Die Deutsche Fernsehmarke Weltklasse, die aus Deutschland kommt PREIS SCHWEIZ 7.30 CHF ZT GM8EX+ + +YU DIEZEIT Die Deutsche Fernsehmarke www.techniplus.de WOCHENZEITUNG FÜR POLITIK WIRTSCHAFT WISSEN UND KULTUR 5. JUNI 2014 No 24 ZT MQDTV- - -UV Titelbild [M]: »Maria« von Maike Brautmeier/www.maike-brautmeier.com, Postproduction: Eugen Litwinow/ www.eugenlitwinow.de N EU E R IT UA L E Suche Segen ohne Gott Neuer Skandal bei Neuland Der Schwindel geht weiter: Gequälte Tiere, betrogene Kunden Wirtschaft, Seite 22 Immer mehr Menschen feiern Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse jenseits der Kirche. Manchmal helfen sogar Pfarrer mit Schweiz GLAUBEN & ZWEIFELN, SEITE 62 CAMERON GEGEN JUNCKER STREIT UM DIE GELDPOLITIK Schön gestört Billig wird teuer Die Briten verstehen es, sich in Europa unbeliebt zu machen. Genau deshalb müssen sie in der EU bleiben VON JOCHEN BITTNER G roßbritannien zieht wieder einmal den Zorn des Kontinents auf sich, und diesmal ist es ernst, denn es geht nicht ums Geld, sondern ums demokratische Prinzip. Premier David Ca­me­ ron lehnt Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsidenten ab, den Mann, der als Sieger aus der Europawahl hervorgegangen ist. »Es kann ja wohl nicht sein«, raunt SPD-Chef Sigmar Gabriel über den britischen Premier, »dass ausgerechnet einer, der Europa schwächen will, darüber entscheidet, wer Europa stärken soll.« Andere formulieren die Ausladung lässiger. Der CDU-Außenpolitiker Hans-Peter Uhl etwa ruft den Briten zu, wenn sie aus der EU austreten wollten: »Bitte sehr!« Man fragt sich, ob diesen Politikern klar ist, was sie da in großer Leichtfertigkeit herbeireden. Was sie nicht verstehen: Nur wer an einem System zweifelt, kann es stärken – Konformisten entlarven keine Schwächen. Natürlich nervt das bisweilen. Aber was würde aus der Europäischen Union, ganz nüchtern gedacht, ohne dieses kritische Korrektiv – ohne das britische Prinzip? Die CDU wusste, warum sie ihren Spitzenkandidaten nicht plakatierte Es stimmt schon, Camerons Widerstand gegen Juncker ist einigermaßen dreist. Das Versprechen vor der Europawahl lautete schließlich, dass deren Gewinner Chef der Brüsseler Gemeinschaftsbehörde wird. Dieses prinzipielle Argument muss respektiert werden. Mit ihm enden allerdings auch schon die Gründe, die für Juncker sprechen. Die CDU wusste, warum sie »ihren« Spitzenkandidaten nirgends plakatierte – im Unterschied zu Cameron spricht sie das Offenkundige bloß bis heute nicht aus: Wenn Europa eines nicht mehr braucht, dann sind es die Verfechter einer ever closer union, die sich gegenseitig mit Karlspreisen behängenden Integrationisten. Es ist genau dieser Typus, den Juncker verkörpert. Der Fehler dieser Europawahl war, wie so oft in der EU, dass niemand früh genug – also bei der Kandidatenauswahl – genug Querdenkerei aufbrachte und Nein rief. Auf diesen Mangel hinzuweisen, besitzt David Cameron also jetzt die Frechheit. Zu spät, zugegeben. Nur, wie kann man daraus die Forderung ableiten, Europa solle auf solche Gegenstimmen in Zukunft ganz verzichten? An der britischen Mitgliedschaft hängt eine entscheidende Qualität der EU: das Ausmaß ihrer inneren Liberalität, ihrer Fähigkeit, sich ständig mit Widerstand auseinanderzusetzen, um daran zu wachsen. Ja, die Briten haben Europas Familiengefühl gestört, immer wieder. Sie waren eben noch nie große Freunde von Prinzipien, eher von Pragmatismus und von Trial and Error. Empirie und Evidenz versprachen im Mutterland von Industrialisierung und Empire von jeher mehr Gewinn als Ideologie. Anders als die leicht innerlichen Deutschen glauben diese spleenigen Inselbewohner, überspitzt gesagt, tatsächlich, dass das Leben den Menschen belehrt, nicht umgekehrt. Großbritannien ist das Land in Europa, das am frühes­ ten modern geworden ist, und bis vor hundert Jahren herrschte es über das größte Handels­ imperium der Erde. So etwas wirkt nach. Wenn die EU auch dazu dient, Europa gegen aufstrebende Mächte wie China oder Brasilien zu­ stärken, dann wäre ein britischer Ausstieg ein historischer Schlag. Die EU verlöre nicht ein Achtundzwanzigstel, sondern ein Viertel ihrer Stärke: Europas größten Bankenplatz, seine größte Soft Power, sein schlagkräftigstes Militär und sein diplomatisches Powerhouse. Kein