Universität Leipzig Institut für Klassische Philologie und Komparatistik Proseminar: Martial Sommersemester 03 Sexualität und Erotik in den Epigrammen Martials Lehramt für Gymnasium Geschichte – Latein 2. Fachsemester Inhaltsverzeichnis I. Einleitung .......................................................................................................... II. Prostitution 3 1. Prostituierte, Huren, Dirnen ......................................................................... 4 2. Hetären ......................................................................................................... 8 3. Das Werben alter Dirnen und Frauen ........................................................... 10 Sexuelle Neigungen und Sexpraktiken im alten Rom ................................... 13 1. Sexuelle Neigungen ...................................................................................... 14 2. Homosexualität ............................................................................................. 2.1. Männliche Homosexualität .................................................................... 2.2. Knabenliebe ........................................................................................... 17 18 21 3. Sexpraktiken ................................................................................................. 3.1. Fellatio – Die Frau macht es dem Mann ................................................ 3.2. cunnilingus – die orale Befriedigung der Frau ...................................... 3.3. Sexstellungen und weitere Sexpraktiken ............................................... 24 24 26 28 IV. Abschließende Beurteilung .............................................................................. 30 V. Quellen- und Literaturverzeichnis .................................................................. 31 III. 2 I. Einleitung Marcus Valerius Martialis, geboren 38/41 n.Chr. in Bilbilis (Spanien), kam im Jahre 64 nach Rom. Hier ergriff er keinen Beruf, sondern begab sich als Klient in die Abhängigkeit von reichen Gönnern, auch der Kaiser Domitian gehörte dazu. In Rom begann Martial Epigramme zu schreiben und blieb diesem Genre treu, wodurch er als einziger römischer Dichter gilt, der ausschließlich Epigramme geschrieben hat und dieser Gattung so seine vielseitigste und geistreichste Form gab.1 Im Jahre 98 n.Chr. ging Martial zurück nach Bilbilis, wo er 103 oder 104 starb. Zu seinen Themen gehören der Klientendienst, die Panegyrik, Lebensentwürfe, Kunstwerke, die Ehe, aber auch Obszönitäten und sexuelle Themen. Durch die Lektüre der Epigramme mit sexueller Thematik erhält der Leser einen viele Teilbereiche umfassenden Einblick in die Sexualität und Erotik im alten Rom. Martial dringt in Bereiche wie die Prostitution, die Homosexualität, die Knabenliebe und andere sexuelle Neigungen vor. Zum einen soll mit dieser Hausarbeit versucht werden, einen Überblick über die sexuellen Themen Martials herauszuarbeiten. Zum anderen wird im Detail versucht, möglichst viele Kenntnisse über die verschiedenen Formen des sexuellen Kontakts im alten Rom zwischen Männern, zwischen Mann und Frau und auch zwischen Frauen aus den Epigrammen Martials herauszufiltern. Des Weiteren soll herausgearbeitet werden, welche Normen bezüglich der Sexualität im antiken Rom herrschten und welche Worte und Wendungen Martial benutzt, um sexuelle Handlungen zu beschreiben. Für diese Darstellung werden ferner auch Kenntnisse aus der Wissenschaft herangezogen. Zuerst erfolgt eine Darstellung der Prostitution, die im alten Rom selbstverständlich war und oft von Martial in seinen Epigrammen beschrieben wurde. Danach wird auf sexuelle Neigungen und Sexpraktiken eingegangen, wobei vor allem die Homosexualität unter den Männern und Praktiken wie die Fellatio und der cunnilingus Beachtung finden. Als Quelle werde ich hauptsächlich die lateinische Ausgabe der Epigramme von Wallace M. Lindsay nutzen. Weiterhin werden auch die Ausgaben von Ludwig Friedlaender und von David R. Shackleton Bailey einbezogen. 1 Schnur, Harry C., Martial, in: Lexikon der Alten Welt, Band II, Zürich/München 1990, Sp. 1858f., hier: Sp. 1858 3 II. Prostitution 1. Prostituierte, Huren, Dirnen Die Prostitution und das Bordell gehörten ganz selbstverständlich zum römischen Alltagsleben hinzu und waren beliebt bei Arm und Reich2. Daher brauchte man sich nicht schämen, wenn man beim Betreten oder Verlassen eines Bordells beobachtet wurde, mitunter konnte es aber auch schon vorkommen, dass ältere Bordellgänger der Spott traf. So wurde der Bordellbesuch wahrscheinlich auch durch den Staat unterstützt, wenn man „lasciva nomismata“ (VIII 78,9), die bei Festspielen verteilt wurden, als Bordellgutscheine ansieht. Ein weiterer Beweis wäre die Nähe der Bordelle zu Theater und Circus. Martial gebraucht für Bordell das Wort fornix (X 5,7; fornice I. 34,6; fornicem XI 61,4; fornicis XII 61,8). Bei jungen Männern war der Besuch von Bordellen bzw. Prostituierten sogar erwünscht, da sie sich auf diese Weise austoben, „die Hörner abstoßen“ sollten. So illustriert es folgende Anekdote über Cato: Hor. s. 1,2,31-35 quidam notus homo cum exiret fornice, ‘macte virtute esto’ inquit sententia dia Catonis; ‘nam simul ac venas inflavit taetra libido, huc iuvenes aequom est descendere, non alienas permolere uxores.’ 3 Cato lobt hier einen jungen Mann, als er aus dem Bordell kommt, weil dieser seine sexuellen Begierden an den Prostituierten auslebt, anstatt es mit Ehefrauen zu treiben. So wollte man verhindern, dass sich die Jugend an jungfräulichen Mädchen oder verheirateten Frauen verging, also war es ein probates Mittel gegen Vergewaltigung und Schändung. Natürlich durfte dieser Gang zur Hure nicht allzu exzessiv betrieben werden, denn es entsprach nicht mehr den gesellschaftlichen Normen, wenn es zu einem Lotterleben führte oder die Gefahr bestand, dass der Mann das ganze Vermögen verhurte. So wird Milichus in Mart. II 63 angeprangert, weil er sein ganzes Vermögen, ca. hunderttausend Sesterzen, für Leda ausgibt. Die Anekdote über Cato berichtet nun weiter, dass er, als er den Jüngling öfters aus dem 2 3 In Mart. X 14 findet sich ein Beispiel für einen reichen Freier. siehe zu dieser Freizügigkeit auch Cic. Cael. 48 4 Bordell kommen sah, zu ihm gesagt habe: „Adulescens, ego te laudavi, tamquam huc intervenires, non tamquam hic habitares.“4 Der Verkehr mit Prostituierten war für die Männer ebenso eine Möglichkeit ungestraft außereheliche Kontakte zu pflegen, da nur der Verkehr mit ehrbaren Frauen laut den Gesetzen, z.B. den Sittengesetzen des Augustus, als Ehebruch galt. Prostituierte galten als Meisterinnen der Liebe, in deren Lehre man sich begeben sollte. So wird in XI 78 einem kurz vor der Hochzeit stehendem Päderasten, also einem Mann, der es nur mit Knaben treibt (pueros tuos Vers 4) , angeraten: „ergo Suburanae tironem trade magistrae“ (Vers 11), denn „illam virum faciet“ (Vers 10) und dies könne er bei keiner virgo (Vers 10) erlernen. Fornices finden sich in einer großen Zahl in den römischen Städten, aber auch auf dem flachen Land. Neben echten Bordellen dienten auch Hinterstuben von Gastwirtschaften, Kneipen und Tavernen diesen Zwecken. In den Gastwirtschaften gaben sich zumeist die Kellnerinnen und selbst die Wirtshausdame den Gästen zur Befriedigung der Lüste hin. In den Bordellen finden sich zum einen Zwangsprostituierte, aber auch freie Prostituierte. In die Zwangsprostitution gerieten Frauen durch die Sklaverei, aber auch durch Kinderaussetzungen, wenn z.B. ein pater familias ein neugeborenes Mädchen nicht annehmen wollte. Oft geschah es, dass diese von Zuhältern oder Prostituierten aufgezogen wurden, um sie dann zu prostituieren, wobei dies oft auch schon vor dem Erreichen der Geschlechtsreife geschah. Eine weitere Möglichkeit war der Menschenraub, wie der Verkauf einer prostituierten Sklavin in VI 66 zeigt. Dass es sich hier um eine Prostituierte handelt, wird deutlich durch „famae non nimium bonae puellam“ (Vers 1) und durch den Verkaufsort, der Subura, einem Prostituiertenviertel (siehe unten). In die freie Prostitution begaben sich Frauen und Mädchen zum einen aus ökonomischen Gesichtspunkten, um sich und ihre Familie zu ernähren, aber auch, weil auf diese Weise oft schneller Geld verdient werden konnte, als durch normale Arbeit. So wird in VI 64,4 die Mutter des Angesprochenen als „matris[que] togatae“5 bezeichnet und in VII 10,13 findet sich „uxor moecha tibi est“. Freie Prostituierte boten sich entweder in einem Bordell der Kundschaft an, hierfür mieteten sie vom Bordellbesitzer ein Zimmer6, oder sie verkauften ihren Körper auf der Straße. Die Straßenhuren gehörten zu der untersten Schicht der Prostituierten, sie flanierten auf den belebten Straßen Roms, und für den Geschlechtsakt zog man sich unter Bögen, in Gewölbe oder Wasserleitungen zurück, aber auch die Märkte boten 4 Ps. Acr. in Hor. s. 1,2,31-32 Die Toga galt bei Frauen als Kleidung der Prostituierten. 6 Einen Nachweis für Zimmer liefert Martial in I 34,5-6; IV 4,9 und 61,3-4., die entweder mit einer Tür oder einem Vorhang geschlossen wurden. Über dem Eingang war oft der Name der Dirne angebracht („inscriptae limina cellae“, XI 45,1). 