[1]Anmerkungen

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Vorwort
Als ich in der Spitalseelsorge meine ersten Erfahrungen machte, waren die meisten Patientinnen und
Patienten, genau wie die Pflegenden entweder katholisch oder reformiert. So wusste man, worauf in
religiösen Dingen zu achten war. Vor etwa 25 Jahren begegnete ich zum ersten Mal einem
buddhistischen Patienten aus Sri Lanka. Das war damals im Landspital, wo ich Krankenbesuche
machte, eine kleine Sensation.
Heute hat sich die Situation geändert. Ich treffe ich in den Spitalzimmern immer wieder Muslime an,
aber auch Aleviten und Hindus. Fast noch mehr trifft dies für meine Kollegen zu, die für die
Gynäkologie und die Geburtsabteilung verantwortlich sind.
Diese Menschen haben ihre Lebensweise, ihre Sitten und Gebräuche, aber auch ihre religiösen
Vorschriften und Vorstellungen mitgebracht. Sie sind damit aufgewachsen, sind davon geprägt, aber
für uns ist vieles noch sehr fremd. Als ich einer praktizierenden Muslima beim Abschied die Hand
geben wollte, wies sie mich darauf hin, dass sie dies eigentlich nicht tun dürfe. Sie tat es dann doch, um
mich nicht im Regen stehen zu lassen. Damals ging mir auf, dass Verhaltensformen, die ich für
allgemeingültig hielt, in einem andern Kulturkreis als unpassend oder unhöflich empfunden werden
können.
Im Spital können wir diesen Fragen nicht ausweichen. Gerade das Pflegepersonal hat einen engen
Kontakt mit den Patientinnen und Patienten. Das führt manchmal in der Pflege von Menschen aus
einem anderen Kulturkreis zu Unsicherheiten. Ein Informationsbedürfnis besteht: Vor gut zwei Jahren
organisierte der Pflegedienst unseres Spitals Vorträge über die wichtigsten Weltreligionen. Der Besuch
dieser Veranstaltungen übertraf die Erwartungen.
Die Publikation von Maria Flühler widmet sich diesem Thema. Sie bietet gute, sorgfältig aufgearbeitete
Informationen. Ihre Stärke liegt aber auch darin, dass sie die Themen besonders behandelt, die für den
Spitalalltag, für die Pflege, aber auch für ärztliche Entscheidungen von Bedeutung sind. Nun ist das
Leben vielfältiger als die Theorie. Genau so wie nicht jeder Katholik im Spital die Krankensalbung
wünscht, sind auch nicht alle Gläubigen anderer Religionen ihrem angestammten Glauben gleich nah.
Mit Recht weist die Autorin deshalb auf die besondere Bedeutung des Gesprächs hin. Aber um die
richtigen Fragen stellen zu können, muss man informiert sein. Dazu bietet die vorliegende Schrift eine
gute Grundlage.
Ich wünsche dieser Arbeit, dass sie in den Spitälern und Krankenpflegeschulen gelesen wird.
Georges Tissot
Spitalseelsorger
Vorwort des Herausgebers
Bei der Informations- und Beratungsstelle Inforel, Information Religion, kommen seit Jahren immer
wieder Anfragen von Pflegenden und von Spitalseelsorgerinnen und Spitalseelsorgern über die Pflege
oder die seelsorgerliche Betreuung von Menschen mit ”fremden” Religionen.
Ich erteilte als Religionswissenschafter und Erwachsenenbildner auch einige Kurse zum Thema ”Islam
in der Krankenpflege”. Bald musste ich aber meine Grenzen erkennen, da sich meine Kenntnisse zur
Krankenpflege auf einen Jahrzehnte zurückliegenden militärischen Krankenpflegekurs von 3 Wochen
beschränken. Deshalb zögerte ich auch, ein Handbuch zu diesem Thema zu verfassen und suchte
Autorinnen und Autoren, die jeweils über eine Religion das entsprechende Kapitel schreiben könnten.
Maria Flühler fragte bei Inforel an, ob ich sie bei ihrer Diplomarbeit mit dem Thema ”Fremde
Religionen in der Pflege” beraten könne. Bei der weiteren Begleitung der Diplomarbeit entwickelte sich
eine fruchtbare Zusammenarbeit. Die an der Akademie für Erwachsenenbildung eingereichte
Diplomarbeit hat ein erfreulich hohes Niveau und ist gut lesbar geschrieben.
Deshalb zögerte ich nicht, die Autorin anzufragen, ob sie interessiert sei, die Arbeit für ein breiteres
Publikum anzupassen, damit ich sie in meinem Kleinverlag herausgeben könne. Diese Arbeit hat Maria
Flühler bereitwillig auf sich genommen.
Von allen vier beschriebenen Religionen standen uns Angehörige und Fachleute zur Verfügung, so dass
das, was wir hier veröffentlichen, auch den Tatsachen entsprechen sollte. Allerdings war es oft die
Quadratur des Kreises, alle Meinungen unter einen Hut zu bringen, so vor allem beim Islam.
Aber was nützt der beste Text, wenn das Geld fehlt? Deshalb machten wir uns auf die Suche nach
Sponsoren. Die folgenden Organisationen leisteten die nötige finanzielle Unterstützung:
 Israelitischer Gemeindebund
 Bundesamtes für Flüchtlingswesen
 Migratio
Gedruckt mit Unterstützung der Berta Hess-Cohn Stiftung, Basel.
Der Autorin, den Unterstützenden sowie allen, die mitgeholfen haben, die vorliegende Publikation zu
ermöglichen, sei hiermit herzlich gedankt.
Christoph Peter Baumann
Einleitung
In der multikulturellen Gesellschaft unserer Zeit leben Menschen mit verschiedensten Religionen in der
Schweiz. Dadurch werden auch Pflegende in ihrem Berufsalltag mit fremden Kulturen konfrontiert.
Dies bezieht sich einerseits auf Sprachprobleme, andererseits auf Lebensgewohnheiten, Hygiene- und
Ernährungsvorschriften, die Religionspraxis, Moral- und Wertvorstellungen. Die Unterschiedlichkeit in
den verschiedenen Kulturen basiert auf den entsprechenden Religionen und dem soziokulturellen
Umfeld. Um einander zu verstehen, braucht es gegenseitige Information über die religiösen und
soziokulturellen Hintergründe. Die Herausgeberinnen und Herausgeber der Handreichung "Muslime im
Spital" beschreiben dies folgendermassen: "Gegenseitige Information ist für die ausländische und die
schweizerische Bevölkerung wichtig, denn das gegenseitige Verstehen ist ein gemeinsamer
Lernprozess." 1 Besonders Pflegende kommen in sehr engen Kontakt mit Menschen. Bei mangelndem
Wissen über die gegenseitigen Moral- und Wertvorstellungen kann es leicht zu Missverständnissen
kommen.
Bei meiner Arbeit als Pflegende werde ich im Kontakt mit andersgläubigen Menschen immer wieder
mit mir fremden Wert- und Moralvorstellungen und Ritualen konfrontiert. Einerseits faszinieren mich
diese sehr, andererseits wirken sie oft auch befremdend, was den Umgang mit den entsprechenden
Patientinnen und Patienten erschweren kann. So begann ich mich schon vor längerer Zeit mit der
Thematik "fremde Religionen in der Pflege" zu beschäftigen. Durch diese Auseinandersetzung entstand
für mich die Möglichkeit, offener auf Menschen aus anderen Kulturen zuzugehen und diese besser zu
verstehen. Je mehr ich von den Wert- und Moralvorstellungen andersgläubiger Menschen wusste, desto
mehr Vorurteile relativierten sich, was sich auch auf meinen Umgang mit Fremden positiv auswirkte.
Dadurch gewann die Thematik für mich noch mehr an Bedeutung, was mein Interesse und meine
Faszination noch verstärkte.
Aus diesem Grund entschied ich mich im Rahmen meiner Diplomarbeit an der Akademie für
Erwachsenenbildung noch vertieft mit der Thematik auseinanderzusetzen. Daraus entstand die
Grundlage für die vorliegende Broschüre.
Ich werde mich auf die vier Religionen Judentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus beschränken, da
diese die meist vertretenen Religionsminderheiten in der Schweiz sind. Innerhalb der einzelnen
Religionen werde ich nur kurz auf die Grundlagen eingehen. Diese sind mir jedoch wichtig, da sie die
Wesensmerkmale veranschaulichen, welche sich in der Pflege von andersgläubigen Menschen als
wichtig erweisen. Zudem werde ich mich den Bereichen Pflegerelevante Themen widmen.
Um die Frage zu klären, welche Bereiche in der Pflege von Bedeutung sind (pflegerelevanten Themen),
nehme ich die in den Neuen Ausbildungsbestimmungen unter Funktion 1 beschriebenen Aktivitäten des
täglichen Lebens (ATL) zu Hilfe.
Aktivitäten des täglichen Lebens 2
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ruhen und schlafen
sich bewegen
sich waschen und kleiden
essen und trinken
ausscheiden
atmen
regulieren der Körpertemperatur
für Sicherheit sorgen
sich beschäftigen - Raum und Zeit gestalten
 kommunizieren
 sich als Mann / Frau fühlen
 Sinn finden / Leben und Sterben
Aktivitäten des täglichen Lebens und ”fremde Religionen in der Pflege”
Folgende ATL's erscheinen mir in Bezug auf die Pflege andersgläubiger Menschen besonders wichtig,
da es dazu in den verschiedenen Religionen sehr unterschiedliche Vorschriften gibt, die sich von jenen
in unserer Kultur oft deutlich unterscheiden:
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
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sich waschen und kleiden
essen und trinken
sich als Mann / Frau fühlen
Sinn finden / Leben und Sterben.
Aufgrund sachlogischer Überlegungen entschied ich mich, die oben erwähnten Bereiche zu unterteilen
und unter folgenden Gesichtspunkten zu bearbeiten:
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Grundhaltung zu Gesundheit, Krankheit und Behinderung
Körperpflege
Kleidung
Nahrungsvorschriften
Geschlechterbeziehung
Rituale
Die ATL's für ”Sicherheit sorgen, sich beschäftigen - Raum und Zeit gestalten und kommunizieren"
werde ich nicht explizit bearbeiten, da sie oft in Zusammenhang mit der Grundhaltung zu Gesundheit
und Krankheit, der Rollenteilung von Frau und Mann und den Ritualen stehen. Auf Besonderheiten
werde ich jedoch bei den entsprechenden Themen eingehen.
Auf die Bearbeitung der restlichen ATL's (ruhen und schlafen, sich bewegen, ausscheiden, atmen und
regulieren der Körpertemperatur) werde ich verzichten. Diese laufen ganz oder teilweise unbewusst ab
und unterliegen daher in den unterschiedlichen Religionen keinen speziellen Vorschriften.
Aufgrund meiner Erfahrungen als Pflegende erachte ich es als sinnvoll, auch darauf einzugehen, wie
Andersgläubige der westlichen Medizin und deren speziellen Massnahmen gegenüberstehen. Dieses
Wissen kann eventuell Klarheit schaffen, warum eine Patientin oder ein Patient eine vorgeschlagene
Therapie verweigert.
Es ist mir ein Anliegen, dass die folgende Abhandlung der obengenannten vier Religionen nicht als
absolut aufgefasst wird. Sie soll nur als Basis für den Umgang mit andersgläubigen Menschen dienen.
Religionen geben zwar gewisse Gesetzmässigkeiten vor, die Religionspraxis wird jedoch sehr
unterschiedlich gelebt. Um diese Vielfalt der Religionspraxis zu veranschaulichen, eignet sich wohl der
eigene Glaube am besten. Gerade aus der eigenen Kultur wissen wir, wie unterschiedlich Wert- und
Moralvorstellungen sein können, obwohl wir aus religiöser Sicht von der gleichen Religion
(Christentum) geprägt wurden. In Bezug auf Andersgläubige ist dabei nicht zu vergessen, dass sie trotz
gleicher Religionszugehörigkeit aus ganz verschiedenen Teilen der Welt stammen können. Das
bedeutet, dass sie soziokulturell sehr unterschiedlich geprägt sein können.
Es ist mir wichtig, dass die folgenden Ausführungen nicht zu einer Schubladisierung der verschiedenen
Religionsangehörigen führen. Vielmehr sollen sie dazu dienen, mit mehr Verständnis und Offenheit auf
andersgläubige Menschen zuzugehen.
Religionen
Judentum
Einleitung zum Kapitel ”Judentum"
Die Kenntnis der besonderen Bedürfnisse des jüdischen Patienten erleichtert einerseits dem
Pflegepersonal die Arbeit und wirkt sich andererseits positiv auf den Heilungs- und Genesungsvorgang
aus. Dabei kann in Anbetracht der individuell verschiedenen Glaubenspraktiken im Judentum nicht von
”dem" jüdischen Patienten oder ”der" jüdischen Patientin schlechthin gesprochen werden. Vielmehr ist
jeder jüdische Patient durch seine eigene Einstellung zur Religion geprägt. Die sich in unterschiedlicher
Weise manifestierende Beachtung der Glaubensgrundsätze darf folglich das Pflegepersonal nicht dazu
verleiten, Vergleiche zwischen einzelnen Patienten anzustellen.
Aus der im Judentum verankerten Pflicht zur Lebensrettung und -erhaltung folgt, dass im Notfall, d.h.
wenn es um die Abwendung einer Lebensgefahr geht, die geltenden Religionsgesetze übertreten werden
dürfen. Dabei muss - neben der individuellen Einstellung des Patienten gegenüber diesen
Religionsgesetzen - stets auch in Betracht gezogen werden, dass das subjektive Empfinden des
Patienten nicht immer mit den objektiven medizinischen Befunden übereinstimmen muss.
Das folgende Kapitel gibt wertvolle Informationen über allgemeine Richtlinien und Vorschriften des
Judentums. Es soll die Arbeit des Pflegepersonals im Umgang mit jüdischen Patienten erleichtern. Die
Pflegenden sind aber gut beraten, sich auch mit den einzelnen Patientinnen und Patienten über deren
besondere Wünsche und Anliegen zu unterhalten. Und wenn Sie mehr über die jüdische Religion
erfahren möchten, dann fragen Sie doch Ihre Patientin oder Ihren Patienten direkt. Sie werden viel
Interessantes über das Judentum erfahren.
Dr. Rolf Halonbrenner
Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund
1.
Grundlagen
Allgemeines
Zum Judentum, welches über die ganze Welt verbreitet ist, bekennen sich ca. 13 Millionen Menschen.
In Israel selbst leben ca. 4 Millionen und in der Schweiz ca. 20'000 Jüdinnen und Juden.
