diene ihr ohne Unterlass. XI Erst wenn mein Sterbetag gekommen ist, möchte ich um die Erlaubnis bitten, fortzugehen von der lieben, anmutigen Herrin, der ich seit langer Zeit diene. 259 DER ZUSAMMENHANG MIT DEM DEUTSCHEN MINNESANG Im alttschechischen Lied werden manche Grundtopoi des hohen Minneliedes aufgegriffen. Es erübrigt sich, diese im Einzelnen zu belegen. Das Bild der“ zwei Herzen in einem Leib“ nutzt, wie oben angegeben, z.B. Wolfram von Eschenbach in seinem Tagelied I: „Den morgenblic bî wahtaeres sange erkôs“ (MFMT 3,1, Lied I). Die Worte zwei herze und ein lîp hân wir werden der Dame in den Mund gelegt, die sie im letzten Moment des Zusammenseins mit ihrem Ritter, im Moment der Klage über ihre sich rasch nahende Trennung ausspricht und so ihre feste Bindung betont: (...) diu vriundîn den vriunt vast an sich dvanc. ir ougen diu beguzzen ir beider wangel. sus sprach zim ir munt: „Zwei herze und ein lîp hân wir. gar ungescheiden unser triuwe mit ein ander vert. (...)“ (Strophe 2, 4-8). DAS ALTTSCHECHISCHE LIED IM LICHTE DER JÜNGEREN DEUTSCHEN LIEBESLIEDDICHTUNG Das deutsche Lied I / 94 Mich fräet ynneclichen aus dem Liederbuch der Clara Hätzlerin nutzt in ähnlicher Weise wie das alttschechische Lied die Elemente des Frauenpreises und der Liebesklage. Es beinhaltet jedoch keine Liebeslehre. Die I. Strophe beschreibt den Gemütszustand eines Liebenden, den die Liebe zu seiner Erwählten „bis auf seinen Herzensgrund“ erfreut. Zugleich wird er von der Liebe „verwundet“. Dieser Widerspruch zwischen Liebesfreude und –leid geht auf die Vorstellung der klassischen Minneklage zurück (I, 1-4). Es wird weiter mit den Motiven einer Liebesklage gearbeitet: Der Liebende wünscht sich, der Frau seine Empfindungen mitteilen zu können, ja noch mehr: Er sehnt sich danach, dass die Frau diese wohlwollend entgegennimmt. Nur so würde er in seinem Innersten „gesund“ (I, 5-7). Die II. Strophe setzt mit einem Frauenpreis ein, in welchem der Liebende sowohl die äußere Vollkommenheit der Frau als auch ihre Tugenden preist. Sie sei „die schönste, wohlgestaltet, sie besitzt alle Tugenden, vor allem die ´milte´ und die Beständigkeit“. (II, 1-4). Dies gibt dem Liebenden Anlass, die Frau um eine Geste der Gewogenheit zu bitten, die sich wiederholen soll. Die hier verwendeten Sprachformeln besitzen eine Schematik, die für die Lieder der Spätzeit charakteristisch ist: Vff erd waisz ich kain schöner pild, / Das bas 260 geschaffen sey, / Mit aller tugent ist sy milt / Vnd alles wandels frey. / Gen ir vmb hilff ich schrey, / Ob mich ir gnad erhöret / Vmb mer dann ainerlay (II. Strophe). Der Liebesdiskurs wird auf die Klage- Preis- und Lohnforderungsformeln eingeengt, der Liebende ist nicht der verängstigte Hoffende, innerlich Kämpfende und im Ungewissen schwebende Ritter des hohen Minnneliedes. Dem „alten Minnelied“ steht hier das alttschechische Lied näher, dessen Liebender konsequent das Motiv des Dienstes an der Frau in den Strophen VI und XI entfaltet. Als seine Leistung, die mit Belohnung zu würdigen ist, betont der Liebende in der III. Strophe des deutschen Liedes seine Beständigkeit: On alles arges dencken / Hab ich sy in dem won / Von ir will ich nit wencken (...) (III, 1-3). Es ist die Schönheit der Frau, die seine Beständigkeit begründet: Wann sy ist wolgetan (III,4). Die Akzentuierung der körperlichen Schönheit der Liebsten ist ein Merkmal der Spätzeit. Die Strophe schließt in demselben Geiste: Der Liebende möchte seiner Erwählten nur Gutes gönnen. Sie beherrscht völlig seine Gedanken. Ein „Schematismus“ der Sprachformeln macht sich hier bemerkbar, der deutlich stärker als im alttschechischen Lied hervortritt: Der ich vil gutes gan / Sy ist mir eingefallen / Vnd mag nicht abgelan (III, 5-7). Demgegenüber stehen die „klassiche“ alttschechische Formulierung der Strophe IX, 1-3: mit ihr bis ans Ende zusammenwohnen, / weil sie dessen würdig ist, / sie besitzt Ansehen und Schönheit im Überfluss oder die im klassischen Geiste formulierten Dienstbekundungen des Mannes in den Strophen VI und XI. In der IV. Strophe des deutschen Liedes wechselt die Perspektive: Die Frau wird hier vom Liebenden als eine dargestellt, die sein Liebesgeständnis mit Wohlwollen entgegennimmt: dafür bedankt er sich höchst erfreut: Wie mac ich des volldancken / So sy mich grüssen tuot / Des frät sich in hertzen begir / Mein hartt versenter muot (IV, 1-4). Dies entfachte die Liebe des Mannes noch stärker. Die Preisformeln, die hierzu verwendet sind, sind dem Motivkatalog des Minnesangs entnommen, während die Schilderung des Liebesbrandes spätzeitliche Züge verrät: Die rain vnd auch die guot / Sy hat mein hertz enzündet / in haisser mynne gluot (IV, 5-7). V. Strophe: Der Mann sehnt sich nun nach der Liebeserfüllung. Gerade bei dieser Frau entflammte er in Liebe am stärksten in seinem bisherigen Leben. Es werden wiederum preisende Motive genutzt, die im Einklang mit der Lyrik der Spätzeit stark die körperliche Anmut der Frau akzentuieren: Das mich hart zwingt der gelange, / Das schaft ir stoltzer leib / Vnd mich nye liebers bezwunge / Denn das selb raine weib / Meins hertzen laid vetreib (V, 15). Das ist ein Unterschied zu dem alttschechischen Lied, wo eher von den „klassichen“ Vorstellungen des Frauenpreises ausgegangen wird, um zu dem Preis der Schönheit im 261 neueren Geiste über zu gehen: sie besitzt alle Tugenden, / Schönheit und allen Edelmut (I, 24). Ich sage es ohne Heuchelei, / zu ihren Tugenden gehört auch die Güte, / sie ist von engelhafter Gestalt, / wenn ich sie erblicke, meine ich, im Paradies zu sein (II). Zum Schluss des deutschen Liedes nutzt der Autor das etymologisierende Spiel und die Personifikation, um zu verdeutlichen, wie sehr sich der Liebende einen Erfolg in der Liebe wünscht: Der Mann spricht das personifizierte Liebesglück („aller glück gelücke“) an und fordert es auf, endlich zu kommen und sich „zu vollziehen“: Chomm, aller glück gelücke, Vnd mir gelück zu scheib! (V. 6-7). Fazit: Das Lied thematisiert das Liebesentflammen des Mannes zu einer Frau, die sowohl als eine gepriesen wird, die zum Gnadeerweis bewogen werden soll (Strophen I-III), als auch als eine, die dem Mann bereits entgegenkam. In dieser Hinsicht besteht eine Ähnlichkeit mit dem vorausgehenden alttschechischen Lied: Die Beziehung scheint angeknüpft zu sein (IV, 1-4). Es wird ihre körperliche Schönheit hervorgehoben: Dies ist ein typisches Merkmal der Spätzeit. Die Liebe ist aber noch nicht erfüllt: Es wird von einem „alten“ Liedmodell ausgegangen; es wird aber zugleich mehr als dort das Verlangen des Mannes nach Erfüllung betont (Schlussstrophe V). Das Lied behält das alte Szenario bis zum Ende, bringt darüber hinaus typische Akzente und Sprachformeln der Spätzeit. Das alttschechische Lied, das auch als Liebesklage „alter“ Art konzipiert wird, enthält neben den ähnlichen Motiven, die jedoch meistens in „alter“ Begrifflichkeit präsent sind (Tugenden der Frau, Dienst des Mannes), Neues, (eine Liebeslehre, die auf das Ich bezogen wird, die Frau wird zur Beständigkeit in Liebe aufgefordert, was mit Hilfe der Farbensymbolik betont wird). Die Gestaltung beider Lieder ist deshalb bei aller Ähnlichkeit unterschiedlich: Altes und Neues unaufläsbar verwoben auf der Ebene der Motive im tschechischen Lied; jedoch: Alte Haltung des Mannes bis zum Liedende, die motivisch Neues zu bieten hat im deutschen Lied. Ein motivisch verwandtes Preislied, mit Bitte um Erhörung verbunden, stellt das Lied I / 61 des Liederbuchs der Clara Hätzlerin dar. Das Lied 161 des Königsteiner Liederbuchs O liebliches lieb, wie hat din lip ist ein Preislied, das dem alttschechischen Lied viel näher steht. Vor der Folie der klassischen Liebesklage gestaltet, entfaltet es folgende Motive: Liebesverstrickung des Mannes (I Strophe), die im 262 Detail aufgezeigt wird: Die Liebe bemächtigte sich des Innersten, der Gedanken sowie auch des Gemüts des Mannes (II. Strophe), deshalb möchte er seiner Erwählten immer verbunden sein (II, 4) und wegen ihrer Anmut und ihrer Schönheit ihr immer dienen – mit einer Steigerung: Sie möge alles von ihm verlangen (III, 3-4 und IV.Strophe). Im Einklang mit dem alttschechischen Lied wird hier aus dem Mund des Liebenden das Motiv der Forderung der Treue der Partnerin verwendet, das mit dem Frauenpreis in überbietendem Ausdruck verbunden wird: Die Frau sei die „ höchste Kaiserin des Herzens des Liebenden“ (V. Strophe). Die erneute Dienstbekundung, die vorbehaltlos ist, beschließt das Lied. (VI. Strophe). Mit dem alttschechischen Lied verbinden dieses Lied vor allem „alte“ Motive des Preises und des Dienstes und das neuere Motiv der Forderung der Treue der Partnerin. Der Text des Liedes: I O liebliches lieb, wie hat din lip zwar aller wernt ich mich verwegk vor aller wernt uff erden hie, wann liebers lieb gewann ich nie. II Hertz, sinn und mut gar unverdrassen gewaldiglichen zu dir verschloissen, lieb du, schönes lieb, dem herzen min; darumb ich pin gantz eigen din. III Min liebstes ein, das alles betracht: din lib und schön es an mir macht, ja dir zu dienen vor aller welt mit allem dem, das dir gefellt. IV Inn lieb min hertz besessen jar; allein din lib liebt mir vorwar; wil ich dir dienen, die wil ich leb. din schön liebt mir an underschon † 263 V Halt mich in stettiger lieb und truw vorwar an alle affterruw ja stetticklich in dinem sinn, mines hertzen höchste kaiserinn! VI Wie sich min hertz dir hat verpflecht, das ich gentzlich binn gerecht, mit gantzer lieb und stedikeit bin ich dir, lieb, zu dienen bereit. Lyebes lieb hab dir das mocht ich mene so dede ich baß (Zusatz) Liedtypgruppe IV: PREISLIED Beispiel II - Das alttschechische Lied „Srdce, netuž, nelzeť zbýti“ (Slóvce M) /„Herz, klage nicht“ (Der Buchstabe M) a) Überlieferung: Praha, Národní knihovna České republiky, Ms. XX B 9, fol. 156v (15. Jahrhundert). b) zur Form: Die Strophe: 8a/4b/8a/4b //[Refrain]: 8c/8c/ 4d/8e/8e/4d. Der spätzeitliche, lange Refrain ist hier auch inhaltlich als ein Mittel der Steigerung der Emphase anzusehen. c) Analyse des Inhalts: In der I. Strophe spricht ein Liebender sein Innerstes an: Es solle nicht mehr trauern, weil eine „Freude“ wörtlich „nicht mehr zu verheimlichen ist“. Es steht ihm also Freude bevor. Dass diese Freude als ein bevorstehender Trost von Seiten der Liebsten zu deuten ist, wird im Refrain betont: Die Stichworte hier sind ein „Trost“, der dem Liebenden „am liebsten“ ist, der von dem „liebsten M“ kommt, das „sein Herz beherrscht“. Zur Verdeutlichung und gleichzeitig zur Verheimlichung wird hier entweder auf die Liebste hingewiesen (mit dem Anfangsbuchstaben ihres Namens M) oder es wird hier auf das alttschechische Wort „milost“ (Minne) angespielt. Beide Möglichkeiten lassen sich hier erwägen. Das Spiel mit den 264 Namensinitialen der Liebsten ist ein modisches Element der Spätzeit. Dies würde auch im anderen Fall gelten, in dem dasselbe Prinzip angewendet würde: „M“ stünde für „ milost“, d.h. „Minne“. Die II. Strophe ist eine Preisstrophe. Um dem Preis Ausdruck zu geben, bedient sich der Autor einer rhetorischen Raffinesse: Er stellt den Liebenden als einen dar, der darüber verwundert ist, wieso seine Liebste, der er das hohe Attribut der Rose verleiht (Mariensymbolik) ein irdisches Wesen sein kann: Sie ist, obwohl sie unterhalb des Himmels lebt, /– ich kann es kaum fassen – / V. sie ist eine Rose, keine andere Blume, / das sage ich mit Recht (II, 1-4) (Vgl. die vorangehenden Erläuterungen zu diesem Motiv bei der Analyse des Liedes „Již tak vymyšlený květ“ / „Schon erblüht die wundersame Blüte“). Im Refrain, der sich wörtlich wiederholt, klingt die Freude über den bevorstehenden Trost abermals an. Das Motiv des Trostes, der im Entgegenkommen der Frau besteht, dominiert in der III. Strophe. Es werden hier mit Hilfe der lautmalerischen und etymologisierenden Wörter die „Minne“ und der Minnedienst zelebriert. Man dient „aus Liebe und in lieber Art“. An dieser Stelle führe ich auch den alttschechischen Text an: V. Jestiť jí milo slúžiti, / ač z milosti, / V. anať dá dobrým požiti / vždy v radosti. (V. Es ist ein lieber Gedanke, / ihr nur aus reiner Liebe zu dienen / V. ihr, auf deren Lohn ich hoffen kann / in steter Freude) (III, 1-4). Wie der Refrain unterstreicht, nichts anderes als ein Buchstabe M, das im Herzen des Liebenden herrscht, kann dem Liebenden Trost gewähren. In der IV. Strophe erklingt das Motiv der Erwählung der Liebsten: Nur sie kann den Liebenden trösten. Dieses Liebesbekenntnis, das sehr ernst zu nehmen ist, soll die Partnerin gut in ihrem Innersten behalten (III, 1-4). Die Erwartung des Trostes wird durch den Refrain betont. In der V. Strophe erklingt, als Steigerung der Leistung des Liebenden, das Motiv des beständigen Dienstes: V. Ich sage es offen: /Ich stehe in deinem Dienst! / V. Bis zu meinem Lebensende lasse ich mich nicht / von meinem lieben M abbringen (V, 1-4). Das Lied wird abermals vom demselben Refrain beschlossen, in dem der Liebende seiner Freude über die bervorstehende Tröstung Ausdruck gibt. Fazit: Das Lied nimmt im Korpus der alttschechischen Lieder eine Sonderstellung ein. Es bahnt sich den Weg zum „neuen“ Liedmodell: ein Liebender ist zuversichtlich, für seinen Dienst belohnt zu werden. Dies ist Grund für seine innige Freude. Das ganze Lied ist von einer freudigen 265 Atmosphäre durchdrungen. Das Lied ist auch das einzige, das einen Refrain enthält, was auf seine spätere Entstehungszeit hinweist. Obwohl die Liebeserfüllung noch nicht erreicht ist (es wird noch von der „alten“ Haltung des Liebenden ausgegangen), zeugt die freudige Atmosphäre von der Gegenseitigkeit der Liebe: Dies ist bereits eine neue Sichtweise, die der Liebeslyrik der Spätzeit eigen ist. Das etymologisierende Spiel, das hier in der Häufung der Wörter mit dem Anfangsbuchstaben „M“ Ausdruck findet: (milejšie nenie, milé slóvce M, milo, z milosti) ist ein Darstellungsmittel, das den Verfasser des Liedes als einen auszeichnet, der einen Sinn für „sinnliche“ Gestaltung des Textes hatte. Wie Pražák feststellte, weisen die ungeraden Verse jeder der ersten Strophenhäften das Akrostichon S (M?) A R G A R E T A auf.177 Der Text des Liedes und seine Prosaübersetzung: I 5 10 II 5 10 V. Srdce, netuž, nelzeť zbýti, pravímť cele, V. aniť se jest lze ukryti již veselé. Ro. Toť pravím: Za utěšenie mněť v světě milejšie nenie, a za toť mám, Ro. než to mé milé slóvce M, jenž panuje v srdéčku mém, a v tomť se znám. V. Ač pod nebem jest stvořenie, nerozomiem, V. róžě, jiný květ nic nenie, toť směle diem. Ro. Toť pravím: Za utěšenie mněť v světě milejšie nenie, a za toť mám, Ro. než to mé milé slóvce M, jenž panuje v srdéčku mém, a v tomť se znám. V. Jestiť jí milo slúžiti, ač z milosti, V. anať dá dobrým požiti vždy v radosti. 5 Ro. Toť pravím: Za utěšenie mněť v světě milejšie nenie, a za toť mám, Ro. než to mé milé slóvce M, jenž panuje v srdéčku mém, 10 a v tomť se znám. III 177 Pražák (1982), S. 222 - 227. 266 IV 5 10 V 5 10 I 5 10 II 5 10 III 5 V. Rač to v svém srdci zavřéti, než bez smiechu, V. ež mně jiné nelze mieti za útěchu. Ro. Toť pravím: Za utěšenie mněť v světě milejšie nenie, a za toť mám, Ro. než to mé milé slóvce M, jenž panuje v srdéčku mém, a v tomť se znám. V. Tedyť poviem otevřeně: V tvéť službě sem! V. Aniť změním do skončenie mé milé M. Ro. Toť pravím: Za utěšenie mněť v světě milejšie nenie, a za toť mám, Ro. než to mé milé slóvce M, jenž panuje v srdéčku mém, a v tomť se znám. V. Herz, klage nicht, man muss weder von der Freude das sage ich in Wahrheit, [ablassen, V. noch lässt sich nun die Freude verbergen. Ro. Ich sage: Kein Trost ist mir in aller Welt lieber, – und darauf bestehe ich – Ro. als mein lieber Buchstabe M, der in meinem Herzen herrscht, das bekenne ich. V. Sie ist, obwohl sie unterhalb des Himmels lebt, – ich kann es kaum fassen – V. sie ist eine Rose, keine andere Blume, das sage ich mit Recht. Ro. Ich sage: Kein Trost ist mir in aller Welt lieber, – und darauf bestehe ich – Ro. als mein lieber Buchstabe M, der in meinem Herzen herrscht, das bekenne ich. V. Es ist ein lieber Gedanke, ihr nur aus reiner Liebe zu dienen, V. ihr, auf deren Lohn ich hoffen kann in steter Freude. Ro. Ich sage: Kein Trost ist mir in aller Welt lieber, – und darauf bestehe ich – Ro. als mein lieber Buchstabe M, 267 10 IV 5 10 V 5 10 der in meinem Herzen herrscht, das bekenne ich. V. Möge dies in deinem Herzen eingeschlossen sein, ohne jeden Scherz, V. dass ich bei keiner anderen Trost finden kann. Ro. Ich sage: Kein Trost ist mir in aller Welt lieber, – und darauf bestehe ich – Ro. als mein lieber Buchstabe M, der in meinem Herzen herrscht, das bekenne ich. V. Ich sage es offen: Ich stehe in deinem Dienst! V. Bis zu meinem Lebensende lasse ich mich nicht von meinem lieben M abbringen. Ro. Ich sage: Kein Trost ist mir in aller Welt lieber, – und darauf bestehe ich – Ro. als mein lieber Buchstabe M, der in meinem Herzen herrscht, das bekenne ich. Zur Forschungsgeschichte: Auf einen „hohen Grad der theoretischen Ausarbeitung höfischer Vorstellungen“ und „raffinierte Stilistik“ des Liedes weist Černý hin.178 Für eine Auslegung als ein weltliches Lied tritt Vilikovský ein (unter Vorbehalt), der auch deutsche Lieder mit ähnlichen Motiven anführt.179 Auf die Verwendung desselben stilistischen Mittels (der Andeutung des Namens der Geliebten durch den ersten Buchstaben), wie es in der späteren deutschen Liebeslyrik häufig der Fall ist, weisen Havránek / Hrabák hin.180 Für eine doppelte Auslegungsmöglichkeit (M könnte auch für die „Sancta Margareta stehen“) plädieren Pražák und Lehár.181 Die „mystische Erotik“ des Liedes hebt Tichá hervor, seine weltliche oder geistliche Dimension sei dabei äußerst schwer zu bestimmen.182 DER ZUSAMMENHANG MIT DEM MINNESANG Die Zusammenhänge mit dem Minnesang sind hier trotz „Neuigkeiten“ unübersehbar. Es lässt sich hier in erster Linie auf das Schönheitsmotiv der Rose, die für die Partnerin symbolisch Černý (1948), S.78f. Vilikovský (1940), S.183. 180 Havránek / Hrabák (1957), S.393. 181 Lehár (1990), S.336. 182 Tichá (1984) S.92. 178 179 268 steht (II. Strophe), das Motiv der Erwählung der Liebsten (vom Preislied übernommen, IV. Strophe) und den Begriff des Dienstes (V. Strophe) hinweisen. DAS ALTSCHECHISCHE LIED IM LICHTE DER JÜNGEREN DEUTSCHEN LIEBESLIEDDICHTUNG In der Bauart (Refrain) sowie in der Verwendung von Buchstaben, die einen Namen der Geliebten symbolisieren könnten, ist mit dem alttschechischen Lied ist das Lied W 33 des Mönchs von Salzburg (Edition März 1999, S. 285) Wol mich wart; ain hübsches frewelein czart verwandt. Die Situation des Liedes ist jedoch aus der Perspektive des „neuartigen“ Liedes dargestellt. Eine hübsche junge Frau gewährte dem Liebenden die Liebeserfüllung, worüber er sich freut. (I,1-3). Im Refrain äußert er ihr dafür seinen Dank. (I. Strophe) Es wird die Umarmung der beiden spielerisch beschrieben: Ein E mich vieng, ein V mich wart / †verspat hat sich meiner füesse pfad.† / ir enphahen geit mir hohen muet. (II, 1-3) Wie Kornrumpf meint, kann es sich eher als um eine Namensumschreibung der Liebsten mit Hilfe von den Buchstaben E und V (was ein späterer Brauch ist, der erst am Ende des 14. Jahrhunderts aufkommt)183 um die Andeutung des „Umfangens“ des Liebenden durch die Hände und Füße der Frau handeln („E: fangende Arme der Frau, V: die Bein – Umklammerung, die wie ein Fußeisen am Weglaufen hindert“). 184 März erwägt in diesem Falle die Möglichkeit eines „mantischen“ Sinnes, der hier den Buchstaben beigelegt werden konnte – „analog der Rolle der Bedeutung der Farben“ (Lehre von der Bedeutung der Buchstaben).185 Eine Ähnlichkeit mit dem alttschechischen Lied bestünde nur im Falle, dass sich die Buchstaben auf den Namen der Liebsten beziehen würden. Im Refrain wird der Liebsten abermals für ihr Entgegenkommen gedankt. (II. Strophe) So ist der Liebende von seiner Liebsten „gefangen“ und überwältigt („gepunden hart“) (III,1). Er bittet seine Liebste, ihn immer im Sinn zu behalten. Dies wird im Refrain bestätigt: Sie wird dies tun und lässt von dem Liebenden niemals ab. Die Beständigkeit ihrer Zuwendung wird dadurch wirkungsvoll betont (III, 4-5). Der Text des Liedes : I Wol mich wart; ain hübsches frewelein czart 183 so März (1999), S. 455. Beide Möglichkeiten sind bei März (1999), im Kommentar zum Lied, S.454f. 185 Ebenda 184 269 hat mir gedient auf einer stat. das kam mir czu allem guet. Ref.:Ich dangk dir sicher, ob ich mag. ich dangk dir sicher, ob ich kan. II Ein E mich vieng, ein V mir wart; †verspat hat sich meiner füesse pfad.