1 o. Univ. Prof. Dr. Susanne Heine [email protected] 020105 Vorlesung: Die Kunst zu überzeugen: Einführung in die Homiletik 2-stündig, Mittwoch 9. 30–11. 00 Uhr, Hörsaal 1, 1010 Wien, Schenkenstraße 8-10. Kapitel I: I, 1 Prinzipielle Homiletik Die Predigt als Überzeugungsrede „Die Homiletik (und die Praxis der Predigt) war stets dann besonders gefährdet, wenn eine der notwendigen Grundfragen [prinzipielle: Begründung; materiale: Inhalt; formale: Form/Rhetorik] vernachlässigt wurde, etwa weil eine andere alle Aufmerksamkeit zu verlangen schien.“ Dietrich Rössler, Grundriß der Praktischen Theologie, Berlin-New York 21994, 389. principium (arché) passiv (Kant) Voraussetzung Grundlage / (Ur)Grund / Anlage Ursprung erste Ursache initium aktiv (Kant) anfangen / beginnen (beenden) initiieren geschichtliche Ursache Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 2 Das „Homiletische Dreieck“ Ziele informierender Rede primär sachbezogen-kognitiv, die Darstellung überwiegt: - neues Wissen vermitteln - Wissenslücken füllen - Wissensunterschiede abbauen - vorhandene Wissensbestände neu gewichten sekundär appellativ-subjektbezogen, affektiv durch anschauliche Beispiele: - Auslösen von mentalen Handlungen: mitdenken - von verbalen Handlungen: nachfragen, erwidern - von aktionalen Handlungen: etwas tun. Ziele überzeugender Rede primär affektiv, Gefallen finden, werten: - Emotionen (affections) berühren - Meinungen (opinions) wandeln - Haltungen, Einstellungen (attitudes) verändern sekundär kognitiv, Argumente finden: - den Willen ansprechen durch Argumente Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 3 - neues Wissen, neue Sichtweisen vermitteln - vorhandene Wissensbestände neu gewichten In der Überzeugungsrede steht nicht ein Wissensgefälle im Mittelpunkt, sondern eine Differenz der Interessen, Meinungen, Überzeugungen, etwas ‘Strittiges’. Zum Unterschied zwischen Überreden und Überzeugen: „Beim Überreden wird das Bezugssystem des Hörers kurzgeschlossen, meist mit emotionalem Überdruck und der Suggestion, hier verwirkliche sich seine Wunschwelt oder hier beruhige sich seine Angstwelt, wird er zum Handeln im Reflex gebracht ...“. Beim Überzeugen wird er „zum Handeln mit Reflexion“ gebracht, „im Zusammenwirken seiner kognitiven (Verstand), affektiven (oder expressiven, bzw. emotionalen, Gefühl) und voluntativen (Wille) Kräfte“. Hellmut Geißner, Rhetorik und politische Bildung, Frankfurt/Main, 1986, 134. Blaise Pascal: Über die Kunst zu überzeugen „Die Kunst zu überzeugen, steht notwendig mit der Art und Weise in Beziehung, wie Menschen einer Sache, die man ihnen vorträgt, zustimmen, und dann mit der Eigenart dessen, was man glauben machen will. Ein jeder weiß, daß es zwei Zugänge gibt, durch die die Meinungen in die Seele Einlaß finden, und die ihre wichtigsten Vermögen vorstellen, nämlich das Verstehen und den Willen. Der natürlichste Zugang ist das Verstehen, denn man sollte nur bewiesenen Wahrheiten zustimmen. Der häufigste aber ... ist der des Willens, denn der größte Teil der Menschen wird fast stets nicht durch den Beweis, sondern durch das Gefallen bestimmt, etwas zu glauben. ... Die Beweggründe des Willens sind gewisse natürliche Verlangen, die allen Menschen eigentümlich sind, wie: das Verlangen glücklich zu sein, das kein Mensch nicht haben kann, daneben mehrere besondere Dinge, die ein jeder zu erlangen sucht und die, da sie die Macht haben, uns zu gefallen, ebenso mächtig ... sind. ... Die Eigenschaften aber, die sowohl den anerkannten Wahrheiten als auch den Wünschen des Herzens verbunden sind, sind ihrer Wirkung so sicher, daß es auf der Welt nichts gibt, was es mehr wäre. ... In ... diesen Fällen gibt es keinen Zweifel. Den gibt es, wenn die Dinge, die geglaubt werden sollen, zwar Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 4 auf anerkannten Wahrheiten gründen, zugleich aber den Vergnügungen, denen wir am meisten zugetan, entgegen sind. ... Daraus geht klar hervor, daß man, wovon immer man jemanden überzeugen will, auf den Menschen Rücksicht zu nehmen hat, den man überzeugen will. Man muß seinen Geist und sein Herz kennen und wissen, welchen Grundsätzen er zustimmt und welche Dinge er liebt, und bei der Sache, um die es sich handelt, muß man dann beachten, wie sie sich zu den Grundsätzen, die er anerkennt, verhält, oder zu den verlockenden Dingen durch den Reiz, den man ihnen verleiht, so daß die Kunst, zu überzeugen ebenso darin besteht, zu gefallen, wie darin, die Wahrheit sichtbar zu machen. ... Da es aber außerhalb der Geometrie, die nur sehr einfache Figuren behandelt, nur wenige Grundsätze jener Art gibt, gibt es fast keine Wahrheit, über die wir immer einig bleiben, und da es noch weniger Gegenstände des Vergnügens gibt, die wir nicht stündlich wechseln, weiß ich nicht, ob es möglich ist, feste Regeln zu schaffen, um unsere Ausführungen mit der Unbeständigkeit unserer Launen in Übereinstimmung zu bringen. Die Kunst, die, ... genau gesehen, nur die methodische und vollkommene Beweisführung betrifft, besteht aus drei wesentlichen Teilen: alle Begriffe ... durch klare Definitionen zu definieren; Grundsätze oder evidente Axiome aufzustellen, um das, was es zu beweisen gibt, zu beweisen; und im Verlauf des Beweises in Gedanken immer die Definition an dem Ort des Definierten einzusetzen. Der Sinn dieser Methode ist einleuchtend, denn es wäre nutzlos, das, was man beweisen will, zu behaupten ... . ... deshalb sagen die Heiligen, statt, wie von menschlichen Angelegenheiten gesagt wird, daß man sie kennen muß, bevor man sie liebt, ... gegensätzlich hierzu, wenn sie von den göttlichen Dingen reden, daß man sie lieben muß, um sie zu kennen ... . ... Trotzdem haben die Menschen diese Ordnung verdorben und tun im Weltlichen, was sie bei heiligen Gegenständen tun sollten, denn tatsächlich glauben wir fast nur das, was uns gefällt.“ Blaise Pascal, Die Kunst zu überzeugen und die anderen kleineren philosophischen und religiösen Schriften, übertragen von Ewald Wasmuth, 3.A., Heidelberg 1963, 86-92. Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 5 Plausibilität „Plausibilität ist eine Kategorie der lebens- und handlungsorientierenden Wissenschaften, nicht eine der methodisch strengeren theoretischen Wissenschaften. Plausibel nenne ich im Zusammenhang der Lebens- und Handlungsorientierungen etwas, das man aufgrund von hinreichend vielen Beispielen mit guten Gründen vor sich und anderen rechtfertigen kann, nicht etwas, das man durch Gewalt oder auch nur durch Gewohnheit und Sitte oder aufgrund empirisch-logischer Beweise anerkennen muß.“ Willi Oelmüller, Die unbefriedigte Aufklärung, Frankfurt/Main 1979, Einleitung VIII/IX. Syllogismus „Ein Syllogismus [deduktiver Schluß] ist ein Beweis, bei dem auf der Grundlage bestimmter Voraussetzungen [Prämissen] etwas anderes als das Vorausgesetzte mit Notwendigkeit folgt. Von einem wissenschaftlichen Beweis spricht man, wenn der Syllogismus von wahren und ersten Sätzen ausgeht ... . Dialektisch nennt man einen Syllogismus, wenn er von geltenden Meinungen ausgeht. Wahre und erste Sätze sind solche, die nicht durch andere, sondern durch sich selbst evident sind ...; geltende Meinungen sind solche Sätze, die allen oder dem meisten oder den Verständigen ... wahr erscheinen.“ Aristoteles, Topik, 100a-100b, Übersetzung Joseph Kopperschmidt, Allgemeine Rhetorik, Stuttgart 1973, 127. „Dabei verfügt der Redner über ein zweifaches Beweismaterial, einmal über die Dinge, die man sich als Redner nicht ausdenken kann, die vielmehr in der Sache liegen [in re positae], und methodisch zu behandeln sind, wie Dokumente, Zeugenaussagen, Verträge ...; das andere ist das, was ganz von der Darstellung und der Argumentation des Redner abhängt [in disputatione et in argumentatione oratoris conlocata].“ Cicero, de Orat. II, 27.116. Haltung „Der Unterschied [zwischen wissenschaftlicher und künstlerischer Methode] resultiert aus dem unterschiedlichen Gegenstand. Die Wissenschaft bemüht sich, das Subjekt vom Objekt zu trennen, das Objekt vollkommen rein zu beschreiben; das Objekt ist ihr Gegenstand. Der Gegenstand der Kunst aber ist jene merkwürdige Einheit von Subjekt und Objekt, von Begriffenem und Griff. ... Man kann sagen, Gegenstand der Kunst ist die Wirklichkeit, erfahren durch eine Haltung. ... Natürlich enthält der Gegenstand der Kunst auch Objektives, insofern Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 6 fällt auch etwas wie objektive Erkenntnis ab. Aber der Zweck der Kunst ist nicht Nachricht über die Wirklichkeit. Der Zweck der Kunst ist Nachricht über eine Haltung, die man der Wirklichkeit gegenüber einnehmen kann.“ Peter Hacks, Das Poetische, Frankfurt/Main 1972, 90/91 (Hervorhebungen von S.H.). Sinn „Sinn ist nicht ‘greifbar’ losgelöst von der Situation, sondern begreifbar nur in seiner Entstehung aus der und seiner Einbettung in die (Sozial-, Handlungs-, Sinn-) Situation. Sinn ist kein ‘Produkt’ eines Sprechers oder Hörers, sondern nur gemeinsames, intentionales ‘Erzeugnis’ der sozial situiert situierend Miteinandersprechenden. Sinn ist nicht mit Struktur und Bedeutung der Sprache (Zeichen, Symbole) oder der Sprechakte gegeben, sondern nur in deren kommunkativem Vollzug in Sprechhandlungen (Sprech-Hörhandlungen). Sinn ist kein Ergebnis spontaner Einfälle, sondern kontingent nur innerhalb tradierter Formbestimmtheit. Sinn ist nicht das rißhafte Konstrukt kognitiver Operationen allein, sondern komplett und komplex nur in der leibhaften Präsenz sozial-emotionaler Sinnlichkeit. Sinn ist nicht zu beobachten, sondern zu verstehen.“ Hellmut Geißner, Sprechwissenschaft, Königstein 1981, 129. Glaube und Theologie gehen von einem vorausgesetzten Sinn aus, der nicht durch Menschen, weder durch den einzelnen noch durch rhetorische Kommunikation konstituiert wird. Dieser Glaubenssinn will jedoch lebensrelevant und wirklich werden. Dies kann nur (muss nicht) dadurch geschehen, dass sich das vorausgesetzte Sinnpotential durch rhetorische Kommunikation aktualisiert. Sinn im Dialog “Wenn Sinn gebunden ist an die Situation, und wenn sowohl Sinn als Situation gebunden sind an geschichtliche und gesellschaftliche in mündlicher Kommunikation leibhaft präsente Subjekte, dann kann der Sinn einer einzelnen Sprechhandlung oder eines Textes weder allein aus der Sprecherintentionalität verstanden werden, noch allein aus der Hörerintentionalität, noch allein aus der im Text aktualisierten Sprache, noch allein aus der Sprechweise, sondern von all dem zusammen in Abhängigkeit von der konkreten Sprechsituation im gesellschaftlichen Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 7 Kontext. ... Der Sinn des Gesprochenen ist nichts anderes als die Auslegung des Gemeinten in die Situation. ... Folglich gibt es nicht die Auslegung, weil es nicht die Situation und den Sinn gibt.“ Hellmut Geißner, Sprechwissenschaft, Königstein 1981, 130, 131. Der Schritt vom Gespräch zur Rede ist der Schritt vom „unmittelbar Dialogischen“ zum „latent Dialogischen“. Hellmut Geißner, Sprecherziehung, Königstein 1982, 141. Mögliche (optimale) Reaktionen auf eine Predigt im Nachgespräch: - ‘Es hat mir zu denken gegeben’ - ‘Ich hätte es gemacht wie ...’;’Ich hätte es anders gemacht.’ - ‘Ich überlege mir, wie ich reagieren würde, wenn ... .’ - ‘Ich habe mich geärgert, weil es mir anders geht, weil es Menschen gibt, denen es anders geht.’ - ‘Ich habe das so noch nicht gesehen.’ - ‘Es beschäftigt mich, dass... .’ Grundelemente der antiken Rhetorik (Auswahl) 1. inventio: Auffinden der Gedanken, die sich aus einem Thema, einem Text, einer Fragestellung entwickeln lassen intellectio: erkennen des Redegegenstandes (aufnehmen, verstehen, beurteilen) 2. dispositio: Formulieren des Redeziels und entsprechende Anordnung des ‘Stoffes’ Überzeugungsmittel: docere, movere, delectare 3. partes orationis: exordium/prooemium: Redeanfang: nicht von außen suchen, sondern aus dem Innersten der Sache entlehnen; nicht vor dem Kampf Speere schwingen, die man dann im Kampf nicht gebraucht (Cicero) a) attentum parare: Aufmerksamkeit erlangen Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 8 b) docilem parare: Konzentration auf die Sache erwecken c) captatio benevolentiae: Wohlwollen erlangen narratio: anschauliche Schilderung eines Problems oder Sachverhalts in parteilicher Überzeugungsabsicht; Schilderung von exemplarischen Szenen propositio: Zusammenfassung und Darlegung des Hauptproblems argumentatio: Beweisführung, plausibel machen dessen, wovon die Hörenden überzeugt werden sollen; nicht alle möglichen oder schwache Gründe anführen, sondern nur wenige, starke und überzeugende; drei Überzeugungsgrade: zwingend, glaubhaft, widerspruchsfrei (nach Quintilian) exemplum: das Beispiel, veranschaulichender Beleg in Form einer Anspielung bis hin zu einer narratio auctoritas: Berufung auf Autoritäten 4. peroratio: Redeschluß: zusammenfassen, zuspitzen, einprägen der Botschaft, mit Affekten verbunden, zu Herzen gehend: a) movere (Pathos): mitreißend, leidenschaftlich, z.B. Zorn oder Mitleid erregend; zieht die Hörenden hinein, macht sie urteilsunfähig b) delectare (Ethos): erfreulich, gelassen, aufbauend, tröstend; weckt in den Hörenden Lauterkeit und Güte; res humanae (Cicero). Nach Gert Ueding, Einführung in die Rhetorik. Geschichte, Technik, Methode, Stuttgart 1976, Teil 2: Einführung in Technik und Methoden der Rhetorik, 196-223. Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 9 Vorbereitung einer Predigt als Überzeugungsrede - Thesen 1. Zunächst unstrukturiertes Sammeln von ‘Material’: eigene Assoziationen, Informationen und Auslegungsvarianten in bezug auf den Predigt(kon)text - inventio . 2. Leitfrage (Ziel- bzw. Zwecksatz): Wovon will ich die Hörenden überzeugen? Kritische Rückfrage: Bin ich selbst davon überzeugt? Daraus ergibt sich der ‘rote Faden’: die Botschaft. Die Predigt muss vom Ziel her aufgebaut werden - dispositio. 3. Der Zielsatz formuliert nicht das Thema der Predigt (z.B. Rechtfertigung aus Glauben), sondern die intendierte Einsicht, Haltung oder Handlung der Hörenden (z.B. Entlastung von zwanghafter moralischer Kontrolle im Vertrauen auf die Gnade Gottes). Das Ziel der Predigt ist also der Motivationshorizont der Hörenden. 4. Die Analyse des eigenen Bezugs zu den Hörenden: Was weiß ich, was sie nicht wissen? Was wissen sie, was ich nicht weiß? Was habe ich erlebt und sie nicht? Was haben sie (wahrscheinlich) erlebt und ich nicht? Was kann ich, was sie nicht können? Was können sie (voraussichtlich), was ich nicht kann? Was will ich, was sie nicht wollen? Was wollen sie, was ich nicht will (nach Geißner). 5. Die Suche nach informativen, argumentativen und narrativen Elementen, die den Zielsatz plausibel machen (Predigteinfälle). 6. Ein erstes Ordnen des ‘Materials’ in aufeinander aufbauenden Aussageschritten: Rohkonzept. 7. Die Gliederung und Strukturierung der Predigtrede - partes orationis (als Leitfaden, nicht als starres Konzept gedacht): a) Einstieg - exordium; b) evtl. Schilderung der geschichtlichen Situation, in der der Predigttext entstanden ist, oder der Probleme der Verfasser, wenn sich eine Beziehung zu c) ergibt - narratio Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 10 c) Eröffnen eines Problemhorizonts: (verbreitete) Meinungen, Urteile, Haltungen, die dem gewählten Zielsatz widersprechen, um zum Mitdenken anzuregen - propositio; d) plausibel begründete Lösungsvorschläge: Alternativen zu c), Perspektivenwechsel argumentatio; e) Konsequenzen für Haltung und Handeln - exemplum; f) Schluß: pointierte Formulierung des Zielsatzes - peroratio. 8. Gewichtung: a) kurz oder eine nicht zu lange anschauliche Geschichte, die aber für die Botschaft signifikant sein muß, so daß die Predigt darauf zurückkommen kann; soll neugierig machen; hier entscheidet sich, ob die Predigt Aufmerksamkeit erweckt; b) und c) nicht zu lang, da die Predigt sonst zu einem Vortrag wird; c) ausführlicher Hauptteil, weil es hier um die Überzeugungsarbeit geht; d) nicht zu lang, eher in Frageform, sonst wird die Predigt eine moralistische ‘Gardinenpredigt’; e) die Schlußpointe sollte die Grundaussage der Predigt auf den Punkt bringen und als ‘Merksatz’ dienen können. Zum Problem einer systematischen Verhältnisbestimmung von Homiletik und Rhetorik „Der eine Weg geht von der Rhetorik aus, das heißt, er fragt nach dem Selbstverständnis für den Redner, und verfolgt die Bedingungen einer Rede ‘mit religiösem’ Inhalt, das heißt einer Rede, die eine Predigt sein möchte. Der andere Weg geht von einem Predigtbegriff aus, der theologisch ausgewiesen ist und fragt nach der grundsätzlichen Möglichkeit der Zuhilfenahme von ‘Hilfswissenschaften’ ... . Ist ein solcher theologisch fundierter und kirchlich praktikabler, normativer Predigtbegriff vorhanden, oder gibt es vielleicht Sachgründe, die es verbieten, aus einem Predigtbegriff ein oberstes homiletisches Prinzip zu machen, aus dem dann zu deduzieren wäre? Wir meinen, daß die Schwierigkeit, einen normativen - und praktikablen - Predigtbegriff zu definieren, sachlich begründet ist. Dieser Grund liegt an dem theologischen Axiom von der Unverfügbarkeit des Wortes Gottes, von der Nichtmanipulierbarkeit Seines Redens... . ... Es ist zu fragen, wie dem theologischen Axiom von der Unverfügbarkeit des Wortes Gottes methodisch-homiletisch Rechnung getragen werden kann.“ Wolfgang Grünberg, Homiletik und Rhetotik, Gütersloh 1973, 81f. Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 11 Durch eine Rhetorik, die: von der Einsicht ausgeht, dass „wir immer sprachlich vermittelt denken“, dass wir immer „in ‘Sprachräumen’ leben“, dass sich dadurch Sprache „letztlich der Objektivation entzieht“; von der Einsicht ausgeht, dass „Sprechen nur gelernt wird durch das Angesprochenwerden“ im „Kontext gesellschaftlicher Kommunikation“; von der „ethisch-emanzipatorischen“ Intention des Redens ausgeht; sich an den „dialektischen Prozess des Fragens und Antwortens“ bindet, mit Gründen zu überzeugen sucht, aber nicht überreden will; mit der Freiheit zum Widerspruch rechnet und diesem Raum lässt. Nach Wolfgang Grünberg, Homiletik und Rhetorik, Gütersloh 1973, 124f., 139f., 14f. Erfahrungsschritte – ein Schema 1. Widerfahrnis: etwas erleiden, ich kann noch nicht darüber sprechen unmittelbare emotionale Betroffenheit - stammeln; nicht vermittlungsrelevant 2. Erfahrung: sich des Widerfahrnisses bewusst werden; ich kann von mir sprechen als subjektive Einsicht im privaten Kreis vermittlungsrelevant 3. An Erfahrung reicher werden: Einsicht von etwas gewinnen; ich kann, indem ich etwas von mir sage, auf etwas anderes verweisen, das ich erkannt habe; ich kann anderen etwas (Neues) sagen als Erkenntnis öffentlich vermittlungsrelevant 4. Durch Erfahrung ‘umgekrempelt’ werden: eine neue Lebensform finden als persönliche ‚Bekehrung‘ nur bedingt vermittlungsrelevant Existentielle Akte „Ich meine, daß sich der Unterschied aus der verschiedenen Intentionalität oder Zielsetzung ergibt, die bei der Verwendung der diversen Rationalitätsformen zum Tragen kommt. ... Sobald die Religion argumentiert, tut sie das mit anderer Absicht als die Philosophie. ... Religion zielt auf existentielle Belangung ... . Von einem neutralen Standpunkt aus kann sie letztlich weder begriffen noch beurteilt werden. Religion spricht ... eine eigene Wirklichkeit zu, in der Regel eine Heilswirklichkeit, die dem Menschen sowohl den verborgenen Sinn alles ErfahrbaSusanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 12 ren als auch die Überwindung alles dessen, was diesen Sinn in Frage stellt, schenkt. Die Antwort, die der Mensch darauf gibt, kann nur im Dank, im Lobpreis, im Vertrauen, in der Hingabe, kurz in existentiellen Akten liegen ... . Zu den Fragen der Philosophie gehört nicht zuletzt die Frage nach dem Glück des Menschen. Die Philosophie wird über sie so oder so befinden. Eines ist ihr von ihrer Absicht her, wissenschaftliche Theorie zu sein, nicht möglich: die Schaffung, die Versprechung oder die Zusage von Glück, eine Ansagung des Heils also, denn dazu müßte sie die Distanz zur Wirklichkeit aufgeben, welche die Voraussetzung ihrer Wissenschaftlichkeit bildet.“ Heinrich Schmidinger, „Nur noch ein Gott kann uns retten“. Die Ohnmacht der Philosophie?, in: Gottfried Magerl u.a. (Hg.), „Krise der Moderne“ und Renaissance der Geisteswissenschaften, Wien-Köln-Weimar 1997, 429-448. Rhetorische Kommunikation und Argumentation der Predigt kommen dann zum Ziel, wenn sie existentielle Akte auslösen. Die HörerInnen predigen mit „Eine bestimmte Predigt, die ein Prediger in einer konkreten Situation hält, bleibt nicht diese eine Predigt, sondern sie multipliziert und modifiziert sich durch die Zahl der Hörer, die sie aufnehmen. Das Hören ist nicht nur ein passiver, sondern gleichzeitig auch ein höchst aktiver Vorgang. Während jemand eine Predigt hört, stellen sich bei ihm eine Menge von Bildern, Erinnerungen und Assoziationen ein, die in direktem oder indirektem, bewußtem oder unbewußtem Zusammenhang mit dem Gehörten stehen. Das Gehörte und Assoziierte laufen nun aber nicht säuberlich getrennt nebeneinander her, sondern beeinflussen sich gegenseitig, verbinden und vermischen sich. Das gilt schon für die kognitive und erst recht für die emotionale Seite des Hörens. Wie jemand eine Predigt erlebt, dazu trägt er selbst ebensoviel bei wie der Prediger. Die wirkliche Predigt, die Predigt nämlich, die beim Hörer wirkt und nachwirkt, wird vom Hörer gemeinsam mit dem Prediger gemacht. Selbst wenn es der Prediger gar nicht will: der Hörer wirkt an seiner Predigt mit. Man kann diese empirische Feststellung zähneknirschend zur Kenntnis nehmen oder aus vollem Herzen bejahen und bewußt fördern.“ Jörg Rothermundt, Der Heilige Geist und die Rhetorik, Gütersloh 1984, 69. Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 13 I, 2 Die Predigt als Wort Gottes „Die Predigt ist das Wort Gottes“ „Praedicatio verbi Dei est verbum Dei. Proinde cum hodie hoc Dei verbum per praedicatores ... annunciatur in ecclesia, credimus ipsum Dei verbum annunciari, et a fidelibus recipi.“ Bullinger, Confessio helvetica posterior, Kapitel 1. „Es ist ja ein stummer Mensch gegen einen redenden, schier als ein halb toter Mensch zu achten. Und kein kräftigeres noch edleres Werk am Menschen ist, denn reden, sintemal der Mensch durchs Reden von anderen Tieren am meisten geschieden wird, mehr denn durch die Gestalt oder andere Werke; weil auch wohl ein Holz kann eines Menschen Gestalt durch Schnitzkunst haben und ein Tier sowohl sehen, hören, riechen, singen, gehen, stehen, essen, trinken, fasten, dürsten, Hunger, Frost und hartes Lager leiden kann als ein Mensch.“ Martin Luther, Vorrede auf den Psalter (1528), WA DB 10,I, 100, zit. nach Dietrich Rössler, Grundriß der Praktischen Theologie, Berlin-New York 21994, 352. „Vom Urheber christlicher Predigt wird erzählt, daß er Sandalen trug, unauffällig daherkam und die Theorie seiner Predigt verhüllte.“ „Bei der Vorbereitung der Predigt ist viel zu bedenken, was zwar zur Predigt, aber nicht in die Predigt gehört.“ Werner Jetter, Homiletische Akupunktur, Göttingen 1976, 85, 99. Karl Barth „Die Predigt ist auf alle Fälle, wie stark man auch ihren Charakter als Darstellung menschlicher Glaubenserfahrung und Gewissensüberzeugtheit betonen mag, das Wagnis, von Gott zu reden als von einer gegenständlichen Realität. Wenn die Kirche das nicht tun wollte, könnte sie von Gott nur schweigen, eventuell lallen oder musizieren. Sie wagt es aber, von Gott zu reden. ... Kants Vernunftkritik ist in dieser Beziehung nur die negative Näherbestimmung ... . Wenn dieses Wagnis keine Tollheit ist und kein Frevel, wenn es auf einer sinnvollen Voraussetzung beruht, kann es dann eine andere sein als die, daß es uns geboten ist, von Gott zu reden, weil Gott sich offenbart hat, und zwar ‘in Windeln gewickelt’, ... in der Hülle der Objektivität, die es uns erlaubt, ... von ihm zu reden, daß also zwischen unserem Er und seinem Ich, zwischen unserem Reden von ihm und über ihn und seinem eigenen Reden von sich selbst eine höchst indirekte, aber höchst wahre ... Identität besteht? ... Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 14 ‘Wenn der Herr mir Holzöpfel fürleite und hieße es mich nehmen und essen, sollt ich nit fragen: warum? [Martin Luther] Das bedeutet nicht die Proklamierung des ‘credo, quia absurdum’ [Tertullian zugeschrieben], wohl aber des ‘credo, ut intelligam’ [Anselm von Canterbury], der Unumkehrbarkeit dieser Reihenfolge. Kein, auch kein ethisches intelligere kann dem credo vorangehen. ... Was die Kirche zu hören meint, das ist das Wort Gottes in der Hülle, in der Verborgenheit des Propheten- und Apostelwortes. ... Es war der Anfang vom Ende, ... als man im 17. Jahrhundert durch Aufrichtung der Verbalinspirationslehre die Schranke zwischen Schrift und Offenbarung niederriß, einen an sich und unmittelbar heiligen Buchstaben aufrichtete, und damit die Verborgenheit des Wortes Gottes ... leugnete ... . Wort Gottes an uns kann es nicht anders geben als in der Verborgenheit wirklichen, echten, nicht bloß soufflierten oder diktierten, sondern von unsereins gedachten, geformten und ausgesprochenen Menschenwortes. Als solches tritt es an uns heran, eine Objektivität, verständlich, aber auch mißverständlich, deutlich, aber auch zweideutig ... . Wie sind keine Propheten, keine Apostel, keine Zeugen der Auferstehung. Die Inanspruchnahme direkter Inspiration haben wir als Diener am Wort grundsätzlich zu unterlassen. Wir können aber legitime Zeugen zweiter Hand sein, indem wir uns an das Zeugnis halten, ... das biblische Zeugnis der Offenbarung. ... Die menschliche Möglichkeit der Predigt ... steht und fällt mit der Bitte um den Heiligen Geist, durch den Gott sein Wort selbst spricht und zu Gehör bringt und sich damit zum Dienst seiner Kirche bekennt.“ Barth Karl, Menschenwort und Gotteswort in der christlichen Predigt (1924), in: Gesamtausgabe, Bd. III, Zürich 1990, 426-457. Paul Tillich „Wort ist das Medium der Schöpfung, das dynamische Geistwort, das zwischen dem schweigenden Mysterium des Seinsabgrunds und er Fülle der konkreten, individualisierten, selbstbezogenen Wesen vermittelt. ‘Schöpfung durch das Wort’ deutet im Gegensatz zum neuplatonischen Emanationsprozeß symbolisch auf die Freiheit des Schöpfers und auf die Freiheit des Geschöpfes hin. Die Selbstmitteilung des Seinsgrundes hat geistigen, nicht mechanischen Charakter. ... Wenn Offenbarung das ‘Wort Gottes’ genannt wird, so betont das die Tatsache, daß alle Offenbarung ... sich an das Zentrum des Selbst wendet und Logos-Charakter haben muß, um von ihm empfangen zu werden. ... Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 15 Die Verkündigung der Kirche in ihrer Predigt .. wird ‘das Wort’ genannt. ... ‘Das Wort’ hängt nicht allein vom Sinn der Predigtworte ab, sondern von der inneren Mächtigkeit, mit der sie gesprochen werden. Und es hängt nicht nur vom Verständnis des Hörers allein ab, sondern auch davon, ob er den Inhalt existentiell aufnimmt. ‘Das Wort’ hängt auch nicht vom Prediger oder vom Hörer allein ab, sondern von beiden in Korrelation. Diese vier Faktoren und ihre gegenseitige Abhängigkeit schaffen die ‘Konstellation’, in der menschliche Worte ‘das Wort’, die göttliche Selbstmanifestation, werden können. Sie können, aber sie brauchen es nicht zu werden. Deshalb gibt es für keine kirchliche Tätigkeit eine Gewißheit, daß sie Ausdruck des ‘Wortes’ ist. ... Es besteht eine reale Korrelation zwischen dem Zustand des religiösen Ergriffenseins des Menschen und dem, was ihn ergreift. ... Aber obgleich Gott in dem Abgrund seines Seins vom Menschen in keiner Weise abhängt, ist Gott in seiner Selbstoffenbarung gegenüber dem Menschen abhängig von der Weise, wie der Mensch diese Offenbarung empfängt.“ Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 51977, 187-189, 74/75. Predigt und Wort Gottes Predigt und Wort Gottes dürfen nicht miteinander vermischt werden: - die Predigt ist mit dem Wort Gottes nicht identisch; - das Wort Gottes ist mit der Predigt nicht identisch; Predigt und Wort Gottes dürfen nicht voneinander getrennt werden: - das Wort Gottes lässt sich nicht außerhalb der Predigt (d.h. menschlicher Sprache) vernehmen; ohne das Wort Gottes ist die Predigt keine Predigt, sondern bloß eine Meinungsäußerung (2 Kor 4,5: „Wir predigen nicht uns selbst“); Predigt und Wort Gottes stehen zueinander in einer coincidentia oppositorum. „Wie Nicolaus von Cues einen scharfen Unterschied macht zwischen der Schullogik, in der der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch gilt, also A und Nicht-A sich ausschließen, und der Logik des absolut Unendlichen, in der er nicht gilt, in der er vielmehr zum Hindernis des Denkens wird, so zieht auch Luther genau an derselben Stelle den kritischen Grenzstrich. Mag die aristotelische Logik mit ihren Syllogismen im Bereich der endlichen Dinge brauchbar sein, ‘in divinis’ trifft sie nicht zu, wie Luther schon in seiner Disputatio contra scholasticam theologiam von 1517 betont. ... Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 16 Es existieren keine aufsteigenden Zwischenstufen zwischen dem Endlichen und Absoluten mehr. Es gibt deshalb keinen schrittweisen Aufstieg des menschlichen Denkens zu Gott, wie man vom Besonderen zum Allgemeinen gelangt. Es entfällt die Möglichkeit, die ‘Hierarchie’ logisch oder ontologisch zu begründen und die Gottnähe nach dem Ort in dieser Hierarchie zu bestimmen. Alles Endliche steht im gleichen Verhältnis zu Gott.“ Coincidentia oppositorum „Es ist lediglich eine ‚unzeitige’ Logik, die diese Möglichkeit übersieht, die sich doch schon in der Logik der Sprache anzeige, wenn wir etwas einen Beutel zeigen und sagen: ‚das sind hundert gulden ...’, oder auf ein Faß hinweisen und sagen: ‚das ist roter Wein’ ... . Wer hier einwendet, ein Faß sei kein Wein ..., der zertrennt von vornherein die gemeinte Einheit, beispielsweise das Weinfaß. ‚Er reißt die zwei vereinigte wesen voneinander und will von einem jeglichen in sonderheit reden.’ Wenn man aber das Ganze ‚zertrennt’, so kann man freilich nicht anders als unterscheidend reden, aber wenn man das Ganze fassen will, so bedarf es eines Denkens und Sprechens, das die Einheit in den Unterschieden und Entgegensetzungen erfaßt - wider alle praedicatio identica des Nur-Identischen. Die traditionelle Logik muß hier durchaus von der Logik der Sprache lernen.“ „Denn für Nicolaus von Cues wie für Luther ist Gott wesenhaft anders als alles Seiende, und zwar in einer Weise, die alles rationelle Messen, Vergleichen, Bestimmen, wie es uns aus der Erkenntnis endlicher Gegenstände gewohnt ist, nicht mehr zuläßt. Gott ist durch keine Steigerung und keine Überhöhung des Endlichen zu erreichen. ... Es gibt keine ‘Proportion’ zwischen der endlichen Welt und ihm.“ Z. B.: Gott ist das „Nächste und Fernste“, das „Allerinwendigste und Auswendigste“. Erwin Metzke, Nicolaus von Cues und Martin Luther, in: Karlfried Gründer (hrsg.), Coincidentia oppositorum, Witten 1961, 210f., 214, 220, 212; die Zitate in kleinen Anführungsstrichen stammen von Luther über ‘De Praedicatione Identica’, in: WA 26, 437-445. Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 17 Kapitel II: Materiale Homiletik II, 1 Umgangsformen mit Texten Auslegung Literatur bedarf der Auslegung, da das, was sie verschriftlicht, nicht unabhängig von ihr besteht oder gar zugänglich wäre.“ Wolfgang Iser, Das Fiktive und das Imaginäre, Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1993, 9. „Die Frage nach dem Inhalt der Predigt ist durch den Begriff ‚Auslegung’ zunächst grundsätzlich beantwortet, weil der Predigt in der Regel biblische Texte (Perikopen) zu Grunde liegen. ... Die Predigt, soll sie im Blick auf Gewißheit und Orientierung leisten können, was von ihr erwartet wird, braucht einen eigenen geistigen und religiösen Gehalt, der nicht so selbstverständlich und bekanntermaßen überall schon zugänglich ist. Dieser Gehalt muß vielmehr für jede einzelne Predigt eigens gewonnen und bestimmt werden. Auf einen derartigen besonderen geistigen und religiösen Gehalt richtet sich die Predigterwartung der Neuzeit. Nicht bloß kirchliche Lehre und nicht bloße Wiederholung von Appellen oder Anweisungen, nicht bloß Rekapitulation frommer Sätze und bloße Aufzählung biblischer Texte gelten als evangelische Predigt. Vielmehr besteht zwischen Kirche, Gemeinde, den einzelnen Predigthörern, dem Prediger und der Theologie in allen ihren Zweigen tiefe Übereinstimmung in dem Anspruch, daß die Predigt etwas zu sagen habe, das ‚uns angeht’.“ Dietrich Rössler, Grundriß der Praktischen Theologie, Berlin-New York 21994, 395/96. Verstehen - etwas verstehen sich auf etwas verstehen sich in einer Sache verstehen - einander verstehen „Den beiden Weisen des sach- und personbezogenen Verstehens ist … gemeinsam, daß sie im Einzelnen stets ein Ganzes – den Zusammenhang einer Sache oder das Charakteristische einer Person erfassen wollen. Wie immer auch der Zugang des Verstehens gesucht wird: der Teil und das Ganze bedingen sich stets derart, daß ein Vorgriff auf das Ganze, d. h. eine Sinnerwartung, die sich erfüllen, aber auch scheitern kann, das Verstehen im Einzelnen bedingt. Daß das Ganze aus dem Einzelnen und das Einzelne wiederum aus dem Ganzen zu verstehen sei, Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 18 nennt die Theorie bekanntlich den hermeneutischen Zirkel … Erfüllt der Zirkel des Verstehens die Erwartung der Teilhabe an einem gemeinsamen Sinn, so vermag er doch ein volles Einverständnis der Beteiligten letztlich nicht zu garantieren. Allem Verstehen ist eigentümlich, daß es einen Rest des Nicht-Verstehens hinterläßt (18). … Verstehen kann nicht erzwungen, nicht verordnet und auch nicht eingehandelt werden; es entzieht sich kausaler Erklärung und logischer Argumentation. Wie Marie Ebner-Eschenbach zu Recht bemerkte, versteht nur sehr wenig, wer nur das versteht, was sich erklären läßt (19). … Verstehen [erfordert] ein Moment der Billigung oder Zustimmung (20)… Verstehen kann dann unangemessen erscheinen, wenn eine unmenschliche Handlung das moralische Maß bloßer Mißbilligung übersteigt oder mit purer Empörung nicht abzutun ist. … Wenn moralische Billigung oder Mißbilligung allem Verstehen eine Grenze setzen kann, folgt daraus, daß das Verstehen nicht von Haus aus einvernehmlich ist, mithin Hermeneutik nicht per se affirmativ oder unkritisch sein muß. Es war schon die Rede davon, daß Verstehen – dem Anschein der Praxis entgegen – sich nicht einfach von selbst ergibt … . Darum forderte Schleiermacher, die strengere Praxis der Hermeneutik habe davon auszugehen, ‚daß sich das Mißverstehen von selbst ergibt und daß Verstehen auf jedem Punkt muß gewollt und gesucht werden’. Zu bestreiten, daß Verstehen gesucht werden muß und gefunden werden kann, kennzeichnet seit jeher dogmatische Selbstüberhebung oder ideologische Unbelehrbarkeit – den blinden Gehorsam, allein im Besitz der Wahrheit zu sein“ (21). Hans Robert Jauß, Wege des Verstehens, München: Wilhelm Fink, 1994, 18-21 (Zitat Schleiermacher aus: Hermeneutik, H. Kimmerle, Hg., Heidelberg 1959, 86, § 16). Rezeptionsästhetik Geht von dem Problem aus, „… daß nämlich die abendländische Tradition zwar eine Theorie der Interpretation kennt – und zwar schon früh im Zusammenhang der Homer- und Bibelexegese –, daß man sich aber die Frage, inwiefern alle Interpretation schon einen Akt des Verstehens voraussetzt, zu keiner Zeit ausdrücklich gestellt hat. Insofern ist in der ganzen abendländischen Geschichte des Text-Verstehens erst dann ein Problem bemerkt worden, als der Historismus in aller Schärfe die Frage gestellt hat: Was muß ich eigentlich tun, um einen Text in seiner geschichtlichen Ferne zu verstehen, d. h. aus dem Horizont seiner Andersheit zu rekonstruieren? In der Homerdeutung hat man die zeitliche Distanz entweder durch allegorische Interpretation aufgelöst, oder aber dadurch, daß man den Sinn des Textes unbekümmert in die Gegenwart übersetzte (381). … Hans Robert Jauß, Wege des Verstehens, München: Wilhelm Fink, 1994, 381. Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 19 „ … die Wirkung eines Werkes [ist in] Abhängigkeit gesehen von der aktiven Leistung des Rezipienten. Verstehen ist daher nicht mehr Einrücken in ein Überlieferungsgeschehen, sondern aktive Aneignung eines Werkes über die Vermittlung vorausliegender Aneignungen, das heißt seiner Rezeptionsgeschichte.