Formen im Judentum
Im Judentum unterscheiden sich die orthodoxen, die traditionalistischen und die liberalen
Glaubensangehörigen. Ihnen gemeinsam ist die Anerkennung der Tora (Lehre), welche Mose von Gott
offenbart wurde. Orthodoxe Jüdinnen und Juden legen die Tora (die fünf Bücher Mose) streng wörtlich
aus. Sie halten sich strikt an die Halacha (das jüdische Gesetz). Die Traditionalistinnen und
Traditionalisten befolgen die Halacha auch. Bei ihnen ist es jedoch erlaubt, Anpassungen an
Neuerungen der Welt vorzunehmen. Im liberalen Judentum steht hingegen nicht die Befolgung der
Halacha absolut im Vordergrund. Liberale Jüdinnen und Juden halten sich nicht so strikt an das jüdische
Gesetz. Die Beziehung des Menschen zu den Mitmenschen und zu Gott steht jedoch für alle Jüdinnen
und Juden im Vordergrund.
Glaubensgrundlagen
Abraham, Isaak und Jakob gelten als die Väter des Judentums. Die jüdischen Menschen glauben an den
einen Gott. Gott gilt als der Schöpfer der Welt und hat den Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen.
Er gilt auch als barmherziger und gerechter Richter. Es ist im Judentum jedoch nicht erlaubt, sich von
Gott ein Bildnis zu machen. ”Im Mittelpunkt der jüdischen Religion steht der Glaube an den einen und
einzigen, heiligen und ewigen Gott, der sein Volk Israel «aus dem Land Ägypten, aus dem Haus der
Dienstbarkeit» geführt hat. Er hat Israel unter den übrigen Völkern «erwählt» und mit ihm einen Bund
bis ans Ende aller Tage geschlossen, damit Israel die Tora erfüllt." 3
Mose ist der Überbringer der Tora.
Mose
Die Funktion des Mose wird unterschiedlich gedeutet. Er wird als Religionsstifter, Volksgründer,
Reformator und Gesetzgeber angesehen. Er hat um ca. 1225 vor Christus gelebt. Er soll als Säugling
ausgesetzt und von der Tochter des damaligen Pharao gefunden und erzogen worden sein. Gott habe ihn
beauftragt, das Volk Israel (Volk Gottes) aus Ägypten zu befreien. Nach dem Auszug aus Ägypten
offenbarte ihm Gott am Berg Sinai die Zehn Gebote.
Die Zehn Gebote 4
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
Ich bin Dein Gott, der Dich aus Ägypten geführt hat.
Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.
Du sollst den Namen, deines Gottes, nicht missbrauchen.
Denk an den Sabbat; halte ihn heilig.
Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das dein Gott dir gibt.
Du sollst nicht morden.
Du sollst nicht die Ehe brechen.
Du sollst nicht stehlen.
Du sollst nicht falsch Zeugnis gegen einen anderen aussagen.
10. Du sollst nicht die Frau eines anderen begehren. Du sollst nicht das Haus eines anderen begehren,
seinen Sklaven oder seine Sklavin, sein Rind oder seinen Esel oder irgendetwas, was dem anderen
gehört.
Die heiligen Schriften
Im Judentum hat die Tora eine zentrale Bedeutung. Sie gilt als das Wort Gottes. In ihr ist unter anderem
die Unterscheidung von rein und unrein beschrieben und sie enthält auch die Einzelbestimmungen,
welche in 248 Gebote des Tuns und 365 Gebote des Nichttuns unterteilt werden. Nebst der Tora
gehören auch Nebiim (frühere und spätere Propheten) und Ketubim (Schriften) zur hebräischen Bibel.
Sie entspricht im christlichen Kulturkreis dem Alten Testament, unterscheidet sich jedoch von diesem
zum Teil stark. Eine weitere wichtige Schrift ist der Talmud (Lernen, Lehre). Er ist das nachbiblische
Hauptwerk des Judentums, und wurde primär mündlich überliefert. Die mündliche Überlieferung der
Gebote und Gesetze wurde später von jüdischen Gesetzeslehrern schriftlich verfasst. Der Talmud
enthält die Halacha (das jüdische Gesetz und somit auch die Regeln des Zivilrechts). Darin sind auch
die 13 Glaubensgrundsätze beschrieben.
Die 13 Glaubensgrundsätze 5
1. Das Dasein des Schöpfers
2. Die Einheit Gottes
3. Die Verneinung der Körperlichkeit Gottes
4. Die Anfangslosigkeit Gottes
5. Gottes Dienst und seine Verherrlichung
6. Die Prophetie
7. Die Prophetie Moses
8. Die Tora wurde am Sinai gegeben
9. Die ewige Gültigkeit der Tora
10. Gottes Kenntnis und Beachtung der Menschlichen Werke
11. Gottes Belohnung und Bestrafung
12. Die messianische Zeit
Das Wiederaufleben der Toten
Glaubenspraxis
Die Glaubenspraxis im Judentum beschränkt sich nicht aufs Gebet, sondern ist vielmehr eine Einheit
von Geboten des Tuns, Geboten des Nichttuns und rituellen Handlungen, die im täglichen Leben eine
Rolle spielen. Ich werde im Abschnitt ”pflegerelevante Themen” zum Teil Bereiche erläutern, mit
welchen das Pflegepersonal konfrontiert werden könnte.
Im Judentum besteht die Überzeugung, dass jeder Mensch eine direkte Verbindung zu Gott hat. Es ist
also nicht nötig, einen ”Geistlichen” beizuziehen, um mit Gott in Kontakt zu kommen.
Sabbat
Der Sabbat ist für jüdische Menschen der Höhepunkt der Woche. Er beginnt am Freitag vor
Sonnenuntergang und endet am Samstag eine Stunde nach Sonnenuntergang. Er gilt als Erinnerung an
die Schöpfung und an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. In der Schöpfungsgeschichte hat sich
Gott am 7. Tag ausgeruht. Als ”Zeichen des Bundes” tun dies Jüdinnen und Juden auch und arbeiten am
Sabbat nicht. In der Tora liegt die Basis, aufgrund dieser, schöpferische Tätigkeiten am Sabbat nicht
ausgeführt werden dürfen. Orthodoxe jüdische Menschen halten sich sehr streng an diese Gebote.
Grundsätzlich kann gesagt werden, dass am Sabbat in der Umwelt nichts verändert werden soll. Es darf
zum Beispiel kein Feuer gemacht werden. Da Elektrizität auch im Sinn von Feuer definiert wird,
bedeutet dies, dass z.B. kein Licht gemacht oder nicht gekocht werden darf. Orthodoxe Jüdinnen und
Juden bereiten sich dementsprechend auf den Sabbat vor und haben Timer und spezielle Schaltuhren
installiert. Diese können vor dem Sabbat so programmiert werden, dass zum Beispiel die Heizung oder
das Licht zur rechten Zeit ein- und ausgeschaltet wird.
2. Pflegerelevante Themen
Gesundheit, Krankheit und Behinderung
Gesundheit, Krankheit und Behinderung werden im Judentum als von Gott gegeben verstanden.
Krankheit und Behinderung gelten als Herausforderung. Der Körper gilt als Geschenk, welcher gehegt
und gepflegt werden soll. Die vielen Hygiene- und Speisevorschriften werden als Massnahmnen zur
Gesundheitserhaltung verstanden. Das Leben gilt als unendlich wertvoll. Deshalb muss alles
unternommen werden, um Leben zu erhalten. So sind bei schwerer Krankheit alle religiösen
Vorschriften zweitrangig. Die Pflicht der Lebenserhaltung steht an oberster Stelle.
Leiden und Schmerz wird von vielen jüdischen Menschen als Teil des Lebens akzeptiert. Daher kann es
in sehr seltenen Fällen vorkommen, dass jüdische Patientinnen und Patienten auf Schmerzmedikamente
verzichten wollen. Dies steht jedoch auch im Zusammenhang damit, dass sie davor Angst haben, durch
die Medikamente ihre geistige Präsenz zu verlieren. Pflegende können solche Menschen unterstützen,
indem sie sich dafür einsetzen, dass ihnen nicht zentralwirkende Schmerzmedikamente verordnet und
verabreicht werden. Jüdinnen, welche ich befragte, vertraten jedoch die Meinung, dass die ablehnende
Haltung gegenüber Schmerzmedikamenten nur noch vereinzelt anzutreffen sei.
Der Krankenbesuch gilt als Liebesdienst und ist eine religiöse Pflicht. Dabei besteht die Vorschrift, die
Kranken zu ermutigen. Das kann unter Umständen auch beinhalten, dass den Kranken nicht die volle
Wahrheit über deren Gesundheitszustand anvertraut wird. Für Pflegende kann es schwierig sein, dies zu
verstehen. Trotzdem ist es wichtig, dieses Verhalten nicht als Unehrlichkeit der Angehörigen zu
verurteilen, sondern als Ausdruck der Ermutigung zu akzeptieren. Den Jüdinnen, mit welchen ich im
Rahmen dieser Arbeit gesprochen habe, ist es sehr wichtig, auch ausserhalb der Besuchszeiten ihre
Angehörigen bei sich zu haben.
Körperpflege
Im Judentum wird Reinheit nicht nur als Sauberkeit verstanden, sondern hat auch eine rituelle
Bedeutung. Vor dem Gebet und dem Essen werden jeweils die Hände mit Wasser übergossen, um
rituell rein zu sein. Bettlägerige Patientinnen und Patienten werden dankbar sein, wenn ihnen dazu ein
Krug Wasser und ein leeres Becken gereicht wird.
Eine Frau gilt während und bis sieben Tage nach ihrer Menstruation als rituell unrein. Um wieder rituell
rein zu werden, nimmt sie am 7. Tag nach dem Ende der Menstruation ein Bad in einem ”lebenden
Gewässer”. Während dem Bad soll die Frau dreimal mit dem ganzen Körper untertauchen. Dieses Bad
wird Mikweh genannt. Orthodoxen und traditionalistischen Frauen ist es ein grosses Bedürfnis, die
Mikweh durchführen zu können, denn wenn sie es nicht tun können, gelten sie weiterhin als rituell
unrein. Eine liberale Jüdin äusserte mir gegenüber, dass dies in ihren Kreisen nicht üblich sei.
Ansonsten hebt sich die tägliche Körperpflege nicht bedeutend von jener unserer Kultur ab.
Kleidung
Orthodoxe Jüdinnen und Juden befolgen genaue Kleidervorschriften. Männer und Knaben tragen oft
einen schwarzen Anzug und immer eine Kopfbedeckung. Männer tragen meistens einen Bart und zum
Teil beidseitig des Gesichts eine längere Locke. Manche tragen unter ihrem Anzug einen kleinen
Gebetsmantel auf sich. Dies ist ein viereckiges Tuch mit Fäden (Zizit) und Knöpfen, welches in der
Mitte eine Öffnung für den Kopf hat. Die Zizit soll an die Gebote Gottes erinnern. Der kleine
Gebetsmantel wird den ganzen Tag und auch am Sabbat getragen.
Um ihre Reize zu verbergen, tragen orthodoxe Frauen in der Öffentlichkeit lange Röcke,
hochgeschlossene Blusen und oft eine Perücke, um das Haar zu bedecken.
Die Kleidungsvorschriften werden zum Teil auch von den konservativen und liberalen Jüdinnen und
Juden befolgt, jedoch gibt es bei der Einhaltung dieser Vorschriften die verschiedensten Abstufungen.
Vielen Jüdinnen und Juden ist es jedenfalls ein Bedürfnis, die Kopfbedeckung wenn immer möglich zu
tragen, was im Spitalalltag berücksichtigt und akzeptiert werden sollte.
Speisevorschriften
Im Judentum werden die Speisevorschriften aus dem Talmud abgeleitet. Tiere werden in essbare und
nicht-essbare unterteilt. Fische mit Schuppen und Flossen, Geflügel und Wiederkäuer mit gespaltenen
Hufen gelten als rein. Die Kuh gilt somit als essbar, das Schwein als nicht-essbar. Zum andern müssen
die Tiere aber auch rituell geschlachtet (geschächtet) werden. Beim Schächten wird dem Tier mit einem
sehr scharfen Messer der Hals durchgeschnitten, damit es danach ausbluten kann. Zusätzlich muss dem
Fleisch ein Teil des Fetts, der Sehnen und Adern entfernt werden. Danach muss es gewaschen und
gesalzen werden, damit es von Blut befreit und koscher (rein) wird.
Ausserdem soll "Milchiges" von "Fleischigem" getrennt werden. Dies bezieht sich sowohl auf die
Zubereitung als auch auf den Genuss. Das bedeutet konkret, dass Speisen, welche Milchprodukte
enthalten, nicht mit Fleisch in Kontakt kommen dürfen und umgekehrt. Dies bezieht sich auch auf das
Geschirr, in welchem die Mahlzeiten zubereitet und angerichtet werden. Daher ist es in vielen jüdischen
Haushalten üblich, dass Pfannen, Geschirr und Besteck für "Fleischiges" und für "Milchiges" unterteilt
und entsprechend verwendet werden. Auch sollte nach dem Genuss von Milchprodukten eine gewisse
Zeit eingehalten werden, bevor wieder Fleisch zu sich genommen wird und umgekehrt. Die Dauer, wie
gross der zeitliche Abstand sein soll, wird unterschiedlich gehandhabt und beträgt eine, drei oder sechs
Stunden. Für die meisten Jüdinnen und Juden in der Schweiz, welche sich an die Speisevorschriften
halten, gilt die Regel, eine Pause von 3 oder 6 Stunden zwischen ”Fleischigem” und "Milchigem"
einzuhalten.
Nur schon diese grobe Darstellung zeigt, dass es für Spitäler in nichtjüdischen Ländern unmöglich ist,
diese Regelungen einzuhalten. Daher empfiehlt es sich, mit jüdischen Patientinnen und Patienten schon
beim Spitaleintritt abzusprechen, wie sie sich während dem Spitalaufenthalt ernähren möchten. In
Grossspitälern besteht vereinzelt die Möglichkeit, koscheres Essen zu bestellen. Dieses wird dann von
einem jüdischen Restaurant geliefert und sollte jeweils ungeöffnet serviert werden. Falls die
Möglichkeit zur Bestellung von koscherem Essen nicht besteht, und sofern es vom Krankheitsbild
erlaubt ist, kann vereinbart werden, dass sich die Patientin oder der Patient von zu Hause verköstigen
lässt.
Es darf aber nicht vergessen werden, dass es auch viele Jüdinnen und Juden gibt, welche sich nicht so
strikt an die Speisevorschriften halten. Es gibt solche, die nur auf den Genuss von Schweinefleisch
verzichten.
Geschlechterbeziehung
Grundsätzlich kann gesagt werden, dass streng gläubige orthodoxe Jüdinnen und Juden den Kontakt, im
Speziellen den Körperkontakt, mit dem anderen Geschlecht vermeiden. Davon ausgenommen sind
natürlich die Ehepaare. Es ist daher auch nicht üblich, dass sich Frau und Mann zur Begrüssung die
Hand geben. Daraus können leicht Missverständnisse entstehen. Es ist wichtig, dass Pflegende dies
nicht als Arroganz verstehen, sondern vielmehr als übliche Umgangsform akzeptieren. Jüdinnen und
Juden verstehen dieses Verhalten als Respekt und Anstand dem anderen Geschlecht gegenüber. Deshalb
ist es für sie von zentraler Bedeutung, dass sie, wenn irgendwie möglich, von gleichgeschlechtlichen
Pflegenden betreut werden.