† ir emphahen geit mir hohen muet. Ref.:Ich dank ir sicher, ob ich mag. ich dank ir sicher, ob ich kan. III †Gefangen und gepunden hart,† als ich die allerliebsten pat, das sy mich hiet in irer huet. Ref.: Sy tecz vnd wolcz durch nyemand lon, sy tecz vnd wolcz durch nyemand lan. Fazit: Das alttschechische Lied formuliert gegenseitige Zuwendung der Partner im Zeitpunkt vor der Erhörung: Der Liebende freut sich auf die Liebeserfüllung. Die Zuversicht, belohnt zu werden, wird ihm zum Ansporn für seinen Dienst. Es vermischen sich hier die „alte“ und die „neue“ Haltung des Liebenden. Das avancierte „neue“ Lied des Mönchs beschreibt die Unio beider Partner. Dabei werden ähnliche Elemente wie im alttschechischen Lied genutzt: Spiel mit den Buchstaben (im mehrdeutigen Sinne in beiden Liedern: Minne oder der Anfang des Namens der Liebsten im alttschechischen Lied, Namensbuchstaben der Liebsten oder ihre Liebesumarmung im deutschen Lied). Der Refrain ist in beiden Liedern inhaltsdienlich eingesetzt, indem er wichtige Gedanken und Motive betont. Dies belegt sehr anschaulich die Vielfalt der Möglichkeiten, ein und dasselbe Thema „Freude über das Entgegenkommen der Frau“ darzustellen. Verwandte Lieder aus der späteren deutschen Liebeslieddichtung: 270 Auch das Lied Nr. 11 aus dem II. Teil des Liederbuchs der Clara Hätzlerin Von dem ersten puochstaben seins Buolen spielt rhetorisch mit dem Anfangsbuchstaben im Namen der geliebten Frau (S. 147): I, V.1-10: Ee ist ain anfang meiner fräden, Ee, ich muosz dir geüden! Was der himel hatt beschlossen, Was wunn von himel ist geflossen, Was edler frucht vff erden lebt, Was in hochen lüften schwebt, Was in wasser hat sein wesen, Was sprechen, schreiben kan vnd lesen; Das grüsz das zart E von mir Mit stätter triu vnd lieber gir (...) Zwei Lieder des Lochamer-Liederbuchs verwenden in ähnlicher Weise ein Akrostichon. Im Lied Nr. 15 (S.46f.) ergeben die Stropheninitialen den Namen MARTA (!), im Lied Nr. 23 (S.70f.) setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der Verse 1- 9 das Akrostichon MARGARITA (!) zusammen. Dies weist auf die Beliebtheit des Akrostichons im spätmittelalterlichen Lied hin. Das Lied Nr. 23 setzt mit einem Frauenpreis aus dem Munde des Liebenden ein. Betont wird die körperliche Schönheit der Frau, die im Detail aufgezeigt wird: Der Glanz ihrer Augen wird dem Glanz des Rubins gleichgestellt (I, 3), ihr Mund der roten Farbe des blühenden Feldes (II, 1), ihre Augen glänzen, ihre Gestalt ist anmutig (II, 2- 3). Dies ist der Grund für sein Liebesentflammen und seinen Dienst (II, 4 und III). Die Sprachformeln sind die „verkünstelten“ der Spätzeit. Der Text des Liedes Nr. 23, I,V.1-10 (Edition Salmen /Petzsch, S. 70f.): Min(n)igleich, zartleich geziret, adelleich, herzleich gefloriret, rubeinschein ist ir anplick g(e)leich, gemosirt, polirt gar wunnigleich. II. 271 All stund ist ir mund floscampi rot, rain, schön geschick(e)t frue und spat, ir ewgel klar, gar lieplich gestalt, tut prinnen ir minne gar man(n)igfalt! III. All mein(e) sinne, mut und auch herz schenck in(n)iglich ich ir on scherz. in irem dienst frew ich mich ze sein, on sie ist mir alle frewd ein pein! nihil est (Zusatz) Fazit: Das alttschechische Lied und das Lied aus dem Lochamer-Liederbuch weisen verwandte motivische Elemente (Frauenpreis, Dienstbeteuerung) auf, die vom klassischen Minnesang in die jüngere Liebeslieddichtung übergegangen sind. Beide Lieder bedienen sich des „neuen“ Elements des Akrostichons. Die formalistische Verspieltheit ist für beide Lieder charakteristich. Das tschechische Lied ist inhaltlich wie formal (Refrain) stärker durchkomponiert. Der Liedtyp V: PREISLIED AN DEN GELIEBTEN Das alttschechische Lied „Otep myrry měť mój milý“ / „Ein Strauß von Myrrhe ist mir mein Geliebter“ a) Überlieferung: Vyšší Brod (Hohenfurt), Knihovna cisterciáckého opatství - Bibliothek der Zisterziensterabtei (Stiftsbibliothek), Ms. 42, (mit Melodie), 1410, Schreiber Přibík.186 Die Notation des Liedes bei Nejedlý; hier auch die Belege für den Zusammenhang der musikalischen Gestaltung dieses Liedes mit den musikalischen Motiven gleich mehrerer Leichs Frauenlobs, nicht jedoch im Sinne bloßer Abhängigkeit; seine musikalische Gestaltung 186 Der Text des Liedes liegt in der Edition von H. Rothe (1984) mit der Übersetzung ins Deutsche (S. 46f.) und dem Faksimile-Abdruck (S.395f.) vor. 272 geht letztlich eigene Wege.187 März bestreitet entschieden jedwelche musikalische Abhängigkeit des tschechischen Liedes von den Liedern Frauenlobs. b) Zur Form: Die fünfversigen Strophen mit Paar- und Dreierreim folgen dem Schema: 8a / 8a / 4b/ 4b/ 8b. Metrische Lizenzen zeigen II,1 (Neunsilbler) und III,2 (Zehnsilbler) Eine Assonanz findet sich in II,5 (znímá zu z diva in II,3 und živa in II,4). Die Bezüge auf das Hohelied sind im Liedtext mit Ziffern markiert. c) Zum Inhalt: Das Lied, das die Gattung des Frauenliedes vertritt, geht auf mehrere konstitutive Motive aus dem Hohenlied zurück. Es besteht inhaltlich aus drei Teilen: einem Preis des Geliebten, einer Suche nach ihm und einer Begegnung mit ihm. Ich verzichte vorerst absichtlich auf eine Interpretation des Liedes auf allegorischer Ebene, auf der das Ich des Liedes im Einklang mit der gängigen Auslegung des Hohenliedes mit der Christus suchenden Seele gleichgesetzt wird, und versuche, seinen weltlichen Sinn zu erfassen. Strophe I: Sie fängt mit einem preisenden Hohenlied-Motiv an: Der Geliebte wird von seiner Freundin metaphorisch „ein Strauß von Myrrhe“ genannt. Sie lieben einander über alle Maßen, seinetwegen vergisst die Frau alles andere. Strophe II: Der Preis wird fortgesetzt, es kommen mehrere weitere Hohenlied-Motive vor: Der Liebste ist weiß und rot, schön, wie ein Sommertag leuchtend (II, 1-2). Die Liebende, vor Liebe fast ohnmächtig, äußert ihre Verwunderung darüber, noch am Leben zu sein. Ihr Innerstes ist von tiefster Liebe erfüllt. Strophe III: Sie wird ebenso mit einem Hohenlied-Motiv eingeleitet: Die Liebende bricht zur Suche nach ihrem Geliebten auf. Die Szene wird mit einer Apostrophe belebt: sie redet den Liebsten sowohl mit einem intimen Kosenamen (liebster Liebling) (III, 4) als auch mit einem höfischen Attribut (lieber Falke) (III,5) an. 187 Nejedlý (1954), S.197ff. 273 Strophe IV: Die Suche wird intensiv fortgesetzt. Die Liebende fragt in ihrer Umgebung nach ihrem Geliebten. Sie ist ihm in flammender Liebe und Sehnsucht verbunden. Beide Motive entstammen ebenfalls dem Hohenlied. Strophe V: Die Liebende findet zwar den, den sie sucht; die Umstände, unter welchen dies geschieht, stimmen jedoch mit dem Hohenlied-Vorbild nicht mehr überein. Man gelangt zu der rätselhaftesten Szene des Liedes, die den Motivkreis des Hohenliedes verlässt. Die Frau begegnet um Mitternacht einem Mann (letzter Bezug auf das Hohenlied), den sie vorerst für einen Diener aus dem Gefolge ihres Liebsten hält. Er sieht sie „seltsamen Blicks“ an und äußert einen geheimnisvollen Wunsch: Sie soll ihn in ihrem „Schiff“ an das andere Ufer übersetzen. Dieser Sachverhalt, äußerst verschlüsselt, überrascht einerseits durch seine Erotik (als eine Umschreibung der Sehnsucht des Mannes nach Umarmung und Liebesvereinigung), er konnte andererseits auch der religiösen Sphäre entspringen: Der Fremde möchte im Körper der Frau getragen werden, wie einst Christus in Maria, (um Mensch zu werden?) Die Aussage wirkt höchst mehrdeutig. Strophe VI: Ihre Anfangsverse scheinen der neutestamentlichen Erkennungsszene nachgebildet zu sein: So wie Maria Magdalena den auferstandenen Christus erst auf den zweiten Blick erkennt, deutet auch die Liebende den geheimnisvollen Fremdling erst nach einigen Augenblicken als ihren Liebsten (VI, 1-2). Sie begreift jedoch nicht voll seinen Wunsch und fragt: Wen soll ich wohin bringen? (VI, 3) Erst mit seiner Antwort identifiziert sich der Gefragte eindeutig als ihr Geliebter: Den, den du so sehr suchst (VI, 3-5). Wie sind diese Worte zu verstehen? Trachtet er nach einer Unio mit ihr? Dieser Wortwechsel hat in dem Hohenlied keine Stütze mehr. Sein weltlicher Sinn erweist sich hier als sehr wahrscheinlich. Das Lied ist höchst ausdrucksstark und rhetorisch artifiziell gestaltet (dazu trägt vor allem der Gleichklang der Dreierreime in den Versen 3-5 jeder Strophe bei). . Eine deutsche Parallele ist mir nicht bekannt. 274 Fazit: Die Suche der Frau nach dem Geliebten vor der Folie des Hohenliedes kann im allegorischen Sinne gedeutet werden. Die rätselhafte Schlussstrophe des Liedes, die mit der Sinngebung des Hohenliedes nicht mehr parallel geht, ermöglicht jedoch breitere, in erster Linie weltliche Deutungsmöglichkeiten. DER ZUSAMMENHANG MIT DEM DEUTSCHEN MINNESANG: Das Lied orientiert sich in erster Linie unmittelbar an dem Hohenlied. Andere Schlüsselbegriffe aus der geistlichen Dichtung sind allerdings prägend in den Minnesang übergegangen. In der deutschen geistlichen Dichtung wird z. B. Maria metaphorisch als „Morgenstern“ bezeichnet, als diejenige, die der Menschheit einen neuen Tag (Christus) bringt. Auf diese Tradition knüpft z. B. Heinrich von Morungen an, der für seine Dame das Bild des Morgensterns verwendet: Wâ ist nu hin mîn liehter morgensterne? (MFMT 134,36). Das Bild des Sterns wird in der geistlichen Dichtung aber auch mit der Vorstellung eines Seemanns verbunden, der mit seinem Schiff auf dem wogenden Meer (der unruhigen Welt) nach einer Leitung sucht. In diesem Zusammenhang, wird Maria als „Meeresstern“ (Polarstern) gepriesen, die als einzige Orientierungsstütze auf dem Meer, bzw. in der Welt dient. (z. B. Melker Marienlied). Das abstrakte Bild eines „Seemanns“, der in seinem unruhigen Leben von seiner Dame in eine richtige Lebensbahn geführt wird, bietet bereits in der Phase der frühen ritterlichen Liebeslieddichtung Dietmar von Aist in seinem Lied mit Refrain Nu ist ez an ein ende komen (MFMT 38,32).188 (zur Interpretation s. Teil I): Strophe I: Nû ist ez an ein ende komen, dar nâch ie mîn herze ranc, daz mich ein edeliu vrowe hât genomen in ir getwanc. der bin ich worden undertân als daz schif dem stiurman, swenne der wâc sîn ünde alsô gar gelâzen hât. sô hô ôwî! si benement mir mange wilde tât. 188 Edition Schweikle (1993), S. 152. 275 Ein Bezug auf das Bild der Schlussstrophe des alttschechischen Liedes, welches die „Schiffahrt des Mannes“ oder sein „Übersetzen im Schiff ans andere Ufer“ thematisert, wäre wohl in diesem Begriffsumfeld zu suchen. DAS ALTTSCHECHISCHE LIED IM LICHTE DER JÜNGEREN DEUTSCHEN LIEBESLIEDDICHTUNG Ein näherer Zusammenhang mit der jüngeren deutschen Liebeslieddichtung ist mir nicht bekannt. Zu der Forschungsgeschichte: Die Forschungsansichten der tschechischen Mediävisten fasst Lehár189 zusammen. Während der erste Editor des Liedes Truhlář (1882) das Lied für weltlich hielt, setzte sich Konrád (1893) für seine allegorische Auslegung ein. Nejedlý (1904/1954) fasste das Lied vor allem seinem Ausgang halber als ein weltliches Liebeslied auf. Als ein primär geistliches Lied, allerdings von manchen Motiven der weltlichen Erotik durchdrungen, bezeichnen den Text Havránek - Hrabák (1957). Vilikovský (1940) wies zwar auf die weltliche Auslegungsmöglichkeit als ein Liebeslied im Geist des Hohenliedes Salomos hin, stützte sich jedoch darauf, dass das Lied in der Hohenfurter Handschrift unter die geistlichen Lieder eingetragen wurde, was für seinen primär allegorischen Charakter spreche. Dieser Auffassung schlossen sich auch Černý (1948) und Tschižewskij (1972) an. Ich habe versucht, eine durchgehende weltliche Interpretation des Liedes vorzulegen. Mit der obigen weltlichen Interpretation soll dem Lied seine allegorische, geistliche Dimension keineswegs abgesprochen werden. Für die geistliche Deutung spricht vor allem der Bezug auf das Hohelied, für eine weltliche Deutung am meisten der Schluss des Liedes, das Schiffsbild, der die Parallele zum Hohenlied deutlich verlässt.190 189 Lehár (1994), S.13 ebenda, vor allem S. 13 – 19. Auf die Metapher des Schiffsbildes weist Lehár hin: Im Alten und Neuen Testament wird es zum Symbol der Hoffnung der Welt, der Rettung und des Neubeginns der Menschheit. In der Predigtliteratur wird es nach dem Evangelium des Markus als eine Allegorie der Kirche auf dem wogenden Meer der Welt ausgelegt. Die allegorische Reichweite des Begriffs „Schiff“ war, so Lehár, im Mittelalter weitaus bekannt. Lehár plädiert für den dualistischen Charakter des Liedes; lässt jedoch die Frage offen, ob es bereits als dualistisch entworfen wurde, weil er für die weltliche Bedeutung des Begriffs „Schiff“ keine Tradition nachweisen kann. 190 276 Der Text des Liedes und seine deutsche Übersetzung: Otep myrry Canticum Boemicale I 5 II 5 III 5 IV 5 V 5 VI 5 Otep myrry mněť mój milý, milujeť mě z své všie síly, a já jeho, zmilelého; proňžť netbám nic na jiného. Mój milý mně biel, červen, krásen, jako leteční den jasen. To div z diva, žeť sem živa, proňžť sě mé srdéčko znímá. Vstanúc i pójdu toho dle, poptám sobě, proňžť mé srdéčko mdlé, řkúc: „Batíčku, zmilelíčku, zev mi svú tvář, sokolíčku. Jehožť má dušě miluje, viděli ste, zda kde tu je? Milost silná, žádost pilná, k němužť má mysl nemylna.“ Když diech právě o puolnoci, střět mě jeden z jeho moci; tak neznámě vzezřev na mě, veceť: „Přenes mě v svém prámě!“ Tehdy já naň vzezřěch z nice, domněch sě svého panice. Řěch: „Kam koho?“ A on: „Toho, jehož ty hledáš přemnoho.“ Ein Strauß von Myrrhe [Ziffern im Text bezeichnen die Bezüge auf das Hohelied] Böhmisches Lied I 5 II 5 Ein Strauß von Myrrhe ist mir mein Geliebter, (1,13; 5,5) er liebt mich mit aller Macht, und ich ihn, (6,3) den Liebsten; seinetwegen beachte ich keinen anderen. Mein Geliebter kommt mir weiß, rot, anmutig vor, (5,10) leuchtend wie ein Sommertag. (2,11ff.) Es ist ein übergroßes Wunder, dass ich noch am Leben bin, weil mein Herz seinetwegen so heftig hüpft. (2,5; 5,8) 277 III 5 IV 5 V 5 VI 5 Ich stehe auf und mache mich daher auf die Suche, (3,1f.; 5,6) frage nach dem, (3,3) dessentwegen mein Herz ohnmächtig und sage: „Mein Freund, [wird, liebster Liebling, enthülle mir dein Antlitz, (5,6) lieber Falke. Sahet ihr den, den meine Seele liebt, (3,3) weilt er etwa nicht hier? Eine starke Liebe, (8,6f.) dauernde Sehnsucht (empfinde ich für den), zu dem sich mein Sinn unbeirrbar den Weg bahnt.“ (3,4) Als ich gerade um Mitternacht (3,1f.) unterwegs war, begegnete mir einer, der unter seiner Macht stand; er schaute mich an so seltsamen Blicks und sprach: „Setze mich in deinem Nachen an das andere Ufer über!“ Da blickte ich zu ihm mit Demut auf und erkannte (in ihm) meinen Liebsten. Ich sagte: „Wen soll ich wohin bringen?“ Und er: „Den, den du so sehr suchst.“ Der Liedtyp VI: TAGELIED Zum alttschechischen Tagelied „Milý jasný dni“ /„Lieber heller Tag“ a) Überlieferung 1.Staatliches Bezirksarchiv Třeboň, Ms. A 7 (Schreiber Oldřich Kříž von Telč), zwischen 1457-1463, fol. 155v − 156r. 2. Landesarchiv Opava, Arbeitsstelle Olomouc, Ms. O.C.300 (1451). fol. 283r.191 Ich halte mich in der Interpretation an die Fassung von Třeboň. b) Zum Inhalt Es handelt sich um ein spätzeitliches Tagelied, worauf in erster Linie die detailreiche Deskriptio des Morgenanbruchs und das breit ausgeführte Motiv der Gefahr von Seiten des „Kläffers“ hindeuten. Der Text der Fassung O (Olomouc) beinhaltet einige Veränderungen gegenüber der Třeboněr Aufzeichnung: - in der Strophe 1,2 die Formulierung „meinen lieben Verräter“ (wohl Textverderbnis) - einen beachtenswerten Zusatz bildet die Textstelle der Strophe IV,6, wo die Dame den Mann zum erneuten Liebesspiel auch angesichts der Gefahr des Morgens auffordert. Dieses Motiv, so wohlbekannt aus den deutschen Texten, ist ein klares Indiz dafür, dass der anonyme alttschechische Autor der Fassung O über gute Kenntnisse des Tageliedschemas verfügte. 191 278 Strophe I: (Erzähler-Stimme? Die Stimme des Liebenden?) Das Lied fängt mit dem folgenden Szenario an: Der Tag ist bereits herbeigekommen. Der listige Aufpasser wacht auf. Das Liebespaar ist noch immer zusammen. Gott wird angerufen, um bei ihm für die Liebenden Schutz zu erbitten. Strophe II: (Erzähler- Stimme? Die Stimme des Liebenden?) Viele Details, die typisch für die Spätzeit sind und die das Schwinden der Nacht farbig beschreiben: Über die Berge weht ein leichter Ostwind. Die nächtlichen Klänge im Wald verstummen, die Tiere ziehen sich in den Wald zurück, es rufen die ersten Vögel − ein Zeichen der schwindenden Dunkelheit. Strophe III: (Die Stimme des Liebenden.) Der Tagesanbruch wird noch eingehender beschrieben: Im Detail des hellen Morgensterns, der, kaum aufgegangen, sich in den fernen Bergen verloren hat, so rasch bricht der Tag an. Alle Geschöpfe wollen aufstehen − auch der Mann muss sich nach eigenen Worten in dieser Zeit von seiner Liebsten trennen. Der Mann spricht hier die erwachende Frau an, was ein Verfahren ist, das von den Autoren der Spätzeit oft genutzt wird (z.B. Oswald von Wolkenstein, Mönch von Salzburg). Strophe IV: Monolog der Dame. Sie sieht das Morgengrauen, weswegen sie trauert. Beide Partner schliefen allzu lang. Es ist Zeit, schnellstens aufzustehen, um sich vor der Gefahr (des Verratenwerdens) zu bewahren. Strophe V: Fortsetzung des Monologs der Dame: Sie beschreibt die Helle des Tages, mit blauem Himmel und ersten Sonnenstrahlen (abermals eine detailreiche Descriptio des Morgens). Das „klassische Szenario“ – das Leid der Trennung des Paares – wird hier um das Motiv der Angst um den Mann erweitert: Deshalb fleht die Frau Gott um Schutz für beide an. Strophe VI: Fortsetzung des Monologs der Dame. Das Motiv des Kläffers wird ausgeführt: Man muss aufpassen, damit sich die Freude des Paares wegen des Kläffers nicht in Leid verwandelt. Da dieser überaus listig ist, muss man umsichtig sein. Strophe VII: Offene Kläfferschelte (wohl aus dem Munde des Erzählers). Die List des Kläffers offenbart sich nicht im äußeren Handeln und im Gespräch mit der betroffenen Person, bei der er sich als Freund einschmeichelt, sondern sie verbirgt sich tief in seinem 279 Herzen. Alle Welt, Jungfrauen und Frauen, solle ihm feindlich gesinnt sein. Jeder, der im Herzen einen Streit mit ihm hätte, wäre ein Verbündeter des Sprechers. Strophe VIII: Sie stellt eine bildliche Variation derselben Aussage dar. − Es sei sehr schwierig, dem Kläffer zu entkommen, der „in die Augen Schönes spricht, dabei aber wie eine Schlange von hinten beißt.“ Er spreche honigsüß, im Herzen trage er jedoch stärkstes Gift. Es spricht die Erzähler-Stimme. Strophe IX: Auch sie richtet sich gegen die Kläffer, die das Paar stören. Es wird hier nicht – wie in „klassichem“ Tagelied – die Trennungszene des Paares beschrieben. Die Pointe ist eine andere: Es wird die innige Liebe des Paares akzentuiert, die sich in ihrem Zusammensein in den letzten Augenblicken vor Trennung manifestiert. Ihr Zusammensein sei ein Schlag gegen den Aufpasser! Das Motiv der Hilfe Gottes wird erneut verwendet: Dazu soll dem Paar der allmächtige Gott helfen und es beschützen. Dies spricht die Erzähler-Stimme. Fazit: Es ist nicht klar, wer im alttschechischen Lied die einzelnen männlichen Monologe spricht. Es ist hier an die Figur eines Erzählers zu denken, die Monologe können aber auch einzig dem Liebenden in den Mund gelegt worden sein. Dies deutet auf einen bereits „freieren“ Umgang mit dem „alten“ Tageliedschema hin. Das Lied ist aber dennoch − trotz motivischer Neuerungen (breite Schilderung des Morgenanbrechens und die Kläfferschelte) − zu einem guten Teil in der motivischen Struktur des traditionellen Tageliedes verankert, wie sich diese in der Reihenfolge der Motive: Der Tagesschimmer (Strophen I-III), der Monolog der Dame (Strophen IV-VI), das Motiv der Gefahr, die dem Mann droht (IV,5-6, VI, 4) im Lied feststellen lässt. Statt des traditionellen Motivs der Trennung des Paares und ihres Abschiedsdialogs (so im Minnesang) setzt ab der VII. Strophe die Kläfferschelte als ein breit ausgeführtes neues Motiv ein. Das Moment der Trennung des Paares ist reizvoll hinausgeschoben und mit der Schilderung ihres Zusammenseins (unmittelbar vor der Trennung) ersetzt: Auf diese Weise ist ihre Liebe betont. Dieses ist ein Ausdruck des Experimentierens mit dem „alten“ Schema des Tageliedes. Der Text des Liedes und seine deutsche Prosaübersetzung: Fassung T2(Třeboň, Ms. A7). 280 I 5 II 5 III 5 IV 5 V 5 VI 5 VII 5 VIII Milý jasný dni, kteraks mi ukvapil, žet’ tak falešného klevetníka zbudil? Den drží ustavenie své tu, kdež bydlí spolu milých dvé. Všemohúcí Pane Bože, račiž jich býti obú stráže! Od východu slunce větřík povějuje, přes hory dma horami sě chvěje. Lesní jek, zvuk, lom se tiší, zvěř ustúpá, ptactvo křičí, znamenajíc, ukazujíc, žeť noc odstupuje pryč. V. Vysoko jest zešla dennice jasná, dalekoť jest v plano odešla, kvapíc, pospíchajíc od hor. Vše stvoření i lidský zbor nespí a chtie vzhuoru vstáti. „Čas náma, milá, rozžehnati!“ Smúti se srdce té méj miléj panie, když vstavši, uzřela svítanie. „Ach,“ vece, „radosti má, kterak sva tak dlúho spala? Pospěš vstáti, radosti má, ať nají hanba nepotká! Najmilejší brachku, přijmi naučenie mé: Když si s milú svú, doufaj mysli své. Ať se nezmění tvá i má radost pro zlého klevetníka zlost. Žádnýť nevie, cožť on miení. Slušíť náma býti v ostříhaní. V. Hyn světlý den, toť já cele znaji! Nebesať se z jasna modrají, zářě slunečná vychodí. Za těť se srdéčko mé bojí. Všemohúcí Pane Bože, <račiž býti obú nají stráže!“> V. Klevetník s každým pěkně v uoči jest, a v srdci všecka zlá, falešná řeč. Chtěl bych, by panny a panie klevetníka v mrzkost měly. A toť by byl tovařiš mój, ktož by měl s takovým v srdci nepokoj. V. Nebť nenie v světě žádnéj těžší věci než klevetníka se vystříci. Neb jest pěkně s tebú spřědu, a jako had štípe <z> zadu, 281 5 IX 5 jenž má řeč sladkú jako med, a v srdci jako lítý jed. V. Milý Bože, nedaj jim prospěchu, ktož tak milým ruší útěchu! Ať tiem srdce jeho vadne, kdež těch dvé milých spolu bydlé. Všemohúcí Pane Bože, Pane Bože, račiž jich býti obú stráže! Fassung T2 (Třeboň, Ms. A7). I 5 II 5 III 5 IV 5 V 5 VI 5 Lieber heller Tag, wie schnell bist du herbei geeilt, und hast den listigen Verräter geweckt! Der Lauf des Tages ist unveränderbar, dort, wo zwei Liebenden beieinander weilen. Allmächtiger Herr Gott, du mögest ihr Beschützer sein! Von dort her, wo die Sonne aufgeht, weht ein leichter Wind, weht über die Berge und rauscht in den Wäldern. Das Rauschen und Klingen des Waldes, der Lärm legt sich, die Tiere ziehen sich zurück, die Vögel rufen, sie merken und deuten an, dass die Nacht fortzieht. V. Hoch ist der helle Morgenstern aufgegangen, er hat sich in der leeren Ferne verloren in seiner hastigen Flucht von den Bergen. Alle Schöpfung samt den Menschen schläft nicht länger und will sich erheben. „Es ist Zeit, Liebste, dass wir Abschied nehmen!