1. Chronik 4,9-10 Das Gebet des Jabez 1 17. März 2013; Pfr. Bernhard Botschen 1.Chronik 4,9-10 Das Gebet des Jabez Diese beiden Verse stehen irgendwo im Niemandsland. Niemandsland nenne ich es deshalb, weil am Anfang vom 1. Chronik-Buch nur Namenslisten stehen. Joktan zeugte soundso, soundso zeugte …. So geht es volle neun Kapitel dahin. Hier werden hunderte Namen aneinandergereiht. Keine Erzählung, kein Unterbruch, nur spärliche Zusatzinformationen, wenn überhaupt. Jemand vom Vorbereitungsteam hat zu Recht gesagt: „Umso auffallender ist dieses Gebet.“ Bei Jabez hat der Schreiber der Chronik innegehalten. In seinem Leben passierte etwas so Bemerkenswertes, dass das unbedingt aufgeschrieben werden musste. 1. Was für ein Name! Das erste, was auffällt, ist der Name. Hier steht: „Seine Mutter nannte ihn Jabez; denn sie sprach: Ich habe ihn mit Kummer geboren!“ Der Name „Jabez“ heisst „Kummer, Schmerz“, man könnte auch übersetzen „einer, der Schmerzen bereitet.“ Jabez taucht nur in diesen beiden Versen auf. Sonst weiss man nichts von ihm. Man fragt sich: Was hat seine Mutter beschäftigt? War die Geburt so schwer und schmerzhaft? Waren die ganzen Umstände der Geburt so düster, war ihr Leben so hoffnungslos und schwierig, dass sie dem Kind den Namen „Schmerz“ gab? Was hat sie sich nur dabei gedacht, ihrem Kind so einen Namen mitzugeben? Und das in Israel! In einer Kultur, in der der Name so wichtig für die Identität ist. Gott hat Abram extra zu Abraham umbenannt, weil in Abraham die Bedeutung „Vater von vielen“ anklingt. Der Name hat eine Bedeutung! Der Name festigt eine Identität. Wie schwierig ist es dann, wenn man mit dem Namen „Schmerz“ aufwachsen muss! „Jabez, du Schmerzverursacher, komm her!“ „Jabez, du bereitest mir Kopfweh, aber das ist ja kein Wunder, das sagt ja auch schon dein Name!“ „Jabez, du bist ein Problemkind. Kein Wunder, nicht einmal deine Mutter war glücklich mit dir!“ So ein Name kann zum Fluch werden! Ein blöder Name ist aber nur eine Variante, wie man mit einem Nachteil aufwachsen muss. Das Theaterstück hat gezeigt, dass es verschiedene Umstände gibt, die uns den Lebensweg erschweren können. Ein Schulkollege unseres Simon macht fast nie Aufgaben. Aber die Eltern sind auch praktisch nie zu Hause. Über Mittag ist er alleine. Ein anderes Mal halten zwei Kinder ein Kind fest, während ein drittes auf es einschlägt. Wen wundert es, dass so aggressive Kinder oft aus einem speziellen Elternhaus kommen? Woher soll das Selbstbewusstsein kommen, wenn die Mutter sagt „Immer hat man Probleme mit dir!“ und der Vater ergänzt: „Ich frage mich, wann du einmal etwas ordentlich hinkriegst!“ Wir sind erwachsen. Aber wie oft wirken in uns solche Erfahrungen nach? Hattet Ihr auch Eltern, die ihre Liebe nicht zeigen konnten? Wart ihr in einer Schulklasse, in der ihr fertig gemacht worden seid? Hat jemand von den Eltern getrunken? Gab es schwere Schicksalsschläge, die euch zutiefst verunsichert haben? Habt ihr so viele Misserfolge erlebt, dass ihr gar nicht mehr an euren Erfolg glauben könnt? 2. Ach, dass du mich segnest Das Überraschende an Jabez ist, wie vollständig er mit diesem schwierigen Start fertig wird. Aus Jabez wird ein mutiger und selbstbewusster Mann. Man spürt das an seiner ersten und dritten Bitte: „Ach, dass du mich segnest … und deine Hand mit mir ist.“ Wie dieses Gebet entstand, weiss man nicht. Normal wäre es, dass Jabez zunächst unsicher an Gott denkt und sich sagt: „Warum sollte sich Gott gross um mich kümmern? Ich bin ja doch nichts wert!“ Aber dann beginnt er zu beten: „Gott, ich weiss, ich bin nicht wichtig. Aber wenn du gerade 1. Chronik 4,9-10 Das Gebet des Jabez 2 17. März 2013; Pfr. Bernhard Botschen nicht zu viel zu tun hast - kannst du mich bitte ein bisschen segnen?“ Mit diesem Gebet wächst Jabez. Voller Kühnheit steht er schliesslich vor Gott und bestürmt ihn: „Segne mich. Lass deine Hand mit mir sein!