Ausgearbeitete Prüfungsfragen für das Wintersemester

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1. Das Zentralnervensystem, mikroskopische Struktur und Entwicklung (8 Punkte)
2. Was ist Entwicklung - Definition und Begriffsdiskussion (4 P.)
3. Isolationskonzept nach Jantzen (4 P.)
1)Entwicklungsneurologie, ihre Aufgabe und Arbeitsmethoden (max 8 punkte)
2) Der Begriff "Rehabilitation" und sein Stellenwert im behindertenpädagogischen
Konzept (max. 4 punkte)
3) die Reizübertragung (max. 4 punkte)
1) Der Begriff Behinderung (8 Punkte)
2) Die zerebrale Funktion (Reflexe, ...) (4 Punkte)
3) Strukturen und Prozesse im inneren der Nervenzelle (4 Punkte)
1. Die mikroskopische Entwicklung des Zentralnervensystems unter Einbeziehung der
Deprivationsforschung. (hier bitte noch Ergänzungen!)
2. Die Geschichte der Behindertenpädagogik.
3. Liquor und seine Pathologie. (noch ergänzen)
Es war noch eine Frage dabei beim letzten Termin, die ein Prüfling im Forum gepostet hat, da
bin ich mir nicht ganz sicher, ob die nicht neu war:
„Wie arbeitet das Gehirn?“
Ausgearbeitete Prüfungsfragen für das Wintersemester
1.Gruppe
1. Das Zentralnervensystem, mikroskopische Struktur und Entwicklung (8
Punkte)
Zentralnervensystem: Gehirn und Rückenmark (Sitz der Nervenzellen)
Mikroskopische Struktur und Entwicklung des Zentralnervensystems:
„Mikroskopisch“: Hier wird das Lichtmikroskop zur Betrachtung des Nervengewebes verwendet. Das
Nervengewebe besteht aus zwei verschiedenen Zelltypen, nämlich den Nervenzellen und den Gliazellen.
Diese beiden haben in der Neuralrohrphase einen gemeinsamen Ursprung, und zwar die so genannten
Matrixzellen – auch Mutterzellen genannt.
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Die Matrix- oder Mutterzelle besteht aus den Gliablasten (Anmerkung: „Blasten“ sind Zellen in der
Entstehung) und den Gliazyten (Anmerkung: „Zyten“ sind reife Zellen). Weiters besteht sie noch aus den
Neuroblasten und den Neurozyten.
Gliazellen: Gliazellen sind im Gegensatz zu den Nervenzellen vermehrungsfähig (auch nach dem Abschluss
der Entwicklungsphase).
Funktionen:
- Stoffwechselfunktionen (K+ - Puffer, Transmitterregulation, Beteiligung an den Gedächtnisfunktionen)
- Narbenbildung (nach der Zerstörung von Nervenzellen = Glianarbe)
- Ventrikelauskleidung (eventuell auch Stützfunktion als „Baugerüst“ des Nervensystems)
Nervenzellen:
 Funktionen:
 Informationsverarbeitung
 Reizleitung
 Reizübertragung
 Struktur:
Das Neuron ist die kleinste Funktions- und Struktureinheit und es besteht aus dem
 Zellkörper und den
 Fortsätzen, von denen es die
a) Dendriten gibt: diese sind kurz, stark verzweigt, und es gibt mehrere an jeder Zelle
b) Neurit: Axon, lang, wenig verzweigt;
Von außen treten die Fortsätze anderer Neurone heran, die Synapsen und das wiederum sind die
Kontaktstellen.
Entwicklungsphasen des Zentralnervensystems:
Es handelt sich eigentlich mehr um Entwicklungsprozesse, die ohne genaue zeitliche Grenzen mehr oder
weniger hintereinander, zum Teil auch parallel zueinander ablaufen. Was den Begriff „Phasen“ betrifft, so
bringt dieser nur einen Aspekt dieser Vorgänge zum Ausdruck, nämlich den Schwerpunkt eines ganz
bestimmten Zeitabschnittes. (Anm.: Zeitangaben: LM = Lunarmonat/Schwangerschaftsdauer in Menstruationszyklen gemessen
= 10 LM; Lj. = Lebensjahr)
1.Induktionsphase: Hier erfolgt die Anregung zur Zellbildung (Neuralplatte): etwa zwischen der 3.en und
6.en Schwangerschaftswoche.
2.Proliferationsphase: Hier kommt es zur Vermehrung der Zellen. Dies führt zu einer Verdickung der
Wand des Neuralrohres. Dies alles passiert etwa zwischen dem 2.en und 6.en Lunarmonat
3.Migrationsphase: In dieser Phase kommt es zu einer Wanderung der Nervenzellen. Genau diese
Wanderungsprozesse führen zu einer so genannten „Wandverdickung“ und zu einer Ausbildung des
Zentralnervensystems. (vgl. auch die Schichten des Cortex). 3.er bis 6.er Lunarmonat
4.Organisationsphase: Es kommt zur Ausbildung eines Netzwerkes interneuronaler Verbindungen. etwa
zwischen 6.en Lunarmonat und 6.en Lebensjahr.
5. Myelinisationsphase: Ausbildung der Hüllen der Neuriten (=> Myelinscheiden)
Ergänzung zur Organisationsphase:
 Gesetzmäßigkeiten der Organisationsphase:
Die Ausbildung der Verzweigungen und der Verbindungen der Neurone erfolgt in mehreren Schritten:
Aufgrund der genetischen Funktion, dem biologischen Erbe, beginnt die Zelle – in einem ersten
Entwicklungsschritt so genannte Fortsätze zu bilden, welche aufgrund histochemischer Information (das
sind Botenstoffe) – mit anderen Neuronen in Kontakt treten. Die Ausbildung dieser Fortsätze und Kontakte
(Synapsen) erfolgt zunächst im Überschuss. Durch die Inbetriebnahme eines Funktionssystems wird eine
„neue Ordnung in das System“ gebracht. Im zweiten Schritt kommt es zu einer Selektion: hier werden
überschüssige Verbindungen wieder zurückgebildet. Damit ist die endgültige Struktur des ZNS vor allem als
Produkt der Tätigkeit des ZNS zu verstehen. Die im Genom ( = einfacher Chromosomensatz einer Zelle, der
deren Erbmasse darstellt) vorhandene genetische Erbinformation würde nämlich qualitativ gar nicht
ausreichen, um die große Zahl interneuronaler Kontakte zu determinieren. Das Gehirn unterliegt damit dem
Prozess der Selbstorganisation in der Entwicklung.
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Die Kenntnisse über diese Entwicklungsprozesse stammen aus der Deprivationsforschung. Die
Fragestellung dieser Forschung bezieht sich hierbei auf den Zusammenhang zwischen Umwelteinfluss und
Entwicklung des Individuums. Dieses ist als „Anlage-Umwelt-Problem“ bekannt. Dabei lautet die Antwort:
Die Grundinformation ist natürlich genetisch bedingt, die Ausdifferenzierung aber nicht. Diese ist ein
Produkt der Inbetriebnahme. Anlage und Umwelt ergeben somit das Produkt der Entwicklung.
2. Was ist Entwicklung - Definition und Begriffsdiskussion (4 P.)
Anmerkung: Nicht jede Form der Veränderung bedeutet auch gleich (eine) Entwicklung. Entwicklung ist von
verschiedenen Dingen abhängig.
Was ist Entwicklung?
Anmerkung: Der Begriff Entwicklung ist nur auf den ersten Blick ein selbstverständlicher Begriff. Bei
genauerem Betrachten ist er aber äußerst diskussionsbedürftig.
Was ist Entwicklung – Versuch einer Eingrenzung (kleine Wiederholung von letzter Stunde)
 Prozess (hängt unweigerlich mit „Zeit“ zusammen)
 Perspektive („wie bewerte ich einen Prozess“) spielt eine wichtige Rolle
 Erwartungen
 Ad Prozess: Welche Art von Prozess verstehen wir als Entwicklung? Für die Beantwortung dieser Frage ist
es von Nöten das Ziel, was denn nun Entwicklung ist, zu definieren, und zwar anhand eines Beispiels
(fernab von menschlicher Entwicklung oder biologischen Prozessen): Beispiel „Stadtentwicklung“: Wie soll
sich eine Stadt entwickeln (z.B. Wiederaufbau einer Stadt nachdem sie niedergerissen wurde). Was
bezeichnet man hier als Entwicklung? Alte Häuser erhalten oder Neue Häuser hinbauen? Die Frage, ob ich
dem Prozess „Entwicklung“(=positive Konnotation, Konnotationen sind begleitende Elemente eines
Begriffs) beifüge. Das was wir als wünschenswertes Ziel sehen, ist nicht automatisch gegeben. Es gibt
beispielsweise Historische Epochen, in denen z.B. Gebäude oder andere Dinge gebaut/erbaut wurden, die
manchmal positiv konnotiert waren, aber auch welche, die mal nicht positiv konnotiert waren (die
brauchbar, nützlich oder aber auch weniger nützlich waren).
Was ist Entwicklung?
Definition: Entwicklung ist ein Prozess, in dem ein Organismus (=biologisches System) wachsende
Komplexität und einen höheren Grad von Struktur seiner Austauschprozesse erlangt (-> Beziehung zur
Umwelt, ist ein Prozess der Wechselbeziehung, kann einfach oder komplex sein). Der Austausch des
Organismus mit der Umwelt wird immer komplexer. Je komplexer der Organismus, desto flexibler ist er in
Bezug auf die Umwelt. Sie erhöht den Grad der Flexibilität und sie verbessert die Bedingungen des
Individuums in seinem Wechselspiel mit der sozialen Umwelt (in die das Kind eintritt -> schon vor der
Geburt). Das Kind ist immer Teil einer gesellschaftlichen (sozialen) Umwelt!
Anmerkung:
Der erste Teil der Definition ist eine Definition auf naturwissenschaftlicher Ebene.
Der zweite Teil der Definition ist eine Definition auf „menschlicher“ Ebene.
Kriterien zur Bestimmung von Entwicklung:
- Relation zu einem Zeit-Bezugsystem: Um eine Entwicklung beurteilen zu können, müssen zwei
Beobachtungszeitpunkte (A und B) gegeben sein. Von Bedeutung ist hierbei die Veränderung bestimmter
Kompetenzen, die das Kind zwischen den Zeitpunkten A und B erwirbt. Die Regel ist jedoch, dass zu einem
bestimmten Zeitpunkt (A) eine Beobachtung durch einen Entwicklungspsychologen angestellt wird. Dieser
schlagt in einer Tabelle nach, ob zu einem Zeitpunkt (A) das Kind eine bestimmte Entwicklungsstufe
erreicht hat (oder haben soll), und zwar in den Kompetenzen, in der sich viele Kinder seines Alters befinden:
Rechenmethode
diese geht von einem Durchschnitt aus -> methodisches Problem -> weil wenn ich z.B. die Kompetenzen
eines Kindes in Punkto „Ball fangen“(Körperfang-/Handfangtechnik) testen will, dann wird ich feststellen,
dass ein Teil der Kinder den Ball so fängt und ein anderer Teil der Kinder den Ball wieder anders fängt,…
Nun wird also das beobachtete Kind in einer Normalverteilungskurve in einen Bereich eingeordnet, der einer
für seine Kompetenzen typischen Altersspanne entspricht. (09.10.)
