Vor Probenbeginn zu „Königreich“ haben die Autorin Lisa Danulat und der Regisseur der Uraufführung, Johannes Schmit, per E-Mail auf Fragen zum Stück und seiner Umsetzung geantwortet. „Königreich“ spielt in der Psychiatrie und beschäftigt sich vordergründig mit dem konkreten Fall einer Figur „Ich“, die therapiert wird. Gleichzeitig diagnostiziert das Stück „Angst“ aber auch als einen gesamtgesellschaftlichen Zustand. Leiden wir alle daran? Lisa Danulat: So viele Bewegungen und Dynamiken, die auf der Welt passieren, sind angetrieben von der Angst eines einzelnen ICHs im Zusammenschluss mit anderen ICHS. Der Begriff des Terrors, der oft falsch verwendet wird, beschreibt ja den Zustand einer kollektiven Angst. Hierbei geht es aber nicht um irgendwelche Anschläge, die ja im Grunde die Auflösung von Angst in Handlung sind, sondern um den (Sicherheits)Terror durch Nahrungsmittel- und Pharmaindustrie, Presse und Politik. Angst entsteht durch ihre eigene Verneinung und kann dann individuell oder kollektiv pathologisch werden, wenn sie permanent verdrängt wird. Ist sie verneint, wird sie Depression, Aggression, Wut, Trauer oder eine Spinne. Angst ist ja nicht nur etwas Schlechtes, woran man leidet, sondern auch ein treibendes Warnsignal und ein nützlicher Motor, den wir als evolutionäres Tool mit auf den Weg bekommen haben, und jeder Mensch geht anders mit seiner Angst um. „Germanien ist ein Wald, dunkel und gefährlich“, lautet eine immer wieder auftauchende Formulierung im Stück. Die Ängste, (Alp)Träume, Visionen von sehr heutigen Menschen nehmen darin teils märchenhafte Züge an. Wie hängt unsere Seelenlandschaft mit der (deutschen) Märchenwelt zusammen? LD: Die Märchenwelt ist ein spiegelnder Überblick über unsere kollektive Seelenwelt. In der Psychotherapie wird viel mit klassischen Archetypen der Sagen- und Märchenwelten gearbeitet. Es ist immer einfacher einen Zustand zu betrachten, wenn man ihn ein Stück von sich wegrückt. Hierbei hilft die Verlagerung in eine andere Welt. Hinzu kommt die Komponente des Fantastischen, Unterbewussten, Verdrängten und Vergrabenen. Es geht um die Dinge, die wir am Tag negieren müssen, damit unser gut geöltes Europa funktionieren kann und der kleine Niklas am Abend sein Brot auf dem Teller hat. In dieser psychologischen Ursuppe schwimmt soviel, was wir bei Tageslicht nicht akzeptieren können, so müssen wir es zwangsläufig in eine andere Welt verlagern, in der andere Gesetze gelten. Das hat wieder viel mit Angst zu tun. Dieses andere Reich fordert aber seinen Platz. Es lässt sich nicht wegschließen. Johannes Schmit: Wenn ich nach einer Folie suche, unter der das Stück und die Figuren für mich sichtbar werden, dann lande ich eher bei „Alice im Wunderland“ von Lewis Carroll als bei den Gebrüdern Grimm und noch ein bisschen präziser: bei der berühmten, vollends psychedelischen Disney-Verfilmung aus den 50er Jahren. Was dem pubertierenden ICH dort passiert, vor allem im Verhältnis zur Wahrnehmung des eigenen Körpers, ließe sich genauso gut auch als gefährliche Persönlichkeitsstörung inszenieren (um mit einem Begriff von Freud zu sprechen: als das UnHeimliche),gleichzeitig aber hat alles in diesen Welten ein Tempo, eine Art vom Hölzchen aufs Stöckchen zu springen, die mir absolut begehrenswert vorkommt. Ist „Königreich“ auch