„Wir sind ein halsstarriges Volk“ Predigt über 2.Mose 34, 4-10 Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir an die Zehn Gebote denken, dann haben wir fast automatisch zwei Steintafeln vor Augen, mit denen Mose vom Berg zurückkehrte: die Gesetzestafeln vom Sinai. Eine faszinierende Vorstellung, dass Gott selbst diese Gebote dort aufgeschrieben hat, eingemeißelt in Stein für alle Zeit. Entsprechend heilig waren diese Tafeln dann auch, so heilig, dass man eigens eine Holztruhe für sie anfertigte, die sogenannte Bundeslade, die Israel dann auf seiner Wanderung ins Gelobte Land mit sich trug und die später in Salomos Tempel im Allerheiligsten stand. Noch später ist diese Bundeslade dann verschwunden, wahrscheinlich ist sie zerstört worden, als Nebukadnezar Jerusalem eroberte. Und damit sind auch die Tafeln mit den Zehn Geboten verschwunden. So heißt es. Das ist nun der Stoff für Abenteuerfilme, in denen die Bundeslade dann doch noch wiederentdeckt wird samt Inhalt; ein aufregender Gedanke, aber historisch gesehen muss man einige Abstriche machen. Zunächst mal wird ja schon in unserem Predigttext deutlich, dass es sowieso nicht mehr die Originaltafeln waren, die in der Bundeslade lagen; die hatte Mose ja schon zerbrochen aus lauter Wut über das Goldene Kalb, das das Volk sich in seiner Abwesenheit gemacht hatte. Die Tafeln, die in unserem Text auftauchen, sind sozusagen die zweite Auflage der Gesetzestafeln, die Mose nun selbst zurechthauen muss – möglicherweise als Strafe für seinen Jähzorn – und mit denen er noch einmal auf den Berg Sinai steigt, um die Gebote neu zu empfangen. Und wenn man genau hinschaut, dann sind das gar nicht die Zehn Gebote, wie wir sie kennen, die Mose diesmal empfängt und aufschreibt, sondern ganz andere, die mehr von Feiertagen und Opferhandlungen handeln. Also: die Zehn Gebote haben nie in der Bundeslade gelegen. Jedenfalls, wenn man sich an die Bibel hält. Aber vielleicht ist das ja typisch dafür, dass wir gern das hören und glauben, was wir gern hören wollen. „Sie sind ein halsstarriges Volk,“ hat Mose über die Israeliten gesagt, und das gilt wohl auch für uns. Auch wir machen uns gern ein Goldenes Kalb. Wir machen uns unser eigenes Bild von Gott, und wir benutzen nur zu gern die Bibel als Steinbruch für unsere eigenen Gedanken und für feierliche Worte, aber den Großteil dessen, was dort gesagt wird, nehmen wir nicht zur Kenntnis, blenden wir aus. Und das tun wir nicht nur privat, das ist auch eine gute kirchliche Tradition. Auch die Kirche selbst, auch wir Pfarrer heben gern die Themen der Bibel hervor, die dem Zeitgeist entsprechen; was nicht im Trend liegt, wird gern verschwiegen. Und das lässt sich gut an unserem heutigen Text festmachen, genauer gesagt an seiner Abgrenzung, die man für diesen Sonntag vorgenommen hat. Da wird berichtet, wie Mose auf den Berg steigt und wie Gott ihm erscheint, aber was Gott sagt, das wird nicht mehr erwähnt. Die Gebote selbst, die auf die Tafeln geschrieben werden sollen, kommen nicht vor. Und das ist kein Zufall, denn sie passen einfach nicht in unsere Zeit. Denn sie handeln von Abgrenzung; Abgrenzung gegen das Land Kanaan und seine Götter; Abgrenzung gegen die Menschen, die dort wohnen. „Hüte dich, einen Bund zu schließen mit den Bewohnern des Landes,“ heißt es da, „damit ihre Söhne deine Töchter nicht zu Frauen nehmen und diese dann ihren Göttern nachlaufen und machen, dass auch deine Söhne ihren Göttern nachlaufen.