Wie schon erwähnt gilt die Frau während und 7 Tage nach ihrer Menstruation als unrein, und deshalb
wird während dieser Zeit auch der Körperkontakt zwischen den Eheleuten vermieden.
Sabbatsgebote
Orthodoxen Gläubigen ist es am Sabbat nicht erlaubt, Elektrizität zu betätigen. Für Pflegende ist es
wichtig, daran zu denken, dass diese Patientinnen und Patienten am Sabbat nur im äussersten Notfall
die Rufanlage (Glocke) betätigen. Es ist daher angebracht, am Sabbat öfters bei ihnen vorbeizuschauen
oder ihnen allenfalls Licht zu machen. In Notsituationen ist es jedoch erlaubt, die Sabbatsgebote zu
brechen, da die Erhaltung des Lebens oberstes Gebot ist.
Der Sabbat ist ein sehr wichtiger Tag für das Familienleben. Daher ist auch der Krankenbesuch an
diesem Tag von grosser Bedeutung. Wenn irgendwie möglich werden die Angehörigen zu Fuss
kommen, da sie am Sabbat auch keine Verkehrsmittel benutzen sollen. Auch werden sie es zu
vermeiden versuchen, durch eine Türe in ein Gebäude zu gelangen, deren Öffnung elektronisch
gesteuert ist.
3. Rituale
Gebet
Orthodoxe und konservative Jüdinnen und Juden beten mehrmals täglich. Vor dem Gebet unterziehen
sie sich einer rituellen Waschung. Dabei übergiessen sie die Hände mit fliessendem Wasser. Es wird in
der Synagoge (Ort der Versammlung) oder zu Hause gebetet. Männer beten am Morgen nach
Sonnenaufgang, am Nachmittag und nach Sonnenuntergang. Die Gebete der Frauen sind nicht an eine
Zeit gebunden. Oft wird auch vor dem Essen und vor dem Schlafen gebetet. Die Gebete werden
normalerweise auf hebräisch gesprochen. Die jüdischen Männer, welche der orthodoxen und
konservativen Richtung angehören, benutzen für das Gebet rituelle Symbole. Dazu gehören die Tefillin
(Gebetsriemen) und der Gebetsmantel.
Die Tefillin bestehen aus Lederriemen und zwei Lederbehältern, welche biblische Verse enthalten. Sie
werden zum Morgengebet und zum Mittagsgebet an die Stirn und den linken Arm (Linkshänder an den
rechten Arm) gebunden. Sie dienen als Erinnerung an das Göttliche. Am Sabbat werden die Tefillin
nicht angezogen, da dieser Tag per se schon heilig ist.
Die liberalen Jüdinnen und Juden fühlen sich auch in der Gebetspraxis weniger an diese Vorschriften
gebunden.
Geburt und Beschneidung
Da während und nach der Geburt Blut fliesst, gilt die Frau als rituell unrein. Daher kann es vorkommen,
dass ein orthodoxes Paar während dieser Zeit Körperkontakt vermeidet. Für Pflegende aus unserer
Kultur ist dies oft sehr ungewohnt. Es ist deshalb wichtig zu wissen, dass dies auf keinen Fall Ausdruck
allgemeiner Distanz oder sogar Streit bedeutet. Für orthodoxe Jüdinnen und Juden ist dieses Verhalten
selbstverständlich und stellt somit weder für die Frau noch für den Mann ein Problem dar.
Am 8. Tag nach der Geburt eines Knaben findet die Beschneidung statt. Dadurch wird der Neugeborene
in den Bund Abrahams aufgenommen. Damit verbunden ist auch die Namensgebung. Es ist absolut
zwingend, dass der Knabe gesund ist, sonst wird die Zeremonie verschoben. Bei der Beschneidung wird
dem Knaben vom "Beschneider" (Mohel) die Vorhaut des Penis entfernt. Danach wird ein Fest gefeiert.
Mädchen werden im Judentum nicht beschnitten.
Eine Jüdin wies mich darauf hin, dass es im Rahmen der Gleichberechtigung seit einiger Zeit in
liberalen Kreisen üblich ist, am 8. Tag auch für Mädchen das Fest der Namensgebung zu feiern.
Sterben und Tod
Jüdische Menschen verstehen das Sterben als Transfer des Lebens in dieser Welt in eine andere Welt.
Sie glauben an die Auferstehung nach dem Tod und an die Unsterblichkeit der Seele.
Liegt ein jüdischer Mensch im Sterben, ist es wichtig, die Angehörigen und allenfalls einen Rabbiner zu
rufen. Im Judentum besteht die Auffassung, dass Sterbende nicht alleine gelassen werden sollen. Mit
ihnen wird gebetet, eventuell gesungen, und es wird dem Sterbenden auch Zeit gelassen für die stille
Beichte. Im Judentum ist es von grosser Wichtigkeit, am Sterbenden keine pflegerischen Massnahmen
vorzunehmen, wenn sie nicht unbedingt nötig sind. Manchmal wird auch die Auffassung vertreten, dass
Sterbende überhaupt nicht berührt werden sollten. Auch wird es vermieden, bei Sterbenden laut zu
trauern. Dadurch soll sich der Mensch in Ruhe von der hiesigen Welt lösen können. Zum Teil ist es
üblich, bei schwerkranken Menschen Kerzen anzuzünden.
Nachdem der Tod eingetreten ist, soll nach jüdischer Tradition ca. 3/4 Stunden nichts an den
Verstorbenen gemacht werden. Die Augen der Verstorbenen sollen von den Angehörigen geschlossen
werden. Danach werden 2 Kerzen angezündet. Es wird gebetet, der Leichnam gewaschen und mit
einem Leinen- oder Baumwollanzug bekleidet. Der letzte Dienst der rituellen Waschung gilt im
Judentum als religiöse Pflicht und wichtiger Liebesdienst dem toten Menschen gegenüber. Die
Waschung wird normalerweise von Mitgliedern der heiligen Bruderschaft durchgeführt. Zum Teil
werden die Toten mit den Füssen in Richtung Osten auf den Boden gelegt. Vereinzelt zerreissen sich
die Angehörigen als Ausdruck der Trauer ein Kleidungsstück.
Falls ein Mensch am Sabbat stirbt, sollte der jüdischen Tradition gemäss nichts am Verstorbenen
gemacht werden. In unserer Spitalkultur ist es jedoch normalerweise unmöglich, diesem Wunsch
nachzukommen.
Im Judentum werden Verstorbene so schnell wie möglich bestattet. Meist geschieht dies bereits am
nächsten Tag. Für orthodoxe und konservative Juden ist es undenkbar, sich einäschern zu lassen. Falls
möglich, soll die Bestattung noch am Todestag selbst erfolgen. In der Schweiz ist dies zum Teil
innerhalb weniger Stunden möglich.
Strenggläubige Jüdinnen und Juden bleiben nach dem Tode Angehöriger 7 Tage zu Hause. Während
dieser Zeit verrichten sie nur die nötigste Körperpflege. Frauen schminken und Männer rasieren sich
nicht. Während dieser Zeit werden sie von Mitgläubigen besucht, die damit ihre Anteilnahme kundtun,
die Trauernden trösten und unterstützen.
4. Haltung gegenüber der modernen westlichen Medizin
Allgemein
Die Pflicht der Lebenserhaltung steht im Judentum an erster Stelle. In diesem Sinne hat das Judentum
eine sehr positive Einstellung zur modernen Medizin. Einige der renommiertesten amerikanischen
Kliniken wurden von wohlhabenden Juden gegründet und finanziell unterstützt.
Aufgrund der Pflicht zur Lebenserhaltung ist es im Judentum undenkbar, eine Therapie abzubrechen.
Einen schwerkranken Menschen nicht mehr zu ernähren oder ihm sogar keine Flüssigkeit mehr
zuzuführen, widerspricht dem Verständnis der Erfüllung dieser Pflicht. Weiter besteht die Ansicht, dass
auch bei sterbenden Menschen Antibiotikaverabreichung auf keinen Fall unterlassen werden darf.
Um der Pflicht der Lebenserhaltung nachzukommen, dürfen andere Gebote verletzt werden. Dies heisst
konkret, dass z.B. die Sabbatsgebote im Falle einer Lebensbedrohung nicht eingehalten werden müssen.
Dies gilt jedoch primär nur für die Kranken. Ihre Angehörigen, die sie im Spital besuchen kommen,
werden am Sabbat sehr wohl darauf bedacht sein, die Gebote einzuhalten.
Auch da gibt es sehr unterschiedliche Stufungen, wie konsequent dies praktiziert wird.
Familienplanung
Sexueller Verkehr ist nur mit dem Ehepartner resp. der Ehepartnerin erlaubt. Es ist die Aufgabe des
Paares, Kinder zu zeugen. Bei Gefährdung der Gesundheit oder des Lebens der Frau durch eine
Schwangerschaft ist Empfängnisverhütung erlaubt. Die Empfängnisverhütung wird als Aufgabe der
Frau betrachtet. Orale und intravaginale Verhütungsmittel sind erlaubt.
Die künstliche Befruchtung wird im Judentum befürwortet.
Falls eine Schwangerschaft das Leben der Mutter, ihre physische oder psychische Gesundheit bedroht,
ist ein Schwangerschaftsabbruch erlaubt. Mitunter wird auch ein Schwangerschaftsabbruch
gutgeheissen, wenn ein Ungeborenes eine schwere Behinderung haben würde. 6 Orthodoxe und
traditionalistische Jüdinnen werden sich jedoch bei Fragen eines Schwangerschaftsabbruches stets mit
einem Rabbiner beraten wollen.
Organtransplantation und Bluttransfusion
Die Meinungen bezüglich Organtransplantation sind unterschiedlich. Die orthodoxe Lehre vertritt eher
die Ansicht, dass der Tod akzeptiert werden müsse und der Leichnam nicht beschädigt werden dürfe. In
der liberalen Lehre wird die Organtransplantation mit dem Ziel der Lebenserhaltung eines anderen
Menschen befürwortet. Die Transplantation einer Bioprothese vom Schwein (z.B. Herzklappe) ist für
jüdische Menschen unproblematisch, da sich die Unreinheit des Schweins nur aufs Essen bezieht.
Bluttransfusionen sind im Judentum erlaubt. 7
Euthanasie, Suizid und Autopsie
Da die Pflicht der Lebenserhaltung an oberster Stelle steht, werden Euthanasie und Suizid im Judentum
abgelehnt.
Für orthodoxe und konservative jüdische Menschen bedeutet die Autopsie eine Entweihung der Toten.
Daher darf sie nur aus gerichtsmedizinischen Gründen durchgeführt werden. 8 Es empfiehlt sich, in
solchen Fällen einen Rabbiner als Mittler zuzuziehen.
5. Eintrittsgespräch
Das Eintrittsgespräch soll, wenn immer möglich, von einer gleichgeschlechtlichen Person durchgeführt
werden. Dabei sollten folgende Punkte geklärt werden:
 Ernährung
 Bedürfnisse bezüglich Kleidung
 Bedürfnisse bezüglich Gebetspraxis
 Krankenbesuch und Besuchszeiten
 Bedürfnisse, welche aufgrund der Sabbatsgebote entstehen
Islam
1. Grundlagen
Überblick
Der Islam ist eine Offenbarungsreligion wie auch das Juden- und Christentum.
Auf der Welt leben über eine Milliarde Menschen islamischen Glaubens. Man nennt sie Muslimas und
Muslime. In der westlichen Welt ist die Bezeichnung "Mohammedaner" geläufiger. Sie selbst
vermeiden jedoch diese Bezeichnung. Sie leben zum grössten Teil in nordafrikanischen und arabischen
Staaten, in Indonesien, Südosteuropa, Zentral- und Südafrika, asiatischen Ländern, der ehemaligen
Sowjetunion und in China. Aber auch in der westlichen Welt gibt es viele Muslime. In der Schweiz
leben ca. 200'000 Muslimas und Muslime. Die meisten stammen aus der Türkei und aus ExJugoslawien. Daher werde ich auf diese Gruppen noch speziell eingehen.
Innerhalb des Islams gibt es 2 Hauptrichtungen: die Sunna (ca. 85-90%) und die Schiia (ca. 10-15%).
Ihnen gemeinsam ist die Anerkennung der Scharia (islamisches Gesetz). Die Sunniten kennen zwei
Quellen des Islamischen Wissens, den Koran und die Sunna. Die schiitische Lehre befolgt hingegen
drei Quellen: den Koran, die Sunna und die des Imam (religiöses Oberhaupt). Bei den Schiiten wird der
Imam (Führer) als fehlerlos bezeichnet und daher als die einzige Autorität zur Interpretation des Korans
und der Sunna anerkannt. Im Unterschied dazu wird bei den Sunniten der Vorbeter Imam genannt. Er
hat jedoch nur in diesem Sinne eine Führungsfunktion. Die Schiiten leben vorwiegend in Iran, Irak und
Afghanistan.
Eine weitere Gruppe sind die Alevi. Die Alevitinnen und Aleviten leben vorwiegend in der Türkei und
zum Teil in Albanien. "Aleviten bekennen sich zu Humanität und Demokratie. (...) Von den Sunniten,
der Mehrheit der Anhänger des Islam, unterscheiden sie sich vor allem durch die Ablehnung der
Scharia, des islamischen Gesetzes und jedes Dogmatismus." 9 Die Alevitinnen und Aleviten halten sich
nicht an das Pflichtgebet und das Fasten im Monat Ramadan. Zudem ist es auch nicht üblich, dass
alevitische Frauen ein Kopftuch tragen. Daher treffen die folgenden Ausführungen nur zum Teil auf
Alevitinnen und Aleviten zu.
Islam in der Türkei
Im Rahmen der Gründung der türkischen Republik wurde das Land laizistisch und damit der Islam als
Staatsreligion abgeschafft. Daher wurden islamische Gesetzesbücher durch europäische ersetzt. Es
wurde vom Mondkalender auf den Gregorianischen Kalender gewechselt, die arabische Schrift von der
lateinischen abgelöst und der Sonntag anstelle des Freitags als Feiertag eingeführt. Seit Mitte dieses
Jahrhunderts ist in der Türkei jedoch wieder eine Re-Islamisierung zu beobachten.
80% der türkischen Muslimas und Muslime sind sunnitisch. 15 - 20 % sind alevitisch. Unter den in der
Schweiz lebenden Türkinnen und Türken sind die Alevitinnen und Aleviten verhältnismässig stark
vertreten. In ihrer Heimat werden sie immer wieder diskriminiert. Sunnitinnen und Sunniten nehmen
ihnen gegenüber oft eine ablehnende Haltung ein. Das könnte sich durchaus auch im Spital zeigen,
wenn türkische Sunniten und Aleviten im gleichen Zimmer untergebracht sind. Das heisst für das
Pflegepersonal, dass das Zusammenlegen von zwei türkischsprachigen Menschen u. U. mit Problemen
verbunden sein könnte.