5 5 gute Verstecke7. Dirnen waren weiterhin anzutreffen in Bädern8, im Circus und Theater9, vor Tempeln10 und in Säulenhallen. Zu den niedrigsten Huren zählten die Summoenianae11 (I 34,6; III 82,2; XI 61,2; XII 32,22.), die sich an der Stadtmauer anboten und die Huren, die sich auf Friedhöfen12 verkauften. Es gab auch bestimmte Bezirke in Rom, in denen sich die Prostituierten konzentrierten. Dazu zählten die berüchtigte Subura (z.B.: II 17,1; VI 66,2; XI 61,3) und die Via Sacra13 (II 63,2), wo die besseren Prostituierten mit höheren Preisen zu finden waren. Gängige Bezeichnungen für Prostituierte sind meretrix, von merere „verdienen“, ebenso scortum, lupa (umgangssprachlich, bezeichnet niedrigsten Typus) und auch publica im Sinne von „die der Öffentlichkeit gehört“. Auch über die Dirnenpreise gibt uns Martial Auskunft, jedoch können einige Summen im hohen Preissektor nur als fiktiv gelten, mit denen er die dargestellte Situation verstärken und die Schande der betroffenen Person verdeutlichen will. Denn es galt, wie schon oben genannt, als schimpflich, wenn man sein Vermögen durch Umgang mit Prostituierten durchbrachte, wie auch VII 10,3: „centenis futuit Matho milibus“ zeigt . Etwas anderes ist es, wenn die Männer einer Hetäre teure Geschenke machten oder auch hohe Summen für sie zahlten 14. An VII 10,3 und II 63 ist zu erkennen, dass bei Martial der Preis von hunderttausend Sesterzen als Anzeichen für die Verschleuderung von Hab und Gut für ein schnelles Abenteuer dient. Für billige Huren lassen sich bei Martial Preise zwischen einem und zwei As ausmachen. So zahlt der reiche Scaevola nur „asse Venus“ („1 As für ne Hure“, I 103,10), womit Martial auch den Geiz des Scaevola hervorheben will. Zwei As finden sich in II 53,7: „si plebeia Venus gemino tibi iungitur asse“. Diese Summe von einem oder zwei As konnte fast jeder Bürger aufbringen und so war es einer breiten Bevölkerungsschicht möglich, sich mit Huren zu vergnügen. Im mittleren Preissegment lassen sich Preise um die 32 As finden, womit es sich hier wohl um erfahrene Huren handeln könnte. So wird sich in IX 32,3 eine Dirne gewünscht „quam redimit totam denarius alter“, wobei ein Denar seit der Zeit der Gracchen 16 As entsprach. Nicht immer verlangten die Dirnen Geld, so gibt uns Martial auch das Beispiel, dass eine meretrix „rogare coepit amphoram vini“ (XII 65,9). Solch eine Amphore Wein konnte zwischen 200 und 240 As kosten15, womit sie wohl zu den feinen Dirnen zählen dürfte. Der Wein könnte hier auch auf die Trunksucht vieler Prostituierter hinweisen. Auch 7 Stumpp, Bettina E., Prostitution in der römischen Antike, Berlin 1998, S. 70 - 73 Mart. III 93,14-15. balnea XI 47,2; Bedienstete, die angehalten wurden sich zu prostituieren (Dig. III 2.4.2). 9 Juv. III 65 10 Juv. IX 22ff.; limina Pompeia Mart. XI 47,4 11 so bei L. Friedlaender; bei W.M. Lindsay und Shakleton-Bailey steht Summemmianas 12 Mart. I 34,8. moechas bustuarias III 93,15 13 Stumpp, Prostitution, S. 161-63 14 siehe Punkt II. 2. Hetäre 15 Stumpp, Prostitution, S. 220 8 6 Galla in IX 4 dürfte wohl mit einem Preis von „aureolis ... duobus“16 (Vers 1) zu den feinen und vornehmen Dirnen zählen. Sie verlangt für „plus quam futui“ das Doppelte („si totidem addideris“ Vers 2) und für die Fellatio möchte sie noch mehr als dieses, wie Vers 4 „non fellat tanti Galla“ zeigt, in welchem in Verbindung mit Vers 3 ausgedrückt wird, dass sie zwar keine zehn aber doch mehr als 4 Goldstücke verlangt. Prostituierte mussten für vielerlei sexuelle Praktiken herhalten, die in der Gesellschaft, mitunter auch zwischen Paaren, als verdorben und verachtungswürdig galten. Zu diesen gehörten zum Beispiel jegliche Formen des Oralverkehrs, der Analverkehr bei der Frau und der Gruppensex, aber natürlich war sie auch für alle anderen üblichen Sexpraktiken zuständig. Näheres dazu werde ich im Kapitel III darstellen, wobei es sich dort bei den ausführenden Frauen wohl meistens auch um Dirnen handelt. In XII 65,1-2 erwies sich die Dirne Phyllis ihrem Freier „nocte ... tota ... omnibus modis largam“. Eine äußerst beliebte Sexpraktik, die die Freier oft wünschten, war die Fellatio17. Auch auf Symposien, die oft in Gelagen endeten, waren Prostituierte gern gesehene Gäste, so „Telethusa venit promissaque gaudia portat“ (VIII 50,23). Die „versprochenen Freuden“ sind hier als sexuelle Dienste oder auch andere Formen der Unterhaltung, wie z.B. tanzen, anzusehen, da sich das Geschehen auf einem Symposium abspielt und Telethusa ein Dirnenname ist (VI 71,5-6). Auch in III 82,13-14 finden sich Dirnen auf einem Gelage. Die „tractatrix“ massiert den Körper des Gastgebers und mit „manum doctam“ gleitet sie über „omnibus membris“. Bei Martial lassen sich auch Belege für Tänzerinnen, die in der Regel zu den Prostituierten gezählt werden können, auf Symposien finden. Oft werden Tänzerinnen aus Gades18 genannt. Dies ist eine Region im südlichen Spanien, und die gadischen Tänzerinnen waren bekannt für ihre lockeren Sitten und galten als die Meisterinnen ihres „Handwerks“, die sich auf „Gaditanis ... modis“ (VI 71,2), also äußerst lasziv, bewegten. Ihre Bewegungen waren so lascivae, dass sie sogar bei kurz vorm Tode stehenden Männern19, „tremulum Pelian Hecubaeque maritum“ (VI 71,3)20, noch Lüste wecken konnten (VI 71,3-4)21. Typische Namen für Huren bei Martial sind Aegle (I 72,3; XII 55,4), Chione (I. 34,7; XI 60,1), Iade (I. 34,7), Lais (X 68,12; XI 104,22), Leda (II 63,2; III 82,3; IV 4,9; obscena Leda XI 61,4), Lycoris (I 72,6), Phlogis (XI 60,1) und Phyllis (XII 65,1). Dies werden zumeist fiktive Namen sein, die ,auch wenn es damals wohl gängige Dirnennamen waren, keine 16 1 aureolus entsprach 25 Denare, also 400 As „mediumque mavult basiare“ Mart. XI 61,5; siehe Kapitel III 18 Mart. V 78,26-28; XIV 203; Iuv. 11,162; Plin. epist. I 15,2 19 ausgedrückt durch „ad Hectoreos ... rogos“ (Vers 4) 20 „zitternder Gatte“ deutet wohl Altersschwäche an und Pelias ist der Oheim des Iason, also ebenso ein alter Mann (siehe hierzu Hofmann, Walter (Hrsg.), Epigramme, Frankfurt am Main/Leipzig 1997, S. 672, Anm. 71) 21 ähnlich in Mart. XI 60 bzgl. dem Temperament einer Hure 17 7 bestimmte Person bezeichnen. Vielmehr will Martial so das Laster an sich herausstellen. Auch hinter der tonstrix in II 17 versteckt sich eine Hure. Anhaltspunkt dafür ist zum einen ihr Standort, die Subura (Vers 1), aber vor allem das verbum „radit“ (Vers 5). Radit heißt übersetzt „sie schert (bis auf die Haut)“, doch ist dies hier nicht im wörtlichen Sinne zu verstehen. Im GEORGES und im Langenscheidt Wörterbuch findet sich speziell zu dieser Passage die Übersetzung „sie zieht ganz/bis aufs Hemd aus“. Dies deute ich so, dass sie ihre Kundschaft auszieht, also mit den Kunden Geschlechtsverkehr hat. Ebenso kann radit aber auch als „reiben/rubbeln“ verstanden werden, womit der „hand job“ beim Mann gemeint wäre. W. Hofmann hingegen hat dies wohl im wörtlichen Sinne als scheren verstanden22. Zum typischen Bild einer Prostituierten zählte, dass sie „palliolata vagatur“ (IX 32,1), dass sie „puero iam dedit ante meo“ (IX 32,2), sich also schon mit einem Sklaven vergnügte und „pariter sufficit una tribus“ (IX 32,4). Weiterhin nutzten die Dirnen Schminke und andere Utensilien, um ihre Schönheit zu erhalten23. Ebenso war es unter ihnen üblich sich zu epilieren, wie unter anderem XII 32,21-22 zeigt. Als Bekleidung für Prostituierte war die Toga, normalerweise Männerbekleidung, üblich. So soll man in II 39 der „famosae ... moechae“ die Toga schenken und in VI 64,4 wird eine „matris[que] togatae“ genannt. Wahrscheinlich war es ihnen verboten sich mit der Stola, wie sie ehrbare Frauen trugen, zu bekleiden. 2. Hetären Abzugrenzen von der gewöhnlichen Prostitution ist das Hetärenwesen, oder auch Konkubinat genannt, obwohl es hier mitunter auch noch Unterscheidungen gibt24. Hetären können als die edelste Form der Prostituierten angesehen werden. Sie konnten ihre Liebhaber frei wählen, waren also finanziell nicht unmittelbar von ihnen abhängig. Das Konkubinat war keine kurzfristige Beziehung, sondern ein längerfristiges Verhältnis, welches monogam war, jedoch musste man sich keine Treue schwören. Diese Liebesbeziehung ging über die bloße Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse hinaus. In vielen Fällen war das Konkubinat eine eheähnliche Institution, nur eben ohne diese rechtlich bindende Komponente. Die Hetären wurden von ihren Liebhabern finanziell hausgehalten, erhielten vielerlei Arten an Geschenken, Sklaven und vieles mehr. Zumeist wechselten die Konkubinen ihren Partner, 22 Hofmann, Epigramme, S. 634, Anm. 17 künstliche Zähne: Mart. I 72,3-4; Schminke: cerussata Mart. I 72,6 24 Hierzu Friedl, Raimund, Der Konkubinat im kaiserzeitlichen Rom. Von Augustus bis Septimius Severus, Stuttgart 1996 23 8 wenn ein reicherer und besserer Kandidat zur Verfügung stand. Da den Männern in sexueller Hinsicht größere Freizügigkeit gewährt wurde, kam es auch vor, dass ein Konkubinat neben der Ehe unterhalten wurde. Es ist schwierig bei Martial die Hetären deutlich von den Prostituierten zu trennen, da er keine speziellen Bezeichnungen für sie nennt. Bei genauer Lektüre seiner Epigramme sticht ein Name heraus, der metonymisch für den Begriff der Hetäre ist. Dies ist Galla25, die jedoch nicht als ein und dieselbe Person angesehen werden darf26. Martial nutzt diesen Namen fast immer, wenn er über eine Hetäre spricht. So finden sich in Galla eine Vielzahl von Eigenschaften wieder, die eine Hetäre ausmachen. Zum einen ist sie von großer Schönheit, wie man aus III 51,1-2 erfährt, wenn das Dichter-Ich ihr Antlitz, ihre Beine und Hände lobt. Sie hat ein „facies de qua nec femina possit dicere“ (VII 18,1-2), ebenso „corpus nulla litura notet“ (Vers 2). Zum anderen