“ Gott kann uns eine neue Identität geben. Ein Beispiel dafür ist Jesus. Da war dieser Fischer, Simon mit Namen. Er war zwar sehr begeisterungsfähig, aber auch sprunghaft und unüberlegt. Wie wird aus ihm der Führer der ersten Gemeinde? Jesus gibt ihm einen neuen Namen. Er sagt zu ihm: „Ab heute heisst du Petrus, das heisst Fels!“ Welche Kraft dieser Name ausstrahlt! Natürlich ist Petrus am Anfang noch kein Fels. Aber mit dem Zuspruch von Jesus beginnt bei ihm etwas Neues. Wir sind wie Petrus und Jabez. Oft ist das Fundament, auf dem wir leben, sehr wackelig. Manchmal nehmen wir Sachen viel zu schnell persönlich, weil unser Selbstwertgefühl nicht fest ist. Manche Menschen vergleichen sich immer mit anderen, weil sie sich nur wertvoll fühlen, wenn sie besser sind als andere. Manchmal sind wir so ehrgeizig, weil Leistung und Erfolg der einzige Weg ist, auf dem wir uns wertvoll fühlen. Manchmal gehen wir verunsichert durchs Leben, weil ihr wir uns immer fragen: „Was denken wohl die anderen von mir?“ Manchmal wagen wir schon gar keinen mutigen Schritt mehr, aus Angst, noch einen Misserfolg mehr zu erleben. Aber jetzt kommt Gott und sagt zu dir: „Du bist mein Sohn, du bist meine Tochter!“ Ein ungeheurer Wert wird uns plötzlich zugesprochen. Ich bin doch nicht ein 45jähriger Mann aus Geroldswil, Pfarrer von Beruf. Ich bin ein Sohn meines Gottes. Er ist mein Vater und er ist stolz darauf. Er hat mich geformt. Er hat mich schon immer geplant. Das ist mein wahrer Wert! Ich bin für ihn unbeschreiblich kostbar! Egal, was früher schief gelaufen ist, egal, mit welchem Nachteil wir uns herumschlagen müssen: Gott legt mit seinem Zuspruch ein festes Fundament in unserem Leben. 3. Intensiv bitten Bevor ich noch zum anderen Teil des Gebetes komme, stellt sich die Frage: Wie kann ein Gebet so viel Kraft entfalten? Hier sind mir zwei Dinge wichtig. Erstens: Wenn der Schreiber dieses Gebet erwähnt, dann hat es Jabez begleitet. Denn etwas fällt an diesem Gebet auf: Es steht in einer intensiven Form. Manche übersetzen es mit: „Ach, dass du mich doch segnest.“ Es ist, wie wenn man drei Ausrufezeichen hinter diese Bitte setzen würde. Es ist ein intensives, ein häufig wiederholtes Bitten, ein Anflehen von Gott, ein Gebet, mit aller Leidenschaft gebetet: „Gott, bitte, bitte, bitte segne mich!!!“ Jesus hat Simon tausend Mal „Petrus“, also „Felsen“ nennen müssen, bevor dieser wirklich zum Felsen wurde. Wenn tausend Mal auf unserer Seele herumgetrampelt worden ist, dann braucht es auch tausend Mal die Zusage von Gott, damit unser Fundament wieder neu aufgebaut wird. Man kann dieses Gebet oder auch andere Verse aus der Bibel zu einem Gebet machen, das einen über Monate oder Jahre begleitet. Manche Zusagen von Gott müssen wir immer und immer wieder hören, damit sie wirklich etwas Neues schaffen können. Zweitens entfalten so Gebete ihre Kraft, wenn man sie nicht einfach herunter betet. Schon früher habe ich diesen Gedanken in einem Buch über das Unser Vater gelesen: Dieses Gebet ist nicht zum Herunterbeten. Es ist ein Leitfaden für unser Gebet. Jeder Satz ist wichtig. Wenn ich beim Unser Vater bete: „Dein Reich komme“, dann lege ich Gott mein Leben hin und sage: „Gott, bitte baue dein Reich in mir. Festige mich, richte mich auf, damit dein Reich kommen kann.“ Ich denke an meine Familie und bitte Gott: „Baue dein Reich in meiner Frau. Segne sie, berühre sie immer wieder neu.“ Dann lege ich Gott meine Kinder hin. Ich denke an meine Arbeit in der Kirche und bitte ihn: „Gebrauche mich, um dein Reich zu bauen.“ So hat der Satz „Dein Reich komme“ etwas mit unserem Leben zu tun. Genauso mache ich es, wenn ich den Satz „Erweitere mein Gebiet“ im Gebet bewege. 4. Mehre mein Gebiet 1. Chronik 4,9-10 Das Gebet des Jabez 3 17. März 2013; Pfr. Bernhard Botschen Damit wären wir bei diesem mittleren Teil des Gebetes: „Ach, dass du mein Gebiet erweiterst!“ Was für eine spannende Bitte: „Erweitere mein Gebiet!“ Das heisst: „Gott, lass mich zunehmen an Einfluss, in der Familie, in meinem Umfeld, lass mich ein Segen sein für die Menschen und für diese Welt.