Islam in den Balkanstaaten
Der Islam ist in den Balkanstaaten eine Minderheitsreligion und deren Angehörige werden in ihrer
politischen und kulturellen Identität oft eingeschränkt. Er ist vor allem in Bosnien und in Albanien
verbreitet.
Smail Balic schreibt dazu: "Der Islam in den Balkanstaaten hat zum Teil eine lange Erfahrung im
Umgang mit den europäischen Wertvorstellungen. Seine Anhänger sind weitgehend säkularisiert
Hauptpunkte: Die sechs Prinzipien
Die Hauptpunkte des Islam sind die sechs Prinzipien: 10
1. Glaube an Gott
Zentral ist der Glaube an Gott, arabisch Allah, und die Ansicht, dass es keinen anderen Gott gibt ausser
Allah (Glaubensbekenntnis). Er gilt als Schöpfer aller Dinge und als allmächtiger Lenker des
Universums. Alles ist seinem Willen unterworfen. Er ist barmherzig und weise. Er gleicht keinem
seiner Geschöpfe, ist gestaltlos und an keinen Ort gebunden.
2. Glaube an Engel
Engel werden als von Gott aus Licht erschaffene, gestaltlose Geisterwesen verstanden. Sie gelten als die
Botschaftsüberbringer von Gott an die Propheten.
3. Glaube an die geoffenbarten Bücher
Die heilige Schrift des Islam ist der Koran. Er beinhaltet die Offenbarungen, welche Mohammed vom
Engel Gabriel erhalten hat. Der Koran gilt als das authentische Gotteswort und ist in diesem Sinne
Grundlage der islamischen Glaubens- und Lebensweise. Er macht Angaben über verbindliche Normen,
welche das persönliche und das Gemeinschaftsleben regeln. Nach dem Koran gelten aber auch andere
geoffenbarte Schriften wie zum Beispiel Tora und Evangelium.
Die Sunna ist keine offenbarte Schrift, sondern sie enthält Aussprüche und Verhaltensweisen der
Propheten und dient als praktisches Beispiel des gelebten Wort Gottes.
4. Glaube an die Gesandten Gottes
Dies beinhaltet den Glauben an Auserwählte, welche von Gott mit besonderen Botschaften beauftragt
wurden. Adam ist im islamischen Glauben der erste Prophet, welcher die Lehre Allahs verbreitete.
Daher beginnt für Muslimas und Muslime die islamische Lehre nicht mit der Geburt Mohammeds,
sondern mit dem Beginn der Menschheit. Einige biblische Propheten sind auch im Koran erwähnt.
Abraham gilt als Stifter der Ka'aba (Heiligtum in Mekka). Von Bedeutung sind auch Moses, David und
Jesus, deren Offenbarungen schriftlich festgehalten sind. Der letzte Prophet ist Mohammed.
Mohammed wurde um das Jahr 570 n. Chr. in Mekka geboren. Als Vollwaise wurde er von seinem
Grossvater und seinem Onkel erzogen. Er wurde Geschäftsführer bei einer Kaufmannswitwe, die er
später heiratete. Mit ihr hatte er 6 Kinder. Mit 40 Jahren hatte er in einer Höhle bei Mekka eine Vision.
Dabei erschien ihm der Engel Gabriel und offenbarte ihm fünf Verse des Korans. Danach erhielt er
regelmässig Offenbarungen und begann diese zu predigen. Aufgrund zunehmender Verfolgung durch
die Mekkaner wanderte er 622 n. Chr. mit einigen Gefolgsleuten nach Medina aus. Diese
Auswanderung wird Hidschra genannt und gilt als Anfang der Islamischen Zeitrechnung (6. Juli 622 n.
Chr.)
Im Jahre 630 n. Chr. kehrte Mohammed mit seinen Anhängern zurück und eroberte Mekka. Er befreite
das Heiligtum Ka'aba von Götzen. Seither gilt die Ka'aba als räumliche Orientierung zur
Gebetsverrichtung. Mohammed war nicht nur Verkünder der religiösen Ordnung, sondern galt auch als
Vollstrecker der göttlichen Befehle im sozialen und politischen Leben. Daher ist es im Islam nicht
möglich, Weltliches von Geistlichem zu trennen.
Nachdem Mohammed im 10. Jahr muslimischer Zeitrechnung noch einmal zur Ka'aba gepilgert war,
erkrankte er schwer und starb am 8. Juni 632 n. Chr..
5. Glaube an den Jüngsten Tag
Darunter wird der Glaube an das jüngste Gericht verstanden. Bei diesem werden die Menschen für die
guten Taten mit dem Paradies belohnt, für die schlechten mit den Qualen des ewigen Höllenfeuers
bestraft.
6. Glaube an die göttliche Vorherbestimmung
”Gott lässt es zu, dass neben dem von ihm geschaffenen Guten auch Böses existiert. Unglück und
Krankheit sind manchmal Prüfungen. Ein Muslim kann in solchen Situationen sein unbedingtes
Gottvertrauen unter Beweis stellen." 11 Trotz dem Glauben an die Vorherbestimmung hat der Mensch
einen freien Willen und seine Entscheidungskraft, welche er vor dem Jüngsten Gericht zu verantworten
hat.
Glaubenspraxis
Die Glaubensgrundsätze des Islam werden auch als die fünf Säulen bezeichnet. Sie basieren auf dem
Koran: 12
1. Säule: das Glaubensbekenntnis (Schahada)
In der Schahada wird bezeugt, dass es keinen anderen Gott gibt ausser Allah, und dass Mohammed der
Gesandte Allahs ist.
2. Säule: die fünf täglichen Pflichtgebete (Salat)
Das rituelle Gebet hat eine zentrale Bedeutung und es muss fünfmal täglich durchgeführt werden.
3. Säule: das Fasten im Monat Ramadan (Siyam)
Im neunten Monat des Islamischen Kalenders, dem Monat Ramadan, gilt die Vorschrift, von Anbruch
der Dämmerung bis zum Sonnenuntergang zu fasten. Dies beinhaltet einerseits Verzicht auf Essen und
Trinken, andererseits auch Enthaltsamkeit bezüglich Rauchen und Geschlechtsverkehr. Kinder, Kranke,
Behinderte, Schwangere, stillende und menstruierende Frauen sind von der Fastenpflicht enthoben.
Kann eine Person aus irgendeinem Grund nicht fasten, sollte dies sobald als möglich nachgeholt
werden.
Der Ramadan ist nach unserem Kalender (Sonnenjahr) jährlich um etwa 11 Tage früher, da sich der
Islamische Kalender nach dem Mondjahr (etwa 354 Tage) richtet.
Es besteht zum Teil auch die Auffassung, dass während der Fastenzeit von Anbruch der Dämmerung
bis nach Sonnenuntergang keine Medikamente und Infusionen zu sich genommen werden sollen. In
solchen Situationen ist es unumgänglich, die Patientinnen und Patienten über die gesundheitlichen
Konsequenzen zu informieren. Es sollte in diesem Fall jedoch ein Verzichtschein erstellt werden,
welcher von der Patientin oder dem Patienten unterschrieben werden muss. Am Ende des Ramadans
wird das Fest des Fastenbrechens gefeiert.
4. Säule: jährliche Sozialabgabe (Zakat)
Die jährliche Sozialabgabe Zakat ist eine religiöse Pflicht. Sie wird entrichtet, wenn der Besitz einen
bestimmten Mindestbetrag überschreitet. Zakat ist von der freiwilligen Sadaqa (Almosen) zu
unterscheiden. Sadaqa ist zwar empfohlen, kann aber von den Gläubigen nach Gutdünken entrichtet
werden.
5. Säule: die Wallfahrt nach Mekka (Hadsch)
Wenn irgendwie möglich sollen alle Glaubensangehörigen einmal im Leben nach Mekka zur Ka'aba
pilgern.
2. Pflegerelevante Themen
Gesundheit, Krankheit und Behinderung
Allah gilt als Schöpfer und Lenker aller Dinge. Krankheit, Leiden und Behinderung gelten nicht als
Strafe, sondern werden als Prüfung Gottes angesehen. Aufgrund kultureller Einflüsse kann Krankheit
jedoch sehr unterschiedlich erlebt werden.
Als Lenker ist Gott derjenige, der heilt. Es ist jedoch die Aufgabe der Menschen, die entsprechenden
Heilmittel zu finden. In diesem Sinne steht der Islam den medizinischen Wissenschaften und der
Forschung recht positiv gegenüber.
Speise- und Hygienevorschriften gelten bis heute als Teil der islamischen Gesundheitserziehung. Sie
haben für die Gläubigen eine zentrale Bedeutung, und es ist daher wichtig, dass Pflegende diese
respektieren.
Der Krankenbesuch wird im Islam als religiöse Pflicht verstanden und hat u.a. auch eine
gesundheitsfördernde Funktion. Somit wird verständlich, dass Patientinnen und Patienten, welche sich
zum Islam bekennen, für Schweizer Verhältnisse oft sehr viel Besuch haben. Vor allem in
Mehrbettzimmern kann dies zu Problemen führen. Für Pflegende sind dies oft schwierige Situationen.
Eine Lösung zu finden, die die Bedürfnisse aller Parteien berücksichtigt, ist eine Herausforderung.
Körperpflege
Die Körperpflege wird durch genaue Vorschriften geregelt. Daher empfiehlt es sich, Muslimas und
Muslimen die Körperpflege, wenn immer möglich selbst zu überlassen.
Die Körperpflege ist nicht nur von hygienischer, sondern auch von ritueller Bedeutung. Für das Gebet
besteht die Vorschrift der rituellen Reinheit. Diese kann durch rituelle Waschungen erreicht werden. Es
wird zwischen der grossen und kleinen Waschung unterschieden. Die grosse Waschung wird nach dem
Geschlechtsverkehr, der Menstruation und 40 Tage nach der Geburt durchgeführt. Dabei muss der
ganze Körper mit Wasser gereinigt werden, auch Haupt und Haar. Bei der kleinen Waschung werden
Gesicht, Hände, Arme und Füsse unter fliessendem Wasser gewaschen. Wie bereits oben beschrieben
ist sie eine Voraussetzung für das Gebet, sowie für das Koranlesen. Zudem kann sie jeweils nach dem
Schlafen, dem Gang zur Toilette und nach Kontakt mit "unreinen Stoffen" (z.B. Schwein, Blut,
Exkrementen, Leichnam) durchgeführt werden. Die Waschung kann bei Schwerkranken, welche selber
nicht in der Lage sind, diese vorzunehmen, durch eine symbolische Reibung ersetzt werden.
Muslimas und Muslime waschen sich zum Teil nur unter fliessendem Wasser, und ein Waschlappen ist
ihnen fremd. Daher kann es sein, dass sie diesen als unhygienisch empfinden. Dies kann deshalb
bettlägerigen Patientinnen und Patienten Schwierigkeiten bereiten, sich zu waschen. In diesem Fall
eignet sich am besten ein Krug Wasser und ein grosses Becken (für den Intimbereich einen Nachttopf),
um sich wenigstens Hände und den Intimbereich unter fliessendem Wasser reinigen zu können. Bei
bettlägerigen Menschen ist daran zu denken, dass sie öfters das Bedürfnis haben, sich zu reinigen (z.B.
nach dem Schlafen).
Weiter sollte in der Pflege berücksichtigt werden, dass Glaubensangehörige des Islam aufgrund der
vielen Regeln oft ein ausgeprägteres Schamgefühl haben als Menschen des westlichen Kulturkreises.
Für sie ist es besonders wichtig, dass sie sich an einem Ort waschen können, wo sie vor fremden
Blicken geschützt sind. Bei der Intimpflege ist dies besonders zu berücksichtigen. In diesem Sinne ist es
für sie von grosser Bedeutung, dass sie während ihrem Spitalaufenthalt eine gleichgeschlechtliche
Bezugsperson haben, die ihre Bedürfnisse akzeptiert und respektiert.
Im muslimischen Kulturkreis ist es üblich, dass sich Frauen und Männer aus hygienischen Gründen
mindestens alle 40 Tage den Intimbereich rasieren. Frauen tun dies meistens nach der Menstruation,
wenn sie auch die grosse Waschung vornehmen (das austretende Blut ist gemäss ihrer Auffassung
unrein).
Kleidung
Kleidervorschriften sind im Koran und in der Sunna festgehalten, beruhen zum Teil jedoch auch auf
gesellschaftlichen Traditionen.
Für Frauen gilt die Regel, sich ausser Gesicht und Händen von Kopf bis Fuss zu bedecken. Sie sollen in
der Öffentlichkeit ihre Geschlechtsmerkmale und Reize verdecken. Die Kleidung dient ihnen als
Schutz, und oft ist es für sie schwierig, sich zu entblössen. Daher ist es für Muslimas sehr wichtig, dass
Pflegende sehr behutsam mit ihrer Intimsphäre umgehen. Es kann auch vorkommen, dass sich
Muslimas zum Schlafen nicht ausziehen, um sich vor fremden Blicken zu schützen. In den meisten
islamischen Ländern ist es üblich, dass die Frauen in der Öffentlichkeit ein Kopftuch tragen. Dies wird
jedoch je nach Gläubigkeit und persönlicher Auffassung sehr unterschiedlich gehandhabt. Einerseits
reicht dies vom Kopftuch, Schleier bis zum Tschador, andererseits gibt es auch Frauen, die sich nicht
verhüllen. In der Regel sollte es für eine Muslima möglich sein, ihr Kopftuch auch während des
Spitalaufenthaltes zu tragen. Für Transporte innerhalb des Spitals ist es für sie besonders wichtig, dass
sie sich diesbezüglich nicht entblössen muss. Es sollte deshalb auch darauf geachtet werden, dass sie ihr
Kopftuch für den Transport z.B. in den Operationssaal und auf Wunsch auch während einer Operation
tragen kann.
Für Männer gilt die Regel, sich mindestens vom Bauchnabel bis zum Knie zu bedecken.
Speisevorschriften
Im Islam ist es verboten, Schweinefleisch und schweinefleischhaltige Produkte zu sich zu nehmen.
Fleisch muss von rituell geschächteten Tieren stammen. Auch der Genuss von Wein und anderen
berauschenden Substanzen ist verboten.
Es muss individuell mit den Patientinnen und Patienten abgesprochen werden, ob sie sich während des
Spitalaufenthaltes vegetarisch ernähren oder einfach kein Schweinefleisch essen wollen. Eine valable
Variante wäre, sich von den Angehörigen Mahlzeiten bringen zu lassen.
Während des Monats Ramadan wird gefastet. Kranke sind von der Pflicht des Fastens befreit. Es kann
aber trotzdem vorkommen, dass Patientinnen und Patienten während des Ramadan auch im Spital fasten
wollen.