wird ihr das Attribut „gebildet“ gegeben, da sie dem DichterIch „zu gelehrt ist“ („diserta es“ XI 19,1), wodurch er auch nicht begehrt, sie zu seiner Frau zu machen, da „saepe soloecismum mentula nostra facit“ (Vers 2), d.h. er würde fremd gehen. Hier zeigt sich auch, dass die Männer ein Konkubinat nicht zu einer Ehe machen wollten, wodurch sie an diese Frau gebunden wären und keine andere Frau begehren könnten. Eine Hetäre muss auch ihren Preis haben, den, wie „cum dare non possim quod poscis, Galla“ (III 54,1) zeigt, eben nicht jeder zahlen kann. Die amica, wie die Hetäre in einigen Epigrammen auch genannt wird27, muss einen gewissen Standard erfüllen. So soll sie „libram foliati ... virides gemmas sardonychasve ... prima velit de Tusco Serica vico ... centum aureolos sic velut aera“ (XI 27,9-12) fordern. Das Dichter-Ich wird ihr dies zwar nicht gewähren (Vers 13-14), doch werden viele andere Liebhaber ihrer amica die Wünsche erfüllt haben. Diese „blinde Verliebtheit“ haben viele Hetären ausgenutzt, um sich zu bereichern. So „dispensatorem fallax spoliabat amica“ (V 42,5) und Phyllis28 „tanta calliditate rapis“ (XI 49,2). Sie versteht es, sich von ihrem Liebhaber einen speculum (Vers 3), eine gemma und einen lapis (Ohrring) (Vers 4), bombycina (die dann gewinnbringend weiterverkauft werden; Vers 5), teure Salbe (Vers 6), amphora Falerni (Vers 7), einen lupus (Seebarsch) und einen mullus (Vers 9) zu erschleichen. Wenn dies ihr der Geliebte gewährt, so „nil mihi, Phylli, nega“ (Vers 12), d.h. sie wird ihm jeden sexuellen Wunsch erfüllen. Ein weiterer Nachweis für die kostspielige amica ist X 29, da der Freund dem Dichter-Ich nun keine Geschenke mehr macht, weder zu den Saturnalien, noch zu dessen Geburtstag. Stattdessen beschenkt er jetzt 25 Neben den Epigrammen, die noch genannt werden, handeln auch Mart. III 90; IV 38; VII 58; IX 78. von Galla. 26 Auch andere Namen, die mehrmals genannt werden, müssen nicht dieselbe Person sein. 27 Mart. V 42,5; XI 27,9. 28 hier als Hetäre dargestellt, im Gegensatz zur Darstellung als gehobene Prostituierte in Mart. XII 65 9 seine Hetäre mit Schalen und grüner Synthesis. Damit wird gezeigt, dass es sich Sextillian nur leisten kann, eine Person zu beschenken, wobei seine Wahl auf die domina (Vers 2) fällt, da er bei ihr für die Geschenke Geschlechtsverkehr bekommt. Der auffälligste Unterschied zwischen Prostituierten und Hetären ist wohl darin zu sehen, dass die einen für jeden Liebesdienst direkt bezahlt wurden, die Hetären aber eher teure Geschenke und andere Sachen, also nicht direkt Geld erhielten. Ihren Hetären werden die Männer auch Geschenke gemacht haben, ohne dabei immer sexuelle Gegenleistungen zu fordern. 3. Das Werben alter Dirnen und Frauen Den Männern war im römischen Reich eine gewisse Freizügigkeit in sexuellen Dingen gestattet, dagegen forderte man von den Frauen Enthaltsamkeit und Zurückstellung der sexuellen Bedürfnisse. Doch seit der späten Republik entwickelte sich eine Freizügigkeit in sexueller Hinsicht, so dass sich die Frauen emanzipierten und selbst auf Männerfang gingen. Dieses Werben um die Gunst eines Partners stand bisher nur den Männern zu, und daher galt es als unsittlich, wenn dies nun durch die Frau geschah. Vor allem wenn es sich bei den werbenden Frauen um ältere Damen handelte. Ebenso galt es als geschmacklos und unsittlich, wenn sich alte Huren, die nicht mehr ansehnlich waren, noch zum Geschlechtsverkehr anboten. So kann man sagen, „dass eine Frau ab ungefähr dreißig Jahren kaum noch Chancen auf dem Prostitutionsmarkt hatte, zumal der Alterungsprozess in Anbetracht der frühen sexuellen Ausbeutung und der ungesunden und elenden Lebensumstände vieler Dirnen besonders rasch vorangeschritten sein wird ...“29. Alkohol- und Drogenkonsum werden ihr Übriges dazugetan haben. Außerdem war der Nachschub an jungen Dirnen sehr groß30. Bei den Epigrammen Martials, die dieses Thema zum Inhalt haben, ist es nicht immer vollkommen eindeutig, ob hier alte Dirnen oder ältere Damen des gesellschaftlichen Lebens gemeint sind. Martial versucht in diesen Epigrammen die Frauen zu verunglimpfen und meist mit Hilfe der kosmetischen Maßnahmen, die diese vornehmen, um ihr Alter zu verstecken, als „hässliche, vertrocknete Vetteln ins Groteske zu verzerren“31, die sich damit nur noch mehr verunstalten. Oft nutzt er künstliche oder schwarze Zähne, um das Alter und die Hässlichkeit der Dirnen und Damen hervorzuheben. So erfahren wir in I 72 von einer „dentata ... Aegle ... emptis ossibus Indicoque cornu“ (Vers 3-4) und Lycoris, die hingegen „nigrior est cadente moro“ (Vers 5), ähnlich bei V 43. Das abschreckende Alter wird weiterhin dadurch 29 Stumpp, Prostitution, S. 75 Diesen Umstand gibt Mart. VI 40 gut wieder. 31 Stumpp, Prostitution, S. 107 30 10 dargestellt, dass nur noch wenige Zähne vorhanden und diese zumeist faulig sind. So hat Aelia in I 19 zu Beginn nur noch 4 Zähne, die sie aber durch zwei Husten verliert. In II 41 wird das Alter der Maxima durch „tres sunt tibi, Maximina, dentes, sed plane piceique buxeique“ (Vers 6-7) beschrieben. Ihr wird angeraten, alles zu meiden, wodurch sie in der Lage versetzt würde zu lachen und damit allen ihre schrecklichen Zähne zeigen würde. Laelia nutzt „dentibus atque comis ... emptis“ (XII 23,1) und auch Fabulla nutzt gekauftes Haar, wie durch VI 12,1 deutlich wird: „iurat capillo esse, quos emit, suos“. Des Weiteren lassen sich bei Martial Passagen finden, in denen die älteren Frauen versuchen ihre Falten zu verstecken. Polla nutzt in III 42 lumentum32, um „rugas uteri ... condere“ (Vers 1). Mit diesen alten Dirnen und Damen wollte man keinen Sexualverkehr haben und wenn doch, dann nur im Austausch mit kostspieligen Gegenleistungen. So wird in III 93 über die alte Vetustilla33 gespottet, da sie noch begehrt, einen Mann zu heiraten. Die Abscheulichkeit dieses Wunsches wird durch Vers 23 ausgedrückt: „quod si cadaver exiges tuum scalpi“. Zum Geschlechtsverkehr mit der alten Phyllis34 lässt sich das Dichter-Ich in XI 29 weder durch ihre Hände („languida cum vetula tractare virilia dextra coepisti, iugulor pollice, Phylli, tuo“, Vers 1-2) noch durch Schmeicheleien („nam cum me murem, cum me tua lumina dicis, horis me refici vix puto posse decem“, Vers 3-4) bewegen. Nur mit teuren Geschenken („... milia centum et ... Setini iugera culta soli; ... vina, domum, pueros chrysendeta, mensas“, Vers 5-7) kann die Alte ihn noch reizen. In IX 37 wird sogar eine alte Dirne (Perücke, falsche Zähne und allerlei weiteres Künstliches – Vers 2-6), obwohl sie „sescenta“ (Vers 9) bietet, abgelehnt. Dies wird sehr schön durch die Personifikation „sed mentula surda est, et sit lusca licet, te tamen illa videt“ (Vers 9-10) verdeutlicht. Auch in VII 75 ist von einer Dirne die Rede, die „futui gratis <vult>“ (Vers 1), obwohl sie „deformis anusque“ (Vers 1) ist. Die unmögliche Verbindung zwischen beschlafen werden und alt sein wird deutlich gemacht durch den Chiasmus „vis dare nec dare vis“ (Vers 2). Damit wird ausgedrückt, dass sie ihren Körper hingeben will, aber im Gegenzug trotz ihres Alters nichts dafür bezahlen will, dass man es ihr macht. Das Alter von Matrinia in III 32 wird herausgehoben, indem sie nicht zu den vetula zählt, sondern sogar eine mortua ist. Hier steht posse in obszöner Bedeutung und bedeutet soviel wie „nehmen können“ oder „Geschlechtsverkehr haben können“. Die gleiche Bedeutung hat posse in XI 97. Hier kann einer „una nocte quater“ (Vers 1), doch bei 32 eine aus Bohnenmehl u. Reis geknetete Masse, mit der die röm. Damen die Haut zu glätten suchten [Lateinisch-deutsches Handwörterbuch: lomentum, S. 1. Digitale Bibliothek Band 69: Georges: Lateinischdeutsches Wörterbuch, S. 33173 (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, S. 696)] 33 hier eine sehr ausführliche und stark überzogene Beschreibung des Alters der Vetustille, um die Lächerlichkeit ihres Begehrens nach einem Mann zu betonen: Verse 1-18 u. 22 34 alt kenntlich gemacht durch „vetula ... dextra“ (XI 29,1) 11 Telesilla sagt er: „sed quattuor annis si possum, peream, te Telesilla semel“ (Vers 1-2), womit vermutlich auf ihr Alter angespielt wird. Neben dem Wunsch der alten Damen nach Erfüllung ihrer sexuellen Bedürfnisse wurde es in der Gesellschaft ebenfalls als abstoßend empfunden, wenn diese noch Intimpflege betrieben. Vermutlich weil dies verdeutlicht, dass sie noch immer den Geschlechtsverkehr erstrebten. So wird in X 90 Ligeia argwöhnisch beäugt, weil sie ihre „vetulum cunnum“ noch pflegt und rasiert (Vers 1-2), da „tales munditiae decent puellas“ (Vers 3). Sie wird aufgefordert: „noli barbam vellere mortuo leoni“ (Vers 9-10). 12 III. Sexuelle Neigungen und Sexpraktiken im alten Rom Seit der späteren Republik entwickelte sich, wie schon gesagt, in sexueller Hinsicht eine gewisse Freizügigkeit, so dass Sexualität als etwas Selbstverständliches angesehen wurde, als etwas Natürliches, das ausgelebt werden muss. Von der religiösen Seite gab es keinerlei Einschränkungen, die eine Form des Sexualverhaltens verboten. W.A. Krenkel gibt an, dass anhand der Funde, wie Vasen, Münzen, Bilder etc. angenommen werden kann, dass die Menschen der Antike sexuelle Szenen täglich vor Augen hatten, vom Tempel bis zum Schlafzimmer.35 Es herrschten aber noch keine repressionsfreien Verhältnisse. Tabus in der Gesellschaft waren der sexuelle Verkehr mit verheirateten Frauen, mit jungen Mädchen aus gutem Haus, mit Vestalinnen und freigeborenen Jünglingen. Hierfür, aber vor allem, um gegen den Ehebruch vorzugehen, gab es die Sittengesetze von Augustus, wie die lex Iulia de adulteriis coercendis. Weiterhin galten als wider die Norm der Verkehr mit Tieren36 und der Inzest, den uns Martial in zwei Epigrammen belegt. In II 4 wird der Inzest zwischen Mutter und Sohn beschrieben, welcher deutlich wird durch eine Anapher in den Versen 1 und 2: „o quam blandus es, Ammiane, matri! Quam blanda est tibi mater, Ammiane!