IM GESPRÄCH KIRCHE UND WELT Im Wortlaut Erster reichsdeutsche Priester im KZ Dachau: Der Schallodenbacher Pfarrer Friedrich Seitz GEISTLICHES LEBEN AUS DEM BISTUM TERMINE Ein Vortrag von Pilgerredakteur Johannes Seibel, M.A., gehalten am 12. Januar 2005 im Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde, Kaiserslautern IM WORTLAUT PILGER-KALENDER AKTION SILBERMÖWE WIR ÜBER UNS KONTAKT IMPRESSUM I. Katholisierung des Widerstands? Friedrich Seitz - der erste reichsdeutsche Priester im KZ Dachau Lange Jahre wurde in der Bundesrepublik das Thema katholischer Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur zwischen 1933 und 1945 nicht wahrgenommen. Im Gegenteil. Seit dem Stück "Der Stellvertreter" des Dramatikers Rolf Hochhuth aus dem Jahre 1963 dominiert bis heute die Sichtweise vom Versagen der katholischen Kirche das Meinungsklima der Republik. Danach trüge vor allem der damalige Papst Pius XII., mit bürgerlichem Namen Eugenio Pacelli, der bis 1930 Nuntius des Vatikans im Deutschen Reich während der Weimarer Republik war, Mitschuld am Holocaust und Aufstieg Adolf Hitlers, weil er geschwiegen und den Diktator toleriert, nicht laut öffentlich gegen den Mord an der Bevölkerung Europas jüdischen Glaubens protestiert, die Macht der globalen Institution katholische Kirche nicht gegen das Regime in Stellung gebracht habe. Der amerikanische Politikwissenschaftler Daniel J. Goldhagen hat diese These dann radikalisiert. In seinem Buch "Die katholische Kirche und der Holocaust" (Hamburg 2002) behauptet er, dass für das Christentum der Antisemitismus gleichsam wesenhaft sei, nicht nur Papst Pius XII. als Person, sondern die katholische Kirche als Institution überhaupt den Holocaust mit ermöglicht habe. Verwerflich ist für Goldhagen nun insbesondere, dass die katholische Kirche dies nicht nur nicht als Schuld bekenne und bereue, sondern nach 1945 im Gegenteil sogar versucht habe, den Holocaust gleichsam zu christianisieren, indem sie etwa die zum Katholizismus konvertierte Jüdin Edith Stein oder den laut Goldhagen erklärten polnischen Antisemiten Maximilian Kolbe heilig gesprochen hat. In den Augen Goldhagens betreibt insbesondere der heutige Papst Johannes Paul II. diese Christianisierung des Holocaust, um damit nachträglich die Kirche zu rechtfertigen, ohne den eigentlichen Kern des Geschehens zu begreifen. Und den beschreibt Goldhagen so: (Zitat) „Die Kirche stellt sich als ein Opfer des Nationalsozialismus dar, das sie in Wirklichkeit nicht war. Ideologisch waren die Nationalsozialisten anti-katholisch, und hätten sie die Allierten besiegt, hätten sie sich gegen die Kirche gewandt und sie vernichtet. Diesen Aspekt des Nationalsozialismus hat die Kirche jedoch nicht verstanden, und so war sie vor dem Krieg und währenddessen in weiten Teilen Europas eher ein Kollaborateur als ein Opfer des Nationalsozialismus und der mit ihnen verbündeten Staaten." Innerhalb von Kirche und Wissenschaft ist bereits seit kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges das Verhalten der katholischen Kirche wissenschaftlich untersucht und entsprechende Literatur publiziert worden. Dabei wurde die Rolle der Bischöfe, der Orden, der katholischen Laien und der katholischen Priester, die Verfolgung, Inhaftierung und Ermordung von Katholiken wegen ihrer öffentlichen Ablehnung des Nationalsozialismus, die Bedeutung des katholischen Milieus und politischen Katholizismus als Immunisierungsinstanz gegen die nationalsozialistische Ideologie etwa an Hand von Untersuchungen zum Wahlverhalten in der Endphase der Weimarer Republik - in Regionalstudien, Quelleneditionen, Aufsätzen, Monografien und Biografien breit herausgearbeitet. Namen wie Konrad Repgen und Klaus Gotto mit ihrem Band "Die Katholiken und das 3. Reich" (Mainz, 2. Auflage 1983), der Jesuit Roman Bleistein mit seinen Arbeiten über die Rolle von Jesuiten wie der hingerichtete Pater Alfred Delp in den Widerstandskreisen rund um den 20. Juli 1944, der bei Neustadt lebende Historiker und wohl beste Kenner des politischen Katholizismus, Rudolf Morsey, der zum Beispiel die Studie "Clemens August Kardinal von Galen: Bischöfliches Wirken in der Zeit der Hitler-Herrschaft" (Düsseldorf 1987) verfasst hat, der Historiker Ulrich von Hehl mit seiner zweibändigen Dokumentation "Priester unter Hitlers Terror" (Mainz, 3. Auflage 1998), der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter mit dem Buch "Hitlers Wähler" (Darmstadt 1991), oder der Jurist ErnstWolfgang Böckenförde und seine gesammelten Aufsätze "Der deutsche Katholizismus im Jahre 1933" (Freiburg 1988) stehen exemplarisch für den Ertrag einer kaum noch zu überblickenden Anzahl wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Thema. Für das Verhalten des katholischen Klerus und der katholischen Kirche in der Pfalz und Saarpfalz ist die Studie von Thomas Fandel, Mitarbeiter im Bischöflichen Ordinariat Speyer, mit Titel "Konfession und Nationalsozialismus. Evangelische und katholische Pfarrer in der Pfalz von 1930 bis 1939" (Paderborn 1998) maßgebend. Auch die vierbändige Materialsammlung "Katholische Jugend im Bistum Speyer" des Diözesanarchivs (Speyer 2004) ist für die Herausarbeitung vor allem der katholischen Jugendverbände im Nationalsozialismus von besonderem Interesse. Zuletzt Ende Dezember hat nun der Direktor des Hannah Arendt Institut für Totalitarismusforschung in Dresden, Gerhard Besier, seine Recherchen in bisher nicht zugänglichen Akten des Vatikans über die Rolle von Papst Pius XII. unter dem Titel "Der Heilige Stuhl und Hitler-Deutschland. Die Faszination des Totalitären" (München 2004) publiziert. Alle diese Beiträge widersprechen der immer noch im Anschluss an Hochhuth und Goldhagen öffentlichkeitswirksam virulenten These, wonach die katholische Kirche als Ganzes Steigbügelhalter des Nationalsozialismus gewesen sei oder Mitschuld am Holocaust trage. Stattdessen zeichnen sie ein Bild der Menschen und Verantwortungsträger der katholischen Kirche während der Diktatur in einer Bandbreite von ängstlicher oder widerwilliger Anpassung bis zu entschiedener Gegnerschaft. Forschungsgegenstand ist dabei heute weitgehend nicht mehr die Frage, ob die katholische Kirche gleichsam ein überzeugter Kollaborateur und williger Helfer des Nationalsozialismus gewesen sei - diese Frage kann begründet verneint werden. Strittig ist heute vielmehr die Frage, wie erfolgreich die Kirche sich dem Totalitätsanspruch der nationalsozialistischen Ideologie zu entziehen suchte, wie sie ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten bewahren wollte, wie Unbotmäßigkeit und Gegnerschaft ausgesehen haben, welche Instrumente dabei benutzt wurden, und ob diese Instrumente angemessen waren. Strittig ist die Frage, ob die Verantwortlichen in der katholischen Kirche, also in erster Linie der Papst und die Bischöfe, ihre Möglichkeiten dabei auch tatsächlich ausgeschöpft haben oder nicht - und warum dies der Fall war. Auch hier ist die Bandbreite der Antworten groß: So behauptet etwa Alexander Groß, der Sohn des von den Nationalsozialisten 1945 ermordeten katholischen Laien Nikolaus Groß, der im Widerstand des Kölner Kreises aktiv war, und von Papst Johannes Paul II. 2001 selig gesprochen wurde, kritisch (Zitat): "Der Anteil von Christen in den verschiedenen Widerstandsgruppen war beachtlich. Von ihrer Kirche hatten sie keinen Auftrag und keine Aufmunterung erhalten." Hier versagt also nicht mehr die Kirche als Ganzes, sondern besonders den deutschen Bischöfen wird vorgeworfen, die katholischen Gläubigen, die offen und tatsächlich Widerstand leisteten, nicht genügend unterstützt zu haben. Dagegen warnt Gerhard Besier, den heutigen Anspruch an die Handlungsmöglichkeiten der damaligen Verantwortungsträger zu überschätzen und gleichsam zu romantisieren. Auf die Frage, ob er nach seinen Recherchen im Vatikan der Generalthese in Rolf Hochhuths Stück "Der Stellvertreter" vom Versagen Papst Pius XII. zustimmen könne, gab Besier am 3. Januar