Medikamente und Infusionen
Es besteht zum Teil auch die Auffassung, dass während der Fastenzeit von Anbruch der Dämmerung
bis nach Sonnenuntergang keine Medikamente und Infusionen zu sich genommen werden sollen. In
solchen Situationen ist es unumgänglich, die Patientinnen und Patienten über die gesundheitlichen
Konsequenzen zu informieren. Wenn sie trotzdem fasten wollen, ist dies zu respektieren. Es sollte in
diesem Fall jedoch ein Verzichtschein erstellt werden, welcher von der Patientin oder dem Patienten
unterschrieben werden muss.
Für fastende Patientinnen und Patienten sollte von den Pflegenden eine Mahlzeit für den frühen Morgen
und die Nacht organisiert werden. Weiter ist es wichtig, dass Fastende vom Pflegepersonal vor der
Dämmerung geweckt werden.
Geschlechterbeziehung
”Im Koran gelten Frau und Mann gegenüber Gott gleichwertig. (...) Frau und Mann werden aber nicht
als gleich beschrieben. Beide haben ihre rollenspezifischen Aufgaben, Rechte und Pflichten. (...)
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Frau nach Koran und Sunna eine ähnliche Stellung
geniesst wie die Frau nach der Bibel. Sie gilt nicht als rechtlos, aber auch nicht als gleichberechtigt.” 13
Der Mann ist das Oberhaupt der Familie. Er ist für den Schutz der Familie und für die Beschaffung der
materiellen Güter verantwortlich. Die Aufgabe der Frau ist es, die Kinder zu erziehen. Sie ist ihrem
Ehemann zu Gehorsam verpflichtet.
Laut Koran ist dem Mann die Polygamie mit maximal vier Ehefrauen erlaubt. Er ist dabei verpflichtet,
alle Ehefrauen gleich und gerecht zu behandeln. "Als Idealfall gilt die Mehrehe aber nicht. Sie ist eher
ein Zugeständnis an die soziale Wirklichkeit zur Zeit Mohammeds. (...) Weil damals die Männer durch
die vielen Kriege eine niedere Lebenserwartung hatten, waren die Frauen zwangsläufig in der Überzahl.
Die Witwen waren darauf angewiesen, wieder geheiratet zu werden." 14
Im Umgang mit dem anderen Geschlecht gibt es gewisse Regeln. Der Körperkontakt zu fremden
Menschen des anderen Geschlechts wird so gut als möglich vermieden. Daher wird zur Begrüssung oft
auf den bei uns üblichen Händedruck verzichtet. Es ist für Muslimas und Muslime ausserordentlich
wichtig, dass Untersuchungen und Pflege wenn möglich von gleichgeschlechtlichen Personen
durchgeführt werden. Falls dies nicht möglich ist, sollte eine gleichgeschlechtliche Person im Raum
anwesend sein. Die Vorschriften dürfen jedoch in Notsituationen übergangen werden.
In den Einzelgesprächen, welche ich im Rahmen dieser Arbeit mit Muslimas geführt habe, fragte ich
jeweils, was während eines Spitalaufenthalts das Wichtigste für sie wäre. Alle Frauen antworteten
darauf, dass sie, wenn irgendwie möglich, von Frauen betreut werden möchten. Ich erlebte dies als ein
sehr zentrales Bedürfnis der Muslimas. Ich denke, dass es für Muslime genauso wichtig ist, von
Männern gepflegt zu werden.
3. Rituale
Gebet
Das vorgeschriebene fünfmalige Beten wird oft auch von kranken Muslimas und Muslimen
durchgeführt. Das Gebet dauert ca. 10 – 15 Minuten.
Vorschriften fürs Pflichtgebet 15

Es ist wichtig, dass die rituelle Reinheit eingehalten wird. Dazu dienen die grosse und die kleine
Waschung (siehe Körperpflege).

Der Körper soll bedeckt sein. Die Kleidung soll die Geschlechtsmerkmale nicht betonen. Die
Schuhe werden ausgezogen.

Der Platz muss rituell rein sein (keine menschlichen und tierischen Exkremente). Oft wird auch
ein Gebetsteppich verwendet. Im Spital kann dafür auch ein Leintuch oder Badetuch benutzt werden.

Während dem Gebet ist der Körper nach Mekka gerichtet. Die Bewegungsabfolge ist
vorgeschrieben.

Das Gebet wird arabisch gesprochen.

Die Gebetszeiten sollen eingehalten werden.
Morgengebet
zwischen Morgendämmerung und Sonnenaufgang
Mittagsgebet
unmittelbar nach Sonnenhöchststand
Nachmittagsgebet
zwischen Mittags- und Abendgebet
Abendgebet
nach Sonnenuntergang
Nachtgebet
nach Anbruch der Dunkelheit
Wenn die Möglichkeit besteht, einen Raum anzubieten, in welchem das Gebet ungestört durchgeführt
werden kann, ist dies die optimale Lösung. Ansonsten kann eine Ecke des Zimmers mit einem Paravent
abgetrennt werden. Für Pflegende ist es wichtig, daran zu denken, Muslimas und Muslime nach
Absprache eventuell vor der Morgendämmerung zu wecken.
Bettlägerige Patientinnen und Patienten können das Gebet auch mit symbolischen Kopfbewegungen im
Bett durchführen.
Eine besondere Stellung nimmt das Freitagsgebet ein. Es wird in Gemeinschaft gebetet und kann nicht
nachgeholt werden. In diesem Sinne ist der Freitag ein Feiertag.
Geburt und Beschneidung
Nach der Geburt soll dem Kind als erstes der erste Teil des Gebetrufes ins rechte und das
Glaubensbekenntnis ins linke Ohr geflüstert werden. Danach soll es gewaschen werden, um es von den
unreinen Flüssigkeiten (Blut etc.) zu reinigen. Erst danach gilt es als sauberes Geschöpf. Daher könnte
es auch sein, dass die Mutter ihr Kind erst in die Arme nehmen will, wenn es gewaschen ist.
Der Tradition entsprechend würde dem Kind erst am 7. oder am 40. Tag ein Name gegeben. Die
Beschneidung der Jungen findet frühestens am 7. Tag nach der Geburt und spätestens bis zum 7.
Lebensjahr statt.
Die Beschneidung der Mädchen ist in vielen afrikanischen Ländern üblich. Sie ist jedoch nicht eine
islamische, sondern eine soziokulturelle Tradition. Trotzdem wird sie oft religiös begründet.
Sterben und Tod
Bei schwerkranken oder sterbenden Glaubensangehörigen des Islam sollten die Angehörigen, der Imam
(Vorbeter) oder eine muslimische Person unbedingt informiert werden, damit sie gemeinsam mit den
Sterbenden beten können. Sterbende sollen, mit dem Kopf nach Mekka gewandt, das
Glaubensbekenntnis sprechen. Wenn dies nicht mehr möglich ist, wird es ihnen von Angehörigen ins
Ohr geflüstert.
Nachdem der Tod eingetreten ist, sollen die Augen der Verstorbenen von nahen Verwandten
geschlossen werden. Danach wird die Leiche von gleichgeschlechtlichen Angehörigen (dies gilt auch
für Kinder) nach religiösen Bräuchen gewaschen. Männer werden in Baumwolltücher gelegt. Frauen
werden mit einem einfachen Baumwollanzug bekleidet und ihre Haare bedeckt. Nach der Waschung
sollten Tote von Andersgläubigen nicht mehr berührt werden. Meistens werden sie auf die rechte Seite
mit dem Gesicht nach Mekka gelagert und in der Regel so schnell als möglich bestattet. Einäscherung
ist im Islam kein Thema, da der Mensch Gott unversehrt zurückgegeben werden soll.
Wie die Trauer ausgelebt wird, ist innerhalb des Islam sehr unterschiedlich und v.a. kulturell geprägt.
Einerseits gibt es Menschen, die sehr laut trauern, andererseits gibt es auch die Ansicht, still zu trauern.
4. Haltung gegenüber der modernen westlichen Medizin
Allgemeines
Grundsätzlich ist der Islam zu Wissenschaft und Fortschritt positiv eingestellt. Es gibt zu den folgenden
Bereichen unterschiedliche Ansichten. Ich werde dabei nur jene der Hauptrichtungen angeben.
Familienplanung
”Empfängnisverhütung ist bei Einwilligung beider Partner erlaubt, wenn sie zur Wahrung der
Gesundheit der Frau oder aus wirtschaftlicher Not praktiziert wird.” 16
Da im Mittelpunkt der Ehe die Fortpflanzung steht, ist die künstliche Befruchtung erlaubt.
Fremdbefruchtung wird jedoch abgelehnt.
Der Schwangerschaftsabbruch wird grundsätzlich abgelehnt, ausser das Leben der Mutter sei in Gefahr.
17
Bluttransfusionen und Organtransplantationen
Beides ist im Islam erlaubt. Organspenderinnen und -spender müssen jedoch freiwillig zugestimmt
haben, und es darf mit dem Organ kein Handel betrieben worden sein. Grundsätzlich sind Implantate
aus menschlichem, tierischem und technischem Material erlaubt. 18 Die Transplantation einer
Bioprothese vom Schwein (z.B. einer Herzklappe) kann von Muslimas und Muslimen jedoch u.U. nicht
akzeptiert werden.
Euthanasie, Suizid und Autopsie
Weder Euthanasie noch Suizid werden im Islam befürwortet, da Allah der Schöpfer und Lenker aller
Dinge ist.
Auf Grund der Wichtigkeit der Unversehrtheit der Toten wird keine Autopsie gemacht. Falls diese aus
medizinischen oder gerichtsmedizinischen Gründen indiziert ist, darf sie durchgeführt werden. Dies
sollte jedoch sobald als möglich geschehen, damit danach die rituelle Waschung gemacht werden kann.
19
5. Eintrittsgespräch
Das Eintrittsgespräch soll, wenn immer möglich, von einer gleichgeschlechtlichen Person durchgeführt,
und falls nötig, eine Dolmetscherin oder ein Dolmetscher zugezogen werden. Folgendes sollte dabei
geklärt werden:
 Funktion des Familienoberhauptes, und ob dieses für die Gespräche und Entscheidungen zugezogen
werden muss
 Ernährung
 Bedürfnisse bezüglich Körperpflege
 Bedürfnisse bezüglich Kleidung
 Krankenbesuch und Besuchszeiten
Hinduismus
1.
Grundlagen
2.
Überblick
Den Hinduismus zu umschreiben ist ein schwieriges Unterfangen. Denn er ist nicht nur eine Religion,
sondern er beinhaltet eine Vielzahl von Glaubensrichtungen und religiösen Praktiken. ”Den Hinduismus
darzustellen, dürfte schwierig sein, weil die Unterschiede oft grösser sind als das Gemeinsame”. 20 Den
verschiedenen Richtungen gemeinsam ist der Glaube an die Wiedergeburt. Eine weitere Gemeinsamkeit
ist die theoretische Anerkennung der Veden (heilige Bücher). Diese sind im Volksglauben jedoch
mehrheitlich nur dem Namen nach und nicht inhaltlich bekannt. Sie enthalten eine Sammlung von alten
Ritualtexten.
Dem hinduistischen Glauben gehören ca. 1 Milliarde Menschen an. Die meisten leben in Indien. Die
Zahl der in der Schweiz lebenden Hindufrauen und -männer wird auf einige Tausend geschätzt. Sie
kommen vorwiegend aus Sri Lanka und sind Tamilinnen und Tamilen. Da die meisten
Glaubensangehörigen des Hinduismus, mit welchen das Pflegepersonal in Kontakt kommt, aus Sri
Lanka stammen, werde ich mich auf den Hinduismus der Tamilen und Tamilinnen beschränken.
Die beiden Hauptströmungen des Hinduismus sind Vischnuismus und Schivaismus. Erstere verehren
Vischnu als Hauptgott, für die zweiten ist dies Schiva.
Hinduismus in Sri Lanka
Der Hinduismus ist in Sri Lanka eine Minderheitsreligion von ca. 17 %. Die hinduistische Bevölkerung,
zum grössten Teil Tamilinnen und Tamilen, stammt ursprünglich aus Südindien. Sie sind vorwiegend
Schivaiten, was aber nicht heisst, dass sie nur Schiva und seine Familie verehren. Er gilt einfach als
Hauptgott, wird aber nicht mehr verehrt als andere Göttinnen und Götter.
Die regierende singhalesische Mehrheit gehört vorwiegend dem Buddhismus an. Die tamilische
Bevölkerung wird immer wieder diskriminiert und setzte sich daher für eine Teilautonomie ein. In
Folge dessen kam es zu einem Bürgerkrieg. Viele Tamilinnen und Tamilen flüchteten nach Europa, um
dem Krieg zu entkommen.
Weltbild
Das Weltbild im Hinduismus ist grundsätzlich anders als jenes, das die westliche Welt kennt. ”Im
Gegensatz zum linearen Weltbild vertritt der Hinduismus ein zyklisches. Die Welt wird erschaffen,
durchläuft verschiedene Zeitalter (Kalpa), wird zerstört und wieder neu erschaffen. Der Mensch (ebenso
das Tier) wird geboren, wächst auf, stirbt und wird wieder geboren. Dieser Kreislauf hat normalerweise
kein Ende. Jede gute und schlechte Tat (Karman) trägt Früchte. Die gesamten Früchte dieser und der
vergangenen Existenzen bestimmen die folgende Existenz. Deshalb wird als selbstverständlich
angenommen, dass ein armer Mensch durch einen schlechten Lebenswandel im letzten Leben die
jetzige Situation selbst verschuldet hat. Mit dieser Lehre werden die Kastenunterschiede als
selbstverursacht gerechtfertigt”. 21 Die Lehre des Karma liegt im Dharma begründet. Dharma bedeutet
Gesetz, Recht, Pflicht, Ordnung und Gerechtigkeit. Es ist das Gesetz von Ursache und Wirkung. Alles
ist somit eine logische Folge von Vorhergeschehenem. Eine negative Folge wird jedoch nicht als
Schuld oder Bestrafung in unserem Sinne erachtet, sondern wird wertfreier verstanden, einfach als
logische Folge.
Kasten
Kasten sind eine Form der gesellschaftlichen Ordnung, welche hierarchisch angelegt sind. Im
hinduistischen Sinn wird der Mensch aufgrund vergangener Existenzen in Kasten hineingeboren. Die
hinduistische Gesellschaft ist in die vier folgenden traditionellen Kasten unterteilt: 22
 Brahmanen (Priesterstand): Ihnen kommen rituelle Funktionen zu.
 Kschatriya (Krieger- und Königsstand)
 Vaischya (Bauern- und Handwerkerstand)
 Schudra (Stand der Dienenden)
Zudem wird angenommen, dass es innerhalb dieses Systems noch ca. 3000 Unterkasten gibt.
Weiter gibt es Kastenlose. Sie stehen ausserhalb der eigentlichen Kastenordnung, sind jedoch für das
Funktionieren der Gesellschaft unentbehrlich, da sie die ”unreine” Arbeit erledigen.
Kastenangehörige haben es zu vermeiden, mit Menschen tieferer Kasten in Gemeinschaft zu leben. Dies
gilt vor allem für die Nahrungsaufnahme, das Schlafen, die Wahl der Ehepartnerin resp. des
Ehepartners.