“. Ebenso durch „fratrem te vocat et soror vocatur“ (Vers 3). „Matrem, quae cupit esse se sororem, nec matrem iuvat esse nec sororem“ (Vers 7-8), sie will also weder das eine noch das andere sein und damit bleibt als einzige Rolle die der Geliebten. Die Geschwisterliebe begegnet uns in XII 20. Es wird gefragt „quare non habeat, Fabulle, ... uxorem ...?“ und die Antwort lautet: „habet sororem“ , d.h. er hat eine sexuelle Beziehung mit ihr. Angedeutet sein könnte der Inzest auch in VI 69, wo sich der Erzähler wundert, dass „Bassae filia potet aquam“37 (Vers 2). Diese filia kann entweder Catulls Tochter sein, wenn man Bassa als seine Frau oder Geliebte ansieht, womit es Inzest wäre, oder sie ist nicht seine Tochter, womit hier kein Inzest vorläge, dieses Mädchen aber von der Mutter zur Hurerei getrieben worden wäre. Ebenso könnte man diese Schilderung auch so verstehen, dass der Erzähler sich nur wundert, dass die junge Tochter schon Fellatio betreibt. Sexuelle Freizügigkeit genossen aber hauptsächlich nur die Männer, unter ihnen vor allem die Jugend, mit denen man mit Beginn der Pubertät Nachsicht in diesen Dingen hatte. „Kaum haben sie zum ersten Mal Männerkleidung angelegt, da treibt sie nur noch der Wunsch um, die Gunst einer Dirne zu erlangen oder sich in das verrufene Viertel Roms, die Subura, zu 35 Krenkel, Werner A., Figurae Veneris (I), in: WZRostock 34, 1985, Heft 4, S. 50-57, hier: S. 52 Krenkel, Werner A., Tonguing, in: WZRostock 30, 1981, Heft 5, S. 37-54, hier: S. 41 (Punkt 13) 37 Nach der Fellatio reinigte man sich den Mund mit Wasser. 36 13 schleichen, es sei denn, eine Dame der guten Gesellschaft nimmt sich ihrer an, um sie in Liebesdingen aufzuklären ... Fünf bis zehn Jahre lang lief der junge Mann den Schürzen nach...“38. Die Mädchen hingegen mussten keusch bleiben, um als Jungfrauen in die Ehe zu gehen. Jedoch wird dies auf die gehobenen Schichten nicht mehr vollkommen zugetroffen haben. Mit dem Tag der Hochzeit sollten aber auch die Ausschweifungen des Mannes enden, jedoch galt z.B. der Verkehr mit Prostituierten und Sklavinnen nicht als Ehebruch. 1. Sexuelle Neigungen Zum Exhibitionismus39 gehören neben der Zurschaustellung des Körpers auch der verbale und akustische Exhibitionismus, also obszönes Sprechen, lautes Stöhnen, aber auch Beschreibungen von Sexabenteuern und Potenzprotz. Dagegen sind Entblößungen beim Tanz oder bei Stripszenen im Theater nicht als Exhibitionismus zu werten, da dies vorrangig der Stimulierung der Zuschauer dient. Im alten Rom kann wahrscheinlich alles Erotische, das in der Öffentlichkeit ausgeübt wurde, dazu gezählt werden, da damals selbst Zärtlichkeiten nicht in der Öffentlichkeit ausgetauscht werden sollten. Es war gesellschaftliche Norm, dass Sex erst nach dem Einbruch der Dunkelheit und nur im verdunkelten Zimmer stattfinden und sich die Frauen nicht aller Sachen entledigten durfte (sollten mindestens die Busenbinde anbehalten). Ebenso galt Stöhnen und heftige Bewegungen als unangemessenes Verhalten für Ehefrauen und sollte eher den Huren überlassen werden40. So erfahren wir in I 34 von einer Lesbia, die es „incustoditis et apertis ... semper liminibus“ (Vers 1-2) treibt und „die geheime Liebschaft nicht versteckt“ („nec tua furta tegis“ Vers 2), also die Liebe nicht wie gefordert hinter Türen und in abgedunkelten Räumen praktiziert. Es kommt hinzu, dass „plus spectator quam <se> delectat adulter“ (Vers 3) und dass „nec sunt grata tibi gaudia si qua latent“ (Vers 4). Dies zeigt, dass Lesbia nur durch die Zurschaustellung ihres Körpers und des Geschlechtsaktes mit den daraus resultierenden geilen Blicken der Zuschauer zur Befriedigung ihrer sexuellen Bedürfnisse kommt. Die Verwerflichkeit dieser Neigung wird durch die nun folgenden Kontrastierung gegenüber dem Verhalten der Prostituierten erreicht. Denn „meretrix abigit testem veloque seraque raraque Submemmi fornice rima patet“ (Vers 5-6). Weiterhin vergleicht der Erzähler sie mit Chione 38 Veyne, Paul (Hrsg.), Geschichte des privaten Lebens, Band I. Vom Römischen Imperium zum Byzantinischen Reich, Frankfurt/Main 1995, S. 36 39 Heutige Erklärung: http://www.m-ww.de/sexualitaet_fortpflanzung/lexikon/exhibitionismus.html 40 Lukr. 4, 1269ff., vgl. Kommentar von Brown, Robert D., Lucretius on Love and Sex, Leiden 1987 ad. loc. 14 und Iade (stadtbekannte Dirnennamen), die mehr Schamgefühl als sie besitzen41. Selbst die niedrigsten Huren, die Friedhofshuren, haben mehr Scham, da sie „abscondunt“ (Vers 8). Das Epigramm VII 62 handelt von einem Amille42, von dem gesagt wird: „reclusis foribus grandes percidis, Amille, et te derprendi, cum facis ista, cupis“ (Vers 1-2), d.h. er treibt es mit Erwachsenen, er hat homosexuellen Kontakt, wobei er den Part des Penetrierenden ausübt und nicht die erniedrigende Position des pathicus43. Dabei möchte er nun beobachtet werden, aber in erster Linie nicht, um so seine sexuelle Lust zu befriedigen, sondern damit niemand etwas anderes erzählen kann44. Aber Martial meint, dass derjenige, der „non pedicari se ... testatur“ (Vers 5), dieses in Wirklichkeit „saepe facit quod sine teste facit“ (Vers 6). Damit dient hier der Exhibitionismus nicht der Lustbefriedigung, sondern dem Verstecken anderer, gegen die Norm verstoßender Neigungen. Eine weitere sexuelle Vorliebe, die eng mit dem Exhibitionismus zusammenhängt, ist der Voyeurismus. Dazu zählt die Beobachtung des Sexualaktes anderer Personen, das Anschauen von Bildern oder das Zuschauen, ob im Geheimen oder nicht, wenn sich eine Frau/Mann auszieht oder ähnlichen Dingen nachgeht. Gründe dafür können sein, dass man nur so zu sexueller Erregung bzw. Befriedigung kommt oder dass die eigene sexuelle Befriedigung, der, z.B. durch Impotenz, nicht mehr nachgegangen werden kann, auf diese Weise ersetzt wird45. Bei Gelagen war der Voyeurismus natürlich immer gegeben und eine abgemilderte Form ist das Zuschauen bei erotischen Tänzen. Indirekt zählen die Belege für Exhibitionismus als Beweis für diese sexuelle Neigung, also die Epigramme I 34 und VII 62, da hier von Zuschauern die Rede ist: spectator (I 34,3) und teste (VII 62,6). Angedeutet wird Voyeurismus, auch Skopophilie genannt, in XI 45, wenn der Cantharus große Sorgsam walten lässt, um das Bordellzimmer vor jeglichem Blick zu verschließen. So begnügt er sich nicht mit „foribus veloque seraque“ (Vers 3), sondern auch dass „oblinitur minimae si qua est suspicio rimae“ (Vers 5). Damit wird aufgezeigt, dass er Angst hatte beobachtet zu werden, d.h. also, dass Voyeure zuschauen könnten. Ein direkter Beleg in diesem Epigramm ist Vers 6 „punctaque lasciva quae terebrantur acu“, weil hier ausgesagt wird, dass speziell Löcher gemacht wurden, um dem Verkehr zuzuschauen. Voyeurismus könnte auch in XII 86 angedeutet sein: „a Chione saltem vel ab Iade disce pudorem“ (I 34,7) Friedlaender und D.R. Shackleton Bailey bevorzugen Hamille 43 Hierzu mehr in Kapitel III 2.1. 44 „ne quid liberti narrent servique paterni et niger obliqua garrulitate cliens“ (VII 62,3-4) 45 Sen. ep. 114,25 41 42 15 Triginta tibi sunt pueri totidemque puellae: una est nec surgit mentila. Quid facies ? Es handelt von einem Mann, der sich 30 Knaben und Mädchen hält, aber impotent ist, da sich seine mentula nicht mehr erhebt. Nun wird die Frage in den Raum gestellt, „quid facies?“. Die Beantwortung dieser Frage kann eben lauten, dass er den Knaben und Mädchen beim sexuellen Verkehr zuschaut und sich so seine sexuelle Befriedigung holt, die er auf normalem Wege nicht mehr erreichen kann. Ein konkreter Beleg für Skopophilie ist XI 104,13-14, denn diese Verse handeln von „Phrygii servi“, die „post ostia“ „masturbabantur“, wenn „Hectoreo ... sederat uxor equo“. [Anm.: aus dem Bereich des Mythos] Neben den bereits genannten sexuellen Neigungen gehört auch die Vorliebe für ganz bestimmte Sexualpartner hinzu. So finden wir in III 76 einen Bassus, der es nur mit „vetulae“ (Vers 1) treibt und „fastidit ... puellas“ (Vers 1). Verdeutlicht wird diese Begierde, die als abstoßend empfunden wurde, durch die Übertreibung „nec formosa tibi sed moritura placet“ Vers 2), indem also die alten Frauen so dargestellt werden, als wären sie dem Tode nahe. Der Ekel, den der Erzähler bei dieser Neigung empfindet, drückt sich in Vers 3 aus: „Hic, rogo, non furor est, non haec est mentula demens?“, er kann dies also nicht verstehen. Cloe hingegen ist einem „tenero ... Luperco“ (IV 28,1) verfallen, was verdeutlicht wird durch die Anzahl an Geschenken, die sie ihm zuteil werden lässt (Vers 2-6). Die Luperci sind die Priester, die zu den Lupercalia nur mit einem Schurz bekleidet durch die Stadt liefen, wobei hier wohl eher die beiden Jünglinge gemeint sind, an denen die Blutzeremonie, welche dem Marsch durch die Straßen vorausging, vollzogen wurde46. Martial bezeichnet Cloe auch als „glabraria“ (Vers 7), welches doppeldeutig zu sehen ist. So bezeichnet das Wort einerseits eine „Freundin glatter Sklaven“, was auf den lupercus zu beziehen ist, andererseits eine „Glattrasierte“. Diese zweite Bedeutung ist im Sinne von „ihrem Vermögen beraubte“ zu sehen, drückt also aus, dass sie dem lupercus so viel schenkt, dass sie selbst am Ende „nudam“ (Vers 8) ist, sich also die Rollen vertauscht haben, da ja eigentlich der lupercus nackt ist. In VII 30 findet sich eine Frau, Caelia, von der gesagt wird: „das Parthis, das Germanis, das ... Dacis“ (Vers 1). Dare steht hier in obszöner Bedeutung, im Sinne von „sich hingeben“. Sie treibt es demnach nur mit Nichtrömern, was auch durch die folgenden Verse 2-6 verdeutlicht wird, in denen weitere Ausländer (Cilicum, niger Indus, inguina Iudaeorum) genannt werden. 