Liebe Gemeinde,

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Liebe Gemeinde,
Meine Konfirmanden und Konfirmandinnen, die ich im letzten Schuljahr unterrichtete,
durften vor der Konfirmation aus einer grossen Sammlung von verschiedenen Bildern
ihr Konfirmationsbild auswählen. Viele Jugendliche waren begeistert von Naturbildern:
Sonnenaufgänge, Wasserfälle und Bäume gehörten zu den Favoriten.
Ein Junge wählte ein ganz anderes Bild: Ein schwarzweiss Foto,
darauf abgebildet eine alte amerikanische Tankstelle mit zwei Tanksäulen. Auf der einen
Tanksäule war mit weisser Farbe geschrieben: „Fill up with the Holy Ghost“ / „Fülle auf
mit Heiligem Geist“.
Es war glaub ich nicht dieser Schriftzug, den der Konfirmand zur Wahl des Bildes
bewogen hat. Vielmehr die Symbolik des Bildes:
In der anschliessenden Runde, wo er das Bild vorstellte, sagte er dazu:
„Auch in meinem Leben brauche ich immer wieder etwas, das meinen Tank füllt. Autos
haben Durst. Nach einer gewissen Strecke muss man an einer Zapfstelle anhalten. Gibt
man ihnen nicht ihren Most, dann bleiben sie irgendwo stehen. Ist der Tank leer, macht
es keinen Kompromiss, es fährt keinen Meter mehr.“
Die Tankstelle als Sinnbild für eine „göttliche“ Kraftquelle ausserhalb von uns selbst, als
Bild für Gott. Der Konfirmand hat in seinen eigenen Worten Gott beschrieben als
Tankstelle für Durststrecken im Leben, in Zeiten, wo Altes losgelassen und Neues
angegangen werden muss.
Solch ein Übergang stand auch ihm kurz nach der Konfirmation bevor: der Abschied
von seinen Klassenkameraden und Lehrern, der Beginn einer dreijährigen Ausbildung in
der entfernten Stadt, so dass er tagsüber nicht mehr zu Hause war und viel Zeit mit
Pendeln verbrachte.
Auf ein ganz anderes Bild bin ich letzen Sommer bei einem Besuch in der
Schwesterngemeinschaft des Diakonissenhauses in Bern gestossen. Die Diakonissen sind
eine Schwesterngemeinschaft innerhalb der Reformierten Kirche, die sich ganz dem
diakonischen Auftrag verpflichtet hat. In Bern gründeten sie das Salem-Spital und auch
heute noch sind die jüngeren Schwestern in der Pflege und Betreuung von betagten und
kranken Menschen tätig.
Jede Schwester trägt eine Halskette mit einem Medaillon um den Hals. Darauf
eingegossen ist ein Bild einer Frau, die Öl aus einem Krug in eine Reihe von Gefässen
leert. Darunter steht die Bibelstelle, die zum Bild gehört: 2. Königsbuch Kap. 4.
Sie finden eine Abbildung dazu auf dem Liedblatt.
Dieses Bild der Frau mit dem Ölkrug und die biblische Geschichte dazu sind so etwas
wie ein Lebensmotto, ein Leitsymbol für die Schwesterngemeinschaft.
„Das Öl“, hat mir Schwester Erika im Gespräch erzählt, „ist ein Symbol für gelebte
Gemeinschaft mit Gott und den Menschen. Und die leeren Gefässe stehen für die
Haltung, wie wir Gott und den Menschen begegnen sollen“.
Wir hören jetzt diese Wundergeschichte aus dem Alten Testament. Sie steht im 2. Buch
der Könige, im Kapitel 4, Vers 1-7.
Lesung 2 Kön 4,1-7
Eine von den Frauen der Prophetenjünger wandte sich laut rufend an Elischa: Mein
Mann, dein Knecht, ist gestorben. Du weißt, daß dein Knecht gottesfürchtig war. Nun
kommt der Gläubiger, um sich meine beiden Söhne als Sklaven zu nehmen.
2
Elischa fragte sie: Was kann ich für dich tun? Sag mir: Was hast du im Haus? Sie
antwortete: Deine Magd hat nichts im Haus als einen Krug Öl.
3
Da sagte er: Geh und erbitte dir auf der Gasse von allen deinen Nachbarn leere
Gefäße, aber nicht zu wenige!
4
Dann geh heim, verschließ die Tür hinter dir und deinen Söhnen, gieß Öl in alle diese
Gefäße, und stell die gefüllten beiseite!
5
Sie ging von ihm weg und verschloß die Tür hinter sich und ihren Söhnen. Diese
reichten ihr die Gefäße hin, und sie füllte ein.
6
Als alle Gefäße voll waren, sagte sie zu ihrem Sohn: Bring mir noch ein Gefäß! Er
antwortete: Es ist keines mehr da. Da floß das Öl nicht mehr weiter.
7
Sie aber kam und erzählte es dem Gottesmann. Dieser befahl ihr: Geh, verkauf das Öl,
und bezahl deine Schuld! Von dem, was übrig bleibt, magst du mit deinen Söhnen leben.
