Gliederung 1. Einleitung 2. Wissen über Prävalenz und Verteilung von Eigenschaften in der Population 2.1. Falscher Konsensus 2.2. Pluralistische Ignoranz 2.3. Falscher Konsensus vs. pluralistische Ignoranz 2.4. Wissen über soziale Verteilungen 3. Wissen über die Konsistenz von Persönlichkeitsmerkmalen 3.1. Die tatsächliche Konsistenz von Traits 3.2. Ansichten über die Konsistenz von Traits 4. Literatur 1. Einleitung Soziales Verhalten basiert zu einem Teil auf unseren Ansichten über andere Personen. Je nachdem wovon wir ausgehen, was andere Personen denken und wie sie möglicherweise reagieren werden bestimmt auch unser eigenes Denken und Verhalten und die Qualität unser Entscheidungen, sowie die Effektivität unserer interpersonalen Strategien. Denn unsere Ansichten über soziales Wissen nutzen wir für die Steuerung für unser eigenes Verhalten. Aber wie genau sind wir wirklich bei solchen Vorhersagen oder Abschätzungen aufgrund von vergangenen Erfahrungen? Was wissen wir über die Prävalenz und Verteilungen von Eigenschaften innerhalb einer Bevölkerungsgruppe und über die Konsistenz von Persönlichkeitsmerkmalen? Und welchen grundlegenden Bias unterliegen wir dabei? 2.1. Falscher Konsensus Bei einer Studie von Ross, Green und House (zitiert nach Kunda, 1999), in dem es darum ging auf freiwilliger Basis eine Reklametafel am Körper zu tragen, konnte beobachtet werden, dass – obwohl ungefähr die Hälfe der Probanden ablehnten und die andere Hälfte zustimmten – die Zustimmer davon ausgingen, dass 63% der Befragten es ebenfalls tun würden, wohingegen die Ablehner der Ansicht waren, dass dies nur für 23% der anderen Versuchspersonen zutreffen würde. Hier zeigt sich ein Bias, den man den falschen Konsensus nennt, der beinhaltet, dass Personen eigene Ansichten, Entscheidungen und Eigenschaften auf andere Personen übertragen, so dass der eigene Standpunkt beziehungsweise Reaktion als relativ üblich oder andere Reaktionen und Ansätze als relativ unüblicher (Kunda, 1999). Beim falschen Konsensus handelt sich um einen relativen Effekt. Die Meinung der anderen wird nur hinsichtlich der eigenen Meinung verzerrt, ohne automatisch davon auszugehen, dass die eigene Meinung der Mehrheit entspricht. Er kann sogar existieren, wenn das Verhältnis der eigenen Ansicht, relativ zum tatsächlichen Verhältnis, unterschätzt: Wichtig ist hier der Bezug zur OutGroup. Der falsche Konsensus Effekt wird also definiert als Unterschied der Schätzungen zwischen Personengruppen mit unterschiedlichen Ansichten oder auch als positive Korrelation zwischen der Meinung einer Person und der Schätzung Anderer (Kunda, 1999). Der falsche Konsensus wird dabei von anderen Faktoren beeinflusst, oft unbewusst. So zum Beispiel von der Verfügbarkeitsheuristik. Denn obwohl unsere Einschätzungen in erster Linie auf uns selbst basieren und damit einer Verzerrung hinsichtlich der eigenen Meinung entsteht, so wird dennoch das beobachtete Antwortverhalten anderer Menschen in unsere Schätzung mit einbezogen. Jedoch sind die uns verfügbaren Beispiele dabei meist Menschen unserer Umgebung, die mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ähnliche Ansichten haben und somit zu einer Überschätzung unserer Meinung beitragen, da unser Umfeld häufig keiner repräsentativen Stichprobe entspricht. Ein anderer Einfluss stellt die Motivation dar. Die Motivation dem Falschen Konsensus zu unterliegen sollte besonders stark nach Misserfolgserlebnissen sein, wenn wir davon ausgehen, dass die Motivation dahintersteht sich besser mit den eigenen Ansichten und