3.2 Filmreihe „Begegnung mit der Bibel“ - Folge: Petrus und Paulus (Dr. Norbert Weidinger) Inhalt des Films Die filmische Erzählung behandelt die Streitfrage zwischen Petrus und Paulus, ob die von Paulus bekehrten Heidenchristen die Gesetze des Judentums (z. B. Speisengesetze, Beschneidung) einhalten müssen. In Antiochia hat sich die Christengemeinde versammelt, um Petrus zu hören, der als Gefährte Jesu authentisch von seinem Meister berichten kann. Anschließend soll in Erinnerung an Jesus das gemeinsame Mahl gefeiert werden. Petrus mit seinen Begleitern und Barnabas, der langjährige Weggefährte des Paulus, wollen aber am Mahl nicht teilnehmen, weil es ihnen als Juden verboten sei, mit Nichtjuden zu essen. Paulus protestiert: Sie seien doch nun alle Christen, da dürfe es keine Unterschiede mehr geben. Auch Barnabas gibt Petrus recht: Das jüdische Gesetz gelte nach wie vor für Juden, selbst wenn sie Christen geworden seien. Paulus befürchtet eine Spaltung der Gemeinde. Sie alle hätten Frieden mit Gott, weil Jesus sie erlöst habe, nicht weil sie die Gesetze befolgten. Als Nebenhandlung zeigt der Film die Wirkung der Auseinandersetzung auf die junge Gemeinde am Beispiel der Heidenchristin Dorkas, ihres Sohnes Titus und dessen Freundes Hermes, eines ehemaligen Sklaven. Besonders er ist enttäuscht, dass es nun wieder Unterschiede geben soll, entgegen der von Paulus gepredigten Gleichheit unter den Menschen. Wahrscheinlich werde nun auch wieder zwischen Sklaven und Herren unterschieden. Eine solche Religion brauche er nicht. Dorkas und Titus gehen zum Haus der Judenchristin Rachel, wo Petrus zu Gast ist, und stellen ihn zur Rede. Schließlich habe Jesus selbst das jüdische Gesetz gebrochen, als er am Sabbat Kranke geheilt habe, und er, Petrus, habe im Haus des Römers Cornelius gegessen und öfters am Mahl ihrer Gemeinde von Antiochia teilgenommen. Warum auf einmal nicht mehr? Petrus erklärt, seine Brüder in Jerusalem hätten ihn aufmerksam gemacht, dass die Gesetze ihre Gültigkeit behielten, auch wenn Juden Christen würden. Auf Dorkas’ Frage, ob sie als Nichtjuden dann auch die jüdischen Gesetze einhalten müssten, meint Petrus, das sei gewiss besser. Dorkas argumentiert, die Juden seien an das Gesetz nicht mehr gebunden, da Christus es schon vollendet habe. Das habe man sie gelehrt. Petrus ist verärgert: So habe noch keine Frau zu ihm gesprochen, und Dorkas erwidert, die Gleichheit der Menschen vor Gott gelte auch für Frauen. Petrus geht. Rachel hingegen lädt Dorkas und Titus in ihr Haus zum Essen ein, obwohl sie Jüdin ist. Lehrplanbezug 6.6 Paulus – vom Christenverfolger zum Völkerapostel; Wirkungsstätten; die Beweggründe des Paulus verstehen; Gründe für die Verbreitung und Verfolgung der Christen Lernziele Die Schüler sollen - verstehen lernen, wie sich das Christentum allmählich aus dem Judentum entwickelt hat und welch wichtige Rolle dabei die Auseinandersetzung zwischen Petrus und Paulus, den Juden- und Heidenchristen gespielt hat - die Einsicht gewinnen, dass die Gefahr bestand, das Christentum könnte in seinen Anfängen und seiner Heimatkultur mit den vielen Reinheitsvorschriften stecken bleiben - sich der drohenden Spaltung aufgrund der Forderung nach der "Freiheit vom Gesetz" bewusst werden, die nur durch den einen Geist Gottes und durch tatkräftige Liebe verhindert werden kann - auch heute noch Bibeltheologische und kirchengeschichtliche Überlegungen Der Entwicklungsprozess, die Entstehung des Christentums aus dem Judentum heraus, den der vorangegangene Film aus der