Die meisten Hindus, mit denen ich gesprochen habe, betonten, dass das Kastenwesen in Sri Lanka an
Wichtigkeit verloren habe. Es sei zwar vor allem für ältere Menschen noch von Bedeutung, aber gerade
für sie, die in Europa lebten, sei es unwichtig. Trotzdem ist zu bedenken, dass Hindufrauen und -männer
von dieser Gesellschaftsordnung geprägt sind. Ein Tamile erzählte mir, dass die Kastenzugehörigkeit
für ihn nicht mehr wichtig sei, aber dass es in seiner Familie, die auch hier lebt, nach wie vor von
Bedeutung sei. Er könne sich nur schwer vorstellen, wie seine Eltern damit umgehen würden, wenn er
eine Frau aus einer unteren Kaste heiraten würde. Zudem ist er der Ansicht, dass das Kastenwesen in
Sri Lanka und vor allem in Europa von Tamilinnen und Tamilen oft tabuisiert würde.
Falls es trotzdem einmal vorkommen sollte, dass es Probleme gibt, wenn zwei Hindus unterschiedlicher
Kasten im selben Zimmer untergebracht sind, sollte dies diskutiert werden. Allenfalls sollten die
Patientinnen oder Patienten in zwei verschiedene Zimmer gelegt werden. Es nützt in dieser Situation
wahrscheinlich wenig, ihnen unsere Auffassung über das Kastenwesen zu erläutern. Wir wären da
besser beraten, zu akzeptieren, dass diese Menschen von dieser Gesellschaftsform geprägt sind.
Die Welt der Göttinnen und Götter
Die Mehrheit der hinduistischen Glaubensangehörigen glauben an mehrere Göttinnen und Götter, und
es gibt unvorstellbar viele, die verehrt werden. Es gibt aber auch Hindus, die grundsätzlich nur an einen
Gott glauben. Dies im Sinne, dass die verschiedenen Göttinnen und Götter nur unterschiedliche
Gestalten des einen Gottes sind.
Tamilinnen und Tamilen anerkennen Schiva als den obersten Gott. Ihm wird Ganzheitlichkeit bezüglich
Schöpferischem und Zerstörerischem zugeschrieben. ”Kultisch wird er aber anderen Gottheiten nicht
unbedingt vorgezogen.” 23
Parvati, auch Amman genannt, ist die Gattin von Schiva. Sie gibt Kraft und Gesundheit.
Im täglichen Leben nimmt der elefantenköpfige Ganescha die wichtigste Rolle ein. Es besteht zum Teil
auch die Ansicht, dass in ihm, als Sohn von Parvati und Schiva, dieser selbst enthalten sei. Ganescha ist
Ausdruck für das Neue. ”Vor jeder neuen Handlung wird zu Ganescha gebetet. Ganescha wird für alles
um Erlaubnis gefragt: Hausbau, Autokauf etc.. Er ist der beliebteste und volkstümlichste Gott und wird
in verschiedenen Formen mit einer unterschiedlichen Anzahl Armen abgebildet.” 24
Murugan ist der zweite Sohn von Parvati und Schiva. Er wird als Befreier verehrt und wurde u.a. für
Tamilinnen und Tamilen im Bürgerkrieg gegen die singhalesische Mehrheit zu einer sehr wichtigen
Gottheit.
Der Tempelwächter Vairavar wird verehrt und gefürchtet. Er wird nicht nur als Gestalt dargestellt. Er
kann mit einem Dreizack, einer Waffe, symbolisiert werden.
Weitere wichtige Gottheiten sind Lakschmi, die Göttin der materiellen Güter, Saraswati, die Göttin des
Wissens, Lernens und der Kunst sowie Krischna, der Hauptgott der Krischna-Bewegung.
Zudem werden auch Himmelsgestirne wie Sonne und Planeten als Götter verehrt.
Neben den hinduistischen Gottheiten werden zum Teil auch Gestalten aus anderen Religionen verehrt.
Recht verbreitet ist die Verehrung von Maria.
3.
Pflegerelevante Themen
4.
Gesundheit, Krankheit und Behinderung
Es gibt im Hinduismus eine grosse Anzahl traditioneller Heilverfahren. Es erscheint mir wichtig, dass
diese je nach Art und in Absprache mit den Ärztinnen und Ärzten von den Patientinnen und Patienten
neben der westlichen Schulmedizin angewandt werden dürfen.
Für Hindus bestehen Vorschriften bezüglich Ernährung, Schlafen, Ausscheidung, Körperhygiene,
Kleidung, körperlicher Übung und sexueller Zurückhaltung. Die Einhaltung dieser Vorschriften
beeinflusst die Gesundheit positiv (gilt als logische Folge im Sinne des Dharma). Für Kranke gelten die
rituellen Vorschriften nicht im gleichen Ausmass wie für Gesunde. Trotzdem kann es sein, dass sie sich
genau an die Vorschriften halten wollen, um dadurch Genesung zu erlangen.
Im Sinne des zyklischen Weltbildes der Hindus ist das Geborenwerden, Leben, Sterben und
Wiedergeborenwerden eine selbstverständliche Abfolge. Im Hinduismus wird das Leben in folgende
Abschnitte unterteilt: 25
 die Zeit der Erziehung
 die Zeit der Tätigkeit in der Welt
 die Zeit der Ablösung von dieser Welt
 das Warten auf die Befreiung durch den Tod.
In diesem Sinne hat alles seine Zeit, und Krankheit ist ein Teil des Flusses. Andererseits wird das
jetzige Leben durch die vorherigen Existenzen beeinflusst, und daher ist auch Krankheit und
Behinderung die logische Folge von früherem Verhalten. Das Pflegepersonal könnte damit konfrontiert
werden, dass Hindus dadurch eine gewisse Scham für ihre Krankheit empfinden könnten. Eine
Behinderung könnte aus hinduistischer Sicht also auf schlechten Taten in vorangegangenen Existenzen
beruhen. Daher ist es für uns wohl schwer vorstellbar, was hinduistische Eltern empfinden, welche ein
behindertes Kind haben.
Tamilinnen und Tamilen sind weniger individualisiert als wir und verstehen sich als Teil einer
grösseren Gemeinschaft. Daher ist es verständlich, dass ihnen der Krankenbesuch sehr viel bedeutet und
die Anwesenheit von vertrauten Menschen den Kranken Sicherheit vermittelt. Die strikten
Besuchszeiten können ihnen daher Mühe bereiten. Gemeinsam sollen schon beim Eintrittsgespräch
entsprechende Abmachungen getroffen werden. Ein Hindu meinte sogar, dass sich Hindufrauen und männer in einem Mehrbettzimmer wohler fühlten als in einem Einzelzimmer.
Körperpflege
Bei Glaubensangehörigen des Hinduismus ist Reinheit nicht nur im körperlichen, sondern auch im
rituellen Sinn von Bedeutung. Daher führen sie die Körperreinigung oft früh am Morgen vor dem Gebet
durch. Auch vor jedem Essen und vor der Berührung von Lebensmitteln müssen die Hände gewaschen
und der Mund gespült werden. Sie waschen sich normalerweise unter fliessendem Wasser. Daher
werden sie es vorziehen zu duschen, statt sich am Lavabo zu waschen. Waschlappen oder ein Vollbad
empfinden sie eher als unhygienisch. Aufgrund der rituellen Bedeutung kann es durchaus sein, dass sich
auch schwerkranke Menschen duschen wollen.
Tamilen weisen darauf hin, dass sie sich bezüglich Körperpflege viel mehr Diskretion gewohnt sind, als
sie hier erfahren. Dies ist ihnen auch sehr wichtig, und es wäre ihnen ein Bedürfnis, dass die
grundpflegerischen Massnahmen durch ihre Angehörigen ausgeführt werden könnten. Falls dies nicht
möglich ist, sollte, wenn immer möglich, eine gleichgeschlechtliche Pflegeperson die Körperpflege
durchführen.
Zur Mundhygiene wird von den meisten bei uns lebenden Hindus Zahnbürste und Zahnpasta verwendet.
Sie sind sich zum Teil von zu Hause her jedoch gewohnt, die Mundhygiene mit einem speziellen Pulver
und einem U-förmigen Schaber (für die Zungenreinigung) auszuführen. Es könnte also sein, dass
Pflegende diese Utensilien bei hinduistischen Patientinnen und Patienten antreffen.
Frauen gelten während der Menstruation als unrein. Nach der Menstruation führen sie eine bestimmte
Waschung durch und wechseln alle Kleider und die Bettwäsche. Die hinduistische Patientin wird der
Pflegeperson sehr dankbar sein, wenn der Wechsel der gesamten Bettwäsche auch im Spital möglich ist.
Während und nach der ersten Menstruation gilt ein Mädchen für 30 Tage als krank und würde
traditionellerweise nicht zur Schule gehen. Viele Hindufamilien haben sich diesbezüglich insofern
unserer Kultur angepasst, als dass sie die Mädchen nur für einige Tage zu Hause behalten.
Manche Hindufrauen und -männer reiben Stirn und Haare vor dem Schlafengehen mit Vibhuti ein. Dies
ist speziell verarbeitete Asche aus getrocknetem Kuhdung. Ihr wird eine Schutzwirkung während dem
Schlafen (v.a. zum Fernhalten von schlechten Träumen) zugeschrieben.
Kleidung
Bezüglich Kleidung gibt es keine besonderen Vorschriften. Traditionellerweise tragen Frauen einen
Sari. In unseren Breitengraden tun sie dies normalerweise nur, wenn sie den Tempel besuchen.
Da Diskretion bezüglich des Körpers für viele Tamilinnen und Tamilen sehr wichtig ist, werden sie
auch im Spital, wenn immer möglich, eigene Kleider anziehen. Die üblichen Spitalnachthemden,
welche hinten offen sind, empfinden sie eher als unangenehm.
Nahrungsvorschriften
Die Kuh als Milchgeberin und Schöpfungssymbol ist im Hinduismus heilig. Daher wird weder Kalbsnoch Rindfleisch gegessen. Auch Speisen, die mit Produkten dieser Art in Kontakt kamen, werden nicht
gegessen.
Unter Hindufrauen und -männern gibt es recht viele Vegetarierinnen und Vegetarier. Speziell zu
erwähnen sind hier die Angehörigen der Brahmanenkaste (Priesterkaste). Sie essen kein Fleisch und
sollten auch sonst nicht damit in Berührung kommen, da sie dadurch rituell unrein werden.
Auch bei der Zubereitung von Speisen sind gewisse Regeln einzuhalten, welche in einer westlichen
Spitalküche nicht immer berücksichtigt werden können. Daher empfiehlt es sich für Pflegende, sich mit
ihren hinduistischen Patientinnen und Patienten abzusprechen, wie sie sich ernähren wollen. Da sie oft
sehr anpassungsfähig sind, kann es durchaus sein, dass sie die Mahlzeiten des Spitals zu sich nehmen.
Falls sie sich aber lieber von ihren Angehörigen verpflegen lassen wollen, sollte ihnen das ermöglicht
werden.
Es gilt auch die Vorschrift, dass Hindus nicht gemeinsam mit Menschen aus tieferen Kasten essen
sollen. Bei den Tamilinnen und Tamilen habe ich jedoch noch nie erlebt, dass es deswegen Probleme
gab.
Hindus fasten am Dienstag und Freitag. Es geht dabei nicht um ein vollständiges Fasten, sondern um
den Verzicht auf Fleisch und Fleischextrakten. Im Hinduismus gilt auch die Regel, dass während 24
Stunden vor dem Tempelbesuch kein Fleisch zu sich genommen werden soll. Nach dem Tod von
Angehörigen gilt während 10 Tagen die Fastenvorschrift. Während dieser Zeit wird strikte kein Fleisch
gegessen.
Geschlechterbeziehung
Die Gleichstellung von Frau und Mann ist trotz Bestrebungen auch im Hinduismus noch nicht realisiert.
Aber Verbesserungen in dieser Richtung konnten schon erzielt werden. "Innerhalb der hinduistischen
Welt sind auch in dieser Frage sehr grosse Unterschiede festzustellen. In weiten Teilen Indiens gilt die
Geburt eines Mädchens immer noch als schlimm, und dementsprechend gering sind dann die
Bildungschancen. In Sri Lanka setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass eine gute Schulbildung
nicht nur für Knaben nötig ist." 26 Die Geburt eines Knaben ist jedoch nach wie vor von grösserer
Bedeutung, da die Söhne eine wichtige rituelle Aufgabe beim Tod der Eltern haben.
Im traditionellen Sinn gilt der Mann als Familienoberhaupt und hat die Aufgabe der materiellen
Güterbeschaffung. An ihm liegt es, Entscheidungen für die Familie zu treffen. Die Aufgabe der Frau ist
die Geburt und Erziehung der Kinder.
Wie im gesamten asiatischen Raum praktizieren auch die Glaubensangehörigen des Hinduismus eine
strikte Trennung zwischen Männer- und Frauengesellschaft. Sie vermeiden den Körperkontakt mit dem
anderen Geschlecht. Sich zur Begrüssung die Hände zu drücken, ist ihnen fremd. Aufgrund ihrer
Anstandsregeln sollten Hindus, wenn immer möglich, von gleichgeschlechtlichen Personen gepflegt
und untersucht werden.
3. Rituale
Gebet
Für Hindus gibt es verschiedenste Formen des Gebets. Einerseits wird zu Hause vor dem eigenen
Hausaltar gebetet. Dieser besteht aus einem Altar mit Bildnissen von verschiedenen Göttinnen und
Göttern, Blumen und Öllämpchen. Vor dem morgendlichen Gebet wird geduscht, um rituell rein zu
sein. Zum Gebet werden Öllämpchen oder Räucherstäbchen angezündet. Es wird dann ein kurzes Gebet
gesprochen oder Mantras rezitiert. Mantras sind Wörter oder Sätze, denen eine spezielle Kraft
zugeschrieben werden. Der Tag wird am Abend mit einem Gebet abgeschlossen. Andererseits wird
auch regelmässig in Tempeln gebetet. Manche Hindus kombinieren Gebet, Meditation und körperliche
Übungen.
Da auch Gebete einen Einfluss auf die nächste Existenz haben, ist es für hinduistische Patientinnen und
Patienten von grosser Bedeutung, dass sie auch während ihrem Spitalaufenthalt beten können. Auch
Schwerkranken sollte dies ermöglicht werden. Für die einen ist es kein Problem, dies in Gegenwart von
Andersgläubigen zu tun. Andere fühlen sich jedoch zu stark gestört. Sie wären gerne fürs Gebet durch
einen Paravent geschützt oder würden sich dafür in ein anderes Zimmer zurückziehen. Bedürfnisse und
Möglichkeiten sollten daher mit den Betroffenen besprochen werden.
Geburt
Während der Schwangerschaft finden traditionelle Riten statt, welche zu einer guten Schwangerschaft
und zu männlichen Nachkommen verhelfen sollen.