Reaktionen zu fühlen, wenn wir sie mit anderen teilen. Dies konnte auch von Sherman, Presson und Chassin (zitiert nach Kunda, 1999) nachgewiesen werden. Einen Einfluss hat auch die Theorie der Ursache, der wir unserer Entscheidung zuschreiben. Bei einer externalen Ursachenzuschreibung gehen wir davon aus, dass mehr Personen davon betroffen sind. Sprich, glauben wir die Entscheidung beruht auf den Charakteristiken der Wahlmöglichkeiten, dann wird der falsch Konsunus größer gegenüber einer Zuschreibung auf Personencharakteristiken. Auch die Konstruierung der Frage kann das Antwortverhalten beeinflussen, da gestellte Fragen oft in idiosynkratischer Weise interpretiert werden. Je offener Fragen oder Kategorien gehalten werden, desto mehr Spielraum hat eine Person für eigenen Konstrukte, was den falschen Konsensus erhöhen sollte gegenüber einer Fragestellung mit spezifischeren Beispielen und weniger gedanklichem Spielraum. Für diese Annahme muss allerdings noch mehr Evidenz gefunden werden (Kunda, 1999). 2.2. Pluralistische Ignoranz Bei der pluralistischen Ignoranz handelt es sich um eine private Ablehnung einer Gruppennorm von einem Großteil, wobei jedoch von jedem angenommen wird, dass die anderen jene akzeptieren. Dabei zeigen alle beteiligten ein vergleichbaren Verhalten, allerdings wird das eigene Verhalten dabei anderen Ursachen zugeschrieben als das Verhalten der anderen. Gründe dafür können sein, dass wir uns eigenen Ängste und Unsicherheiten sehr bewusst sind, jedoch wenig Anzeichen für Angst oder Unsicherheit bei anderen wahrnehmen oder, wenn doch, diese als Motivation für verhalten unterschätzt wird. Pluralistische Ignoranz tritt also vor allem in solchen Situationen auf, in denen alle bemüht sind ein inneres Unbehagen zu verstecken und privat zu halten. Unter anderen betroffen davon ist die Hilfeleistung, die besonders in gefährlichen Situationen sinkt mit der Anwesenheit anderer. Wenn umstehende Personen nach außen hin ruhig wirken, lässt es das Individuum davon ausgehen, dass mach sich nicht sorgen bräuchte oder zumindest sollte. Die Meinung anderer wird entweder als Realität angenommen, oder man vermeidet es selbst hervorzustechen. Dabei ist die pluralistische Ignoranz unabhängig von de Verhältnis der Personen zueinander (Kunda, 1999). Die pluralistische Ignoranz kann so bis hin zur Anpassung an Normen führen, die vom größten Teil zunächst abgelehnt wird. So entsteht einer Lücke zwischen den eigenen Gefühlen, die unwissentlich von der Mehrheit geteilt wird, und den Ansichten über die Wahrnehmung von anderen. Als logische Konsequenz steht entweder die Anpassung an die Norm oder das Gefühl des Außgegrenztseins. Eine Studie von Prentice und Miller (zitiert nach Kunda, 1999), die das Trinkverhalten und die Trinknorm in Princeton untersuchten, zeigte, dass Männer gegenüber Frauen die Trinknorm eher internalisieren, wohingegen Frauen sich eher als Außenseiter wahrnahmen und sich somit weniger verbunden mit ihrer Universität fühlten. Bei einer möglichen Intervention, wobei eine Gruppe von Studenten über pluralistische Ignoranz und die andere Gruppe über verantwortungsvolles Trinken aufgeklärt wurde, zeigte sich ein vermindertes Trinkverhalten nur in der ersten Gruppe. Bei entgegenwirken der pluralistischen Ignoranz scheint es also vor allem von Bedeutung zu sein, zunächst den wahrgenommenen sozialen Druck zu senken (Kunda, 1999). 