Kurzes Zwischenspiel „meditativ“
Liebe Gemeinde
So lange leere Gefässe im Hause sind, so fliesst das Öl.
Gott spricht in heilenden Bildern zu uns. Auch in dieser Geschichte aus dem
Königsbuch. Die Frau tritt mit leeren Ölgefässen vor Gott, dazu bereit, zu hören und zu
tun, was Gott ihr sagt. Eine Frau, die ganz darauf vertraut, dass Gott gnädig ist und ihr
gibt, was sie zum Leben braucht – und sogar noch mehr, so dass sie genug bekommt um
davon weiterzugeben. Eine Frau, die leer wird um Gottes Fülle zu empfangen und
weiterzuschenken.
Für die Diakonissen ist das ein zentraler Gedanke ihrer Arbeit:
So lange leere Gefässe im Hause sind, so fliesst das Öl.
Gott schenkt denen, sie leer sind, neue Lebenskraft. Das Öl als Symbol für die
Verbindung und Gemeinschaft mit Gott. Die leeren Gefässe als Bild für die Haltung der
Diakonissen Gott und den Menschen gegenüber.
Das Bild eines Konfirmanden und die Leitgeschichte einer Diakonissin: Zwei
verschiedene Bilder, die für mich das Gleiche in verschiedenen Worten und
Formulierungen ausdrückt.
Beide haben in ihrem Leben die Erfahrung gemacht, dass die eigenen Kräfte begrenzt
sind und dass sie auf eine Kraft ausserhalb von sich selbst angewiesen sind.
Ohnmachtserfahrungen einerseits – aber auch ein ungestillter Durst nach Leben.
Diakonissen sind erfahrene Fachfrauen in der Sterbebegleitung. Sie haben sich ganz stark
für die Idee der palliativen Betreuung und Pflege Schwerstkranker eingesetzt. Liebevolle
und ganzheitliche Begleitung und Pflege von Menschen auf ihrem Weg zum Tod braucht
viel Kraft. Da macht die Geschichte aus dem Königsbuch Mut: leer vor Gott treten zu
dürfen und neu gefüllt zu werden:
mit Heiligem Geist, mit Lebenskraft und neuer Freude, Motivation.
In einem Prozess von Loslassen-Trauern-Neuanfangen
braucht es Momente des Innehaltens:
Eine Verschnaufpause um wieder zu sich selbst zu finden.
Nicht nur in einer tiefen Krise, sondern auch im Alltag,
in der Gestaltung von Übergängen,
sind solche Zeiten des Innehaltens wohltuend.
Sie helfen sich neu auszurichten,
von sich selbst weg hin zu einem Gegenüber.
Das Gebet ist eine uralte, in unserer christlichen Tradition tief verwurzelte Form: Ein
Augenblick des Innehaltens mitten im regen Treiben des Alltags.
Das Gebet eröffnet die Möglichkeit mich von mir und meinen Problemen und
Verstrickungen abzuwenden und
mich neu auszurichten auf ein Drittes.
Ich wende mich an Gott und drücke meine Bitte,
meine Klage, mein Schreien und meinen Dank aus.
Ich spreche nicht zu mir selbst, sondern ich rede ein Du an.
Für das Wort beten gibt es im Neuen Testament verschiedene griechische Begriffe. Der
meistverwendete und umfassendste Begriff,
der diese Haltung beschreibt heisst proseuchä.
Proseuchä meint nicht nur Beten im engeren Sinn,
sondern proseuchä bedeutet jede Art von in Beziehung treten mit Gott.
Proseuchä meint Kontaktaufnahme mit einer göttlichen Macht ausserhalb von uns
selbst.
Proseuchä heisst Kommunikation mit Gott.
Auch JC wird in den Evangelien als einer dargestellt,
der aus der Gemeinschaft mit Gott lebt
und durch das Gebet mit Gott stark verbunden ist.
Im Matthäusevangelium spielt das Gebet in der Bergpredigt eine zentrale Rolle.
Matthäus klärt dabei das Verhältnis von menschlichem Handeln und Praxis. Wie stehen
Taten der Nächstenliebe und das Gebet zueinander?
Beides gehört für Matthäus zusammen: Gebet und Praxis. Aus dem Gebet erwachsen die
guten Werke:
Nur wenn ich in der Haltung der proseuchä lebe, kann ich Gutes tun ohne zuerst an
mich selbst zu denken.
Nur dann sind Hilfeleistungen nicht egoistisch und mit eigenen Erwartungen verbunden.
Nur wenn ich in dieser Haltung lebe, nehme ich die Bedürfnisse meiner Mitmenschen
überhaupt wahr.
Nur dann kann ich uneigennützig jemandem zuhören, mich engagieren, auch wenn mir
dabei auf den ersten Blick kein persönlicher Vorteil entspringt.
Nur dann kann ich mich ganz einlassen auf Beziehungen, auf einen Partner oder eine
Partnerin.