46 Marbach, Lupercalia, RE XIII 2, 1927, Sp. 1816-1830; Marbach, Luperci, RE XIII 2, 1927, Sp. 1830-1834 16 Der Erzähler fragt sich „quod Romana tibi mentula nulla placet?“ (Vers 8), da sie eine „Romana puella“ (Vers 7) ist, womit angedeutet wird, dass solch eine Neigung auch nicht der gesellschaftlichen Norm entsprach. Dagegen fühlt sich eine Galla in VII 58 nur zu cinaedi47 hingezogen. So „iam sex aut septem nupsisti ... cinaedis“ (Vers 1), weil „coma <se> nimium pexaque barba iuvat“ (Vers 2). Wenn sie dann „experta latus“ („als Lendenerprobte“, Vers 3), also mit dem Kinaeden Sexualverkehr haben wollte, war „madidoque simillima loro inguina“ („das Glied einem weichem Riemen am ähnlichsten“, Vers 3-4) und es konnte auch nicht mit der Hand erregt werden. Danach verließ sie „inbelles thalamos mollemque maritum“ (Vers 5). Doch die Anzahl der Hochzeiten verdeutlicht, dass sie immer wieder einem Kinaeden verfiel. Die Vorliebe für Knaben und Mädchen ist in vielerlei Epigrammen belegt48, so in XI 45,1-2: „Intrasti quotiens inscriptae limina cellae, seu puer adrisit sive puella tibi“. Ebenso in XII 86,1 „triginta tibi sunt pueri totidemque puellae“. 2. Homosexualität Die Homosexualität gelangte vermutlich erst unter dem Einfluss der Griechen nach Rom, da es für die Zeit davor nur sehr wenige und unsichere Zeugnisse gibt. Für die Zeit der Antike lassen sich Belege homosexueller Beziehungen sowohl zwischen Frauen als auch zwischen Männern finden. Das lesbische Verhältnis war damals wahrscheinlich nicht weit verbreitet, worauf die wenigen Quellenzeugnisse und das Nichtvorhandensein von bildlichen Darstellungen hinweisen könnten. Doch eine genaue Aussage ist hier nicht möglich, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass Herrin und Sklavin oder Freundinnen miteinander sexuelle Kontakte hatten, da diese über derartiges keine Aufzeichnungen machten und es wohl auch nicht ihrem Partner erzählten. Lesbische Liebe wurde damals als anrüchig empfunden, da die Frau eigene sexuelle Bedürfnisse zeigte und selbst aktiv wurde, obwohl die gesellschaftliche Norm vorgab, dass die Frau den passiven Part innehaben, in sexuellen Dingen zurückhaltend und dem Mann zu Diensten sein sollte. Bei Martial findet sich als Bezeichnung solch einer Beziehung „prodigiosa Venus“ (I 90,8), die „mentitur[que] virum“ (Vers 8). Bassa ist hier „numquam maribus iunctam“ (Vers 1) gesehen wurden und hatte immer „turba tui sexus“ (Vers 4) um sich. Zunächst wird sie für eine Lucretia, eine sittenstrenge Frau, gehalten, doch stellt sich heraus, dass sie bei dieser Schar den „fututor“ (Vers 6) spielt. Den sexuellen Verkehr beschreibt Martial so: „inter se geminos audes committere cunnos“ (Vers 7). Weitere 47 48 üppiger und wollüstiger Tänzer, in der Regel bereit sich zur männlichen Unzucht herzugeben mehr zur Vorliebe für Knaben im Punkt Knabenliebe (2.2.) 17 Belege finden sich in VII 67 und 70, die beide von einer Philaenis handeln. Sie ist eine „tribas“ (VII 67,1), eine Tribadin, ein Mannweib, eine Unzuchttreiberin, eine Reiberin, welche noch mehr verachtet wurde, da sie die Männer nachahmte, indem sie athletische Übungen ausführte und übermäßig aß und trank (Vers 4-12). Im alten Rom wurden nämlich athletische Übungen von Frauen als Perversität empfunden. Der lesbische Sexualkontakt wird ausgedrückt durch „undenas dolat in die puellas“ (Vers 3), wobei hier dolare („bearbeiten“) mit obszöner Bedeutung zu verstehen ist. Weiterhin durch „plane medias vorat puellas“ (Vers 15), wobei darauf hingewiesen wird, dass sie „non fellat“ (Vers 14), weil dies nicht männlich ist, um so wieder diese schändliche Neigung der Tribadin zu betonen. Aber in Vers 16-17 weist der Erzähler darauf hin, dass gerade „cunnum lingere“ nicht männlich ist. 2.1. Männliche Homosexualität Im alten Rom galt eine homoerotische Beziehung nur dann nicht als schändlich, wenn sie zwischen einem Erwachsenen und einem Knaben bestand. Ein derartiges Verhältnis zwischen Gleichrangigen oder Gleichaltrigen wurde als widernatürlich empfunden, da einer der Partner den passiven Part ausüben würde und sich damit auf eine Stufe mit einer Frau stellen, sich also unterwerfen würde. Als Bezeichnung für den passiven Schwulen wird v. a. pathicus oder cinaedus49 aber auch impudicus oder diatithemenos verwendet, die alle einen Schwulen bezeichnen, der sich penetrieren lässt. Neben den pathici gibt es aber noch den fellator, der also die Fellatio beim Manne ausübt und sich ebenso in eine passive Stellung begibt. Bei Martial weist zum einen die Epilierung von Männern auf einen pathicus hin, so z.B. in II 62, wo Labienus gefragt wird „Cui praestat, culum quod, Labiene, pilas?“ (Vers 4)50. Zum anderen auch langes lockiges Haar, womit weibliches Äußeres auf den männlichen Körper übertragen wird, wie in X 65,6: „tu flexa nitidus coma vagaris“. In II 82 wird der passive Part angedeutet, weil Ponticus seinem Sklaven die Zunge herausgeschnitten hat und der Erzähler sagt: „nescis tu populum, quod tacet ille, loqui?“ (Vers 2). Bei Hyllus in II 51 wird dies deutlich durch den Vergleich „ denarius ... cum sit et hic culo tritior, Hylle, tuo“ (Vers 1-2)51 und dass diesen Denar nur der erhält, der „pene superbus erit“ (Vers 4). Weiterhin „spectat“ Hyllus „convivia culi“ (Vers 5). Auch die Anspielung auf Feigwarzen, also auf eine Analaffektion, kann ein Hinweis auf einen pathicus sein52. Direkt benannt wird dies mit 49 in einer homosexuellen Beziehung der sich geschlechtl. als Frau fühlende Mann, passiver Partner weitere Epigramme: II 36,5-6; V 41,1.6. 61,6; IX 27,1-4; X 65,8; XIV 205 51 „culus tritior“ ebenso in Mart. IX 57,13 52 I 65,4; IV 52; VI 49,10-11; XII 33 50 18 Verben wie percidere, welches gewöhnlich „zerschlagen“ bedeutet, aber im obszönen Sinne die Bedeutung „jemanden aufspießen/mit jemandem Unzucht treiben“ hat. Dies findet sich in IV 48,1 „percidi gaudes, percisus, Papyle, ploras“ (ebenso Vers 4). Daneben kann auch das Verb secare den Analverkehr ausdrücken, wenn man es im obszönen Sinne mit „durchdringen, durchbohren“ übersetzt. In VI 37,1 beschreibt es dann, im Passiv stehend, den pathicus: „secti podicis usque ad umbilicum“. In dem Epigramm wird Charinus aber auch direkt als „cinaedus“ (Vers 5) bezeichnet. In IX 47,5 beschreibt Martial den passiven Part durch „in molli rigidam clune libenter habes“. Der Part des fellator ist bei Martial zum einen erkenntlich durch einen schlechten Atem, durch den gute Sachen, wie Essen oder Parfüm, verderben, so in III 17,4-6 „sufflavit buccis terque quaterque suis ... merda fuit“53. Dieser schlechte Geruch wird auch durch Küsse angedeutet, die nicht erwünscht sind, wie in XI 95 „Incideris quotiens in basia fellatorum, in solium puta te mergere, Flacce, caput“ 54 , wobei hier auch direkt das Wort fellator verwendet wird55. Ebenso deutet der Gebrauch von zu viel Parfüm, das den schlechten Geruch übertünchen soll, (II 12; VI 55) und die Ablehnung eines Bechers, aus dem schon ein andere getrunken hat (II 15), auf einen fellator hin. Zum anderen wird diese sexuelle Praxis angedeutet, wenn gesagt wird „... solium ... spurcius ut fiat, Zoile, merge caput“ (II 42) und wenn jemand nur Verdorbenes isst, wie Baeticus in III 77, der auch in III 81 als fellator auftaucht. Konkret benannt ist sie mit dem Verb fellare in II 61,8. 89,6; III 82,33; VII 10,1 und mit lambere, welches Martial zweimal verwendet, immer in der Verbindung „medios lambere lingua viros“ (III 81,2)56. Ebenso durch das Verb lingere, wie in III 88,1, wo „gemini fratres diversa ... inguina lingunt“ und irrumare wie in II 47,4 und II 83,4, welches bei beiden in Verbindung mit dem supplicium puerile57 steht. Die Antwort „Sauger“ bleibt auch als einzige Möglichkeit für die Frage in III 73 übrig, da Phoebus „cum pueris mutuniatis“ (Vers 1) schläft, aber seine mentula selbst „non stat“ (Vers 2), er aber auch kein cinaedus ist. Ebenso ist es in II 28 neben dem cunnilingus eine der beiden Möglichkeiten. Auch hinter den Ausdrücken „non futuis“ (VI 91,2), nihil negare („nil negabas“, XII 71,2), „os percidere“ 53 bei Parfüm in VII 94 weitere Beispiele für unerwünschte Küsse: II 10. 21. 22. 23.; Postumus bei Martial als Synonym für fellator 55 ebenso durch „fellator“ kenntlich in XI 30,2. 