2.3. Falscher Konsensus vs. pluralistische Ignoranz Zunächst scheinen die Effekte des falschen Konsensus, Meinungen anderer zu unterschätzen, und der pluralistischen Ignoranz, Meinungen anderer zu unterschätzen, einander auszuschließen, tatsächlich können sie jedoch auch gleichzeitig existieren. Dies ist möglich, da es sich beim falschen Konsensus um einen relativen, bei der pluralistischen Ignoranz jedoch um einen absoluten Effekt handelt. Auch wenn man im Vergleich zu jemandem aus der Out-Group die Anzahl der Vertreter der eigenen Meinung überschätzt, so kann man die tatsächliche Anzahl der Personen, die die gleiche Meinung vertreten, noch unterschätzen. Faktoren, die dabei die pluralistische Igrnoranz begünstigen, minimieren jedoch eventuell den Effekt des falschen Konsensus. Begründbar ist das dadurch, dass pluralistische Ignoranz auf die Wahrnehmung eigener Schwäche zurückzuführen ist, wohingegen der falsche Konsensus bei einer Attribution auf persönliche Charakteristiken geringer ausfällt, als bei einer Zuschreibung auf externale Ursachen (Kunda, 1999). 2.4. Wissen über soziale Verteilungen Verzerrungstendenzen wie der falsche Konsensus und pluralistische Ignoranz liegen zwar vor, sagen aber nichts über unsere generelle Fähigkeit aus andere einzuschätzen. Dabei interessieren sowohl das wahrgenommene Durchschnittsverhalten, als auch die subjektiv wahrgenommene Verteilung von Merkmalen und Eigenschaften. Eine Befragung von Nisbett und Kunda (zitiert nach Kunda, 1999) von Studenten zu weitreichendem Verhalten und Meinungen ihrer Mitstudenten soll Aufschluss geben. Die Probanden sollten sowohl die Verteilung der Meinung von 100 Kommilitonen auf einer Skala angeben, als auch ihre eigenen. Abgesehen von den systematischen Verzerrungen ergaben sich gute Schätzungen des Durchschnitts und der Verteilung (.42 - .73 für verschiedene Items). Systematische Verzerrungen waren hier, wie schon angenommen, der falsche Konsensus, der durch eine positive Korrelation der eigenen Meinung mit der der geschätzten Durchschnittsmeinung ermittelt werden konnte, sowie eine Überschätzung der Verteilung, was damit erklärt werden könnte, dass extreme Beispiele, also Abweichler, besser im Gedächtnis bleiben. Trotz einem Vorliegen solcher Bias, scheint es also nicht so zu sein, dass wir vollkommen blind gegenüber unserer sozialen Realität sind. Allerdings konnten Judd, Ryan und Park (zitiert nach Kunda, 1999) auch zeigen, dass man eine vertraute Gruppe an Menschen, wie beispielsweise den eigenen Studiengang, besser einschätzen kann als eine fremde Out-Group. Bei weniger vertrauten anderen, scheinen vor allem mehr auf Stereotype zurückzugreifen. 3. Wissen über die Konsistenz von Persönlichkeitsmerkmalen Vor allem Mitglieder westlicher Kulturen vertrauen stark auf die Beschreibung von Personen und sich selbst durch Persönlichkeitsmerkmale. Auch bei der Erklärung für Verhalten wird oft auf diese Persönlichkeitsmerkmale (Traits) zurückgegriffen. Dabei erwarten wir temporale Stabilität, sprich selbes Verhalten in gleichen Situationen über die Zeit, sowie Konsistenz über Situationen hinweg, sodass das verhalten auch auf andere Situationen übertragbar ist. Ohne diese zeitliche und situationsübergreifende Konsistenz verlieren Traits ihre Bedeutung, weil sie andernfalls keine Schlussfolgerungen von aktuellem auf zukünftiges Verhalten zulassen (Kunda, 1999). 