Land bekäme die Wucht dieser Veränderung stärker zu spüren als Deutschland. Hätte die Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten in Großbritannien nicht immer wieder einen liberalen Verbündeten gefunden, wäre die gesamte EU heute protektionistischer, noch­ reglementierter, um nicht zu sagen: deutlich französischer geprägt. In einer EU ohne Großbritannien würde sich die politische Gravitation merklich nach Süden verschieben. Angela Merkel blieben als wirtschaftspolitische Partner dann im Wesentlichen die skandinavischen Staaten – Sympathieträger zwar, aber alles andere als Schwergewichte. Natürlich kann man der Ansicht sein, dass Kontinentaleuropa auch in Zukunft von Großbritannien nicht das Geringste wird lernen können. Mit einer solchen Biedermeier-Union­ werden allerdings immer weniger derjenigen Europäer glücklich sein, die Skepsis und fruchtbaren Streit als Tugenden begreifen. Eine EU ohne UK wäre ein Schneckenhaus, weniger flexibel und weltoffen, gebaut für den Rückzug statt für den Aufbruch. Die chinesische Regierung würde das ebenso freuen wie die im Kreml. Beide warten täglich auf neue Beweise, dass die westliche Demokratie letztlich konkurrenzunfähig ist. Feiern würden den Tag des »Brexit«, des britischen Exit, auch die Rechtspopulisten auf dem Kontinent, weil ihnen damit endlich das Präzedens für eine »Befreiung« von Brüssel geliefert wäre. Um den Fortschritt in der Demokratisierung der EU nicht aufzuhalten, wird David Cameron den Alt-Europäer Juncker schlucken müssen. Gleich nach dessen Kür aber sollten die EUChefs ein Signal für ein neues Europa setzen. Ein Brüsseler Gipfel, der sich ausschließlich mit Camerons Reformideen für die EU befasst, wäre als Korrektur ein guter Start. Viele teilen ja seine Vorschläge: mehr Konzentration auf die großen Aufgaben, mehr Subsidiarität und mehr Flexibilität. Es könnte die letzte Gelegenheit sein, die Briten in der Union zu halten. Die meisten von ihnen wollen das noch immer. Sie finden, dass sie keine Europaskeptiker sind, sondern Europäer, weil sie skeptisch sind. www.zeit.de/audio Elf Thesen zum Schweizer Fußball Und jede Woche zwei Seiten zur WM in Brasilien Seite 10 und 18/19 Flüstern im Wald Kein Witz! Bäume reden übers Wetter, Forscher hören zu EZB-Chef Draghi will mit neuen Zinssenkungen die Wirtschaft ankurbeln. Welchen Preis zahlen wir dafür? VON UWE JEAN HEUSER M anchmal geschieht Geschichte im Zeitraffer – so wie in Europa, das sich in diesen Tagen neu ordnet. In Brüssel wird nach der Europawahl offen um die Frage gerungen, woran die Demokratie mehr hängt: am alten Kandidaten oder an einer neuen Politik. Weniger öffentlich geht es in Frankfurt zu, wo die Europäische Zentralbank die Frage beantworten muss, ob sie mit mehr billigem Geld veränderungsmüden Ländern wie Frankreich hilft – oder ob sie ganz Europa in die Reformpflicht nimmt, indem sie selbst alles beim Alten lässt. Selten war das Handeln der auf unabhängiges Expertentum ausgerichteten EZB politisch so aufgeladen. Egal was ihr Präsident Mario Draghi macht, in dieser Woche ändert sich auch das Verhältnis zwischen Europa und seiner Zentralbank. Erinnern wir uns: Es war Draghi selbst, der die Krisenstaaten ermahnte, Reformen für mehr Wachstum voranzutreiben. Die Zentralbank sollte ihnen nur Zeit kaufen, sollte Hilfe zur Selbsthilfe geben. Agenda 2010 gegen billiges Geld, das war der Deal. Und genau der soll gebrochen werden. Italien und Frankreich fordern ein Ende des Sparkurses, und Italien will davon sogar seine Unterstützung für den nächsten Brüsseler Kommissionspräsidenten abhängig machen. Die Forderung ist alt, der Ton aber neu. Geht es, wie es immer in der EU geht, dann wird es einen Kompromiss geben, und das heißt auch, Draghis Deal würde kompromittiert. Warum sollte die Zentralbank ausgerechnet jetzt das Geld noch billiger machen? In Brüssel und Frankfurt geht es um dieselbe Frage: Reicht mehr vom Alten? Weil die Preise in Europa zuletzt kaum gestiegen sind und deshalb De­fla­tion drohe, sagen die Befürworter. Das klingt schlimm, doch spricht bei näherem Hinsehen wenig für eine Spirale aus sinkenden Preisen und schrumpfender Wirtschaft. Gefallen sind nämlich vor allem die Energiepreise, die so veränderlich sind wie das Wetter und schnell wieder