- Homogenität einer Entwicklungsreihe: Hier erfolgt die Beobachtung von Funktionen innerhalb der selben
Funktionsdimension. D.h. verschiedene Kompetenzen auswählen (-> je mehr, desto komplizierter, aber
aufschlussreicher das Verfahren; z.B. das Kind kann zum Zeitpunkt A frei gehen. Nun kommt es zum
Zeitpunkt B wieder zur Beobachtung: kann das Kind noch immer frei gehen? Wie wir ja bereits wissen, ist
diese Art der Beobachtung aber nicht die Regel, denn: Zum Zeitpunkt B wird dann nicht mehr das Freie Gehen
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beobachtet, sondern z.B. die Sprachentwicklung. Anm.: Die Entwicklung der Sprache läuft in verschiedenen
Bereichen ab. Es sind hier unterschiedlich langsame/schnelle Entwicklungsprozesse festzustellen; ). Es ist also
von Nöten innerhalb derselben Entwicklungsdimension die Beobachtung (z.B. der Visomotorik, der
Logomotorik,…) zu machen und zu differenzieren!
- Anwendung eines Wertemaßstabes: Die Bezugspunkte meines individuellen Maßstabes müssen begründet und
legitimiert werden: Das heißt, „warum ist die Fähigkeit schreiben zu können beispielsweise besser als nur zu
kritzeln?“ Es gibt Bereiche wo es unzweifelhaft erscheint und Bereiche in denen es nicht so eindeutig ist.
In den so genannten Standardverfahren der Entwicklungsdiagnostik werden diese drei Punkte leider nicht
ausreichend berücksichtigt!
Zwei zentrale Begriffe:
- Ontogenese: ist die individuelle Entwicklung des Menschen
- Phylogenese: ist die stammesgeschichtliche Entwicklung der Menschheit
3. Isolationskonzept nach Jantzen (4 P.)
Die menschliche Entwicklung basiert vor allem auf der aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt (= auch
„Aneignungsprozess“: Die Prozesse der aktiven Aneignung, die auf den 3 Säulen relevant sind, spielen bei
der Aneignung des gesellschaftlichen Erbes die größte Rolle: Die Bedeutung eines Löffels, oder eines
Blattes Papier – sind Produkte der menschlichen Gesellschaft – und die Bedeutung dieser kann das
Individuum nur durch „aktive Aneignung“ erwerben. 3 Säulen: a Die Differenzierung d. biolog. Erbes, b
Die Ausbildung d. bedingten Reflexe, c Die Aneignung d. gesellschaftl. Erbes); das so genannte
„gesellschaftliche Erbe der Menschheit“ (Werkzeugebrauch, Sprache, Kulturgüter,..) muss von jedem
Individuum einzeln „angeeignet“ werden. Das heißt so viel wie, dass das der Einzelne in der
Auseinandersetzung mit seiner Umwelt subjektive innere Bilder „entstehen lässt“, die die Grundlage des
weiteren Lebens sind. Vollzieht sich diese individuelle Entwicklung unter „isolierenden Bedingungen“, so
ist dieser Aneignungsprozess beeinträchtigt und die Bilder sind inadäquat, also gewissermaßen verzerrt und
unvollständig.
Isolierende Bedingungen können sein:
Isolierende Bedingungen können zur Isolation führen und entstehen durch:
- einen organischen Defekt (z.B. einem Sinnesdefekt, Bewegungsstörung…) = Läsion
- eine soziale Isolation: auch „Deprivation“
Diese inadäquaten Abbilder – Grundlage der künftigen Umweltbeziehungen – führen dann zu Konflikten,
negativen Emotionen etc. und halten auf diese Weise ihrerseits jene isolierenden Bedingungen aufrecht.
Dieser circulus vitiosus ist nur durch Aufhebung der isolierenden Bedingungen durchbrechbar. Daraus
ergibt sich die Zielsetzung der Behindertenpädagogik = Überwindung der Isolation.
Anmerkung zur Deprivation: Der Begriff „Deprivation“ bedeutet wörtlich so viel wie Beraubung, Verlust;
im Kontext der „sozialen Deprivation“: Anregungsmangel = Reizabschirmung, Kontaktarmut;
Es wird zwischen „sozialer Deprivation“ (= Studium der Auswirkungen von Deprivation auf der
psychischen und sozialen Ebene. René Spitz hat Studien dazu gemacht: ad „Kinder von inhaftierten
Müttern“ und „Kinder in einem Säuglingsheim“ -> Vergleichsstudie.) und „sensomotorischer Deprivation“
(Studium der Auswirkungen von Deprivation auf der biologischen Ebene: vorwiegend vergleichende
Forschung an Tieren, z.B. an Katzen -> Arbeitsgruppe um A.H. Riesen in 70ern, ad Vernähung der
Augenlider der Katzen, dann Öffnung -> dauert der Mangel an Reizen länger als 3 Monate: bleibende
strukturelle Veränderungen im ZNS.)
Deprivation in der Entwicklung des Kindes ist als isolierende Bedingung zu betrachten, die auf allen drei
Ebenen (biologische, psychische und soziale Ebene) Auswirkungen hat. Die konkreten Deprivationsfolgen
sind von der Art und Weise der Deprivation und den Kompensationsmöglichkeiten, die von der sozialen
Umwelt geprägt werden, abhängig.
-------2.GRUPPE
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1)Entwicklungsneurologie, ihre Aufgabe und Arbeitsmethoden (max 8
punkte)
Die Entwicklungsneurologie gehört zu den „Wissenschaften vom Menschen“ (nach Piaget 1970); Folgende
Gesichtspunkte werden dabei umfasst:
A) Der Mensch ist stets – auch als Neugeborenes - ein handelndes Subjekt; er ist kein Objekt, an dem
Therapie durchgeführt wird.
B) „Bio-psycho-soziale Einheit“
Das Menschliche Leben muss als Einheit folgender 3er Ebenen betrachtet werden:
soziale Ebene
Diese 3 Ebenen sind einerseits als Einheit
psychische Ebene
zusammenhängend, anderseits sind sie als
biologische Ebene
getrennte Ebenen zu sehen, da jede dieser
ihre eigenen Gesetzesmäßigkeiten hat > 2 Seiten einer
Medaille.
Die biologische Ebene stellt die Basis und die soziale Ebene den Rahmen des menschlichen Lebens und
damit auch der Entwicklung dar. Dieser komplexe Zusammenhang wird durch den Begriff „bio-psychosoziale Einheit“ dargestellt:
Wenn ich nur eine der drei Ebenen betrachte, so verkürze ich meinen Blickwinkel. Jede dieser Ebenen hat
ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten, welche nicht auf die anderen Ebenen übertragbar sind. Die Übergänge
zwischen den einzelnen Ebenen sind komplex und wissenschaftlich noch nicht zur Gänze erforscht. Hier
kommt man auch an die Grenze philosophischer Dimensionen. Denn zum Einen stellt der Mensch eine
Einheit von sozialer – psychischer – biologischer Ebene dar. Zum anderen muss man zwischen den
Gesetzmäßigkeiten dieser drei Ebenen auch differenzieren und die Übergänge dazwischen beachten. Die
biologischen Grundlagen müssen immer im „ganzheitlichen Zusammenhang“ gesehen werden. Die
Entwicklung der biologischen Struktur ist nur zum Teil von den Genen gesteuert; darüber hinaus ist das
gesamte Lebensumfeld von wichtiger Bedeutung. Die biologische Ebene ist zwar als Basis des Lebens zu
sehen, welche aber eingebettet ist in den Zusammenhang psychischer und sozialer Prozesse.
Ergänzung zur Übertragbarkeit auf andere Ebenen: Jede dieser Ebenen hat ihre eigenen
Gesetzesmäßigkeiten. Diese sind aber nicht untereinander auf andere Ebene übertragbar, dies wird aber oft
versucht. Beispiel: Das Transponieren von Gesetzmäßigkeiten einer Ebene auf eine andere Ebene: daran
knüpft diese Überlegung: Wo sind diese Analogien legitim und wo nicht? Bsp.: Das Katzenhirn ist nicht
analog dem Menschlichen Gehirn, einzelne kleine Analogien sind aber durchaus möglich.
Die Entwicklungsneurologie bedarf aufgrund dessen einer Theorie, die all diese drei Ebenen des
menschlichen Lebens (bio-psycho-soziale Einheit) verbindet. Die Tätigkeitstheorie erfüllt diesen
Anspruch, sie hat sich aus der kulturhistorischen Schule um Wygotski, Leontjew, Lurija, Anochin
(Russland), Cole, Wertsch (USA), Jantzen, Rückriem (BRD) entwickelt.
Ein wichtiger Übergangsbereich zwischen den biologischen und psychologischen Phänomenen wird von der
Neuropsychologie beschrieben: diese beschäftigt sich mit den biologischen Grundlagen psychischer
Funktionen und erforscht zum Beispiel, welche Teile des Gehirns bei unterschiedlichen Funktionen (z.B. der
Sprache, Motorik,…) beteiligt sind. Die Neurowissenschaften (Neurosciences) haben in den letzten
Jahrzehnten große Fortschritte zu verzeichnen. Dafür hat besonders das Neuroimaging, ein bildgebendes
Verfahren des ZNS, beigetragen.
Zusammenfassend
Die Entwicklungsneurologie ist die Lehre von der Entwicklung des menschlichen Nervensystems als BioPsycho-Sozialer Prozess. Sie ist eine wissenschaftliche und eine praktisch-medizinische Disziplin.
Heinz Prechtl gilt als der „Vater“ der Entwicklungsneurologie. Er bedient sich forschungsmethodisch des
„Babywatching“ (Beobachtung und Beschreibung der Aktivitäten und Tätigkeiten – des Verhaltens – von
Kindern).
Die Arbeitsgebiete der Entwicklungsneurologie sind:
Medizinische Praxis (diese spielt sich im Arztzimmer ab, wenn beispielsweise die Eltern eines Kindes
besorgt in die Praxis kommt, weil sie sich um die Entwicklung ihres Kindes Gedanken machen. Der
Hauptteil der Medizinischen Praxis ist die Entwicklungsdiagnostik)
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Ihre Aufgaben: (Die Aufgaben der Medizinischen Praxis)
Feststellung, ob eine Entwicklungsstörung vorhanden ist und welcher Art diese ist
(Entwicklungsdiagnostik)
- Entwicklung von speziellen Förderprogrammen (Therapie, Entwicklungsförderung).
Entwicklungsforschung bei Risikokindern (bei Risikoschwangerschaft beispielsweise -> wie ist da die
Auswirkung auf die kognitive Entwicklung des Kindes nachher? Hier: Frage nach den Möglichkeiten der
Förderung der kognitiven Entwicklung, im Falle eines Entwicklungsrückstandes. Die Förderung der
kognitiven Entwicklung findet gerade heute wieder ein Revival (in Zeitschriften) -> Selektion => „nur
die besten kommen durch“.
-
Es wird der Frage nachgegangen, ob eine Entwicklungsstörung vorliegt und man sucht nach spezifischen
Fördermaßnahmen (=Therapie). Die Entwicklungsdiagnostik versteht sich als Förderdiagnostik, daher lautet
die Frage vielmehr: „Was wirst du lernen? und nicht „Was hast du gelernt“?
