Predigt – Gute Nachrichten für religiöse Menschen: lebendiger Glauben statt tote Theologie Johannes 3:1-15 Ich möchte euch danken für die vielen positiven Rückmeldungen zu der ersten Predigt in dieser Reihe über die gute Nachricht im Johannesevangelium – und zu meiner ersten Predigt hier in der Stami. Auch meine Frau hatte viele nette Worte zu sagen. Ihre Kritik, wenn sie kommt, ist auch konstruktiv und gut durchdacht. Auch zu der letzten Predigt hatte sie einen Verbesserungsvorschlag, den ich gleich umsetzen möchte; nämlich, es wäre vielleicht besser gewesen, kurz zu erklären warum ich hier vorne stehe bzw. stehen darf. Einige von euch mögen wissen, dass ich meinen Job vor etwa anderthalb Jahren hingeschmissen habe und wieder Student geworden bin. Diese Entscheidung fiel mir und vor allem meiner Frau, die das Ganze finanzieren sollte, nicht leicht, aber ich glaubte dann und glaube immer noch, dass ich einem Ruf Gottes gefolgt bin. Ich war sogenannte Ortsprediger in meiner letzten Gemeinde, obwohl ich keine theologische Ausbildung hatte und, ehrlich gesagt, ziemlich schlecht in Religion beim Abitur abgeschnitten hatte. Trotzdem wurde ich auf jene Gemeinde losgelassen. Aber ich hatte damals Angst, dass die Worte, die ich sagte, meine Worte sind und nicht Gottes Worte. Ich wollte mehr Sicherheit haben, dass der Inhalt meiner Predigten nicht irreführend war und theologisch vertretbar sei. So habe ich mit dem Studium angefangen und es macht mir viel Spaß, fordert mich und meinen Glauben heraus und hilft mir hoffentlich, Gottes Stimme von meinen eigenen Gedanken und Vermutungen zu unterscheiden. Und ich bin Thomas und dem Vorstand hier sehr dankbar, dass ich auch hier predigen darf. Ein großer Schwerpunkt meines Studiums ist das Predigen, so habe ich es gewollt. Selbstverständlich geht es nicht nur um Inhalt sondern auch um Aufbau, Redekunst, eigentlich alles, was effektive Kommunikation einer Botschaft angeht. Was ich bisher am meisten geschätzt habe, sind die Hinweise wie man mit dem Schreiben einer Predigt anfangen kann – wie die ersten Worte entstehen. Und ein guter Tipp dafür ist sich mit einem der Hauptdarsteller zu identifizieren. Allerdings gibt es einen Haken – man sollte nicht zu schnell sein, sich mit Jesus zu identifizieren. Und in einer Geschichte mit nur zwei Personen, lässt das einem keine so große Auswahl. Aber als ich diese Geschichte mehrmals gelesen habe, konnte ich die Ähnlichkeiten zwischen mir und Nikodemus allmählich sehen. Vielleicht werdet ihr auch welche entdecken. In meiner ersten Predigt ging es um gute Nachricht für hoffnungslose Menschen. Aber Nikodemus ist kein Hoffnungsloser. Nein, Nikodemus, der ist ein ganz religiöser, frommer Mensch. Seine Religion ist eigentlich von Hoffnung geprägt. Der ist sowohl Pharisäer als auch Mitglied des Sanhedrins, des jüdischen Hohen Rats. Auch wenn Religion damals eine völlig andere und viel größere Rolle für die Gesellschaft spielte, ist es klar, dass für Nikodemus Religion mehr als Glaube ist. Sie ist sein Leben. Aber sein Problem war, dass seine Religion zwischen ihm und Gott gekommen war. Das galt auch für die anderen Pharisäer. Das, was sie für gut und notwendig hielten, ist zu einem Problem geworden. Ihre Regeln, ihre Abläufe, ihre Liturgie, vielleicht ihre Lieder, ihre Gottesdienste – sie haben nichts mehr gebracht. Anstatt eine Brücke zu Gott zu sein, sind sie zu einer Mauer geworden. Für einige mag es der Fall gewesen sein, dass sie einfach zu lang dabei waren, müde geworden sind und sich auf ausgefahrenen Gleisen bewegten. Für andere, dass sie