[1] Kreuz und Quer-Gottesdienst, Nieder-Ramstadt, 27.09.09 Thema: Loslassen Predigt 1. Loslassen hat eine bestimmte Zeit Liebe Gemeinde, im Alten Testament gibt es einen Text, der wohl zur Weltliteratur gehört. Wahrscheinlich kennt ihn jeder von uns. Wenn nicht aus dem Alten Testament, so doch aus der Musik, denn dieser Text ist schon oft vertont worden. Die meisten von ihnen kennen ihn wahrscheinlich von den Byrds (Turn, turn, turn). Letztes Jahr hat in BAP wieder einmal vertont. Es handelt sich um Prediger 3: Alles hat seine Zeit. Im Alten Israel – besser gesagt im Alten Orient – gab es eine Strömung oder Lehre, die man Weisheit nennt. Ein weiser Mensch ist im Alten Testament nicht ein alter Mann mit weißen Kleidern und Rauschebart im Schaukelstuhl, der eine Pfeife raucht, weise vor sich hin lächelt und ab und zu eine Lebensweisheit von sich gibt, ein weiser Mensch ist zu alttestamentlichen Zeiten ein Mensch, der erfolgreich ist, der ein Handwerk gelernt hat, der fleißig ist. Der die Regeln kennt, wann man etwas tut und wann man besser etwas lässt, ein Mensch, der sich zu benehmen weiß, der besonnen ist, und niemals negativ auffällt. Oft hat ein solcher Mensch auch einen Beruf wie Schreiber oder ähnliches. Solche Weise haben ihre Lehren in Sprüche gepackt, um sie besser lernbar und lehrbar zu machen. Sie alle kennen solche Sprüche, wir kennen Sie unter dem Stichwort Bauernweisheiten. Z.B. Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Ein Spruch, der aus der Bibel stammt. Oder: Wie man es in den Wald hinein ruft, so schallt es heraus. Ein Spruch, der nicht aus der Bibel stammt, der aber etwas ausdrückt, was hinter vielen Sprüchen steht, nämlich die Tatsache, dass etwas, das ich tue, auch auf mich zurückfällt. Dies ist im Grunde der Kern der alttestamentlichen oder altorientalischen Weisheit: Was ich tue, hat irgendwann Konsequenzen. Innerhalb der Weisheitslehre ist man der Ansicht, dass man dann ein gutes und erfolgreiches Leben führen kann, wenn man diese Regeln kennt und beherzigt. Es ist wichtig, die richtige Zeit erkennen, um Erfolg zu haben. Wenn ich zur falschen Zeit säe, wird die Ernte mau ausfallen, und wenn ich zur falschen Zeit Ernte (zu früh, oder zu spät), wird es ebenfalls nichts. Dies umschreibt im Grunde genommen das Gedicht in Prediger 3: Alles hat seine Zeit. Dort heißt es: Pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist hat seine Zeit töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit Herzen (oder umarmen) hat seine Zeit, aufhören zu herzen (oder umarmen) hat seine Zeit suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit [2] Die Autoren dieses Textes waren der Meinung, dass man nur den richtigen Zeitpunkt erkennen muss, um Erfolg im Leben zu haben. Wenn ich den richtigen Zeitpunkt erkenne für’s Pflanzen, dann werde ich Erfolg haben. Und wenn ich die Pflanzen rechtzeitig wieder ausreiße, dann werde ich auch Erfolg haben, dann kann ich mein Leben beeinflussen. Viele dieser Gegensatzpaare drehen sich nun um die Themen „Empfangen“ und „Loslassen“: klagen hat seine Zeit, tanzen (also sich freuen) hat seine Zeit; umarmen hat seine Zeit, aufhören zu umarmen hat seine Zeit; weinen (d.h. Trauer) hat seine Zeit, lachen (d.h. Freude) hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit usw. Die alten Weisheitslehrer waren der Meinung, dass ich dann, wenn ich den richtigen Zeitpunkt zum empfangen kenne, Erfolg habe. Und das gleiche gilt für das Loslassen. Wenn ich im richtigen Moment loslasse und nicht zu spät oder gar nicht, dann werde ich Erfolg haben. Man muss nur die richtige Zeit dafür erkennen. Man muss sich sozusagen die Zeit verfügbar machen. Der erste Punkt, der mir heute Morgen für das Thema „Loslassen“ wichtig ist, ist, dass es für alles eine bestimmte Zeit gibt. Man kann sogar sagen, eine optimale Zeit. Und wenn es Zeit ist, loszulassen, dann muss ich auch loslassen. Wenn ich es nicht tue, dann kann es passieren, dass es mir zum Nachteil wird. Der Text ruft uns gewissermaßen zu: erkenne die Zeit. 2. Loslassen ist etwas aktives Ein zweiter Punkt ist mir wichtig, und dieser Punkt wird an zwei Stellen im Neuen Testament deutlich. Im NT werden zwei Geschichten von Menschen erzählt, für die es dran ist, etwas loszulassen. Die erste Geschichte ist die vom reichen Jüngling, Sie finden sie im Mk 10,17-27 und Parallelen. Ein junger, reicher Mann kommt zu Jesus und fragt ihn, was er machen muss, damit er das Ewige Leben bekommt. Jesus antwortet ihm, er solle die Gebote halten. Der junge Mann antwortet Jesus, dass er sie von Jugend auf gehalten hat. Jesus antwortet daraufhin: dann verkaufe alles was du hast und gib den Erlös den Armen. Daraufhin wird der junge Mann sehr traurig und geht weg. Die zweite Geschichte steht in Lk 19,1-10 und handelt von