Ihre Methoden:
a) klinische Entwicklungsdiagnostik (besonders zwischen dem 1.en und 2.Lebensjahr, danach nehmen die
entwicklungspsychologischen Methoden zunehmend mehr Stellenwert hier ein). Klinische
Entwicklungsdiagnostik heißt auch: Die Begegnung zwischen dem Arzt und seinem Patienten erfolgt
ohne der Zuhilfenahme apparativer Hilfsmittel, wie Röntgen, Ultraschall zum Beispiel. Im Blickpunkt
der Untersuchung steht vielmehr die Untersuchung sensomotorischer Funktionen und deren
Beurteilung. Dabei sind folgende 2 Methoden gebräuchlich:
 Verhaltensbeobachtung (VB): hier unterscheidet man zw.:
 Indirekter VB (Die Informationen werden von den Eltern und anderen Bezugspersonen, wie
Geschwister, Lehrer, Schule,…weitergegeben). CAVE: subjektiver Bias (damit ist die „Brechung“ –
siehe Formel – gemeint): Die Realität wird gefiltert durch die subjektive Wahrnehmung der
Auskunftsperson.
 Direkte VB: Erfolgt durch geschulte Personen. Die direkte VB kann wiederum in eine:
- unstrukturierte VB, freie Beobachtung: Die Systematik ist im Kopf des Beobachters und dieser muss auch
wissen, was er beobachten möchte. Das Kind hingegen hat freie Handlungsräume; und
- durch strukturierte VB, in der die Beobachtungssituation strukturiert wird (z.B. durch Psychologische
Tests, neurologische Untersuchungen,…) erfolgen.
Die klinische Untersuchung gibt – in der Hand des Experten – Auskunft auf die meisten Fragen der
Entwicklungsdiagnostik. Sie steht immer am Anfang; bleiben dann noch Fragen offen, werden zusätzlich
ergänzende Verfahren angewandt.
b) Apparative Hilfsmethoden
 Computertomographie: Dies ist ein spezielles Verfahren der Röntgentechnik, mit der einzelne Teile des
Gehirns dargestellt werden können.
 Magnetresonanztomographie (MRT, MRI) ist eine Methode, welche unter der Anwendung von
Magnetfeldern eine sehr verfeinerte und differenzierte Darstellung des ZNS ermöglicht, aber im
Kindesalter meist in Sedierung durchgeführt werden muss. Das „funktionelle MRT“ (fMRT) macht die
Abbildung von Gehirnaktivitäten möglich. Anmerkung: CT und MRT sind bildgebende Verfahren.
 Elektroencephalographie oder EEG: Hier werden die Aktivitätsströme des Gehirns verstärkt und als
Kurven aufgezeichnet. Durch das EEG sind nur grobe Aussagen für die Entwicklungsdiagnostik
möglich. Das Hauptanwendungsgebiet liegt beispielsweise bei der Diagnostik der Epilepsie.
 Evozierte Potentiale (ereigniskorrelierte: ERP’s = event related potentials): hier werden durch einen
äußeren Reiz Änderungen in der Hirnstromkurve hervorgerufen und aufgezeichnet. Zum Beispiel wird
aufgezeichnet, wie das Gehirn Reize von außen verarbeitet; Dieses Verfahren dient der Überprüfung
von Wahrnehmungsfunktionen.
 Polygraphie ist eine gleichzeitige (simultane) Aufzeichnung von verschiedenen Funktionssystemen
(EEG, EMG, Augenbewegungen, Atmung…)
 Ultraschallfilm für intrauterine Bewegungsstudien (während der Schwangerschaft)
 weitere apparative Verfahren: Magnetencephalogramm, Positron Emmission Tomography (PET),
SPECT
Das 2.Arbeitsgebiet der Entwicklungsneurologie:
Die Forschung:
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Ein zentrales Thema war über mehrere Jahrzehnte die Entwicklungsforschung bei Risikokindern; aber auch die
Möglichkeiten der Förderung der kognitiven Entwicklung spielen eine Rolle.
Aufgaben:
 Systematische Studien über die Entwicklung von Kindern zur Erschließung der Gesetzmäßigkeiten der
Entwicklung des kindlichen Nervensystems
 Erforschung der Einflussfaktoren, die in der Entwicklung wirksam sind
 Ausarbeitung von Methoden der Entwicklungsförderung
Methoden:
- direkte und indirekte Verhaltensbeobachtung (vgl. medizinische Praxis)
- eventuell Anwendung apparativer Hilfsmethoden (vgl. medizinische Praxis)
- Methoden der vergleichenden Forschung = Übertragung von Erkenntnissen an Versuchstieren;
Rückschlüsse auf Menschen nur mit großer Vorsicht möglich!
- Untersuchung des Zentralnervensystems verstorbener Säuglinge
 einfache physikalische Techniken: wägen, messen
 Mikroskopie: lichtmikroskopische und elektronenmikroskopische Untersuchungen
 chemische Untersuchungen: (Gewebschemie = Histochemie) in Gewebsproben werden chemische
Reaktionen ausgelöst.
Diese Methoden wurden in der NS-Zeit an behinderten Kindern missbraucht (Stichwort: Spiegelgrund-Kinder)!
2) Der Begriff "Rehabilitation" und sein Stellenwert im
behindertenpädagogischen Konzept (max. 4 punkte)
Der Anteil der Medizin:
Die Beantwortung der Frage nach der Rolle der Medizin im Konzept der Behindertenpädagogik geht von
einem sozialmedizinischen Grundverständnis aus, welches ebenfalls auf dem Modell der bio-psychosozialen Einheit „Mensch“ beruht. Die Themengebiete jener Medizin liegen in erster Linie dort, wo die
biologischen Defekte und psychischen Beeinträchtigungen eine zentrale Rolle spielen. Ihre Aufgaben
liegen in der Rehabilitation/Entwicklungsförderung: Rehabilitation zu betreiben heißt, die Lebenssituation
eines Menschen als veränderbar zu begreifen: Diese Aussage bezieht sich auf die Behinderung, und nicht
unbedingt auf den Defekt. (Die Überwindung der Isolation)
Definition Rehabilitation (nach Berger):
Rehabilitation zu betreiben heißt, den Entwicklungs- und Lernprozess von Menschen mit somatischen oder
psychischen Läsionen zu strukturieren. Das Ziel ist die ungehinderte Teilnahme am sozialen Leben.
Rehabilitation ist dementsprechend in ihrem Kern eine pädagogische Aufgabe, die sich verschiedener
Methoden bedienen muss, in Übereinstimmung mit der Unterschiedlichkeit möglicher Defekte auf der
biotischen oder psychischen Ebene. Sie bedarf der interdisziplinären Kooperation. Rehabilitation bedarf
jedenfalls eines umfassenden Ansatzes, der die biologische, psychische und soziale Ebene umfasst.
Die Konzentration der Medizin auf die biologischen und psychischen Anteile von Behinderung, muss
ebenfalls mit der oben beschriebenen individuellen Analyse isolierender Bedingungen und ihrer Wertung
bezogen auf die aktuelle Lebenssituation beginnen. Jede therapeutische Maßnahme muss danach beurteilt
werden, ob sie geeignet ist, in ihren Konsequenzen die Erfahrungsspielräume des Individuums zu erweitern
(Isolation zu durchbrechen, Aneignungsprozesse zu fördern, Autonomie zu vergrößern). Auch biologische
Faktoren haben ihren jeweiligen Stellenwert nur im Gesamt-Lebenszusammenhang des Individuums.
3) die Reizübertragung (max. 4 punkte)
Die Reizübertragung erfolgt entweder:
a) auf das nächste Neuron = interneuronal
b) an ein Zielorgan, wie z.B. auf einen Muskel, eine Drüsenzelle etc.
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Man unterscheidet zwischen der:
a) Interneuronalen Reizübertragung: Es gibt eine speziell ausgeformte Kontaktstelle, die Synapse. Die
Transmittersubstanz (gilt für chemische Synapsen) überwindet den synaptischen Spalt und überträgt
auf diese Weise den Impuls auf das nächste (postsynaptische) Neuron. Der Transmitter wird im Inneren
des Neurons (vgl. Ultrastruktur) gebildet und in den Vesikeln (und über Mikrotubuli) zur Synapse
transportiert. Dort erfolgt die Anlagerung an der glitterartigen Struktur der präsynaptischen Membran.
Bei der Impulsweitergabe ändert sich die Glitterstruktur (sie vergrößert sich) und der Inhalt der Vesikel
ergießt sich in den synaptischen Spalt. Die postsynaptische Membran wird durch die
Transmittersubstanz chemisch gereizt, wodurch es zur Weiterleitung des Reizes kommt.
Die Reizübertragung erfolgt nach dem „Alles-oder-nichts-Prinzip“, d.h. bei einem Impuls werden alle
Vesikel entleert – die Impulsstärke bleibt somit immer gleich. Die Steuerung der Stärke erfolgt durch die
Anzahl der aktivierten Synapsen. Die Transmittersubstanz wird nach der Erregung der postsynaptischen
Membran sofort, d.h. in Bruchteilen von Sekunden inaktiviert, damit die sofort wieder für einen Reiz frei ist.
Die häufigste Transmittersubstanz Acetylcholin wird in Essigsäurerest und Cholin (= die Aminosäure)
gespalten. Die Spaltung erfolgt mit dem Ferment Acetylcholin-Esterase. Die Verwertung der
Restsubstanzen erfolgt durch die Elimination oder den Rücktransport. Andere Transmittersubstanzen sind:
Gamma-Amino-Buttersäure (GABA), Serotonin etc.
Es gibt hemmende (inhibitorische, vorwiegend am Zellkörper) und erregende (exzitatorische, vorwiegend
an den Dendriten) Synapsen.
Die elektrischen Synapsen besitzen keinen synaptischen Spalt, sondern eine kontinuierliche Verbindung mit
Kanälen. Sie sind auf Säugetierniveau eher unbedeutend.
b) Reizübertragung Neuron – Zielorgan: In gleicher Art erfolgt die Übertragung von Impulsen auf das
Muskelgewebe; als Effekt der Übertragung erfolgt hier die Kontraktion der Muskelfaser. Die
Verbindungsstelle zwischen Nervenende und Muskel ist die „motorische Endplatte“.
Auch für die motorische Endplatte gilt das „Alles-oder-nichts-Prinzip“, d.h. stets die volle Kontraktion
der Muskelzelle. Die Stärke der Gesamtkontraktion hängt von der Anzahl der erregten Muskelzellen ab.
Ein Muskel kann über längere Zeit angespannt bleiben, da sich eine Muskelzelle nach der anderen
kontrahiert = Rotationsprinzip.
Es gibt Krankheiten (Myasthenia gravis), deren Grundlage darin besteht, dass dieser
Übertragungsmechanismus (Nerv-> Muskel) blockiert wird: bei Fehlern der Acetylcholin-Esterase
unterbleibt der Transmitterabbau – die Synapse bleibt blockiert.
1) Der Begriff Behinderung (8 Punkte)
Begriffsbestimmung:
„Behindertenpädagogik“ wird hier als übergeordneter Begriff verwendet (vgl. Jantzen), da dies den Bezug
auf einen klar definierbaren Behinderungsbegriff erlaubt; andere Begriffe, wie Sonder- oder Heilpädagogik
sind unklarer: „Sonderpädagogik“ stellt die in diesem Bereich traditionell dominierenden Strategien der
Absonderung und „Heilpädagogik“ den Heilungsanspruch in den Vordergrund stellt.
Definition (Schuntermann):
Behindert ist eine Person, deren Teilhabe am Gesellschaftsleben, insbesondere am Arbeitsleben, infolge
ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung aufgehoben oder nicht nur vorübergehend eingeschränkt ist. Eine
gesundheitliche Beeinträchtigung ist a) eine Gesundheitsstörung im Sinne eines regelwidrigen körperlichen,
geistigen oder seelischen Zustandes, oder b) damit im Zusammenhang stehend ein anatomischer
Strukturschaden oder eine psychische bzw. physiologische Funktionsstörung oder Aktivitätsstörung.