Serie "Begegnung mit der Bibel" an der Person des Paulus nachzeichnet, findet eine Fortsetzung in den ersten christlichen Gemeinden. Er wird in dieser Folge dargestellt. Im Mittelpunkt des Interesses stehen u. a. folgende Fragen: Wie gelang den ersten Christen trotz oder aufgrund der Verfolgung die Verbreitung über das Judentum hinaus? Welche Rolle spielten das sogenannte Apostelkonzil sowie die Auseinandersetzung zwischen Petrus und Barnabas auf der einen und Paulus auf der anderen Seite? Wie verlief der Konflikt zwischen Juden- und Heidenchristen und eventuellen weiteren Gruppierungen? Vorbemerkung zur Geschichtsschreibung In der Apostelgeschichte dürfen wir (siehe letzte Folge "Saulus und Hananias") keine vollständige Biographie des Völkerapostels Paulus und keine Kirchengeschichte nach heutigem Zuschnitt erwarten. Lukas bleibt in seiner Art der Geschichtsschreibung "Kind seiner Zeit", der antiken Geisteswelt. "So schildert er auch die Taten der Apostel aus dem Selbstverständnis des antiken Geschichtsschreibers, der sich einerseits auf Quellen und Überlieferungen beruft, zum anderen seine Aussageabsicht mit Hilfe eigener Kompositionen verdeutlicht" - so die Paderborner Reli- gionspädagogin Agnes Wuckelt (1986, 164f.). Seine Aussageabsicht besteht darin, den Siegeszug des Evangeliums "bis an die Grenzen der Erde" (Apg 1,8) darzustellen. Unter Verwendung von überliefertem Material komponiert Lukas seine Apostelgeschichte nach dem Verständnis der damaligen Geschichtsschreibung. Im Mittelpunkt steht die Theologie und somit nehmen die Predigten des Petrus, Stephanus und Paulus breiten Raum ein. Dabei muss es zu denken geben, dass alle diese Reden keine theologischen Unterschiede aufweisen. Daher ist es sinnvoll, auf der Suche nach der historischen Wahrheit den wenigen historischen Randnotizen in den Paulusbriefen hinsichtlich einer biographischen und geschichtlichen Rekonstruktion der Vorgänge mehr Glauben zu schenken als Lukas. Heutigen Schülern bereiten solche Gedankengänge auf dem Hintergrund ihres Vorverständnisses von Geschichtsschreibung Schwierigkeiten, stellen aber keine unlösbare Aufgabe im Unterricht dar. Hebräer, Hellenisten, Paulus und die Heiden-Christen Schon sehr früh machen sich in der Jerusalemer Urkirche Spannungen zwischen den "Hebräern" und den "Hellenisten" bemerkbar. Die "Hebräer" oder "palästinensischen Judenchristen" sehen sich - auch als Anhänger Jesu - weiterhin der strengen jüdischen Gesetzesauffassung, den jüdischen Traditionen wie dem Tempel, der Synagoge und ihren Reinheitsvorschriften verpflichtet. Demgegenüber drängen die "Hellenisten" auf die Überwindung dieser alten Riten, sie stellen die Autorität Jesu höher als die des Mose (vgl. Apg 6,8-14). Mit der Eingliederung von "Gottesfürchtigen" aus dem Bereich des Hellenismus, der jüdischen Diaspora, hatte bereits das Judentum Probleme. Sie spiegelten sich nun auch in der Urkirche wider im Verhältnis zwischen Juden- und Heidenchristen. Die Heidenchristen übten Kritik an den kultischen Vorschriften, flohen nach den ersten Verfolgungen in Jerusalem, also nach der Steinigung des Stephanus (ca. 33) großenteils nach Antiochia, der drittgrößten Stadt des Römerreiches. Dort bestand bereits eine jüdische Diasporagemeinde mit einer bedeutenden Zahl von Nichtjuden, welche die Praxis der Synagoge, insbesondere auch den Monotheismus schätzten. Sie gehörten als sogenannte "Gottesfürchtige" zur Synagoge dazu, ohne auf die strengen Konversionsvorschriften und kultischen Gebote verpflichtet worden zu