im "Deutschlandfunk" eine Antwort, die sich auch auf das von Alexander Groß monierte Verhalten der deutschen Bischöfe übertragen lässt (Zitat): "Man könnte sagen, Hochhuth ist ein Romantiker der Religion. Er hat von der römisch-katholischen Kirche Dinge erwartet, die sie gar nicht leisten konnte. Beispielsweise kann man sehr deutlich sehen, dass Pacelli alles tat - 1939 - um ein konkretes Beispiel zu nehmen, um Christen jüdischer Herkunft auswandern zu lassen. Der brasilianische Präsident Vargas hatte zugesagt, 3000 dürfen auswandern, wollte hinterher aber nicht mehr zu seinem Wort stehen. Nun hat Pacelli alle seine diplomatischen und kirchlichen Möglichkeiten nutzen wollen. Die Nuntien sprachen bei Vargas vor, der brasilianische Episkopat, andere Episkopate anderer Länder - und Vargas tat nichts. Hier sieht man, dass die Macht des Vatikan ein Mythos war und dem ist ein bisschen meine ich - Hochhuth auch aufgesessen. Also, die Vorwürfe an Pius XII. treffen nicht, weil er gar nicht die Möglichkeiten hatte, das zu tun, was Hochhuth im Nachhinein von ihm erwartete." Das ist also der Rahmen, in den die Rede vom katholischen Widerstand während des Nationalsozialismus heute gespannt ist. In diesem Rahmen will ich nun ein politisches Bild des Schallodenbacher Pfarrers und späteren Kaiserslauterer Dekans Friedrich Seitz skizzieren, der 1940 als erster reichsdeutscher Priester von den Nationalsozialisten im Konzentrationslager (KZ) Dachau inhaftiert worden war und 1949 an den Spätfolgen dieser Tortur gestorben ist. II. "Es war ein Schein aus blutrotem Papier": Friedrich Seitz Weg ins KZ Dachau "Es war ein Schein aus blutrotem Papier", so beschrieb Friedrich Seitz kurz nach dem Zweiten Weltkrieg den Schutzhaftbefehl, den Reinhard Heydrich, der Chef des Berliner Reichssicherheitshauptamtes unterzeichnet hatte, und der Seitz am 7. Juni 1940 im Gestapo-Gefängnis Neustadt ausgehändigt wurde. Wie konnte es so weit kommen? Friedrich Seitz wurde am 28. Januar 1905 in Mayen als Sohn eines Eisenbahninspektors geboren, er würde also in wenigen Tagen 100 Jahre alt. In Saarbrücken besuchte er Volks- und Mittelschule bis zum Abitur. Er studierte dreieinhalb Jahre an der Universität München und bereitete sich ein Jahr auf den Priesterberuf im Priesterseminar Speyer vor. Dort wurde er am 1. Juli 1928 zum Priester geweiht, arbeitete sechs Wochen als Kaplan in Meckenheim, wurde für zwei Jahre bis 1930 als Kaplan nach Edenkoben versetzt und widmete sich dort vor allem der Jugendarbeit. Friedrich Seitz trat 1928 ins Zentrum ein, war kurze Zeit Mitglied im Windthorstbund, trat während der Reichstagswahl 1928 als Redner des Zentrums in Contwig auf. Seine nächste Station als Kaplan hieß dann für eineinhalb Jahre Herxheim, bevor Friedrich Seitz vom 16. Januar 1932 bis 24. Juni 1933 in Zweibrücken Dienst tat. In der Rosenstadt kam der als Gegner des Nationalsozialismus früh öffentlich bekannte Friedrich Seitz unmittelbar nach der Machtübernahme Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 in Schwierigkeiten – SA und Hitlerjugend durchsuchten das Pfarrhaus – und wurde im Juni 1933 in die Pfarrei St. Hildegard ins saarländische St. Ingbert versetzt. Rund 35 Pfarreien der Diözese Speyer lagen und liegen bis heute im Saarland, das nach dem Ersten Weltkrieg vom Völkerbund verwaltet wurde. Dort waren regimekritische Pfarrer bis zur Rückgliederung des Saarlandes ins Deutsche Reich 1935 vor dem Zugriff nationalsozialistischer Organisationen und deutscher Staatsorgane sicher. Zudem galten die Entpolitisierungsbestimmungen des Konkordates zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich aus dem Jahre 1933 nicht für das Saarland. Die Verhältnisse an der Saar wurden aber bald durch den Wahlkampf zur Volksabstimmung 1935 über die Frage aufgewühlt, ob das Land weiter unter Verwaltung des Völkerbundes bleiben, dem so genannten Status quo, oder ob es wieder ins Deutsche Reich eingegliedert werden soll. Kaplan Friedrich Seitz engagierte sich für den Status-quo. Im Bericht eines Informanten der Gestapo mit Stempel des Bezirksamtes Zweibrücken, Staatspolizeiamt, vom 11. Juli 1934, und Stempel der Polizeidirektion Ludwigshafen vom 31. Juli 1934, wird Seitz von diesem Informanten als ein (Zitat) "Hetzer übelster Sorte" beschrieben, der (Zitat) "unbedingt als ein großer Gegner der heutigen Regierung" und "separatistisch eingestellter Geistlicher im Saargebiet" anzusehen sei. Der Informant bringt Seitz auch mit der damals neu gegründeten Zeitung "Saarpost" in Verbindung, die unter den Katholiken des Saarlandes gegen eine Rückgliederung votierte. Ende 1934 und Anfang 1935 drohten sich die katholischen Gemeinden und ihrer Pfarrer immer mehr zu politisieren und sich zu spalten, was die alltägliche Seelsorge der Gottesdienstfeier, der Katechese und der Sakramentenspendung schwer belastete. Deshalb verboten noch 1934 der Speyerer Bischof Ludwig Sebastian und sein Trierer Amtsbruder Ludwig Bornewasser ihren Priestern im Saarland, sich politisch oder publizistisch öffentlich zu betätigen. Nicht Sympathie für die NSDAP, sondern andere Motive hatten Bischof Sebastian zu diesem umstrittenen Schritt bewogen: Er handelte aus dem verbindlichen Amtsverständnis eines Bischofs, der in erster Linie die Seelsorge sichern musste, für den das Seelenheil der Gläubigen an erster Stelle stand und nicht die Politik. Er verhielt sich nach ersten Erfahrungen vorsichtig gegenüber dem nationalsozialistischen Regime, er wollte nicht unnötig provozieren. Er hegte begründete Angst davor, dass französische Pläne eines eigenen Saarbistums und damit eine Amputation der Diözese Speyer Wirklichkeit werden würden, wenn bei der Saarabstimmung der Status quo erhalten bliebe. Und er handelte aus dem Reflex der von Bismarcks Kulturkampf geprägten deutschen Katholiken heraus, nicht als national unzuverlässig gelten zu wollen, was ihm bei einem Eintreten für den Status quo vorgeworfen werden und die katholische Kirche im Deutschen Reich in Schwierigkeiten bringen konnte. Nicht zuletzt empfand Bischof Sebastian wie fast alle Deutschen quer durch die Gesellschaft den Verlust des Saarlandes durch den Versailler Vertrag auch persönlich als Demütigung des Deutschen Reiches. Im Zuge dieser Entwicklung versetzte schließlich der Bischof Kaplan Seitz und andere Geistliche wegen derem politischen Engagement in Pfarreien, die in der Diözese auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lagen. Gegen den Widerstand vor allem der Jugend in St. Ingbert und gegen den Wunsch des Kaplans selbst musste er Mitte Juli 1934 nach Ludwigshafen an die Pfarrei St. Dreifaltigkeit wechseln. Viele Katholiken im Saarland fürchteten um die persönliche Sicherheit des Kaplans, prompt kursierten in der Presse Meldungen, wonach Seitz auf seiner Reise nach Ludwigshafen bei Kaiserslautern überfallen worden und möglicherweise zu Tode gekommen sei - was sich als Falschmeldung erwies. Bemerkenswert aber, wie der 23 Jahre junge Kaplan, der diese Versetzung innerlich ablehnt, trotzdem gegenüber Bischof Sebastian seine in der Weihe versprochene Gehorsamspflicht als Priester befolgt und in den Vernehmungen durch die Gestapo klug so antwortet, dass aus seinen Antworten sich seinerseits keine Ansatzpunkte für eine Belastung Bischof Sebastians filtern lassen, die dann die nationalsozialistischen Stellen ihrerseits gegen den Speyerer Oberhirten selbst hätten verwenden können, um ihn unter Druck zu setzen. So wird Friedrich Seitz in einem Vernehmungsbericht der Gestapo vom 6. Juli 1937 mit folgenden Worten wiedergegeben (Zitat): "Ich gebe zu, daß ich seinerzeit ein Gesuch um ein weiteres Verbleiben im Saargebiet an den Bischof in Speyer gerichtet habe. Das Gesuch ließ ich aber durch den päpstlichen Legaten dem Bischof überreichen. Ich habe das Gesuch nicht persönlich bei dem päpstlichen Legaten in Saarbrücken abgegeben, sondern es mit der Post gesandt. Persönlich habe ich mit dem Legaten auch nie gesprochen. Ebenso wenig habe