Definition von Wolfgang Jantzen: „Behinderung kann nicht als naturwüchsig entstandenes Phänomen
betrachtet werden. Sie wird sichtbar und damit als Behinderung erst existent, wenn Merkmale und
Merkmalskomplexe eines Individuums aufgrund sozialer Interaktion und Kommunikation in Bezug gesetzt
werden zu jeweiligen gesellschaftlichen Minimalvorstellungen über individuelle und soziale Fähigkeiten.
Indem festgestellt wird, dass ein Individuum aufgrund seiner Merkmalsausprägung diesen Vorstellungen
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nicht entspricht, wird Behinderung offensichtlich, sie existiert als sozialer Gegenstand erst von diesen
Augenblick an.“
Das Konzept „Behinderung“ der Weltgesundheitsorganisation („International Classification of Impairments,
Deseases and Handicaps“, ICIDH, WHO 1980)
Biologischer Defekt (die „Pathologie“) …bezeichnet die Zerstörung oder die abnorme Funktion eines
biologischen Systems.
Schädigung …bezeichnet die unmittelbare funktionelle Konsequenz des biologischen Defekts, z.B. die
Bewegungsstörung.
Beeinträchtigung …bezeichnet den Funktionsverlust im persönlichen Alltag, z.B. den Hilfsbedarf beim
Ankleiden, Kochen etc.
Behinderung …bezeichnet die sozialen Konsequenzen eines Defekts, z.B. den Verlust des Arbeitsplatzes.
D.h. der Defekt stellt den biologischen Anteil der Behinderung dar. Dieser führt in der Interaktion mit der
sozialen Umwelt zur Beeinträchtigung, aus der schließlich eine Behinderung entstehen kann. Somit ist
Behinderung nicht eine Eigenschaft des Individuums; sie entsteht erst in der Beziehung zwischen Individuum
und Gesellschaft. Unter den Defekten als Behinderungsursachen liegt der genetisch – chromosomal bedingte
Anteil unter 10%; der weitaus überwiegende Anteil ist prä-, peri- oder postnatalen Schädigungen zuzuschreiben
und ein hoher Anteil von Behinderungsursachen ist nicht derzeit klärbar.
Die aktuelle Version der WHO: International Classification of functions, ICF, WHO 1999):
War in der früheren WHO-Klassifikation von Beeinträchtigung, Behinderung und Handicap die Rede, vereint
die ICF nun dieses rein medizinische Modell mit dem sozialen Modell von Behinderung, wie es meist von den
Betroffenen vertreten wird. Der Schwerpunkt liegt auf der Beschreibung von Funktionen und Fähigkeiten
des Einzelnen. Diese wertneutrale Sichtweise von Beeinträchtigung und Behinderung ermöglicht es eher
Stigmatisierung und Aussonderung hintanzuhalten. Wie Menschen mit ihrem Gesundheitszustand leben und
zurecht kommen, und nicht die Beschreibung von Defekt und Defizit sind von Bedeutung. Die Beschreibung
täglicher Aktivitäten, wie Lernen, Wissensanwendung, Kommunikation, Mobilität, Selbstversorgung und das
Leben zu Hause, sind dabei wichtige Bereiche. Zu erkennen, wie und in welchem Ausmaß eine Person an den
verschiedenen sozialen Lebensbereichen teilnimmt, kann Isolation verhindern helfen. Wie Menschen ihr Leben
und ihre persönliche Umgebung gestalten, wie sie ihre soziale Unterstützung, Hilfsmittel sowie Dienste und
Leistungen nutzen können, steht im Brennpunkt der ICF-Betrachtung.
Die WHO klassifiziert die Funktionsfähigkeit des Menschen unter drei verschiedenen Aspekten:
1) Körperfunktionen und –strukturen:
Mögliche Störungen auf dieser Dimension werden als „Schäden“ („impairments“) bezeichnet. Die
Schäden werden in „Funktionsstörungen“ und „Strukturschäden“ gegliedert.
Funktionen des Körpers
- Mentale Funktionen
- Sensorische Funktionen
- Stimm- und Sprechfunktionen
- Funktionen des kardio-vaskulären, hämatologischen,
des immunologischen und des Atmungssystems
- Funktionen des Verdauungs-, des Stoffwechsel- und des
endokrinen Systems.
- Funktionen der Haut und mit ihr im Zusammenhang
stehenden Strukturen.
Strukturen des Körpers
- Struktur des Nervensystems
- Das Auge, das Ohr und mit diesen im Zusammen
hang stehende Strukturen.
- Strukturen, die an der Stimme und am Sprechen
beteiligt sind.
- Strukturen des kardiovaskulären, des immunolog
ischen und des Atmungssystems.
- Mit dem Verdauungs-, Stoffwechsel und endokrinen System im Zusammenhang stehende
Strukturen.
- Die Haut und mit ihr im Zusammenhang
stehende Strukturen.
2) Klassifikation der Aktivitäten
Das Aktivitätskonzept wird damit begründet, dass es zu den zentralen Eigenschaften menschlichen
Daseins gehört, zu handeln, aktiv zu sein, zu arbeiten, zu spielen, die Aufgaben und Arbeiten des
täglichen Lebens zu erfüllen. Störungen auf dieser Dimension werden „Aktivitätsstörungen“ oder
„Leistungsstörungen“ (acitivity limitations) genannt.
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Aktivitäten des Lernens und der Wissensanwendung: Elementare oder komplexe Aktivitäten, die
zum Lernen, zur Anwendung des gelernten Wissens, zum Nachdenken, zum Lösen von Problemen
und zum Fällen von Entscheidungen erforderlich sind.
Aktivitäten der Kommunikation: Aktivitäten des Verstehens und des Erzeugens gesprochener oder
geschriebener Mitteilungen oder Mitteilungen in formaler Zeichensprache sowie Aktivitäten zur
Konversation und der Gebrauch von Kommunikationsgeräten.
Aktivitäten bezüglich Körperposition,- stellung und –haltung sowie die Handhabung von
Gegenständen: Aktivitäten, den Körper durch Veränderung der Körperposition zu verlagern, die
Körperstellung-, oder haltung zu wechseln sowie Gegenstände zu halten, zu bewegen und zu
handhaben.
Aktivitäten der Bewegung: Fortbewegungsaktivitäten wie Gehen, Laufen, Steigen usw., mit oder
ohne Transportmittel, über kurze, mittlere und lange Distanzen, innerhalb der Wohnung oder
außerhalb.
Aktivitäten der Selbstversorgung: Elementare Aktivitäten, sich selbst zu versorgen, wie sich selbst
zu waschen und abzutrocknen, seinen Körper und seine Körperteile zu pflegen, sich anzukleiden,
zu essen und zu trinken und auf seine Gesundheit zu achten.
Häusliche Aktivitäten: Häusliche und allgemeine Aktivitäten wie das Beschaffen von Wohnraum,
Lebensmitteln, Kleidung und anderen Notwendigkeiten, Haushaltsaktivitäten wie Saubermachen
und Reparieren sowie sich um seinen Besitz kümmern und anderen bei ihren täglichen Aktivitäten
zu helfen.
Interpersonelle Aktivitäten: Elementare oder komplexe Aktivitäten des Interagierens mit Menschen
(Freunde, Fremde, Verwandte, Familienmitglieder, Liebhaber,..) in einer kontextuell und sozial
geeigneten Weise.
Aufgabenbewältigung und bedeutende Lebensaktivitäten: Allgemeine und umfassende
Anforderungen an die Bearbeitung jeder Art von Aufgaben, von Aufgabenkomplexen sowie die
Gesamtheit aller besonderen Aktivitäten, die in wichtigen Lebensbereichen wie Arbeit, Bildung
und Ausbildung sowie Freizeitgestaltung erforderlich sind.
3) Klassifikation der Partizipation
Das Partizipationskonzept wird dadurch begründet, dass sich die Daseinsentfaltung einer Person
stets im Kontext der sozialen und physikalischen Umwelt (Umweltfaktoren) vollzieht und von
diesem mitbestimmt wird.
Siehe nun Tabelle auf der nächsten Seite
Beteiligung am persönlichen Haushalt: Elementare Notwendigkeiten des Lebens – Aufrechterhaltung der
persönlichen Pflege, Ernährung und Gesundheit. Einschränkungen in diesen Bereichen können auftreten,
wenn Umweltfaktoren Hindernisse bei der persönlichen Pflege, Ernährung und Gesundheit der Person
verursachen.
Teilnahme an der Mobilität: Sich in einer Wohnung umherzubewegen, in die unmittelbare Nachbarschaft zu
gelangen um sich dort umherzubewegen oder zu reisen. Abhängig vom Grad der Körperfunktionen und der
Aktivitäten können Einschränkungen in der Teilnahme der Mobilität durch Charakteristika der physikalischen
und der sozialen Umwelt einer Person auftreten, die es für sie schwierig macht, sich umherzubewegen.
Teilnahme am Informationsaustausch: Auf eine beliebige Art und Weise am Austausch von Informationen
teilnehmen. Einschränkungen in diesem Bereich können auftreten, wenn Umweltfaktoren Hindernisse in der
gesprochenen, geschriebenen, oder anderen Formen der Sprache sowie im Gebrauch von
Kommunikationsgeräten oder –technologien errichten.
Einbindungen in soziale Beziehungen: Beziehungen, die Menschen mit Familienmitgliedern, Liebespartnern,
Freunden, Gleichaltrigen oder Fremden. Diese Beziehungen reichen von den persönlichsten und engsten bis
zu den unpersönlichsten und distanziertesten. Einschränkungen in der Einbindung in Beziehungen treten
aufgrund von Hindernissen in der sozialen und physikalischen Umwelt auf, üblicherweise aufgrund der
Einstellungen und des Verhaltens anderer Menschen.
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Teilnahme am häuslichen Leben und an der Hilfe für andere: Das Leben zu Hause, entweder allein, in der
Familie oder in anderen Gruppen, die Versorgung und Pflege der Wohnung und des Besitzes in der Wohnung
(z.B. Pflege der Tiere und Pflanzen) sowie Pflege anderer Personen. Einschränkungen in der Teilnahme an
diesem Bereich treten aufgrund von sozialen Einstellungen oder sozialen Regeln auf, die sich die
Verfügbarkeit geeigneter Wohnungen und Ressourcen für die Pflege anderer auswirken.
Beteiligung am Bildungs-/Ausbildungswesen: Am Bildungs-/Ausbildungswesen beteiligt zu sein, auf allen
Ebenen Einschränkungen in der Beteiligung am Bildungs-/Ausbildungswesen werden durch Merkmale der
physikalischen und sozialen Umwelt verursacht, die es einer Person schwierig oder vielleicht sogar unmöglich
machen, die Gelegenheit zu haben, in einer Bildungs-/Ausbildungseinrichtung zu lernen und das Wissen
anzuwenden.
Beteiligung an Arbeit und Beschäftigung: Am Arbeitsleben und Beschäftigung jeder Art beteiligt zu sein.
Einschränkungen in der Beteiligung an diesem Bereich werden durch Merkmale der physikalischen und
sozialen Umwelt verursacht, die es einer Person schwierig oder unmöglich machen, einen Arbeitsplatz zu
erhalten oder in eine andere Arbeitssituation eingebunden zu sein, welche ihren Wünschen entspricht.