sein. Paulus selbst war beschnittener Diasporajude. Er suchte nach seiner Berufung vor Damaskus (ca. 35) auf seinen Missionsreisen insbesondere den Kontakt zu solchen "Gottesfürchtigen" in der jüdischen Diaspora. Viele von ihnen bekehrten sich zum Christentum und bildeten die Gruppe der erwähnten Hellenisten oder Heiden-Christen. Theologisch standen im Zentrum dieser Gruppe die Geisterfahrung ("Charismen"), die Erwählung durch das Evangelium, die Entbindung von den Konversionsvorschriften, sowie Aufnahme in die Endzeitgemeinde durch die Taufe und die Verpflichtung auf die ethischen Gebote der Tora. Das Nichteinhaltenmüssen der Reinheitsgebote wurde legitimiert durch den Hinweis auf den einen Schöpfergott: Gottes Schöpfung kann nicht unrein sein! Alle diese Punkte tauchen in der Theologie des Paulus wieder auf. Für den aus Kiel stammenden Theologen Heinz Zahrnt (1991, 242) bildete die syrische Weltstadt Antiochia, ein Schmelztiegel unterschiedlicher Religionen und Kulturen, den Ausgangspunkt der christlichen Heidenmission. Dort tauchte erstmals die Bezeichnung "Christianer" (christianoi) auf und kennzeichnete die Zugehörigkeit zur neuen Religion. An der Spitze der christlichen Gemeinde in Antiochia stand Barnabas, Diasporajude aus Zypern, der sich Paulus als Gehilfen holte. H. Zahrnt weiter: "Dem Apostel Paulus kommt in der Geschichte des Christentums eine Schlüsselstellung zu wie keinem anderen Zeugen Jesu nach ihm. Er hat die junge christliche Religion davor bewahrt, sowohl eine judaisierende Sekte zu werden als auch in der synkretistischen Religionswelt des Hellenismus (und des Orients, N.W.) aufzugehen. Durch ihn ist das Christentum eine ökumenische Religion geworden." Auch wenn dieser Aspekt der Multireligiosität und -kulturalität Antiochias im Film nicht näher beleuchtet wird, sollte er als aktualisierender Hintergrund und Parallele zur Spätmoderne, in der wir heute leben, ins Bewusstsein gerückt werden. So schreibt z. B. der Hannoveraner Religionspädagoge Harry Noormann (1997, 273) "Die Unterscheidung von 'palästinensischem' und 'hellenistischem' Judentum und Christentum hat sich in der Vergangenheit als ungemein produktives Forschungsprinzip erwiesen. Dieses Paradigma (= dieser Maßstab, N.W.) aber erweist sich als zu eng, um ein differenziertes Bild von der möglicherweise weitaus bunteren Vielgestaltigkeit des frühen Christentums zu gewinnen. Wenn Galiläer aus dem Bauern- und Tagelöhnermilieu, hellenistisch-urbane Handwerker, 'gescheiterte' und absolut marginalisierte Existenzen, ehemalige zelotische Freiheitskämpfer (Lk 6,15f), pharisäisch-torabeflissene Chassidim und rabbinisch Gebildete die Versammlungen bevölkerten, erstehen blasse Ahnungen von einer multikulturell durchmischten und hinsichtlich ihrer religiösen Vorprägung ökumenischen Gemeinde." Der Weg zu dieser ökumenischen, d. h. den ganzen bewohnten Erdkreis umspannenden Gemeinde führte allerdings über harte Auseinandersetzungen zwischen Petrus und Barnabas auf der einen und Paulus auf der anderen Seite. Bibelwissenschaftler arbeiten vor allem zwei Ereignisse heraus: den "Antiochenischen Zwischenfall" und das "Jerusalemer Apostelkonzil". Ersterer steht im Mittelpunkt dieser Film-Folge. Der "Antiochenische Zwischenfall" und das "Jerusalemer Apostelkonzil" Die erste erfolgreiche Missionsreise, die Paulus und Barnabas zusammen über Cypern nach Kleinasien und Mazedonien (ca. 48; vgl. Apg 12-13) führte, bestätigte, "dass Gott den Griechen 'die Tür des Glaubens geöffnet' hatte (Apg 14,27), während gerade die