56 II 61,2; Siehe zu lambere Adams, James N., The Latin Sexual Vocabulary, Baltimore, 1990, S. 136 57 supplicium puerile: Knaben/junge Männer, die beim Ehebruch erwischt wurden, durften nur mit der Pedikation durch den Ehegatten oder durch den Zwang zur Fellatio beim Gatten bestraft werden; ältere Ehebrecher durften kastriert werden; 54 19 („os tibi percisum“, II 72,3)58 und tacere („tacebis“, III 96,3)59 kann die Bedeutung Fellatio stehen. Zwar wurde die homoerotische Beziehung zwischen Gleichaltrigen an sich als widernatürlich empfunden, doch wurde der aktive Part im Gegensatz zum passiven nicht mit dieser gleichen starken Abneigung versehen, da er in diesem Fall die beherrschende Rolle innehatte. So wird der aktive Part dargestellt durch den Parallelismus in XII 16: Addixti, Labiene, tres agellos; emisti, Labiene, tres cinaedos: pedicas, Labiene, tres agellos. Labienus hat für seine drei Äcker drei Kinäden erstanden, die er nun von hinten nimmt, denn pedicare ist das spezielle Verb, um die Tätigkeit „mentulam in podicem inserere“ auszudrücken60. Weiterhin wird in XI 46,5 der aktive Part durch „culos[que] lacessis“ bezeichnet. Martial gibt auch einen Vorzug des Umgangs mit Kinäden wieder, indem er den Erzähler sagen läßt: „sestertiolum donavit mentula Phoebo bis decies“ (I 58,5-6), d.h. dieser Umgang hat ihn reich gemacht61. In IX 63,2 übt er aber auch Kritik an diesem Verhalten, indem solche Leute als „non purus homo“ bezeichnet werden. Homosexuelle Verhältnisse unter den Soldaten waren nicht erwünscht und sogar verboten62, doch ist es auch hier bekannt, dass diese sowohl unter den Soldaten als auch zwischen Soldaten und männlichen Sklaven oder Prostituierten bestanden. Eine weitere sexuelle Neigung, die oft mit der Homosexualität in Verbindung steht, ist die effeminatio63, d.h. die Verweichlichung des Mannes im Sinne von „weibisch sein“, wenn er sich also dem Verhalten, Kleidung und Tun einer Frau annäherte. Kennzeichen waren die Epilierung, das Tragen von Schmuck, Weiberkleidung, das Auftragen von Schminke, die Nutzung von Parfüms, das Tanzen und Singen64. Diese Neigung wurde von vielen spöttisch bedacht, doch auch als wider die Natur des Menschen empfunden. Die Verweichlichung wird direkt ausgedrückt durch Wörter wie resolute in X 98,2-4, wie mollis in VII 58,5 oder V 41,2 58 Adams, Latin Sexual Vocabulary, S. 212 hier in Verbindung mit dem supplicium puerile – wenn er den Penis des Gatten im Mund hat, wird er schweigen 60 Adams, Latin Sexual Vocabulary, S. 123-125 61 weitere Bsp. für Reichtum durch Umgang mit Kinäden: VI 50; IX 63 62 Cic. Inv. 2,124; Cic. Phil. 13,31,1; Val. Max. 6,1,10. 63 nähere Informationen hierzu siehe Herter, Hans, Effeminatus, RAC 4, 1959, Sp. 620-642 64 I 96,6-7; II 29,2-9; III 63,3-6; X 65,6.8.; XII 38,3-4 59 20 und candidus in VI 39,12. Ihren schändlichen Höhepunkt hatte die effeminatio, wenn sich der effeminatus einem Mann zur Braut hingab, so in I 24,4 „nupsit heri“. Nubere wird normalerweise verwendet, um zu bezeichnen, dass eine Frau heiratet, doch steht es hier im Zusammenhang mit einem Mann („illum“ I 24,1) und zeigt so die Effeminierung. Ebenso in XII 42,1, wo die Verse 5 und 6 die Abneigung gegenüber einem solchen Verhalten ausdrücken: „dos etiam dicta est. nondum tibi, Roma, videatur hoc satis? exspectas numquid ut et pariat?“. 2.2. Knabenliebe Diese Form der homosexuellen Neigung entwickelte sich wahrscheinlich zuerst im alten Griechenland bei den Dorern, wobei sie hier anders ausgeprägt war als dann später in Rom, und wird deshalb auch als „dorische Knabenliebe“ bezeichnet. Bei den Dorern hatte sie den Sinn, dass sich ein älterer Mann einen Knaben aussuchte, den er in Kriegswesen und anderen Dingen unterrichtete. Als Gegenleistung galten die Gesellschaft des Knaben und die Erlaubnis, ab und an dessen Gesicht, Körper, Genitalien zu berühren, und selten durfte er auch seine sexuellen Bedürfnisse durch Schenkelverkehr befriedigen. Alle weiteren Praktiken waren nicht erlaubt65. In Rom hatte die Päderastie diesen Charakter verloren und diente hauptsächlich der Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse des Mannes, wobei der Knabe meist den passiven Part innehatte. Wenn ein Knabe den passiven Part ausübte, fehlte allem Anschein nach der schändliche Charakter dieser Rolle und so sagt P. Veyne, dass Kinder in Rom nichts zu sagen hatten, und sie sind sozusagen „in Rom Sklaven, die nicht zählen ..., so dass sie ohne Entehrung passiv sein können“66. Ein Päderast galt nicht als ein Mensch mit unbegreiflichen Trieben, sondern war nur ausschweifend und von dem allgemeinen Lustverlangen angetrieben, womit sich erklären lässt, dass die Knabenliebe sehr verbreitet war. Man prahlte damit und viele Männer gaben sich ihr hin. Oft hatten reiche Römer hierfür spezielle Sklaven, die man als delicati bezeichnete. Diese Beziehung war aber nur solange nicht anrüchig, wie der Knabe noch im Jugendalter war. Hatte er dieses überschritten, in der Regel galt der erste Bartwuchs als Anzeichen, so musste die Beziehung beendet werden, da sie sonst zu einer homoerotischen Beziehung zwischen Erwachsenen überwechseln würde 65 für nähere Informationen siehe: Kroll, Wilhelm, Freundschaft und Knabenliebe, München, 1924, S. 16ff.; Kroll, Wilhelm, Knabenliebe, RE 21. Halbbd., 1921, Sp. 897-906 66 Veyne, Paul, Homosexualität im antiken Rom, in: Ariès, Philippe/Béjin, André (Hrsg.), Die Masken des Begehrens und die Metamorphosen der Sinnlichkeit. Zur Geschichte der Sexualität im Abendland, Frankfurt/Main 1986, S.40-50, hier: S. 44 21 und diese, wie bereits ausgeführt, in der Gesellschaft verpönt war. Solche „alten“ Knaben wurde als exoleti67 bezeichnet. Ein deutliches Anzeichen für Knabenliebe ist die, bei Martial sehr oft vorkommende Knabenschwärmerei, bei der entweder die Vorzüge des Knaben68 oder die Sehnsucht nach Knabenküssen69 beschrieben wird. Ein weiterer Hinweis ist auch der erwünschte Ehebruch der Frau mit Knaben, wie aus II 49 zu erkennen ist. Der Erzähler zielt auf das supplicium puerile ab, da er damit Knaben von hinten nehmen kann. Diese Form der sexuellen Befriedigung, der Analsex, wurde in der Regel an den Knaben praktiziert, wie aus VII 10,1 „pedicatur Eros“ und „Nascia ... percidit Hylan“ (XI 28) und aus XI 45 „puer adrisit ... tibi“ (Vers 2) und „qui vel pedicat“ (Vers 8) ersichtlich ist. Diese pedicatio sollte die einzige Form der sexuellen Befriedigung an Knaben sein, denn in XI 22 wird deutlich gemacht: „inguina saltem parce fututrici sollicitare manu“ (Vers 3-4). So soll man also nicht versuchen den Knaben mit der Hand zu erregen, denn „levibus in pueris plus haec quam mentula peccat“ (Vers 5). Der Penis ist für die Frauen und der culum für die Männer, wie Vers 9 und 10 zeigen. Natürlich hielt man sich nicht daran und so wird über die delicati des Tucca gesagt: „aspiciturque tua mentula facta manu“ (XI 70,6) In XI 43 gibt der Erzähler verschiedene Beispiele aus der Mythologie für Knabenliebe an und will damit verdeutlichen, dass der Analsex mit Knaben etwas völlig anderes ist, als der mit Frauen: „parce tuis igitur dare mascula nomina rebus teque puta cunnos, uxor, habere duos“ (Vers 11-12). Dies wird ebenso in XII 96,7-12 verdeutlicht, wobei hier gleichzeitig auch die Vorteile der Knabenliebe für die Ehefrau hervorgehoben wird (Verse 3-7). Auf der anderen Seite finden sich aber auch zwei Epigramme, die aufzeigen, dass die Päderastie für verheiratete Männer nicht mehr üblich war70. Daraus könnte man deuten, dass die Knabenliebe, vielleicht auch nur der exzessive Genuss, nicht vollkommen vorurteilsfrei war, wie auch durch „nil miserabilius, Matho, pedicone Sabello“ (VI 33,1) deutlich wird. Dieser Sabellus wird nun von Schicksalsschlägen heimgesucht (Vers 3) und danach „futuit“ (Vers 4), er macht es also wieder normal, ist sozusagen geheilt. Eine ähnliche Situation wird auch in XI 87 geschildert. Bei beiden spielt aber der Verlust von Geld eine Rolle, was darauf hindeutet, dass sich wohl nur die Reicheren diesem Genuss vollends hingeben konnten. Dies wird auch aus I 58 ersichtlich, da „milia pro puero centum me mango poposcit“ (Vers 1)71, wobei hier gleichzeitig auf den delicatus hingewiesen wird. Der Kauf von Knaben wird in XI 67 ein Beispiel hierfür ist Mart. IV 7,1-3 Mart. IV 42; VIII 46; X 42,1-4. 66; XI 26; XII 75 69 Mart. III 65; VI 34; IX 93,7; X 42,5-6; XI 6,14-16. 8 70 Mart. XI 78; XII 97 71 derselbe Preis in Mart. XI 70,1 68 22 70 als Luxus dargestellt („luxuria est emere hos“, Vers 11), der Verkauf aber als noch größerer Luxus („multo maior vendere luxuria est“, Vers 12). Neben den Epigrammen, die den passiven Part der Knaben beschreiben, lassen sich bei Martial auch Zeugnisse für deren aktive Rolle finden. Dies lässt sich zum einen an „mentula cum doleat puero, tibi, Naevole, culus“ (III 71,1) beweisen und zum anderen an „ut pueros emeret Labienus vendidit hortos. nil nisi ficetum nunc Labienus habet.“ (XII 33), weil ficetum auf Analsex hindeutet, und da Labienus die Feigen hat, zeigt es eindeutig, dass er von den Knaben von hinten genommen wird. Auch in XI 63 gibt es „pueri“, die „pedicant“ (Vers 35). Weiterhin lässt sich dies aus VII 62 herauslesen: Reclusis foribus grandes percidis, Amille, et te deprendi, cum facis ista, cupis, ne quid liberti narrent servique paterni et niger obliqua garrulitate cliens. non pedicari se qui testatur, Amille, illud saepe facit quod sine teste facit. Amillus treibt es mit Knaben immer so, dass er dabei gesehen wird72, um auszuschließen, dass er als pathicus bezeichnet wird. Jedoch weist der Erzähler darauf hin, dass gerade diejenigen, die sich unter Zeugen nicht von hinten nehmen lassen, eben dies ohne Zeugen tun. Bei der Knabenprostitution ist die Grenze zwischen bloßem Verhältnis und Prostitution fließend, denn oft kann nicht eindeutig geklärt werden, ob sich der Knabe nur diesem einen oder auch weiteren Männern hingab. Zumeist boten sie ihren Körper aus ökonomischen Gründen an, aber es gab auch vornehme Knaben, die ihren Körper, als gute Einnahmequelle, zur Befriedigung der Lüste hergaben. Zwangsprostitution erfolgte zumeist bei Sklaven, so gab es in vielen Bordellen auch Mannhuren. Männliche Prostituierte sollen langes gekräuseltes oder gewelltes Haar und eine langärmlige Tunika getragen haben, um weiblicher zu erscheinen73. Hinweise bei Martial für die Knabenprostitution lassen sich in IX 5,4-7 finden, wo durch die Sittengesetze des Domitian dieser Einhalt geboten wird. Auch das Lobepigramm IX 7 auf Domitians Kastrationsverbot birgt Schilderungen über die Knabenprostitution: 72 Hier müssen es Knaben sein, da die homosexuelle Beziehung zwischen Erwachsenen, auch wenn Amillus den aktiven Part ausführt, nicht unschändlich war. So würde Amillus sich wohl kaum dabei beobachten lassen, wenn er Verkehr mit Erwachsenen hätte. 