Die Lebenshaltung der Diakonissen fasziniert mich gerade deshalb, weil
diese Schwesterngemeinschaft ihre Gottesbeziehung nicht exklusiv durch Rückzug aus
der Welt lebt,
sondern Gebet und Praxis verbindet
und andere an ihrer Gottesbeziehung teilhaben lässt.
Am Schluss der Bergpredigt wird die Thematik des Gebets nochmals aufgenommen Und zwar an ganz zentraler Stelle:
Vor dem vielleicht berühmtesten Satz des Neuen Testaments, der Goldenen Regel
„Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen!
Ich lese ihnen diese Passage aus Mt 7,7-11vor:
7
Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird
euch geöffnet.
8
Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird
geöffnet.
9
Oder ist einer unter euch, der seinem Sohn einen Stein gibt, wenn er um Brot bittet,
10
oder eine Schlange, wenn er um einen Fisch bittet?
11
Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wieviel mehr
wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn bitten.
Im Gebet sind wir Bittende, Suchende und Anklopfende,
Nicht Besserwissende, nicht solche, die auf alles schon eine Antwort gefunden haben
und genau wissen, was zu tun ist.
Der Text fordert uns auf, unsere Bitten vor Gott zu formulieren.
Suchend nach einer Antwort, einer Veränderung in unserem Alltag.
Überzeugt, dass unsere Bitten von Gott gehört werden.
Im Gebet öffne ich mich und bekenne,
dass ich als Mensch nur bruchstückhafte Erkenntnis habe, und mir vieles verborgen
bleibt.
Im Gebet gestehe ich mir meine eigene Schwäche ein.
Ich bin - mit den Worten der alttestamentlichen Wundergeschichte ausgedrückt angewiesen auf das Öl, das von Gott her fliesst.
Im Gebet nehme ich ein Stück weit Abschied von meinen „festen“ Vorstellungen und
lasse mich ein auf Gott. Ich lasse mich ein auf eine Veränderung.
Das Gebet hilft mir zu erinnern. Ich kann meine Geschichte nochmals neu erzählen –
ohne dass ich beschönigen, gewisse Teile auslassen oder gar streichen muss.
Ich kann meine Geschichte erzählen wie ich sie sehe - unverfälscht.
Da, wo ich mit leeren Händen vor Gott komme um zu empfangen,
da, wo ich suche und anklopfe,
da, wo ich bitte „Gott dein Wille geschehe“,
denn nicht wie ich will, sondern wie du, Gott, willst,
da lebe ich in der Haltung der proseuchä.
Da wird Versöhnung möglich. Es gelingt mir meine Fehler einzusehen, Mitmenschen
um Vergebung zu bitten. Ich kann mich versöhnen mit meiner eigenen Geschichte. Ich
verzeihe denen, die mich verletzt haben.
Da, wo ich mich öffne,
da, wo Versöhnung und Vergebung geschieht,
da werden Neuanfänge möglich.
Der Text aus der Bergpredigt über das Beten und die alttestamentliche
Wundergeschichte beschreiben eine Haltung
Gott und den Menschen gegenüber.
Diese geht über das, was wir gewöhnlich mit dem Begriff „beten“ bezeichnen, hinaus.
Gemeint ist eine Lebenseinstellung, eine Lebenshaltung,
die eine Verbindung zum Göttlichen sucht,
auch dann wenn Gott verborgen scheint, weit weg.
Die Diakonissen schöpfen aus der Gemeinschaft mit Gott
Kraft für ihre anstrengenden Tätigkeiten.
Sie nehmen sich regelmässig Zeit um innezuhalten,
um zu empfangen
und davon weiterzuschenken:
An Kranke, Sterbende und Bedürftige.
So, dass auch anderen Menschen Türen geöffnet und Bitten erfüllt werden und etwas
von der Gegenwart Gottes in ihrem Leben durchschimmert.
Pierre Stutz beschreibt es als „aufgehoben sein zwischen Erde und Himmel“,
„eingebunden sein in Schöpfung und Kosmos“,
„aufgefangen im Urgrund allen Lebens“.
Diese Haltung bestärkt und beflügelt Neues auszuprobieren,
eine andere Perspektive einzunehmen, Schmerzhaftes loszulassen,
Festgefahrenes zu überdenken.
Ich wünsche Ihnen in Ihrem Alltag immer wieder Augenblicke des Innehaltens! Mein
ehemaliger Konfirmand würde es in seinem Bild als Boxen-Stopp bezeichnen, Zeiten um
aufzutanken und neue Kraft zu schöpfen.
Ich wünsche Ihnen Erfahrungen des Aufgehobenseins in mitten von Trauer und
Dunkelheit.
Ich wünsche Ihnen leere Hände, die reich gefüllt werden. So reich, dass
sie anderen Menschen davon weiterschenken können.
Auch wir tragen unsichtbar ein Medaillon auf unserer Brust. Es erinnert uns daran:
Solange leere Gefässe im Haus sind, so fliesst das Öl. Amen.
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