Juden sich mit Argwohn und Ablehnung gegenüber der neuen Lehre nicht zurückhielten. Sollten, mussten, die Neulinge zunächst Juden werden und von der Beschneidung bis zu den Speisevorschriften das mosaische Gesetz befolgen, bevor sie zur Taufe zugelassen werden sollten? Und durfte ein gläubiger Judenchrist sich mit einem 'unreinen' konvertierten 'Nichtjuden' an einen Tisch setzen? Das waren Kardinalfragen, nachdem die Antiochener demonstrativ auf den Beschneidungsritus verzichteten. Denn die Hellenisten vertraten mit Paulus die Auffassung: Der sühnende Opfertod Christi gilt allen, die in den Augen der Welt nichts gelten, ohne Vor- und Gegenleistung. Der dumpfe Konflikt zwischen Hebräern und Hellenisten schwelte seit den Jerusalemer Tagen (vgl. Apg 6,1-7). Nun wuchs er sich zur Krise aus und zog die junge Christenbewegung in eine Zerreißprobe. Der 'Antiochenische Zwischenfall', über den Paulus ohne Beschönigung berichtet (Gal 2,11-14), zeigt, wie nah man einer Spaltung gekommen war." (H. Noormann 1997, 279). Heinz Zahrnt (1991, 248f.) bestätigt: "Zunächst hatte in der Gemeinde Eintracht geherrscht. Judenchristen und Heidenchristen feierten das Herrenmahl gemeinsam. Auch Petrus schloss sich, als er nach Antiochien kam, dieser Tischgemeinschaft ohne Skrupel an. Dann aber trafen im Auftrag des Jakobus Abgesandte der Jerusalemer Urgemeinde ein und erhoben gegen diese Praxis Einspruch: Geborene Juden, so verfügten sie, dürften auch als Christen nicht mit unreinen Heiden Tischgemeinschaft halten. Und tatsächlich sonderten sich jetzt die Judenchristen ab; unter ihnen auch Petrus und selbst Barnabas." Soweit wird die Geschichte im Film wiedergegeben. Mit ganz elementaren Bildern führt der Film die ganze Problematik heutigen Schüler/innen vor Augen und lässt die Lösung noch offen: Petrus und Barnabas sind nicht bereit mit den Heidenchristen das Herrenmahl zu feiern. Die Krise bricht aus. Hier endet der Film. In der Geschichte musste das Apostelkonzil in Jerusalem Klarheit bringen, das im Jahr 49/50 wohl nach dem geschilderten "Antiochenischen Zwischenfall" in Jerusalem stattfand. Dessen Fazit fasst H. Noormann (1997, 279f.) so zusammen: "Das Ergebnis kam einer Durchsetzung der paulinischen Position gleich: - Der 'Heiden'-mission wurde ein gleichberechtigter Status zuerkannt. - Beide Seiten anerkannten ihre jeweilige religiös-kulturelle Identität - für die Judenchristen blieb das mosaische Gesetz gültig, Griechen wurde die Beschneidung nicht zur Auflage gemacht. - Paulus und Barnabas verpflichteten sich zu einem ökumenischen Lastenausgleich für 'die Armen', wie die Jerusalemer bald stereotyp genannt wurden." H. Zahrnt (1991, 249) schildert die Auseinandersetzungen beim Apostelkonzil und die anschließenden Folgen so: "Da redete Paulus dem Petrus vor der Gemeinde mächtig ins Gewissen, nannte ihn zornig einen Heuchler und erinnerte ihn an die durch Christus erbrachte Freiheit, dass seitdem nicht mehr Werke des Gesetzes vor Gott gerecht machten, sondern allein der Glaube an Gottes Gnade. Jedoch vergebens. Die einmal vollzogene Entscheidung blieb bestehen. Künftig existierten zwei christliche Gemeinschaften nebeneinander und feierten jede für sich das Herrenmahl. Paulus aber ging von da an seine eigenen Wege. Er setzte sich von Antiochien ab und hielt auch zu Jerusalem keine Verbindung mehr. Nur noch die Kollekte sammelte er stets treulich für die Urgemeinde ein." Die Forderung "Freiheit vom Gesetz" spaltete die ersten Christen. Diese Spaltung setzte sich letztlich in der Reformationsgeschichte