Zachäus. Zachäus war ein reicher Zöllner, also ein Mann, der seinen Reichtum auf nicht ganz ehrliche Weise erlangt hat. Als dieser Zachäus hörte, dass Jesus in der Stadt war, kletterte er auf einen Baum, um ihn zu sehen, denn Zachäus war sehr klein. Als Jesus an dem Baum vorbei ging, rief er Zachäus herunter und lud sich selbst zu ihm zum Essen ein. Zachäus war darüber so begeistert, dass er von sich aus versprach, seinen halben Besitz den Armen zu geben, und jedem, den er betrogen hatte, das Doppelte zurückzuerstatten. Zwei Geschichten, die vom Loslassen reden. Beide handeln von der gleichen Sache. Aber bitte gehen Sie jetzt nicht weg und sagen Sie, es ist dran, meinen Besitz wegzugeben. Das möchte ich heute Morgen nicht sagen. Diese Geschichten verdeutlichen den zweiten Punkt, der mir wichtig ist: Loslassen ist etwas aktives. Loslassen ist nicht passiv, wie wenn ich meinen Schlüssel loslasse, sondern es ist etwas aktives. Etwas, das unter Umständen etwas Arbeit von mir erfordert. Der reiche Jüngling kann oder will diese Arbeit nicht leisten und wird traurig. Zachäus dagegen ist begeistert bei der Sache. Es wird Zachäus nicht ganz leicht gefallen sein, zu den Menschen, die er betrogen hat, hinzugehen und die Sache wieder in Ordnung zu bringen. So manche Tür wird wieder zugefallen oder gleich verschlossen geblieben sein. Aber er macht sich begeistert auf seinen Weg und geht los. Und ich bin mir sicher, dass sein Loslassen nicht ohne Ergebnis ist. Zwei Dinge können wir an Zachäus lernen: 1. Er hat erkannt, dass es Zeit ist, etwas in seinem Leben zu ändern, etwas loszulassen, das ihm doch sehr lieb ist; und 2. fasst er einen Entschluss und geht los. Er wird aktiv. Er wartet nicht, bis die ersten Menschen zu ihm kommen. [3] 3. Fazit Diese beiden Punkte sind mir wichtig: 1. Es gibt bestimmte Zeiten, an denen es gilt, etwas loszulassen und anderes zu empfangen. Wenn diese Zeit gekommen ist, etwas loszulassen oder etwas zu empfangen, dann muss ich das auch tun. Und 2. Loslassen ist etwas aktives, nichts passives. Das ist ja ganz gut und schön. Aber wie geht das denn? Wie kann ich denn die richtige Zeit erkennen? Woher bekomme ich die Kraft, etwas loszulassen, was mir lieb und teuer ist? Ein erster Punkt ist, mir die Zeit zu nehmen, darüber nachzudenken. Meist hat man ein Gefühl dafür, dass etwas ansteht, dass Entscheidungen anstehen, dass Veränderungen anstehen. Dann gilt es, sich Zeit zu nehmen und darüber nachzudenken. Manchmal ist es gut, sich dazu Fixpunkte zu setzen, z.B. einmal in der Woche am Abend eine Stunde, auch bei einem Glas Rotwein. Und nicht nur Fixpunkte zum Nachdenken, sondern auch Fixpunkte für die Entscheidungen: Bis dahin will ich eine Entscheidung getroffen haben, oder das und das erreicht haben. Was mir auch oft hilft, sind Gespräche mit anderen Menschen, mit Freunden oder Verwandten. Wichtig ist dabei, dass ich nicht nur zu Menschen gehe, von denen ich weiß, dass sie mir nicht widersprechen. Es hilft gerade, zu Menschen zu gehen, von denen ich weiß, dass sie auch unangenehmes sagen und dazu stehen. Manchmal muss auch ein Profi ran, jemand, der professionelle Beratung leisten kann. Gut ist es auch, wenn ich mir Unterstützung hole, wenn ich Menschen bitte, mir zu helfen. Wenn das, was ich loslassen will, etwas mit Trauer zu tun hat, dann ist es wichtig, diese Trauer auch zuzulassen. Sinnvoll ist es, sich eine halbe Stunde oder Stunde am Tag zu nehmen, und dann zu trauern. Danach ist die Trauer aber auch vorbei und der Tag beginnt. Ein wichtiger Punkt ist, von Zeit zu Zeit das erreichte zu überprüfen. Vielleicht auch hier mit anderen Menschen, mit Freunden oder Verwandten. Aber auf jeden Fall mit Menschen, die ehrlich sind und auch negatives benennen. Sinnvoll ist es, sich Anreize zu setzen, sich zu belohnen, wenn ein Abschnitt geschafft ist. Das sind nur einige wenige Tipps, wie Loslassen und Empfangen vielleicht leichter gelingt. Ein letzter kurzer Punkt: Zwei Punkte waren mir heute Vormittag wichtig: 1. Es gibt bestimmte Zeiten, an denen es dran ist, etwas loszulassen, und wenn ich diese Zeitpunkte verpasse, dann kann etwas schief gehen. Und 2. Loslassen ist etwas aktives, nicht etwas passives. Der Prediger beendet seinen Gedankengang über die Rechte Zeit mit folgenden Worten: Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen. Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist ein Gabe Gottes. Wenn man das Buch des Predigers liest, dann bekommt man viel Mut. Der Prediger ist sich bewusst, dass das Leben viel Mühe bereitet. Aber er ist sich auch bewusst, dass es sehr viele [4] schöne Seiten hat. Und er möchte uns Mut machen, uns an den schönen Seiten des Lebens zu freuen und sie zu genießen, sein Credo lautet: Nutze den Tag! Sowohl für die Arbeit, als auch für die Freude! Amen.