ich mich mündlich oder schriftlich an die Saarregierung beschwerdeführend gewandt. Als meine Versetzung von St. Ingbert und Ludwigshafen a./Rh. bekannt wurde, kamen eines Abends der Präsident der Eisenbahndirektion Saarbrücken Nickolaus und Minister Koßmann und frugen mich, warum meine Versetzung nach Ludwigshafen a./Rh. erfolgt sei. Ich könnte ihnen über meine Versetzung keine nähere Auskunft erteilen, weil ich vom bischöflichen Ordinariat nicht unterrichtet worden bin. Ich habe die Herren gebeten, auf keinen Fall für mich Schritte beim Bischof in Speyer zu unternehmen, weil ich mich den bischöflichen Anordnungen gefügt habe." Nach der Versetzung in die Pfarrei St. Dreifaltigkeit in Ludwigshafen im Juni 1934 begann der Leidensweg von Friedrich Seitz recht eigentlich. Auf einer genehmigten Pfarrfamilienfeier der Gemeinde am 26. Januar 1936, in derem offiziellem Programm unter anderem die Vorführung eines Indianerfilms angekündigt war, griff Kaplan Friedrich Seitz das "Schwarze Korps", eine Zeitung der SS, wegen deren antiklerikaler Propaganda an und zerriss demonstrativ ein Exemplar der Zeitung vor den Besuchern der Pfarrfamilienfeier. Er wurde angezeigt, durch die Polizeidirektion Ludwigshafen verhört, vom 12. Februar bis 19. März 1936 mit einem Religionsunterrichtsverbot belegt und ein Versetzungsantrag beim Bischöflichen Ordinariat in Speyer gestellt. Das Ordinariat wies dieses Ansinnen zurück. Schließlich stellte das Sondergericht Frankenthal das Verfahren gegen Friedrich Seitz ein. Allerdings überwachte ihn ab jetzt die Gestapo ständig. Nach diesen Erfahrungen bewarb sich Kaplan Seitz als Pfarrverweser für die Pfarrei Schallodenbach. Bischof Sebastian befürwortete die Bewerbung und versetzte ihn im Dezember 1936 in die westpfälzische Gemeinde. Doch auch hier setzt die Gestapo Spitzel aus dem Dorf auf den Priester an. Bald schon gehen Anzeigen wegen so genannter staatsabträglicher Äußerungen ein und eine Vorladung vor das Bezirksamt Kaiserslautern am 7. Januar 1937 erfolgt. Im März 1937 meldet die Polizei Friedrich Seitz beim Bezirksamt Kaiserslautern, weil er mehrmals gegen die Einführung der Gemeinschaftsschule gepredigt hatte und nach der Schließung der Bekenntnisschule aus Protest nicht mehr die Glocken in Schallodenbach läuten ließ. Wieder üben Polizei und jetzt auch der Regierungspräsident Druck auf das Bischöfliche Ordinariat in Speyer aus, Seitz zu versetzen. Das Ordinariat verzögert die Korrespondenz und beugt sich dem Druck nicht. In der Nacht zum 1. April 1937 fliegen Steine ins Schallodenbacher Pfarrhaus, in dem sich auch Mutter und Schwester von Friedrich Seitz aufhalten. Die Polizei nimmt im Auftrag des Bezirksamts Kaiserslautern und Amtsgerichts Wolfstein Ermittlungen wegen Sachbeschädigung auf, die erfolglos bleiben. Bei den Steinewerfern handelt es sich vermutlich um Gegner des Priesters, was dieser aber nicht beweisen kann. In den Akten der Gestapo befinden sich ellenlange Vernehmungen der verdächtigen Steinewerfer, die aber alle leugnen - die verdächtigten Steinewerfer gehören zum Teil zu den Informanten, die von der Gestapo zur Überwachung von Seitz angeworben sind. Wie die Akten zeigen, rekrutierten sich diese Männer in Schallodenbach aus unteren Gesellschaftsschichten mit einem geringen sozialen Status und oft zweifelhaftem Leumund, die ihre fehlende Anerkennung im Dorf auf diese Weise gegen einen sozial höher stehenden Priester kompensieren zu können glaubten. Aufgrund dieser Herkunft der Informanten gelingt es Seitz aber auch durch seine rasche Auffassungsgabe einige Male, bei Vernehmungen die Spitzel ihrerseits in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen. Wie aus den Akten der Gestapo zu Friedrich Seitz hervor geht, weist der Kaplan beispielsweise einmal nach, dass ein Informant, der ihn schwer belastete, früher als kommunistischer Agitator im Ruhrgebiet tätig gewesen war, weshalb die Gestapo ihre Ermittlungen nicht verwerten konnte. Wer die Akten der Gestapo liest, der fühlt sich wenn die Angelegenheit nicht so traurig und tragisch wäre - im Verhältnis von Pfarrer Seitz zu seinen Spitzeln und Widersachern in Schallodenbach nicht selten an die Filmkomödie "Don Camillo und Peppone" erinnert. Nach über einem Jahr als Pfarrverweser überträgt die Diözese Speyer Friedrich Seitz die Pfarrei Schallodenbach, wodurch der Kaplan zum Pfarrer wird. Wegen der politischen Unzuverlässigkeit des neuen Pfarrers erhebt die Regierung der Pfalz Einspruch gegen Übertragung der Pfarrei, auf den das Bischöfliche Ordinariat wieder nicht reagiert. Die Schikanen gegen Seitz nehmen an Intensität zu, nicht zu wenigen Teilen wegen der intellektuellen Überlegenheit, die Seitz seine Widersacher in Schallodenbach spüren lässt, verschlechtert sich auch das Klima im Ort zusehends. Die Gestapo bestellt ihm am 6. Juli 1937 wegen sechs beanstandeter Predigtäußerungen und Hirtenbriefverlesungen zwischen dem 13. Dezember 1936 und dem 11. April 1937 zum Verhör ein. Wieder schafft es Seitz, alle Anschuldigungen zu widerlegen. Das Sondergericht Frankenthal stellt am 23. Juli 1937 ein Verfahren wegen Kanzelmissbrauchs ein. Am 24. September 1937 verwarnt die Polizei Pfarrer Seitz und setzt eine Reichsmark als Geldstrafe fest, weil sich der Geistliche nicht am Kartoffelkäfersuchtag beteiligt hatte. Im November 1937 meldet ihn die Polizei wegen einer Prozession und einer Leseempfehlung für Katholiken in einer Predigt beim Bezirksamt, das aber keine Möglichkeiten sieht, etwaige Gesetzesverstöße festzustellen. Für Pfarrer Seitz gesammeltes Geld wird beschlagnahmt. Der Konflikt eskaliert weiter. Wegen angeblicher kritischer Worte in der Predigt an Christi Himmelfahrt 1938 ermittelt die Gestapo und verhört Pfarrer Seitz am 25. Juni 1938. Weil er im Religionsunterricht nicht den Hitlergruß zeigt, verhängt die Regierung der Pfalz am 13. Mai 1938 ein Unterrichtsverbot. Am 25. Juni 1938 lädt die Gestapo den Pfarrer erneut vor, weil ihn der NSDAP-Zellenleiter von Schallodenbach, ein Mennonit, beschuldigte, außerhalb der Schule Religion zu unterrichten, und die Pfarrgemeinde aufgefordert habe, am Dreifaltigkeitssonntag 1938 die Wegekreuz in der Schallodenbacher Flur zu schmücken. Auch die Beflaggung der Kirche zu Fronleichnam 1938 machen Spitzel bei der Gestapo aktenkundig. Allerdings stellt die Gestapo ihre Ermittlungen ein, weil keine strafbaren Handlungen vorliegen. Waren bisher die Zusammenstöße von Friedrich Seitz mit der nationalsozialistischen Staatsmacht ohne Schaden für Leib und Leben des Seelsorgers ausgegangen, brachte der Krieg eine Wendung mit. Einerseits euphorisierten die schnellen Siege der Wehrmacht in Polen und Frankreich gaben die NSDAP und ihre Gliederungen. Andererseits verschärfte sich in Kriegszeiten die Gesetzgebung, wodurch sich die Tatbestände inflationär vermehrten, in die sich zum Beispiel Seelsorger verheddern konnten. Wie die Kriegseuphorie den Boden für die katholische Kirche in der Pfalz heißer werden ließ, dokumentiert etwa eine Erinnerung des damaligen Chefredakteurs der Bistumszeitung "der Pilger", der Priester und Journalist Nikolaus Lauer, an eine Pressekonferenz 1940 mit dem NSDAP-Gau-Presseamtsleiter Nikolaus Foerster (Zitat): "Die Pressekonferenzen endeten mit massiven Drohungen. Im Siegesrausch von 1940 sagte Foerster: 'Es gibt da ein uraltes Märchen, nach dem einer mal von den Toten auferstanden sein soll; derjenige, den wir umlegen, steht niemals mehr auf." Am 23. Februar 1940 schließlich denunzierte der NSDAP-Ortsgruppenleiter von Mehlbach den Pfarrer Friedrich Seitz, weil dieser die Pfarrgemeinde aufforderte, so genannte Volksdeutsche aus Polen, die in nahe gelegenen Bauernhöfen arbeiteten, freundlich zu behandeln und nicht zu beschimpfen. Außerdem behauptete der Denunziant, Seitz habe am 28. Januar 1940 einige polnischen Fremdarbeiter bewirtet und die Mutter von Seitz vier Polinnen verköstigt, die zuvor Seitz' Gottesdienste besucht hatten. Am 1. März 1940 verhörte die Gestapo