“ Das Herz der lieben Herrin wurde traurig, als sie aufstand und die Morgendämmerung erblickte „Ach,“ sprach sie, „meine Freude, wie kommt es, dass wir so lange schliefen? Beeile dich aufzustehen, meine Freude, damit uns keine Schande widerfährt! Liebster Geselle, höre meine Lehre: Wenn du bei deiner Liebsten weilst, so hoffe, dass deine und meine Freude sich nicht verwandeln wegen der Bosheit des üblen Verräters. Niemand weiß, was der denkt. Wir müssen uns in Acht nehmen. V. Vor mir scheint der helle Tag, das erkenne ich wohl! Der Himmel leuchtet in blauer Farbe, der Sonnenglanz steigt auf. Um dich ängstigt sich mein Herz. Allmächtiger Herr Gott, 282 <du mögest unser Beschützer sein!“> VII 5 VIII 5 IX 5 V. Der Verräter spricht jedem schön in die Augen, im Herzen verbirgt er aber allerlei böse und listige Reden. Ich wollte, die Jungfrauen und Frauen würden den Verräter verabscheuen. Der wäre mein Freund, der ihm in seinem Herzen schlecht gesinnt wäre. V. Es gibt in der Welt keine schwierigere Aufgabe, als dem Verräter zu entkommen. Von vorne ist er gut zu dir, wie eine Schlange aber beißt er <von> hinten. Er spricht honigsüße Reden, sein Herz aber ist voll des stärksten Gifts. V. Lieber Gott, lass die nicht gedeihen, die den Liebenden ihre Freude zerstören! Tief soll es sein Herz treffen, wenn jene zwei Liebenden beieinander sind. Allmächtiger Herr Gott, Herr Gott, mögest du den beiden ein Beschützer sein! DER ZUSAMMENHANG MIT DEM DEUTSCHEN MINNESANG Die Beispiele für die klassischen deutschen Tagelieder interpretierte ich im Teil I. dieser Arbeit. Aus diesem Grunde beschränke ich mich an dieser Stelle auf die verwandten Motive aus dem deutschen Tagelied um 1200, die ich dem alttschchischen Lied gegenüberstelle: „Der Tagesanbruch“ Wolfram von Eschenbach: Sîne klâwen Die suggestivste Schilderung des Morgenanbrechens findet sich in Wolframs Lied II (MFMT 4,8). Sie ist in den Mund des Wächters gelegt, der die Morgendämmerung beobachtet und beschreibt. Es wird die enorme Leuchtkraft des Tages betont, mit der sich dieser, einem Tier ähnlich, auf dem Horizont „erhebt“ und alles durchstrahlt. Er beraubt den edlen Ritter der Möglichkeit, mit seiner Liebsten länger zusammen zu bleiben. Der Wächter, der die Sicherheit des Ritters als seine Aufgabe betrachtet, möchte ihn nun beschützend fortbringen: I. Strophe: „Sîne klâwen durch die wolken sint geslagen, er stîget ûf mit grôßer kraft; ich sich in grâwen, tegelîch, als er wil tagen: 283 den tac, der im geselleschaft Erwenden wil, dem werden man, den ich mit sorgen în verliez. ich bringe in hinnen, ob ich kan. sîn vil manigiu tugent mich daz leisten hiez.“ Wolfram setzt gleich in der Einleitungsstrophe meisterhaft die wichtigsten Akzente: Die Gewaltigkeit der Morgendämmerung, die helfende Rolle des Wächters angesichts der bevorstehenden Trennung des Liebespaares, dem große Gefahr des Verratenseins droht. Das altschechische Lied verdeutlicht vor allem die Erscheinungen des Morgenanbruchs und das Zusammensein des Paares im Moment der Gefährdung von Seiten des „Kläffers“. Dabei werden eine detailreiche Descriptio sowie eine Kläfferschelte genutzt. DAS ALTTSCHECHISCHE TAGELIED IM LICHTE DER JÜNGEREN DEUTSCHEN LIEBESLIEDDICHTUNG Oswald von Wolkenstein, Mönch von Salzburg Die Lieder aus dem OEuvre Oswalds von Wolkenstein entsprechen in ihrer Sinngebung der Handlung des alttschechischen Liedes, das deutlich traditioneller aufgebaut ist, nicht. Oswald arbeitet mit einer Beschreibung der Frau, die nicht mehr dem Motivkatalog des „alten“ Tageliedes entnommen ist. Die reizende Schönheit der Frau ist in seinen Liedern sehr sinnlich beschrieben. Es ist der Liebende, der die Frau aus dem Schlaf weckt. Dieses Szenario ist auch bei dem Mönch von Salzburg (Das Taghorn, W 2 in der Edition von März,) zu finden. Diese Lieder gehören zu den avanciertesten Texten der Spätzeit. Aus diesem Grunde beschränke ich mich lediglich auf die Motive in drei Tageliedern Oswalds von Wolkenstein, die dem alttschechischen Lied nahe stehen. „Der Osten, die Farben des Tages“ Oswald von Wolkenstein: Wach auff, mein hort! (Edition Wachinger, S. 12f.) Strophe I: Wach auff, mein hort! es leucht dort her von orient der liechte tag. blick durch die praw, vernim den glanz, 284 wie gar vein plaw des himels kranz sich mengt durch graw von rechter schanz. ich fürcht ain kurzlich tagen. (Übersetzung nach Backes)192: „Wach auf, mein Schatz! Dort von Osten her leuchtet schon der helle Tag herüber. Blinzle durch die Wimpern, sieh den Glanz, wie das helle Blau des Himmels unaufhaltsam das Grau durchdringt. Ich fürchte, der Tag bricht gleich an.“ „Der Ostwind“ Oswald von Wolkenstein: Los, frau, und hör des hornes schal (Edition Wachinger, S.14f.) Strophe I, 5-8: ...Mich rüert ain wind von orient, der entrent ouch plent das firmament, und der uns die freud hie went (...) (Übersetzung nach Backes)193: „Von Osten her spüre ich einen Wind wehen, der den dunklen Himmel aufbricht und fahl macht und unserem Glück nun ein Ende bereitet.“ „Der Ostwind, die aufwachenden Vögel“ Oswald von Wolkenstein: Ich spür ain lufft (Edition Backes, S. 190f.) Strophe I, 1-9: Ich spür ain lufft aus külem tufft, das mich wol dunckt in meiner vernunft wie er genennet, kennet sei nordoste. Ich wachter sag: mich prüfft, der tag uns künftig sei aus vinsterm hag; ich sich, vergich die morgenrot her glosten. Die voglin klingen überal, galander, lerchen, zeisel, droschel, nachtigal, auf perg, in tal hat sich ir gesangk erschellet. (Übersetzung nach Backes)194: „Ich spüre einen Wind aus kühlem Morgennebel, der, wie ich aus Erfahrung weiß, der Nordostwind genannt wird und als solcher bekannt ist. Als Wächter sage ich: Glaubt mir, der Tag bricht für uns aus dem dunklen Wald an. Ich sehe und kündige 192 Backes (1999), S. 189. Ebenda, S. 190. 194 Ebenda, S. 190f. 193 285 euch an, daß das Morgenrot herüberleuchtet. Die kleinen Vögel singen überall, Galander, Lerchen, Zeisige, Drosseln, Nachtigallen. Ihr Gesang erklingt auf den Bergen und in den Tälern.“ Fazit: Im Unterschied zum alttschechischen Lied tritt hier die Figur des Wächters auf. Die enumerative Reihe der Vogelarten stellt hier ein beliebtes Mittel der jüngeren Liebeslieddichtung dar. Sie fehlt im alttschechischen Lied, in dem − in Bezug auf die ältere Tradition − die Rede von den schreienden Vögeln ist, die den Morgen ankündigen. Das Motiv des Windes als eines Merkmals des Morgens ist in beiden Liedern präsent. Es handelt sich um ein jüngeres Element. Jüngere deutsche Liebeslieddichtung – anonyme Überleiferung Das Lied 118 des Königsteiner Liederbuchs, das ich im Zusammenhang mit dem alttschechischen Lied interpretiere, stellt eine weitere Möglichkeit unter der Vielfalt der Varianten der Gattung Tagelied dar. Ein Liebender spricht in der I. Strophe zu seiner schlafenden Liebsten: Er möchte sie mit seinem Gesang wecken. Er nimmt zugleich auch den warnenden Sang des Wächters wahr, der den Tag verkündet ( I, 4). Es folgt eine Beschreibung des sich nahenden Tages, wohl aus dem Munde des Wächters, die im Detail der schwindenden Sterne und der „Elemente“ des Tages, die erwachen, festgehalten wird. Eines dieser „Elemente“ wird in der II. Strophe im Detail beschrieben und wirkungsvoll auf die Gnade, die die Dame dem Liebsten gewährte, bezogen: Es leuchtet der Stern „Antarticus“ (polus antarcticus, der Südpolstern)195. In der Nacht leuchtend, beleuchtete er die Hingabe der Dame, die dem Mann Liebeserfüllung schenkte. Dadurch ist der Mann höchst erfreut und hochgestimmt. (II, 1-4). Das „alte“ Schema des Tageliedes wird auch in diesem Lied nicht genau eingehalten. Man experimentiert mit Motiven (Sterne) und den Monologen der Protagonisten (sowohl der Mann wie auch der Wächter wecken die Frau mit Gesang). Sappler (1970), S.363 bietet für den Sternnamen folgende Erläuterung: Da der Begriff des „Südpolsterns“ bei Herrmann von Sachsenheim (wie auch die spätere Anspielung des Liedes auf Parzival) vorkommt, vermutet man in ihm den Autor des Tageliedes. Die Namen des Sterns kommen als „antarticus“ und „artanticus“ auch bei Wolfram von Eschenbach in Willehalm 216,6 und Parzival 715, 16 vor. 195 286 In der III. Strophe bedankt sich die Partnerin bei dem Mann für seinen Sang; dies wird von einer Erzählerstimme berichtet. Wie sie freudig zugibt, langweilte sie sich in der Nacht nicht. Jetzt ist sie aus Freuden gerissen. Sie bittet ihren Liebsten, noch bei ihr zu verweilen und begründet ihre Bitte mit dem alten Tageliedmotiv: Die Nacht sei noch nicht zu Ende. Dies wird abersmals mit einem „jüngeren“ Detail belegt: Es leuchte noch der Stern „Polarticus“ (der Polarstern).196 Erst die IV. Strophe entfaltet das „klassische“ Motiv der Klage der Frau über das Fortreiten ihres Partners. Ihr Innestes sei nun „leer“. Die V. Strophe stellt einen Dialog des Paares im Moment der Trennung dar: Beide beteuern einander ihre Liebe: Geselle zart, von hoher art, / min hertz hait sich zu dir virspart / mit zenther qwal, mit bitterlichen schmertzen. (so die Rede der Frau V.1-3). „min ußerwelth, ich scheide von dir, / du hast all min begirlich begir. / ich scheid von dir; du blibest mir in dem hertzen. (so die Rede des Mannes, V, 4-6). Die Rede des Partners setzt noch fort, indem sein Leid wirkungsvoll mit einem Darstellungsmittel aus der Gattung „höfischer Roman“ verdeutlicht wird: sein Leid wird dem Leid Parzifals gleichgestellt, dem Leid, das dieser fühlte, als er das erste Mal aus der Gralsgemeinschaft ohne Erfolg schied. Dieses Detail aus der Handlung des Romans ist wichtig; es belegt die gute Kenntnis des Parzifal-Stoffes, den der Verfasser des Liedes inhaltsdienlich genutzt hat (VI, 1-3). Das Lied endet mit der letzten Umarmung des Paares, die hier mit dem Küssen des Paares angedeutet wird: „ach werdes wip, gedenck an minen noidt, / und reich mir her das mündelin roit!“ / die lieb die boith ir angesicht und ir wangen (VI, 4-6). Fazit: Das deutsche Lied des Königsteiner Liederbuches verfügt über Verfahrensmethoden, die das Schema des Tageliedes inhaltsbezogen erweitern: mit Hilfe der Details (die Sterne Antarkticus und Polarcticus) verdeutlichet der Autor jeweils ein wichtiges Tagelied-Motiv: Das der Hingabe der Frau im ersten Falle, das Bild der Nacht, die noch nicht endet, im zweiten Falle. Im alttschechischen Lied arbeitet der Verfasser mit der Zunahme an Details, die den Wandel der Nacht in den Tag beschreibt. Die Inhaltsbezogenheit der Details (Sterne) ist im deutschen Lied höher als im alttschechischen, das wiederum mehr Wert auf die künstlerische Beschreibung des Tagesanbruchs legt. Beides sind Merkmale der Spätzeit. Man sieht hier − ähnlich wie im alttschechischen Lied – einen Experimentierwillen: Die einzelnen 196 Ebenda, S. 363: Analog dazu wird hier der Polarstern als der einzige unbewegliche Stern gemeint, der im Lied als ein noch leuchtender dargestellt wird: dies soll signalisieren, dass die Nacht noch nicht zu Ende geht. 287 „Reden“ des Mannes und der Frau hängen nicht mehr vom „festen“ Schema des „klasssichen“ Tageliedes ab. Sie sind umfangreicher und freier gestaltet. In beiden Liedern spricht der Mann als erster, was ein Unterschied zum „klassischen Tagelied“ ist, in dem die Frau den Mann weckt. Ab der IV. Strophe wird die Handlung des deutschen Liedes in den „klassischen Rahmen“ des Tageliedes gefasst: Es setzt die Klage der Frau ein, die in den Abschiedsdialog des Paares und ihre letzte Umarmung mündet. Der alttschechische Autor verfährt anders: Er beschließt das Lied noch im Moment des Zusammenseins der Liebenden. Anstelle der Kläfferschelte, die im alttschechischen Lied ein neues Motiv darstellt, wird im deutschen Lied die Anspielung auf die Parzifal-Figur gezielt genutzt. Auch diese Motive zeigen anschaulich, wie unterschiedlich ein und dasselbe Schema erweitert werden kann. Der Text des deutschen Liedes: Königsteiner Liederbuch, Nr. 118 (Edition Sappler, S.170f.) I „Wiplich figuer, in dinem beschuer wach off und huer uß süßer luer, wantt ich dich größ mit mines gesanges thone. der weichter singt. der tag offdringt, die sternen von dem himmel schwingt. wie her sich bergt in siner elementen schone! II Antarcticus, ein sterne fin, der belüchtet so manichen zartten <schin>. die gnade din, die thut mich freiden beglesten. von dir so trag ich freuden und mut, recht so der man sich lüchten duth. ein etzlich gut pröv ich dir wol zu den besten.“ III Das freulin sangk: „gesell, nuw hab danck! die nacht die enist mir nit zu langk. din vil süßer don wil mich von freuden wecken. bliff still ein wil, nicht von mir il! 288 ich mircken noch ver den tag ein mil; polarticus seh ich allererste blicken. IV Ach, liechter tag, das ich nicht inmagk verbergen mich, das ist min klag. din vil liechter schin wil mich von freuden erdringen. er verth daher, o wie der mer! min hertz ist all der freuden ler. he verth daher ober berg und ober klingen. V. Geselle zart, von hoher art, min hertz hait sich zu dir virspart mit zenther qwal, mit bitterlichem schmertzen.“ „min ußerwelth, ich scheiden von dir. du hast all min begirlich begir. ich scheid von dir; du blibest mir in dem hertzen. VI Min freud die ist mir worden schmal. mir ist recht so wie Pertzeval, da er schied auß dem grall mit zenden und mit verlangen. ach werdes wip, gedenck an minen noidt und reich mir her das mündelin roit!“ die lieb die boith ir angesicht und ir wangen. Zwei weitere alttschechische Tagelieder (summarische Kennzeichnung): Im Lied „Přečekajě všie zlé stráže“ / „Nach langem Warten, bis alle bösen Aufpasser fort sind“ lassen sich ebenfalls motivische Experimente finden. Das Lied fängt als eine Serena an: Ein Liebender macht sich spät nachts auf den Weg zu seiner Liebsten (I. Strophe). Ihre Unio ist nicht thematisiert: Der Autor verdeutlicht dafür das Morgensanbrechen im reizvollen Detail einer erwachenden, singenden und fortfliegenden Vogelschar, die den Liebenden an die bevorstehende Trennung denken lässt (II. Strophe) und von der die Dame 289 geweckt wird (III. Strophe). Von dieser Stelle an nimmt die Handlung den traditionellen Lauf. Die Dame warnt von den Gefahren, die die erwachenden Kläffer für das Paar bedeuten (IV. Strophe). Das Lied endet mit der gegenseitigen Treuebekundung des Paares (V. Strophe). Das „alte Modell“ wurde hier um neue Motive erweitert, ohne aufgehoben zu werden. Dazu gehört der abenteuerliche Ausritt des Liebenden zu seiner Liebsten. Der Verfasser des Liedes bezieht weiterhin in der Morgenszene eine Descriptio (die Beschreibung der erwachenden und der fortfliegenden Vogelschar) auf die bevorstehende Vereinsamung des Liebenden. Beide Motive dienen der Intensivierung und Verdeutlichung des gewöhnlichen Tagelied-Szenarios. Der Text des Liedes und seine Prosaübersetzung: I Přečekaje všě zlé stráže puojduť k milé, hrdlo váže. Svuoj kuoň pustím po dúbravě, sám s ní sedu rozmlúvaje. II (IV) Již ptáčkové zhuoru vstali, vzhuoru vstavše zazpívali, zazpievavše pryč letěli, mně smutného zde nechali. III (II) Tiem zpievaním, tiem voláním ubudichu krásnú paní. Když se j´ ze snu probudila, ke mně mile promluvila IV (III) a řkúc: „Brachku, čas jest vstáti, skůroť bude již svítati! Den se blíží, ten já znaji, vše zlé stráže vzhuoru vstávají.“ V Rozlúčenie mezi náma – klevetníčkóm radost dána! Protož, milá, buďvaž věrna, žádný zlý sok mezi náma! I Nach langem Warten, bis alle bösen Aufpasser fort sind, gehe ich unter Lebensgefahr zu meiner Liebsten. Mein Ross lasse ich im Eichenwald frei, und setze mich mit ihr allein zum Gespräch. II (IV) Schon erwachten die Vögelein, nachdem sie erwacht waren, erklang ihr Gesang, nachdem ihr Gesang erklungen war, flogen sie fort, mich Traurigen (aber) ließen sie hier (zurück). III (II) Mit (ihrem) Gesang, mit (ihrem) Rufen weckten sie die schöne Herrin. 290 Als sie vom Traum erwachte, sprach sie liebevoll zu mir: IV (III) „Lieber Geselle, es ist an der Zeit aufzustehen, bald bricht der Tag an! Der Tag nähert sich, ich weiß es, und alle bösen Aufpasser stehen auf.“ V Unser Scheiden – das bringt den Verrätern Freude! Deshalb, Liebste, bleiben wir in Treue verbunden, kein böser Feind (sei) zwischen uns! Das letzte alttschechische Tagelied „Šla dva tovařišě“ / „Es gingen zwei Liebende“ stellt ein Rätsel für die Interpretation dar. Die Liebenden begeben sich in aller Heimlichkeit „an einen Ort“ (Strophe I), der im Laufe des weiteren Geschehens als ein „Ort, wo grünes Gras wächst“ spezifiziert wird (Strophe VI, 2). Dass es sich jedoch kaum um eine klassische Pastourelle handelt, deren Thema die Liebesvereinigung im Freien ist (so Kern in der Edition Stanovská/ Kern),197 bezeugen die weiteren Angaben. Die Liebenden werden an diesem geheimnisvollen Ort von Dritten „liebevoll angenommen und begrüßt“. Sie bleiben „bis zur dritten Stunde am Morgen“ zusammen (Strophen I-III). Der Mann fordert seine Partnerin auch danach erneut zum Liebesspiel, was sie unter Berufung auf den aufgehenden Morgenstern ablehnt: Der Tag bricht an (III, 3-6). Der Mann äußert sein Leid über die bevorstehende Trennung (Strophe IV). Es folgt ein Dialog der Liebenden: Segen der Frau an den Liebsten, den sie „Liebster Herr“ nennt. Sie sehnt sich nach weiterem Treffen (Strophe V), das ihr vom Mann mit offensichtlicher Freude versprochen wird: „Ich komme wieder zu dir auf das grüne Gras ich komme wieder zu dir zu jeder Stunde.“ (Strophe VI, 1-4: die verdoppelte Formulierung in den Versen 1 und 3 dient wohl einer Intensivierung der Sehnsucht des Mannes). Manche Formulierungen des Liedes können ihr Beispiel an der mittellateinischen Lyrik genommen haben. Der Verlauf der Handlung steht z.B. einigen Passagen des (viel längeren) Liedes 76 der „Carmina Burana“ nahe, das einen Besuch des Mannes im Freudenhaus 197 Kern (2010), S. 189f. 291 schildert. In diesem Lied lesen wir eine ähnliche Formulierung: Der Mann geht dorthin, wo er, wie im alttschechischen Lied, „freundlich begrüßt wird“ (Strophen 14 und 15) Eine Nähe zur mittellateinischen Lyrik verrät verrät die offene Beschreibung des Liebesaktes: Im Lied 76 der Carmina Burana „drückt der Mann seine Geliebte zehn Stunden auf das Lager“ (Strophe 17),198 im alttschechischen Lied wurden die Liebenden von Dritten „liebevoll gebettet“ (Strophe II); ihre „Unio“ findet in der für das Mittelater „korrekten“ Stellung statt: der Mann umfängt mit seinen Händen die Frau auf dem Lager. Es durchdringen sich im Lied – für die spätere Zeit charakteristisch − offensichtlich die Gattugen „Pastourelle“ und „Tagelied“. Dies bezeugt die Hybridität des spätmitelalterlichen Liedes, über die im Falle der deutschsprachigen Liebeslieder Kern spricht: Mehrere Liedgattungen sind ineinander verwoben.199 Das Schema des Tageliedes ist für das alttschechische Lied jedoch dominant, vor allem für die lyrische Schilderung des Abschiedsdialogs der Liebenden in den Strophen V und VI. Der Text des alttschechischen Liedes und seine Prosaübersetzung: Alia cancio I Šla dva tovařišě v jedno miesto tíšě. Míle jě přivítali, dobrá slova dali. II Dobrá slova davše dobřě položili, jednoho na ruce, druhého na loži. III Tuť sta spolu hrála do třetie hodiny: „Obrátiž sě ke mně svým líčkem červeným!“ „Tohoť neučiním, musíš pryč ode mne.“ 5 IV „Již denička zchodí, musím pryč od tebe. Jižť musím od tebe s velikú žalostí.“ V „Rač tě Buoh žehnati muoj milý pane! Skuoro-li sě vrátíš muoj milý pane?“ 198 Carmina Burana, Texte und Übersetzungen. Liebeslied Nr.76 (Edition Vollmann, 1987, S. 261-263). Frei im Sinne des Aufsatzes von Kern: Hybride Texte, wilde Theorie? (2005). Weiteres dazu s. in der Einleitung zum Teil II dieser Arbeit. 199 292 VI „Jáť sě k tobě vrátím na zelenú trávu, jáť sě k tobě vrátím na každú hodinu.“ Ein anderes Lied I Es gingen zwei Liebende, heimlich zu einem Ort. Dort wurde ihnen ein lieber Empfang bereitet, mit guten Worten. II Nachdem gute Worte gewechselt waren, wurden sie gut gebettet, eines (er) auf den Händen, eines (sie) auf dem Lager. III Dort spielten sie miteinander bis zur dritten Stunde: „Wende zu mir deine roten Wangen!“ „Das tue ich nicht, du musst fort von mir.“ 5 IV „Der Morgenstern geht schon auf, ich muss fort von dir. Schon muss ich von dir fort, in großem Leid.“ V „Möge dich Gott segnen, mein lieber Herr! Kommst du bald wieder, mein lieber Herr?“ VI „Ich komme wieder zu dir auf das grüne Gras. Ich komme wieder zu dir zu jeder Stunde.“ LIEDTYP VII: „LIEBESLEICH“ Der alttschechische Leich „Jižť mne všie radost ostává“ /„Schon verlässt mich alle meine Freude“ a) Überlieferung: 1. Třeboň, Státní oblastní archiv (Staatliches Bezirksarchiv), Ms. A4, Schreiber Oldřich Kříž von Telč, fol. 396r-397v (nach 1450). 293 2. Opava, Zemský archiv, pobočka Olomouc (Landesarchiv Opava, Arbeitsstelle Olomouc), Ms. O.C. 300, fol. 283v-284r (1451). 