“ Rainer Warning, Rezeptionsästhetik als literaturwissenschaftliche Pragmatik, in: Rainer Warning (Hg.), Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, München: Wilhelm Fink, 1975, 23. „Wenn in diesem Augenblick jemand fragte: ‚Was tun Sie gerade?’, könnten Sie antworten: ‚Ich lese’, und damit zugeben, daß Lesen eine Tätigkeit ist, … aber wenn es dazu kommt, über das Endprodukt des Lesens (Bedeutung oder Verstehen) analytische Aussagen zu machen, wird seltsamerweise der Leser meist vergessen oder nicht beachtet (196). … Die Objektivität des Textes ist eine Illusion, und mehr noch eine gefährliche Illusion, weil seine materiale Gegenwart so überzeugend ist. … so daß es scheint, in ihnen [den Texten] seien alle Werte und Bedeutungen enthalten, die wir mit ihnen verbinden (210). … Ich nehme an, daß ich damit sage, daß ich es lieber mit einer zugegebenen und kontrollierten Subjektivität zu tun habe, als mit einer Objektivität, die letztlich doch eine Täuschung ist“ (216). Stanley Fish, Literatur im Leser: Affektive Stilistik, in: Rainer Warning (Hg.), Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, München: Wilhelm Fink, 1975, 196, 210. „Zugleich wird man sagen müssen, daß ein Text überhaupt erst zum Leben erwacht, wenn er gelesen wird (228). … Radikal gesprochen heißt dies: Der literarische Text wäre die Illustration einer ihm vorgegebenen Bedeutung. So wurde denn auch der literarische Text bald als Zeugnis des Zeitgeistes, bald als Ausdruck von Neurosen seiner Verfasser, bald als Widerspiegelung gesellschaftlicher Zustände und anderes mehr gelesen. Nun soll gar nicht geleugnet werden, daß literarische Texte ein historisches Substrat besitzen. … Wir aktualisieren den Text durch die Lektüre. Offensichtlich aber muß der Text einen Spielraum von Aktualisierungsmöglichkeiten gewähren, denn er ist zu verschiedenen Zeiten von unterschiedlichen Lesern immer ein wenig anders verstanden worden (230). Wenn er [der Text] Reaktionen auf Gegenstände zu seinem Inhalt hat, dann offeriert er Einstellungen zu der von ihm konstituierten Welt. Seine Realität gründet nicht darin, vorhandene Wirklichkeit abzubilden, sondern darin, Einsichten in diese parat zu halten. … Die Wirklichkeit der Texte ist immer erst eine von ihnen konstituierte und damit Reaktion auf die Wirklichkeit (232). … So läßt sich der literarische Text weder mit den realen Gegenständen der ‚Lebenswelt’ noch mit den Erfahrungen des Lesers vollkommen verrechnen. Diese mangelnde Deckung erzeugt ein gewisses Maß an Unbestimmtheit. Diese allerdings wird der Leser im Akt der Lektüre ‚normalisieren’“ (233). Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 20 Möglichkeiten des Umgangs mit Unbestimmtheit (nach Iser): - der Text wird zum Spiegel realer Gegebenheiten der Text wird zur Konkurrenz realer Gegebenheiten und gibt zu denken der Text reizt dazu, ihn immer wieder zu lesen der Text wird auf die Erfahrungen des Lesers reduziert, die er bestätigt der Text stellt den Leser so in Frage, daß er das Buch zuschlägt oder sein Leben überdenkt Wolfgang Iser, Die Appellstruktur der Texte, in: Rainer Warning (Hg.), Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, München: Wilhelm Fink, 1975, 228, 230, 232f. Der literarische Text „hat zwangsläufig einen virtuellen Charakter, da er weder auf die Realität des Textes noch auf die den Leser kennzeichnenden Dispositionen reduziert werden kann.“ Wolfgang Iser, Der Lesevorgang, in: Rainer Warning (Hg.), Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, München: Wilhelm Fink, 1975, 253. „So machen wir mit jedem Text nicht nur Erfahrungen über ihn, sondern auch über uns. Damit solche Erfahrungen wirksam werden können, darf sie der Text selbst nicht benennen. … the Poet … never affirmeth, hatte schon Sir Philip Sidney gesagt … .“ Wolfgang Iser, Die Appellstruktur der Texte (Zitat: Sir Philip Sidney, The Defence of Poesie. The prose Works III, Albert Feuillerat, ed., Cambridge 1962, 29), in: Rainer Warning (Hg.), Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, München: Wilhelm Fink, 1975, 249. „Soll im Verstehen des Fremden nicht gleich etwas Gemeinsames aufgedeckt, das Eigene im Fremden nicht einfach bestätigt, sondern erweitert und bereichert werden, so muß der Widerstand des Fremden erst möglichst stark herausgeholt werden, bevor er im Hin und Her von rekonstruktiver und applikativer Hermeneutik wieder abgearbeitet werden kann (86f.). … In der Tat bleibt auch für die Rezeptionsästhetik der originäre Text die letzte Instanz des zu erprobenden Sinns. … Das naive Argument, das mir so gerne entgegengehalten wird: ‚Es gibt so viele Interpretationen als es Leser gibt’, ist ein unerkannter Ableger der Genieästhetik. Sehen wir vom rein individuellen, ästhetischen Erlebnis ab, das nur biographisch relevant sein könnte, so würde das Argument voraussetzen, daß jeder Leser ein Originalgenie sei“ (382). Hans Robert Jauß, Wege des Verstehens, München: Wilhelm Fink, 1994, 86f., 382. „Textstruktur und Aktstruktur bilden folglich die Komplemente der Kommunikationssituation, die sich in dem Maße erfüllt, in dem der Text als Bewußtseinskorrelat im Leser erscheint (175). … Denn Sinn als ästhetische Wirkung kann nicht in diesem Zustand verharren; allein die von ihm angestoßene und im Leser sich entwickelnde Erfahrung zeigt an, daß er etwas verursachen wird, von dem man nicht mehr behaupten kann, daß dieses unbedingt ästhetiSusanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 21 scher Natur sei. Man möchte die vom Text ausgelöste Erfahrung begreifen, was zwangsläufig zu ihrer Verarbeitung führt …“ (43). Wolfgang Iser, Der Akt des Lesens, München: Wilhelm Fink, UTB 636, 41994,175, 43. „Indem sich ein Leser den Prämissen einer Interpretationsgemeinschaft verpflichtet und diese intersubjektiv vermittelt, werden die Interpretationen dem Vorwurf der willkürlichen Subjektivität enthoben (47). … Kanonisierungsprozesse sind Leseprozesse einer Interpretationsgemeinschaft“(182). Dorothea Erbele-Küster, Lesen als Akt des Betens. Eine Rezeptionsästhetik der Psalmen, Neukirchen 2001. Theologie als Textwissenschaft Unter Aufnahme der Rezeptionsästhetik am Beispiel von Werner Jeanrond „Am ursprünglichen Gegenstand theologischen Denkens gibt es keinen Zweifel: Es sind die Texte der Hebräischen Schriften und des Neuen Testaments, die die Theologie ursprünglich bewegen. Insofern ist die Theologie seit ihren Ursprüngen Textwissenschaft. Dieser Befund gerät jedoch über die Jahrhunderte immer wieder in Vergessenheit: Einzelne Verse werden aus den Texten ausgesondert und solchermaßen kontextentfremdet zu Zeugen bestimmter Wahrheitsauffassungen aufgewertet. Dogmatische Sätze sollen den Umgang mit biblischen Texten vorstrukturieren. Die Analyse kleinster Bestandteile theologischer Texte dominiert exegetische Arbeit zuungunsten der großen Textzusammenhänge.“ Dies leistet dem Missverständnis Vorschub, „daß es der Theologie letztlich um propositionale Wahrheitsdefinitionen gehe, die von der historisch-kritischen Textanalyse vorbereitet und von den Dogmatikern vollzogen würden“. Dies führt auch dazu, „daß die dialektische Beziehung zwischen dem Text und seinen Interpretationen im Rahmen der Theologie aufgelöst wird und die ursprünglich aufeinander bezogenen Kategorien ‚Text’ und ‚Interpretation’ einander entfremdet werden und einer Eigendynamik von Exegese einerseits und systematischer Theologie andererseits zum Opfer fallen. Texte wurden so zum Thema der Exegese, ihre Interpretation zum Thema der systematischen Theologie. ... Die Exegeten bereiten den Text formal-, gattungs-, redaktions- und kontextkritisch auf und übergeben ihn solchermaßen den systematischen und praktischen Theologen, die ihn auf die Bedürfnisse der heutigen Rezipienten auslegen, entweder in liturgischen oder systematischtheologischen Genres. Damit fühlen sich die Textspezialisten von den interpretatorischen und die Interpreten von den textspezifischen Fragestellungen entlastet und zu ihren jeweiligen Spezialaufgaben befreit. So sieht ein typisiertes vereinfachtes Modell theologischer Arbeitsteilung heute aus. In diesem Arbeitsmodus gehen jedoch Text- und InterpretationsdimensioSusanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 22 nen verloren und werden text- und interpretationstheoretische Voraussetzungen stillschweigend akzeptiert, die den Bedürfnissen komplexer Textrezeption oft zuwiderlaufen: Exegeten arbeiten eher linguistisch und historisch. Systematische Theologen arbeiten eher synchronistisch und spekulativ. Ein Text gilt als exegetisch verstanden, wenn seine geschichtlichen Entstehungsumstände hinreichend aufgeklärt sind und seine linguistische Kompetenz entschlüsselt ist, und ein Text gilt als theologisch rezipiert, wenn er in ein Gesamtsystem theologischer Aussagen hinreichend eingeordnet ist. ... Das Phänomen der Textualität von Texten, d.h. daß Texte mehr sind als eine Reihung von Einzelaussagen, wird so nicht erkannt. Wesentliche Sinnzusammenhänge gehen verloren, wenn vorwiegend Einzelaussagen, Bibelverse und Dogmensätze theologisch bedacht werden an Stelle ganzer Texteinheiten. Weiterhin verleitet die Prämisse der Arbeitsteilung des nur für die Sprache eines Textes bzw. nur für die Auslegung eines Textes Verantwortlichseins zu fundamentalen Interpretationskurzschlüssen, die für das Gesamt theologischen Denkens oft verheerende Auswirkungen haben. Schließlich verführt das Fehlen geschichtlicher Auseinandersetzung mit Texten und ihren Interpreten zu Illusionen von Interpretationsvollendung, die sich autoritär gebärden und andere oder zukünftige Sinnerschließung von Texten prinzipiell ablehnen. ... Das Neue an der Forderung nach einer theologischen Interpretationstheorie liegt also nicht darin, neue Perspektiven zu finden, vermittels derer biblische Texte zu interpretieren sind, wie die existentialen, narrativen, rhetorischen und transzendentalen Perspektiven, sondern darin, über das Geschehen und die Voraussetzungen des theologischen Textinterpretierens grundsätzlich nachzudenken.“ Werner Jeanrond, Text und Interpretation als Kategorien theologischen Denkens, Tübingen 1986, 74/75, 12-14. Verstehen - Erklären - Deuten sind „Interpretationsdimensionen“, die „gleichzeitig auf verschiedenen Reflexionsebenen ablaufen und untereinander in einem wechselseitigen Spannungsverhältnis stehen. Verstehen von Sinn, Erklären der Textstruktur und sach- und situationskritisches Deuten des Textsinnes bedingen sich wechselseitig. ‚Interpretation’ wollen wir ... den Prozeß nennen, in welchem wir uns mit einem Text verstehend, erklärend und deutend auseinandersetzen mit dem Ziel, ihn uns anzueignen und uns durch ihn ansprechen und eventuell zu einer Veränderung unseres Selbst-Verständnisses bewegen zu lassen.“ Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 23 Verstehen - Sinnprovokation des Textes in der Spannung zu den Erwartungen des Lesers; Erklären - methodische Vorgänge zwischen Leser und Text, um die Textstruktur aufzuklären; Deuten - Spannung zwischen sich erschließendem Textsinn und erschließendem Leser, „die in einer persönlichen Verantwortlichkeit des Lesers gegenüber dem von ihm erschlossenen Textsinn gipfelt. Diese Deutungsentscheidung des Lesers ist kein letztgültiges Urteil über den Sinn eines Textes, sondern ein sach- und situationskritischer Interpretationsvollzug, der sich zudem auch seiner hermeneutischen Grenzen bewußt bleibt. Die hermeneutischen Grenzen werden daran offenbar, daß ein Leser einen Text prinzipiell mehrmals und verschiedenartig lesen kann. ... Deutung ist also auch die Ebene des Interpretierens, auf der der Interpret ethisch aktiv wird, ...: Indem er versucht, dem Text bestmöglich gerecht zu werden und indem er sein lesendes Verhältnis zum Text verantwortlich durchdenkt. … Interpretation ist ein solcher Weg aus sich heraus und zu sich zurück, mit sich selbst durch den geschriebenen Ausdruck. Textinterpretation ist also ein Aus-Weg des Menschen aus sich selbst in die lernende Aus-ein-ander-setzung mit der Welt, aus der Verstehen und damit Selbstverstehen gewonnen werden kann, das aber stets schon nach Erklärung und Deutung ruft, will es verantwortbar rezipiert werden. … Textproduktion und Textrezeption stehen in einem korrelativen Kommunikationsverhältnis. Vertextung ist die Prozedur, die einen Text als Sinnpotential gestaltet, und Lesen ist die Prozedur, die einen schriftlichen Text als Sinngestalt aktualisiert. ... Textproduktion und Textrezeption stehen beide unter der Führung ... von dem, was ein Text zu sagen hat. … Texte als Sinnpotentiale werden erst im Akt des Lesens vom Leser verwirklicht. Jeder Text hat eine Identität, die jedoch nie rein, eindeutig, objektiv erfaßbar ist, sondern immer eines individuellen Leseaktes bedarf, um sich darstellen zu können. … Ein und derselbe Text findet in jedem neuen Leseakt eine je neue, individuell verantwortete Sinngestalt. Diese Sinngestalt ist, und das sei nachdrücklich betont, jedoch stets vom Text provoziert und mitorganisiert und insofern niemals willkürlich.