steigen können. Ein anderer Preisrückgang ist hingegen gewollt. So sollten die Krisenländer von Griechenland bis Portugal ja gerade ihre Arbeitskosten senken, damit ihre kranke Wirtschaft gesundet. Wenn sie dabei nun vorankommen, ist das eher der Vorbote eines Auf- als eines Abschwungs. Anders gefragt: Ist die Geldpolitik an dem Punkt angelangt, an dem mehr vom Alten schädlich wird? Immer weiter hat die Europäische Zentralbank die Geldtore schon geöffnet und es Europa auf diese Weise ermöglicht, das Chaos der Krise zu überstehen. Nun soll ein Zins für Banken sogar negativ werden. Geld zu halten stünde dann erstmals in der Geschichte des Euro unter Strafe. An diesem Donnerstag entscheidet die EZB, was genau sie unternimmt. Viel spricht dafür, dass es des Guten zu viel sein wird. Oft wirkt es so, als sei Geldpolitik ein reines Rechenexempel: Zins runter, Kredite rauf, Wirtschaft gerettet. In Wahrheit geht es vor allem um Psychologie. Alles hängt davon ab, was die Banker und die Bürger von der Zukunft erwarten und wie sie deshalb auf Draghis Si­gna­le reagieren. Genau an der Stelle habe sich etwas verändert, schreibt der ehemalige EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark: »Der Zins hat bereits seine Si­gnalund Steue­rungs­funk­tion verloren.« Ganze 0,25 Prozent betrug er zuletzt, also praktisch null. Ihn weiter zu senken würde die Wirtschaft kaum noch beflügeln. Dagegen nähme eine weitere Zinssenkung den Sparern alle Hoffnung, dass sie nicht weiter für die Krise bezahlen müssen. Weil es so gut wie keine Zinsen gibt, werden viele Ersparnisse Jahr um Jahr weniger wert. Das Konto ist eine Zinswüste, und der Garantiezins der Lebensversicherungen soll auch sinken. Alles schlecht, es sei denn, man hält Aktien. Kaum hatte Mario Draghi angedeutet, dass er Geld billiger machen will, da schossen die Kurse in die Höhe. Der Zentralbankchef als Held der Börsianer – das kennt man aus den Zeiten ­Alan Green­spans in Amerika, der mit billigem Geld die Fantasien beflügelte, bis die Blase platzte und die große Krise begann. Noch ist Draghi kein Green­span. Er hat dafür gesorgt, dass die Krisenstaaten wieder Kredite erhalten und das große Zittern vorbei ist. Und die von seinen Kritikern erwartete In­fla­tion ist nicht gekommen. Vertan hat er sich aber, als er annahm, die Banken in den Krisenländern würden das billige Geld an die mittelständische Wirtschaft verleihen. Stattdessen haben sie es bei der EZB gehortet. Genau das will Draghi ihnen wohl mit einem Strafzins verleiden. Gleichzeitig überlegt er, ihnen neues Billiggeld mit der Auflage zu leihen, es als Kredit zu vergeben. Kommt es so, verstrickt sich die EZB in gezielte wirtschaftspolitische Maßnahmen für den Süden Europas, wie sie eigentlich Sache der Staaten sind. Und was geschieht, wenn die Banken erfolgreich zur Vergabe neuer Kredite genötigt werden – und diese mangels unternehmerischer Investitionen nur Finanzanlagen aufpumpen und dadurch Blasen erzeugen? Dann könnte Draghi doch noch zum Green­span werden. »Bei Bienen kann man nie wissen«, sagt Pu der Bär. Bei der Geldpolitik auch nicht. Doch die Zinsschraube ist ausgeleiert, noch mehr Geld auszuschütten ist gefährlich, und die EZB hat selbst gerade erst vor Instabilität an den Finanzmärkten gewarnt. Kann es nicht sein, dass Mario Draghi zunächst seine Schuldigkeit getan hat und jetzt die Staaten in der Reformpflicht sind? In Brüssel wie in Frankfurt geht es eben um dieselbe Frage: Reicht wirklich mehr vom Alten, um Europa zu erneuern? www.zeit.de/audio Wissen, Seite 33 PROMINENT IGNORIERT Glück mit Platt Ab August lernen die Kinder an 27 Schulen in Schleswig-Holstein Plattdeutsch. Wenn sie es können und Glück haben, angeln sie – wie im Märchen der Grimms – einen Butt, und der sagt: »Laat my lewen, ik bün keen rechten Butt, ik bün’n verwünschten Prins.« Das Kind antwortet: »Du bruukst nich so veel Wöörd to maken, eenen Butt, de spreken kann, hadd ik doch wol swemmen laten.« Dann hat das Kind alle Wünsche frei. GRN. Kleine Fotos (v.o.n.u.): Andreas Isenegger/ imagebroker/action press; Team2 Sportphoto; Getty Images ZEIT ONLINE GmbH: www.zeit.de; ZEIT-Stellenmarkt: www.jobs.zeit.de Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. 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