3. München, Bayerische Staatsbibliothek, Ms. Clm.8348, fol. 132v, (lediglich die V. 1-32), mit Notation (um 1400). Der Liebesleich ist das einzige alttschechische Lied, das einem namentnlich bekannten Autor, Záviš, zuzuschreiben ist.200 b) Metrik: Der Leich setzt sich aus drei metrisch gleichen Perikopen zusammen, die einen verschlüselten Bau aufweisen: 8a – 8b – 8(a) – 8b – 8c [5] – 8c – 8d – 8e – 8e – 8d – [10] 4f – 7(g) – 4g – 12h – 4f [15] – 7d – 3d – 12h – 11i – 6i [20] – 7i – 14j – 11k – 6k – 7k [25] – 16j – 5l – 5l – 12l – 12l [30] – 5m – 5m – 11m – 10m – 8n [35]. „Das vorliegende Perikopen-Schema gilt für die Fassung T1 und ist nicht an Lehárs rekonstruierter Fassung orientiert, der die Lesarten aller drei Versionen des Liedes zugrunde liegen. Die Zahl der gelegentlichen Abweichungen von Lehárs Perikopen-Schema ist jedoch gering. Den markantesten Unterschied bilden die Verse 24 und 25, die wir (im Einklang mit Vilikovský und Kopecký) in jedem dieser drei Abschnitte als ein Verspaar zu 6 bzw. 7 Silben lesen, Lehár dagegen als einen dreizehnsilbigen Vers mit (im dritten Abschnitt nicht realisiertem) Binnenreim. Somit ergibt sich eine unterschiedliche Verszahl: in unserer Transkription besteht jede Perikope aus 35, in Lehárs Edition aus 34 Versen.“ 201 c) Zum Inhalt: Das Thema des Leichs ist dem „alten“ Liedmodell verhaftet: es ist die unerfüllte Liebe des Mannes zu einer Dame. Das Leid, das sie ihm zufügt, übersteigt alle Maßen, so daß hier der Topos „Liebestod“ wirkungsvoll entfaltet wird. Auf großangelegtem Raum, den die Struktur des Leichs bietet, werden diese zwei zentralen Motivkreise rhetorisch ausgeführt; der Verfasser nutzt hier Teilmotive aus dem Minnesang, aus den Physiologi und der spätmittelalterlichen Naturbeschreibung. 200 Außer dem Namen weiß man über den Verfasser des Leichs nichts Näheres. Alle Versuche von Seiten der tschechischen Forscher, die Identität des Verfassers aufzuhellen, sind bisher gescheitert. Unter dem gleichen Namen Záviš werden aus derselben Zeit noch ein Inzipit eines weltlichen Liedes „Krátká mi sě jest radost stala“ und zwei geistliche Lieder angeführt. Sie stammen höchstwahrscheinlich von demselben Vefasser. (so Lehár, 1990, S.363). 201 Zitiert nach der Edition von Stanovská/Kern (2010), S.192. 294 Aus Gründen der Übersichtlichkeit führe ich − abweichend von der bisherigen Verfahrensweise − den Text des Leichs im Hinblick auf seinen Umfang direkt innerhalb der Interpretation in deutscher Prosaübersetzung an. Perikope I: Der Liebende sehnt sich nach seiner Erwählten. Das Szenario ist das einer Liebesklage: Schon verlässt mich alle meine Freude, / all mein Trost wendet sich von mir ab. / Das Herz schwimmt in Sehnsucht, im Blut: / all das geschieht wegen meiner schönen Geliebten (1-4). Die Art, auf die sich die Minne seiner bemächtigte, wird mit Hilfe eines Motivs des Minnesangs verdeutlicht: Der Blick ihrer Augen traf die Augen des Liebenden und drang bis ins sein Innerstes durch: Mit ihren Blicken dringt sie durch mein Auge / sticht mich stark in mein Herz, / ich lebe stets in brennender Sehnsucht (5-7). Seine Liebe ist nicht erfüllt. Dies wird im Geiste der Liebesklage verdeutlicht, in der die Stichworte „Sehnsucht“, „Blut“, und „Bitte um Zuneigung“ dominieren: Mein Leben ist von der Sehnsucht überwältigt: wegen ihrer teuren Schönheit 10 bin ich zu ihr heftig hingezogen. Das Herz erlebt Pein, es schwimmt so elend im Blut, es begehrt, Begehrenswerte, deine Zuneigung, wenn es geschehen darf. (10-14) Ab dem V. 15 bis zum Schluss der Perikope wird das Motiv „Tod wegen unerhörter Liebe“ rhetorisch ausgeführt. Der Mann verzehrt sich in flammeder Liebe (20-21) beklagt sein Schicksal mit Hilfe des weiteren, vor allem im späteren Minnesang verwendeten Teilmotivs „ein junger Mann wird durch seine unglückliche, weil unerhörte Liebe zu Tode gebracht“ (22). Der Liebende nennt die Liebe, die ihm nicht die Zuwendung seiner Erwählten bringt, eine „untereue Liebe“ (25). Das Motiv des Sterbens vor Liebe erklingt abermals, diesmal in Verbindung mit Bitte an die Gesellschaft (Jungfrauen und Frauen), mit dem Liebenden mitzufühlen und ihn zu bemitleiden (26-30). Es erklingt auch ein Preis der Erwählten, der sich an den Motiven des Minnesangs orientiert (die Dame ist die aufgehende Sonne und ein Glanz, eine Herrscherin im Innersten des Mannes, /31-33/). Mit einer Bitte um Erhörung schließt die Perikope (34-35): 15 Ich bleibe nicht lange am Leben 295 in solcher Sehnsucht, wenn sich die Liebste (meiner) nicht erbarmt. Ich sehne mich nach ihr, wenn ich an sie denke, 20 es wundert mich, dass ich nicht verbrenne, ohnmächtig vergehe ich vor Sehnsucht: Mitten in meiner elenden Jugend sterbe ich für sie. Es ist mein Unheil, dass ich – einst in Freude lebend – genug Leid erfahre, 25 das von einer untreuen Liebe kommt. Ach, Qual! Ich gehe traurig und seufze wegen meiner Schon wird mein Singen [Unschuld! ausklingen, fühlt Reue um mich, Jungfrauen, auch ihr edle Frauen, 30 dass ich vor Liebe sterben muss. Die liebe Sonne geht auf, der Schimmer steigt empor, meine Liebste herrscht in meinem Herzen, sie wird meinem Sinn einen großen Schaden zufügen, 35 wenn sie, die Begehrenswerte, sich (meiner) nicht erbarmt. II. Perikope: Sie beginnt mit einer erneuten indirekten Aufforderung des Mannes an die Erwählte, ihm gegenüber Gewogenheit zu zeigen. Es erklingen alte Begriffe wie „Sehnen“ „Trost“ und „Dienst“ : Hätte ich auf der ganzen Welt einen, / der mir in Sehnsucht helfen würde, / erführe ich viel Trost, / möchte ihm in Treue dienen (1-4). Um die peinigende, lodernde Sehnsucht zu verdeutlichen, bedient sich der Verfasser eines neuen Darstellungsmittels: Mit Hilfe eines Vergleichs aus dem Physiologus, des Phönix-Bildes, betont er die Macht der Dame über den Liebenden. Sie sei der Phönix, der ein Feuer (der Liebe) entfacht, (von dem der Phönix, hier also die Dame, wieder unversehrt aufsteigt). Der Liebende verbrennt aber darin. 5 Wie der Phönix das Feuer entfacht, dort, wo er sich verjüngen will, verbrennt er in seiner starken Macht im Feuer: So entzündet auch meine begehrenswerte Blüte eine sehnsuchtsvolle, brennende Flamme 10 in meinem Herzen, Tag und Nacht. (5-10) Der Verfasser bedient sich weiter des Verschwiegenheitstopos des Minnesangs (mit motivgerechtem Verweis auf die Feinde der Beziehung), um zu betonen, dass ihn die heimlich 296 getragene Liebe über alle Maßen zerfleischt: Bei meiner Jugend, / deretwegen ich meinem Herzen seine Sehnsucht gönne, / darf ich sie (die Geliebte) / niemandem offenbaren, weil ich die bösen Menschen fürchte (11-14). Die schwer zu tragende Liebe wird mit Hilfe des Topos des Liebestodes noch verdeutlicht: Des Leides wegen, / das ich im Inneren trage, / falle ich in Ohnmacht, / schönste Begehrenswerte, deinetwegen muss ich sterben (15-18). Von dieser Stelle an wird – ähnlich wie in der I. Perikope – das Motiv „unerhörte Liebe, Liebe ohne Trost“ rhetorisch raffiniert ausgeführt. Um zu verdeutlichen, wie er leidet, vergleicht der Liebende seine traurige Lage mit der der glücklichen Liebenden, die „die Liebe besitzen“,d.h. „ die sich an der Liebe erfreuen“ (19-20). Seine Liebste gewährt dem Liebenden keinen Trost. Dies ist sein Schicksal, dementgegen der Liebende in unverminderter Liebe an seine Liebste denkt (23-28). Die Welt, hier rhetorisch durch die Elemente (Luft), Edelsteine und Blumen Lilie und Rose (als bekannte „Zeichen“ der Liebe geltend) repräsentiert, soll ihn bemitleiden: Er, dem kein Trost zuteil wird, stirbt, wenn sich seiner seine Liebste nicht erbarmt. Mit dieser indirekten „Lohnforderung“ schließt die Perikope. Wer die Liebe besitzt, freut sich, ich aber vergehe in 20 alles das wegen meiner Begehrten; [Sehnsucht, kann über mich nicht mehr walten, ach, leider wird mir nie ein Trost gewährt. Das ist meine Not, ach grausames Schicksal, wer dich nicht los wird, 25 gewinnt nur Trauer! Im Herzen, Liebe, denke ich sehnsüchtig an dich. Meine Sehnsucht wird nicht vermindert: es reue dich um mich, Luft, es reue dich um mich, alle 30 Karfunkelstein, Saphir und alle Edelsteine, [Schöpfung, Dinge der Sonne, und alles in der Welt, es reue dich um mich, Lilie, es reue euch um mich, Rose und meine Liebste will mir mein teures Leben nehmen, [Blumen, 35 wenn sie sich (meiner) nicht erbarmt. (19-35) III. Perikope Die „alte“ Lage des Minnenden im Minnesang ist die Folie, vor der die Lage des Liebenden ausgemalt wird. Er gibt sich der Macht der Dame schutzlos preis. Der Verfasser bedient sich 297 wiederum eines „neuen“ Darstellungsmittels, eines Vergleichs mit einem der Tierbilder des Physiologus. Die Angst des Liebenden vor der mächtigen Herrin verdeutlicht der Verfasser suggestiv mit dem Bild des Adlers, mit dem er die Dame vergleicht. Sie sei der mächtige Adler, der seine Jungen, falls sie nicht direkt in die Sonne (d.h.: auf die Dame) zu blicken vermögen, aus dem Nest wirft. Der Liebende ängstigt sich vor dem „Sturz“ wie das Adlerjunge: III Der Adler pflegt einen wundersamen Brauch: er erwärmt seine Kinder in der Sonne, hält sie in ihrer Glut, und lässt sie ins Sonnenlicht sehen. 5 Welches (Junge) <nicht> direkt <hinauf> blicken kann zur Sonne, dem hilft nichts, er wirft es gleich aus dem Nest. So einen Adler nenne ich sie, für die ich vor Sehnsucht weine, 10 in Angst, dass sie mir mein Leben nimmt. Ach, mein liebes Auge, mein Trost, meine Freude, des hellen Glanzes wegen <muss ich zu dir>, du <leuchtende> Begehrte, hinaufblicken! 15 Mein Herz fürchtet sich stets vor einem Sturz, dass es wie das Adlerjunge stürzt, davor ist ihm bange. (1-18) Nur ein Gespräch oder ein Wort der Dame könnte den Liebenden vor dem Tod retten. Er vergleicht sich in derselben Art wie vorher mit dem Löwenjungen (dem Physiologus nach sind die Welfen des Löwen Totgeburten, denen erst durch das Brüllen des Löwen Leben eingehaucht wird). Die Dame soll – wie ein Löwe – ihn mit ihrer Stimme vor dem Tod retten (19-22). Sonst stirbt der Liebende – in verdeutlichender Art vergleicht er sich zum dritten Mal mit einem Tier des Physiologus, dem Schwan: Wie dieser erst in seiner Todesstunde singt, so singt auch der Liebende (der sich einen Scholar nennt und so seine Gelehrsamkeit zur Schau stellt) in seiner Sterbestunde: dies sei die Schuld seiner Liebsten, die ihn „dem Sterben nahe brachte“ (23-28). Dies wird noch einmal rhetorisch verdeutlicht: Noch ist es Zeit, ein einziges Wort würde von dem Liebenden den Tod abwenden (29-30). 298 Wie der Löwe, indem er aufbrüllt, 20 seine Kinder erlöst, sodass sich der Tod von ihnen gleich abwendet – so fürchte auch ich mich vor dem Tod, und möchte, dass sie Der seltsame Vogel Schwan singt im Sterben: [mit mir redet. auch ich, trauriger Scholar, 25 sterbe vor Sehnsucht singend wegen meiner schönen Lieben, wenn sie mir kein Erbarmen Ach, oh weh, meine Liebe, [gönnt. schon hast du mich dem Sterben nahe gebracht! Du würdest mich noch vom Tod erlösen, 30 wenn du mit mir ein einziges Wort sprechen würdest. (19-30) Noch einmal preist der Liebende seine Dame in der Art und mit der Begrifflichkeit des Minnesangs (sie ist seine Sonne, seine Rose /31-32/). Das Szenario der Liebesklage, in der das Motiv „Liebestod“ noch einmal, abschließend, durchgespielt wird, wird bis zum Ende des Leichs befolgt. Der Liebende befiehlt seinen Körper und insbesondere sein Innerstes der Dame, seine Seele Gott. Zum letzten Mal „kämpft“ er um Lohn: Wenn die Dame ihn nicht am Leben erhält, ist er verloren (33-35). Liebe glänzende Sonne, hell schimmernde Rose, Herz und Leib gebe ich in deine Hände, die Seele befehle ich dem lieben Gott, 35 wenn du mich nicht am Leben erhältst. Fazit: Der Leich befolgt das klassische Modell der Liebesklage, in der insbesondere das Motiv der unerwiderten Liebe, die bis zum Tod führt, hervorgehoben und rhetorisch ausgeführt wird. Es werden viele traditionelle Topoi des Minnesangs rhetorisch hervorgehoben. In das „alte“ Liedmodell werden weiter wichtige „neue“ Darstellungsmittel (Tiervergleiche) integriert, mit Hilfe deren die traditionelle Perspektive und die „alte“ Haltung des Liebenden in verdeutlichender Art vor Augen treten. 299 DER ZUSAMMENHANG MIT DEM MINNESANG Die Motive und Topoi des Minnesangs sind in dem Leich in einem beträchtlichen Maße vertreten. Ich wies auf diese im Rahmen der Interpretation hin. Es erübrigt sich, diese im einzelnen aufzuzeigen. DER ALTTSCHECHISCHE LEICH IM LICHT DER JÜNGEREN DEUTSCHEN LIEBESLIEDICHTUNG Der alttschechische Leich steht in der Tradition der Liebesleiche der Spätzeit. Eine direkte deutsche Parallele ist mir nicht bekannt. Der alttschechische Leich zeigt allerdings eine besondere konzeptionelle und motivische Nähe zum Lied 4 Heinrichs von Meißen - Frauenlobs. Beide Texte gehen vom selben „alten“ Liedmodell der Liebesklage aus, verdeutlichen das Hauptthema „Liebestod“ mit Hilfe der zum größten Teil identischen neuen Darstellungsmitteln – der Tiervergleiche. Allein diese Entsprechungen sind bemerkenswert, noch schwerwiegender scheint mir dieselbe Darstellungsart: Die „alte“ Haltung des Liebenden wird mit Hilfe der neuen, sehr ähnlichen Motive (Tiervergleiche) betont. Auf das deutsche Lied 4 Heinrichs Frauenlobs als auf ein wahrscheinliches Vorbild für den alttschechischen Leich wies als erster Leopold Zatočil (1955) hin. Pavel Trost (1955) bezweifelte den direkten Zusammenhang zwischen beiden Liedern. Seine Argumente gründen sich darauf, dass der alttschechische Verfasser die einzelnen Motive und die Tiervergleiche der Tradition des Minnesangs und dem Physiologus entnehmen konnte, ohne das Frauenlobsche Lied gekannt haben zu müssen. Ich schließe mich in dieser Hinsicht der Hypothese Zatočils an; entscheidend ist für mich vor allem das gleiche Darstellungsprinzip, dem beide Lieder folgen und das ich auch für das Lied Frauenlobs kurz skizziere. Heinrich von Meißen-Frauenlob - Lied 4 (Edition Stackmann / Bertau, S. 566f.). Strophe A Die Liebste wird aus dem Munde des Liebenden metaphorisch als ein „blühender Anger für seine Augen“, als „Labung seiner Augen“ bezeichnet. Sie gleicht dem Feuer, das sein Innerstes und seine Sinne in Liebe entzündet. (Das Feuer und Liebesbrand-Motiv erscheint auch am Anfang der Perikope I des alttschechischen Leichs). Es wird zu einem Frauenpreis übergegangen: Die Wangen der Dame glänzen in einem rosenroten und lilienweißen 300 Schimmer, der – dem bekannten Minnesang-Motiv nach – durch die Augen des Liebenden bis zu seinem Herzen durchdringt, wohin er, personifiziert, „um Einlass“ bittet. Auch das letzte Motiv des Durchdringens des Bildes der Dame durch die Augen ins Innerste des Mannes (z. B. bei Morungen) ist in der Anfangsperikope des alttschechischen Leichs in ähnlicher Ausformung zu finden: Mit ihren Blicken dringt sie durch mein Auge / sticht mich stark in mein Herz, / ich lebe stets in brennender Sehnsucht (5-7). Hier der deutsche Text der Strophe A: Ahi, wie blüt der anger miner ougen, den ich für alle ougenweide han erkorn. Ir fire ist geboten sunder lougen, dem herzen und den sinnen min für allen zorn. Ja muz ich sunder riuwe sin, swenne ich an sihe die rosen und der liljen schin, der ab ir liechten wangen durch die ougen min gewaltiglichen brehet unde drehet zu dem herzen: „la mich in!“ Strophe B Der Liebende richtet allen Sinn auf seine Erwählte. Er möchte für sie leben; so dass es ihr ziemt: Sie hat †verwieret sich in minem mute, / ich mag nicht me, wan als sie wil, so muz ich leben (1-2). Er begibt sich in ihre Macht: Sein Tod oder sein weiteres Dasein liegen in ihren Händen: Min sterben, min genesen treit die gute, / so kan sie beide liebe und leide mir ouch geben (3-4). Die Strophe wird bis zu ihrem Ende als Frauenpreis gestaltet, die Bildlichkeit ist die des späten Minnesangs (5-8). Der Liebende bittet die Dame, ihre Güte auch ihm gegenüber zu zeigen (9-10): So lieb in al der werlte ein wip wart nie geborn und wird auch nimmer zarter lip. 301 min freude, min trost und miner sorgen leitvertrip, min lust, min meien ouwe, herzen frouwe, durch din güte gut du blib. (5-10) Strophe C: Von dieser Strophe an verdeutlicht der Liebende seine Lage, ähnlich wie sein alttschechisches Gegenstück, mit Hilfe der Tiervergleiche. Diese „neuen“ Darstellungsmittel stehen inhaltsdienlich als Verdeutlichung der „alten“ Haltung des Liebenden. Diese Darstellungsmethode kann der Verfasser des alttschechischen Leichs Záviš von diesem Lied Frauenlobs übernommen haben. Ich habe kein Beispiel gefunden, in dem dasselbe Darstellungsprinzip in zwei Liedern auf eine dermaßen eng zusammenhängende Art befolgt würde. Die Dame gleicht dem Panther, der die anderen Tiere mit seinem wohlschmeckenden Geruch dermaßen betört, dass sie ihm folgen, bis er sie verschlingt. Dieser Vergleich fehlt im alttschechischen Leich. Sie tut mir als daz pantel bi den tieren: dem volgens durch süzen smac in bitterliche not. (1-2) Die Freude der Liebe, die der Mann fühlt, hat den Beigeschmack des Todes (Anspielung auf die unerhörte Liebe). Damit wird ein altes Motiv des Minnesangs wiederaufgenommen: Ir spilndez angesichte [] kan sie zieren, der schöne freuwe ich mich, die freude treit den tot. (3-4) Es folgt der Vergleich mit dem Adler und dem Adlerjungen, der hier nur angerissen, im alttschechischen Leich nach dem Physiologus im Detail erläutert wird. Im deutschen Lied fürchtet der Mann ebenfalls vor einem Sturz, er vergleicht sich mit dem Adlerjungen, das nicht den Anblick der Sonne (d.h.: der Dame) erträgt. Am Schluss der Strophe klingt das Motiv des Verderbens durch Minne an: Ich mag nicht volliglichen gesehen in so trost gebende schöne, † ez enmüze geschehen [] † ein vallen, als des aren kint der sunnen brehen durch weichen blic tut sterben. 302 solch verderben git sie mir, des muz ich jehen. (5-10) Strophe D: Der Liebende vergleicht sich mit dem Schwan. Das Motiv des Schwanes, der erst in seiner Todesstunde singt, findet sich im deutschen Minnnesang z. B. bei Morungen: Ich tuon sam der swan, der singet, swenne er stirbet (MFMT 139,15). Dasselbe Bild finden wir im alttschechischen Leich. Ja singe ich als der swan, der [] gein dem ende, so süzen sang gewinnet, ein swinendez fro. (1-2) Die Dame wird dem Phönix gleichgestellt: das Bild des Phönix aus dem Physiologus, der sich im Feuer verjüngt, wird auf sie übertragen: Auch die Sinne des Liebenden lodern in Liebe (wie im alttschechischen Leich): Sie tut mir als dem venix, den sin brende, in lust verbrennen, min gemüte lebet also. (3-4) Der Frauenpreis verbindet sich hier untrennbar mit dem Motiv des Tötens durch Minne, mit dem die Strophe schließt: Swie we mir von ir <ie> geschach und noch geschicht, doch ist sie miner freuden dach, min balsemtror, min edeler stein für ungemach. ei, minnigliches töten, mit den nöten [ ] sie min herze alrerst zerbrach. (5-10) Das Motiv der Edelsteine ist in dem alttschechischen Leich ebenfalls rhetorisch ausgeführt: (...) es reue dich um mich, alle Karfunkelstein, Saphir und alle Edelsteine,[Schöpfung, Dinge der Sonne, und alles in der Welt, 303 es reue dich um mich, Lilie, es reue euch um mich, Rose und meine Liebste will mir mein teures Leben nehmen, [Blumen, wenn sie sich (meiner) nicht erbarmt. (29-35) Strophe E: Auch in dieser Strophe findet man motivische Entsprechungenzu dem alttschechischen Leich, die diesem als Vorbild dienen konnten. Der Liebende fordert seinen „Lohn“: ein Wort der Gunst von seiner Dame, die ihn „von den Todesbanden loslöst.“ Dieselbe Forderung und Formulierung findet man ebenfalls im alttschechischen Leich. Hierzu, als Verdeutlichung, nutzt Frauenlob den Vergleich mit dem Löwen, der auch im alttschechischen Lied vorkommt: Queme uz ir süzen munde ein wort geflozzen, daz tete mich von den todes banden komen wider. Recht als ein lewe, der in des todes slozzen sin welf erschriet, daz sie lebendig werden sider, So mag sie mich erquicken wol. (1-5) Das Lied schließt mit einer Klage, deren Anklänge wiederum im alttschechischen Leich zu finden sind. Die Dame hat – trotz der vorbildlichen Haltung des Liebenden − nicht ein „beständiges Herz“, dies ist das Unglück des Liebenden. Obwohl er jung ist, „erbt er die alte Angst“ – die des Todes vor Nichterhörung. ei, selig wip, nu tun ich allez, daz ich sol: mag nicht verfahen stetez herze triuwen vol, wie sol ich danne gebaren? jung der jare erbe ich alten angest zol. (6-10). Fazit: Ein Liebestod als Folge der Nichterhörung: Dieses Motiv ist beiden Texten, dem Frauenlobschen und dem des Záviš, gemeinsam. Sie entfalten dieses Motiv mit Hilfe der „alten“ Motive des Frauenpreises, wobei die gepriesene Frau dem Liebenden mit ihrer 304 Missgunst umso größeren Schmerz bereitet. Die „neuen“ Darstellungmittel (die Tiervergleiche) beschreiben in beiden Liedern auf ähnliche Weise eindrucksvoll die Befindlichkeit des Liebenden: Sein langsames Hinsiechen vor unerhörten Liebe. Beide Lieder sind trotz unterschiedlicher formaler Gestaltung motivisch eng verbunden. Liedtyp VIII - LIEBESBRIEF Das Lied „Láska s věrú i se vší ctností“ („Liebe in allen Ehren und in Treue“) a) Überlieferung: Třeboň, Státní oblastní archiv (Staatliches Bezirksarchiv) Ms. A 7, Schreiber Oldřich Kříž von Telč, niedergeschreiben zwischen 1457 - 1463, fol. 140v - 141v. b) Zur Form: Paargereimte Strophen aus vier Achtsilblern, also: 8a / 8a / 8b / 8b. Es zeigen sich aber einige Unregelmäßigkeiten, die meisten Strophen weisen auch Verse mit neun, zehn, mitunter auch elf Silben auf. Assonanzen finden sich in den Versen IX,3-4 (milé - lstivé) und XVI,1-2 (milá - živa). Von den insgesamt 20 Strophen sind die Strophe X (5 Verse) und die Strophe XI (6 Verse) überlang, was im musikalischen Vortrag keine Probleme bei Wiederholung von Melodieteilen bereitet (bzw. des Verses 5 in Str. X) und vielleicht einer gesteigerten Emphase dienen soll. c) Zum Inhalt: Wie Kern darlegt, folgt das Lied in seinem Aufbau der fünfteiligen Grundstruktur des Antikmittelalterlichen Briefes: „Am Beginn stehen salutatio (Grußformel, Str. I) und captatio benevolentiae (Dienstbeteuerung, Str. II und III). Es folgt der Hauptteil, die narratio, die sich in zwei Passagen gliedert: Eine erste, die die wesentlichen Themen − Treuebekundung, Lob der Adressatin, Liebesleid wegen Trennung, Segenswunsch − zum Ausdruck bringt, (Str. IVStr. XI), und eine zweite, die sie variierend und konkretisierend (v. a. Erinnerung an das glückliche Beisammensein) durchführt (Str. XII- Str. XVII). Die petitio, die Bitte an Gott um Segen und die Bitte an die Dame um Antwort (Str. XVII-Str.XIX) leitet zur conclusio, zum Briefschluss mit Geleitstrophe (Str. XIX, XX), über.