Teilnahme am Wirtschaftsleben: An wirtschaftlichen Transaktionen und dem Austausch von Ressourcen
teilzunehmen. Für gewöhnlich bedeutet die Teilnahme am Wirtschaftsleben über Geld zu verfügen und dieses
auch zu gebrauchen – sich mit monitären Transaktionen zu befassen. Darüber hinaus bedeutet Teilnahme am
Wirtschaftsleben, dass eine Person die Chance hat, wirtschaftlich unabhängig oder selbständig zu sein.
Einschränkungen in diesem Bereich werden durch Faktoren der physikalischen und sozialen Umwelt
verursacht, die Barrieren für die Teilnahme am Wirtschaftsleben bilden.
Einbindung in die Gesellschaft, das soziale und staatsbürgerliche Leben: Hierbei geht es um das organisierte
soziale Leben außerhalb der Familie, lokale oder gemeindebezogene Vereinigungen, Clubs, Gruppen,
Religionsorganisationen sowie das politische und staatsbürgerliche Leben eines Landes. Politische Einbindung
betrifft den sozialen und legalen Status einer Person – Besitz der Staatsbürgerschaft. Dies beeinhaltet Rechte
und Pflichten, die eine Person hat, sowie die sozialen und politischen Rollen, die die Menschen in ihrem Land
spielen. Einschränkungen in diesem Bereich treten auf, wenn Faktoren der sozialen und physikalischen
Umwelt Barrieren in diesem Bereich des Lebens in der Gemeinschaft, dem sozialen und dem
staatsbürgerlichen Leben bilden.
Entsprechend diesen definitorischen Abgrenzungen sind Defekte – gleich welcher Art – im Folgenden
für unsere Erörterungen nicht unmittelbar von Bedeutung (keine Behinderungsklassifikation nach
biologischen Defekten!), entsprechend ist der Prozess der Schädigung, wie er als Syndrom sich
entwickelt und existiert und sozial als Behinderung sichtbar wird.
Dieser Konzeption folgend ist Bestimmung und Beschreibung von Behinderung mittels
medizinischer Daten oder psychologischer Testergebnisse nicht möglich. Medizin und Psychologie
können lediglich eine Beschreibung der Funktions- und Strukturschäden bzw. der Leistungs- und
Aktivitätsstörungen beitragen. Die Feststellung der Behinderung (der Einschränkungen der
Partizipation) selbst ist jedoch weder durch Tests noch durch irgendeine umfangreiche „Objektivierung“
möglich. Sie bezieht sich auf die Wechselwirkung zwischen Individuum und seiner sozialen
Umwelt.
Behinderung wird im realen Leben auf zwei Ebenen wirksam:
 auf der sozialen Ebene: Behinderung wird in allen einschlägigen Gesetzen als
„Arbeitskraft minderer Güte“ definiert;
 auf der individuellen Ebene ist die Einschränkung der Teilhabe am Leben der
Gesellschaft = Isolation entscheidend.
2. Die zerebrale Funktion (Reflexe, ...)
Die Tätigkeit des Gehirns ist nie isoliert zu sehen; sie ist stets Teil eines Gesamtsystems, das auch
periphere Anteile einschließt. Somit ist jede Tätigkeit des Gehirns Teil der Tätigkeit des Organismus,
die (in dieser oder jener Form) auf die Umwelt orientiert ist.
11
Definition: Die zerebrale Funktion ist – selbst komplex strukturiert – Teil eines funktionellen Systems,
das eine bestimmte Anpassung des Organismus bezüglich einer biologischen oder psychischen Aufgabe
realisiert; es besteht aus einem hochdifferenzierten Komplex austauschbarer Elemente (Lurija).
Das zentrale Element des funktionellen Systems ist der (senso)motorische Anteil, der die sinnlichpraktische Tätigkeit repräsentiert. Der endgültigen Form ist der Stellenwert, den die sinnlichpraktische Tätigkeit im Entwicklungsprozess hatte, meist nicht mehr anzumerken: das Denken
entwickelt sich aus der konkreten äußeren Handlung durch Verkürzung und Interiorisation (vgl.
Wygotski, Piaget)
-
Einige Beispiele:
Der Mengenbegriff entsteht in der Entwicklung des Kindes durch das konkrete Hantieren mit Mengen (siehe
Piaget).
In der Tonhöhenwahrnehmung spielt zur Differenzierung der Tonhöhen die Stimmmuskulatur (Einstellung
des Stimmapparates auf die gehörte Tonhöhe) eine wesentliche Rolle („inneres Mitsingen“).
Verfolgt ein Sportler auf dem Bildschirm eine sportliche Betätigung (z.B. Schirennen), so kann durch das
Elektromyogramm die Aktivierung der Muskeln des Zusehers nachgewiesen werden (Trainingsmethode).
Beim Diktat schreiben erfolgt, insbesondere bei komplizierten Worten, ein Mitartikulieren.
Die im Buch dargestellte Skizze enthält Blöcke, welche Funktionssysteme (Analysatoren) darstellen sollen -> für
die akustische, optische und motorische (modale) Verarbeitung, und die durch intermodale Prozesse verbunden
sind. Diese gesamte Funktion besteht aus einer Kette aufeinanderfolgender – modaler wie auch intermodaler
(also mit Zwischenschaltung) – Elementarprozesse, welche sich in der Ontogenese entwickelt (siehe
Organisationsphase): Akustische Analyse, auditiv-visuelle Integration, visuelle Verarbeitung, visumotorische
Integration, motorischer Impuls.
Analysator (n. Pawlow): Ein Analysator ist ein Funktionssystem, in dem Peripherie (Sinnesorgan, Muskel) und
Zentrum (Hirnrinde) miteinander verbunden sind.
Und hier die Grundstruktur eines Analysators
Vorzustellen hat man sich: Auf der oberen Hälfte das Zentrale Ende und auf der gegenüberliegenden Seite das
Periphere Ende. Die beiden Enden sind durch afferente Leitungsbahnen (vom Peripheren Ende zum Zentralen)
und efferente Leitungsbahnen (vom Zentralen Ende zum Peripheren Ende) in Verbindung. Das Zentrale Ende ist
gleich die Hirnrinde!
Ein Analysator, dessen Hauptleitungsrichtung efferent ist, wie das motorische System, hat gleichzeitig eine
zweite, afferente Leitungsrichtung (= Reafferenz oder Kontrollfunktion).
Für einen Analysator mit primär afferenter Leitungsrichtung (Wahrnehmung) gilt das Umgekehrte, also die
Reefferenz. Dieses Funktionsprinzip von Peripherie und dem Zentrum wurde 1935 von Anochin beschrieben
und 1950 von Holst und Mittelstadt wiederentdeckt und als Reafferenzprinzip bezeichnet.
Das Zentrale Ende ist gegliedert in ein Projektionsfeld, das primäre Rindenfeld (somatotop organisiert) und
Assoziationsfelder, das sekundäre und tertiäre Rindenfeld.
Die Kooperation mehrerer Analysatoren wird mit dem Begriff des funktionellen Systems beschrieben – zentrale
und periphere Anteile des Organismus kooperieren in der Bewältigung einer Aufgabe. Beispielsweise die
Atmung (wegen der geringen Flexibilität, da nur wenige Muskelgruppen beteiligt sind – Zwerchfell,
Zwischenrippenmuskel – realisierbar); oder Fortbewegung im Raum (große Flexibilität, da ein Punkt im Raum
über unterschiedlichste Bewegungsformen erreicht werden kann).
Definition „Funktionelles System“
„Breite funktionelle Vereinigung unterschiedlich lokalisierter Strukturen und Prozesse zur Erreichung eines
abschließenden (Anpassungs-)Effektes“ (Anochin 1968).
Bei der Realisierung einer komplexen zerebralen Funktion (z.B. das Schreiben nach einem Diktat) wirken die
zentralen Enden mehrerer Analysatoren zusammen -> „funktionelles Organ“. Beim Ausfall eines einzigen
Kettengliedes zerfällt die gesamte komplexe Funktion; sie kann jedoch durch einen Ersatz dieses Elementes
wiederhergestellt werden. Dieser Gedanke ist von zentraler Bedeutung für die Rehabilitation und die
Behindertenpädagogik!
Charakteristika des funktionellen Hirnorgans nach Leontjew 1973:
12
Die Verbindungen im Kortex
 entwickeln sich in der Ontogenese (Organisationsphase)
 sind relativ beständig
 weisen eine gewisse Plastizität durch die Möglichkeit des Ersatzes einzelner Elemente auf.
Funktionselemente in der Tätigkeit des ZNS
Die vorhergehende Darstellung der zerebralen Funktion bezieht sich auf eine bereits recht komplexe Ebene. Das
funktionelle Hirnorgan stellt ein funktionelles System dar, das erst auf der hohen Entwicklungsstufe des
menschlichen Gehirns entstehen kann. Die Funktionsprinzipien, die diesem funktionellen System zugrunde
liegen, sind jedoch auf bereits viel niedrigeren Stufen der Phylogenese entstanden.
a) Vorgreifende Wiederspiegelung (Anochin 1962)
Wiederspiegelungsfähigkeit ist eine allgemeine Eigenschaft der Materie. Wir finden sie auch in der
unbelebten Welt (z.B. der Abdruck eines Steins im Sand, Einwirkung des Wassers auf Stein). Auf der
Entwicklungsstufe belebter Materie (Biologie – vom Einzeller bis zum Säugetier) entsteht eine qualitativ
neue Form, die vorgreifende Wiederspiegelung: Jedes Lebewesen muss sich an die Umwelt „anpassen“,
d.h. die eigenen Lebensprozesse mit Vorgängen in der Umwelt in Übereinstimmung bringen; dies setzt
die Abbildung oder Wiederspiegelung dieser Vorgänge im Inneren des Organismus voraus (Raum-ZeitStrukturen der Umwelt werden im Organismus als chemisch-strukturelle Veränderungen abgebildet).
Zahlreiche Umweltereignisse, wie der Tag-Nacht.Rhytmus, die Jahreszeiten oder Wettererescheinungen,
wiederholen sich rhytmisch oder aperiodisch; „Anpassung“ bedeutet, den Organismus rechtzeitig auf
künftige Ereignisse einzustellen, also Künftiges vorbereitend vorwegzunehmen. Ereignisabfolgen
müssen anhand ihrer „Vorboten“ identifiziert werden – genau das meint der Begriff der
Vorgreifenden Wiederspiegelung. Diese Fähigkeit besitzt bereits der Einzeller, in besonderem Maße
aber das Nervengewebe.
„Man kann das ZNS als hochspezialisiertes Substrat betrachten, das sich als Apparat der maximalen,
raschesten Vorwegnahme der wiederholt aufeinanderfolgenden Erscheinungen der Außenwelt entwickelt
hat“ (Anochin).
b) Reflexe (Pawlow):
Definition: „Reflexe sind beständige Verbindungen der inneren und äußeren Reize mit bestimmten
Tätigkeiten der arbeitenden Organe“ (Pawlow 1922).