Nach der Geburt wird das Kind gewaschen, und der Vater legt ihm seine Hand auf den Kopf. Danach
wird ihm traditionellerweise Honig gegeben. Zudem werden ihm Mantras ins Ohr geflüstert.
Nach einem Monat bringen die Eltern das Kind in den Tempel und lassen es segnen. Das zeremonielle
Fest, im Sinne einer Entwöhnungsfeier, wird erst später durchgeführt. Normalerweise geschieht dies
zwischen dem 5. und 10. Lebensmonat. Bei diesem Fest isst das Kind zum ersten Mal feste Nahrung,
dazu spricht ein Priester heilige Verse. Diese Zeremonie kann bei kranken Kindern auch im Spital
gefeiert werden.
Sterben und Tod
Liegt ein Glaubensangehöriger des Hinduismus im Sterben, werden ihm Gebete und Mantras
zugesprochen. Traditionellerweise ist dies die Aufgabe des jüngsten männlichen Nachkommens. Oft
werden die Gebete jedoch auch von einem Priester gesprochen. Diese Gebete sind für Hindus von
grosser Bedeutung, da sie zu einer besseren Wiedergeburt verhelfen sollen. Daher ist es wichtig, dass
die Angehörigen rechtzeitig gerufen werden, wenn eine hinduistische Patientin oder ein hinduistischer
Patient bald sterben könnte.
Die Rituale nach dem Eintreten des Todes sind unterschiedlich. Tote Frauen werden oft mit einem Sari
bekleidet. Wird dies von den Angehörigen gewünscht, ist es für das Pflegepersonal empfehlenswert,
eine andere Hindufrau zu bitten, dabei behilflich zu sein. Traditionellerweise werden die Verstorbenen
drei Tage zu Hause aufgebahrt, damit sich die Angehörigen von ihnen verabschieden können. Danach
wird der Leichnam rituell gewaschen, um dem toten Menschen schlechtes Karma zu entfernen. Es
empfiehlt sich fürs Pflegepersonal, mit den Angehörigen abzusprechen, wie sie dies hier handhaben
wollen. Tamilinnen und Tamilen werden normalerweise kremiert, da sie glauben, dass durch die
Verbrennung die fünf Elemente des Körpers (Feuer, Wasser, Wind, Erde, Luft) am besten zu ihrem
Ursprung zurückfinden. Die Angehörigen senden die Asche dann oft nach Sri Lanka zurück. Dort wird
sie in einen Fluss gestreut.
Kleine Kinder werden hingegen normalerweise nicht kremiert, sondern begraben.
Wer in Kontakt mit dem Tod resp. einem toten Menschen kommt, gilt als rituell unrein. Dies bezieht
sich nicht nur auf den direkten Kontakt, sondern auf die Betroffenheit. So gelten Eltern und
Geschwister von einem Verstorbenen für ein Jahr, Bekannte und Freunde einen Monat und andere
Beteiligte drei Tage als unrein.
Die Trauer wird oft viel lauter ausgedrückt als in unserer Kultur üblich.
4.
Haltung gegenüber der modernen westlichen Medizin
Allgemein
Grundsätzlich stehen Tamilinnen und Tamilen der westlichen Medizin recht positiv gegenüber.
Familienplanung
Die Frage der Empfängnisverhütung und der künstlichen Befruchtung wird aufgrund der verschiedenen
Traditionen im Hinduismus sehr unterschiedlich beantwortet. Die Tamilen, mit welchen ich gesprochen
habe, waren alle der Ansicht, dass Empfängnisverhütung im Hinduismus erlaubt sei. Zudem ist ihnen
auch keine Methode bekannt, die verboten wäre. Der künstlichen Befruchtung stehen sie eher kritisch
gegenüber, da es einen Grund habe, wenn jemand keine Kinder bekomme. Gerade weil Kinder von
grosser Bedeutung sind, müsse die Herausforderung, keine Kinder zu bekommen, angenommen
werden.
Die Frage über die Legalität der pränatalen Geschlechtsbestimmung wird in hinduistischen Staaten
diskutiert, da befürchtet wird, dass dadurch die Abtreibung von Mädchen zunehmen könnte. Der
"Hinduismus" selbst steht Abtreibungen eher kritisch gegenüber, sie sind jedoch nicht verboten.
Organtransplantation und Bluttransfusion
Zu dieser Thematik fand ich in der Literatur keine Angaben. Alle Tamilen, mit welchen ich darüber
gesprochen habe, waren der Ansicht, dass im Hinduismus Organtransplantation und Bluttransfusion
erlaubt seien.
Euthanasie, Suizid und Autopsie
Auch zum Thema Euthanasie und Suizid habe ich keine Stellungnahmen gefunden. Es ist jedoch
anzunehmen, dass beides aufgrund der Karmalehre nicht gutgeheissen wird. Wenn dem Leiden,
welches auf früheren Existenzen beruht, vorzeitig ein Ende gemacht wird, ist anzunehmen, dass sich
dies im nächsten Leben niederschlagen wird.
Grundsätzlich empfinden Hindus eine Autopsie als Respektlosigkeit den Verstorbenen gegenüber.
Deshalb sollte eher darauf verzichtet werden. Muss eine Autopsie aus gerichtsmedizinischen Gründen
durchgeführt werden, ist es wichtig, dies den Angehörigen genau zu erklären.
5. Eintrittsgespräch
Das Eintrittsgespräch soll, wenn immer möglich, von einer gleichgeschlechtlichen Person durchgeführt,
und falls nötig, eine Dolmetscherin oder ein Dolmetscher zugezogen werden. Folgendes sollte dabei
geklärt werden:
• Funktion des Familienoberhauptes, und ob dieses für die Gespräche und Entscheidungen
zugezogen werden muss
• Ernährung
• Körperpflege
• Bedürfnisse bezüglich Kleidung
• Bedürfnisse bezüglich der Religionspraxis.
Buddhismus
1. Grundlagen
Überblick
Dem Buddhismus gehören ca. 400 Millionen Menschen an. Die Bevölkerung folgender Länder bekennt
sich mehrheitlich zum Buddhismus: Burma, Buthan, Kambodscha, Laos, Sri Lanka, Thailand und Tibet.
Der Buddhismus ist auch in Indien, Japan, Korea, Nepal und Vietnam verbreitet. Seit den 70er Jahren
gibt es auch in der westlichen Welt eine kontinuierlich steigende Zahl an Menschen, die sich zum
Buddhismus bekennen. Es wird angenommen, dass in der Schweiz mehr als 10'000 Menschen dem
Buddhismus angehören. Darunter auch viele westliche Buddhistinnen und Buddhisten. Auf diese werde
ich jedoch nicht eingehen, da sie zum Grossteil in der westlichen Welt aufgewachsen und von dieser
Kultur geprägt sind.
Die in der Schweiz lebenden Buddhistinnen und Buddhisten aus dem fernen Osten sind zum grössten
Teil Frauen. Die Meisten von ihnen stammen aus Thailand und sind mit Schweizern verheiratet. Daher
werde ich mich auf den Buddhismus in Thailand beschränken.
Hauptströmungen
Der Buddhismus unterscheidet folgende Hauptströmungen: Der Theravada-Buddhismus (”die Lehre der
Älteren”), als die älteste Form, der Mahayana-Buddhismus (das grosse Fahrzeug) und der Vajrayana
Buddhismus (das Diamant-Fahrzeug). Ihnen gemeinsam ist der Glaube an Buddha, seine Lehre und
dadurch die Ansicht, dass das Leben Leiden bedeutet, welches nur durch die Erlösung ein Ende findet.
In buddhistischem Sinn kann Erlösung nur durch tiefe Meditation, Versenkung und durch die Befreiung
der drei Grundübel Gier, Hass und Wahn erreicht werden. Erlösung heisst Eintritt ins Nirvana. Weiter
ist den verschiedenen Richtungen der Glaube an die Wiederverkörperung gemeinsam.
Seelenwanderung und Karma
”Das Gesetz von Ursache und Wirkung, der Vergeltung für die Taten, ist im Buddhismus die Grundlage
der Weltordnung.” 27 Im Buddhismus wird die Auffassung vertreten, dass der Mensch keine Seele, kein
Ich und kein Selbst hat. Dies schliesst jedoch die Wiedergeburt nicht aus, was für uns Menschen im
Westen nur schwer verständlich ist. Buddhistinnen und Buddhisten glauben an die Wiedergeburt. Das
letztendliche Ziel jedes Wesens ist die Erlösung aus dem Geburtenkreislauf und das Erreichen des
Nirvana. Nirvana bedeutet Erlöschen des individuellen Bewusstseins und der Lebensgier, Lösung aus
dem Geburtenkreislauf und Befreiung vom Leiden.
”Karma ist Tat. Alles was gemacht wird, ist Karma. (...) Jede Tat trägt Früchte und bestimmt damit die
nächste Existenz.” 28 Ich liess mir das Karma-Gesetz an der Tätigkeit ”schneiden” erklären: Die
Tätigkeit ”schneiden” ist an sich neutral. Verletze ich jemanden willentlich mit einem Messer, bedeutet
dies schlechtes Karma, schneide ich hingegen für eine hungernde Person Brot, um es ihr zu schenken,
bedeutet dies gutes Karma. Dieses Karma beeinflusst dann meine nächste Existenz.
Buddhismus in Thailand
Die meisten thailändischen Buddhistinnen und Buddhisten bekennen sich zum Theravada-Buddhismus.
Die buddhistische Gemeinde hat einen hohen Stellenwert und besteht aus dem Mönchsorden und den
Laien. Mönche sind in der Gesellschaft sehr angesehen und gelten als die Ausführer der Lehre Buddhas.
Sie haben sich an 227 Gebote zu halten, z.B. nach dem Mittag nichts mehr zu essen oder Enthaltsamkeit
im sexuellen Umgang zu üben. Mönche sind besitzlos, und es ist ihnen eine Pflicht, Gaben von Laien
anzunehmen. Dadurch ermöglichen sie es den Laien, sich Verdienste (gutes Karma) zu erwerben. In
Thailand gibt es auch Nonnen. Sie sind jedoch den Mönchen untergeordnet und haben sich an weniger
Gebote zu halten. Der Eintritt ins Kloster wird als verdienstvolle Tat betrachtet, was sich im Sinne der
Karma-Lehre positiv auf kommende Existenzen auswirken wird. Traditionellerweise ziehen sich viele
Frauen und Männer mindestens einmal im Leben für die Dauer der Regenzeit ins klösterliche Leben
zurück. Beim Eintritt lassen sie sich die Haare scheren, kleiden sich mit der Mönchsrobe und halten sich
an die Ordensregeln. Nach der Regenzeit kehren sie wieder in ihr bürgerliches Leben zurück. Dies wird
Mönchstum auf Zeit genannt. Es ist jedoch allen Nonnen und Mönchen jederzeit erlaubt, den Orden
wieder zu verlassen. Zudem ist es üblich, dass Kinder (v.a. Jungen) als Novizen und Novizinnen
aufgenommen werden. Sie werden in den Klöstern in der Lehre Buddhas, aber auch in
allgemeinbildenden Fächern unterrichtet und haben sich an 10 Sittenregeln zu halten.
Laien führen ein weltliches Leben und sorgen auch für das leibliche Wohl der Mönche und Nonnen. Für
sie besteht nebst der Möglichkeit des Mönchtums auf Zeit die Möglichkeit, sich für einzelne Tage ins
klösterliche Leben zurückziehen, um sich zu besinnen und zu meditieren. Während dieser Zeit werden
gewisse Regeln eingehalten Es wird jedoch kein Gelübde abgelegt, und die Haare werden nicht
geschnitten.
"Jeder Mensch kann sich durch das Zufluchtnehmen, das dreimalige Aussprechen der dreifachen
Zufluchtsformel in der altindischen Sprache Pali zum Buddhismus bekennen:
Ich nehme Zuflucht zum Buddha.
Ich nehme Zuflucht zu Dhamma (Lehre).
Ich nehme Zuflucht zu Sangha (Mönchsgemeinde)." 29
Dieses Zufluchtnehmen kann für das ganze Leben oder auch nur für einen Tag gelten.
Buddha
Siddharta Gautama, später Buddha (der Erwachte, Erleuchtete) genannt, gilt als Stifter des Buddhismus.
Er lebte im 6. Jahrhundert v. Ch.. Der Legende nach stammte er aus einer adeligen Familie der
Kriegerkaste des Hinduismus. Kurz nach seiner Geburt starb seine Mutter. Als 16jähriger heiratete er
Yashodara. Mit 29 Jahren, kurz nach der Geburt seines Sohnes Rahula, verliess er seine Familie, um als
Wanderasket das Heil zu suchen. Nach sechs Jahren härtester Askese kam er zur Überzeugung, dass ihn
dieser Weg nicht zum Heil führen würde. Daher entschloss er sich, den "mittleren Weg" zu begehen.
Mit 35 Jahren erlangte er nach tiefer Meditation unter einem Feigenbaum (Bodhibaum) die Erleuchtung
und wurde zu Buddha, dem Erwachten, Erleuchteten. Buddha erkannte das "dreifache Wissen":
Erinnerung an frühere Existenzen, das Karma-Gesetz und die vier edlen Wahrheiten. Danach begann
für ihn die Zeit als Wandermönch, um seine Lehre (Dharma) zu verbreiten. Buddha starb im Alter von
80 Jahren und ging danach ins Nirvana ein.
Buddhas Lehre - der Dharma
Im Zentrum der Lehre Buddhas steht die Einsicht, dass das Leben Leiden ist. Dies wird in den vier
edlen Wahrheiten beschrieben und von Buddha in seiner ersten Predigt gelehrt.
Die vier edlen Wahrheiten 30
1. Die edle Wahrheit vom Leiden:
Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Tod ist Leiden; Trauer, Jammer, Schmerz,
Gram und Verzweiflung sind Leiden; mit Unlieben vereint, von Lieben getrennt sein ist Leiden,
Begehrtes nicht erlangen ist Leiden.
2. Die edle Wahrheit der Leidensentstehung:
Es ist die Wiedergeburt bewirkende, wohlgefällige, mit Leidenschaft verbundene Gier, die Gier nach
Werden, die Gier nach Vernichtung.
3. Die edle Wahrheit der Aufhebung des Leidens:
Die restlose Aufhebung, Vernichtung, Aufgabe, Verwerfung, das Freigeben und Ablegen eben dieser
Gier.
4. Die edle Wahrheit der Wege der Leidensaufhebung (der edle achtfache Weg)
Der edle achtfache Weg 31
Heilige Schriften
Die Heilige Schrift des Theravada-Buddhismus ist der Pali-Kanon. Er gilt nicht wie z.B. die Bibel als
Gotteswort, sondern als die Lehren Buddhas. Er wird in 3 Hauptbereiche aufgeteilt, welche als die drei
Körbe bezeichnet werden. Dies, weil die Texte auf Palmblätter niedergeschrieben und in Körben
gelagert wurden. Die Heilige Schrift unterscheidet den Korb der Ordensregeln, den Korb der Lehrreden
und den Korb der philosophischen Behandlung der Lehre.