fort. Luthers Rechtfertigungslehre rückt das "sola fide" (allein aus dem Glauben) und "sola gratia" (allein aus der Gnade) der paulinischen Theologie erneut in den Mittelpunkt gegen jegliches Gerechtwerden auch durch gute Werke, gegen die sog. "Werkerei" (Jakobusbrief). Erst in unserer Zeit finden die christlichen Konfessionen hinsichtlich der Frage nach der Rechtfertigung allmählich zu einer gemeinsamen, versöhnenden Antwort. Im Jahr 1998 wird allgemein hierzu eine neue, gemeinsame Erklärung der christlichen Kirchen erwartet. Die Gestalt des Paulus Ungeschönt charakterisiert der Neutestamentler Josef Blank (1982, 30) den Menschen Paulus: "Paulus war nach den Zeugnissen seiner Briefe sicher kein ausgeglichener Mensch; er war leidenschaftlich und sehr oft unduldsam, so dass er auch vor kräftigen, ja derben Ausdrücken nicht zurückgeschreckt ist, wenn er seine Gegner als Kastraten und Hunde bezeichnet (Phil 3,2), sie schlecht macht und ihnen unlautere Motive unterstellt. Paulus neigt in der Tat dazu, seine Gegner zu verteufeln und das Recht der guten Sache allein auf seiner Seite zu sehen; in der Polemik geht es ihm meistens darum, den Gegner abzufertigen und zu vernichten; ein Versuch, die andere Position zu verstehen, findet sich selten bei ihm; erst in der Gefangenschaft gewinnt er auch eine Souveränität, die ihm zu sagen erlaubt: 'Was soll's? Wenn nur auf jede Weise, sei es in unlauterer oder lauterer Absicht, Christus verkündet wird; und darüber freue ich mich' (Phil 1,18) ... keine einfache und leicht zu durchschauende Gestalt; man kann ihn nicht auf eine einfache griffige Formel bringen". Gerade eine solche durchaus kämpferische Gestalt hat aber offensichtlich das junge Christentum gebraucht, um nicht im Judentum stecken zu bleiben oder im Synkretismus Antiochiens unteroder aufzugehen. "Aber" - so Heinz Zahrnt (1991, 251) - "Paulus ist eine einsame Größe geblieben. Weil er unbequem war und die kirchlich-religiöse Routine störte, wurde er in der Alten Kirche bald vergessen, und auch später hat sich die Christenheit seinem Zeugnis immer wieder entzogen. Seine Wirkungsgeschichte bildet keinen durchgehenden Trend, sondern vollzieht sich sporadisch, jeweils nur in einzelnen Schüben. Aber immer wenn es um eine Erneuerung und Vertiefung des gängigen Christentums geht, bricht Paulus mit seinem Christuszeugnis durch alle kirchliche Entstellung, moralische Verflachung und politische Gleichschaltung hindurch und erinnert die Christenheit an ihren einmaligen Ursprung und bleibenden Grund, an den Anfänger und Vollender ihres Glaubens: 'Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst auch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! ... Denn in Jesus Christus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist." (Gal 5,13). Diese Paulusgestalt kann durchaus auch heute junge Menschen mit ihrem Freiheitsdrang, in ihrem Streben nach einer eigenen Welt ohne "alte Zöpfe" begeistern. Deshalb sollte Paulus im Religionsunterricht als Modell des Glaubenlernens in einer multireligiösen und multikulturellen Gesellschaft vorgestellt und in ihrer Bedeutung nahegebracht werden. Auch heute kann das Christentum sich nur weiterentwickeln, wenn es gelingt, sich auch in die jugendlichen Subkulturen hinein zu verwurzeln. Auch in diesem Inkulturationsprozess der Gegenwart sind der einende Geist Gottes und die tatkräftige Liebe die entscheidenden Handlungsprinzipien. Nur eine Kirche, die tatkräftig an den Nöten der Menschen arbeitet und sich neuen Ausdrucksformen des