den beschuldigten Seitz, am 16. März nahm die Staatspolizei den Pfarrer und seine Mutter fest, die bald wieder freikam. Weil Seitz während der Ermittlungen glaubhaft machen konnte, nicht gemerkt zu haben, dass er Fremdarbeiter beherbergte, da deren Wortführer akzentfrei Deutsch sprach und die anderen schwiegen, beließ es de Gestapo mit einem strengen Verweis und entließ ihn am 16. April 1940 aus der Schutzhaft. Nur für kurze Zeit - am 27. April schlossen sich hinter Friedrich Seitz erneut die Gefängnistüren, folgten Verhöre, beschlagnahmte die Polizei einen Brief mit angeblich staatsabträglichem Inhalt. Am 7. Juni wird ihm der Schutzhaftbefehl eröffnet, der wie folgt lautete (Zitat): "Nach dem Ergebnis der staatspolizeilichen Feststellungen hat der Geistliche Friedrich Seitz durch sein Verhalten den Bestand und die Sicherheit des Volkes und des Staates, indem er die im Verkehr mit Polen gebotene Zurückhaltung vermissen ließ, das gesunde Volksempfinden gröblichst verletzt." Am 11. Juni 1940 führt der Weg Friedrich Seitz als ersten reichsdeutschen Priester ins KZ Dachau. III. Ein Menschenleben zählt nichts: Friedrich Seitz im KZ Dachau Friedrich Seitz wurde erst wieder am 28. März 1945 aus dem KZ Dachau entlassen. Gnadengesuche durch Kirchenverwaltung, Eltern und Generalvikariat Speyer blieben fünf Jahre erfolglos. In Friedrich Seitz' Gestapoakten finden sich mehrere für die Petitenten entwürdigende und zermürbende Schriftwechsel wie diesen der Gestapo Saarbrücken, Außendienststelle Neustadt a.d. Weinstraße vom 20. März 1943 (Zitat): "An den Gendarmerieposten Niederkirchen b. Kaiserslautern Betrifft: Pfarrer Friedrich Seitz Die Angehörigen des kath. Pfarrers Friedrich Seitz, Schallodenbach, haben bei dem Reichssicherheitshauptamt Antrag auf Entlassung des Pfarrers Seitz aus der Schutzhaft eingereicht. Das Reichssicherheitshauptamt hat nunmehr entschieden, daß dem Antrag auf Entlassung des Obengenannten z.Zt. nicht stattgegeben werden kann. Ich bitte, den Eltern des Pfarrers S e i t z die Entscheidung des Reichssicherheitshauptamtes in geeigneter Weise mitzuteilen und über das Veranlasste anhier zu berichten." Worauf die Gendarmerie Niederkirchen am 6. April 1944 antwortete (Zitat): "Vater wurde Entscheidung bekannt gegeben. Seitz will eine schriftliche Verständigung", die aber niemals von der Gestapo ausgefertigt wurde. Ständig laufen die Petitenten an eine bürokratische Wand, umso bewundernswerter, dass sie bis zum Schluss nicht aufgeben, Gesuche zur Entlassung Friedrich Seitz' einzureichen. Was die KZ-Haft im Einzelnen bedeutete, beschrieb Friedrich Seitz in der achtteiligen Serie "Priester im Dachau" von 13. Januar bis 21. April 1946 in der Bistumszeitung "der Pilger". Neben den körperlichen Quälereien bereiteten dem Priester mehr noch der rüde, antikirchliche Umgangston und die versuchte bewusste psychologische Zerstörung des Glaubens und seiner Symbole Schmerzen. So beschrieb Seitz seinen Einmarsch und ersten Appell im KZ Dachau mit den Worten (Zitat): "Jetzt ging der Höllentanz los. Ein Pfaffe! Endlich mal einer, an dem man sein Mütchen kühlen konnte! Die Spottreden über Priestertum und Zölibat, die ich da hörte, waren das Gemeinste, was Menschen aussprechen können. 'Hier kommst du nicht mehr heraus. Lauf gleich dort in den elektrischen Draht oder häng dich heute Nacht auf, das ist das Beste für dich!' 'Her mit dem Rosenkranz' Der Rosenkranz wird aufgerissen, ein Teil in den Amperkanal geworfen, der Rest wird zusammengeflickt und mir um das Haupt gewunden, das Kreuz nach vorne herabhängend. Dann setzte sich unsere Abteilung in Bewegung; unter Stiefeltritten und Fausthieben ging es durch das Lagertor, das hinter uns geschlossen wurde, durch das Lager zur Effektenkammer und Bad. In meinem Brief fanden sie einige Heiligenbildlein. Dann ein Bild Papst Pius des XII. Als sie das gesehen haben, sagten sie: 'Nun gut, dieser Oberpfaff aus Rom kommt mit allen anderen Pfaffen, wenn der Krieg mit Frankreich zu Ende ist, hier in Dachau zusammen." Die SS versuchte auf vielfältigen Wegen, die katholischen Pfarrer neben körperlicher Züchtigung psychologisch zu zermürben, indem sie etwa liturgische Handlungen im Lager wie Beichte hören, Sterbenden die letzte Ölung geben oder Messe lesen unterbanden, bestraften, oder, wenn sie sie nicht verhindern konnten, ins Lächerliche zogen. Als etwa Papst Pius XII. 1941 erreicht hatte, dass die Priester im KZ Dachau eine Messe lesen durften, störten die SS-Aufseher die Messe durch Zigarettenrauchen oder warfen nach der Wandlung Hostien auf den Boden und schrieen die Priester an, so erinnert sich Friedrich Seitz (Zitat): "Wenn das euer Herrgott ist, dann soll er euch doch helfen." Friedrich Seitz kümmerte sich darum aber wenig, entwickelte dagegen erstaunliche Fähigkeiten, gleichsam illegal im KZ seinem Auftrag als Priester nachzukommen. Als Pfleger im Krankenrevier des KZ Dachau zwischen dem 8. Dezember 1942 und dem 1. April 1944 etwa gab er an besonders schlimmen Sterbetagen nach eigenen Angaben 40 bis 50 Menschen die letzte Ölung. Oder er nahm die Beichte unter abenteuerlichen Bedingungen an verschiedensten anderen Orten ab, wie er in seiner St. Ingberter Predigt 1945 ausführte: (Zitat): "Und da bin ich mit vielen die Wege im Lager auf und ab gegangen und habe die Beichte gehört, oder in der Kiesgrube haben wir den Kies durch das Sieb geworfen und mit jeder Schaufel Sand bekannte er eine Sünde. War der fertig, kam ein anderer Kamerad an das Sieb. Oder im Steinbruch, wo wir Steine gekloppt haben: Da saß ich da und kloppte und neben mir sitzt einer und kloppt und bekennt seine Sünden, mit jedem Schlag ein Schlag in sein Sündenleben. Oder auf der Plantage: Ich knie da und rupfe Unkraut, und neben mir kniet einer und rupft Unkraut aus seiner Seele." So versuchte die Lagerleitung und Besatzung der SS im KZ Dachau, deren Mitglieder nach Untersuchungen Karin Orths in ihrem Buch "Die Konzentrationslager-SS" (München 2004) mehr Männer in ihren Reihen hatten, die aus der Kirche ausgetreten waren, als der Durchschnitt der SS, verschiedene Gruppen innerhalb des KZ gegeneinander auszuspielen und aufzuhetzen: Christen gegen Juden oder Kommunisten gegen Katholiken. Dieses Spiel trieb die KZ-SS nach den Aufzeichnungen von Friedrich Seitz mit körperlicher Brutalität wie Schlägen, Einzelhaft in kleinen Stehbunkern, Strafexerzieren und Strafsport wie der sogenannte Entenlauf bis zum körperlichen Zusammenbruch sowie seelischer Subtilität gleichermaßen. Das Personal des KZ Dachau ließ etwa mit einem katholischen Pfarrer und Juden die Kreuzigung Christi nachstellen, um so die religiösen Empfindungen der Beteiligten zu verletzen, sie körperlich zu quälen und in Anspielung überlieferter kultureller Ressentiments Zwietracht unter den Gefangenen zu säen. Diese Praxis einer kaum vorstellbaren Infamität und zynischen Menschenverachtung schilderte Friedrich Seitz in einer Predigt vom am 29. Juli 1945 in St. Ingbert (Zitat): "Eine andere Strafe war das Aufhängen am Baum. Man hat dem armen Häftling die Arme gefesselt, die Hände nach oben gezogen und an einem Balken befestigt, so daß der Körper frei hing. So hing der Mensch zwei bis drei Stunden, dann war er tot. Der Oberkörper wurde eingedrückt, es trat Herzschwäche ein. Im Lager Dachau wurde gewöhnlich für ein kleines Verbrechen, wenn die Schuhe nicht sauber geputzt waren, Unordnung im Spind, eine Stunde Aufhängen am Baum gegeben. Im Bad konnten 42 Menschen nebeneinander aufgehängt werden. So konnte auf einmal der ganze Strafreport der betreffenden Woche erledigt werden. Am Karfreitag 1942 hat man einen Pfarrer zu 2 Stunden Aufhängen zwischen 2 Juden verurteilt." Friedrich Seitz musste 1940 auch vier Monate im Granitsteinbruch des KZ Mauthausen-Gusen in Österreich schuften. Dort herrschte die Maxime Vernichtung durch Arbeit. Willkürlich verfügten die Aufseher über Leben und Tod. In seiner Artikelserie erinnerte sich Seitz (Zitat): "Wie oft sah ich, dass man einen