“ Stattdessen sollst du „ihre Altäre umstürzen und ihre Steinmale zerbrechen, denn du sollst keinen anderen Gott anbeten.“ Abgrenzung in einer Zeit, in der es doch um Integration geht! Man meint ja fast, einen muslimischen Hassprediger zu hören, der seinen Glaubensgenossen rät, sich bloß nicht auf die ungläubigen Deutschen und ihre Kultur einzulassen. Das kann man natürlich nicht laut sagen. Aber wenn man ehrlich ist und sich wirklich mal einlässt auf das Alte Testament, dann stellt man fest: diese Ermahnung, sich abzugrenzen von den Anderen, von den Heiden, den eigenen Gott, die eigene Tradition zu bewahren, findet sich durchgängig. Und wenn man dann noch weiterdenkt, muss man zugeben: es ist auch gut so. Ohne diese Abgrenzung hätte sich diese besondere Religion eines kleinen Volkes nie gehalten. Gäbe es heute kein Judentum mehr und damit gäbe es wahrscheinlich auch kein Christentum, weil der jüdische Glaube spätestens in der Babylonischen Gefangenschaft untergegangen wäre. Wenn sich die Juden dort in Babylon hätten integrieren lassen, denn dazu hatte man sie ja in dieses fremde Land gebracht. Und man kann sich ja fragen: haben denn muslimische Theologen nicht Recht mit der Befürchtung, dass ihr Glaube, ihre Traditionen gefährdet wären, wenn sich die muslimischen Zuwanderer zu sehr auf unsere säkularisierte Gesellschaft einlassen würde, die ja weitgehend eine Gesellschaft ohne Gott ist? Umgekehrt ist natürlich auch die Frage: Ist es nicht eine Illusion zu meinen, dass man islamische Länder so einfach in Europa eingemeinden kann? Reicht unsere Gleichgültigkeit gegenüber Glaubensfragen, die wir Toleranz nennen, aus, um die damit verbundenen Probleme zu beseitigen? Also wir merken: biblische Texte können richtig spannend werden, wenn man sie denn liest und nicht einfach verschweigt. Vielleicht ist das ja einer der Gründe dafür, dass so viele die Bibel als uninteressant empfinden: dass die Kirche so gern das Spannende, das Ärgerliche, das Unzeitgemäße aus der Bibel weglässt, dass sie so stromlinienförmig in die Zeit gebracht wird, so dass kein Widerstand entsteht, aber auch keine Impulse davon ausgehen. Auch wir sind offenbar darauf angewiesen, dass uns die Gebote noch einmal gebracht werden und der Tanz um das Goldene Kalb gestört wird. Das Goldene Kalb Zeitgeist. --- Nun geht es aber in unserem Text nicht nur um die Neuauflage der Gesetzestafeln. Es geht auch um einen Bund, den Gott mit Israel schließt. Ein Bund, das ist ein Vertrag zwischen zwei Menschen oder eben zwischen Gott und Menschen, in denen sie sich gegenseitig etwas versprechen. In diesem Fall verspricht Gott, dass er Israel gegen seine Feinde beisteht. Im Gegenzug sollen die Israeliten versprechen, dass sie ihm treu bleiben und nicht den Göttern des Landes nachlaufen. Nun lernt man im Theologiestudium eine ganze Menge über Bundesschlüsse: dass es z.B. einen Noahbund gibt, in dem Gott verspricht, nie wieder eine Sintflut zu senden; einen Abrahambund, in dem Gott dem Abraham unzählige Nachkommen verspricht; man erfährt auch, dass manche dieser Bundesschlüsse wohl erst nachträglich in die Geschichte Israels eingetragen wurden, zur Zeit der Babylonischen Gefangenschaft (die sogenannte Bundestheologie); aber eine Frage bleibt doch, und die scheint mir wichtig zu sein: Was heißt das eigentlich, wenn man sich als Volk des Bundes versteht, wie Israel es getan hat und bis heute tut? Was ja von den Christen nicht angezweifelt wird: Paulus schreibt, dass Israel immer noch das ersterwählte Volk ist. Ich