“202 Vilikovský sah im Lied ein Bindeglied zwischen der „ars dictandi“ und der alttschechischen Liebeslyrik, die aus der damaligen Rhetorik manche Anregungen geschöpft haben soll.203 202 203 Kern (2010), S. 200. Vilikovský (1932), S. 70-71. 305 Dies bezweifelt Lehár, der seine Struktur als uneinheitlich betrachtet: Einige Strophen seien entweder nachträglich hinzugefügt oder einer anderen Quelle entnommen worden. Er beruft sich dabei auch auf die unkonsequente Titulierung der Dame (generell als Dame oder „Liebste“, in den Versen 37 und 48 jedoch als „Jungfrau“ angeredet).204 Mir scheint das Lied im Gegenteil einheitlich in seiner poetischen Sendung; der Wechsel zwischen den Benennungen Frau und Jungfrau weist umso deutlicher auf die spätere Entstehungszeit des Liedes hin. Auch der wenig anspruchsvolle Stil des Liedes ist ein Merkmal, das z. B. für die Mehrheit der deutschen Liederbuchlieder typisch ist, die, wie unten veranschaulicht wird, die einzelnen Motive unseres Liedes in ähnlicher Ausformung aufgreifen. Zu den Strophen im Einzelnen: Salutatio: Der Liebende grüßt die Adressatin des Briefes mit der Versicherung seiner ehrenhaften Liebe und Treue. (Str. I) Captatio benevolentiae: Ihr Preis wird mit Dienstbeteuerung verbunden: sie ist die Schönste von allen und die Liebste seines Herzens, bis zu seinem Lebensende möchte er ihr treuester Diener sein. (Str. II) Er offenbart ihr seine Gefühle, seine Sympathie zu ihr sei unvergänglich (die Passage wird durch etymologisierendes Wortspiel „přějiť“, „přieti“, „pří“ in den V. III, 3 und 4 rhetorisch betont) (Str. III). Narratio: Erster Teil: Der höchste Wert, so der Liebende, sei die Treue, auch die Partnerin soll sich ihm gegenüber entsprechend verhalten (Str. IV). Wäre sie ihm nicht gewogen, wäre er in seinem Innersten zutiefst verletzt. Er hegt jedoch weiterhin Hoffnung auf ihre Gnade. Die Empfindungen seines Innersten werden eigenständig zum Ausdruck gebracht: „Dir entgegen lacht mein Herz“ (Str. V). Die Strophe VI ist eine reine Preisstrophe, die sich mitunter schematisierender Wendungen bedient: Die Dame sei der „Trost“ des Liebenden, sie ist „die Beste unter Hundert Frauen“, „überaus begehrenswert“, sie sei „die glänzende Rose seines Herzens“. Sein Innerstes zerfleischt die Trauer (Str. VII) wegen der Trennung von der Liebsten, die über eine absolute Gewalt über sein Herz verfügt. Sie soll seine Bitten erhören (Str. VIII). 204 Lehár (1990), S.355. 306 Seine nächste Bitte an sie, während ihrer Trennung nicht auf Verleumdungen einzugehen (Str. IX), ist auch für viele späte deutsche Liebeslieder charakteristisch. Der Mann verknüpft seinen Segenswunsch erneut mit der Bitte an die Frau, in rechter Liebe zu verweilen und seine Treue lohnend anzuerkennen (Str. X). In der nächsten Strophe XI beschwört er unterstreichend seine Beständigkeit. Dies wird noch detaillierter mittels bekannter Metapher umschrieben: am liebsten möchte er sie stets in seinem Innersten eingeschlossen tragen. Als Ausdruck seiner völligen Hingabe bietet er der Dame seine Seele an. Zweiter Teil: Die Strophe XII bringt in einer Retrospektive das rhetorische Lob der Stunde, in der der Liebende seine Erwählte kennen lernte und mit ihr sprach. Darauf bezieht sich auch die nächste Strophe: Ihre Rede sei „sein Herzenstrost“, in ihrer Anwesenheit „verlässt ihn alle Betrübnis“ (XIII). Desto düstere, trostlose Stunden erlebt er nach ihrer Trennung (Str. XIV). Seine Trauer vertieft sich noch, wie eine ungewöhnliche bildliche Darstellung seines Zustands zeigt: Vor Leid, Vereinsamung und langem Warten „wachsen ihm fast Hörner auf dem Kopf“ (Str. XV). Ein Segenswunsch (die Liebste soll lange Leben) verbindet sich mit der Bitte des Liebenden, sie solle ihn, ihren Diener, lieblich ansprechen: Er selbst liefert ein Vorbild dieser Rede: „Liebster, klage nicht so viel!“(Str. XVI). Gott soll bewirken, dass sich das Paar „immer treu liebt“ (Str. XVII) und auch nach dem Tode „in ewiger Freude verweilt“, jedes Leides enthoben (Str. XVIII). Conclusio: Die Dame wird in der vorletzten Strophe um eine gütige „Antwort“ gebeten. Eine erneute Dienstbeteuerung unterstreicht die Bitten des Mannes, erhört zu werden (Str. XIX). Die Geleitstrophe stellt den Briefschluss dar: das Schreiben soll nun „der Herrscherin über sein Herz“ zugestellt werden. Liest es eine andere, geschieht dies ohne den Willen seines Verfassers (Str. XX). Fazit: Das Lied befolgt in seinen wesentlichen Denkbewegungen das „alte“ Liedmodell der Liebesklage. Erst in der Strophe XIX geht der Verfasser zu einer späteren Vorstellung über die Liebesbeziehung über: Die Frau soll mit einer verbindlichen „Antwort“ dem Mann bestätigen, dass sie sich ihn als einen Partner wünscht. Das Motiv der Antwort ist für viele Liederbuchlieder typisch. Bemerkenswert ist jedoch, dass in dem alttschechischen Lied ein 307 Stadium der Liebe dargestellt wird, das „alt“ und „klassisch“ ist: Der Mann bittet die Frau um Erhörung und wohlwollende Aufnahme. Das Lied ist, bis auf Ausnahmen (Str. III und V), literarisch weniger anspruchsvoll. Viele seiner Wendungen verraten bereits Schematismus, so z. B.: Str. II, V.3-4: ich bin dein treuester Diener / solange ich eine Seele im Leib trage, Str. VI, V. 3-4: du bist eine überaus begehrenswerte Frau / meines Herzens glänzende Rose oder Str. XII, V.2-4: es war eine glückliche Stunde / in der ich dich kennen lernte / und mit dir oft Gespräche führte! Sein durchkomponierter Aufbau deutet jedoch auf Vertrautheit des Verfassers mit den Grundregeln der „ars dictandi“ hin, auch wenn das rhetorische Niveau dessen lateinischer Vorbilder deutlich höher angesetzt ist. DER ZUSAMMENHANG MIT DEM MINNESANG Ein Zusammenhang scheint mir vor allem auf der Ebene des Liedmodells überzeugend zu sein. Wie bereits angegeben wurde, ist das Lied in seinen wesentlichen Vorstellungen nach der Folio der „alten“ Liebesklage gestaltet. Im Lied vermischt sich „Altes“ mit neuer Auffassung der Partnerschaft: sie kann als eine feste Beziehung bis in die Ehe münden. DER ZUSAMMENHANG MIT DER JÜNGEREN DEUTSCHEN LIEBESLIEDDICHTUNG Korrespondierende Motive in der späteren deutschen Liebeslieddichtung: Ein direkt verwandtes deutsches Lied, als Liebesbrief verfasst, ist mir nicht bekannt. Erinnert sei jedoch an die zahlreichen deutschen Minnereden in Briefform aus dem 14. und 15. Jahrhundert.205 Die Motive der Liebesbeteuerung und des Segenswunsches (hier Str. XVI, V.2) verbinden unser Lied mit den sog. „Neujahrsliedern“, die z. B. im Liederbuch der Clara Hätzlerin vertreten sind (im II. Teil, Nr.34 - 41) und in denen der Verehrer seiner Erwählten neben der Liebesbeteuerung und Versicherung seines Dienstes Heil und langes Leben in neuem Jahr wünscht und um ihre Gewogenheit bittet. Als motivisch verwandte Beispiele für alle führe ich aus dem Liederbuch der Clara Hätzlerin folgende Textpassagen an: Das Lied Nr. II / 40: Ain newes Jar ym sieben und viertzigisten, V.1-20 ( Edition Haltaus, S. 200f.) 205 Eine Aufstellung der Minnereden bei Brandis (1968), S. 62ff. 308 Verbindende Motive: Meins hertzens Schlos, meiner fräden schrein, Ich main dich, lieplichs fräwelein, (Liebesbeteuerung) Mit triuen zwar on als geuar, ( Beständigkeitsbeteuerung) Des wünsch ich dir ain säligs Jar, Zu disem New gelück vnd hail, Auch alles guotz ain Michel tail. Fräd, lust vnd wunn in eren Müsz dir der obrost meren, (Wunsch der Gnade Gottes Der vns ietz Newgeporen ist, zum neuen Jahr) Meins hertzen du gewaltig bist (Hingabe) Allain mit allem recht. Ich bin deiner eren knecht (Versicherung des Dienstes) Mit willen lang beliben, Lasz mich nur vnuertriben In deinem dienst bestan. Wes guoten ich dir gan, Des ist chain end ze sagen, Sich mert von tag ze tagen Mein lieb vnd stätte triu (Liebes- und Treuebekundung) Gen dir on affterrew (...) Das Lied Nr. II / 41: Zum Newen Jar ym acht und viertzigisten, V.1-14 (S.201) Mein fräd, mein wunn, höchstes hail, Meins hertzen fraw, nym mich ze tail (Wunsch nach Gewogenheit) Zu disem säligen Newen Jar. So yedes des sein nymbt war, So ruck mich usz der gemain, Verschliusz mich in dein hertz allain, Bedenck, wie ich mit gantzer triu (Treuebekundung) Dir gedienet hab on rew. (Dienst) Desz gleich ich auch verharren will (Beständigkeit) Der dein bis vff meins endes zil 309 On alles arg, des bis gewis. Deiner lieb ich nit vergisz, Wann edlern schatz ich nye gewan, (Überbietungstopos) Dann ain dein lieb, das wisz on won (...) Das Lied Nr. 138 des Königssteiner Liederbuchs „Biß inn min end bleip mir indenck“ (Edition Sappler, S. 190f.) ist gattungsmäßig ebenfalls kein Liebesbrief, verfügt jedoch über verwandte Motive: Des Preises sowie der Treuebekundung und Liebesbeteuerung; wie in unserem Lied soll die Frau dem Liebenden eine „Antwort“ auf seine Bitten erteilen. Str. I: Ähnliche Motive: Biß inn min end bleip mir indenck (Beständigkeit) das wecken diner süßen freud. mit lieb ich leb durch liebe schrengk. besinn, min liebeste augenweid, das liebers mensch nie druck die erd. (Frauenpreis) din gutt geberd mir alles ungemüt vorwentt. (Erleichterung des Herzens) Str. III: Bi dir min freid, bi dir min lust, (Liebesbeteuerung) bi dir ist aller lieber siegk. bi dir wart mudes nie gebrust. das alles brengen /ist/ und bliegk, die ich süßelichen von der spör. ach glück, volför! (Hoffnung auf Glück) der freuden stunt min hoffnung ist. (Hoffnung auf Freude, Gnade) Str. IV: Bis dir an wandel, den ich trag, verkünd mir, was, in sneller ill! ( Die Frau soll antworten) din straff ich wol geliden magk. und wer ich von dir dusent mil, ( Beständigkeit) mich freudet, das ich din plegen solt. 310 ich bin dir holt (Liebesbeteuerung) vor allen wiben in hertze gruntt. Fazit: Ein Zusammenhang mit der Liederbuchlyrik ist auf der motivischen Ebene deutlich sichtbar. Die Form des Briefes, in der das tschechische Lied verfasst ist, ist sein Charakteristikum, für welches ich in den mir zugänglichen Textmaterialien kein Gegenüber von der deutschen Seite fand. Der Text des alttschechischen Liedes und seine deutsche Prosaübersetzung: Láska s věrú i se vší ctností I Láska s věrú i se vší ctností, ze všěch výborná, tvé milosti z mého srdce buď vzkázána a tobě napřěd poslána. II Rač věděti, všěch najkrašší, mého srdce najmilejší: Sem tvuoj věrný sluha cele, dokudž jest dušě v mém těle. III Přějiť s věrú tobě jako sobě, toť já nynie pravím tobě, a vždyť také přieti muši a stú pří umřéti muši. IV Protož, milá, pomni na to, žeť jest dražšie viera nežli zlato! Rač mě s věrú milovati a nade mnú nezúfati. V Pakli by toho neučinila, velmi by mé srdce ranila. Nebť jest v tobě má naděje, po tobě sě mé srdce směje. VI Ty si mé utěšenie, toběť ve stu rovně nenie. Ty si paní přežádúcí, mého srdce ruože stkvúcí. VII Po toběť mé srdéčko vzdychá a v tesknosti usychá; takéť stojí v tvé milosti a máť smutku přieliš dosti VIII pro to smutné rozlúčenie, že s tebú býti lze nenie. Tys také pán srdce mého, 311 uslyš v prosbě slúhu svého! IX Takéť mile prosím za to nerač dbáti pro nic na to! Ještě prosím, srdce milé, nerač dbáti na řeči lstivé. X Ó panno srdečná, bodaj byla dlúhověčná! Cos počala, rač konati a rač v pravé lásce přebývati a mú vieru k sobě znamenati. 5 XI 5 Nebť já miením mieti k tobě s věrnú věrú jako k sobě, a nic jinak, paní milá, jako by mi vosobně v mém srdci byla. Dušeť bych chtěl uděliti, bych to mohl učiniti. XII Ach, má panno jediná, šťastnať jest byla ta hodina, když sem se s tebú oznámil a častokrát s tebú mluvil! XIII Neb tvé promluvenie jest mého srdce utěšenie. Také když sem s tebú seděl tesknosti sem žádné neměl. XIV Již pak po tom rozlúčení té hodinky šťastné nenie, bych kdy mohl utěšenie jmieti a své srdce ukojiti. XV Ale dosti mám tesknosti, mohli by na mně rozi zrósti, žeť mi s tebú nenie býti a s tebú sě veseliti. XVI Protož nezúfaj sobě, milá, bodaj mi byla dlúho živa! I zpomeň na věrného slúhu svého a řkúc: „Milý, nestyšť sobě mnoho!“ XVII Chciť na tom dosti mieti a chciť s věrú přieti. Dajž to, Bože, věčný králi, bychme sě vždy milovali. XVIII A po smrti rač nám dáti, bychom mohli s tebú přebývati u věčné radosti. 312 Uchovaj nás, Bože, všé žalosti! XIX Daj odpověď dobrotivě, učiň se mnú milostivě! Já služebník tvój věrný, tobě po vše časy poddaný. XX Buď té tento list dán, jenž jest mého srdce pán. Pakli sě které jiné dostane, toť se bez mé vuole stane. Finis epistole Liebe in allen Ehren und in Treue I Liebe in allen Ehren und in Treue sei deiner Gnade, Allerbeste, von meinem Herzen übersandt und zu Anfang (meines Schreibens) vorausgeschickt. II Wisse, Allerschönste, meinem Herzen Allerliebste: ich bin dein treuester Diener, solange ich eine Seele im Leib trage. III Ich bin dir in Treue wie mir selbst gewogen, ich möchte dir immer gewogen sein, diese Gewogenheit behalte ich bis zu meinem Sterbetag. IV Deshalb, Liebe, sollst du beachten, dass die Treue mehr wert als Gold ist! Liebe mich in Treue, zweifle an mir nicht. V Solltest du es nicht tun, würdest du mein Herz sehr verletzen; weil meine ganze Hoffnung in dir liegt, dir entgegen lacht mein Herz. VI Du bist mein Trost, unter hunderten (Frauen) gibt es keine deinesgleichen. Du bist eine überaus begehrenswerte Frau, meines Herzens glänzende Rose. VII Nach dir seufzt mein Herz, das in Liebesqual vertrocknet; es quillt über vor Liebe zu dir und erfährt dadurch ein schweres Leid VIII (unserer) leidvollen Trennung wegen, dass es mir verwehrt wird, mit dir zu verweilen. 313 Du bist Herr über mein Herz, vernimm’ die Bitte deines Dieners! IX Ich bitte dich auch in lieber Achtung, lass dich nur durch nichts beirren! Ich bitte dich nochmals, mein liebstes Herz, gehe nicht auf Verleumdungen ein. X Oh herzallerliebste Jungfrau, mögest du lange leben! Tue, was du angefangen hast, allzeit wohne dir wahre Liebe inne, beachte dabei auch meine Treue. 5 XI 5 Denn ich möchte dir treu sein wie mir selbst und mich so verhalten, liebe Herrin, als gingest du bei lebendigem Leibe tief in mein Herz ein. Ich würde dafür meine Seele geben, wenn ich es bewirken könnte. XII Ach, meine einzige Jungfrau, es war eine glückliche Stunde, in der ich dich kennen lernte und mit dir oft Gespräche führte! XIII Denn deine Rede ist mein Herzenstrost. Immer wenn ich bei dir saß, verflog alle meine Betrübnis. XIV Seit unserer Trennung erlebe ich keine glückliche Stunde, die mich trösten und mein Herz besänftigen könnte, XV im Gegenteil: ich erfahre ständig genug Leid, von dem mir Hörner wachsen könnten, weil ich mit dir nicht sein und in Freude verweilen kann. XVI Deshalb, Liebste, sei mir gegenüber nicht misstrauisch! Möge dir ein langes Leben verliehen sein! Erinnere dich an deinen treuen Diener und sprich: „Liebster, klage nicht so viel!“ XVII Damit will ich mich begnügen und möchte dir in Treue zugetan sein. Herr Gott, ewiger König, mach, dass wir uns immer lieben. XVIII Gönne uns, dass wir auch nach unserem Tod mit Dir verweilen können 314 in ewiger Freude. Gott, bewahre uns vor allem Leid! XIX Gib mir eine gute Antwort, erweise mir deine Gnade! Ich bin dein getreuer Diener, für alle Zeiten dir ergeben. XX Sei dieses Schreiben derjenigen übergegeben, die Herr über mein Herz ist. Gelangt es einer anderen in die Hände, geschieht es ohne meinen Willen. Ende des Briefes 315 Zusammenfassende Charakteristik der alttschechischen Liebeslieddichtung vor dem Hintergrund des späteren deutschen Minnesangs und der jüngeren deutschen Liebeslieddichtung Wenn ich eine zusammenfassende Charakteristik der alttschechischen Liebeslieddichtung bieten soll, muss ich in diesem Falle von dem bisher angewandten Schema für die Charakteristik der nacheinander gehenden Phasen des deutschen Minnesangs sachgemäß abweichen. Ich fasse eingangs in gebotener Kürze die neuen Tendenzen des deutschen Minnesangs nach 1300 nochmals zusammen, die im späteren 14. Jahrhundert noch weiterentwickelt und vertieft wurden:206 1. Formalisierung (zunehmende Anwendung komplizierter rhetorischer Figuren, formaler Strukturen und Reimfiguren, das Spiel mit den Namensinitialen oder die Farben- und Blumensymbolik). 2. Typisierung (innerhalb des Minnesangs entsteht ein festes Gattungssystem, um neuartige Liedtypen erweitert). 3. Personalisierung (eigenes Lebensschicksal wird mittels der Grundprinzipien und Vorstellungsbereiche des Minnesangs erfasst – Hugo von Montfort-Bregenz, Oswald von Wolkenstein, Ulrich von Lichtenstein). 4. Epische Konkretisierung und Objektivisierung (epische Ausdehnung des Stoffes statt des früheren Minnediskurses, besonders Wiedereinführung des Natureingangs).207 5. Neuartige Liebesauffassung (Liebe wird nicht immer als nur innere Qual, sondern in Erwartung der Erhörung zunehmend als Freude dargestellt, der Liebende wird nicht als passiv auf Gnade wartend, sondern selbstbewusster und initiativ ausgemalt – Mönch von Salzburg) 206 Vgl. die grundlegenden Aufsätze Brunners zur deutschen Liebeslieddichtung um 1400 (1978, 1983), und zum späteren Minnesang von Kuhn (1967). 207 Kuhn (1967), S.74f. 316 Es kommt allmählich zu einer „Umfunktionierung“ des Minnesangs als eines Mediums. Während der frühe und der klassische Minnesang in vieler Hinsicht zum Ausdruck der Lebensform und der Verhaltensnorm der höfischen Adelsschicht wurde, verlagert sich nun seine Grundfunktion vor allem zum repräsentativen Zeremonial und – abgrenzend nach außen – zur Gesellschaftsunterhaltung. Welche Charakteristika weist vor diesem Hintergrund die alttschechische Liebeslieddichtung (weiter AL) auf? Auch für diese gilt – als für eine späte Erscheinungsform der höfischen Liebeslyrik – höchstwahrscheinlich die „Umfunktionierung“. Es muss vor allen Dingen Eines betont werden: die AL – ein später Niederschlag der einstigen höfischen Liebeslyrik – ist als ein Sammelbecken der Grundprinzipien des Minnesangs und seiner oben thematisierten späteren Tendenzen aufzufassen. Diese Tendenzen haben die AL in einer Umbruchszeit in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts gekennzeichnet. Daneben orientiert sie sich weiter an den „alten“ Vorbildern. In der Zeit um 1300 wurden die großen Sammlungen des Minnesangs auf deutschem Gebiet niedergeschrieben. Den Lesern, unter denen vielfach auch die späteren Autoren dieser Dichtung waren, bot sich somit ein vielfältiges Bild dieser Lyrik, auch in Kontinuität, zum ersten Mal in der Geschichte dieser Dichtung. Es wäre auch für die AL vorstellbar, dass den Autoren als Quellen kleinere oder größere Sammlungen der Minnelieder, wohl auch der deutschsprachigen Lyrik, zu Verfügung standen, woraus sie Inspiration für ihr Schaffen nahmen. Sie hatten somit Älteres wie Neueres kennen gelernt, keinesfalls nur die spätere deutsche Liebeslieddichtung, wie sie z. B. im Liederbuch der Clara Hätzlerin vertreten ist.208 Sie haben die Grundprinzipien und die späteren Tendenzen wahrscheinlich gleichzeitig rezipiert, waren jedoch, wie ihre Lieder in aller Deutlichkeit zeigen, imstande, die Grundprinzipien von den „modischen“ Erscheinungen zu unterscheiden, was nur aufgrund eines Kontinuitätbewusstseins oder einer Kenntnis der einzelnen Phasen des Minnesangs möglich ist. Es mag trotzdem überraschen, dass einige den späteren deutschen Minnesang geradezu prägende Elemente wie der Natureingang in der AL fast kein Echo fanden (eine Ausnahme bilden lediglich die Lieder III,1 und VI,2); man begegnet dagegen öfters dem inneren Minnediskurs nach dem älteren Modell der Liebesklage. Die AL ist – im Gegenteil zum deutschen Minnesang – nicht in Phasen einzuteilen, die aufeinander folgen. Somit muss jedes einzelne Lied als immer ein neuer Ansatz, vor allem 208 So noch Trost (1981, S.256f.), Lehár (1990, S. 88). Diese ältere Ansicht verengt vom vornherein die Perspektive, aus der die AL in ihrer Vielfalt zu charakterisieren ist. 317 was die Begrifflichkeit und Motive betrifft, also innerhalb der vielfältigen Erscheinungsformen des Minnesangs angesehen werden. Auch wenn manche Lieder der AL manche typischen Tendenzen des 14. Jahrhunderts klar reflektieren (Farbensymbolik und Spiel mit den Namensinitialen, neue Liedtypen wie z.B. den Liebesbrief, epische Konkretisierung im Tagelied), kann man jedoch bei Weitem nicht sagen, dass sie alle, vor allem die avantgardistischen Züge der Spätzeit aufweisen: z. B. die Personalisierung spielt innerhalb der AL keine Rolle, diese Dichtung bleibt nach wie vor eine Rollendichtung der „klassischen“ Art. Das Erscheinungsbild der AL wird dadurch verkompliziert, dass wir insgesamt wohl zu wenige Lieder besitzen, um einen Gesamtcharakter dieser Dichtung in Vollständigkeit erfassen zu können. Die uns bekannten alttschechischen Lieder bilden offensichtlich nur einen Teil der damaligen Liedproduktion. Auch dieser kleine „Ausschnitt“ ist auf uns nur sehr lückenhaft gekommen.209 Nach dieser Einleitung erlaube ich mir doch eine Präzisierung – sofern dies möglich ist. Aufgrund des Vergleichs mit der – in sich auch bei Weitem nicht homogenen – späteren deutschen Liebeslieddichtung stellt man fest, dass der „Grundstock“, also die meist vertretenen Liedtypen der AL, die „reine“ Liebesklage und das Preislied, eher traditionelle Züge aufweist. Es wird der Grundtypus – die Liebesklage – unter Beibehalten der traditionellen Vorstellungsbereiche, Motive und Bilder fortgesetzt. (Liedtypgruppe I. insgesamt acht Texte). Die Liebe wird darin als eine nicht erfüllte, wohl nie zu erfüllende dargestellt. Traditionelle Ausprägung von Minneklage finden wir z.B. im Lied I,5 „Již tak vymyšlený květ“(„Die wundersam herrliche Blüte“)210, in dem sich der Liebende an die personifizierte Liebesqual wendet: Liebesqual, meinst du, du hättest die Gewalt / mich für immer zu Tode zu bringen? / Wäre es nur Wille einer einzigen Herrin / sie könnte es wenden (Str. 6). Als einzige bedeutende Innovation erscheint in der Mehrzahl der Liebesklagen die Akzentuierung der feindlichen Außenwelt – der merkaere, nîdaere – oder der Kläffer-Figur, die den Hass der Dame gegenüber dem Liebenden entfacht hat. So klagt der Liebende über 209 Lehár (1990) führt in seiner Edition der alttschechischen Liebeslieder verhältnismäßig viele Inzipite der uns nicht erhaltenen Lieder an (S. 286-288), die wohl auf eine weit größere Liedproduktion hindeuten. Diese sind vor allem einerseits in dem Codex 1939 (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, 14.