Häftling absichtlich oben bis an den Rand des Steinbruches führte und dann ihm einen Kinnhaken versetzte, dass er hinunterstürzte und leblos unten liegen blieb. Von uns neun reichsdeutschen und 200 polnischen Priestern waren nach einem halben Jahr noch 100 am Leben." Die harte Arbeit, die körperlichen Strafen, die von Seitz berichtete vierteljährliche Todesselektion im KZ Dachau in gesunde, halbgesunde und kranke Insassen, die permanente psychische Belastung und Misshandlung, die antiklerikale Stimmung, unzumutbare Lagerbedingungen und ungenügende medizinische Versorgung forderte unter den Priestern im KZ Dachau einen hohen Blutzoll. Von Juni bis August 1940 starben nach Seitz' Angaben täglich acht bis zehn Priester. Eines der Opfer war der Rheingönheimer Pfarrer Josef Caroli. Besonders das "Katastrophenjahr 1942", so Seitz, kostete Hunderten von Priester das Leben. Trotz dieser Belastungen erwies sich Friedrich Seitz im KZ Dachau und KZ Mauthausen als ein Mann, den andere Gefangene suchten, weil er anscheinend eine starke Physis ausstrahlte, andere Gefangene unterstützte. Im Bistumsarchiv Speyer hat Thomas Fandel etwa Zeitungsausschnitte von Nachrufen nach dem Tod von Friedrich Seitz 1949 gefunden, in denen zum Beispiel zu lesen ist (Zitat): "Tausenden von Österreichern ist er bekannt als ein Heldenpriester, der gerade in Mauthausen-Gusen Hunderten, wenn nicht Tausenden durch seine wohlorganisierte, unerschrocken betätigte Caritas das Leben gerettet hat." Selbst unter Kommunisten genoss der katholische Priester eine hohe Achtung. Vielleicht hat dazu auch folgende Begebenheit beigetragen, als Seitz am ersten Abend seiner Gefangenschaft in Dachau auf eine Stube mit kommunistischen Gefangenen gelegt wurde, die der Schallodenbacher Pfarrer in seiner Artikelserie im "Pilger" so wiedergibt (Zitat): "Meine Stubenkameraden zum größten Teil Kommunisten. Am ersten Abend versuchte einer durch Witze das Priestertum zu verspotten, aber da erzählte ich aus meinem Witzereservoir einen guten Witz und die Situation war gerettet. Niemals mehr wagte es einer, mir nur zu nahe zu treten. Im Gegenteil: als Kamerad hat man mich geachtet, weil ich für meine Überzeugung ins Konzentrationslager gekommen bin." Der Niederwürzbacher Heimatforscher Peter Degel hat das Schicksal des Niederwürzbachers Georg Bieg aufgeschrieben, dem zum Verhängnis geworden war, dass er eine Postkarte geschrieben hatte, auf der er sich um die Möglichkeit von Arbeit in der Sowjetunion erkundigt hatte. Auf Grund dieser Postkarte wurde Bieg ins KZ Dachau als Kommunist eingeliefert, wo Friedrich Seitz mit seinem saarpfälzischen Landsmann Bekanntschaft gemacht hat. Der Schwester von Georg Bieg, der im KZ Dachau 1945 an Fleckfieber gestorben ist, schrieb Seitz am 26. November 1945 in einem Brief folgende Zeilen, die zum Abschluss die Zustände im KZ Dachau, das irritierende Nebeneinander von Grausamkeit und Menschlichkeit, anschaulich machen (Zitat): "Seit 8. Dezember 1942 befand ich mich im Revier als Revierpförtner und bin seit diesem Augenblick mit Ihrem Bruder den ganzen Tag über beisammen gewesen. Als Landsleute standen wir uns besonders nahe. Er war in der Ambulanz und ich habe viel zusammen mit ihm in den Verbandsstunden und bei den Aufnahmen arbeiten dürfen. Unzählige Gefälligkeiten hat Ihr Herr Bruder mir erwiesen in Behandlung von Geistlichen, die ich persönlich außerhalb der SSKontrolle zu ihm führte zur besonderen Behandlung. Wieviele Medikamente hat er mir für meine leidenden Mitbrüder gegeben, die sie sonst auf ordentlichen Dienstweg nie bekommen hätten. Ihr Bruder hatte mich wirklich in sein Herz geschlossen wegen meines echten Pfälzercharakters. Wie oft teilte ich meine Obstpakete mit ihm, da er ja kein Raucher war sondern für Obst alles gab. Wir waren in der langen Zeit Freunde geworden." IV. "Politisierende Geistliche sind Rechtsbrecher": Der Priesterblock im KZ Dachau In den Konzentrationslagern der nationalsozialistischen Diktatur kamen Millionen von Menschen jüdischen Glaubens ums Leben. Die geplante, fabrikmäßig organisierte Vernichtung von Menschen allein wegen ihrer Zugehörigkeit zum jüdischen Glauben ist ein einzigartiges Verbrechen. Neben Menschen jüdischen Glaubens, die überwiegende Mehrzahl der Opfer des KZ-Systems überhaupt, zählten weitere, andere gesellschaftliche Gruppen zu den Inhaftierten und Opfern, darunter Geistliche verschiedener christlicher Kirchen. Die katholischen Priester waren vor allem im KZ Dachau konzentriert. Insgesamt saßen 2720 katholische Geistliche aus dem Deutschen Reich und den von den Nationalsozialisten besetzten Ländern, vornehmlich Polen, im Konzentrationslager Dachau. Darunter fünf Seelsorger aus der Diözese Speyer: Neben Friedrich Seitz die Pfarrer Ludwig Josef Bauer (Neustadt), Wilhelm Caroli (Rheingönheim), Hermann Quack (Insheim) und Kaplan Heinz Römer. Acht weitere Geistliche der Diözese Speyer hatten kürzerzeitige Gefängnisstrafen in den Gefängnissen der Region erhalten, 37 Priester wurden mit Geldstrafen belegt, 61 Seelsorger durften keinen Religionsunterricht erteilen. Alles in allem ging die NSDiktatur gegen 187 Geistliche in der Pfalz und Saarpfalz vor. Im KZ Dachau kamen insgesamt 1034 katholische Priester und Kapläne ums Leben. Friedrich Seitz Weg ins KZ Dachau spiegelte dabei die Etappen der Verfolgung katholischer Geistlicher im Dritten Reich insgesamt wieder, lässt sich sein individueller Lebenslauf und die überindividuelle Geschichte parallelisieren: Zwischen 1933 und 1936 erste Scharmützel, von 1937 bis 1938 sich ständig steigernde Konflikte und nach Kriegsausbruch 1939 offen praktizierte Internierungen und Verhaftungen. Die Geschichte der Konzentrationslager begann am 28. Februar 1933 mit der "Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat" nach dem Brand im Berliner Reichstagsbrand. Darin war ein Katalog vorbeugender Polizeimaßnahmen gegen die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), deren Organisationen, Presseorgane, Versammlungen und Funktionäre beschrieben. Jeder, der als Kommunist galt, konnte willkürlich verhaftet und auf längere Zeit inhaftiert werden. Dafür mussten keine Bestimmungen der Strafprozessordnung beachtet oder eine richterliche Entscheidung abgewartet werden. Verhaften konnte nicht mehr allein die reguläre Polizei, das besorgten jetzt auch SS, SA oder einzelne Funktionäre der NSDAP in der Funktion einer Art Hilfspolizei. Damit waren die wesentlichen Grundrechte der Weimarer Republik außer Kraft gesetzt. Stück für Stück wurde der Personenkreis, der nach dieser Verordnung inhaftiert werden konnte, weil er angeblich die Sicherheit des Staates und des Volkes gefährdete, ausgeweitet. Diese Haft für politische Gegner wurde dann mit der Zeit Schutzhaft genannt. Sie hatte zwei Funktionen: Sie diente einmal in den Augen der Nationalsozialisten als eine Art vorbeugende Maßnahme gegen politische Gegner, sie wurde aber auch bewusst im Sinne einer Strafe ohne Gerichtsverhandlung, also als eine Ersatzstrafe, verhängt. Vor allem Preußen und Bayern, die beiden wichtigsten Länder des Deutschen Reiches, nutzten diese Möglichkeiten weidlich aus. In Preußen wurde Hitlers Gefolgsmann und späterer Luftwaffen-Chef, Hermann Göring 1933 Innenminister und bald Ministerpräsident - er befehligte also die Polizei. In dieser Funktion verfügte er schon am 3. März 1933, dass die Schutzverordnung nach dem Reichstagsbrand auch für Personen gelte, die nicht der KPD angehören, aber mit ihr sympathisieren würden. Das war natürlich ein Freibrief für Verhaftungen aller missliebigen Personen in Preußen. In Bayern, zu der die Pfalz und damit die Heimat von Friedrich Seitz damals gehörte, übernahmen 1933 Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich den Polizeiapparat. Himmler als späterer Chef der Deutschen Polizei und Reichsführer SS, Heydrich, späterer Leiter des berüchtigten Reichssicherhauptamtes in Berlin, waren beide maßgeblich für das System an Konzentrationslagern und