Ein innerer oder äußerer Reiz führt durch die Vermittlung des Nervensystems zu einer Tätigkeit eines Organs
(Muskelkontraktion, Drüsensekretion, etc.) Dieser Zusammenhang kann sich in der Phylogenese entwickeln und
ist dann für das einzelne Individuum bereits eine Voraussetzung seines Lebens – angeborener (oder
unbedingter) Reflex, z.B. Kniereflex oder Lidschlussreflex; andere Reflexe entstehen im Laufe des individuellen
Lebens – erworbene oder bedingte Reflexe. Ein Beispiel für die Ausbildung eines bedingten Reflexes ist das
Modell des „Pawlowschen Hundes“: Auf der Grundlage eines unbedingten Reflexes (die Nahrung als äußerer
Reiz bewirkt die Produktion des Magensaftes durch ein Organ) wird durch häufige gleichzeitige Darbietung
des unbedingten Reizes (Nahrung) mit einem neutralen Reiz (Glockenton) der neutrale Reiz Signalfunktion
erhalten. Dieses Signal (bedingter Reiz) ist nun imstande die Speichelproduktion auszulösen. Dieser Vorgang
(die Entwicklung bedingter Reflexe, „Konditionierung“) ist an die Existenz der Hirnrinde gebunden.
Der bedingte Reflex realisiert die Anpassungsfunktion des Organismus an künftige Ereignisse und ist somit auf
höherem Niveau ein Mechanismus der „vorgreifenden Wiederspiegelung“. Zahlreiche komplizierte Vorgänge,
beispielsweise die entwickelte Form optischer Entfernungs- und Größenwahrnehmung, entsteht auf dieser
Grundlage (Kombination von optischem Bild, Tastwahrnehmung, Entfernungsüberwindung)
c) Signalsysteme (Pawlow)
1.Signalsystem: Bezeichnet die Arbeitsweise des ZNS (auf Grundlage bedingter Reflexe) -> einfache
sensorische Reize, wie Lichtreiz oder Ton übernehmen hier Signalfunktion.
2.Signalfunktion: Gehirn -> besitzt Möglichkeit auch Symbole, wie Bilder, Zeichen oder Worte als
Signale/bedingte Reize zu verarbeiten. Beispielsweise kann schon das „Schriftbild-Restaurant“ (ohne
Speiseduft) Speichelreaktion beim Menschen auslösen.
Dieses Signalsystem ermöglicht die Handhabung von Gegenständen unabhängig von der an ihre
Anwesenheit gebundenen sinnlichen Wahrnehmung.
13
Die Dysfunktion
= betrifft die Beeinträchtigung eines solchen funktionellen Systems.
Einleitend in Stichworten: Zerebrale Funktionen -> komplexe Funktionen -> Grundlage sind die
„funktionellen Hirnorgane“ (s.o.)-> Entwicklung in Ontogenese (Auseinandersetzung Individuum mit
Umwelt). Funktionellen Hirnorgane stellen Funktionelles System dar -> Zusammenschaltung verschiedener
Analysatoren. Zerebrale Funktion = Kette von Elementarprozessen.
Ad Dysfunktion: Wenn einer der Elementarprozesse beeinträchtigt ist, ist zerebrale Funktion als Ganzes
beeinträchtigt. Bsp.: Ausfall der visumotorischen Integration: Verlust des Diktatschreibens.
Ursachen: Läsion (Gewebezerstörungen in einem beteiligten Analysatorsystem, peripher od. zentral; per-,
prä- oder postnatale Läsionen)
Deprivation: durch Mangel an aktiver Auseinandersetzung mit der Umwelt werden
entsprechenden Verbindungen innerhalb bzw. zwischen d. Analysatoren mangelhaft strukturiert.
Tritt also in einer der Entwicklungsphasen eine Beeinträchtigung einer grundlegenden Funktion ein,
so wird das seine Auswirkungen in all jenen Funktionen haben, die in der Folge entwickelt werden
und auf dieser Grundfunktion aufbauen.
Die Restitution
= Wiederherstellung (beeinträchtigter Funktionen) und baut auf folgenden Grundlagen auf:
-
-
Regeneration von zerstörtem Gewebe: im menschl. Gehirn beschränkt möglich
Funktionelle Hirnorgane: große Plastizität, da Möglichkeit des Ersatzes einzelner Elemente besteht.
Trotzdem in der Entwicklung die Steuerung v. Funktionen an untergeordnete Steuerebenen abgegeben wird
-> Kortex kann dennoch als höchste Steuerungsebene in Funktionsverlauf eingreifen. Änderung der
psychologischen Struktur = bewirkt Veränderung der physiologischen Organisation
(Kompensationsmechanismus).
Komplexe Funktionen entstehen durch Wiederholung und Interiorisation äußerer Prozesse. Die
Wiederentfaltung und Exteriorisation ermöglichen Auffinden und Ersatz d. gestörten Elementarprozesses.
Beispiel Schluckrestitution: Schlucken = angeborene Funktion. Bei unfallsbedingten Hirnschädigungen:
Schädigung dieser Funktion. Rehabilitation: muss ursprüngl. automatisierte und gestörte Funktion entfalten – in
ihre Einzelelemente zerlegen und bewusst steuern. Wiederentfaltung = Funktionen der bewussten Kontrolle
unterzuordnen. Einzelne Elemente werden geübt und wieder automatisiert.
3. Strukturen und Prozesse im inneren der Nervenzelle
Ultrastruktur der Nervenzelle
 Elektronenmikroskopische Beobachtung (keine Lichtstrahlen, sondern Elektronenstrahlen!)
 Elektrische Linsen sind magnetische Spulen, die den Elektronenstrahl ablenken.



Ein Blick nun auf das Innere der Nervenzelle
Zellmembran bildet eine „Wand“
Zytoplasma: füllt das Zellinnere
Zellorganellen: schwimmen im Zytoplasma, sind frei verteilt.
Die Zellmembran
- hat einen mehrschichtigen Aufbau, dieser wird realisiert durch:
a) Proteine
b) Phosphorlipide (= Fette)
Zusammenfassend:
Die Zellmembran umgibt die Zelle und besteht aus verschiedenen Proteinen und Fettsubstanzen. Es gibt durch
Poren eine Verbindung zwischen Innen- und Außenmilieu.
Im Innenraum: hier befindet sich das Zytoplasma (Protein), das in den verschiedenen Teilen der Zelle
unterschiedlich aufgebaut ist. Zytoplasma besteht aus Eiweiß.
14
Zellorganellen = Strukturelemente: jede Zelle enthält eine Reihe davon.
Der Zellkern
- 46 Chromosomen1
- Nucleinsäuren2:
a) DNS = Desoxyribonukleinsäure (man hat Sauerstoffanteil weggenommen hier)
b) RNS = Ribonukleinsäure (mehr Sauerstoff)
c) Die Reihenfolge der Nukleinsäuren: „genetischer Code“ => Entschlüsselung 3: man kennt nur die Nukleinsäuren
und deren Abfolge, daher: keine funktionelle Entschlüsselung. Anmerkung: „genetic-engeneering“ = Phantasie.
d)
Proteine: sind Eiweißkörper und aus Aminosäurenketten aufgebaut
-
Zusammengefasst:
All diese oben aufgezählten Bausteine des Zellkerns bilden Ketten, die schraubenförmig ineinander
verdreht sind.
Funktion: Zentrale der genetischen Information + Steuerung der Proteinbiosynthese (die vom Zellkern
ausgeht).
Ribosomen – liegen an - (Ort, an dem die Proteinbiosynthese passiert). produzieren die jeweils speziellen
Produkte der Zelle, also Eiweißkörper. Anmerkung: Die Messengerribonukleinsäure nimmt eine Kopie und
wandert zu den Ribosomen ab und legt sich dort an.
-
Transportsystem (A-) Granuläres Reticulum: mit oder (A-)- ohne Ribosomen an der Oberfläche
Mikrotubuli: dienen dem Transport durch die Zelle (tubulus = Röhre)
-
Vesikel: sind Bläschen, schwimmen durch Zytoplasma durch. Die Vesikel sind das Transportsystem der
Transmitter (siehe im weiteren Verlauf). Die Transmitter werden produziert, und sie sind Trägerstoff von
einem zum nächsten Neuron (=> Reizübertragung)
m-RNS = Messenger- oder „Boten-RNS“
Mitochondrien: sind das Kraftwerk der Zelle -> siehe „Zitronensäurezyklus“, weil ziehen aus dem Zyklus
Energie ab und speichern es im „ATP“ (= Adenostriphosphat)
Mitochondrien
 sind frei schwimmend im Zytoplasma verteilt
 Zentrum des Zellstoffwechsels (vorwiegend Zucker)
 Liefern die Energie in Form von „ATP“ (s.o.) -> ….
-> …. Transmitter
a) Überträgersubstanz an Synapsen
b) Acetylcholin
 im sensomotorischen Nervensystem (Nerven -> Muskel)
 in den erregenden Synapsen
c) Noradrenalin
 im autonomen Nervensystem
d) Serotonin (vgl. Kasper -> „Depression“)
e) Histamin
Die Chromosomen sind Gebilde im Zellinneren, die man mit dem Mikroskop entdeckt hat – bereits Anfang
des 20. Jahrhunderts hat man vermutet, dass die Chromosomen die Träger der Erbanlagen sind.
Die Analyse der Chromosomen ergab dann, dass sie verschiedene Proteine und Nukleinsäuren enthalten.
(Strachota /Heilpädagogik und Medizin, Foliensatz 8. VO)
2
1952 wurde bewiesen, dass Nukleinsäuren jener Stoff sind, in dem die Natur unser Erbe angelegt hat: jene
Nukleinsäure, die die Natur als Erbanlage verwendet, heißt: Desoxyribonukleinsäure DNS – engl. DANN. Die
DNA ist der Stoff, aus dem die Gene sind. (ebd., 8. VO)
3
Die „Human Genome Organisation“, kurz „HUGO“ (weltweit öffentliches Humangenomprojekt), und das vom
Amerikaner Craig Venter gegründete Privatunternehmen „Celera Genomics“, lieferten sich jahrelang einen
„Wettstreit“, bei dem es darum ging, wer bis zum Jahre 2005 mit einer höheren Genauigkeit die Entschlüsselung
der DNA-Sequenz schafft. Anmerkung: Keinem der beiden Unternehmen gelang eine 100%ige Entschlüsselung.
1
15
f) Gaba (Gamma-Amino-Buttersäure)
 das a im Gaba bedeutet “acid” (=> in hemmenden Synapsen als Trägersubstanz verwendet).
Funktionen der Nervenzelle (ab S 21)
 Reizleitung
nicht zu verwechseln mit dem Prozess im Innern
 Reizübertragung
der Nervenzelle. Z.B. Ultrastruktur der Nervenzelle
 Reizverarbeitung
Die Reizverarbeitung
Kenntnisse über die Prozesse im Innern des Neurons sind noch weitgehend spärlich. Vermutlich: sind zahlreiche
chemische Prozesse (= Wechselwirkungen zwischen Membran-Zytoplasma-Kern-Axonursprung), die sich auf
kleinstem Raum abspielen, Träger der Informationsverarbeitung und d. integrativen Leistungen: Auf
Neuronoberfläche => viele erregende (exzitatorisch) und hemmende (inhibitatorisch) Synapsen. Ein Neuron
erhält viele Infos von andern Neuronen. An verschiedenen Orten und Zeiten treffen untersch. Reize ein
(räumlich-zeitliches Muster). Neuron muss Integrationsleistung vollbringen, d.h. d. verschied. Reize summieren;
denn als Antwort geht nur eine Information über das Axon ans nächste Neuron. Dort treffen erneut viele
verschiedene Informationen von versch. andern Neuronen ein usw. Jedes der Neuron = Einzelbaustein des
gesamten Nervensystems. Ein einfacher Reiz also ruft derartige Prozesse in vielen tausenden Neuronen hervor.
1. Die mikroskopische Entwicklung des Zentralnervensystems unter Einbeziehung der
Deprivationsforschung.