Glaubens bis hin zu "RaveGottesdiensten" öffnet, ist für junge Menschen überzeugend. Hinweise für den Unterricht 1. Stummer Impuls: Die Lehrkraft schneidet von der Grobzeichnung eines Zopfes Stück für Stück ab. Die Schüler/innen erraten das Sprichwort: "Einen alten Zopf abschneiden" 2. Die Schüler dürfen nun auf als Zopf gestalteten Arbeitsblättern in Gruppenarbeit ihre Veränderungswünsche und phantasien an der Liturgie der Kirche (oder am kirchlichen Leben überhaupt) aufschreiben unter dem Motto: "Der Zopf muss ab...!" 3. Die Lehrkraft sammelt die Ergebnisse der Kleingruppenarbeit und ordnet sie nach Möglichkeit gleich nach dem Schema: Strukturelle Alternativen (Aufbau, Gesamtordnung), Änderung der Gestaltungsmittel (z. B. andere Musik, andere Lieder, Predigt, Gebete...), grundsätzliche Veränderungen (Gottesdienst an anderen Orten, zu anderen Zeiten; ohne Priester, Frauen als Priester...). 4. Zielangabe: Lehrkraft verspricht, später daran weiterzuarbeiten. Vorher soll jedoch ein Blick in die frühe Geschichte der Kirche gewagt werden. Denn schon damals gab es ähnliche Probleme. Vielleicht können wir von den ersten Christen lernen... Das Thema dieser Stunde sind die "Schwierigkeiten zwischen Juden- und Heidenchristen" oder "Krach in der Urkirche" (Tafelanschrift). 5. Mit Hilfe der Zeittafel (siehe Heftbeitrag, letzte Folge!) den Zusammenhang herstellen und den "Antiochenischen Zwischenfall" zeitlich einordnen (siehe oben!). 6. Beobachtungsaufgaben: "Beobachtet genau, - woran sich der Konflikt zwischen den ersten Christen entzündet! (Gruppe 1) - welche Personen oder Personengruppen miteinander in Konflikt geraten; wer vertritt dabei welche Meinung? (Gruppe 2) - welche Folgen sind bei weiterer Eskalation des Konfliktes zu befürchten? (Gruppe 3)" 7. Film anschauen 8. Allgemeiner Austausch 9. Kurze Gruppenarbeit und Sicherung der Ergebnisse: - Gruppe 1: Der Konflikt entzündet sich an der Art, das Herrenmahl zu feiern; dürfen die Heiden- und Judenchristen weiter zusammenfeiern? Notwendig wäre eine Änderung der Reinheitsvorschriften, Verzicht auf Beschneidung... - Gruppe 2: Petrus und Barnabas ergreifen auf Druck Jerusalems Partei für die Judenchristen, welche an den alten Reinheitsvorschriften festhalten wollen; sie verlassen die Versammlung, entziehen sich letztlich der Diskussion; Paulus vertritt die Heidenchristen und die "Freiheit vom Gesetz" (Gal 5,13); die Heidenchristen, insbesondere die Frauen wollen nicht als Christen 2.Klasse gelten... - Gruppe 3: eine Krise bricht aus, eine Spaltung droht und der Rückfall des jungen Christentums in die Position einer jüdischen Sekte anstatt der Weiterentwicklung zu einer Weltreligion. (Zusammenfassung in Stichworten an der Tafel) 10. Religionslehrer/in erzählt nun, wie in der Urkirche versucht wurde, den Konflikt beim Apostelkonzil in Jerusalem zu bereinigen. Er lässt evtl. Apg 15, 6-12 vorlesen, zitiert Harry Noormann bzw. Heinz Zahrnt (siehe oben!) und hebt mit Gal 5,13 und Apg 15,8 hervor: die tatkräftige Liebe und Gottes Geist sind entscheidend, wenn es Weiterentwicklung und Veränderung geben soll - auch heute! Konflikte sind unvermeidbare Wachstumserscheinungen. 