73 Krenkel, Werner A., Männliche Prostitution in der Antike, in: Das Altertum 24, 1978, S. 49-55, hier: S. 53 23 IX 7,2-5 foedandos populo prostituisse mares, iam cunae leonis erant, ut ab ubere raptus sordida vagitu posceret aera puer: immatura dabant infandas corpora poenas. Weiterhin lassen sich Belege in IX 59,3-6 finden, wo der Verkauf von Knaben geschildert wird und in XI 45,1-2, wo Knaben in einem beschilderten Raum, also dem Zimmer eines Bordells, auf Kundschaft warten. 3. Sexpraktiken In den Schilderungen der vorhergehenden Kapiteln fanden sich schon vereinzelt Sexpraktiken, so z.B. der Analsex und die Fellatio, aber konkret nur auf das homosexuelle Verhältnis bezogen. Neben diesen beschreibt Martial noch einige weitere Sexpraktiken und Sexstellungen, unter denen der Oralverkehr, zu welchem die Fellatio durch die Frau74 und der cunnilingus, also „das Lecken der weibliche Scham“, gehören, eine besondere Beachtung findet. Andere sind z.B. noch die Masturbation und der Gruppensex. 3.1. Fellatio – Die Frau macht es dem Mann Es ist wohl anzunehmen, dass die Fellatio den Männern als das non plus ultra galt, da sich hier die Frau in die völlige Unterwerfung unter die Begierden des Mannes begab. Inwiefern die Fellatio durch die Frau in der Gesellschaft als schändlich oder widernatürlich empfunden wurde, lässt sich nicht eindeutig sagen. So muss der vielerlei auftretende Spott über diese Oralpraktik nicht darauf hindeuten, dass diese als abstoßend galt, sondern könnte sogar aufzeigen, dass die orale Befriedigung sehr oft angewendet wurde. Es kann wahrscheinlich angenommen werden, dass sie bei den Sittenwächtern als anormal galt, da sie nicht unmittelbar der Fortpflanzung diente. Auf den schändlichen Charakter könnte die Verwendung des Topos des unreinen Mundes oder schlechten Geruchs hindeuten. Dies erfolgt in I 83 durch die Gegenüberstellung „os et labra tibi lingit ... catellus“ (Vers 1) und „merdas si libet esse cani“ (Vers 2). Weiterhin in III 87, wo sich Chione, die angeblich noch nie Beischlaf gehabt haben soll, sich beim Baden „subligar in faciem“ (Vers 4) hängen soll, 74 Die Fellatio durch den Mann wurde bereits im Kapitel „Männliche Homosexualität“ (III 2.1.) behandelt. 24 „si pudor est“ (Vers 4) und in X 22 will der Erzähler verhindern, dass er von Philaenis geküsst wird. Auch in I 94 ist Aegle nicht mehr zum Küssen („basianda non es“, Vers 2), seitdem sie gut singt. Wenn man nun zu dem Ausdruck „basianda non es“ den Vers 1 hinzunimmt , der aussagt, dass sie schlecht sang, solange sie normalen Beischlaf hatte (fututa es“), wird die Fellatio deutlich. Weiterhin kann die Wendung „Wasser trinken“ auf die Fellatio hinweisen, da dies eine übliche Form der Reinigung nach dem Oralsex war, um den schlechten und verräterischen Geruch zu beseitigen75. Diese Wendung lässt sich in II 50,2 „Lesbia, sumis aequam“ finden, nachdem sie zuvor gesaugt hat („fellas“, Vers 1), ebenso in VI 69,1 „potat aquam“. Es existieren auch Verben, die diese Sexpraktik direkt ausdrücken oder sie umschreiben. Zum einen findet sich das Verb fellare („saugen, blasen“), welches ein eindeutiges Indiz ist, in den Epigrammen II 33,4. 50,1. 73,1; IV 84,4; IX 4,4; XII 79,4. In XII 79,4 erfolgt auch eine Gleichstellung von fellare mit dem Ausdruck nihil negare, der ebenso diese Praxis ausdrückt und aufzeigen will, dass diejenigen, die niemals „nein“ sagen, auch die Fellatio ausüben. Hierdurch wird eher ein schändlicher Charakter des Oralverkehrs deutlich, wie es auch in IV 12 ist, in dem über Thais gesagt wird: „te ... hoc saltem pudeat, Thai, negare nihil“. Auch in XI 49,12 findet dieser Ausdruck in einem Parallelismus Verwendung, um aufzuzeigen, dass sie dem Erzähler alles geben soll, da er ihr auch alle Wünsche erfüllt. Ein weiteres Verbum ist irrumare („in den Mund ficken“76), welches bei der Fellatio die Tätigkeit des Mannes ausdrückt. So lässt es sich in II 47,4 finden, wo ein Ehemann nur diese Form der Befriedigung neben dem normalen Geschlechtsverkehr ausübt. Weiterhin in II 70,3. 83,5; IV 17,3 und in IV 50,2, wo zudem ausgedrückt wird, dass man für diesen Stil niemals zu alt ist. Neben diesen Verben drückt auch lingere („lecken“) diese Tätigkeit aus, welches bedeutend seltener mit „mentulam“, wie hier bei der Fellatio, als Objekt in Verbindung steht als mit cunnum, wie bei cunnilingus. Lingere findet sich in IX 40,4, wo mentula durch „illam ... quam castae quoque diligunt Sabinae“ (Vers 4-5) umschrieben wird. Ebenso in der Verbindung „diversa ... inguina lingunt“ (III 83,1), womit beide Arten des Oralverkehrs ausgedrückt werden. In XII 55,13 findet sich das Verbum zwar alleine, doch wird die Bedeutung aus dem Kontext ersichtlich. Das Wort basiare drückt in XI 61,5 in der Verbindung „mediumque mavult basiare“ ebenso den Oralsex durch die Frau aus. 75 Krenkel, Werner A., Fellatio and Irrumatio, in: WZRostock 29, 1980, Heft 5, S.77-88, hier: S. 80; Ov. am. 3,7,83f. 76 Bei dieser Übersetzung halte ich mich an Obermayer, Hans P., Martial und der Diskurs über männliche „Homosexualität“ in der Literatur der frühen Kaiserzeit, in: Classica Monacensia, Band 18, Tübingen 1998, weil ich diese Übersetzung als die treffendste empfinde. Die Lexikonübersetzungen drücken dies nicht deutlich aus oder bieten nur lateinische Umschreibungen. Adams, Latin Sexual Vocabulary, S. 126 gibt die lateinische Umschreibung „mentulam in os inserere“ wieder. 25 Im Epigramm III 75 wird die Fellatio bei einem impotenten Mann, der alles versucht, um seinen Penis wieder aufzurichten, durch die Wendung „puras opibus corrumpere buccas“ („reine Küsse als Mittel missbrauchen“, Vers 5) beschrieben. In XI 46,6 wird Maevius, dessen Glied nur noch im Schlafe steht, geraten nach oben zu streben („summa petas“), nachdem es auch nicht bei „cunnos culosque“ (Vers 5) geklappt hat. „Illic mentula vivit anus“ (Vers 6), d.h. die Fellatio ist der letzte Weg, um den Penis noch zu erregen. Lupercus verrät sich selbst durch seine Antwort „Glycerae dolere dentes“ (XI 40,6) auf die Frage, warum er denn mit Glycera keinen Sex haben könne – Lupercus non futuit, sed irrumat. Auch die Bitte „inprobius quiddam ... rogavi“ (IX 67,5) gibt den Wunsch nach Fellatio wieder. 3.2. cunnilingus – die orale Befriedigung der Frau Die wohl schändlichste Sexpraktik für einen Mann war der cunnilingus, weil er dabei einer Frau zu Diensten war und sich ihren Begierden unterwarf. Es findet sich zur direkten Benennung dieser Tätigkeit in der Literatur cunnilingus, welches zum eine „die Stimulierung der äußeren Geschlechtsorgane der Frau durch massierende Bewegungen mit der Zunge und den Lippen, wie zum Beispiel küssen, lecken, sanft anblasen, saugen, usw.“77 bezeichnet, als auch die ausführende Person, und der Ausdruck cunnum lingere, von dem sich das erste ableitet. Cunnum lingere bezeichnet diese Form des Sex in I 77,6; II 84,3 und XI 47,8. Nur lingere in dieser Bedeutung findet sich in III 96,1 „lingis ... meam puellam“ und in VI 26,3, wo Sotades diese Praktik ausübt, weil er seinen Penis nicht mehr emporrichten kann („arrigere desit posse“, Vers 3). Wie schon im Kapitel III.1. gesagt, bezeichnet III 88,1 neben der fellatio auch den cunnilingus, ebenso in II 28. In XI 85 kommt es bei Zoilus, während er leckt („dum lingis“, Vers 2), zur Paralyse der Zunge („sidere percussa est subito tibi ... lingua“, Vers 1). Die Schändlichkeit der Sexpraktik wird dann durch „nunc futues“ (Vers 2) deutlich, dass er es nun endlich normal macht. In III 84 wird linguam als moecha bezeichnet und damit tritt narrare in obszöner Bedeutung auf. Gleich mehrere Ausdrücke finden sich in III 81, so in Vers 1 „quid cum femineo tibi ... barathro?“ („Was interessiert dich der weibliche Schlund?