eine falsche Lehre geschluckt hatten, wobei ihnen gesagt wurde, dass das was sie tun das A und O ist. Für andere, dass sich ihre Religion als leer entpuppt hatte und sie enttäuscht hat. Sie waren religiös, aber nicht gläubig. Sie lebten, aber sie waren tot in ihrer Religiosität. Sie brauchten neues Leben. Deshalb waren die Wunder, die Jesus tat, die im Johannesevangelium als Zeichen gekennzeichnet sind, für sie gleichzeitig etwas Fremdes und doch Bewundernswertes. Deshalb ist Nikodemus zu Jesus gekommen, weil er in Jesus etwas sieht, was jenseits von seiner religiösen und liturgischen Erfahrung ist. Aber er kommt in der Nacht, damit keiner ihn sieht. Vermutlich schämt er sich ein bisschen dafür, dass eine Leitungsperson wie er zugeben muss, dass er nicht alle Antworten hat. Er spricht zwar keine Frage aus, aber wir können seine Worte so umformulieren: „Wie komme ich in dieses Königreich hinein?“ Auch ich bin lange Zeit mit der Kirche verbunden. Meine Mutter hat mich als kleines Kind mitgenommen. Es war eine anglikanische Gemeinde, also der evangelischen Landeskirche ähnlich. Ich erinnere mich an meine Zeit in der sogenannten Sonntagschule und später im Kirchenchor. Als ich anfing zu studieren, war eine meiner ersten Aufgaben, eine neue Gemeinde zu finden. Und es sagt vieles über mich aus, dass ich mich für eine Gemeinde entschieden habe, wo die ganze Tradition, mit der ich aufgewachsen bin, zu finden war. Ich mochte damals, und schätze immer noch, eine Liturgie. Die Tatsache, dass ich in einer christlichen Gemeinde aufgewachsen bin, dort zum Glauben gekommen bin, von dieser Gemeinde unterstützt wurde, war leider keine Garantie, dass ich beständig in meinem Glauben blieb. In der Tat, etwas später in meinem Leben bin ich durch Phasen gegangen, in denen ich mich so weit weg von Gott fühlte, dass ich fast mit dem Glauben aufgehört habe. Manchmal weil ich zu viel Wert auf Religion gelegt habe, manchmal weil die Religion mich einfach müde gemacht hat. Ich war in der geistlichen Wüste, habe eine Dürre erlebt. Ich wollte nicht mehr sonntags Gottesdienst feiern, ich kam mir wie ein Heuchler vor, wenn ich im Gottesdienst war. So wie Nikodemus und seine Pharisäer, habe ich intellektuell gewusst, wie das Königreich ist, aber ich habe keine echte Erfahrung mehr damit gemacht. Auch ich habe die Frage gestellt: „Wie komme ich in dieses Königreich hinein?“ Manchmal müssen auch religiöse, fromme Menschen immer wieder an die gute Nachricht erinnert werden. Damit sie verstehen worauf es wirklich ankommt und ihre Orientierung wieder finden. Die gute Nachricht des einbrechenden Königreichs ist auch für sie, diese religiösen Menschen bestimmt. Aber diese gute Nachricht hat nichts damit zu tun, wie lange du in der Gemeinde bist, wie oft du zum Gottesdienst kommst, was du alles für die Gemeinde tust. Diese sind gute, lobenswerte, notwendige Dinge – aber keine Garantie, dass du einen lebendigen Glauben hast. Ganz im Gegenteil – ich habe auch Phasen erlebt, währenddessen ich mich viel mehr für die Gemeinde eingesetzt habe gerade weil ich mich schwach in meinem Glauben fühlte und diese Schwäche mit Einsatz tarnen wollte. Es ist schwierig, unangenehme Wahrheiten zu erkennen und vor anderen bekennen. Aber wenn wir nur nach diesem Äußeren, nach diesem Tun schauen, werden wir nicht nur getäuscht, sondern auch enttäuscht. Jesus will uns mit ewigem Leben füllen, nicht unseren Leben füllen mit ewigen Gemeindearbeit und nutzlosen Religion. Wenn du lange in einer christlichen Gemeinde gewesen oder viele Jahre gläubig gewesen bist, vielleicht fragst du dich auch: „Sollte es nicht mehr als dies geben? Ich möchte das Königreich erleben. Wie komme ich in dieses Königreich hinein?