Mikroskopische Entwicklungsphasen
 diese erklären uns sehr viel, was mit der Entwicklung zu tun hat.





-
Induktionsphase: Anregung der Zellbildung der Matrixzelle. (Neuralplatte) Etwa zwischen der 3. – 6.
Schwangerschaftswoche => Annäherungswerte.
(Vermehrung) Proliferationsphase: Vermehrung der Zellen, ca. 2 – 6 LM (= sind in- Lunarmonat =
weiblicher Zyklus)
einander
Migrationsphasen: Wanderung der Nervenzellen, ca. 3 – 6 LM
verwoben
Organisationsphase: Ausbildung eines Netzwerks interneuronaler Verbindung; etwa 6. LM bis etwa 7.
Lebensjahr (diese Zeitspanne umfasst den Entwicklungsprozess von der Geburt und der frühkindlichen
Entwicklungsperiode).
Myelinisation: Ausbildung der Hüllen der Neuriten (Myelinscheiden) => mit dem Ziel: der Erhöhung
der Leitungsgeschwindigkeit. Ca. 4. LM – Erwachsenenalter. Bis in die 70er hinein dachte man, dass
dies erst die eigentliche Entwicklung sei (des ZNS).
Organisationsphase
Funktionelles Netzwerk: einzelne Neurone treten mit Neuriten und vielen Dendriten in Kontakt.
Vermehrung und Längenwachstum der Zellfortsätze
Dickenwachstum der Zellfortsätze
Ausbildung der Dornfortsätze (dendritic spines): Die Dornfortsätze sind Träger der Kontaktstellen: Sie
dienen der Ausbildung der Synapsen.
Gesetzmäßigkeiten der Organisationsphase I
 Frage: Wenn Neuriten / Dendriten in die Länge wachsen: Wohin wachsen sie dann?
Sind Botenstoffe.
1)
a)
b)
c)
Ausbildung der Verzweigungen + Verbindungen der Neurone: mehrere Schritte
Zelle beginnt Fortsätze auszubilden
Fortsätze treten in Kontakt mit anderen Neuronen (durch „Botenstoffe“)
Ausbildung v. Fortsätzen + Kontakten erfolgt zuerst im Überschuss (Skriptum S 17)
Gesetzmäßigkeiten der Organisationsphase II
16
a) Inbetriebnahme => zur funktionellen Ordnung des Systems + Differenzierung
b) Selektion: Rückbildung überschüssiger Verbindungen
c) Beispiel: „Optisches System“
Allgemein: aus dem Skript: S 17
 „Somit ist die endgültige Struktur des ZNS vor allem als Produkt der Tätigkeit des ZNS zu verstehen.
Die im Genom (= Gesamtheit aller Gene im einfachen Chrosmosomensatz einer Zelle; aus: Strachota,
„Heilpädagogik und Medizin“) vorhandene genetische Information würde nämlich quantitativ gar nicht
ausreichen, die große Zahl interneuronaler Kontakte zu determinieren. Das Gehirn unterliegt somit dem
Prozess der Selbstorganisation in der Entwicklung. Die Kenntnisse über diese Entwicklungsprozesse
stammen aus der Deprivationsforschung (darüber noch im Verlauf dieser Vorlesung). Die Fragestellung
dieser Forschung bezieht sich auf den Zusammenhang von Umwelteinfluss und Entwicklung des
Individuums, bekannt als „Anlage-Umwelt-Problem“. Die Antwort lautet: Die Grundinformation ist
natürlich genetisch bedingt, die Ausdifferenzierung aber nicht. Diese ist ein Produkt der
Inbetriebnahme. Anlage und Umwelt ergibt somit das Produkt der Entwicklung.
Prinzipien der ZNS-Entwicklung
 Die endgültige Struktur des Zentralnervensystems ist ein Produkt der Tätigkeit des ZNS = Prozess der
Selbstorganisation (ohne, dass eine Information mitgebracht wird)
 Ab dem 6. LM kommt es zu einer Abnahme der Synapsen: gehen etwa 2 – 3 Zehnerpotenzen zurück =>
große Dynamik
 Die Richtung, in die sie wachsen, ist genetisch vorgegeben.
 Die Grundinformation ist genetisch bedingt (Anlage)
 Die Ausdifferenzierung ist ein Produkt der Inbetriebnahme: Aus Anlage und Umwelt ergibt sich
somit das Produkt der Entwicklung.
Deprivationsforschung
 „Verarmung“ oder „Beraubung“: z.B. „Der Abdeckung eines Auges beraubt“.
 Es gibt verschiedene Fragerichtungen der Deprivationsforschung:
1) Deprivation4 generell: ist ein Anregungsmangel (Reizabschirmung, Kontaktarmut, Verarmung,
Beraubung)
a) Soziale Deprivation: Deprivation auf der psychischen und sozialen Ebene.
b) Sensomotorische Deprivation: Deprivation auf der biologischen Ebene (hier vorwiegend
„Vergleichende Forschung an Tieren“)
a) Soziale Deprivation
 Rene SPITZ (schweizer Kinderarzt und Psychoanalytiker): Beobachtete die Entwicklung von Kindern
inhaftierter Mütter.
 Situation: kein Experiment: d.h. gegebene Prozesse werden beobachtet, es herrschen keine
geschaffenen Bedingungen vor.
 2 Gruppen:
a) Gruppe 1: Kinder im Säuglingsheim, unter perfekten Hygienebedingungen
b) Gruppe 2: Kinder wachsen bei Müttern in den Zellen auf. Keine optimale Hygienebedingungen.
 Ergebnis der Beobachtung: Die Kinder/Säuglinge, die bei ihren Müttern auf der Zellen blieben,
durchliefen insgesamt eine bessere Entwicklung, z.B. wurden die Kinder weniger krank. Hingegen, die
Kinder, die im Säuglingsheim blieben, wiesen immer wieder schwere Entwicklungsstörungen auf,
wurden öfters krank und die Sterberate war auch höher (gegeben durch die erhöhte Deprivation).
-
4
c) Sensomotorische Deprivation
 A.H. RIESEN: Optische Deprivation von Katzen
Vernähung der Augenlider neugeborener Katzen (zu NS-Zeiten wurde dies auch mit Kindern gemacht)
Öffnung der Lidnaht zu unterschiedlichem Intervall.
Tötung der Tiere und Untersuchung der Gehirne (Sehrinde)
Deprivation (lat. deprimere herabdrücken, niederdrücken; engl. deprivation).
1) Entzug von oder Mangel an Liebe und Zuwendung. Der Begriff wird heute meist anstelle des Begriffs
Hospitalismus verwendet.
2) Mangel an oder Entzug von anregungs- und abwechslungsreichen Umweltreizen. In beiden
Begriffsverwendungen hängen die krank machenden und entwicklungshemmenden Symptome von der
Art und Dauer der Deprivation ab (aus: Schaub & Zenke (Hrsg.)/ Pädagogisches Wörterbuch, S. 134)
17
 Ergebnis der Beobachtung: bleibende strukturelle Veränderungen im Zentralnervensystem durch den
Reizmangel. Bleibende strukturelle Veränderungen erst dann, wenn die Lidnaht zumindest 3 Monate
gedauert hatte. Anmerkung: Ersten 3 Monate: „kritische Periode“ (=> „Gesetz der sensiblen Periode“,
siehe die ersten 3 Schwangerschaftsmonate – wichtige Entwicklungsphase!)
 Das oben angeführte Gesetz, also das biologische Gesetz der „Kritischen Periode“: ist beim Menschen
relativiert zu sehen, nicht allgemeingültig.
 Auch das „Prinzip der Frühförderung“ relativiert sich damit. Auch eine Spätförderung ist möglich.
 „Kritische Perioden“ gelten jeweils für bestimmte Funktionssysteme einer Gattung.
 Man muss die Systeme auch vergleichen, die sich ähnlich entwickeln!
Zusammenfassend: Deprivation in der Entwicklung des Kindes ist als isolierende Bedingung (vgl.
Isolationskonzept nach Jantzen) zu betrachten, die auf allen drei Ebenen Auswirkungen hat-. Die konkreten
Deprivationsfolgen sind von der Art und Weise der Deprivation und den Kompensationsmöglichkeiten, die von
der sozialen Umwelt geprägt werden, abhängig.
2) Die Geschichte der Behindertenpädagogik:
4.2. Zur Geschichte der Behindertenpädagogik (nach Jantzen)
Aufgrund der vorhandenen geschichtlichen Quellen ist anzunehmen, dass behinderte Menschen etwa ab dem 5.
Jahrhundert v. Chr. als soziales Problem in Erscheinung getreten sind. Davor waren ihre Überlebenschancen
aufgrund des niedrigen Niveaus der gesamtgesellschaftlichen Nahrungsmittelproduktion minimal. In den
Skalvenhaltergesellschaften der Antike war Behinderung meist ein Todesurteil (siehe Bestimmungen über
Kindertötung in der römischen Rechtsordnung).
In der Feudalgesellschaft des Mittelalters wurde der Umgang mit behinderten durch die Frage nach der
Wehrfähigkeit einerseits und durch das Gebot der christlichen Nächstenliebe anderseits bestimmt. Etwa ab dem
5. Jahrhundert n. Chr. Ist die Einrichtung von Armenasylen festzustellen. In der Regierungszeit Karl des Großen
sind Ansätze zur Organisation eines „Fürsorgewesens“ festzustellen. Etwa ab dem 14. Jahrhundert entsteht ein
ausgedehnteres System von Armenhäusern („Hospital“).
Im 14. – 16. Jhdt. Ist ein Wandel in der Einstellung der katholischen Kirche festzustellen: Das
Unterdrückungsmittel der Inquisition gewinnt gegenüber dem Gedanken der christlichen Nächstenliebe die
Oberhand; das gilt auch gegenüber behinderten Menschen.
Der Wandel gesellschaftlicher Strukturen im Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus (17. – und 18.
Jahrhundert) reißt viele Menschen aus ihren bisherigen sozialen Zusammenhängen. Nur ein Teil findet in der
entstehenden industriellen Lohnarbeit eine neue Lebensgrundlage. Die übrigen bilden die große Masse der
Armen und Arbeitslosen der damaligen Zeit, die mehr oder weniger freiwillig in den Asylen, Armenhäusern
leben. Die Gruppe sozial Ausgegrenzter gehören auch die Behinderten („arbeitsunfähig“) an. Die französische
Revolution proklamiert die gesellschaftliche Unterstützung arbeitunfähiger Menschen. Die Entstehung der
Pädagogik um 1800 beruht auf dem Interesse der herrschenden Gesellschaftsschichten an der Schaffung einer
minimalen Arbeitsqualifikation, die in Abend- und Morgenschulen – angeschlossen an Industriegebiete –
vermittelt wird. In dieser Zeit ist der Lehrer de facto ein verlängerter Arm des Fabriksbesitzers, bei 12 Stunden
täglicher Arbeitszeit der Kinder werden etwa 12 Unterrichtsstunden pro Woche vermittelt.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beginnt die Entwicklung einer systematischen Behindertenbetreuung
auch für Proletarierkinder (1815: Einrichtung einer Nachhilfeklasse in einer Armenschule durch Lehrer Traugott
Weise in Zeitz; 1830: 48 Taubstummenanstalten mit 820 Kindern in Deutschland).