11. Vertiefung durch das Lied "Wenn der Geist sich regt" oder durch das Gleichnis vom einen Leib mit den vielen Gliedern (1 Kor 12, 11-27 oder durch Hervorhebung der Einheit (Gal 5,13-18) und des Ausgleichs untereinander (Rö 14,1-8). Das Lied mit dem Kehrvers "Füllt den neuen Wein nicht in die alten Schläuche" entstand für eine der MISSIOJugendaktionen und meint zunächst die jungen Kirchen Afrikas und Lateinamerikas, die vor ähnlichen InkulturationsProblemen stehen wie die Urchristen. Es kann hier die Brücke bilden zwischen Gemeinde und Jugend und auch als Brücke zwischen den Unterrichtsstunden, um in der darauffolgenden Stunde den Transfer dieser biblischen Erzählung zu den Veränderungswünschen heutiger Jugendlicher in Gang zu setzen. Evtl. kann als Projekt ein Schülergottesdienst konzipiert werden. Verwendete Literatur Becker, Ulrich/Johannsen, Friedrich/Noormann, Harry (1997): Neutestamentliches Arbeitsbuch für Religionspädagogen. (Kohlhammer) Stuttgart. Blank, Josef (1982): Paulus. Von Jesus zum Christentum. (Kösel) München. Deutsche Bibelgesellschaft (Hg.) (1993): Begegnung mit der Bibel 10-12. Begleitheft 4. Stuttgart. Kirchschläger, Walter (1990): Die Anfänger der Kirche. Eine biblische Rückbesinnung. (Styria) Graz. Prinz, Alois (2007): Der erste Christ. Die Lebensgeschichte des Apostels Paulus. (Beltz) Weinheim Wuckelt, Agnes (1986): Zentrale Texte des Neuen Testamentes. (Kösel) München. Zahrnt, Heinz (41991): Jesus aus Nazareth. Ein Leben. (Serie Piper 1141) München. Benötigte Materialien 1. Lied "Wenn der Geist sich regt" (Text siehe unten) 2. Auszug aus der Apostelgeschichte 15, 1-35 3. Auszug dem Galaterbrief 5,13-18 4. Auszug aus dem Römerbrief Rö 14,1-8 5. Karte von Palästina (mit Jerusalem und Antiochia) 6. Auszug aus den jüdischen Speisegesetzen (siehe unten) „Wenn der Geist sich regt“ M1 Anmerkungen zu den jüdischen Speisegesetzen M6 koscher (erlaubt) - Alle Gemüse und Früchte - Eier (von koscheren Tieren) - Alle Säugetiere mit gespaltenen Hufen, die auch Wiederkäuer sind! - Alle koscheren Tiere, falls diese auch koscher geschlachtet (geschächtet) wurden und das Fleisch kein Blut mehr enthält! - Hausgeflügel und zahme Vögel - Alle Innereien von erlaubten Tieren - Geflügelfett (von Hausgeflügel) und Fischtran (von koscheren Fischen) - Alle Fische, die Schuppen und Flossen haben! - Wurst- und Fleischwaren koscherer Tiere Beispiele - Rohes Fleisch von erlaubten Tieren, das „gekoschert“ wurde, d. h. kein Blut mehr enthält; - Rind, Kalb, Ziege, Schaf, Hammel, Lamm; - Rotwild mit gespaltenen Hufen, das auch Wiederkäuer ist, aber auch geschächtet wurde! - Zahme Vögel (Tauben, Singvögel), Gänse, Hausund Wildenten, Wachteln; - Karpfen, Hering, Lachs, Forelle, Hecht u. dgl.; - Fischeier (Rogen) von koscheren Fischen; - Rinderschinken, Kalbswurst u. dgl. tareff (verboten) - Kadaver eingegangener Tiere - Kranke Tiere, insbes. solche, denen wichtige innere Organe fehlen - Jagderlegte und gerissene Tiere - Blut (außer von Fischen und eigenes Blut, z. B. Aussaugen einer Wunde) - Nicht-geschächtetes Fleisch (geschlachtetes Fleisch, auch nicht von erlaubten Tieren!) - Meerestiere (außer koscheren Fischen) - Alle Insekten und Kriechtiere (außer Heuschrecken des Orients) - Raubvögel - Sämtliche Innereien verbotener Tiere - Fettstücke (außer vom Geflügel) und gewisse Sehnen der Tiere - Fische, die keine Schuppen und Flossen haben - Wurst- und Fleischwaren verbotener Tiere - Jegliche Mischung von „Milchig- und Fleischig“Produkten! Beispiele - Alle Reptilien, Schnecken, Frösche, Würmer (auch im Obst!), Läuse u. dgl.; - Pferd, Esel, Kamel, Schwein u. a., alle Raubtiere (auch Hund und Katze); - Hasen, zahmes Wild ohne gespaltene Hufe/Klauen, Jagdwild generell! - Wale, Haie u. a. Raubfische, Stör, Aal, Aalruten, Neunaugen, Rochen, Wels, Seewolf, Katzenwels u. a.; - Kaviar verbotener Fische (z. B. Stör); - Krebse, Hummer, Schildkröten, Muscheln, Austern, Krabben