-15.Jh.), andererseits in der Handschrift A 187 (Kungliga Biblioteket A 187, 1472) überliefert, neben der Einzelüberlieferung in den anderen Handschriften, die in Böhmen, Mähren oder in Wien und Krakau aufbewahrt sind. 210 Die Nummerierung der Lieder erfolgt hier nach der Edition Stanovská / Kern (2010). 318 die Verleumdung von Seiten des „Untreuen“ oder der „bösen (Hof)leute“: Untreuer, von dir wird mir Verrat / deshalb trauert mein Herz (Lied I, 3, Str. 6, V. 3-4). Ach, ich erfahre ein schweres Leid… / dies tun mir die bösen (Hof)leute an, / die mir ohne jedes Recht Böses unterstellen. / Nun falle ich / bei der schönen Herrin in Ungnade (Lied I, 4, Str. 1, V. 1 und 58). Es überwiegen sonst die traditionellen Motive und Grundbausteine, die innerhalb der ganzen Liedtypgruppe gleichmäßig verteilt werden. Der Liedtypgruppe der Liebesklage wäre noch ein Untertyp zuzureihen, der sich jedoch von der traditionellen Ausprägung einer Liebesklage wesentlich unterscheidet. Es ist die Altersklage „Tvorče milý“ („Lieber Schöpfer“). Sie bietet einen ganz besonderen Perspektivenblick: Ein Mann blickt auf sein Leben zurück und schätzt dieses im Ganzen als ein nicht gelungenes ein. Seine schief gegangenen Lebensmöglichkeiten begründet er vor allem mit einer gescheiterten Liebeswerbung. Die Grundbausteine sind nur in Andeutung präsent: Als ein nicht gewährter Lohn, als Preis der Jungfrau, und – zentral – als eine in sich mehrdeutige Klage, auf sein ganzes Leben ausgeweitet. Hier verzeichnet man neben vielen traditionellen Elementen einer Liebesklage allegorische, mehrdeutige Bilder (Jungfrau vom Himmel, das „helle Licht“ ihrer Gnade?) gegenüber der typischen Ausprägung der Liebesklage: Aus der Kontamination geistlicher und weltlicher Motive ergibt sich die Mehrdeutigkeit der Klage, ein Charakteristikum dieses Liedes. (Liedtypgruppe II) Einige weitere Liebesklagen, die in der Liedtypgruppe III – „Liebesklage und Liebeslehre“ zu finden sind, behandeln die Probleme, die in der Liebe vorkommen, unter didaktischem Gesichtspunkt. Z. B. im Lied III,1 – „Dřěvo sě listem odievá“(„Der Baum belaubt sich mit Blättern“) reflektiert der Liebende in der Eingangsstrophe innerhalb der typischen Motive der Liebesklage (Trauern vor der Hintergrund einer Mailandschaft) über die Beständigkeit und das Geheimhalten des Namens seiner Geliebten. Seine Reflexion mündet in der 2. Strophe in eine Liebeslehre, die er erteilt und durch die das Schema der Liebesklage neuartig modifiziert wird. Die Didaxe beginnt somit als Klage, setzt aber fort als didaktische Belehrung des Liebenden, der nun aus seiner Erfahrung Ratschläge gibt und seine Rede in eine Schelte gegen den Kläffer wendet: Manch einer prahlt gerne / der verrät geheime Dinge. / Ach, wehe ihm! Böse Gewohnheit pflegt er! / Wer einen solchen kennt, nehmen ihn nicht in seine Gunst. / Da er euch nur Übles nachsagt, / bitte ich euch, Jungfrauen und Frauen, / nennt ihn „Festverderber“ / , dann wollen wir ihn mit dem Ellenbogen von uns wegstoßen! (Str. 3, V. 512). Seine Ratschläge belegt er mit einer Autorität, auf die er sich beruft. Seine Autorität, Ratschläge geben zu können, ist seine eigene Liebeserfahrung. Diese Liebeserfahrung wird dargestellt durchaus mittels der Elemente einer Liebesklage. Das Lied zeichnet sich darüber 319 hinaus mit origineller, neuartiger Metaphorik aus (Säge im Herzen des Liebenden als Verbildlichung der Liebesqual). Auch für die sonstigen Lieder dieser Liedtypgruppe ist die Wendung der Liebesproblematik in die Ratgeber- Rolle charakteristisch. Die Situation der Liebesbeziehung wird in Ratschläge über die Liebe überführt. Ein liebendes Ich erteilt Ratschläge über die Liebe aufgrund seiner persönlichen Erfahrung. Z. B. für das umfangreiche Lied III,2, „Cancio de amore / Račtež poslúchati“ (Cancio de amore / Möget ihr hören“) das die Liebe aus demselben Perspektivenblick behandelt, ist der (mehrmalige) Wechsel der Perspektive von allgemeinen Ratschlägen (Strr. 1,4,5,6,7,9 1 0, 11, 12, 13, 19, RII,) in der Liebe zu der „eigenen“ Erfahrung in der ich-Form charakteristisch (Strr. 2, 8, 14, 15-18, RI, RIII- R X). Das bisher erfolglose Werben wird somit zum gegen Schluss des Liedes immer mehr in den Vordergrund gebracht. So sehen wir im Lied eine neuartige Vermischung der Perspektiven: Von der Didaxe zu den typischen Elementen einer Liebesklage. Für das weitere Lied III,3 „De amore mundi cancio de coloribus“ / „Barvy všecky“ („De amore mundi cancio de coloribus“ / „Alle Farben“) lässt sich als ein Charakteristikum feststellen: Von einer umfangreichen Farbenlehre allgemeiner Art ausgehend, wendet sich der Perspektivenblick erst in der Schlussstrophe zu der eigenen freudigen und hoffnungsvollen Erwartung des Liebenden. Die Didaxe wird zum Schluss des Liedes – als Pointe – an das Ich angewendet: Blau als Freude verheißende Farbe soll ihm Glück in der Liebe bringen. Die blaue Blüte bedeutet die Beständigkeit. / Glücklich ist derjenige, dem sie (die Geliebte) in Liebe zugetan sein will. / Liebe, ihre Liebe/ ist, /sie ist mein Trost. (Str. 11). Im Bestand der AL ist – wie oben angedeutet – das Preislied vertreten, mit insgesamt. fünf Texten (Liedtypgruppe IV). Auch wenn auch hier einige innovatorische Zugänge mehrheitlich zu verzeichnen sind – wie z. B. die Akzentuierung der Blumenmetaphorik, der Farbensymbolik und der Didaxe - hat auch dieser Liedtypus – ähnlich wie die Liebesklage – in sich erstaunlich viel Traditionelles bewahrt. Im Lied IV,1 „Poznalť jsem sličné stvořenie“ („Ich lernte ein anmutiges Wesen kennen“) ist das Motiv des Preises in mehrfacher Hinsicht mit der Didaxe verbunden, die sich auf die Jungfrau richtet: Ich sage dazu noch mehr: / Wenn eine (Frau) einem (Mann) in Treue zugetan ist, soll sie in treulichen Gedanken / und ohne jeden Zweifel ausharren (Str. 3). Ihre zu erwartende Beständigkeit wird – als ein Motiv der Spätzeit und zugleich eine wirkungsvolle Umsetzung der Farbenlehre – mit der blauen Farbe der Treue symbolisch hervorgehoben: Ich lernte sie in blauer Farbe kennen, / gleich befahl ich mich in den Dienst / dieser anmutigen, schönen Frau, / und diene ihr ohne Unterlass (Str. 10). Das traditionelle Bild der Frau und der Liebesbeziehung wird beibehalten. Trotz der 320 Akzentuierung des Preises, Dienstes und wichtiger Grundbausteine entsteht hier kein neues Bild der besungenen Frau und der Liebesbeziehung. Im Lied IV, 2 „Slunce stkvúcé“ („Die glänzende Sonne“) wird die traditionelle Perspektive um die Wunschvorstellung des Liebenden ausgeweitet: Er wünscht sich, dass ihm die Frau ihre Beständigkeit selbst – durch Ihre positive Entgegnung – bestätigt und legt ihr diese „Musterantwort“ auch gleich in den Mund (Str. 4). Er bedankt sich bei ihr (Str. 5) wie auch im traditionellen Sinne bei Gott für diese Gabe (Str. 7). Ein reines Preislied, durchnetzt mit den Beteuerungen der Beständigkeit und der Dienstergebenheit, stellt das Lied IV, 3 „Andělíku rozkochaný“ (Wunderschönes Engelein“) dar. Hier verzeichnen wir eine besondere Steigerung des Preises im Anklang an das marianische Grundgebet: Wunderschönes Engelein, / alle überragend, / voll der Gnade bist du, / von meinem Herzen erwählt! (V. 1-4). Wenn man das Preislied als die ganze Liedtypgruppe charakterisieren soll, muss man – auf einer Seite – den traditionellen Wesenszug hervorheben: Einen Preis trotz der Perspektive eines Nicht-Erhörten (Lieder IV, 1 IV,2, IV,3, IV,4). Dazu kommt eine besondere metaphorisch- stilistische Darstellung- Sonnen- und Blumenmetapher, verbunden mit der Farbensymbolik im Anfangsvers des Liedes IV,2: Die glänzende Sonne scheint schon, / mein Herz blüht wie mitten in den Blumen / und hält Ausschau nach der, die in Blau gekleidet geht, / und meinem Herzen Freude bringt. Das Lied IV,4 „Detrimentum pacior“ stellt ein lateinisch-tschechisches makkaronisches Lied dar mit der Akzentuierung des Erotischen neben den traditionellen Preiselementen. Auf der anderen Seite finden wir in dem nächstkommenden Lied IV, 5 auch einen Preis, der gerade einer Erwartung oder einer begründeten Hoffnung auf Erhörung entspringt. In diesem Lied ( „Srdce, netuž, nelzeť zbýti“ – „Herz, klage nicht“), das anders als die vorausgehenden von einer Atmosphäre der freudigen Hoffnung getragen wird, verzeichnen wir auch die meisten spätzeitlichen Elemente wie das Spiel mit den Namensinitialen und den Refrain. Zum Bestand der AL – eigentlich als ein Sondertypus des Preisliedes – gehört auch das Preislied an den Geliebten „Otep myrry“ (Ein Strauß von Myrrhe“), das anfangs aus den Motiven des Hohenliedes gespeist wird. (Liedtypgruppe V). Es wird von einer Frau gesprochen, die nicht als eine hochgestellte Dame dargestellt wird. In den Vordergrund treten die Preismotive, verbunden mit einer Frauenklage. Wir begleiten die „bis über den Tod hinaus“ verliebte Frau auf deren Suche nach ihrem Geliebten, den sie mit den wohlbekannten Hohenlied – Metaphern und Attributen preist. Sie äußert ihre Liebe ohne jeden Vorbehalt, die höfische Begrifflichkeit und Motive kommen hier nicht zum Tragen – bis auf eine Ausnahme: 321 der Geliebte wird mit dem Kosenamen Falke genannt, um auf diese Art die innige Liebe der Frau zu ihm hervorzuheben. Das Lied bietet jedoch in der szenischen Darstellung der nächtlichen Begegnung des Paares, die nicht mehr im Hohenlied verankert ist, eine überraschende Pointe. Typische Elemente einer Frauenklage – die Frau als Klagende und als Preisende – sind somit mit neuem Perspektivenblick verbunden. Inwieweit diese partielle Bearbeitung des Hohenliedes auch noch vom Typus der klagenden Frau in den Frauenliedern des Minnesangs mitbestimmt wird, lässt sich aus dem Text nicht erschließen. Das Erscheinungsbild des alttschechischen Tageliedes (Liedtypgruppe VI) ist in sich nicht homogen. Im Bestand der AL finden wir drei Tagelieder. Auch wenn die Tagelieddichtung insgesamt eher im Trend der neueren Zeit liegt, gilt dies nicht im Ganzen für das erste Tagelied VI,1 „Přečekaje všě zlé stráže“ („Nach langem Warten“), das außer traditionellen Motiven eine Anlehnung an den Serena-Typus darstellt. Im deutschen Raum ist eine zunehmende Episierung des Liebesgeschehens zu beobachten, wofür gerade das Tagelied als Typus strukturell vorbestimmt ist. Im alttschechischen Tagelied VI, 2 „Milý jasný dni“ („Lieber heller Tag“) erfahren die konstitutiven Motive eine breite Ausweitung im Sinne der Episierung (eine breit angelegte Naturbeschreibung, eine didaktisch ausgerichtete Kläfferschelte). Das dritte Tagelied VI,3, „Šla dva tovařišě“ („Es gingen zwei Liebende“) das in vieler Hinsicht Verständnisschwierigkeiten bereitet, konzentriert sich auf singuläre Motive ( z. B. die Heimlichkeit der Begegnung, das Liebespiel unter Hervorhebung des Sexuellen und der Liebesfreude, die gegenseitigen Liebesbeteuerungen). Die ersten zwei Tagelieder beinhalten im Grunde gegenüber dem traditionellen Tagelied-Bild keine nennenswerten Neuerungen, als experimentatorisch erweist sich demgegenüber das Tagelied VI,3 (Ausführung des Sexuellen, Existenz der Freunde bei der Beherbergung des Liebespaares statt des konventionellen Wächters). Unter den Liedern der AL befindet sich auch eine in Briefform als jüngerer Form abgefasste Werbung des Mannes um eine Frau (Liedtypgruppe VIII, „Láska s věrú i se vší ctností“ – „Liebe in allen Ehren und in Treue“). Sie enthält alle bekannten Motive (Klage, Preis, Trennung usw.) in zunehmender Umsetzung in jüngere Begrifflichkeit. Der Werbende bedient sich teils der älteren Wendungen in Form von erstarrten Formeln, die für die Spätzeit typisch sind: meine ganze Hoffnung liegt in dir ( Str. 5, V.3), du bist mein Trost (Str. 6, V.1), du bist Herr über mein Herz (Str. 8, V.3), teils werden diese von neuartigen Formulierungen abgelöst: z.B. dir entgegen lacht mein Herz (Str. 5,V.4). Auch die Form der Beziehung, die der Mann anstrebt, ist eine andere: statt des einstigen schicksalhaften Problematisierung durch 322 das „paradoxe amoreaux“ begegnen wir hier einer Liebe, die in eine entproblematisierte, freudige Liebesbeziehung münden könnte, wenn die Jungrau sie bejaht. Einen deutlichen Wesenszug der Spätzeit – dies gilt für die alle bisher thematisierten Lieder – stellt die Anonymität ihrer Überlieferung dar. Im Bestand der AL finden wir auch die kunstvolle Form des Leichs (Liedtyp VII „Závišova píseň“ – „Lied des Záviš“). Dieser stammt von dem einzigen namentlich bekannten Autor des AL, dem Záviš. Die kunstvolle Form, die als solche auch gewürdigt werden will, bringt inhaltlich im Grunde das konventionelle Bild einer alten Minneklage. Der alttschechische Leich stellt somit eine interessante Verflechtung der traditionellen Idee der Nichterhörung in der Liebe, die bis zum Liebestod führt, auf inhaltlicher Ebene, und der Prunkform der Spätzeit auf formaler Ebene dar. Formal wie auch was die Bildlichkeit betrifft stellt der Leich das wohl anspruchvollste alttschechische Liebeslied dar. Es ist für die AL geradezu bezeichnend, dass sich der Autor für den alten Inhalt (mit traditionellen Grundbausteinen vor allem der Lohnforderung) die neue Form ausgewählt hat, – der Leich bietet neben seinen schillernd geblümten Strukturen vor allem Metaphern aus der Tierwelt, die zu aufwendigen allegorischen Vergleichen und Bildern ausgebaut werden und einen deutlichen Einfluss der Spätzeit verraten. Zum Schluss in aller Kürze noch eine knappe Übersicht der Überlieferungslage der AL: Sie ist vorwiegend in zwei Mischhandschriften (A 4 und A7) des Schreibers Oldřich Kříž von Telč aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts überliefert. Dazu kommt die nicht unbedeutende Form der Streuüberlieferung als die Überlieferungsform der ältesten alttschechischen Liebeslieder (seit 1350). Wir besitzen keine Liederhandschrift und kein Liederbuch im engeren Sinne des Wortes.211 Fazit: Die AL nimmt in ihrem Gesamtbild – soweit in ihrer Vielfältigkeit überhaupt erfassbar – eine Zwischenstellung zwischen dem traditionellen Vorstellungsgut und den neueren Tendenzen ein. Dieses Charakteristikum erlaubt, wenigstens eine partielle Antwort vor dem Hintergrund der Fragestellung zu geben, was die Autoren bzw. die Sammler bevorzugt haben: Dass die Nachfrage an der lyrischen Liedproduktion in Böhmen und Mähren seit 1350 keineswegs in 211 Eine Aufzählung aller relevanten Quellen bringt die Übersicht über die Handschriften und Handschriftenfragmente in der Edition von Stanovská / Kern (2010), S. XXIXff. 323 erster Linie die formalistische oder gar die experimentelle, avancierte Dichtung in den Vordergrund stellt, sondern dass die Autoren, von der Tradition des klassischen Minnesangs ausgehend, die neuen Elemente auf vielen Ebenen in eher ältere, bewährte Strukturen integriert hatten. In wenig modifizierter Form lebt die alte Minneklage fort. Von den neuen Elementen dominiert die Farbensymbolik (im Preislied, wir verzeichnen auch eine Farbenlehre, die sich erst gegen ihrem Ende in die Rede eines hoffenden Ichs wendet). Der sog. schwere Stil, im 13. Jahrhundert beginnend und vom „schweren Schmuck“ vor allem der Allegorien und Vergleiche gekennzeichnet, findet in der alttschechischen Liebeslieddichtung nur in sehr wenigen Liedern einen Niederschlag (es sind jedoch bedeutende Lieder wie „Otep myrry“ (Ein Strauß von Myrrhe) und vor allem der Liebesleich des Záviš). Von einem ausgeprägten Formalismus der Klangstrukturen und der aufeinanderbezogenen Ausdrücke lässt sich in diesem Zusammenhang bei dem Lied „Slóvce M“ („Der Buchstabe M“) sprechen. Das Tagelied als eine für die Spätzeit charakteristische Gattung ist in sich nicht einheitlich und steht an der Schnittstelle zwischen Altem (Lied VI,1) und Neuem (Lieder VI,2 und VI,3). Dies entspricht nicht völlig dem bisherigen Befund, der für den deutschen Minnesang und die deutsche Liebeslieddichtung nach 1300 gilt – auch wenn hier keineswegs eine Rede von einem homogenen Erscheinungsbild sein kann. Auf deutschem Gebiet sieht man insgesamt wohl doch viel mehr Willen zum Experimentieren (Hohenfels, Neifen, Winterstetten und ihre Fortsetzer, Konrad von Würzburg, Hugo von Montfort, Mönch von Salzburg, Oswald von Wolkenstein), während die traditionelle Ausprägung von Minneklage eine Minderheit bildet. Eine Ausnahme stellen z. B. manche Minneklagen im OEuvre Eberhards von Cersne dar, die sich eines Experiments bedienen, allerdings im Rahmen eines traditionellen Minnekonzepts. Es muss aber gleichzeitig darauf hingewiesen werden, dass es erst eine Aufgabe der kommenden Zeit sein wird, die deutsche Lieddichtung der Spätzeit in einer Gesamtdarstellung zu erfassen, um z. B. den wertvollen Entwurf Brunners, welcher nach seinen Worten „als Modell gedacht wird, in das die beim jetzigen Forschungsstand einigermaßen zu sichernden Ergebnisse eingebracht werden“, weiter entwickeln zu können.212 212 Brunner, 1978, S. 109. 324 AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE 1a) MINNESANG-AUSGABEN BARTSCH, Karl (Hrsg.): Die Schweizer Minnesänger. Darmstadt 1964 (Graf Wernher von Honberg, S.280f.) BRACKERT, Helmut (Hrsg.): Minnesang. Mittelhochdeutsche Texte und Übertragungen. Frankfurt am Main 1993. BACKES, Martina (Hrsg.): Tagelieder des deutschen Mittelalters. Stuttgart 1992. HAUSNER, Renate (Hrsg.): OWE DO TAGTE EZ. Tagelieder und motivverwandte Texte des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Bd. 1. Göppingen 1983 (Göppinger Beiträge zur Germanistik. Hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer, Bd. 204). KASTEN, Ingrid (Hrsg.): Frauenlieder des Mittelalters. Stuttgart 1990. KASTEN, Ingrid / KUHN, Margherita (Hrsg.): Deutsche Lyrik des frühen und hohen Mittelalters. Edition der Texte und Kommentare von Ingrid Kasten. Übersetzungen von Margherita Kuhn. Frankfurt am Main 2005. KRAUS, Carl von (Hrsg.): Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts. Bd I: Text. Tübingen 1952. Bd. II: Kommentar. Besorgt von Hugo Kuhn. Tübingen 1958. 2 Aufl. durchgesehen von Gisela Kornrumpf, Tübingen 1978. LACHMANN, Karl / HAUPT, Moritz (Hrsg.): Des Minnesangs Frühling. Leipzig 1857. LACHMANN, Karl (Hrsg.): Wolfram von Eschenbach. 6. Ausg. besorgt von Eduard Hartl. Berlin – Leipzig 1926. Unveränderter photomechanischer Nachdruck Berlin 1962. LOMNITZER, Helmut (Hrsg.): Neidhart von Reuental – Lieder. Stuttgart 1984. 325 MOSER, Hugo / TERVOOREN, Helmut (Hrsg.): Des Minnesangs Frühling. 38., erneut revidierte Auflage. Bd. I: Texte. Stuttgart 1988. Bd. II: Editionsprinzipien, Melodie, Handschriften, Erläuterungen. 36, neugestaltete und erweiterte Auflage. Stuttgart 1977. MÜLLER, Ulrich / WEISS, Gerlinde (Hrsg.): Deutsche Gedichte des Mittelalters. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Stuttgart 1993. SCHWEIKLE, Günther (Hrsg.): Reinmar – Lieder. Stuttgart 1986. ders. (Hrsg.): Mittelhochdeutsche Minnelyrik. Teil I− Frühe Minnelyrik. Texte und Übertragungen, Einführung und Kommentar. Stuttgart – Weimar 1993. ders. (Hrsg.): Walther von der Vogelweide. Werke. Gesamtausgabe. Band 2: Liedlyrik. Stuttgart 1998. SCHIENDORFER, Max (Hrsg.): Die Schweizer Minnesänger. Nach der Ausgabe von Karl Bartsch neu beurteilt und herausgegeben. Band I: Texte. Tübingen 1990 (Graf Wernher von Hohenberg: Wol mich hiut und iemer mê, S.13f.). REUSNER, Ernst von (Hrsg.): Hartmann von Aue – Lieder. Mittelhochdeutsch – Neuhochdeutsch. Stuttgart 1982. TERVOOREN, Helmut (Hrsg.): Heinrich von Morungen – Lieder. Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch. Stuttgart 1992. STACKMANN, Karl / BERTAU, Karl (Hrsg.): Frauenlob (Heinrich von Meissen): Leichs, Sangsprüche, Lieder. 1. Teil – Einleitungen, Texte. 2. Teil – Apparate, Erläuterungen. Aufgrund der Vorarbeiten von Helmuth Thomas herausgegeben von Karl Stackmann und Karl Bertau. Göttingen 1981. WEHRLI, Max (Hrsg.): Deutsche Lyrik des Mittelalters. Auswahl, Übersetzung und Nachwort von Max Wehrli. Siebte, durchgesehene Auflage. Zürich (undatiert). 