“ Werner Jeanrond, Text und Interpretation als Kategorien theologischen Denkens, Tübingen 1986, 69, 70, 71, 72, 103, 104. Spezifischer Gegenstand: „Gegenstand aller theologischer Texthandlungen ist die Manifestation Gottes in der Welt des Menschen und die dieser Manifestation eigentümlichen Verstehensbedingungen. Diese Manifestation ist nicht ‚unmittelbar’ oder ‚direkt’ verstehbar, sondern bedarf der sprachlichen Formulierung und damit textueller Handlungen. ... Diese Texte stellen also den primären gemeinschaftlich normierten Gegenstand und damit die Provokation theologischen Interpretierens Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 24 dar, und in der Auseinandersetzung mit diesen Texten, im Interpretationsgeschehen, entstehen neue Texte. Damit unterscheiden wir allgemein zwei wesentliche theologische Textsortengruppen: 1) biblische Texte und 2) Interpretation von biblischen Texten und anhand von biblischen Texten.“ 1) Primäre theologische Interpretationshandlungen: „Die zentrale Mitteilungsperspektive der primären Texthandlungen im Neuen Testament ist das ursprüngliche Bekenntnis von Menschen, daß Jesus der Christus ist und in ihm Gott offenbar wird. … Die zentrale Mitteilungsperspektive ist also eine theologische. Andere Perspektiven wie biographische, historische, soziologische, politische oder psychologische sind zwar auch vorhanden, aber nicht zentral, daher: „Lesepluralismus kann sich nur innerhalb eines theologischen Lesens des Textes entfalten und nicht jenseits davon. ... Ein nichttheologisches Lesen biblischer Texte ist zwar lesetechnisch möglich, kann aber dann nicht beanspruchen, den Texten letztlich gerecht zu werden. Allerdings darf keine theologische Lesart die Nebenperspektiven des Textes übergehen, sondern muß gerade auf ihre theologische Weise auch ihnen gerecht werden. ‚Theologisch’ heißt hier nicht, daß der Leser selbst gott- oder christgläubig sein muß, um den Text verantwortungsvoll zu lesen, sondern es heißt, daß jeder Leser, ob gläubig oder nicht, den Textanspruch, der letztlich ein theologischer ist, gelten läßt.“ 2) Sekundäre theologische Interpretationshandlungen: „Die Mitteilungsperspektive der sekundären Texthandlungen ist das Interpretieren, also das Verstehen, Erklären und Deuten dieser (primären) Texte aus der geschichtlichen und kulturellen Distanz heraus und im Lichte des jeweiligen Daseinshorizonts des Interpreten. Dieser Horizont muß natürlich schon immer die Wirkungsgeschichte der biblischen Texte mitreflektieren.“ Dazu gehören: - Kommentare zu biblischen Schriften: „philosophisch-historische Belehrung, Deutung und Apologie“; - Auslegungen bestimmter Teiltexte (Traktate, Predigten, Monographien): „Aufarbei- tung und Erläuterung eines biblischen Textes in einem neuen Kontext“; Bekenntnisformeln, Dogmen: „Zusammenfassung eines gemeinsamen Bekenntnisses“; Interpretationen „der Welt, in welcher Christen ihr Leben interpretierend gestalten“ (Rezeptionssituation): „Bewußtwerden der Kommunikationssituation“. Werner Jeanrond, Text und Interpretation als Kategorien theologischen Denkens, Tübingen 1986, 102, 103, 124/125. Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 25 „Da nach Jauß auch der Predigtautor erst einmal wieder zum Leser des Textes werden muß, enthält die Analyse des Leseaktes bei Iser wesentliche Gesichtspunkte für die Vorbereitung und Formung der Predigt. Wie aber steht es mit dem Vorgang des Predigthörens als dem anderen entscheidenden Rezeptionsprozeß im Predigtgeschehen? … Der ‚Text’ des Hörers ist ihm einerseits unmittelbar präsent, andererseits nicht verfügbar, weil permanent im Verschwinden begriffen. … Die Predigt sollte, gerade wenn sie sich verstärkt um Anschaulichkeit und Bildhaftigkeit bemüht, ein hohes Maß an Möglichkeiten zur Distanznahme bieten, um dem Rezipienten die Chance zu geben, den Fluß seiner Sinnbilder auf die Ebene reflexiver Distanznahme zu heben und in kritisches Deuten im Sinne Jeanronds zu übersetzen. … Metaphorische Bildlichkeit, narrativer Charakter, fragmentarische Form und dialogisch-offene Struktur lassen sich somit ausweisen als Elemente einer Predigtgestaltung, die das Anliegen reformatorischer Schrifthermeneutik mit rezeptionsästhetischen Einsichten verbindet.“ Hans-Ulrich Gehring, Schriftprinzip und Rezeptionsästhetik, Neukirchen 1999, 238, 297. Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 26 II, 2 Formen religiöser Sprache Rezeptionsperspektive „Am Anfang der religiösen Sprache steht nicht der redende Mensch, sondern der zu ihm redende Gott.“ Eugen Biser, Religion und Sprache, in: Manfred Kaempfert (Hg.), Probleme der religiösen Sprache, Darmstadt 1983, 360. Folgen für die Predigtsprache: aus der Rezeptionsperspektive: was Menschen empfangen haben, was auf sie zugekommen ist und sie verwandelt hat, Widerfahrnis, Gewirktsein des Widerfahrnisses. Beispiel: „Eines Tages sah sie zufällig zum Fenster hinaus; dort stand eine Buche, deren Wipfel im Abendsonnenschein schwamm. Wie nun ihr Blick auf den Baum fiel, wurde sie von einem tiefen Glück darüber ergriffen, daß der Baum dort stand. ... Als sie dann wieder nach dem Baum blickte, stand er noch da, ... derselbe Baum und doch ganz verschieden. Der Baum, den sie jetzt sah, war schön und erweckte ein ästhetisches Behagen. Obendrein gehörte er ihr und sie konnte mit ihm anfangen, was sie wollte. ... In jenem kurzen glücklichen Augenblick dagegen gehörte der Baum nicht ihr und war nicht schön oder häßlich; er war bloß ein Baum, der dastand und wuchs und sie mit Dankbarkeit erfüllte, daß sie da war – das war ohne Hintergedanken.“ Anker Larsen, Bei offener Tür, zit. bei Romano Guardini, Die religiöse Sprache, in: Kämpfert, 64. Erschließungssituationen Religiöse Sprache ist in „Erschließungssituationen“ verwurzelt. Erschließung [disclosure] ist der Name „für ein Geschehen, das wir mit Hilfe von Sätzen zu beschreiben versuchen wie „Die Situation nimmt Tiefe an“, „Das ‚Mehr’ am Beobachtbaren tritt in Erscheinung für denjenigen, der sieht“, wo man also von diesem „Mehr“ ergriffen oder betroffen wird, wo es zu tagen anfängt, uns etwas einleuchtet, das Eis zerbricht, der Groschen fällt.“ Wim A. de Pater, Erschließungssituationen und religiöse Sprache, in: Kaempfert, 197. Folgen für die Auslegung: Die mögliche Erschließungssituation in den Texten ausfindig machen; nicht nur: Was bedeutet diese sprachliche Aussage?, sondern: Was muss ich wissen, damit ich Menschen, die diese Aussage machen, verstehe? Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 27 „Wir haben nicht eine Erfahrung und eine Interpretation, sondern menschliche Erfahrung, die bereits Interpretation miteinschließt.“ Daher bezieht sich religiöse Erfahrung auf Situationen, „die nicht in reinen Beobachtungstermen beschreibbar sind“ (Wim de Pater, 198). Folgen für die Predigtsprache: Sie muss evokativ sein, das ‚Mehr’ am Beobachtbaren aufrufen, darum bemüht, ‚disclosures’ hervorzurufen. „Schocktechnik“, um auf die Eigenart religiöser Sprache gegenüber direkt beschreibender Sprache aufmerksam zu machen (Wim A. de Pater, 209): - Maria ist in den Himmel aufgefahren; Maria ist in die Küche gegangen - die letzten Dinge; der letzte Zug Ich weiß, dass mein Erlöser lebt; ich weiß, dass meine Mutter lebt. Analoge Rede Gott ist kein bestimmbarer Gegenstand äußerer oder innerer Anschauung. „Der religiöse Mensch muß immer davon ausgehen, daß es keine mit Garantie versehene Formel geben kann, um Gott zur Besichtigung erscheinen zu lassen.“ Ian T. Ramsey, Modelle und Qualifikatoren, in: Kaempfert, 182. „Alle Sätze des Glaubens sind analoge Rede. In ihr wird die Reflexion von einem Gegenstand der Anschauung auf einen anderen Begriff übertragen, dem keine Anschauung direkt korrespondiert.“ Helmut Gehrke, Theologie im Gesamtraum des Wirklichen, 1981, 237. „So wird ein monarchischer Staat durch einen beseelten Körper, wenn er nach inneren Volksgesetzen, durch eine bloße Maschine aber (wie etwa eine Handmühle), wenn er durch einen einzelnen absoluten Willen beherrscht wird, in beiden Fällen aber nur symbolisch vorgestellt. Denn, zwischen einem despotischen Staate und einer Handmühle ist zwar keine Ähnlichkeit, wohl aber zwischen der Regel, über beide und ihre Kausalität zu reflektieren.“ Kant, Kritik der Urteilskraft, Weischedel-Ausgabe, Bd.8, 460. „Denn alsdann eignen wir dem höchsten Wesen keine von den Eigenschaften an sich selbst zu, durch die wir uns Gegenstände der Erfahrung denken, und vermeiden dadurch den dogmatischen Anthropomorphismus, wir legen sie aber dennoch dem Verhältnis desselben zur Welt bei, und erlauben uns einen symbolischen Anthropomorphismus, der in der Tat nur die Sprache und nicht das Objekt selbst angeht.“ Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, Weischedel-Ausgabe, Bd. 5, 232/33; Hervorhebungen S.H. Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 28 „Betrachten wir den Ausdruck ‚Vater’. Dieser Ausdruck bedeutet in der profanen Sprache eine Menge von Relationen, die von verschiedenen Wissenschaften untersucht werden, ... von Physiologie, Psychologie und Soziologie. Aber man kann wohl schwerlich zugeben, daß irgendeine dieser Beziehungen auf Gott ... zutrifft. Wie man glaubt, hat Gott keinen Leib und folglich auch keine physiologischen Relationen. Man denkt ihn sich auch nicht mit einer Vernunft von gleicher Art wie Menschen sie haben. ... Schließlich erscheint es widerspruchsvoll zu sagen, daß Gott irgendwelche sozialen Beziehungen von der Art hat, wie sie die Soziologie untersucht. Es scheint sich der Schluß zu ergeben, daß keine der Relationen, die die Bedeutung von Vater in der profanen Sprache ausmachen, gemeint sein kann, wenn man sagt: ‚Gott ist Vater’. ... Das Ergebnis dieses Gedankengangs scheint zu sein, daß wir auf die Theorie der Negativen Theologie zurückgeworfen werden. Denn wenn nicht einmal in der profanen Sprache gemeinte Relationen durch dieselben Ausdrücke in der religiösen Sprache gemeint sein können, dann scheint nur eine Menge von rein negativen Eigenschaften übrigzubleiben. ... Es ist jedoch noch eine andere Hypothese möglich. Diese besagt, daß das, was den beiden Bedeutungen gemeinsam ist, die formalen Eigenschaften der Relationen sind. Mit ‚formalen Eigenschaften von Relationen’ sind Eigenschaften gemeint, die durch rein logische Funktoren definiert werden können.“ Ein Beispiele einer solchen Eigenschaft ist: Symmetrie. „Wenn wir diese Theorie auf das Beispiel ‘Vater’ anwenden, müssen wir sagen, daß dieser Ausdruck, in der religiösen Sprache benutzt, nur die formalen Eigenschaften bedeutet, die sich in der profanen Sprache in den Realisationen finden, die die Bedeutungen von ‚Vater’ sind. In unserem Falle …“ ist das z.B.: Asymmetrie. Joseph M. Bochénski, Über Bedeutung im religiösen Sprechen, in: Kaempfer, 150/151 Via negationis – via eminentiae Die Aussagen beziehen sich auf die Art und Weise der Relation, z.B. der symmetrischen: Die Bedeutung bleibt bei Vertauschung der Glieder gleich. - Gott ist Vater, der Vater ist Gott - Gott liebt mich (wie mein Vater), ich liebe Gott (wie ein Vater) Hingegen steht die Bedeutung Gottes als Vater in keinem symmetrischen Verhältnis zur Bedeutung eines menschlichen Vaters. Gott ist nicht wie irdische Väter: via negationis Gottes Vatersein entspricht im höchsten Sinne dem, was das Wort meint: via eminentiae Gott als Vater ist immer mehr als alle positiven Vatererfahrungen und misst alle negativen Vatererfahrungen am Maßstab seiner Väterlichkeit. Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 29 Folge für die Predigtsprache: Überlegter Umgang mit Sätzen, in denen Gott als „Tätersubjekt“ auftritt. „Eine theologische Rede, in der die aus dem Subjektzwang hervorgegangenen Schlüsse und Inhalte vorsichtig zurückgenommen werden, wirft metaphysisch Ballast ab und kommt in den Bereich des Evidenten und jedermann Verstehbaren zurück. Es sei hier nur angedeutet, daß die täterfreie Aussage, die wir mißverständlich das ‚Passiv’ nennen, uns dabei behilflich sein kann.