eine Liebesgeschichte? LD: Jeder Text ist auch Liebesgeschichte. JS: In einem gewissen Sinn sogar vor allem das: begreift man romantische Liebe einmal wertfrei als einen funktionierenden Zusammenhang von gegenseitigen Projektionen und denkt die Beziehung zwischen Analytiker und Analysand als voll von Übertragungen solcher, dann ist die professionelle Begegnung zwischen den Figuren ICH und DrDr natürlich eine einzige große Lovestory. - Und das sogar evtl. mit Happy End ganz á la Richard Gere a.k.a. Mr. Jones. Lisa Danulat arbeitet in ihren Stücken assoziativ-sprachspielerisch, daraus entsteht viel Witz und oft eine ungeheure Geschwindigkeit, wenn von Thema zu Thema gesprungen wird, wie einen die Assoziationen eben so tragen. Diese Tendenz kommt in „Königreich“ zur Deckung mit den Verzerrungen und Verschiebungen einer verstörenden Realität, in der Nebensächliches sich plötzlich zum zentralen Thema auswächst? Wie gehst du damit um. Wie kann man das inszenatorisch zum Blühen bringen? JS: Das Medium im Theater ist der Körper des Schauspielers: nur durch seine Wahrnehmung sehe/höre/rieche ich den Abend, den Raum – imaginär und real – in dem er stattfindet. „Königreich“ schlägt nun immer wieder sogenannte „WahrnehmungsWackler“ vor, eine Regieanweisung, die sich unter dieser Prämisse für uns sehr konkret als ein Spielprinzip benutzen lässt: wo und wann z.B. verfängt sich die Wahrnehmung der Performer im „nebensächlichen“ Detail (im Fussel auf der Hose des Kollegen), das leider gerade gar nichts zum großen narrativen Ganzen beitragen kann? Und wie lässt sich ein Wahrnehmungs-Raum (im Theater!) schaffen, in dem weder Spieler noch Publikum ihren Augen und Ohren trauen dürfen? – Wo Lärm, Licht, Objekte und Körper an ihren Grenzen sich ineinander verwischen und so die schönsten synästhetischen Effekte produzieren... Wie kommt es zum Titel des Stücks, was verbirgt sich dahinter bzw. wie ist er zu verstehen? LD: Es geht um den Niedergang eines äußeren, scheinbar „gesunden“ und um die Auferstehung eines inneren, scheinbar dysfunktionalen, „kranken“ Königreiches. Sie spiegeln sich ineinander und begegnen sich für einen kleinen Moment. Aus dieser Momentaufnahme ist vorliegendes pathologische Kammerspiel entstanden. Was ist an der Psychoanalyse inszenatorisch interessant? JS: Im Zusammenhang mit „Königreich“ vor allem das Imaginäre, die Bildwelt, die uns als Klischee überliefert ist: die roten Sofas, die schweren Teppiche und die hohen Bücherregale (sozusagen das Interieur der Psychoanalyse), aber auch und besonders die Bilder jener gruseligen Gestalten, die als ihre Gründerväter gelten: jene Freuds, Reichs und Jungs, die dann im Film des deutschen Expressionismus zu den Doktores Mabuse und Caligari mutieren. Zu diesen gruseligen alten Männern gehört auch der Franzose Jaques Lacan, den ich sehr verehre, und der für unsere Lektüre von „Königreich“ von einiger Wichtigkeit ist: mit Lacans extrem posttraumatischen Zugriff aufs Subjekt und seinem pragmatischen Verständnis von Analyse lässt sich mit dem was man im Theater „psychologischer Realismus“ nennt, bestimmt nochmal was ganz anderes anfangen. Wovor habt ihr Angst? LD: Ich habe unter anderem Angst vor Flugreisen und tödlichen Krankheiten. JS: durchzudrehen / nicht durchzudrehen Die Fragen stellte Katharina Gerschler