die Vernichtung der Menschen in diesen Lagern verantwortlich. Heinrich Himmler war seit 9. März 1933 kommissarischer Polizeipräsident in München, Reinhard Heydrich am 1. April 1933 politischer Polizeikommandeur in Bayern geworden. Zur gleichen Zeit amtierte Adolf Wagner, Gauleiter der NSDAP Oberbayern, als Staatskommissar für das bayerische Innenministerium. Weil nun wegen der Verfolgung der Kommunisten und ihrer vermeintlichen Sympathisanten nach dem Reichstagsbrand die Gefängnisse und Arreststuben der bayerischen Polizeiwachen überquollen, verlangte die bayerische Justiz, dass die von SS, SA oder NSDAP festgenommenen Schutzhäftlinge in eigene Unterkünfte untergebracht werden müssten, um den regulären Strafvollzug zu entlasten. Himmler griff die Idee auf, und ließ als kommissarischer Polizeipräsident von München auf dem Gelände und in den Steinbaracken einer ehemaligen Pulverfabrik in der Nähe von Dachau am 20. März 1933 das erste Konzentrationslager im Deutschen Reich errichten. Es wurde gleichsam das Modell für alle anderen späteren Lager. Ende Juni 1933 setzte Himmler dann den im elsaß-lothringischen Hampont 1892 geborenen SS-Oberführer Theodor Eicke, ein Gegenspieler des pfälzischen NSDAPGauleiters Joseph Bürckel, als Lagerführer im KZ Dachau ein. Eicke hatte damals schon einen schillernden Lebenslauf hinter sich: Er war kurzzeitig nach Ablegung der Kommissarprüfung 1920 bei der Schutz- und Kriminalpolizei angestellt, zuletzt im Polizeiverwaltungsdienst Ludwigshafen. Zwischen 1923 und 1932 war er als Sicherheitskommissar für den Werk-Spionageabwehrdienst der IG-Farbwerke Ludwigshafen tätig. Parallel machte er bei der SS Karriere: 1930 wurde er Führer des SS-Sturms Ludwigshafen, 1931 Leiter der SS-Standarte Rheinpfalz. Weil der überzeugte Nationalsozialist zwei Bombenattentate vorbereitet hatte, wurde er 1932 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, floh aber nach Italien. Mitte Februar 1933 war Eicke dann nach Deutschland zurückgekehrt, versuchte in der Pfalz den pfälzischen NSDAP-Gauleiter Bürckel gewaltsam abzuservieren. Himmler ließ Eicke deshalb am 21. März 1933 selbst in Schutzhaft nehmen und vorübergehend in die Psychatrie einweisen. Als aber das KZ Dachau eine Lagerleitung brauchte, erinnerte sich Himmler an Eicke, einen gewissenlosen, brutalen Organisator von Terror. Aus der Psychatrie gelangte Eicke an die Spitze des KZ Dachau. Er führte dort ein eigenes Regiment ein. Die von Eicke am 1. Oktober 1933 in Dachau erlassene Dienstvorschrift regelte bis in alle Details die Verfahren des Häftlingsappells, den Strafkatalog samt Strafen für die Häftlinge, die Pflichten und Vorschriften der Wachmannschaften bis hin zum Abstand, den die Wachtposten von den Häftlingen einhalten mussten. Die Prinzipien der Häftlingsbehandlung, die Grundsätze der Organisation, der Kompetenz- und Aufgabenverteilung in allen späteren Lagern basieren alle auf Eickes Vorschriften in Dachau. Schließlich wurde Eicke Inspekteur aller Konzentrationslager im Reich. Wie schnell der politische Katholizismus und die katholische Kirche mit ihrem Klerus und Laien schon 1933 ins Visier von Himmler und Heydrich geraten war, dokumentiert ein Funkspruch der Bayerischen Politischen Polizei vom 26. Juni 1933 an mehrere Polizeidienststellen, darunter die Polizeidirektion Ludwigshafen. Danach seien von den ehemaligen Mitgliedern der Bayerischen Volkspartei (BVP) außer deren Reichs- und Landtagsabgeordneten auch (Zitat) "diejenigen Personen in Schutzhaft zu nehmen, die sich in parteipolitischer Hinsicht besonders hervorgetan haben." Das verstand in Bayern und der Pfalz vor allem die SA als Signal, missliebige katholische Geistliche zu inhaftieren oder inhaftieren zu lassen. Dagegen protestierten jedoch bischöflichen Ordinariate beim bayerischen Kultusministerium. Was scheinbar wirkte. Himmler als bayerischer Polizeichef ordnete am 2. Juli 1933 an, dass er persönlich die Verhaftung von Priestern genehmigen müsse. Heydrich schickte am 18. März 1934 einen Runderlass an alle bayerischen und pfälzischen Polizeiämter: Demnach dürfe von einer Verhängung der Schutzhaft gegen Priester nur in (Zitat) "besonders schweren Fällen" Gebraucht gemacht werden. Doch das war alles nur Taktik: Himmler und Heydrich nutzten die Schutzhaft als eigenes Machtinstrument im Kampf um Einfluss innerhalb der NSDAP und des polykratischen nationalsozialistischen Staates. Wenn sie noch 1933/34 katholische Priester eher von einer Inhaftierung ausnahmen, wollten sie damit den Einfluss der konkurrierenden SA beschneiden, indem sie SA und staatliche Justiz gegeneinander auszuspielen versuchten, da bisher vor allem die SA für Verhaftungen und Misshandlungen von Priestern verantwortlich gewesen war. Zum Schein unterstützten Himmler und Heydrich den am 12. April 1934 vom Reichsinnenministerium so genannten Schutzhafterlass in Kraft, der die massenhaften Inhaftierungen, die in der Bevölkerung und noch nicht gleichgeschalteten Teilen von Justiz und Polizei für Unruhe sorgten, wenigstens einigermaßen wieder in gesetzlich geordnete Bahnen zurücklenken wollten. So sank auch infolge dieses Erlasses die Zahl der verhafteten Regimegegner und der "wilden" Internierungslager von SA und anderen NSDAPStellen, die Himmler und Heydrich als Konkurrenz ihres eigenen Schutzhaft-Systems wahrgenommen hatten zwischen Herbst 1933 und Frühsommer 1934. Doch nach dem so genannten Röhm-Putsch vom 30. Juni 1934, als die damalige SA-Führung um Ernst Röhm ermordet worden war, mussten Himmler und Heydrich ohne diese ausgeschaltete innerparteilich Konkurrenz auch keine Rücksicht mehr auf den Schutzhafterlass des Reichsinnenministeriums nehmen. Sie konnten jetzt schalten und walten, wie sie wollten, konnten gegenüber den Kirchen offen ihr wahres Gesicht zeigen - selbst wenn vereinzelt Justiz oder nationalsozialistische Innenpolitiker meist erfolglos versuchten, das Machtmittel Schutzhaft Himmler und Heydrich aus den Händen zu schlagen. Nach dem Röhm-Putsch stieg die Zahl der Verhaftungen der Priester rasch an, 1935 wurden die ersten Prozesse gegen katholische Priester wegen angeblicher Devisenvergehen inszeniert. Im Frühjahr 1936 setzten dann öffentlich wirksame, so genannte Sittlichkeitsprozesse gegen Priester ein. Doch diese Verfolgungswelle ebbte plötzlich ab. Grund: In der zweiten Jahreshälfte 1936 hielten sich Nationalsozialisten gegenüber den Kirchen wieder zurück. Denn Hitler hoffte erstens, dass er mit einem kirchenpolitischen Experiment einen Art antibolschewistischen Gesellschaftspakt schließen könnnte. Zweitens ließen es die Olympischen Spiele in Berlin nicht opportun erscheinen, vor den Augen der Weltöffentlichkeit gegen Priester vorzugehen. Do Zurückhaltung endete, als am 21. März 1937 von den Kanzeln der katholischen Kirchen im Deutschen Reich die Enzyklika Papst Pius XII. "Mit brennender Sorge" verlesen wurde, die das nationalsozialistische Gewaltregime angriff. Dieses Regime reagierte: Die verleumderischen Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Priester wurden wieder aufgenommen, massive Eingriffe in das katholische Schul-, Verbandsund Vereinswesen erfolgten. Rund ein Drittel aller datierbaren gerichtlichen Maßnahmen gegen katholische Priester im "Dritten Reich" stammen aus diesen Jahren 1937/38. Himmler und Heydrich bereiteten die Verfolgung katholischer Priester und Laien parallel zuvor schon an der juristischen Front vor. Heydrich war im April 1934 zum Chef des preußischen Geheimen Staatspolizeiamtes, also der Gestapo ernannt worden, die statistisch gesehen nach Ausschaltung der SA am häufigsten von allen nationalsozialistischen Institutionen gegen Pfarrer im "Dritten Reich" vorgegangen war. In Preußen erließ Heydrich als Gestapo-Chef am 26. Juli 1935 einen Runderlass, jeden Monat über Maßnahmen gegen katholische Geistliche zu berichten. Einige Tage zuvor hatte Reichsinnenminister Wilhelm Frick auf einem Gauparteitag der NSDAP in München schon eine (Zitat) "Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens" gefordert. Der preußische Ministerpräsident Göring wies am 1. Juli 1935 Polizei und Gerichte an, (Zitat) "politisierende Geistliche" als Rechtsbrecher zu brandmarken. Diesem antikonfessionellen Druck passte sich schließlich die Justiz an, die in Sachen Schutzhaft das gegen alle Rechtsregeln verstoßende Vorgehen vor allem von SS und Gestapo lange nicht billigen konnte: Das Preußische Kammergericht als höchste preußische Justizinstanz verkündete am 8. Dezember 1935, dass die Verurteilung von Jugendlichen wegen Betätigung in einer katholischen Jugendbewegung rechtens sei, weil diese Arbeit indirekt kommunistischer Zersetzung Vorschub leiste. Am 10. Februar 1936 schließlich wurde in Preußen ein Gesetz über die Geheime Staatspolizei erlassen, in dem es hieß (Zitat): "Verfügungen und Angelegenheiten der Geheimen Staatspolizei unterliegen nicht der Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte." Daraufhin erklärte Heydrich im April 1936 in einem Beitrag für die Zeitschrift "Deutsches Recht", dass nicht mehr nur Kommunisten, sondern auch Juden, Freimaurer und (Zitat) "politisierende Katholiken" Feinde von Volk und Staat seien. Der Jurist Werner Best, Heydrichs Vertreter bei der Gestapo, hatte in der gleichen Nummer dieser Zeitschrift geschrieben (Zitat): "... Staatsfeinde aufzuspüren, sie zu überwachen und im richtigen Augenblick unschädlich zu machen, ist die präventivpolizeiliche Aufgabe einer politischen Polizei." Diese bewusst nur ungefähre Beschreibung der Tatbestände ließ den handelnden nationalsozialistischen Organen eine große Interpretationsfreiheit, was als Vergehen eines Priesters anzusehen sei und weswegen er verhaftet werden konnte. Gründe, die zu Verhaftungen katholischer Geistlicher führten, ergaben sich vor allem auf den Feldern Gottesdienst, Liturgie, allgemeiner Seelsorge, Vereins- und Jugendseelsorge, Schule und Seelsorge für Kriegsgefangene, Ausländer und Zwangsarbeiter. Im Zusammenhang mit Gottesdiensten führten Predigtäußerungen, das Vorlesen oder Kommentieren regimekritischer Hirtenbriefe, nach Beginn des Krieges 1939 Verstöße gegen das Feiertagsrecht, die Läuteordnung, Verdunkelungsbestimmungen, verbotswidrige Prozessionen wie an Fronleichnam oder die Abhaltung von Gottesdiensten nach nächtlichem Fliegeralarm zu Verhaftungen. In der allgemeinen Seelsorge erfolgten Ermittlungen wegen des Einspruchs von Priestern gegen unchristliche Taufnamen, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz oder gegen Feldpostbedingungen. In der Schule oder Jugendarbeit ahndeten nationalsozialistische Dienststellen Ohrfeigen für renitente Hitlerjungen, den so genannten verbotswidrigen Gebrauch der Katechismuswahrheiten im Religionsunterricht, den Eintritt für die Bekenntnisschule oder den Protest gegen die Entfernung von Schulkreuzen. In der Vereins- und Jugendseelsorge erwiesen sich eine kaum zu überschauende Flut an staatlichen Erlassen, Verordnungen und Verboten wie Uniformverbot, Versammlungsverbot oder die Fortführung der Arbeit eines aufgelösten Vereins als Fallstricke. Ulrich von Hehl schreibt in seiner Dokumentation "Priester unter Hitlers Terror" (Zitat): "Delikte resultierten in der Regel daraus, dass der Klerus trotz bestehender, ihm teilweise nicht einmal bekannter Verbote an der überkommenen, buchstäblich existentiellen liturgischen und seelsorglichen Praxis festhielt." Damit waren also zwischen 1933 und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs alle Weichen gestellt, um katholische Priester im Deutschen Reich verfolgen zu können. In den Kriegsjahren stieg die Zahl der Verhaftungen von Priestern dann steil an. In einer Denkschrift vom 20. Oktober 1939 mit Titel "Über die gegenwärtige politische Haltung der Kirchen und Sekten" schrieb Heydrich vom katholischen Klerus als dem (Zitat) "geschworenen Feind des Staates" und empfahl ein (Zitat) "rücksichtsloses Zugreifen der Gestapo in allen Fällen, wo Sabotageabsicht, Aufwiegelung und ähnliches ersichtlich sei, ohne Rücksicht auf Stellung und kirchlichen Rang des Betreffenden." Und unter Sabotageabsicht oder Feindesbegünstigung wurde die Hilfe oder karitative Betreuung für Kriegsgefangene, Ausländer, Zwangsarbeiter und Juden sowie die Kritik an antijüdischen Maßnahmen. Auf Grundlage dieser Bestimmungen stieg die Zahl der Verhaftungen im gesamten Deutschen Reich durch die Gestapo stieg zwischen Kriegsbeginn 1939 und Oktober 1941 auf über 15 000 an, darunter 416 Priester und 596 Männer oder Frauen, die in der Sprache der Gestapo (Zitat) "verbotenen Umgang" mit Fremdarbeitern hatten. Also genau der angebliche Tatbestand, weswegen der Schallodenbacher Pfarrer Friedrich Seitz 1940 als erster reichsdeutscher Priester ins KZ Dachau eingesperrt wurde. V. Katholisierender Widerstand? Katholischer Widerstand! oder: Konzentrationslager: "Kulturstätten des Heidentums" Am Beispiel dieses temperamentvollen, klugen, umsichtigen, rhetorisch beschlagenen Priesters Friedrich Seitz lässt sich nun meiner Meinung nach erstens aufzeigen, dass Goldhagens These, wonach die katholische Kirche den Antikatholizismus der nationalsozialistischen Ideologie nicht erkannt hat und deshalb zu einer Art naivem Kolloborateur geworden ist, nicht aufrecht erhalten. In seiner St. Ingberter Predigt am 29. Juli 1945 arbeitete Friedrich Seitz die Elemente der antichristlichen Ideologie des Nationalsozialismus prägnant heraus: Erstens charakterisierte der Schallodenbacher Pfarrer den Nationalsozialismus als Heidentum. Konzentrationslager definierte Seitz dabei als (Zitat) "Kulturstätten des Heidentums, wie es sich in der Praxis auf kleinstem Raum auswirkt und betätigt." Zweitens erkannte Seitz in der antichristlichen Ideologie des Nationalsozialismus ein Heidentum, das (Zitat) "sich in der brutalen Vergewaltigung der primitivsten Menschenrechte, des Rechtes von Leben und Freiheit, der Mißhandlung des Körpers" zeigt. Menschen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Nation oder zu einer Glaubensgemeinschaft, wegen unterschiedlicher politischer und weltanschaulicher Meinungen auszugrenzen, ihrer leiblichen und seelischen Integrität zu berauben ist für Seitz Heidentum. Drittens erwies sich für Seitz die antichristliche Ideologie des Nationalsozialismus als Heidentum in der (Zitat) "Verspottung und Verhöhnung alles Religiösen und alles dessen, was heilig ist". Viertens erkannte Seitz den heidnischen Charakter des Nationalsozialismus in der (Zitat) "Mißachtung von Ehe und Familie und Frauenwürde" und einem darauf basierenden Gesellschaftsentwurf, den der Nationalsozialismus laut Seitz für die Zeit nach einem gewonnenen Krieg parat gehabt habe - dass nämlich der Staat Ehe und Familie dann auflösen, die Erzeugung des nationalsozialistischen Nachwuchses davon abkoppeln, die Kinder in nationalsozialistischen Heimen aufziehen und die Frauen zu (Zitat) "Dirnen des Staates" machen wollte. Friedrich Seitz klagte in seiner Predigt im Juni 1945 an (Zitat): "Was wir in den verflossenen Jahrzehnten alles an Gesetzen bekommen haben über Ehe und Familie, über Erziehung und Mutterschaft, wurde hinausposaunt in die Weltgeschichte. Und die Wirklichkeit? Auf kleinstem Raum in Dachau hat sich das ausgewirkt. Im Lager Dachau lebten im letzten Jahr 10 000 Kinder aus Ungarn, Polen und der Ukraine. Die Kinder sahen, was man mit den Eltern gemacht, und nun will man sie als unliebsame Zeugen aus der Welt schaffen. Diese Kinder steckte man hinter elektrisch geladenen Stacheldraht. Am letzten Tage meines Aufenthaltes in Dachau war ich auf der Plantage. 