“ Helmut Fischer, Sprachprobleme der Verkündigung heute, in: Kaempfer, 345. Metapher Bildworte Wie goldene Äpfel in silbernen Schalen ist ein Wort, geredet zur rechten Zeit. (Spr 25, 11) Ein böser Zahn und ein wankender Fuß, so ist der Treulose am Tage der Not. (Spr 25, 19) Wie eine Stadt mit durchbrochener Mauer ist der Mann, der sich selbst nicht beherrscht. (Spr. 25, 28) Wenn das Holz ausgeht, erlischt das Feuer; wo kein Verleumder ist, da ruht der Streit. (Spr 26, 20) Wie Essig auf eine Wunde gegossen, so wirkt, wer Lieder singt einem mißmutigen Herzen. (Spr 25, 20) Schreit wohl der Wildesel, wenn er Gras hat? Und brüllt das Rind bei seinem Futter? (Hiobs Antwort auf die Rede des Eliphas: 6, 5) Metaphern entstehen durch „eine Gegenüberstellung von Referenten auf ungewöhnliche Art, wodurch sowohl semantische als auch psychologische Spannung erzeugt wird. ... Metaphern beziehen ihre Referenten oft aus der normalen, wortwörtlichen Sprache, stellen sie auf eine Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 30 neue Art nebeneinander und schaffen so neue Möglichkeiten, die Welt und die Erfahrungen zu sehen; oder aber Metaphern erfinden neue suggestive Wörter, die alte Denkweisen in neuer Form miteinander verbinden und so eine konzeptuelle Spannung erzeugen.“ Beispiel: „Das Hirn ist ein verzauberter Webstuhl, auf dem Millionen huschender Schiffchen ein sich auflösendes Muster weben.“ „Die Fähigkeit des Menschen, zwei normalerweise nicht miteinander verknüpfte Referenten in einer Metapher nebeneinanderzustellen, die eine neue Bedeutung besitzt, existiert nicht nur als linguistischer Vorgang, sondern offenbart auch einen tiefer liegenden kognitiven Prozeß. In seinem Bemühen, emotionale und kognitive Einsichten auszudrücken, erweitert der Dichter, der Wissenschaftler oder der Gläubige die normale Sprache über ihre üblichen Verwendungen hinaus.“ Earl R. MacCormac, Die semantische und syntaktische Bedeutung von religiösen Metaphern, in: Jean-Pierre van Noppen, Erinnern, um Neues zu sagen. Die Bedeutung der Metapher für die religiöse Sprache, Frankfurt/Main 1988, 88; 86; 91; 84 „Es gehört zur Eigenart der Metapher, daß sie zwei Sinnhorizonte zueinander in Beziehung setzt, die innerhalb einer Aussage durch zwei Wörter vertreten sind. Metaphern sind deshalb ... Aussagen, in denen der Sinn des grammatischen Subjekts und der Sinn des grammatischen Prädikats aufeinanderprallen und dadurch einen Wechsel der Bedeutung des einen der beiden Wörter erzwingen, was freilich glücken muß. ... Die Sprache des Glaubens ist durch und durch metaphorisch. Gott ist ein sinnvolles Wort nur im Zusammenhang metaphorischer Rede. ... der die Metapher vermeidende Satz Gott ist Gott sagt gar nichts, wenn nicht zugleich gesagt wird, als was Gott ist. Diese Als-Prädikation vollzieht die theologische Metapher. ... Kein von Gott redendes Wort kann folglich die Differenz von Gott und Welt von sich aus bezeichnen. Es muß von anderen Sachverhalten her übertragen werden. Die Differenz von Gott und Welt, Gott selbst also, kann nur metaphorisch zur Sprache kommen. Von Gott ist eigentlich nur dann die Rede, wenn metaphorisch geredet wird . ... Eberhard Jüngel, Thesen zur theologischen Metaphorologie, in: van Noppen, 52; 53; 54. In der Theologie „können keine endlichen Gedanken, Produkte oder Lebewesen mit Gott gleichgesetzt werden, und dazu gehört auch Jesus von Nazareth, der als Gleichnis Gottes zugleich ‘Gott ist und nicht ist’“. Sallie McFague, Metaphorische Theologie, in: van Noppen, 182. Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 31 „ ... Metaphern ... verblassen, sterben und werden zu normaler Sprache, wenn die Analogie zwischen ihren Referenten soweit anerkannt ist, daß sie in die normale Sprache Eingang findet.“ Earl R. MacCormac, Die semantische und syntaktische Bedeutung von religiösen Metaphern, in: van Noppen, 88. „Eine Metapher ist nur dann interessant, wenn sie lebendig ist - wenn sie Überraschung und Erschütterung hervorruft, neue Gedanken erzeugt. Wenn diese Kreativität entweder durch Paraphrasierung oder ständigen Gebrauch erschöpft wird, so daß das Metaphorische in einem neuen Kontext zum Wortwörtlichen wird, dann ist die Metapher tot.“ Mary Hesse, Die kognitiven Ansprüche der Metapher, in: van Noppen, 128. „Zu solchen ursprünglich freien, aber dann wegen ihrer Vorzüglichkeit irreversibel werdenden Übertragungen gehören vor allem die religiösen Grundmetaphern der christlichen Überlieferung. Gottes Sohn ist in Verbindung mit Jesus von Nazareth eine solche unaufgebbar gewordene Prädikation. Andere Metaphern hingegen mögen von neuen verdrängt werden.“ Eberhard Jüngel, Thesen zur theologischen Metaphorologie, in, van Noppen, 66, Anm. 11. „Damals als ich auf dem Kirchhofe stand,“ las ich „in den Worten ‘Gattin des Obigen’ eine sehr lobende Erwähnung der Erhebung meines Vaters in eine bessere Welt; und wenn in bezug auf irgend einen meiner verstorbenen Verwandten das Wort „Untenstehend“ gebraucht worden wäre, so hätte ich mir unzweifelhaft die schlimmste Meinung über dieses Mitglied der Familie gebildet“ (aus Charles Dickens, Große Erwartungen). „Pips Problem ist ein Zweifaches. Zuerst interpretiert er die wörtliche Bedeutung der Inschriften als bildliche, und dann mißt er der bildlichen Sprache ... eine wörtliche Bedeutung bei.“ Janet Martin Soskice, Metapher und Offenbarung, in: van Noppen, 69. (Personifizierende) Allegorie „Der Sinn ist das Gegebene und das zu seiner Verkörperung taugliche Ding wird durch dichterische Setzung gesucht und gefunden.“ „ ... eine literarische Technik, innere Handlung, seelische Vorgänge im Gewand konkreter Begebenheiten vorzuführen.“ Friedrich Ohly, Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, Darmstadt 1966, 9, Anm. 4. „Die Allegorie ist eine Literaturform, die auf dem semantischen Modell der Substitution beruht. Ihr Grundelement ist das Symbol. Einem Zeichen wird auf eindeutige Weise eine Größe als Bezeichnetes zugeordnet. Die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem gibt die Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 32 Sprache allerdings nicht selbser her... . Sie muß in einem metasprachlichen Bereich verabredet sein. ... das Symbol ist keine Prädikation mehr, sondern eine Substitution, eine Etikettierung. Der Kontext spielt keine semantische Rolle, Zeichen und Bedeutung sind ja in ihrem Verhältnis zueinander zeitlos festgelegt.“ Das läßt keine Interpretation mehr zu. ... Es ist folglich kein Zufall, daß die Allegorie zu Hause ist in einer Welt der Esoterik. Gerhard Sellin, Allegorie und ‘Gleichnis’, in ZThK 75, 1978, 300/301; 304 Die Allegorie ist mit dem Rätsel verwandt, eine Art Geheimsprache; das Rätsel wird durch ein ‚Losungswort’ gelöst, das man kennen muss = definierte Sondersprache; es braucht einen Dekodierschlüssel; soziologische Komponente: Trennung von Eingeweihten und Außenstehenden. Beispiel: „Überfall auf eine Fleischhauerei: Der maskierte Räuber forderte von der Fleischhauerin Bargeld. Während die Frau die Brieftasche zückte, fiel dem Täter die Pistole aus dem Sack. Die Geschäftsfrau reagierte sofort und schlug dem Unbekannten eine Bierflasche auf den Kopf. Dem Täter gelang die Flucht mit exakt 4000 Schilling Beute.“ (Kurier/Chronik) Als Allegorie auf die Reformation gelesen: Schlüssel zur Dechiffrierung Der Überfall = die Reformation, die Fleischhauerei = die römisch-katholische Kirche, die Fleischhauerin = der Papst zu Rom, das Bargeld = das Wort Gottes, die Brieftasche = der (verschließende) Codex iuris canonici, die Bierflasche = die Bannbulle, der Räuber/Täter/Unbekannte = Dr. Martin Luther, die Maske = der Doktorhut, die Pistole = Luthers Thesen die Pistole fällt aus dem Sack = die Wartburg die Flucht = Exkommunikation (mit Folgen), die Beute = die heilige Schrift ohne Tradition. Symbol vs. Allegorie Die Allegorie ist die „sinnliche Darstellung von etwas Abstraktem“. Sie „verwandelt den Begriff in ein Bild, doch so, daß der Begriff im Bilde immer noch begrenzt und vollständig zu halten und zu haben und an demselben auszusprechen sei“; sie entsteht, wenn man zum Allgemeinen das Besondere sucht, so dass „das Besondere nur als ein Beispiel, als Exempel des Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 33 Allgemeinen gilt“, während man beim Symbol „im Besonderen das Allgemeine schaut“ (Goethe, Maximen und Reflexionen). Johannes Hoffmeister, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Hamburg 1955, 25/26. „dasjenige Zeichen oder Bild, dem die Bedeutung so innewohnt, daß zwischen sinnlicher Erscheinung und abstrakter Bedeutung nicht unterschieden, ja daß der Sinn allein in dem Bild sichtbar und anderweitig überhaupt nicht, insbes. nicht verstandesmäßig mitgeteilt werden kann, also das Sinn-Bild, die vollkommene Durchdringung von Sinn und Bild, und damit im Unterschied zur Allegorie nicht vom begrifflichen Denken her, durch Übereinkunft und willkürliche Festsetzung entstanden.“ Johannes Hoffmeister, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Hamburg 1955, 594. Beispiel Perikope: Maria und Martha (Lk 10, 38-42) Auslegungsvarianten: Maria und Martha als Gegensatz: - Martha steht für die Werke des Gesetzes (Werkgerechtigkeit), Maria für das Anneh- men der Gnade (Rechtfertigung). Martha steht für die ‚sarkische’ Sorge, Maria steht für die vollkommene ‚pneumatische’ Gottesschau. Martha steht für die Synagoge (Judenchristen), Maria steht für die Kirche (Heidenchristen). Maria und Martha als zwei Aspekte eines gläubigen Lebens, die entweder in einer Stufenfolge stehen oder zusammen ein Ganzes bilden (sowohl/als auch): - Martha steht für die Anfänger/innen im Glauben, Maria steht für die Fortgeschrittenen im Glauben (Glaubensstufen). - Martha steht für das Diesseits (den Weg), Maria steht für das Jenseits (das Ziel; Prolepse). - Martha steht für die vita activa, Maria steht für die vita contemplativa. - Martha steht für die Diakonie, Maria steht für das Hören auf das Wort Gottes. Eine Figur ‚steht für’ eine innere Haltung: Auslegungsform der (personifizierenden) Allegorie bzw. Typologie. Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 34 Die Perikope als Gleichnis: Die Perikope will in erster Linie etwas über Gott sagen: Gott, der ‚Eine’, kann in der Vielheit menschlicher Geschichte und Tätigkeiten nur im Kairos, im ‚einen Moment’ (‘disclosure’Situation) erfasst werden: - Martha verpasst den Kairos, weil sie sich in der Vielheit der Tätigkeiten verliert, Maria erfasst den Kairos, weil sie alles liegen und stehen lässt. Nur von Gott kann Einheit und Ganzheit ausgesagt werden (Transzendentalium). Aussagen von/über Menschen stehen im Zeichen der Vielheit und Mehrdeutigkeit. Nur im Kairos (des Erkennens) sind Vielheit und Mehrdeutigkeit im ‚einen Moment’ aufgehoben. So ausgelegt ist die Perikope von Maria und Martha ein Gleichnis: Die ganze Szene als Metapher für den Kairos der Glaubenserkenntnis. Aufforderungscharakter der Perikope: wachsam sein, den Kairos nicht versäumen. Typologie Typologie ist der „Bedeutungsbezug zwischen Präfiguration und Erfüllung wie zwischen dem Alten und Neuen Testament. Diese in heilsgeschichtlichem Denken verankerte typologische Denkform hat das Geschichtsbewußtsein des Mittelalters stark geprägt, unter anderen indem sie auf das Verhältnis zwischen Antikem als Präfiguration und Christlichem als Erfüllung übertragen zu werden vermochte und dadurch das Hochgefühl des Bewußtseins, in einer der Antike überlegenen Zeit zu leben, ... steigerte ... .“ Friedrich Ohly, Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, Darmstadt 1966, 10. „Die Offenbarung sowohl zu bewahren, sie aber für die Gegenwart zu transformieren, das ist der ständige Anspruch an die biblische Hermeneutik. ... Typologie meint gleichzeitig: Parallelisierung und polare Entgegensetzung. ... Einerseits steht das Alte zum Neuen wie der Positiv zum Superlativ, ... andererseits gibt es das Umkippen in die Antithese.“ Paul Michel, Übergangsformen zwischen Typologie und anderen Gestalten des Textbezugs, in: W. Harms/K. Speckenbach (Hg.), Bildhafte Rede in Mittelalter und früher Neuzeit, Tübingen 1992, 44; 50. „Nach dieser Sicht bewegt sich der Mensch durch die Zeiten wie ein Ruderer, der sich rückwärts in die Zukunft bewegt: er erreicht das Ziel, indem er sich orientiert an dem, was einsichtig vor ihm liegt.