glaube, dass darin eine Gefahr liegt und dass darin gleichzeitig eine Chance liegt. Die Gefahr ist – wie in anderen Religionen auch – dass man Gott auf seiner Seite weiß und ihn als Bundesgenossen gegen die Feinde versteht. So wie man im ersten Weltkrieg „Gott mit uns“ auf dem Koppelschloss trug, und zwar sowohl auf deutscher als auch auf französischer Seite. Die Gefahr ist, dass man seine Rechte als gottgegeben versteht, und das ist schwer mit Vernunft allein zu widerlegen. Wenn einem Gott Land versprochen hat, dann ist das auch heiliges Land und gehört einem auf alle Zeit; egal, ob andere schon vorher da waren. Dann darf man das nicht aufgeben, sonst würde man ja den Bund mit Gott aufkündigen. Ein Problem ist nur, wenn die andere Seite – wie in Palästina der Fall – sich ebenfalls auf religiöse Traditionen und Rechte beruft, wenn das Land für die anderen ebenfalls heiliges Land ist. Weil der Prophet Mohammed selbst den Auftrag gegeben hat, es zu erobern. Oder weil es die Geburtsstadt Jesu ist, viele Palästinenser, die in Bethlehem wohnen, sind Christen, und die haben es schwer, denn ihre Stadt ist von einer neun Meter hohen Mauer umgeben. Wie geht man damit um, wie kommt man da raus? Im Grunde genommen, indem man sich an eine Regel hält, die aus der Reformationszeit stammt und die inzwischen zu den Grundlagen demokratischen Denkens gehört: und das ist die Trennung von Kirche und Staat, Religion und Politik. Wir haben als Christen bittere Erfahrungen damit gemacht, dass beides vermischt wurde, bis hin zur Inquisition, die den Glauben mit Gewalt durchsetzen wollte, bis hin zum Gottesstaat, den man noch im 16.Jahrhundert in der reformierten Stadt Genf durchsetzen wollte. Dass man politische Ansprüche nicht mit religiösen Argumenten begründen darf, haben wir in Europa und im Bereich des Christentums inzwischen wohl weitgehend verstanden, aber es hat viel Zeit gebraucht. Wir sollten Verständnis dafür haben, dass andere Religionen auch Zeit brauchen, um dahin zu kommen. Und die andere Seite ist: es ist gut, Gott auf seiner Seite zu wissen. Sagen zu können: Gott ist mit uns. Wenn man damit nicht automatisch meint: Gott ist gegen die anderen.. „Gott ist mit uns“ heißt: er ist mit uns Menschen, er ist mit seiner Schöpfung. Das Leben auf der Erde ist ihm wichtig. Und so problematisch ich es finde, wenn man Religion und Politik miteinander vermischt: noch problematischer finde ich es, wenn man so tut, als ob es nichts miteinander zu tun hätte. Wenn man zum Beispiel sagt: Die Erde gehört uns, und wir sind niemandem Rechenschaft schuldig für das, was wir tun. Oder wenn man sagt: Der Markt hat seine eigenen Gesetze. Man muss ihn nur sich selbst überlassen, man muss nur den Egoismus der Menschen fördern, dann kommt das schon alles in Ordnung. Nach dem Motto: Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht. Wir erleben mehr und mehr, dass das nicht funktioniert, dass dabei die einen verarmen, während die Anderen glauben, sie könnten die Welt verzocken. Und da würde ich mir wünschen, es gäbe mehr Menschen, die sich an die Gebote erinnern und daran, dass wir vor Gott verantwortlich sind für unsere Mitmenschen und die Schöpfung. Und ich wünschte mir, es gäbe mehr Christen, die im Alltag noch an das denken, was am Sonntag in der Kirche gesagt wurde. Aber immerhin: wenigstens da zu sein und die Predigt zu hören und zu fragen, was uns von der Bibel her zu unserem Leben gesagt wird, ist doch schon ein Anfang. Und der Friede Gottes… Amen.