1b) AUSGABEN DER JÜNGEREN DEUTSCHEN LIEBESLIEDDICHTUNG 326 BOLTE, Johannes (Hrsg.): Ein Augsburger Liederbuch vom Jare 1454. In: Alemannia. Zeitschrift für Sprache, Litteratur und Volkskunde des Elsaszes, Oberrheins und Schwabens, Bdf. XVIII, Bonn 1890. BREDNICH, Rolf Wilhelm (Hrsg.): Die Dalfelder Liederhandschrift 1546 − 1565. Münster 1976. CRAMER, Thomas (Hrsg.): Die kleineren Lieddichter des 14. und 15. Jahrhunderts. Bd. 1−4. München 1979−1985. FEISTNER, Edith (Hrsg.): Hadamar von Laber: Die Jagd. Regensburg, Forum Mittelalter 2004. HAGES-WEIßFLOG, Elisabeth (Hrsg.): Die Lieder Eberhards von Cersne. Edition und Kommentar. (HERMAEA, Germanistische Forschungen, neue Folge, Bd. 84.) Tübingen 1998. HALTAUS, Carl (Hrsg.): Liederbuch der Clara Hätzlerin. Quedlinburg und Leipzig 1840. ders. (Hrsg.): Liederbuch der Clara Hätzlerin. Mit einem Nachwort von Hanns Fischer. Berlin 1966. HEGER, Hedwig (Hrsg.): Die deutsche Literatur (Texte und Zeugnisse), Band II, erster Teilband (Spätmittelalter und Frühhumanismus), München 1975. KIEPE, Eva und Hansjürgen (Hrsg.): Epochen der deutschen Lyrik 1300-1500, Bd. 2, München 1972. MÄRZ, Christoph (Hrsg.): Die weltlichen Lieder des Mönch von Salzburg. Texte und Melodien. Tübingen 1999. SPECHTLER Franz-Viktor / KORTH Michael (Hrsg.): Der Mönch von Salzburg: − ich bin du und du bist ich. Lieder des Mittelalters. Auswahl, Texte, Worterklärungen von Franz V. Spechtler. Übersetzungen von Michael Korth. Übertragung und Rhythmisierung der Melodien 327 Johannes Heimrath und Michael Korth. Kunstgeschichtliche Erläuterungen Norbert Ott. München 1980. SALMEN, Walter / PETZSCH, Christoph (Hrsg.): Das Lochamer-Liederbuch, Wiesbaden 1972 (Denkmäler der Tonkunst in Bayern, Neue Folge, Sonderband 2). SAPPLER, Paul (Hrsg.): Das Königssteiner Liederbuch. Ms.germ.qu 719 Berlin. München 1970 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, Band 29). LANG, Margarete (Hrsg.): Zwischen Minnesang und Volkslied. Die Lieder der Berliner Liederhandschrift Germ. fol. 922. Berlin 1941. THURNHER, Eugen / SPECHTLER, Franz V. / JONES, George F. /MÜLLER, Ulrich (Hrsg.): Hugo von Montfort – Die Texte und Melodien der Heidelberger Handschrift cpg.329 / Bd. II., Transkription von F. V. Spechtler/ (Litterae – Göppinger Beiträge zur Textgeschichte, hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer, Nr. 57) Göppingen 1978. THURNHER, Eugen / ZIMMERMANN, Manfred (Hrsg.): Die Sterzinger MiszellaneenHandschrift. In Abbildung herausgegeben. Unter Mitwirkung von Franz V. Spechtler und Ulrich Müller. (Litterae – Göppinger Beiträge zur Textgeschichte, hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer, Nr. 61) Göppingen 1979. WACHINGER, Burghart (Hrsg.): Oswald von Wolkenstein − Lieder. Stuttgart 1995. ders. (Hrsg.): Deutsche Lyrik des späten Mittelalters. Texte und Übersetzungen. (Bibliothek des Mittelalters, Texte und Übersetzungen, hrsg. von Walther Haug, Bd. 22). Frankfurt am Main 2006. ZIMMERMANN, Manfred (Hrsg.): Die Sterzinger Miszellaneen-Handschrift. Kommentierte Edition der deutschen Dichtungen. (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Germanistische Reihe, Band 8), Innsbruck 1980. 328 2) AUSGABEN DER ALTTSCHECHISCHEN LIEBESLIEDDICHTUNG: KOPECKÝ, Milan (Hrsg.): Zbav mě mé tesknosti. Výbor z české a latinské světské tvorby epochy středověku a renesance. Brno 1983. LEHÁR, Jan (Hrsg.): Česká středověká lyrika. Praha 1990. VILIKOVSKÝ, Jan (Hrsg.): Staročeská lyrika. Praha 1940. ROTHE, Hans (Hrsg.): Die Hohenfurter Liederhandschrift (H 42) von 1410. Facsimilienausgabe. Köln − Wien 1984. STANOVSKÁ, Sylvie / KERN, Manfred: Alttschechische Liebeslyrik. Wien 2010. 3) AUSGABEN DER LATEINISCHEN LIEBESDICHTUNG DES MITTEKALTERS VOLLMANN, Benedikt Konrad (Hrsg.): Carmina Burana. Texte und Übersetzungen. Bibliothek deutscher Klassiker 16. Frankfurt am Main 1987. 4) LITERATURGESCHICHTE BERTAU; Karl: Deutsche Literatur im europäischen Mittelalter. Bd. I. München 1972. De BOOR, Helmut / NEWALD, Richard: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. II − Die höfische Literatur: Vorbereitung, Blüte, Ausklang, 1170 − 1250. Elfte Auflage bearb. von Ursula Hennig. München 1991. De BOOR, Helmut / NEWALD, Richard: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. III/1 – Die deutsche Literatur im späten Mittelalter, 1250−1350, Ester Teil: Helmut de Boor: Epik, Lyrik, Didaktik, geistliche und historische Dichtung. Neubearbeitet von Johannes Janota. München 1997. 329 BRUNNER, Horst: Geschichte der deutschen Literatur des Mittelalters im Überblick. 4. Aufl. Stuttgart 2007. HEINZLE, Joachim: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit. Bd. 2. Vom hohen zum späten Mittelalter. Teilband 2: Wandlungen und Neuansätze im 13. Jahrhundert (1220/30 – 1280/90). Tübingen 1984. HRABÁK, Josef (Redaktion) : Dějiny české literatury I. Starší česká literatura. Praha 1959. JOHNSON, L. Peter: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit. Bd. 1 − Vom hohen zum späten Mittelalter, Teilband 1: Die höfische Literatur der Blütezeit. Tübingen 1999. NECHUTOVÁ, Jana: Latinská literatura českého středověku do roku 1400. Praha 2000. 5) FORSCHUNGSLITERATUR ZU DEM DEUTSCHEN MINNESANG, DER JÜNGEREN DEUTSCHEN LIEBESLIEDDICHTUNG UND DER ALTTSCHECHISCHEN LIEBESLIEDDICHTUNG BACHOFER, Wolfgang: Walther von der Vogelweide: Aller werdekeit ein füegerinne (46,32). In: JUNGBLUTH, Günther (Hrsg.): Interpretationen mittelhochdeutscher Lyrik. Bad Homburg 1969, S. 185−203. BEHR, Hans-Joachim: Literatur als Machtlegitimation. Studien zur Funktion der deutschsprachigen Dichtung am böhmischen Königshof im 13. Jh. München 1989. BENNEWITZ-BEHR, Ingrid Von Falken, Trappen und Blaufüßen. Kein ornitologischer Beitrag zur Tradition des mittelhochdeutschen Falkenliedes. In: Spektrum Medii Aevi. Essays i Early German Literature ad Honor of George Fenwick Jones. Hrsg. von Wiliam C. McDonald, Göppingen 1983 (Göppinger Beiträge zur Germanistik, Hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer; Nr. 362), S. 1−20. BRANDIS, Tilo (Hrsg.): Mittelhochdeutsche, mittelniederdeutsche und mittelniederländische Minnereden. Verzeichnis der Handschriften und Drucke. München 1968 (Münchener Texte und Untersuchungen 25). 330 BRUNNER, Horst: Das deutsche Liebeslied um 1400. In: Mück, Hans – Dieter und Müller, Ulrich (Hrsg.): Gesammelte Vorträge der 600−Jahrfeier Oswalds von Wolkenstein Seins am Schlern 1977. Göppingen 1978. S. 105−146. ders: Tradition und Innovation im Bereich der Liedtypen um 1400. Beschreibung und Versuch der Erklärung. In: Textsorten und literarische Gattungen. Dokumentation des Germanistentages in Hamburg vom 1. bis 4. April 1979. Hrsg. vom Vorstand der Vereinigung der deutschen Hochschulgermanisten. Berlin 1983. S. 392-413. BRUNNER, Horst / HAHN, Gerhard / MÜLLER, Ulrich / SPECHTLER, Franz Viktor, unter Mitarbeit von NEUREITER-LACKNER, Sigrid: Walther von der Vogelweide. Epoche – Werk – Wirkung. München 1996, 2. Auflage: München 2009. BUMKE, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München 2002. ČERNÝ, Václav: Staročeská milostná lyrika. Praha 1948. CRAMER, Thomas / KASTEN, Ingrid (Hrsg.): Mittelalterliche Lyrik: Probleme der Poetik. Berlin 1999. CLASSEN, Albrecht (Hrsg.): Deutsche Frauenlieder des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, Amsterdam − Atlanta 1999. ECKER, Lawrence: Arabischer, provenzalischer und deutscher Minnesang. Eine motivgeschichtliche Untersuchung. Genéve 1978. EHRISMANN, Otfrid: Ehre und Mut, aventiure und minne. Höfische Wortgeschichten aus dem Mittelalter. München 1995 EIFLER, Günther: Liebe um des Singens willen. Lyrisches Ich und Künstler – Ich im Minnesang. In: Augst, G. (Hrsg.): Festschrift für Heinz Engels zum 65. Geburtstag. S. 1-21. Göppingen 1981. 331 ders.(Hrsg.): Ritterliches Tugendsystem. Darmstadt 1970 (Wege der Forschung, Band LVI). EISBRENNER, Axel: Minne, diu der werlte ir vröide mêret. Untersuchungen zum Handlungsaufbau und zur Rollengestaltung in ausgewälten Werbungsliedern aus „Des Minnesangs Frühling“. Stuttgart 1995 ENGELEN, Ulrich: Die Edelsteine in der deutschen Dichtung des 12. und 13. Jahrhunderts. München 1978 (Münstersche Mittelalter-Schriften, hrsg von H. Belting und Kol., Band 27). FISCHER, Karl-Hubert: Zwischen Minne und Gott. Die geistesgeschichtlichen Voraussetzungen des deutschen Minnesangs mit besonderer Berücksichtigung der Frömmigkeitsgeschichte. Frankfurt am Main 1985. FROMM, Hans (Hrsg.): Der deutsche Minnesang. Aufsätze zu seiner Erforschung I. Wege der Forschung 15. Darmstadt 1972. ders.(Hrsg.): Der deutsche Minnesang. Aufsätze zu seiner Erforschung II. Wege der Forschung 608. Darmstadt 1985. GLIER, Ingeborg: Artes amandi. Untersuchung zur Geschichte, Überlieferung und Typologie der deutschen Minnereden. München 1971 dies.: Der Minneleich im späten 13. Jahrhundert. In: Werk – Typ – Situation. Studien zu poetologischen Bedingungen in der älteren deutschen Literatur (Hugo Kuhn zum 60. Geburtstag). Hrsg. von Ingeborg Glier, Gerhard Hahn, Walther Haug und Burghart Wachinger. Stuttgart 1969, S. 161−183. HAFERLAND, Harald: Hohe Minne. Zur Beschreibung der Minnekanzone. Berlin 2000 HAHN, Gerhard: Walther von der Vogelweide: Nemt, frowe, disen kranz (74,20). In: Interpretationen mittelhochdeutschen Lyrik. Hrsg. von Günther Jungbluth. Bad Homburg v.d. H. Berlin − Zürich 1969. S. 205−226. 332 ders.: Zum sozialen Gehalt von Walthers Minnesang. Einige Beobachtugen am Text. In: Medium Aevum deutsch. Beiträge zur deutschen Literatur des hohen und späten Mittelalters. Festschrift für Kurt Ruh. Hrsg. von Dietrich Huschenbett u. a. Tübingen 1979, S.121-138. ders.: Walther von der Vogelweide. Eine Einführung. Artemis Einführungen 22. München und Zürich 1986. ders.: Zu den ich − Aussagen in Walthers Minnesang. In: Walther von der Vogelweide. Hamburger Kolloquium 1988. Hrsg. von Jan-Dirk Müller und Franz Josef Worstbrock. Stuttgart 1989. S. 95−104. ders.: Walther von der Vogelweide: Ein Minnesänger macht Spruchdichtung, ein Spruchdichter macht Minnesang. In: Hauptwerke der Literatur. Vortragsreihe der Universität Regensburg. Hrsg. von Hans Bungert. Regensburg 1990, S. 49−70. ders.: dâ keiser spil. Zur Aufführung höfischer Literatur am Beispiel des Minnesangs. In: Grundlagen des Verstehens mittelalterlicher Literatur. Literarische Texte und ihr historischer Erkenntniswert. Hrsg. von Gerhard Hahn und Hedda Ragotzky. Stuttgart 1992. S. 86−107. ders.: Walther von der Vogelweide. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon. 2. Auflage, Bd. 10 (1999), Sp. 665−697. HAUBRICHS, Wolfgang: Männerrollenn und Frauenrollen im frühen deutschen Minnesang. In: Zeitschrift für Linquistik und Literaturwissenschaft 19, Heft 74 (1989, Konzepte der Liebe im Mittelalter). S. 39−57. HAUSMANN, Albrecht: Reinmar der Alte als Autor. Untersuchungen zur Überlieferung und zur programmatischen Identität. Tübingen 1999. HÄNDL, Claudia: Rollen und pragmatische Einbindung. Analysen zur Wandlung des Minnesangs nach Walther von der Vogelweide. Göppingen 1987 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer, Nr. 467). 333 HEEDER, Martha: Ornamentale Bauformen in hochmittelalterlicher deutschsprachiger Lyrik. Dissertation. Tübingen 1966. HEINEN, Hubert ( Hrsg.): Mutabilität im Minnesang. Mehrfach überlieferte Lieder des 12. und frühen 13. Jahrhunderts. Göppingen 1989 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer, Bd. 515). ders.: Walthers Mailied (L 51,13): vortragsbedingter Aufbau und gesellschaftlicher Rahmen. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 6 (1990) S. 167−182. HENSEL, Andreas: Vom frühen Minnesang zur Lyrik der hohen Minne. Studien zum Liebesbegriff und zur literarischen Konzeption der Autoren Kürenberger, Dietmar von Aist, Meinloh von Sevelingen, Burggraf von Rietenburg, Friedrich von Hausen und Rudolf von Fenis. Frankfurt am Main 1997. HERCHERT, Gaby: „Acker mir mein bestes Feld.“ Untersuchungen zu den erotischen Liederbuchliedern des späten Mittelalters. Mit Wörterbuch und Textsammlung. Münster – New York 1996 (Internationale Hochschulschriften, Bd. 201). HIRSCHBERG, Dagmar: wan ich dur sanc bin ze der werlte geborn. Die Gattung Minnesang als Medium der Interaktion zwischen Autor und Publikum. In: Grundlagen des Verstehens mittelalterlicher Literatur. Literarische Texte und ihr historischer Erkenntniswert. Hrsg. von Gerhard Hahn und Hedda Ragotzky. Stuttgart 1992. S. 108−132. HOFMANN, Winfried: Die Minnefeinde in der deutschen Liebesdichtung des 12. und 13. Jahrhunderts. Eine begriffsgeschichtliche und sozialhistorische Untersuchung. Dissertation (Masch.). Würzburg − Coburg 1974. HOFMEISTER, Wernfried (Hrsg.): Die steirischen Minnesänger. Edition, Übersetzung, Kommentar. Göppingen 1987 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer, Nr. 472). 334 ders.: Sprichwortartige Mikrotexte. Analyse am Beispiel Oswalds von Wolkenstein. Göppingen 1990. (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer, Nr. 537). HÜBNER, Gert: Frauenpreis. Studien zur Funktion der laudativen Rede in der mittelhochdeutschen Minnekanzone. Band I. SAECULA SPIRITALIA, Band 34, Baden-Baden 1996 und Band II. SAECULA SPIRITALIA, Band 35, Baden-Baden 1996. HRUBÝ, Antonín: Historische Semantik in Morungens „Narzissuslied“ und die Interpretation des Textes. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 42 (1968), S. 1−22. IRLER, Hans: Minnerollen – Rollenspiele. Fiction und Funktion im Minnesang Heinrichs von Morungen. Frankfurt am Main 2001. JUNGBLUTH, Günther (Hrsg.): Interpretationen mittelhochdeutscher Lyrik. Bad Homburg 1969, S. 205−226. JOHNSON, L. Peter: Morungen, Walther und die Kunst der lyrischen Allegorie. In: Poesie und Gebrauchsliteratur im deutschen Mittelalter. Würzburger Kolloquium 1978. Hrsg. von Volker Honemann u.a. Tübingen 1979, S. 181−204. JONES, George F.: Die Zeichen des Alters in einem anonymen Lied des Liederbuch der Klara Hätzlerin und in Oswalds von Wolkenstein „Ich sich und hor“. In: CHLOE, Beihefte zum Daphnis, Band 1: Lyrik des ausgehenden 14. und 15. Jahrhunderts. Amsterdam 1984. S. 67−71. JOSCHKO, Dirk: Drei Lyriker an der Schwelle des Spätmittelalters: Burkhard von Hohenfels, Gottfried von Neifen, Ulrich von Winterstetten. In: Bethke, Artur (Hrsg.): Ernst−Moritz−Universität Greifswald, Sektion Germanistik, Kunst- und Musikwissenschaft (Direktor Wolfgang Spiewok) – Deutsche Literatur des Spätmittelalters. Ergebnisse, Probleme und Perspektiven der Forschung. Nr. 3. Geifswald 1986. S. 104 – 122. 335 KASTEN, Ingrid: Frauendientst bei Trobadors und Minnesängern im 12. Jahrhundert. Zur Entwicklung und Adaption eines literarischen Konzepts. Heidelberg 1986 (Germanischromanische Monatschrift – Beiheft 5). dies.: Der Begriff „herzeliebe“ in den Liedern Walthers. In: Walther von der Vogelweide. Beiträge zu Leben und Werk. Hrsg. von Hans-Dieter Mück. Stuttgart 1989. (Kulturwissenschaftliche Bibliothek 1) S. 253−267. KERN, Manfred: Der verhuhnte Falke. Anmerkungen zu einer möglichen Ästhetik der spätmitelalterlichen Liebeslyrik. In: Neophilologus 86 (2002), Nr.4, S. 567 −586. ders.: Hybride Texte – wilde Theorie? Perspektiven und Grenzen einer Texttheorie zur spätmittelalterlichen Liebeslyrik. In: Deutsche Liebeslyrik im 15. und 16. Jahrhundert. Hrsg. von Gert Hübner. (CHLOE, Beihefte zur DAPHNIS 37). Amsterdam / New York 2005, S. 1145. KESTING, Peter: Maria-Frouwe. Über den Einfluss der Marienverehrung auf den Minnesang bis Walther von der Vogelweide. München 1965 (MEDIUM AEVUM 5). KIEPE-WILLMS, Eva: und gêt ir alten hût mit sumerlaten an. Zu Walthers Lied L 72,31. In: „Ja muz ich sunder riuwe sîn.“ Festschrift für Karl Stackmann. Hrsg. von Wolfgang Dinkelacker u.a. Göttingen 1990, S. 148−154. KLEINSCHMIDT, Erich: Minnesang als höfisches Zeremonialhandeln. In: Haupt, Barbara (Hrsg.): Zum mittelalterlichen Literaturbegriff. Darmstadt 1985 (Wege der Forschung 557), S. 57−110. KNOOP, Ulrich: Das mittelhochdeutsche Tagelied. Inhaltsanalyse und literarhistorische Untersuchungen. Marburg 1976 ( Marburger Beiträge zur Germanistik Nr. 52). KÖHLER, Erich: Die Rolle des niederen Rittertums bei der Entstehung der Trobadorlyrik. In: Erich Köhler. Esprit und arkadische Freiheit. Aufsätze aus der Welt der Romania. Frannkfurt am Main / Bonn 1966, S. 9−27. 336 ders.: Vergleichende soziologische Betrachtungen zum romanischen und zum deutschen Minnesang. In: Der Berliner Germanistentag 1968. Vorträge und Berichte. Hrsg. von Karl Heinz Borck und Rudolf Henss. Heidelberg 1970, S. 61−76. KÖHLER, Jens: Der Wechsel. Textstruktur und Funktion einer mittelhochdeutschen Liedgattung. Heidelberg 1997. KRAUS, Carl von: Walther von der Vogelweide. Untersuchungen. Berlin – Leipzig 1935. KRAUS, Carl von (Hrsg.): Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts. Bd. I – Text., Tübingen 1952. Band II – Kommentar. Besorgt von Hugo Kuhn. Tübingen 1958. KROHN, Rüdiger (Hrsg.): „Dâ hoeret ouch geloube zuo“. Überlieferungs- und Echtheitsfragen zum Minnesang. Festschrift für Günther Schweikle. Stuttgart 1995, S. 51− 64. KUHN, Hugo: Dichtung und Welt im Mittelalter. Stuttgart 1953. ders.: Minnesangs Wende. Tübingen 1967. ders.: (Hrsg.): Minnesang des 13. Jahrhunderts. Aus Carl von Kraus „Deutschen Liederdichtern“ ausgewählt von Hugo Kuhn. Mit Übertragung der Melodie von Georg Reichert. Tübingen 1962. ders: Minnesang als Aufführungsform. Hartmanns Kreuzlied MF 218,5. In: Catholy, Eckerhard und Hellmann, Winfried. (Hrsg.): Festschrift für Klaus Ziegler. Tübingen 1968, auch in: H. K.: Text und Theorie. Stuttgart 1969, S. 182−190. (Zit. nach Text und Theorie). ders.: Zur inneren Form des Minnesangs. In: Der deutsche Minnesang. Aufsätze zu seiner Erforschung I. Hrsg. von Hans Fromm, Darmstadt 1972 (Wege der Forschung 15), S. 167−179. 337 ders.: Aspekte des 13. Jahrhunderts in der deutschen Literatur. In: Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philologisch − historische Klasse, Jahrgang 1967, Heft 5. München 1968. ders.: Die Klassik des Rittertums in der Stauferzeit 1170−1230. in: Annalen der deutschen Literatur. Hrsg. von Heinz Otto Burger, Stuttgart 1971, S. 99−177. ders.: Determinanten der Minne. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft unfd Lingquistik 7 (1977), Heft 26, S. 83−94. ders.: Liebe und Gesellschaft in der Literatur. In: Hugo Kuhn: Liebe und Gesellschaft. Hrsg. von Wolfgang Walliczek. Stuttgart 1980, S. 60−68. ders.: Herzeliebez frouwelin (Walther 49,25). In: Hugo Kuhn, Liebe und Gesellschaft, S. 69−79, S. 186-188. München 1980. ders.: Minnelieder Walthers von der Vogelweide. Ein Kommentar. Hrsg. von Christoph Cormeau. Tübingen 1982. KÜHNEL, Jürgen: Zum deutschen Minnesang des 14. und 15. Jahrhunderts. In: Bethke, Artur (Hrsg.): Ernst- Moritz-Universität Greifswald, Sektion Germanistik, Kunst- und Musikwissenschaft (Direktor Wolfgang Spiewok) – Deutsche Literatur des Spätmittelalters. Ergebnisse, Probledle und Perspektiven der Forschung. Nr. 3. Geifswald 1986. S. 86−104. ders.: De poeticis medii aevi qaestiones. Käte Hamburger zum 85. Geburtstag. Göppingen 1981. KÜSTERS, Urban: Freude, Leid und Glück – Mittelalter. In: Europäische Mentalitätsgeschichte. Hauptthemen in Einzeldarstellungen. Hrsg. von Peter Dinzelbacher. Stuttgart 1993, S. 307−317. LEHÁR, Jan: K problematice staročeské písně „Šla dva tovarišě“. In: Česká literatura 30 (1982), S. 407−410. 338 ders.: Staročeská milostná lyrika a kurtoazní tradice. Pokus o rekapitulaci problému. In: Směřování. Sborník k šedesátinám A. Molnára. Praha 1983, S. 75ff. ders.: Folklórní vrstva staročeské milostné lyriky? In: Slavia 52 (1983), S. 355−361. ders.: Závišova píseň jako problém textologický a interpretační. In: Listy filologické 112 (1989), S. 159−167. ders.: Odpověď Františku Všetičkovi. In: Listy filologické 112 (1989), S. 172−173. ders.: Kurtoazní lyrika. In: Česká středověká lyrika. Praha 1990. S. 81−100. ders.: Staročeská píseň Otep myrhy: smysl a struktura textu. In: Listy filologické 117 (1994) S. 13− 25. LOMNITZER, Helmut: Geliebte und Ehefrau im deutschen Lied des Mittelalters. In: LiebeEhe-Ehebruch in der Literatur des Mittelalters. Hrsg. von Xenja von Ertzdorff und Marianne Wynn. Gießen 1984, S. 111−124 (Beiträge zur deutschen Philologie Nr. 58). MÄRZ, Christoph: Das canticum boemicale „Otep myry“ und Frauenlobs Cantica Canticorum. In: Haustein, Jens und Steinmetz, Ralf-Henning (Hrsg.): Studien zu Frauenlob und Heinrich von Mügeln. Festschrift für Karl Stackmann zum 80. Geburtstag. Freiburg 2002, S. 15−30. MERTENS, Volker: Territorialisierungsprozess und vasalitisches Ethos. Ein neuer Blick auf das „Falkenlied“ des Kürenberger. In.: In:Müller, Ulrich (Hrsg.): Minne ist ein swaerez spil. Neue Untersuchungen zum Minnesang und zur Geschichte der Liebe im Mittelalter. Göppingen 1986 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer, Bd. 440). S. 319−324. ders.: Kritik am Kreuzzug Kaiser Heinrichs? Zu Hartmanns 3. Kreuzlied. In: Krohn, R. – Thum, B. (u.a.) (Hrsg.): Stauferzeit. Stuttgart 1978. S. 325−333. 339 ders.: Kaiser und Spielmann. Vortragsrollen in der höfischen Lyrik. In: Höfische Literatur, Hofgesellschaft höfische Lebensformen um 1200. Hrsg. von Gert Kaiser und Jan-Drik Müller. Düsseldorf 1986, S. 455−469 (Studia humaniora Nr. 6). ders: Alte Damen und junge Männer. Spiegelungen von Walthers „sumerlaten-Lied“. In: Walther von der Vogelweide. Hamburger Kolloquium 1988. Hrsg. von Jan-Dirk Müller und Franz-Josef Worstbrock. Stuttgart 1989, S. 197−215. MEYER, Matthias: Von Falken, Trappen, Eulen und Hirschen. Ein liederlicher Liebeszoo. In: Neophilologus 86, Nr. 3, S.417−435. MÜLLER, Jan-Dirk: Die frouwe und die anderen. Beobachtungen zur Überlieferung einiger Lieder Walthers. In: Walther von der Vogelweide. Hamburger Kolloquium 1988. Hrsg. von Jan-Dirk Müller und Franz-Josef Worstbrock. Stuttgart 1989, S. 127−146. ders.: Walther von der Vogelweide: Ir reinen wîp, ir werden man. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 124 (1995), S.1−25. ders.: Ritual, Sprecherfiktion und Erzählung. Literarisierungstendenzen im späteren Minnesang. In: Schilling, Michael / Strohschneider, Peter (Hrsg.): Wechselspiele. Kommunikationsformen und Gattungsinterferenzen mittelhochdeutscher Lyrik. Heidelberg 1996 (Germanisch-romanische Monatsschrift – Beiheft 13), S. 43−76. MÜLLER, Ulrich: Die Ideologie der hohen Minne: Eine ekklesiogene Kollektivneurose? Überlegungen und Thesen zum Minnesang. In: Müller, Ulrich (Hrsg.): Minne ist ein swaerez spil. Neue Untersuchungen zum Minnesang und zur Geschichte der Liebe im Mittelalter. Göppingen 1986 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer, Bd. 440). S. 283 – 315. ders.: Die mittelhochdeutsche Lyrik. In: Lyrik des Mittelalters II. Probleme und Interpretationen. Hrsg. von Heinz Bergner. Stuttgart 1983. S. 7−227. NEJEDLÝ, Zdeněk: Dějiny husitského zpěvu. Kniha 1: Zpěv předhusitský. Praha 1954. Kniha 2: Předchůdci. Praha 1954. 340 MUŽÍK, František: Závišova píseň. In: Sborník prací Filozofické fakulty brněnské univerzity. Roč. XIV, řada F9 (1965), S. 167−182. ORTMANN, Christa / RAGOTZKY, Hedda: Das Kreuzlied − Albrecht von Johansdorf: Guote liute, holt diu gâbe. In:Tervooren, Helmut (Hrsg.): Gedichte und Interpretationen – Mittelalter. Stuttgart 1993, S. 169−190. PETRŮ, Eduard: Symbolika drahokamů a barev v Životě svaté Kateřiny. in: Slavia 64 (1995), S. 381−387. PETERS, Ursula: Niederes Rittertum oder hoher Adel? Zu Erich Köhlers historischsoziologischer Deutung der altprovenzalischen und der mittelhochdeutschen Minnelarik. In: Euphorion 67 (1973), S. 244−260. (Außerdem erschienen in: Hans Fromm (hrsg.): Der deutsche Minnesang II. Aufsätze zu seiner Erforschung, 1985, S. 185−207). POKORNÝ, Jindřich / BOK, Václav / STANOVSKÁ, Sylvie: Moravo, Čechy, radujte se. Němečtí básníci na dvořeposledních Přemyslovců. (Mähren, Böhmen, freut euch. Die deutschen Dichter am Hof der letzten Przemysliden). Praha 1998. PRAŽÁK, Emil: Žákovská milostná skladba „Detrimentum Pacior“. In: Česká literatura 30 (1982), S. 396−406. ders.: K interpretaci staročeské písně „Slóvce M“. In: Listy filologické 105 (1982), S. 222−227. ders.: Stati o české středověké literatuře. Euroslavica, slavistické monografie, řada literárněvědná, sv. 1, Praha 1996. RANAWAKE, Silvia: Gab es eine Reinmar-Fehde? Zu der These von Walthers Wendung gegen die Konventionen der hohen Minne. In: Oxford German Studies 13 (Walther von der Vogelweide), 1982, S. 7−35. 341 dies.: Walthers Lieder der „herzeliebe“ und die höfische Minnedoktrin. In: Minnesang in Österreich. Hrsg. von Helmut Birkhan. Wien 1983 (Wiener Arbeiten zur germanistischen Altertumkunde und Philologie 24), S. 109−152. RÄKEL, Hans-Hubert: Der deutsche Minnesang. Eine Einführung mit Texten und Materialien. München 1986. RIEGER, Dietmar: Hören und Lesen im Bereich der trobadoresken Lieddichtung. Einige Gedanken zu einer künftigen Provenzalistik. In: Zeitschrift für romanische Philologie 100, 1984, S. 78−91. RINN, Karin: Liebhaberin, Königin, Zauberfrau. Studien zur Subjektstellung der Frau in der deutschen Literatur um 1200. Göppingen 1996 (Göppinger Beiträge zur Germanistik, hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer Nr. 628). RUH, Kurt: Dichterliebe im europäischen Minnesang. In: Deutsche Litratur im Mittelalter. Kontakte und Perspektiven. Hugo Kuhn zum Gedenken. Hrsg. von Christoph Cormeau. Stuttgart 1979, S. 160−183. SALEM, Laila: Die Frau in den Liedern des „Hohen Minnesangs“. Forschungskritik und Textanalyse. Frankfurt am Main 1980. (Europäische Hochschulschriften, Reihe 1, Dt. Literatur und Germanistik, Bd. 328). SAYCE, Olive (Hrsg.): Rudolf von Fenis – Die Lieder. Unter besonderer Berücksichtigung des romanischen Einflusses. Mit Übersetzung, Kommentar und Glossar. Göppingen 1996. (Göppinger Beiträge zur Germanistik, hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer, Nr. 663). ders.: (Hrsg.): Romanisch beeinflusste Lieder des Minnesangs. Mit Übersetzung, Kommentar und Glossar. Göppingen 1999. (Göppinger Beiträge zur Germanistik, hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer, Nr. 664). SCHAUBER, Irma: Zur Entwicklung des Minnebegriffs vor Walther von der Vogelweide. Disserstation in Maschinenschrift. Freiburg im Breigsau 1945. 342 SCHÄUFELE, Eva: Normabweichendes Rollenverhalten: Die kämpfende Frau in der deutschen Literatur des 12. und des 13. Jahrhunderts. Göppingen 1979 (Göppinger Beiträge zur Germanistik, hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer Nr. 272). SCHILLING, Michael / Strohschneider, Peter (Hrsg.): Wechselspiele. Kommunikationsformen und Gattungsinterferenzen mittelhochdeutscher Lyrik. Heidelberg 1996 (Germanisch-romanische Monatsschrift – Beiheft 13). SCHILLING, Michael: Minnesang als Gesellschaftskunst und Privatvergnügen. Gebrauchsformen und Funktionen der Lieder im Frauendienst Ulrichs von Liechtenstein. In: Schilling, Michael / Strohschneider, Peter (Hrsg.): Wechselspiele. Kommunikationsformen und Gattungsinterferenzen mittelhochdeutscher Lyrik. Heidelberg 1996 (Germanischromanische Monatsschrift – Beiheft 13), S. 103 – 121. ders.: „nu sehent, wie der singet!“ Vom Hervortreten des Sängers im Minnesang. In: J.-D. Müller (Hrsg.): „Aufführung“ und „Schrift“ in Mittelalter und Früher Neuzeit, Stuttgart 1996, S. 7−30. SCHLOSSER, Dieter: Heinrich von Morungen. Von der elbe wirt entsên vil manic man. In: Jungbluth, Günther (Hrsg.): Interpretationen mittelhochdeutscher Lyrik. Bad Homburg 1969. S. 121−135. SCHLOSSER, Horst – Dieter: Untersuchungen zum sog. lyrischen Teil des Liederbuchs der Clara Hätzlerin. Dissertation. Hamburg 1965. SCHNELL, Rüdiger: Hohe und niedere Minne. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 98 (1979), S. 19−52. ders.: Causa amoris: Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in mittelalterlicher Literatur. Bern 1985. 343 ders.: Kirche, Hof und Liebe. Zum Freiraum mittelalterlicher Dichtung. In: Mittelalterbilder aus neuer Perspektive. Diskussionsanstöße zu amour courtois, Subjektivität in der Dichtung und Strategien des Erzählens. Hrsg. von Ernstpeter Ruhe und Rudolf Behrens. München 1985, S. 75−108 ( Beiträge zur romansichen Philologie des Mittelalters Nr. 14). SCHOLZ, Manfred Günther: Bibliographie zu Walther von der Vogelweide. Bibliographien zur deutschen Literatur des Mittelalters 4. Berlin 1969. SCHRÖDER, Edward (Hrsg.): Kleinere Dichtungen Konrads von Würzburg. Mit einem Nachwort von Ludwig Wolf. III. Die Klage der Kunst. Leiche, Lieder und Sprüche. Berlin 1959. SCHRÖDER, Werner: Ein „Reuelied“ Walthers von der Vogelweide? (Zu L. 122,24). In: Zeitschrift für deutsche Philologie 108, 1989, S. 350−357. SCHWEIKLE, Günther: Minnesang. Stuttgart 1989. ders.: Minnesang in neuer Sicht. Stuttgart – Weimar 1994. ders.: Reinmar der Alte. Grenzen und Möglichkeiten einer Minnesangsphilologie. Habilitations-Schrift (Masch.) Tübingen 1965. ders.: Steckt im Sumerlaten-Lied Walthers von der Vogelweide (L.72, 31) ein Gedicht Reinmars des Alten? In: Zeitschrift für deutsche Philologie 87 (Sonderheft), 1968, S. 131−153. ders.: War Reinmar „von Hagenau“ Hofsänger in Wien? In: Gestaltungsgeschichte und Gesellschaftsgeschichte. Literatur-, Kunst- und musikwissenschaftliche Studien. Festschrift für Fritz Martini. In Zusammenarbeit mit Käthe Hamburger hrsg. von Helmut Kreuzer. Stuttgart 1969. S. 1−31. ders.: Eine Morungen-Parodie Walthers? Zu MF 145,33. In: Mediaevalia litteraria. Festschrift für Helmut de Boor . Hrsg. von Urschula Hennig und Herbert Kolb. München 1971, S. 305−314. 344 ders.: Die Staufer und der Minnesang. In: Auf den Spuren der Staufer. Hrsg. von Otto Müller. 2. Auflage, Gerlingen 1977, S. 117−127. ders.: Die frowe der Minnesänger. Zur Realitätsgehalt und Ethos des Minnesangs im 12. Jahrhundert. in: Zeitschrift für deutsches Altertum 109, 1980, S. 91−116. ders.: Doppelfassungen bei Heinrich von Morungen. In: Interpretation und Edition deutscher Texte des Mittelalters. Festschrift für John Asher... Hrsg. von Kathryn Smits, Werner Besch und Victor Lange. Berlin 1981, S. 58−70. ders.:Mittelalterliche Realität in deutscher höfischer Lyrik und Epik um 1200. In: Germanisch-romanische Monatschrift, Neue Folge, 32, 1982, S. 265−283. ders.: Die Fehde zwischen Walther von der Vogelweide und Reinmar dem Alten. Ein Beispiel germanistischer Legendenbildung. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 115, 1986, S. 235 − 253. ders.: Minnethematik in der Spruchlyrik Walthers von der Vogelweide. Zum Problem der Athetesen in der Minnesangsphilologie. In: Aspekte der Germanistik. Festschrift für HansFriedrich Rosenfeld. Hrsg. von Walther Tauber. Göppingen 1989, S. 173−184. ders.: Minnesang. Stuttgart 1989. SITTIG, Doris: Vyl wonders machet minne. Das deutsche Liebeslied in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Versuch einer Typologie. Göppingen 1987 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer, Nr. 465). SPECHTLER; Franz Viktor: Lyrik des ausgehenden 14. und 15. Jahrhunderts. Einführung. In: CHLOE, Beihefte zum Daphnis, Band 1: Lyrik des ausgehenden 14. und 15. Jahrhunderts. Amsterdam 1984. S. 1−28. ders.: Die Stilisierung der Distanz. Zur Rolle des Boten im Minnesang bis Walther und bei Ulrich von Liechtenstein. In: Peripherie und Zentrum. Studien zur österreichischen Literatur. 345 Festschrift für Adalbert Schmidt. Hrsg. von Gerlinde Weiss und Klaus Zelewitz. Salzburg − Stuttgart – Zürich 1971, S. 285−310. STANGE, Manfred: Reinmars Lyrik. Forschungskritik und Überlegungen zu einem neuen Verständnis Reinmars des Alten. Amsterdam 1977. STANOVSKÁ, Sylvie: Zur courtoisen Farbensymbolik in der Literatur des 14. – 16. Jahrhunderts im deutsch − tschechischen Kontext. In: Brünner Beiträge zur Germanistik und Nordistik, Sborník prací Filozofické fakulty brněnské univerzity, Studia minora facultatis philosophicae Universitatis Brunensis, R 2, 1997, S. 65−78. dies.: Drei alttschechische Tagelieder im Licht der deutschsprachigen Gattungstradition. In: Brünner Beiträge zur Germanistik und Nordistik, Sborník prací Filozofické fakulty brněnské univerzity, Studia minora facultatis philosophicae Universitatis Brunensis, R 11, 2006, S. 115−132. dies.: Zur alttschechischen Liebeslyrik des 14. und 15. Jahrhunderts im Verhältnis zum deutschen Minnesang und zur späteren deutschen Liebeslieddichtung. In.: Das mittelalterliche Regensburg im Zentrum Europas (Konferenzsammelband). Regensburg 2006, S. 211−222. dies.: Zu einem eigenständigen Untertyp der alttschechischen Liebesklage vor dem Hintergrund der „klassischen“ Minneklage und der späteren deutschen Liebesklage. In: Brünner Beiträge zur Germanistik und Nordistik, Sborník prací Filozofické fakulty brněnské univerzity, Studia minora facultatis philosophicae Universitatis Brunensis, R 12, 2007, S.117−128. dies.: Geistliches Tagelied – Eine Gattung der Spätzeit. In: Brünner Beiträge zur Germanistik und Nordistik, Sborník prací Filozofické fakulty brněnské univerzity, Studia minora facultatis philosophicae Universitatis Brunensis, R 13, 2008, S. 27−36. dies.: Die alttschechische Liebeslyrik – zwischen Tradition und Innovation. Versuch einer Typologie vor dem Hintergrund des deutschen Minnesangs und der späteren 346 Liebeslieddichtung. In: Germanoslavica. Zeitschrift für germano-slawische Studien. Jahrgang 19, Nr. 2, Prag 2008, S. 87−98. dies.: K milostné alegorii lovu ve vybraných dílech německé pozdně středověké literatury a ve staročeském Tkadlečkovi.(Zur Minnejagdallegorie in ausgewählten Werken der deutschen spätmittelalterlichen Literatur und im alttschechischen Tkadleček). In: Sborník prací filozofické fakulty Masarykovy univerzity – Studia minora facultatic philosophicae Universitatis Brunensis V 11, 2008, S. 5−14. STREICHER; Gebhard: Minnesangs Refrain. Die Refrain-Kanzonen des Ulrich von Winterstetten: Bauformengrammatik, Aufführungsstruktur, Überlieferungsgebrauch. Göppingen 1984 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer, Nr. 372). ŠLOSAR, Dušan – RUSÍNOVÁ, Zdeňka: Staročeská píseň s nářečními rysy? In: Listy filologické 98 (1975), S. 8−13. ROHRBACH, Gerdt: Studien zur Erforschung des mittelhochdeutschen Tageliedes. Ein sozialgeschichtlicher Beitrag. Göppingen 1986. (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer, Nr. 462). TERVOOREN, Helmut: Bibliographie zum Minnesang und zu den Dichtern des „Minnesangs Frühling“. Bibliographien zur deutschen Literatur des Mittelalters 3. Berlin 1969. ders.: Schönheitsbeschreibung und Gattungsgestik in der mittelhochdeutschen Lyrik. In: „Schöne Frauen - schöne Männer“. Literarische Schönheitsbeschreibungen. 2. Kolloquium der Forschungsstelle für europäische Literatur des Mittelalters. Hrsg. von Theo Stemmler. Mannheim 1988, S. 171−198. ders.: Reinmar und Walther. Überlegungen zu einem autonomen Reinmar-Bild. in: Walther von der Vogelweide. Beiträge zu Leben und Werk. Hrsg. von Hans-Dieter Mück. Stuttgart 1989, S. 89−105 (Kulturwissenschaftliche Bibliothek Nr. 1). 347 ders.: Frühe Minnesänger. In: Deutsche Dichter. Leben und Werk deutssprachiger Autoren. Hrsg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max. Bd. 1. Mittelalter. Stuttgart 1989, S. 98−131. ders.: Gattungen und Gattungsentwicklung in mittelhochdeutscher Lyrik. In: Gedichte und Interpretationen. Mittlalter. Hrsg. von Helmut Tervooren. Stuttgart 1993, S. 11−39. TICHÁ, Zdeňka: Cesta starší české literatury (Weg der älteren deutschen Literatur). Praha 1984. TROST, Pavel: K německé předloze Závišovy písně. (Zum deutschen Vorbild des ZávišLiedes). In: Sborník Vysoké školy pedagogické v Olomouci – Jazyk a literatura II, S. 260f., Praha 1955 ders.: Zwei tschechische Minnereden. In: Wiener slawistisches Jahrbuch, Bd. 17 (1972), S. 289−294. ders.: Zum Verhältnis der alttschechischen und der altdeutschen Dichtung. In: Korrespondenzen. Festschrift für D. Gerhardt. Marburg 1977, S. 445−448. (Tschechische Neufassung in: Studie o jazycích a literatuře (1995), S. 251−254). ders.: Zur alttschechischen Liebeslyrik. In: Wiener slawistisches Almanach, Bd. 8 (1981), S. 255−259. (Tschechische Neufassung in: Studie o jazycích a literatuře (1995), S. 332−335). ders.: Drei Anmerkungen zur alttschechischen Literatur. In: Wiener slavistisches Jahrbuch 32 (1986), S. 71 -75. (Tschechische Neufassung in: Studie o jazycích a literatuře (1995), S. 402−406). ders.: Neue Forschungen zum Minnesang. In: Philologica Pragensia 6 (1963), S. 298−300. (Tschechische Neufassung in: Studie o jazycích a literatuře (1995), S. 124−126). ders.: Studie o jazycích a literatuře. Sestavil, cizojazyčné texty přeložil a doslov napsal Jaromír Povejšil. (Zusammenstellung, Übertragung der fremdsprachigen Texte und Nachwort von Jaromír Povejšil). Praha 1995. 348 TRUHLÁŘ, Josef: Zlomek Závišovy písně Mnichovský. In: Časopis Českého musea LIX (1885), S. 109− 113. VILIKOVSKÝ, Jan: Latinská poezie žákovská v Čechách. In: Sborník filozofické fakulty Univerzity Komenského v Bratislavě, ročník VIII, č. 62 (3), Bratislava 1932. ders.:Písemnictví českého středověku. Praha 1948. VŠETIČKA, František: K staročeské písni Šla dva tovařišě. In: Listy filologické 112 (1989), S. 168−171. WACKERNELL, Joseph.E.: Hugo von Montfort: Werke. Mit Abhandlung zur Geschichte der deutschen Literatur, Sprache und Metrik im 14. und 15. Jahrhundert. Insbruck 1881. WALLMANN, Katharina: Minnebedingtes Schweigen im Minnesang, Lied und Minnerede des 12. bis 16. Jahrhunderts. Frankfurt am Main − Bern − New York − Nancy 1985. (Mikrokosmos 13). WILLMS, Eva: Liebesleid und Sangeslust. Untersuchungen zur deutschen Liebeslyrik des späten 12. und frühen 13. Jahrhunderts. München 1990. ( bes. S.1-8: Zur Minne-Ideologie). (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters. Herausgegeben von der Kommission für deutsche Literatur des Mittelalters der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 94). WACHINGER, Burghardt: Deutsche und lateinische Liebeslieder: Zu den deutschen Strophen der Carmina Burana. In: From Symbol to Mimesis. The Generation of Walther von der Vogelweide. Ed. by Franz H. Bäuml. Göppingen 1984 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, hrsg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Cornelius Sommer., Nr. 368), S. 1−34. ders.: Hohe Minne um 1300. Zu den Liedern Frauenlobs und König Wenzels von Böhmen. In: Wolfram-Studien X. Cambridger „Frauenlob“ – Kolloquium 1986, Berlin 1988, S. 135−150. 349 ders.: Die Welt, die Minne und das Ich. Drei spätmittlalterliche Lieder. In: Entzauberung der Welt. Deutsche Literatur 1200−1500. Hrsg. von James F. Poag und Thomas C. Fox. Tübingen 1989, S. 107−118. ders.: Liebeslieder vom späten 12. bis zum frühen 16. Jahrhundert. In: Mittelalter und frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche und Neuansätze. Hrsg. von Walter Haug. Tübingen 1999 (Fortuna vitrea 16). S. 1−29. WAPNEWSKI, Peter: Waz ist minne. Studien zur Mittelhochdeutschen Lyrik. München 1975. ders.: Des Kürenbergers Falkenlied. In: Wapnewski, Peter: Waz ist minne. Studien zur Mittelhochdeutschen Lyrik. München 1975, S. 23−46. ders.: Kaiserlied und Kaisertopos In: Wapnewski, Peter: Waz ist minne. Studien zur Mittelhochdeutschen Lyrik. München 1975, S.47 – 64. ders.: Die Lyrik Wolframs von Eschenbach. Edition − Kommentar − Interpretation. München 1972. WARNING, Rainer: Lyrisches Ich und Öffentlichkeit bei den Trobadors. In: Deutsche Literatur im Mittelalter. Kontakte und Perspektiven (Gedenkschrift Hugo Kuhn), hrsg. von Christoph Cormeau. Stuttgart 1979, S. 120−159. WISNIEWSKI, Roswitha: Werdekeit und Hierarchie. Zur soziologischen Interpretation des Minnesangs. In: Strukturen und Interpretationen. Hrsg. von Alfred Ebenbauer. Wien−Stuttgart 1974, S. 340 ff. WOLF, Alois: Variation und Intergration. Beobachtungen zu hochmittelalterlichen Tageliedern. Darmstadt 1979. (Impulse der Forschung Bd. 29). ders.: Die Anfänge des Minnesangs und die Troubadourdichtung. In: Minnesang in Österreich. Hrsg. von Helmut Birkhan. Wien 1983, S. 197−244 (Wiener Arbeiten zur germanistischen Altertumskunden und Philologie Nr. 24). 350 ders.: Einleitung. In: Tagleider des deutschen Mittelalters. Mittelhochdeutsch /Neuhochdeutsch. Ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Martina Backes. Einleitung von Alois Wolf. Stuttgart 1992, S. 11−81. ZATOČIL, Leopold: Závišova píseň ve světle minnesangu a její předloha.(Das Záviš-Lied im Licht des Minnesangs und seine Vorlage.) In: Sborník prací filozofické fakutly brněnské univerzity 2 (1953), S. 110−126. ZUMTHOR, Paul: Die orale Dichtung. Raum, Zeit, Periodisierungsproblem. In: Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie. Hrsg. von Ulrich Gumbrecht und Ursula Link-Heer. Unter Mitarbeit von Friederike Hassauer, Armin Biermann, Ulrike Müller-Charles, Barbara Ullrich. Frankfurt am Main 1985, S. 339−375. 6. KUNSTGESCHICHTLICHE FORSCHUNGSLITERATUR CAMILLE, Michael: Die Kunst der Liebe im Mittelalter. Köln 2000. 7. WÖRTERBÜCHER UND LEXIKA: BENECKE / MÜLLER / ZARNCKE (Hrsg.): Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. Mit einem Vorwort und einem zusammengefassten Quelleverzeichnis von Eberhart Nellmann sowie einem alphabetischen Index von Erwin Koller, Werner Wegstein und Norbert Richard Wolf. 4 Bde. und Indexband. Stuttgart 1990. DINZELBACHER, PETER (Hrsg.): Sachwörterbuch der Mediävistik. Stuttgart 1992. LEXER, Matthias: Mittelochdeutsches Handwörterbuch. Bde. I-III. Leipzig 1872−1878. LEXIKON DES MITTELALTERS. Hrsg. von Bautier /Auty. Zürich/München. [CD ROM] 351 RUH, Kurt / KEIL, Gundolf / SCHRÖDER; Werner / WACHINGER Burghart / WORSTBROCK Franz Josef / STOLLINGER-LÖSER, Christine (Hrsg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters -Verfasserlexikon, Bd. 5 / „Liebesbrief“, Sp. 786–793. BerlinNewYork 1985. ŠIMEK, Rudolf: Lexikon der germanischen Mythologie. Stuttgart 1984. UEDING, Gert (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 2 / „Brief“, Sp. 60−76, Tübingen 1994. WACHINGER; Burghart: Deutschsprachige Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Studienauswahl. Berlin – New York 2001. STACKMANN; Karl: Wörterbuch zur Göttinger Frauenlob-Ausgabe. Unter Mitarbeit von Jens Haustein redigiert von Karl Stackmann. Göttingen 1990. MHDBDB: Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank on-line, Universität Salzburg (Leiterin: Springeth, Margarethe.): mhdbdb.sbg.ac.at; verlinkt mit Mittelhochdeutsche Wörterbücher Online: http://gaer27.uni-trier.de/MWV-online/MWV-online.html ABGEKÜRZT ZITIERTE LITERATUR KDL = KRAUS, Carl von (Hrsg.): Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts. Bd I: Text. Tübingen 1952. Bd. II: Kommentar. Besorgt von Hugo Kuhn. Tübingen 1958. 2 Aufl. durchgesehen von Gisela Kornrumpf, Tübingen 1978. L = LACHMANN, Karl / HAUPT, Moritz (Hrsg.): Des Minnesangs Frühling. Leipzig 1857. Bei den Liedern Wolframs bezieht sich L auf: LACHMANN, Karl (Hrsg.): Wolfram von Eschenbach. 6. Ausg. besorgt von Eduard Hartl. Berlin – Leipzig 1926. Unveränderter photomechanischer Nachdruck Berlin 1962. MFMT = MOSER, Hugo / TERVOOREN, Helmut (Hrsg.): Des Minnesangs Frühling. 38., erneut revidierte Auflage. Bd. I: Texte. Stuttgart 1988. Bd. II: Editionsprinzipien, Melodie, Handschriften, Erläuterungen. 36, neugestaltete und erweiterte Auflage. Stuttgart 1977. 352 353