“ Hans Walter Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, München 1973, 135. Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 35 „Prägnant gefaßte, charakteristische historische Situationen geben das Muster ab, mit dem wir die diffus andrängenden Umstände immer deuten. Selbstverständlich arbeitet auch jede Geschichtsschreibung so. Zwischen dem Muster und dem damit Gedeuteten braucht grundsätzlich kein Wertgefälle gedacht zu sein, freilich schwingt ein solches gelegentlich mit.“ Paul Michel, Übergangsformen zwischen Typologie und anderen Gestalten des Textbezugs, in: W. Harms/K. Speckenbach (hrsg.), Bildhafte Rede in Mittelalter und früher Neuzeit, Tübingen 1992, 55. Charakteristika der Geschichtsbetrachtung: 1. Chronologie: Zeitkontinuum, qualifiziert durch den durchgängigen Heilswillen Gottes 2. Wiederkehr: Urzeit (Garten Eden) und Endzeit (himmlisches Jerusalem) reichen sich die Hand 3. Kairos: Erschließen des Sinns der Geschichte von der jeweiligen Gegenwart (Kairos) aus, vorgezeichnet (in der Vergangenheit) vorweggenommen (aus der Zukunft) 4. Wertende Steigerung: immer reicher werdende Zeit – Erfüllung „Unvergessenheit bei Übertroffenheit“ (Friedrich Ohly) 5. Antithese: Gegensatz von Typus – Antitypus Drei wichtige Funktionen der Typologie: Erhellen der (rätselhaften) Gegenwart Paränese (Ermahnung) Apologie: das Neue wird gegen den Anspruch des Alten verteidigt Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 36 Beispiel Die ‚Opferung’ des Isaak [Gen 22, 1-12(14)] Auslegungsvarianten: 1. Gott verlangt etwas Unmenschliches und erweist sich als willkürlicher Tyrann (Ablehnung) 2. Kultlegende, um ein bestehendes Heiligtum durch Abraham zu legitimieren (Distanzierung) 3. Die Ablösung des Menschenopfers durch das Tieropfer (Distanzierung) 4. Widerspruch zwischen Verheißung (Isaaks Geburt) und dem Tötungsgebot (Konflikt/Problem) Lösungen des Widerspruchs: Abraham gehorcht, weil er darauf vertraut, dass Gott sein Verheißungswort nicht zurücknimmt (Luther): a) Abraham ist überzeugt, dass Gott eine Alternative zu Isaak aufbieten wird: Gott wird sich das Lamm zum Opfer selbst ersehen [V 8] (Josephus) b) Gott wird Isaak von den Toten auferwecken (Origenes) c) Isaak ist vorgezeichneter Typos Christi: Tod und Auferstehung (Augustinus) Vertrauen als Voraussetzung für den Gehorsam: Einer Gehorsamsforderung lässt sich nur dann Folge leisten, wenn sie vom Vertrauen, von der Gewissheit getragen ist, dass nicht despotische, lügnerische Willkür dahintersteht, sondern menschenfreundliche Absicht, die zu ihrem Wort steht. Beispiele aus dem Neuen Testament „Ich will aber, dass ihr, Brüder, erkennt, dass unsere Väter alle unter der Wolke waren und alle durch das Meer hindurchgezogen sind und alle auf Moses getauft worden sind in der Wolke und im Meer und alle dieselbe geistliche Speise gegessen haben und alle denselben geistlichen Trank getrunken haben; sie tranken nämlich aus einem geistlichen Felsen, der nachfolgte; der Felsen aber war Christus. Aber an der Mehrzahl von ihnen hatte Gott kein Wohlgefallen; denn sie wurden in der Wüste niedergestreckt. Diese Dinge sind aber zu unseren Vorbildern (Typoi) geworden, damit wir nicht nach dem Bösen begehren, wie eben jene begehrt haben. Und werdet nicht Götzendiener wie einige von ihnen, wie geschrieben steht: ‚Das Volk setzte sich nieder, zu essen und zu trinken, und sie standen auf, zu spielen (sich zu vergnügen)‘ (Ex 32,6). ... Dieses aber widerfuhr jenen als Vorbild (Typos); es wurde aber uns zur Warnung geschrieben, zu denen das Ende der Weltzeiten (Äonen) gekommen ist. Wer daher meint zu stehen, schaue darauf, nicht zu fallen.“ 1 Kor 10, 1-7; 11-12 (Marginaltext 10. Sonntag nach Trinitatis), Übersetzung Susanne Heine Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 37 „Da antworteten einige von den Schriftgelehrten und Pharisäern und sprachen zu ihm: Lehrer, wir wollen von dir ein Zeichen sehen. Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Ein böses und ehebrecherisches Geschlecht fordert ein Zeichen, aber es wird ihm kein Zeichen gegeben werden, außer das Zeichen des Propheten Jona. Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird auch der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein. Die Menschen von Ninive werden im Gericht aufstehen mit diesem Geschlecht und es verurteilen, weil sie auf die Verkündigung des Jona hin umgedacht (metánoia) haben, und siehe, hier ist mehr als Jona. Die Königin des Südens wird im Gericht aufstehen mit diesem Geschlecht und es verurteilen, weil sie von den Enden der Erde kam, um die Weisheit Salomos zu hören, und siehe, hier ist mehr als Salomo.“ Matthäus 12,38-42 (Reihe III Reminiszere), Übersetzung Susanne Heine Problem Antijudaismus „Höret die Kraft des Mysteriums: Nichts wäre, Geliebte, das Berichtete und Geschehene außerhalb des Sinnbildes und des (göttlichen) Vorsatzes: Alles, was geschieht, und was man liest, gehört dem Gleichnis zu. Das Gelesene (ist) Gleichnis, das Geschehene (ist) Vorbild ... . Wenn nun aber aufgerichtet wird, worauf das Vorbild (hinwies), dann wird das, was das Bild des Kommenden trug, als nicht mehr brauchbar abgelöst; denn auf das, was wahr ist von Wesen, ist das, was dessen Bild war, übergegangen. Das, was einst wertvoll war, wird wertlos, wenn das wesenhaft Wertvolle offenbar wird. ... Das Vorbild besaß seinen Wert vor der Wahrheit, und das Gleichnis war bewundernswert vor der Auslegung; das bedeutet: Das Volk (Israel) war wertvoll, bevor die Kirche entstand, und das Gesetz bewundernswert, bevor das Evangelium aufstrahlte. Doch seit die Kirche entstand und das Evangelium vorgelegt wurde, wurde das Vorbild entwertet und übergab seine Kraft an die Wahrheit; und das Gesetz wurde erfüllt und übergab seine Kraft an das Evangelium ...“ Meliton von Sardes, Vom Passa, übers. von Josef Blank, Freiburg 1963; Abschnitte: 35; 37; 41-42. „Dieser (Jesus Christus) ist das Passa unseres Heiles: Dieser ist es, der in vielen vielerlei ertrug. Dieser ist es, der in Abel getötet wurde, in Isaak gebunden wurde, in Joseph verkauft wurde, in Moses ausgesetzt wurde, in David verfolgt wurde, in den Propheten verachtet wurde. ... Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 38 Dieser wurde getötet. Und wo wurde er getötet? Mitten in Jerusalem. Warum? Weil er die Gelähmten geheilt, ihre Aussätzigen rein gemacht, ihre Blinden wieder ans Licht geführt und ihre Toten auferweckt hatte. ... Welch schlimmes Unrecht, Israel, hast du getan? Du hast den, der dich ehrte, geschändet; den, der dich verherrlichte, hast du entehrt; den, der sich zu dir bekannte, hast du verleugnet; den, der dir gepredigt hat, hast du abgelehnt; getötet hast du den, der dich lebendiggemacht. Was hast du getan, o Israel? ... Höret es, alle Geschlechter der Völker und sehet: Unerhörter Mord geschah inmitten Jerusalems in der Stadt des Gesetzes, in der Stadt der Hebräer, in der Stadt der Propheten, in der Stadt, die für gerecht galt. Und wer wurde ermordet? Wer ist der Mörder? Ich schäme mich, es zu sagen, und bin doch gezwungen, es zu sagen.“ Meliton von Sardes, Vom Passa, übers. von Josef Blank, Freiburg 1963; Abschnitte: 69; 7273; 95 Typologische Auslegung von 1 Kön 3, 16-28 „Man kann sogar sagen, sie [die richtige Mutter] bringe sich selbst zum Opfer, insofern sie vom weiteren Verlauf der Ereignisse keine Ahnung haben kann. Sie kann nicht sicher sein, daß ihr plötzlicher Entschluß, auf das Kind zu verzichten, nicht gegen sie ausgelegt wird als Unvermögen, in Gegenwart der königlichen Majestät die ihr unterstellte Lüge noch länger zu vertreten. Sie kann die ‘göttliche Weisheit’ des Monarchen nicht ahnen. ... Das Sprechen von Opfer gibt die Werte der zweiten Frau preis. Diese sind keineswegs auf das Leiden und den Tod ausgerichtet ..., sondern positiv auf den Nächsten und das Leben ausgerichtet. ... Die wahre Mutter hat keinerlei verlangen, ‘sich zu opfern’. Sie möchte bei ihrem Kind leben. Doch sie ist bereit, es für immer ihrer Feindin zu überlassen und, falls es sein muß, sogar zu sterben, um das Kind vor dem Tod zu erretten. ... Das Verhalten Christi entspricht somit in jedem Punkt dem der gutgesinnten Dirne, und man muß in dieser die vollkommenste figura Christi erblicken, die man sich vorstellen kann. Christus nimmt den Tod auf sich, damit die Menschen leben ... . Der Rückgriff auf das Urteil Salomos ermöglicht es, den lächerlichen Vorwurf des Masochismus, den die Makler in Entmystifikation gegen den christlichen Begriff der Hingabe bis zum Tod mechanisch erheben, so zu behandeln, wie er es verdient.“ René Girard, Das Ende der Gewalt, Freiburg-Basel-Wien 1983, 250-253 (Kursiv vom Autor). Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 39 Diskurstheorie „ ... der Diskurs [nach Michel Foucault] ist ein Sprach-Raum, der uns gesellschaftlich vorgegeben ist. Als Sprechende sind wir immer schon Besprochene. Den Diskurs kann der einzelne nicht nach Belieben benutzen - er erlegt sich ihm als soziale Notwendigkeit auf. ... Die ‘Situation’ gibt es nur als Diskurs. Die Macht der Diskurse erkennt man daran, daß nicht alles überall gesagt werden kann. Jeder soziale Ort hat seinen eigenen Diskurs, seine eigenen Sprachregelungen. ... Die Predigten nehmen an den herrschenden Diskursen ihrer Epoche teil. Ja, im Spiegel des Gleichnisses werden die Diskurse reproduziert ... . Bis in die jüngste Gegenwart hinein folgen die Predigten den Plausibilitäten und Selbstverständlichkeiten ihrer Zeit. Selbstverständlich macht es keinen Sinn, die Prediger daran hindern zu wollen, zeitgemäß zu predigen. ... Es gibt aber durchaus Unterschiede, wie die eigene Zeit Element der Predigt wird ... . Womöglich trauen wir den ‘Texten’ einfach nicht genügend ‘Situation’ zu. Predigten entkommen dann der Gefahr, die herrschenden Diskurse religiös zu überhöhen, wenn sie darauf achten, daß die Wirklichkeit, ‘wie sie im Buche steht’, unsere Wirklichkeit erhellt, daß aber der umgekehrte Prozeß, das Einschreiben unserer Wirklichkeitsdiskurse in den biblischen, nicht die ‘Relevanz’ des Textes erhöht, sondern die der aktuellen Diskurse. ... Es ist gerade die Unverrechenbarkeit, die wirklichkeitserschließende, weil diskursunterbrechende Wirkung der Bibel, die die Predigt von anderen öffentlichen Reden ... unterscheidet.“ Rolf Schieder, Der ‘Wirklichkeitsbezug’ der Predigt. Vom Nutzen einer diskursanalytischen Predigtanalyse, in: EvTh, Heft 4, 55. Jg., 1995, 322-337, Zit. 324; 335; 337. Beispiel Der verlorene Sohn – the prodigal son 1. Entgegenlaufen Gottes; der Mensch kann sich nicht aus eigenen Kräften zur Gnade disponieren; der ältere Sohn repräsentiert die kalte (jüdische) Gesetzlichkeit: reformatorisches Selbstverständnis: Rechtfertigungslehre; 2. der ältere Sohn, der nie ein Gebot übertreten hat, macht dem Vater mehr Freude: von der Gnade zur Tugend (4. Gebot; Familie), die die Schuld vermeidet; 3. bei einer liberaleren Erziehung hätte der Sohn nicht davonlaufen müssen; Pädagogisierung; 4. der jüngere Sohn als zurückgekehrter Deserteur, der sich in Reue und Gehorsam unterwirft: militärische Metapher von Treue und Gehorsam vs. Ungehorsam im Glaubenskampf; 5. der jüngere Sohn als der moderne Mensch, der Rebell gegen Gott, der durch die Flucht in die Säkularität versucht, Gott zu entkommen; als Heimkehrer ist er Paradigma für die Fernsteheden: innen-außen-Dichtomie; Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 40 6. Rehabilitation des verlorenen Sohnes: Wille zur Emanzipation, Selbständigkeit und Selbstfindung; Schuld: hat das Glück zu kaufen versucht, Opfer des Kapitalismus (Differenz von Haben und Sein); Rückkehr war vom nackten Überleben diktiert (Ökonomie); der ältere Sohn war Opfer bürgerlichen Sicherheitsdenkens; Ziel: die Gemeinschaft der Brüder; 7. im Mittelpunkt steht die „Fremde“ als Entfremdung durch Angst, Einsamkeit und Verzweiflung; die folgenlose Rückkehr zum alles verzeihenden Vater ist jederzeit möglich; das Fest: alles wird „wegen mir“ veranstaltet, weil ich so wichtig bin: narzisstische Pointe; 8. Zurückkehren ins Elternhaus wird als regressives Scheitern aufgefasst; positive Bewertung eines zweiten Versuchs, vom Vater loszukommen (mit André Gide, der einen dritten, jüngsten Sohn einführt, der das Elternhaus ‚erfolgreich’ verlässt): draußen ist besser als drinnen. Nach Rolf Schieder, Der ‘Wirklichkeitsbezug’ der Predigt. Vom Nutzen einer diskursanalytischen Predigtanalyse, in: EvTh, Heft 4, 55. Jg., 1995, 322-337, Zit. 324; 335; 337. Gesetz und Evangelium Martin Luther und die reformatorische Tradition „Wie man fur Gott gerecht wird und von guten Werken. Was ich davon bisher und stetiglich gelehret hab’, das weiß ich gar nicht zu ändern, nämlich daß wir ‚durch den Glauben’ (wie S. Petrus sagt [Apg 15,9]) ein ander neu, rein Herz kriegen und Gott umb Christi willen, unseres Mittlers, uns fur ganz gerecht und heilig halten will und hält. Obwohl die Sunde im Fleisch noch nicht gar weg oder tot ist, so will er sie doch nicht rechnen noch wissen. Und auf solchen Glauben, Verneuerung und Vergebung der Sunde folgen dann gute Werke... .