“ Also, was können religiöse Menschen tun, damit sie in ihrem Glauben nicht einfach stagnieren? Was können sie tun, damit sie ihr Vertrauen lieber in eine lebendige Beziehung mit Jesus stecken als in leere Rituale und Religiosität? Wenn du einfach in deinem Glauben müde geworden bist, wenn du den Wald des Königreichs vor lauter frommen Bäumen nicht mehr siehst, welche Antwort findest du auf die Frage „wie erlebe ich das Königreich, wie komme ich hinein?“ Jesus selbst gibt die Antwort: du musst „von neuem“ geboren werden. Das ist leider keine besonders einleuchtende Antwort. Wenn du Schwierigkeiten hast, sie zu verstehen, bist du in guter Gesellschaft. Wir sehen, dass Nikodemus sie gleich missversteht. Er glaubt, dass Jesus meint, dass wir eine zweite physische Geburt erleben müssen. Auch wenn Jesus ihm ein zweites Mal erklärt hat, hat er es nicht wirklich kapiert und Jesus, mit vermutlich einem Zwinkern im Auge, spaßt mit ihm und legt ironischen Wert darauf, dass Nikodemus ein Lehrer Israels ist. Spätestens an diesem Punkt in der Geschichte identifiziere ich mich sehr mit Nikodemus. Der Lehrer, der dies verstehen muss und diese Lehre weitergibt – und tut sich sehr schwer dabei. Ich habe auch meine Schwierigkeiten damit zu verstehen, was Jesus meint, dass wir neu geboren werden müssen und dass dies durch Wasser und Geist geschieht, wenn wir ins Königreich kommen wollen. Aber es ist wichtig dies zu verstehen, wenn wir nicht in unserer frommen Religion stagnieren wollen. Erstens muss ich klar stellen, dass die Worte „von neuem“ auch mit „von oben“ übersetzt werden können. In dieser Weise stellt Jesus Nikodemus klar, dass es sich nicht hier um eine physische Geburt handelt. Es ist eine Geburt, die eine himmlische Dimension hat; eigentlich die Geburt, die uns zu Kindern Gottes macht und uns Wohnrechte im neuen göttlichen Königreich gewährt. Aber das Entscheidende an einer Geburt ist, dass es der Anfang einer neuen Sache ist und nicht das Ende. Somit müssen wir schauen, was hier bei dieser Geburt anfangen muss. Diese Geburt ist mit zwei Elementen verbunden. Meine Erfahrung ist, dass wenn eine Person an den Symptomen von Nikodemus leidet, wie ich auch in meinem Leben getan habe, fehlt eins oder beide von diesen Elementen. Das erste Element wird symbolisiert durch das Wasser. Dieses Wasser steht für Buße. Genau wie Johannes mit Wasser taufte und diese Taufe war mit Buße verbunden, genau wie heutzutage die Taufe von Gläubigen ein öffentliches Zeichen der Buße und der Umkehr ist, sagt Jesus hier dass ein andauerndes Erlebnis des Königreichs nur möglich ist, wenn wir reine Herzen haben. Wenn Jesus wiederkommt und sein Königreich ein für allemal auf Erde etabliert wird, wird es keine Sünde mehr geben und deshalb wird Buße nicht mehr nötig sein. Aber bis dahin müssen wir regelmäßig zu Gott kommen und unsere Sünde beichten und auch die nötigen Schritte gehen, um uns mit anderen zu versöhnen und die Sachen wieder gut zu machen. Das zweite Element ist der Geist Gottes. Wenn wir zu Christen werden, empfangen wir diesen Geist. Aber wenn wir Frucht tragen wollen, die Frucht die auch Kennzeichen dieses Königreichs ist, müssen wir immer wieder mit diesem Geist erfüllt werden. Im Epheser 5,18 gibt Paulus den Ephesern das Gebot: „Lasst euch vielmehr von Gottes Geist erfüllen.“ Aber eine bessere Übersetzung wäre „Lasst euch vielmehr immer wieder von Gottes Geist erfüllen.