etc.; - Schweinefleisch- und Pferdefleischprodukte (Schinken, Salami, Blutwurst, Sülzen etc. und die meisten Wurstsorten! Reinheitsgebote Diese Speisevorschriften, die im Judentum noch heute gelten, gehen auf Gebote aus der Tora, die 5 Bücher Mose, zurück. Du kannst sie finden im Buch Leviticus 11,2-8; Deuternonomium 14,3-8; Exodus 23, 19; Leviticus 22.27-28. Diese Vorschriften sind in einer Zeit entstanden, als man noch viel weniger von Gesundheit und Medizin wusste als heute. Außerdem gab es noch keine Kühlschränke zum Aufbewahren der Speisen - und das in einem Land, in dem es oft sehr heiß ist. Nach heutigen Erkenntnissen enthalten diese alten Speisegesetze wichtige Grundregeln und Lebensweisheiten, die für die Erhaltung der Gesundheit damals von großer Bedeutung waren. Das Judentum nennt heute aber noch weitere Gründe für das Einhalten dieser alten Gebote: wie z. B. - Formung des Charakters durch die Einhaltung einer Selbstdisziplin - Die jüdische Identität zu bestärken und zu festigen; denn durch die jüdischen Speisevorschriften entwickelte sich ein eigener Lebensstil - Förderung des Tierschutzes, d. h. durch die humanste Tötung der Tiere; Jungtiere unter 8 Tagen sind z. B. zum Schlachten verboten Das Schächten Die Tiere müssen in besonderer Weise, d.h. durch „Schächten“, geschlachtet werden. Im Judentum ist man überzeugt: Das Schächten ist die humanste Art, ein Schlachttier zu töten, da es durch rasches Ausbluten sofort betäubt wird. Heute wird das Schächten von einem beruflich ausgebildeten Schächter ausgeführt. Dieser nimmt auch die so genannte „Fleischbeschau“ vor, wobei die Tiere mit kranken oder abnormal gebildeten Organen oder mit Krankheit behaftet sind, ausgesondert werden Sie dürfen keine Verwendung finden, gelten als für den Genuss verboten. „Für eine koschere Küche darf nur von diesem Fleisch bezogen werden.“ „Blut wurde als die Substanz jedes Lebewesens angesehen, in der die Lebenskraft steckt, und darf daher nicht ‚geraubt’, d. h. verzehrt werden. Das Verbot des Blutgenusses beruht auch auf der Vorstellung, dass man mit der Aufnahme des Blutes die Eigenschaften des Tieres in sich aufnimmt … Daher ist jegliches Blut … zum Verzehr verboten. Keine Vermischung Fleisch- und Wurstwaren dürfen nicht mit Milch oder Milchprodukten gemischt, sondern müssen gesondert aufbewahrt, in separatem Geschirr zubereitet und serviert werden. Beide Sorten darf man auch nicht zusammen essen. Nach dem Genuss von Fleischspeisen darf man in den nächsten 4 Stunden nichts ‚Milchiges’ zu sich nehmen. Umgekehrt darf man aber schon eine halbe Stunde nach dem Genuss von Milchprodukten Fleisch und Fleischspeisen essen. Es gibt aber auch so genannte „neutrale Speisen“, die man beliebig mit Fleischwaren und Milchprodukten mischen darf. Dazu gehören: Gemüse und Obst; Eier, Fische; Pflanzenöle und –fette (Margarine); Zucker, Honig, Sirup, Schokoladen (ohne Milch); Kaffee, Kakao, Tee usw. Getränke Bei den Getränken gibt es nur sehr wenige Verbote. Von der „Substanz“ her gibt es grundsätzlich keine verbotenen Getränke. Verboten sind nur Getränke (z. B. Wein), die für nichtjüdische kultische Zwecke, also z. B. für den christlichen Gottesdienst gesegnet bzw. benutzt werden! Daraus entstand das Verbot, mit ‚Heiden’ (Nichtjuden) Wein zu trinken. Zusammengestellt aus: Rabbiner Dr. Meir Ydit, Kurze Judentumskunde für Schule und Selbstunterricht. Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz. Ludwigstr. 20, Neustadt an der Weinstraße. S. 98, 99, 100, 101 7