3.1. Die tatsächliche Konsistenz von Traits Vielfältige Untersuchungen konnten zeigen, dass die zeitliche Konsistenz durchaus hoch, die situationsübergreifende jedoch sehr gering ist. Hartshorne und May (zitiert nach Kunda, 1999) fanden beispielsweise eine zeitliche Konsistenz von .70, jedoch eine situationsübergreifende von nur .23 für Kinder und Ehrlichkeit, noch geringer fallen die Ergebnisse aus, wenn sie nicht über Situationen aggregiert wurden. Es kommt also sehr auf die spezifischen Gegebenheiten der Situation an. Allerdings konnte eine Untersuchung von Newcomb (zitiert nach Kunda, 1999) bereits zeigen, dass konzeptuell verwandtes Verhalten höher bewertet wenn, wenn Aufsichtspersonen in einem Ferienlager darauf hingewiesen wurden (am Ende des Ferienlagers, .49), als bei einer täglichen Einschätzung des selben Verhaltens (.14). Durch Aggregation können zwar Durchschnittswerte ermittelt werden, die Aufschluss darüber geben können, wie eine Person im Durchschnitt in anderen Situationen reagiert, oder mit den Durchschnittswerten anderer Personen in dieser Eigenschaft verglichen werden können, aber situationspezifisches Verhalten bleibt dadurch dennoch unvorhersagbar. Es ist uns von dieser Grundlage her also nicht möglich das Verhalten von selbst vertrauten Personen in vollkommen neuartigen Situationen vorhersagen zu können, dabei ist die Vorhersage um so schlechter, umso kürzer der Eindruck vorher war. Auf der anderen Seite zeigten Ambady und Rosenthal (zitiert nach Kunda, 1999), dass Personen nach nur 30 Sekunden einen Nachhilfestudent einschätzen können und weisen eine erstaunlich hohe Korrelation (.76) zu der Langzeiteinschätzung seiner Klasse auf. Selbst kurze nonverbale Hinweisreize scheinen bei solchen Experimenten schon ausreichend zu sein, um sich einen guten und relativ genauen Eindruck der einzuschätzenden Person zu machen. Allerdings wird in der Regel auch hier über die Beurteiler hinweg aggregiert. Tatsächlich stärkt eine Aggregation über die Beurteiler die Korrelation mehr, als eine Aggregation über Situationen, was uns einen Hinweis auf die idosynkratischen Bias jedes Individuums hinweist. Die Einschätzung eines einzelnen Beurteilers wäre bei weitem geringer und nicht sehr genau. Aber auch hier ist keine Übertragung auf andere Situationen nicht möglich. 3.2. Ansichten über die Konsistenz von Traits Trotz dieser geradezu erdrückenden Beweislage haben wir ein großes Vertrauen in unsere Fähigkeiten andere vor allem hinsichtlich ihrer Persönlichkeitseigenschaften einzuschätzen. Dabei begehen wir den fundamentalen Attributionsfehler, indem wir Dispositionen überschätzen und die Bedingungen einer Situation, die das Verhalten modulieren, unterschätzen. Im Quiz Game Experiment von Ross, Amabile und Steinmetz (zitiert nach Kunda, 1999) stufen die Teilnehmer den Fragesteller als „wissensstärker“ ein, obwohl eine randomisierte Zuordnung erfolgte und der Fragesteller selbst es nicht so sah. Man spricht auch von Korrespondenzverzerrung, wobei angenommen wird, dass zugrundeliegende Dispositionen mit dem Verhalten korrespondiert. Sodass man beispielsweise der Auffassung ist, dass ein Pro-Castro Aufsatz auch von einem Castro Befürworter verfasst wurde. So unterschätzen wir fast chronisch den Druck von Situationen, Mitmenschen, Rollen etc., denn selbst wenn wir um diese Aspekte wissen, wird nur selten der erste Eindruck einer Person in einer Situation von diesen Faktoren gesteuert. Wir „springen“ sozusagen zu Schlussfolgerungen über die Traits einer Person und korrigieren sie dann eventuell unter Berücksichtigung der Situation, wobei eine solche Korrektur eine kognitive Anstrengung erfordert, die nicht immer aufgebracht werden kann, wenn die mentale Kapazität gebraucht, oder nicht aufgebracht werden will (Kunda, 1999). 4. Literatur Kunda, Z. (1999). Socialcognition: Makingsenseof people. Cambridge, Mass.: MIT Press.