“ Es ist eine Handlung, die immer wieder wiederholt werden muss. Wir lesen in Apostelgeschichte Kapitel 2 wie die ersten Jünger mit diesem Geist erfüllt wurden. Aber in Kapitel 4 wird Peter wieder mit dem Geist erfüllt! Und wenn er aus dem Gefängnis entlassen wird und zurück zu den Jüngern geht, sind sie alle wieder mit dem Geist erfüllt! Und wieder in Kapitel 13. Diese zwei Elemente, das Wasser der Buße und der Heilige Geist, lassen sich in einem Bild zusammenführen. Es ist vergleichbar mit einer Pflanze, die du in deinem Garten pflanzt. Für die meisten Pflanzen ist es notwendig, dass du ihnen ganz viel Wasser gibst, wenn du sie pflanzt. Sie müssen ganz schön durchnässt sein, fast ertrunken. Aber um zu wachsen, um Frucht zu tragen, um einfach weiter zu leben, brauchen sie immer wieder Wasser. Dieses Wasser, sei es hier Buße oder Gottes Geist, ermöglicht eine andauernde Wachstumsphase. Wenn die Pflanze kein Wasser bekommt, wird sie austrocknen und letztendlich sterben. Manche Pflanzen brauchen ein Gerüst, um zu wachsen. Aber auch wenn wir mit dem Gerüst einer Liturgie oder äußere Zeichen einer Religion unterstützt werden, werden wir ohne Wasser nicht mehr blühen und wachsen können. Diese zwei Elemente, Buße und Geist ermöglichen uns, das Königreich hautnah zu erleben. Wir sind nicht nur Beobachter, wie der Nikodemus. Wir sind nicht nur gelegentliche Besucher, die dieses Gebiet verlassen müssen, wenn unsere eigene Kraft nachlässt. Nein, wir dürfen Einwohner sein, mit Geburtsurkunden und Ausweisen die bezeugen, dass wir hier gehören. Das ist die gute Nachricht, für alle, die Zeichen dieses Königreichs erkennen aber den Eindruck haben, dass sie nicht drin sind. Und wir dürfen selber ermutigt sein, dass Nikodemus diese Lehre offensichtlich zu Herzen genommen hat, da später berichtet uns Johannes, dass Nikodemus bei der Beerdigung von Jesus nach seinem Tod geholfen hat (Kapitel 19). Es könnte sein, dass du ganz viel Erfahrung mit der Kirche gemacht hast. Du hast Gottesdienste besucht oder besuchst sie immer noch. Lieder kennst du auswendig. Du weißt wie du dich zu verhalten hast. Bibelverse kannst du sofort nachschlagen, vielleicht kennst du auch einige auswendig. Aber trotzdem fühlst du dich eher tot in deinem Glauben als lebendig. In meiner ersten Predigt in dieser Reihe habe ich geschildert, wie Jesus gekommen ist, um den Hoffnungslosen Hoffnung zu schenken. Heute möchte ich denjenigen sagen, die dieses Gefühl des Tot seins spüren, dass Jesus dir neues Leben schenkt. Das ist die gute Nachricht für dich. Wenn du dich in dieser Situation befindest, ist es wichtig, ist es erforderlich, dass du den Mut hast, dies dir und anderen zu bekennen. Das könnte bedeuten, dass du dich mehr auf Jesus konzentrieren musst als auf Gemeindearbeit. Eine weitere gute Nachricht für dich ist, dass es ganz OK ist, dies zu tun. Jesus will dich beschenken und auf jeden Fall will er, dass du dieses Königreich erlebst. Vielleicht sagst du dir gleich, ich habe dieses Problem nicht. Mir geht’s gut im Glauben und ich habe eine enge, lebendige Beziehung zu Jesus. Aber auch wenn du nicht an dieses Problem leidest, ist es wichtig, dass du es wahrnimmst. Es könnte mal dir auch so gehen und vor allem könnte es anderen so gehen. Im Hebräerbrief (3,13) schreibt Paulus: „Ermahnt und ermutigt einander immer wieder, solange jenes "Heute" gilt und Gott zu euch redet. Nur so seid ihr sicher, dass ihr euch nicht vor ihm verschließt und die Sünde euch nicht betrügen kann.“ Wir müssen auf einander aufpassen, Sorge tragen und nicht nur für diejenigen, die neu in der Gemeinde oder neue Christen sind.