“), in Vers 4 „tibi tam gratus ... cunnus erat“ und „ore vir es“ in Vers 6, welcher zeigt, dass sein Mund, also seine Zunge, die mentula ist. Nachdem bei Linus in XI 25,2 die mentula nicht mehr steht, soll sich die lingua in Acht nehmen, d.h. sie wird zum Ersatz für den Penis. Neben III 81 strotzt auch das Epigramm XI 61 nur so von Hinweisen auf 77 http://www.sex-lexikon.net/alphabet/c.htm, Artikel „Cunnilingus“ 26 cunnilingus. So ist Nanneius „lingua maritus, moechus ore“ (Vers 1) und „Summoenianis inquinatior buccis“ (Vers 2). Ein weiterer Hinweis ist, dass Leda ihn „medium[que] mavult basiare quam summum“ (Vers 5) und der Vers 6: „modo qui per omnes viscerum tubos ibat“. Ebenso wird seine Zunge als „linguam ... fututricem“ (Vers 10) bezeichnet und auch Vers 11 „dum tumenti mersus haeret in volva“ („als er, nachdem er eingetaucht war, in der geschwollenen Scheide festsaß“) kann als deutlicher Beweis hinzugezogen werden. Das Wort cunnilingus wird verwendet in IV 43,11; VII 95,14; XII 59,10 und XII 85,3, wobei in den letzten beiden Epigrammen auch auf den schlechten Geruch, durch den die cunnilingi78 gekennzeichnet waren, eingegangen wird. So wird der Kuss von einem cunnilingus als „hircoso ... osculo“ (XII 59,5) bezeichnet und in XII 85,3 riecht der Mund eines cunnilingus stärker als „Pediconibus os“ (Vers 1). Auch die Verse 9 und 10 von IV 39 „argentum tamen inter omne miror quare non habeas, Charine, purum“ stellen den schlechten Atem dadurch dar, dass Charinus, der bereits in I 77 als cunnilingus entlarvt wird, zwar Silber besitzt, aber eben kein reines. Das Topos des unreinen Mundes findet auch in VI 81 Anwendung: iratus tamquam populo, Charideme, lavaris: inguina sic toto subluis in solio. nec caput hic vellem sic te, Charideme, lavare. et caput ecce lavas: inguina malo laves. Charidus wäscht, zornig auf das Volk, seinen Unterleib im solium, einer Art Sitzbadewanne. Der Erzähler hofft nun, dass er nicht auch noch seinen Kopf so wäscht, doch als Charidus dies macht, sagt der Erzähler, dass es ihm lieber sei, wenn er seinen Unterleib wäscht. Hier wird eben ersichtlich, dass der Mund unreiner ist als sein Geschlechtsteil und weist damit auf Oralverkehr hin. Wenn man jetzt das Epigramm VI 56 hinzunimmt, so wird ersichtlich, dass es sich bei Charidus um einen cunnilingus handeln muss. Ihm wird hier angeraten „extirpa ... pilos de corpore toto teque pilare tuas testificare natis“ (Vers 3-4), weil „multos dicere multa“ (Vers 5). Er soll damit glauben machen, dass er ein pathicus ist („pedicari“, Vers 6), um seine schändlichere Tätigkeit zu verstecken. Damit kann, meiner Meinung nach, nur der cunnilingus angedeutet sein, denn die Tätigkeit des fellators, die Farouk Grewing hier vermutet79, galt nicht für schändlicher als die des pathicus. Diejenigen, die die Scham lecken, sind mitunter auch an einer Blässe zu erkennen, wie aus I 77 „et tamen pallet“ ersichtlich ist. 78 79 Vermutlich kann auch der ausführende als cunnilingus bezeichnet werden. Grewing, Farouk, Martial, Buch VI. Ein Kommentar (Hypomnemata 115), Göttingen 1997, S. 522f 27 3.3. Sexstellungen und weitere Sexpraktiken Neben Fellatio und cunnum lingere war auch die Masturbation eine oft angewendete Sexform, so sagt B. E. Stumpp: „Masturbation wurde als pragmatische und unkomplizierte Art der Befriedigung als Konkurrenz zur Benutzung einer Prostituierten angesehen.“ 80 Der Begriff Masturbation leitet sich vom lateinischen Wort masturbari ab, das sich aus man- (manu „mit der Hand) und stuprare (schänden) oder aus man- und turbare („erregen, in Unordnung bringen“) ableitet81. Diese Sexpraktik bezeichnet zum einen die Onanie, d.h. der Mann befriedigt sich selbst, und sie bezeichnet Petting, wenn also die Masturbation durch eine andere Person ausgeführt wird. Das Verb masturbari verwendet Martial zweimal, so in IX 41,7 („masturbatus“) und in XI 104,13 „masturbabantur Phrygii ... servi“, weil sie den Geschlechtsverkehr ihres dominus und ihrer domina beobachten. Durch die Tanzbewegungen in XIV 203 würde ein Mann zur Onanie getrieben werden („masturbatorem“, Vers 2). Zumeist nutzt Martial als Euphemismus manus, manus sinistra/laeva oder manus dextra. In IX 41 nutzt Ponticus „paelice laeva“ (Vers 1) und „Veneri servit amica manus“ (Vers 2). Hier tritt auch ein schändlicher Charakter dieser Praxis auf, da gesagt wird: „scelus est“ (Vers 3) und „istud quod digitis, Pontice, perdis, homo est“ (Vers 10). Martial verwendet in VI 23,3 „manibus blandis ... instes“, in VII 58 „inguina nec lassa stare coacta manu“, in XI 22,4 „fututrici sollicitare manu“ („mit geiler Hand erregen“), in XI 29,1 „vetula tractare virilia dextra“, in XI 70,6 „tua mentula facta manu“ („ein Glied, von deiner Hand geknetet“) und in XI 73,4 „succurrit pro te saepe sinistra mihi“, um die Masturbation auszudrücken. Die Hand „succurrit“ dem Erzähler in II 43,14 „pro Ganymede“. Ganymedes war der Mundschenk des Zeus. In XI 46,3 wird die „pannucea mentula“ von „digitis“ gedrängt und in XII 95,5-6 wird die Masturbation mit „ne thalassionem indicas manibus libidinosis“ („damit du nicht den Händen das Hochzeitmachen überlässt“) umschrieben. Ein Beispiel für die weibliche Onanie findet sich in XI 104,16, wenn es sich Penelope mit ihren Händen macht. Weiterhin erfahren wir neben dem gewöhnlichen Vaginalverkehr, der zumeist mit futuere benannt ist oder auch mit „cunnos lacessis“ (XI 46,5), vom Analverkehr bei der Frau. Aus den Epigrammen Martials ist jedoch nicht genau zu erkennen, ob der Analverkehr in der heterosexuellen Beziehung eine übliche Sexpraktik war. Ein Beweis für die Normalität dieser 80 81 Stumpp, Prostitution, S. 265 Adams, Latin Sexual Vocabulary, S. 209-211 28 Praktik ist IX 67,3-4, wo der Erzähler bei einem Mädchen den Analverkehr fordert („illud puerile poposci“) und diese es ihm auch gewährt („dedit“). Dies ist auch aus XI 104,17-20 ersichtlich. Hier beschwert sich der Gatte über die Verweigerung der Frau, obwohl es bei anderen Frauen, wie Cornelia, Iulia, Porcia und Juno82, eine übliche Praktik war. Dagegen ergibt sich aber aus XI 78,5 „pedicare semel cupido dabit illa marito“, dass der Analverkehr in der Ehe unüblich war. Bei Martial finden sich auch Belege für Gruppensex, wie in IX 32,4 „hanc volo quae pariter sufficit una tribus“ („ich will diese, die allein zugleich Dreien genügt“). In X 81 kommen „duo ... ad Phyllida ... fututum“ (Vers 1), jedoch will jeder sie als erster haben und so gibt sie sich beiden zugleich hin („promisit pariter se Phyllis utrique daturam“, Vers 3). Hier wird auch genannt, wie ein Dreier aussehen konnte, wenn man „ille pedem sustulit, hic tunicam“ (Vers 4) so versteht, dass der eine Vaginalverkehr betreibt und der andere Busensex, weil er die Tunika hebt, der andere aber bereits die Vagina benutzt83. Ein weiterer Hinweis für Gruppensex ist XI 81, 1-4, wo Aegle mit zwei Männern im Bett liegt. Aus XII 43, 8-9 „symplegmate quinque copulentur, qua plures teneantur a catena“ erfahren wir sogar von Gruppensex mit 5 Leuten. Die Sexstellung Reiten findet sich in XI 104,14 „Hectoreo quotiens sederat uxor equo“, welches wörtlich übersetzt bedeutet: „sooft die Ehefrau sich auf Hector als Pferd gesetzt hatte“. Die Übersetzung von W. Hofmann ist wohl die treffendere: „wenn die Gemahlin ihren Hector wie ein Pferd beritt“. Es ist also ersichtlich, dass sich bei Martial eine Vielzahl von Sexpraktiken und sexuellen Neigungen, die es in der römischen Antike gab, finden lassen und mitunter ausführlich beschrieben werden. 82 83 Hofmann, Epigramme, S. 718, Anm. 104 Krenkel, Werner A., Tonguing, in: WZRostock 30, Heft 5, 1981, S.37-54, hier: S. 39 (Punkt 7) 29 IV. Abschließende Beurteilung Es hat sich gezeigt, dass der Leser durch die Epigramme Martials aus dem Themenkreis Sexualität viele Details über den sexuellen Verkehr der Römer untereinander erfahren kann. Martial gibt Einblicke in die Welt der Prostitution, z.B. wie die Frau zur Prostitution gelangt, wo man die Dirnen antrifft, ihre Preise, teilweise auch wie sie leben. Er gibt Auskunft über das Hetärenwesen und gesellschaftlichen Normen, die bezüglich der Sexualität im alten Rom herrschten. Der Leser erfährt, dass die Homosexualität und besonders die Knabenliebe eine weite Verbreitung fanden und wie das Ansehen der einzelnen Rollen in einer solchen Beziehung in der Gesellschaft war. Weiterhin beschreibt Martial Sexpraktiken, wie die Fellatio, den Analsex und den cunnilingus, die im damaligen Rom ausgeübt worden. So erfährt man aus der Lektüre, dass der cunnilingus in der Ehe wohl üblich war, aber innerhalb der Gesellschaft als schändlich empfunden wurde. Dagegen lassen sich aber keine genauen Aussagen über die gesellschaftliche Meinung bezüglich dem Analsex in der Ehe durch die Martiallektüre machen. Martial beschreibt ebenso sexuelle Neigungen, wie den Exhibitionismus, den Voyeurismus und die lesbische Liebe. Diese Arbeit hat weiterhin gezeigt, welche Worte und Wendungen Martial verwendet, um sexuelle Praktiken zu beschreiben, oft geschieht dies äußerst detailreich, was in einigen alten Übersetzungen dazu führte, dass bestimmte Passagen einfach weggelassen oder nicht übersetzt wurden. Ob er jedoch, wie dies bei den meisten seiner Rezipienten von der Renaissance bis heute der Fall ist, als „der obszöne Autor par excellence“ unter den römischen Dichtern gelten kann84, ist zu bezweifeln. Denn zum einen machen die Epigramme mit sexuellem Inhalt nur circa 16% seines Gesamtwerkes aus, wie Niklas Holzberg herausgearbeitet hat85, und zum anderen gab es auch andere römische Autoren, die sich obszönen Schilderungen hingaben. Bettina E. Stumpp beschreibt, m.E., das Wirken und die Bedeutung Martials am anschaulichsten: „Mehr als irgendein anderer Autor reflektiert Martial, oft als unanständig oder pornographisch missverstanden, die moralischen Sexualstandards seiner Zeit, indem er mit Hingabe grenzüberschreitendes Verhalten durch die Schilderung des Sexuell-Häßlichen verspottet oder verhöhnt.“86 84 Holzberg, Niklas, Martial, Heidelberg 1988, S. 48 ebd. S. 49 86 Stumpp, Prostitution, S.249 85 30 V. Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen: A. Persi Flacci et D. Iuni Iuvenalis Saturae, ed. Clausen, Wendell V., Oxford 1985. Gaius Plinius Caecilius Secundus, Briefe. Lateinisch-deutsch, ed. Kasten, Helmut, Zürich 7 1995. Helm, Rudolf, Epigramme. Martial. Eingeleitet und im antiken Versmaß übetragen, Zürich/Stuttgart 1957. Hofmann, Walter (Hrsg.), Epigramme. Martial. Aus dem Lateinischen übertragen und herausgegeben, Franfurt am Main/Leipzig 1997. 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