25 Kinder sollten Unkraut jäten, sie saßen aber auf dem Boden und bauten Berge aus Sand. Gehörten diese Kinder in ein Lager oder auf den Schoß der Mutter? Frauenwürde! Aus den vornehmsten Familien Polens hat man die schönsten und bravsten Mädchen herausgezogen und din die Bordelle und in die Lager gesteckt für die SS. Ist das deutsche Kultur, Frauenwürde mit Füßen zu treten?" So tritt die Gegnerschaft Friedrich Seitz als ein katholischer Priester auf dem weiteren Feld der öffentlichen und privaten Sprache im Nationalsozialismus zu Tage. Er entlarvte in seiner St. Ingberter Rede mit einem Satz die Hohlheit der offiziellen Sprache der Diktatur: (Zitat) "Oh, diese Lüge, die durch das ganze Land gehumpelt ist, die selbst nicht Halt machte vor der Majestät des Todes." Der Weg Friedrich Seitz von 1933 bis 1940 ins KZ Dachau illustriert: Der katholische Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur als Form heidnischen Totalitarismus vollzog sich vor allem auf dem Feld der privaten und öffentliche Sprache und der herrschenden politischen Symbolik, im Kampf um die Deutungsherrschaft über die Begriffe und Durchsetzung der Riten des leitenden politischen und kulturellen Diskurses der nationalsozialistischen Gesellschaft. Wenn man sich noch einmal die Anlässe der Anzeigen gegen Friedrich Seitz vor Augen führt, handelte es sich dabei gleichsam immer um ein Ringen darum, welche Kultur soll der Mensch leben. Überspitzt formuliert: Die Kultur kirchlicher Feiertage und Riten wie Fronleichnam oder die nationalsozialistische Kultur und Erfindungen wie die Beachtung des Kartoffelkäfersammeltages? Die Kultur des Schulkatechismus, Schulkreuzes und Schulgebetes oder die Kultur des Hitlergrußes? Den katholischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus provozierte nicht a priori zuerst ein politischer, sondern ein kultureller Widerspruch. Insofern artikulierte sich der katholische Widerstand zunächst auch nicht ausdrücklich politisch, sondern eher subkutan kulturell. Erst aus diesen kulturellen Gegensätzen entwickelten sich dann wie im Fall Friedrich Seitz handfeste politische Konflikte. Damit hängt ein Zweites zusammen: Wer das Verhalten der katholischen Kirche im Nationalsozialismus verstehen will, muss zunächst einmal deren Kultur und kulturelles Selbstverständnis studieren. Er muss die Codes der kirchlichen Sprache und Handlungen kennen, er muss die Bedeutung der Liturgie für den Alltag, die Formen des sakramentalen, seelsorgerlichen, caritativen und verkündigenden Auftrages der katholischen Kirche kennen, um Missverständnisse zu vermeiden. Wenn der Speyerer Bischof Ludwig Sebastian etwa zwischen 1933 und 1937 das ausdrücklich politische Engagement seiner Priester nicht öffentlich stützte, dann tat er das, weil für ihn die Seelsorge Priorität genießt, das sozusagen gerade in Zeiten einer Diktatur für Bischof Sebastian zum "Kerngeschäft" der Kirche gehörte. Sicher, im Nachhinein lässt sich festhalten: Politisch hat Bischof Ludwig Sebastian wahrscheinlich zu wenig getan, um einige wenige der erklärtesten politischen Gegnern des Nationalsozialismus unter seinen Priestern vor der Verfolgung zu schützen, und diese machten ihm das auch zum Vorwurf. Hierfür finden sich im Bistumsarchiv Speyer erschütternde Belege. Wer aber das Agieren Bischof Sebastians nur aus dieser Perspektive wahrnimmt, tut ihm Unrecht, weil er erstens das moralische Dilemma nicht ins Kalkül zieht, in dem Bischof Sebastian in seiner Verantwortung für das gesamte Bistum in diesen Fragen steckte. Weil er zweitens im Sinne der These Besiers die politischen Einflussmöglichkeiten der katholischen Kirchenleitungen spätestens nach 1938 überschätzt, was ja die Ablehnung sämtlicher Entlassungsgesuche für Friedrich Seitz belegt. Und weil er drittens die Bedeutung der kirchlichen Kultur als Grundlage kirchlicher Entscheidungen völlig ausblendet. Denn dass Friedrich Seitz seine Widerständigkeit sogar im KZ Dachau durchhalten konnte, verdankte er gerade nicht bischöflichen Verlautbarungen, sondern der Möglichkeit, seinen priesterlichen Aufgaben wie dem Beichtehören oder dem Messe feiern selbst illegal nachkommen zu können, also die kirchliche Kultur weiterleben zu können, und nicht in der nationalsozialistischen Kultur erstarren zu müssen. Wer dafür aus heutiger, säkularisierter Sicht, die etwa mit dem Sakrament der Beichte und dessen psychologisch befreiender Wirkung nichts mehr anfangen kann, nicht sensibel ist, der wird auch nicht das Wesen der katholischen Widerständigkeit im Nationalsozialismus kaum verstehen. Das gilt auch für das Feld der Sprache: Wenn ein Bischof oder Priester die Begriffe "Volk", "deutsch", "Vaterland", "sittliche Pflicht" oder ähnliche zwischen 1933 und 1945 benützte, meinte er damit anderes als die nationalsozialistische Ideologie, die ihrerseits diese Begriffe für ihre Ziele instrumentalisieren wollte. Wer diese Sprachkritik nicht durchführt, wirft zu schnell im Nachhinein und mit dem heutigen Wissensstand katholische und nationalsozialistische Rede in einen Topf. Auch hier führt das Beispiel Friedrich Seitz vor Augen, wie wichtig diese sprachkritische und milieusoziologische Senisibilität sind, um ein Urteil über das Verhalten der katholischen Kirche im Nationalsozialismus und die Frage nach ihrem Widerstand zu beantworten. Nur mit dieser Sprachkritik und milieusoziologischen Sensibilität für das Wort "deutsch" lassen sich Missverständnisse bei der Interpretation vermeiden, wenn Friedrich Seitz in seiner Predigt am 29. Juni 1945 streng zwischen der Schuld der NSDAP und der nationalsozialistischen Bewegung (Zitat) "angefangen von der höchsten Spitze der Reichsregierung bis hinunter zur kleinsten Zelle alle diejenigen, die jede freie Meinungsäußerung unterbunden haben, alle, die Terror und Gewalt ausgeübt und sich freiwillig in den Dienst der Regierungsmächte gestellt haben" - und dem Verhalten der deutschen Bevölkerung unterschied, für die er eine Kollektivschuld entschieden ablehnte. Für Friedrich Seitz bedeutete Deutschsein etwas ganz anderes als für die Nationalsozialisten, weshalb er das Deutschsein nicht als Fokus und Zielscheibe der Auseinandersetzung mit dem so genannten "Dritten Reich" nach seinem Ende anerkennen konnte. Gleichwohl wies Friedrich Seitz alle Versuche zurück, die heute unter dem Namen "Auschwitzlüge" subsumiert werden (Zitat): "Das sind keine Märchen, das ist keine Propaganda, das ist die Wahrheit, und wer heut das nicht glaubt, oh ich wünschte ihm, er habe es nur für einige Tage miterlebt. Ich stehe hier und gebe davon Zeugnis. Ein Adolf Hitler sagte einst: 'Alles, was in Deutschland geschieht, dafür bin ich verantwortlich'. Er war unterrichtet und alles war von oben geduldet. Und wäre unter uns einer, der heute noch diese Sachen entschuldigt, auch hier in dem schwarzen St. Ingbert, der gehört auch in die Reihe dieser Mörder." Womit ich zu meiner Schlussthese komme. An der Geschichte von Friedrich Seitz wird gegen die These Alexander Groß von der gehorsamen Kirche und den ungehorsamen Christen sichtbar, dass der katholische Widerstand gegen den Nationalsozialismus nicht einfach nur als Taten Einzelner ohne Beziehung zur katholischen Kirche insgesamt, gleichsam aus dem sozio-kulturellen Nichts heraus, verstanden werden kann. Die Tatsache, dass katholische Christen für ihre Überzeugungen gegen den Nationalsozialismus ins Gefängnis und den Tod gingen, dafür auch Dissens und Konflikte mit der so genannten Amtskirche in Kauf nahmen, ohne dieser Kirche Zugehörigkeit und Gehorsam zu kündigen, kann begreiflicher werden, wenn diese Widerständigkeit als strukturelle Folge der Prägungen des katholischen Milieus, der durchschnittlich gelebten katholischen Alltagsüberzeugungen im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts insgesamt buchstabiert wird. Diese katholischen Alltagsüberzeugungen und kirchlichen Bindungen galten unausgesprochen auch während der Dauer des Nationalsozialismus für den einfachen Gläubigen gleichermaßen wie für den Ortsbischof oder die Kurie in Rom. Sie verband diese unterschiedlichen Hierarchieebenen und die unterschiedlichen Charaktere in der katholischen Kirche, bei allem Dissens und persönlichen Unzulänglichkeiten oder Vorsichtigkeiten in der Frage, wie dieses christliche Proprium gegen den nationalsozialistischen Angriff verteidigt werden kann. nach oben zurück Home Drucken