“ Schmalkaldische Artikel (1537), in: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche, Göttingen 81979, 460. „Und in dem Verstande ist die generalis definitio ... recht, wann gesaget wird, das Evangelium sei ein Predigt von der Buß und Vergebung der Sünden. Dann es haben Johannes, Christus und die Aposteln ihre Predigt von der Buß angefangen, und also nicht allein die gnadenreiche Verheißung von Vergebung der Sünden, sondern auch das Gesetz Gottes ausgelegt und getrieben.“ Konkordienformel (1580), Solida Declaratio V: Vom Gesetz und Evangelio, in: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche, Göttingen 81979, 953. „Es ist alles des Gesetzes Predigt, was da von unsern Sünden und Gottes Zorn geprediget, es geschehe wie oder wenn es wolle. Wiederumb ist das Evangelium eine solche Predigt, die nicht anders denn Gnade und Vergebung in Christo zeiget und gibt, wiewohl es wahr und recht ist, daß die Apostel und Prediger des Evangelii (wie auch Christus selbst getan hat) die Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 41 Predigt des Gesetzes bestätigen und anfahen bei denen, die noch nicht ihre Sünde erkennen, noch vor Gottes Zorn erschrocken sind ... .“ Konkordienformel (1580), Solida Declaratio V: Vom Gesetz und Evangelio, in: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche, Göttingen 81979, 955 (Zitat aus einer Luther-Predigt). Anthropologische Aspekte „Er [Luther] unterstellt, daß der Mensch jede gesetzliche Forderung halten kann, und glaubt, etwa im Blick auf ehrwürdige Heiden und auf Paulus, daß diese Gebote, d.h. das ganze Gesetz, gehalten worden sind. ... und fällt dann – mit Paulus – das abschließende Urteil: Auch dann und so ist der Mensch nicht gerecht – also Sünder [WA 40/I, 218]. ... Für das Neue Testament braucht nur auf das ethische Selbstbewußtsein des Apostels Paulus verwiesen zu werden, damit deutlich wird ..., daß durch mögliche imperativische Forderungen das Gesetz überhaupt nicht in der Lage ist, zu einem echten Sündenbewußtsein zu führen. Skrupulantentum, ja! ... Wie also vermag also das Gesetz die Sünde zu offenbaren? Als imperativisches Leistungsgesetz offenbar nicht, denn es ist weder prinzipiell noch faktisch unerfüllbar. ... Der Weg von der Empirie zur grundsätzlichen anthropologischen Erkenntnis geht über die Offenbarungswahrheit. ... Die Rechtfertigungslehre ist ‚eine Art Anthropologie’, die ganz anders über die Sündigkeit des Menschen Auskunft gibt als das imperativische Gesetz. Dann ist die ratio und mit ihr der ganze Bereich möglicher und tatsächlicher Gesetzeserfüllung zwar die differentia essentialis und also ein Unterscheidungsprinzip irdischer Art vom Tier. Es gehört aber dieser ganze Bereich zur causa materialis des Menschen (aristotelisch gesprochen), er ist sterblich und irdisch.“ Luther behauptet, „daß der Mensch mit seiner Vernunft als materia zu begreifen sei, während seine Wirkursache (causa efficiens) im Sinne der Wesensverwirklichung Gott der Schöpfer ist, der als Endursache (causa finalis) ein Leben der ‚künftigen Gestalt“ ... schaffen will. Daher sei der Mensch – und zwar als Wesensdefinition ... – ein durch Glauben Gerechtfertigter. ... der je einzelne existiert nur in dem Maße und in dem Sinne als Mensch, als er von Gott als Mensch verwirklicht wird. … Gesetz und Evangelium haben beide eine imperativische und eine indikativische Form, so daß die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium als Forderung und Zusage nicht ausreicht und einseitig ist.“ Walter Matthias, Der anthropologische Sinn der Formel Gesetz und Evangelium, in: Ernst Kinder/Klaus Haendler (Hg.), Gesetz und Evangelium. Beiträge zur gegenwärtigen theologischen Diskussion, Wege der Forschung CXLII, Darmstadt 1968, 305, 319, 318 Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 42 Differenz zwischen Ethik und Glaube „Aufgrund der Tatsache, daß der Mensch zu sittlichem Denken und Handeln fähig ist, läßt sich Freiheit als Postulat erschließen. Die Freiheit zur verantwortlichen Selbstbestimmung – und das meint: Universalisierbarkeit, d.h. prinzipiell für alle Menschen gültig – soll menschliches Miteinander-Leben ermöglichen. ... Das Proprium des Christentums ist in der Heilszusage Gottes zu sehen, die auch als Liebesoder Sinnvorgabe aufgefaßt werden kann. ... Das religiöse Proprium zeigt sich vor allem in Situationen, in denen der Mensch nicht mehr handlungsmächtig ist – also in der Kontingenzbewältigung. Damit ist deutlich, daß die religiöse Dimension nicht auf die ethische Dimension reduziert werden darf. ... Der ... Ansatz für eine Beziehung von Ethik und Theologie bzw. Religion geht von den Grenzen des Ethischen aus. Es gibt Phänomene menschlichen Daseins, wie die Erfahrung von Schuld, Tod, Leiden und anderen Schicksalsschlägen, die nicht mehr ethisch zu bewältigen sind. Indem hier im Horizont des Ethischen die Frage nach dem Sinn verstärkt in den Vordergrund tritt, stellt sich die religiöse Frage. ... Der Glaube erschöpft sich aber auch nicht in der Kontingenzbewältigung. Das christliche Glaubensverständnis schließt die Grundentscheidung zur moralischen Existenzweise mit ein, weil die moralische Existenzweise zugleich eine Antwort auf die Sinnfrage des Menschen darstellt. Sittliche Forderungen werden durch den Glauben nicht aufgehoben, abgeschwächt oder gar negiert, sondern bekräftigt.“ Glaubenserfahrungen „... spiegeln sich in einer bewußt dankbaren und ehrfürchtigen lebensbejahenden Haltung wider, die sich auch in dem Bemühen um eine verantwortungsvolle Lebensführung zeigt.“ Werner Martin, Bestimmung und Abgrenzung von Ethik und Religion, Pfaffenweiler 1990, 274, 275, 195, 276. Im homiletischen Kontext „Das Gesetz deckt die Sünde des Menschen auf. Damit ist es ... von seiner Funktion her definiert. Und diese Funktion entscheidet auch im Einzelfall, was als Gesetz zu gelten hat. Es ist also keineswegs auf bestimmte Teile der Bibel, wie etwa das Alte Testament oder den Dekalog oder die Bergpredigt, beschränkt, auch nicht an grammatische Formen, wie etwa den Imperativ, gebunden. Luther kann die Einzelbitten des Vaterunsers auf ihren Gesetzessinn hin auslegen: Was wir von Gott bitten, davon bekennen wir, daß wir es nicht haben. … Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 43 Eben das fordert Luther nun auch für die Predigt des Gesetzes. Hoc est legem praedicare, ostendere peccatum [WA 39/I, 533,1]. Weil die Predigt es mit dem Sünder zu tun hat, muß sie darauf aus sein, dem Sünder sein Wesen zu zeigen. Predigt des Gesetzes ist also nicht gesetzliche Predigt; das wäre dann der Fall wenn sie bei den natürlichen Kräften des Menschen anknüpfte und ihn zu frommen Leistungen vor Gott aufriefe. Das Gesetz predigen heißt einfach: den Menschen seine Wirklichkeit erkennen lehren. ... Diese Aufgabe freilich ist nicht mit der Anzeige von Einzelschäden, mit der Aufdeckung einzelner sittlicher Fehlleistungen oder einzelner politischer, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher Fehlkonstruktionen erledigt. ... ‚Christus als eine Gabe nährt deinen Glauben und macht dich zum Christen. Aber Christus als ein Vorbild übt deine Werke; und die machen dich nicht zum Christen, sondern sie gehen von dir aus, nachdem du schon vorher zu einem Christen geworden bist’ [WA 10, I/1, 12]. Die evangelische Erzählung zielt also nicht auf die gesetzliche Normierung oder ethische Indoktrination, sondern auf Animation. Sie nährt den Menschen, sie erfüllt sein Herz, sie bewegt ihn in vielerlei Hinsicht. ... Die Geschichte Israels zu einer bestimmten Epoche, die Situation in der Gemeinde von Korinth, die biographischen Umstände biblischer Figuren sind von evangelischem Wert nur dann, wenn sie Aspekte gegenwärtigen Lebens vor Gott durchsichtig machen. Um noch einmal das Vorwort zur Kirchenpostille [von Luther] anzuführen: ‚Wenn du nun das Evangelienbuch aufschlägst, und du liest oder hörst, wie Christus hierhin und dorthin kommt oder jemand zu ihm gebracht wird, so sollst du darin die Predigt oder das Evangelium vernehmen, durch welches er zu dir kommt oder du zu ihm gebracht wirst. Denn die Predigt des Evangeliums ist nichts anderes, als daß Christus zu uns kommt oder daß man uns zu ihm bringt.’ Das Evangelium will dadurch zu Herzen gehen, daß es die Macht der bedrohlichen Bilder bricht und heilvolle Bilder eines Lebens in Christus entwirft. ... Weil das Evangelium gegen die Todesbilder energisch zu Felde zieht, darf nicht geschehen, was in sehr vielen Predigten zu beobachten ist, daß nämlich die Welt des Elends und des Schreckens sehr viel drastischer und Ausführlicher wiedergegeben wird als die Gnade Gottes in Christus. Hier kann man Luthers Warnung, Hölle, Sünde und Tod nach Kräften auszumalen, nur nachdrücklich unterstreichen: ... ‚Die Kunst ists, ganz und gar sie fallen lassen und nichts mit ihnen handeln. Wie geht aber das zu? Es geht also zu: Du mußt den Tod in dem Leben, die Sünd in der Gnaden, die Höll im Himmel ansehen [WA 2, 689]’. ... Schlagworte wie der Ruf nach Bewährung des Glaubens im Alltag, nach dem Lebenszeugnis des Christen, nach der Durchdringung der Welt mit christlichem Geist bilden das Gemeingut aller theologischer Lager. ... Dieser nach vorwärts, auf die Welt bezogenen Forderung entspricht auf der anderen, ins Innere gerichteten Seite die gesetzlich-kritische Normierung des Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 44 Glaubenslebens. Was für die Welt erwartet wird, wird bei den Christen vermißt. ... [Beispiel]: ‚Welche Gaben Gottes lassen wir ungenutzt liegen? Spüren andere etwas davon, daß wir die Gabe der Taufe empfangen haben? Wird es heute und morgen unsere Umgebung merken, daß wir heute die Gabe des Wortes empfingen? – Spüren die anderen in unserer Nähe, daß wir einen Heiland haben? Daß Karfreitag und Ostern die Geburtsstunden unseres Lebens sind und nicht nur Tage im Kalender?’ Die Forderung wie die Frage sollen beide die Hörer zum Handeln, zum sichtbaren Ausleben ihres christlichen Glaubens führen. Aber in beiden Fällen muß die Absicht mißlingen. Denn die Forderung ist hybrid. Sie verlangt das Unmögliche, das weder Gott erwartet noch ein Mensch zu leisten vermag: die Gnade Gottes durch ein Handeln zu demonstrieren.“ Manfred Josuttis, Gesetz und Evangelium in der Predigt, Gütersloh 1995, 27, 52f., 63f., 159. Susanne Heine/Einführung in die Homiletik/VO/SS 2007 45 Susanne Heine Die Kunst zu Überzeugen: Einführung in die Homiletik Vorlesung / Sommersemester 2007 Literatur Das folgende Literaturverzeichnis stellt eine Auswahl dar. Es geht von solchen Werken aus, auf die in der Vorlesung Bezug genommen wurde („Folientexte“), geht aber auch darüber hinaus, um die Weiterarbeit zu ermöglichen. Die Werke sind innerhalb der Kapitel nach den Namen der Verfasser/innen alphabetisch geordnet. I. Einführungen/Geschichte/Handbücher Albrecht, Christian / Weeber, Martin (Hg.), Klassiker der protestantischen Predigtlehre, (UTB) 2002. Beutel, Albrecht / Drehsen, Volker / Müller, Hans Martin (Hg.), Homiletisches Lesebuch. Texte zur heutigen Predigtlehre, 21989. Bieritz, Karl-Heinrich, Handbuch der Predigt, Berlin 1990. Bloth, Peter C. / Daiber, Karl-Fritz / Kleemann, Jürg / Roepke, Claus-Jürgen / Schröer, Henning / Stählin, Traugott / Wegenast, Klaus, Handbuch der Praktischen Theologie, Band 3, Gütersloh 1983. Bohren, Rudolf, Predigtlehre, München (1971) 51986. Bukowski, Peter, Predigt wahrnehmen. Homiletische Perspektiven, Neukirchen 31995. Dannowski, Hans Werner, Kompendium der Predigtlehre, Gütersloh 1985. 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