In Wien um 1900 gibt es – in Abweichung von den Schulgesetzen Maria Theresia’s in der Realität keine
Pflichtschule. Der Schulbesuch von Arbeiterkindern ist auf maximal 2 – 3 Jahre beschränkt, das
Familieneinkommen einer Arbeiterfamilie stammt zu dieser Zeit zu 20% aus Kinderarbeit. In der Phase des
wirtschaftlichen Aufschwunges von 1890 – 1913 werden die Forderungen nach Fürsorgemaßnahmen und
Bildung, die vom liberalen Bürgertum und der erstarkenden Arbeiterbewegung erhoben werden, lauter. Sie
können jedoch an der realen Situation nur wenig verändern.
In der Zeit der Herrschaft des deutschen Faschismus wird auf den Grundlagen der ab 1920 entwickelten
Erblehre und Rassenlehre ab 1939 eine systematische Vernichtung Behinderter durchgeführt, die den
Decknamen „Aktion T4“ trägt (siehe auch Strachota „Heilpädagogik und Medizin“). Diese systematisch
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geplante und durchgeführte Aktion forderte etwa 250 000 Todesopfer. Die Gesamtzahl der Sterilisationen auf
dem Gebiet des Deutschen Reiches (1939 – 45) wird mit 320 000 angenommen. Die Kinder „Euthanasie“ sind
etwa 5 000 Kinder zum Opfer gefallen, wobei die Anstalt am Spiegelgrund (Wien) ab 1940 Vorbildfunktion
hatte. In der Anstalt Hartheim bei Linz (siehe auch Strachota „Heilpädagogik und Medizin“) wurden etwa 20
000 Tötungen vorgenommen, in Mauer-Öhling beträgt die dokumentierte Zahl 1279. Eine große Zahl von
deutschen und österreichischen Ärzten, insbesondere Psychiatern spielten eine entscheidende und aktive Rolle in
dieser Vernichtungsmaschinerie oder beteiligten sich an der theoretischen Begründung der Vernichtungsaktion.
Die meisten dieser Verbrechen blieben ungestraft, viele Berufskarrieren wurden nach 1945 fortgesetzt (z.B. Prof.
Dr. Hans Bertha in Graz, Prim. Dr. Heinrich Groß in Wien, der bereits verstorben ist).
In der Zeit nach 1945 gewinnt der Gedanke der Integration behinderter Menschen im deutschsprachigen Bereich
nur langsam an Boden. Die Entwicklung in den skandinavischen Ländern war wesentlich schneller und
radikaler. Die heutige Situation der Integration behinderter Menschen ist sehr inhomogen (nach Lebensalter,
geographischer Lage).
Der Blick in die Geschichte zeigt, dass die Behindertenbetreuung jeweils in engem Zusammenhang zur
gesamtgesellschaftlichen Situation steht und in hohem Maße Ausdruck der ökonomischen Verhältnisse ist.
3. Liquor und seine Pathologie
Liquor
-
ist lat.: für Flüssigkeit: dieser Liquor ist in Hohlraum (der Subarachnoidealraum) drinnen. „Cerebrospinalis“
=> gehört dem Hirn und dem Rückenmark (ad „medulla spinalis“).
Wird im Ventrikelsystem gebildet – im Plexus (= Venengeflecht) chorioideus (Venengeflecht im
Seitenventrikel) – und aus Blutplasma produziert.
Liquor fließt durch ganzes Ventrikelsystem, um…
…Gehirn und Rückenmark im Subarachnoidealraum zu umspülen. Kommt aus dem Blutplasma und wird
auch wieder zu Blutplasma (-> Rückresorption zum Blutplasma)
Funktionen des Liquors
-
hat mechanische Schutzfunktion
hat Stoffwechselfunktion (der Liquor hat diese Funktion fürs Gehirn)
Wichtige Substanz, die er Gehirn bringt: Abwehrkörper => also immunologische Funktion
Diagnostizierbare Erkrankungen durch Punktion: mit einer Nadel, die innen Hohl ist für die
Gewebsentnahme, geht man durch die Hautoberfläche. Im Liquor diagnostizierbar:
 Stoffwechselveränderungen
 Entzündungen
 Blutungen (z.B. Gefäßzerreißungen)
Ad Liquorpunktion
-
ist ein Verfahren zur Gewinnung des Liquor für Untersuchungen.
a) Lumbalpunktion (in der Lendengegend) = (Neurologisch)
b) Suboccipitalpunktion (neurologisch)
c) Ventrikelpunktion (Neurochirurg macht ein Loch durch den Knochen und holt sich aus dem Ventrikel
direkt die Flüssigkeit).
Ad Lumbalpunktion
Hier gibt’s kein Rückenmark mehr an dieser Stelle. Das Rückenmark endet auf der Höhe der 12. Rippe.
Wirbelsäule…-> im Kreuzbein. Rückenmarkshäute gehen bis zum Kreuzbein: Ist eine Zone, die ziemlich
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ungefährlich ist, weil hier kein Rückenmark mehr ist. Jedoch sind aber hier noch Nervenfasern, die zum Beispiel
bei einer Epidorialanästhesie (bei Kaiserschnitt) betäubt und außer gefecht gesetzt werden.
Nun zurück zur Lumbalpunktion: man fährt nun mit der Nadel an dieser Stelle durch -> nur wenig schmerzhaft,
und hier wird dann der Liquor entnommen ( ist ungefährlich dieser Eingriff).
-
1) Aspekte der Pathologie des Zentralnervensystems (BS 12)
Grundorientierung im Zusammenhang mit Pathologischen Missbildungen 1
In jedem dieser Entwicklungsschritte können Störungen auftreten. Strukturbildung kann beeinträchtigt
werden. Besonders kritisch sind die ersten 3 Schwangerschaftsmonate, weil hier die Strukturbildung erfolgt.
1) Formen der Missbildung des ZNS
 Porencephalie:
 Hier fehlt Hirngewebe => LOCH, hier ist also an einer bestimmten Stelle einfach ein Loch (Bsp.:
„Frontalhirnsyndrom“)
 Anencephalie: oder halbseitige Anencephalie
 Eine halbseitige Anencephalie bedeutet z.B. dass auf einer Seite kein (Groß)-Hirn ist.
 Keine 1:1 Aussage über Funktion/Struktur möglich.
 Umkehrschluss auch nicht zulässig.
 Kompensatorische Funktionsänderungen sind möglich.
 Wenn jemand „so“ zur Welt kommt, hat dieser später kaum Beeinträchtigungen (Epileptische Anfälle
sind möglich. Sprache und Intelligenz entwickeln sich aber völlig normal)
 Eine Pneumencephalographie oder „Luftfüllung“ des Gehirns, ist hier möglich.
 Komplettanencephalie:
 Hier fehlt die komplette Schädeldecke
 Ganz ohne Hirnentwicklung:
 nicht lebensfähig
-
-
-
 Meningoencephalocelen:
Das heißt, dass über dem Kleinhirn kein Schließprozess stattgefunden hat. Es kommt zu einer Auswölbung
(wo „celen“ drin ist), zur Ausbildung eines Sacks, in dem Hirnhäute und Hirn drinnen sind. Die Füllung
kann unterschiedlich sein.
Dieser „Sack“ ist operativ entfernbar. Problem eventuell: Ist das entfernte Nervengewebe da drin funktionell
relevant gewesen oder sind vielleicht gar Nervenbahnen beschädigt worden? Relevant problematisch wird
es, wenn dabei eine Myelocele (mit Rückenmarksgewebe drinnen) oder wenn von den Nervenbahnen etwas
weggeschnitten wurde.
Ad Myelocele und Auswirkungen durch die OP:
 bei Entfernung der Rückenmarkssubstanz: diese hat Steuerung der Ausscheidungsorgane inne. Hier
kann es in weiterer Folge dann zu gehäuften Infektionen der Blase kommen.
 Nervenbahnen (efferent): diese tragen wichtige Impulse. Folgen: Lähmung der unteren Extremitäten.
 Nervenbahnen (afferent): kann in weiterer Folge die Empfindungsfähigkeit, also Empfindungslosigkeit
in einigen Körperteilen darunter führen. (z.B. „Vegetative Phasen“ – Regulation durch die
Durchblutung.-> „Wundliegen“, vgl. mit der Situation bei Querschnittgelähmten Menschen)
Ad: Meningoencephalocelen
 Spina bifida (d.h. das Wirbelbogen/Lenden nicht geschlossen sind, diese Stelle bleibt offen.
 Die „Spina bifida“ ist funktionell belanglos und muss nicht zwangsläufig zu einer Missbildung führen.
Weiters:

„Agyrie“ -> keine Ausbildung von Hirnwindungen

„Mikrogyrie“ -> besonders kleine Hirnwindungen

„Corpus callosum-Agenesie“ = Nicht-Ausbildung. „Corpus-callosum“ = „Balken“ (jene Masse an
den Hirnbahnen, die die Hirne mit den Hemisphären verbinden). Die funktionelle Relevanz hält sich in
Grenzen (z.B. Teilleistungsschwächen möglich). Manchmal fehlt auch ein Teil des „Callosum“.
2) Missbildungen 2: Störungen der Liquorzirkulation (prüfungsrelevant)
Die dünnen Stellen des Ventrikelsystems können leicht verstopft werden, dann kann der Liquor nicht
weiterfließen und wird gestaut. Dadurch wird die Gehirnsubstanz auseinandergedrückt und gegen den
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Schädelknochen gepresst, dieser weitet sich bis zu einem bestimmten Grad aus (Zunahme des Kopfumfanges =
„Wasserkopf“, Hydrocephalos Internus). Ab dem Zeitpunkt, wo der Knochen nicht mehr nachgibt, entsteht ein
doppelseitiger Druck auf die Hirnsubstanz, die als Folge darauf abgebaut wird.
Shunt-Operation:
Einleitend: Bei einem Baby befindet sich zwischen den Knochen noch Bindegewebe (bis
etwa zum 1. Lebensjahr). Bei einem Wasserkopf nun weitet sich die Hirnsubstanz aus und kann nicht
„eingeengt“ werden.
Bei Feststellung eines Wasserkopfes: „Shunt-Operation“:
 Hier wird ein künstlicher Umweg angelegt mit einem Röhrchen im Ventrikelsystem.
 Diese werden mit einem Schlauchsystem (Anm.: der Schlauch ist etwa einen „halben-kleinen-Fingerdick“. Der Schlauch, der unter der Haut befindlich ist, wächst auch nicht mit) verbunden.
 Schlauchsystem: hat ein Ventil -> für Steuerprozess: Ventil öffnet sich bei Druck durch den Liquor. Der
Liquor wird dann ins Herz oder in die Bauchhöhle abgeleitet -> Resorption.
 Bei rechtzeitigem Eingriff durch diese Operation => völlig normale Entwicklung möglich.
Entzündungen


 Meningoencephalitis: Hirnhäute und Hirnsubstanz sind entzündet.
Meningitis = Entzündung der Meningen
Encephalitis = nur die Gehirnsubstanz ist entzündet.
 Encephalomyelitis: hier ist auch das Rückenmark entzündet.
 Meningitis: hier sind nur die Gehirnhäute entzündet
Läsionen (= Zerstörungen)
 Gemeint ist hier, dass das Hirngewebe zerstört wird. Hierfür gibt es verschiedene Ursachen und
Zeitpunkte: Pränatal (vor der Geburt durch Trauma, Entzündungen, Vergiftungen oder
Sauerstoffmangel) – perinatal (Zeit um die Geburt durch Geburtstrauma oder eine zu stressige und
zu lange Geburt -> Sauerstoffmangel -> Hirnschäden) oder postnatal (nach der Geburt durch
Medikamente, Unfall oder Erstickungsunfälle)
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