“ Oft wird dieses Gebet dazu führen, dass wir dort, wo wir sind, bewusst eine Quelle des Segens sein wollen. Im letzten Jahr habe ich dieses Gebet eine Zeitlang täglich gebetet. Mein Engagement in Indien hatte schon längst begonnen. Ich dachte mir immer: „Ich möchte meinem indischen Kollegen und seiner Gemeinde aus Slumbewohnern helfen.“ Aber dann kam dieses Gebet. Ich habe es auf die verschiedenen Bereiche meines Lebens bezogen, auch auf Indien. Und damit wuchs in mir das Anliegen: Ich möchte mich auch, nachdem diese Gemeinde ihr Gebäude hat, für dieses Land einsetzen. Es geht nicht nur um diese eine Gemeinde. Ich möchte andere Menschen, ja, vielleicht auch andere Gemeinden ermutigen, sich für die Not in Indien zu engagieren. „Mehre mein Gebiet“, das heisst: Gott, gebrauche mich, um etwas in dieser Welt zu bewegen. Die Frage ist nur: Möchten wir überhaupt, dass Gott unser Gebiet erweitert? Diese Frage war bei der Vorbereitung im Team plötzlich da: „Darf man das sagen: Ich möchte mir so eine Herausforderung im Moment nicht antun!“? Zwei Dinge können uns blockieren: Erstens gibt es Momente im Leben, da haben wir andere Sorgen als dieses Gebet. Wenn wir an der Grenze zum Burnout leben, wenn das Leben komplett zugestopft ist, wenn sowieso alles zu viel ist, dann hat man keine Nerven für dieses Gebet. Es ist eh schon alles zu viel, da hat man keine Nerven, sich über Gottes Reich Gedanken zu machen. Zweitens kann uns die Sorge blockieren, die jemand in diese Worte gefasst hat: „Was ist, wenn ich bete ‚Gott, mehre mein Gebiet’ und Gott sagt: ‚Gut, dann gehe als Missionarin nach Afrika!’“ Komisch, das war schon vor 20 Jahren meine Hauptsorge. Dabei ist es in den seltensten Fällen sinnvoll, selber nach Afrika zu gehen. Mit dem Geld, das ein europäischer Missionar oder Entwicklungshelfer mit seinem europäischen Gehalt, Versicherungen und Pensionskasse in Afrika kostet, kann man Dutzende Afrikaner finanzieren. Und die machen manche Arbeiten auch noch besser, weil sie Sprache und Kultur kennen. „Erweitere mein Gebiet“, das beginnt mit den Schritten, zu denen ich im Moment bereit bin. Vielleicht bedeutet es, dass ich regelmässiger für meine Familie bete. Vielleicht bedeutet es, dass ich mich an einem Ort in der Kirchgemeinde engagiere. Vielleicht bedeutet es, dass ich entdecke, wie viel ich mit meinem Geld in dieser Welt bewirken kann. Vielleicht wächst eine grössere Vision für mein Leben, weil ich mein Leben in die Waagschale werfen will. Es gibt Momente, in denen dieses Gebet besonders wichtig ist: Manchmal jagt das Leben so dahin, immer hat man Stress, immer hat man zu viel, weil man zu viele Dinge ins Leben hineinstopft. Um alles kümmert man sich, der Beruf soll stimmen, das mit dem Geld soll gelöst sein, das Hobby ist wichtig, das neue Badezimmer auch – aber Gott kommt dabei immer zu kurz. Manchmal schauen wir dann plötzlich auf unser Leben und sagen: „Um alles kümmere ich mich. Aber das Wichtigste, nämlich Gott, kommt immer zu kurz!“ Die Bitte „Erweitere mein Gebiet“ hilft dann, die Balance zu wahren und Gott ins Zentrum zu stellen. Ein anderer Moment ist dann, wenn wir es uns innerlich bequem im Leben gemacht haben. Nichts gegen gemütliche Stunden und ein ruhiges Wochenende. Aber manchmal werden wir innerlich träge. Wir verlieren jede Leidenschaft, wir leben vor uns hin. Jemand hat einmal gesagt: „Ich möchte nicht nur dahin existieren. Ich möchte leben!“ „Erweitere mein Gebiet“ bedeutet, nicht langweilig durchs Leben zu gehen – mit den einzigen Sorgen, ob man genug Geld ansparen kann, wie es im Beruf vorwärts geht und ob man seine 3. Säule brav eingezahlt hat. Sondern es bedeutet, sich mehr und mehr zu öffnen für ein Leben, das spannender, tiefer und fruchtbarer für Gott sein kann. Es hält die Sehnsucht am Leben: „Gott, brauche mich für dein Reich! Irgendwo, im Grossen oder im Kleinen, möchte ich mit meinem Leben einen Unterschied ausmachen!“ AMEN.