Die religiöse Praxis
Die Verehrung (Puja) Buddhas ist ein wichtiger Teil der religiösen Praxis. In den meisten
Haushaltungen ist ein kleiner Altar zu finden. Auf dem höchsten Punkt befindet sich ein Buddha. Als
Zeichen der Verehrung werden Lotusblumen, Kerzen, Weihrauch, Reis und Wasser dargebracht. Es
werden kurze Gebete und Formeln gesprochen. Auch andere Objekte werden verehrt, so z.B. die zum
Gedenken an Buddha erstellten Stupas und Pagoden, welche Reliquien Buddhas enthalten. Buddha
selbst hat sich gegen die Verherrlichung seiner Person gewehrt, denn das Zentrum sei seine Lehre.
Ein weiterer Teil der religiösen Praxis ist die Meditation. Sie ist ein wichtiger Bestandteil des
achtfachen Weges, um Nirvana erreichen zu können.
”In Erinnerung daran, dass Buddha an einem Vollmond «erwachte», wird jeder Vollmondtag geheiligt.
Traditionellerweise werden aber auch der Leermond und zu- und abnehmender Halbmond als BuddhaTage gefeiert. Für Mönche sind dies Busstage.” 32 Manche Buddhistinnen kleiden sich an diesen
Mondtagen weiss, gehen ins Wat (Kloster) oder feiern diese Buddha-Tage zu Hause.
2. Pflegerelevante Themen
Gesundheit, Krankheit und Behinderung
Aufgrund des Karma-Gedankens werden Gesundheit, Krankheit und Behinderung als Folge von Taten
aus der jetzigen und aus früheren Existenzen verstanden. Buddhistinnen und Buddhisten verstehen
Krankheit jedoch nicht als Strafe, sondern vielmehr als logische Folge ihres früheren Verhaltens und
nehmen sie an.
Da das Leben ihrer Ansicht nach Leiden bedeutet, gehört auch Krankheit dazu. Um das Leiden zu
überwinden, soll der achtfache Weg beschritten werden. Nur dadurch kann vollkommene Genesung
erreicht werden. Daher ist Meditation für kranke Buddhistinnen und Buddhisten oft von zentraler
Bedeutung. Es wird jedoch auch die Auffassung vertreten, dass ein gesunder Körper Voraussetzung für
die erfolgreiche Meditation ist. Darauf beruhen im Sinne der Prävention Empfehlungen, z.B. bezüglich
Ernährung, welche die Gesundheit positiv beeinflussen sollen.
Leben bedeutet Leiden, was auch (aber nicht nur) im Sinne von körperlichem Schmerz verstanden
werden kann. Im Buddhismus ist es wichtig, Leiden zu lindern. Trotzdem kann es vorkommen, dass
buddhistische Patientinnen und Patienten Schmerzmedikamente ablehnen. Der Grund dafür ist die
zentrale Wirkung gewisser Substanzen, welche die Bewusstseinslage vermindern können. Das
Bewusstsein sich und anderen gegenüber ist ein Teil des edlen achtfachen Weges und daher von sehr
grosser Bedeutung. Patientinnen und Patienten, die aus diesem Grund keine Schmerzmedikamente zu
sich nehmen wollen, sollten darüber aufgeklärt werden, dass es auch Präparate gibt, welche keine
zentralen Nebenwirkungen haben. Falls sie diese trotzdem ablehnen, sollten Pflegende diese Haltung
respektieren.
In vielen thailändischen Spitälern ist es üblich, für jede Patientin und jeden Patienten zwei Betten zur
Verfügung zu stellen. Ein Bett ist für die Patientin resp. den Patienten und das zweite für eine
angehörige Person. Diese übernimmt einen Grossteil der Grundpflege. Die Anwesenheit einer
nahestehenden Person wird aber auch als wichtig und unterstützend für das psychische Wohlbefinden
der Kranken erachtet. Daher kann es vorkommen, dass thailändische Patientinnen und Patienten auch in
unseren Spitälern das Bedürfnis haben, so oft als möglich eine angehörige Person bei sich zu haben.
Körperpflege
Für die thailändische Bevölkerung ist die Körperhygiene sehr wichtig. Eine Thailänderin erklärte mir,
die Reinheit des Geistes sei im Buddhismus von grosser Bedeutung, und die Reinheit des Körpers stehe
damit in engem Zusammenhang. Normalerweise werde die Körperhygiene am Abend vor und am
Morgen nach dem Schlafen unter fliessendem Wasser durchgeführt. Sich mit einem Lappen oder in
einem Vollbad zu reinigen, sei ihnen eher fremd.
Nach buddhistischer Ansicht ist der Kopf der Sitz des Geistes. Daher soll mit dem Kopf besonders
behutsam umgegangen werden. Es ist absolut unüblich, den Kopf eines anderen Menschen (auch von
Kindern) zu berühren. Falls dies in der Pflege nötig ist, stellt dies kein Problem dar. Es ist jedoch
wichtig, als Pflegende solche Berührungen besonders sorgfältig durchzuführen. Die Füsse sind das
Gegenstück des Kopfes und gelten als unrein.
Nach der ersten Menstruation unterziehen sich die Mädchen einem rituellen Reinigungsbad. Danach
werden sie neu eingekleidet.
Buddhistische Nonnen und Mönche scheren beim Eintritt ins Wat und danach bei jedem Vollmond ihr
Haar.
Kleidung
Im heutigen Thailand kleiden sich Frauen und Männer im westlichen Stil. Im gesamten asiatischen
Raum ist es jedoch üblich, sich diskret zu kleiden und den Körper so zu bedecken, dass er nicht
aufreizend wirkt. Auf einer Thailandreise ist mir aufgefallen, dass viele Thailänderinnen und Thailänder
auch am Strand keine Badeanzüge, sondern ihre übliche Kleidung trugen. Sogar wenn sie im Meer
badeten, trugen sie oft T-Shirt und Hose. Nur Thais, die engen Kontakt zu westlichen Touristinnen und
Touristen hatten oder Frauen, welche in der Prostitution arbeiteten, fühlten sich dieser Kleidernorm
weniger verpflichtet.
In der Pflege soll daran gedacht werden, dass viele Menschen aus Thailand sich bezüglich ihres Körpers
mehr Diskretion gewohnt sind, als dies im Westen üblich ist.
Buddhistische Mönche kleiden sich normalerweise in orange und Nonnen in weisse Gewänder.
Speisevorschriften
Grundsätzlich wird im Buddhismus geraten, nicht übermässig viel zu essen, da dies Trägheit und
Faulheit hervorrufe und der Gesundheit schade. Manche Buddhistinnen und Buddhisten meiden Fleisch,
Fisch, Eier, Alkohol und spezielle Gewürze. In Thailand werden jedoch für die Zubereitung der meisten
Gerichte Fleisch, Fisch oder Eier verwendet. Normalerweise wird sehr scharf und zu jeder Mahlzeit
(auch am Morgen) Reis gegessen. Es sollte daher von den Pflegenden geklärt werden, welche
Bedürfnisse Menschen aus diesem Kulturkreis bezüglich Ernährung haben. Vielen Thailänderinnen,
welche mit Schweizern verheiratet sind, ist unsere Esskultur bekannt. Daher wird die Ernährung im
Spital für sie kein allzu grosses Problem darstellen. Falls eine Patientin oder ein Patient es trotzdem
vorzieht, sich von zu Hause verköstigen zu lassen, sollte dies, sofern keine spezielle Diätvorschrift
besteht, ermöglicht werden.
Für Nonnen und Mönche bestehen spezielle Speisevorschriften. Eine davon ist, nur vor dem Mittag zu
essen. Da es recht selten ist, dass in unseren Spitälern buddhistische Nonnen oder Mönche gepflegt
werden, möchte ich nicht weiter darauf eingehen. Wichtig ist es, dass Pflegende dies gegebenenfalls mit
den entsprechenden Patientinnen oder Patienten besprechen.
Geschlechterbeziehung
Wie im gesamten asiatischen Raum besteht auch in Thailand die Auffassung, sich aus Gründen des
Anstandes dem anderen Geschlecht gegenüber diskret zu verhalten.
In der Ehe hat der Mann die Aufgabe, die Familie materiell zu versorgen und zu beschützen. Die
Aufgabe der Frau ist es, die Familie zu ernähren. "Bis heute gibt es in vielen, vom Buddhismus
geprägten Ländern eine ziemlich klare Auffassung über die unterschiedliche Rolle von Mann und Frau,
wobei religiöse Wertungen und patriarchalische Auffassungen nicht immer klar zu trennen sind.
Männer nehmen einen höheren geistigen Rang als Frauen ein. (...) Trotz bestimmter patriarchalischer
Bewertungen im Buddhismus herrscht in der Praxis ein recht freies und gleichrangiges Verhältnis von
Mann und Frau vor." 33
Auch hier gelten für Nonnen und Mönche spezielle Regeln. Sie haben sehr darauf zu achten, dass sie
mit dem anderen Geschlecht keinen Körperkontakt haben. Für sie ist es absolut notwendig, dass sie von
gleichgeschlechtlichen Personen gepflegt werden. Dies ist jedoch bei allen Buddhistinnen und
Buddhisten wünschenswert.
2. Rituale
Gebet
Ein zentraler Teil der religiösen Praxis ist die Meditation. Wenn die Möglichkeit besteht, ist es sinnvoll,
buddhistischen Patientinnen und Patienten dafür einen Raum anzubieten, wo sie in Ruhe meditieren
können. Ist dies nicht der Fall, kann mit Hilfe eines Paravent eine Ecke im Zimmer dafür zur Verfügung
gestellt werden. Zusätzlich werden zur Verehrung Buddhas kurze Gebete gesprochen und bestimmte
Formeln rezitiert. Eventuell muss darauf hingewiesen werden, dass im Spital keine Räucherstäbchen
verwendet werden dürfen.
Für viele Thailänderinnen und Thailänder ist die Verehrung Buddhas an den Mondtagen (siehe religiöse
Praxis) von besonderer Bedeutung.
Geburt
Wenn Kinder in Thailand zu Hause geboren werden, ist es üblich, bis zum siebten Tag nach der Geburt
im Hause ein Feuer brennen zu lassen. In den Spitälern in Thailand wird dies jedoch nicht mehr
gemacht.
Am siebten Tag nach der Geburt wird ein Empfangsfest gefeiert.
Sterben und Tod
”Der Tod ist für den Buddhisten aufgrund der Lehre von der Wiedergeburt kein Endpunkt, vielmehr
integraler Bestandteil des Lebensprozesses.” 34 Daher ist die Haltung im Buddhismus dem Tod
gegenüber grundlegend anders als in der westlichen Welt. Viele buddhistische Glaubensangehörige
finden sich mit dem Tod leichter ab als Menschen aus dem westlichen Kulturkreis. Sie möchten in der
Regel jedoch frühzeitig über den bevorstehenden Tod informiert werden, damit sie sich darauf
vorbereiten können. Es ist ihnen dann ein Bedürfnis zu beten und zu meditieren. Sie glauben daran, dass
neben guten und schlechten Taten auch die Geisteshaltung während des Sterbens die neue Existenz
beeinflussen wird. Für Pflegende ist es dabei wichtig, daran zu denken, dass sterbende Buddhistinnen
und Buddhisten ein grosses Bedürfnis nach Ruhe haben. Es empfiehlt sich also, die pflegerischen
Massnahmen aufs absolute Minimum zu beschränken.
Manchen buddhistischen Glaubensangehörigen ist es ein Bedürfnis, während des Sterbens einen
buddhistischen Mönch bei sich zu haben, der sie begleitet.
Es besteht die Auffassung, dass nachdem der Tod eingetreten ist, der Körper möglichst wenig berührt
werden sollte, damit der Geist im Körper nicht gestört wird. Auch in dieser Situation sollte der Kopf so
wenig wie möglich berührt werden. Traditionellerweise werden Tote in Thailand in ein Kloster
gebracht. Dort wird die Leiche gewaschen, in ein weisses Tuch gehüllt und am 7. Tag kremiert. Die
Asche wird meistens in einen Fluss gestreut oder zu Hause aufbewahrt. Die Feierlichkeiten nach dem
Tod eines Menschen sind in Thailand nicht nur von Trauer, sondern auch von Glück und Freude
begleitet und dauern 3 Tage und Nächte.
Es empfiehlt sich mit den Angehörigen abzusprechen, wie sie dies bei einem Todesfall in unserer
Kultur handhaben wollen.
Sieben Wochen nach dem Tod und ein Jahr später werden für die Verstorbenen spezielle Gebete
gehalten.
4. Haltung gegenüber der modernen westlichen Medizin
Allgemein
Die Grundhaltung des Buddhismus gegenüber der westlichen Medizin ist positiv. Im Buddhismus gibt
es viele traditionelle Heilverfahren, welche nach wie vor praktiziert werden. Falls Kranke solche
Heilpraktiken anwenden möchten, sollten Pflegende sie darauf hinweisen, dass sie dies mit den
behandelnden Ärztinnen und Ärzten besprechen sollen.
Familienplanung
Zur Empfängnisverhütung und Abtreibung gibt es im Buddhismus verschiedene Auffassungen.
"Asiatische Buddhisten lehnen - zumindest offiziell - Abtreibung ab, nicht aber Empfängnisverhütung.
(...) Das Töten, auch eines Embryos, wird jedoch als schwerer Verstoss gegen das grundsätzliche
Tötungsverbot betrachtet. 91,8% der thailändischen Bevölkerung stehen der Abtreibung positiv
gegenüber, wenn dadurch das Leben der Mutter gerettet wird. Nur 12,7% votieren aber bei
unverheirateten Frauen positiv." 35
Zum Thema künstliche Befruchtung habe ich keine Stellungnahmen gefunden.
Bluttransfusion und Organtransplantation
Im Buddhismus sind Bluttransfusion und Organtransplantation erlaubt.
Euthanasie, Suizid und Autopsie
"Euthanasie im Buddhismus wird weder vom Standpunkt der Karmalehre noch von der Psychologie her
gutgeheissen. Das schlechte Karma, welches das Leiden jedes einzelnen Patienten verursacht hat, soll
solange seinen Lauf nehmen, bis es sich erschöpft hat und die Wiedergeburt nicht mehr beeinflussen
kann. Unterbricht man das Leiden, werde es in einem weiteren Leben neu beginnen, bis es verbraucht
ist." 36 In diesem Sinne wird auch Suizid eher abgelehnt.
Zum Thema Autopsie habe ich keine Stellungnahmen gefunden. Eine Thailänderin meinte jedoch, eine
Autopsie dürfe sicher durchgeführt werden.
5. Eintrittsgespräch
Folgende Punkte sollten beim Eintrittsgespräch u. U. mit Hilfe einer Dolmetscherin oder einem
Dolmetscher geklärt werden:
 Bedürfnisse bezüglich Ernährung
 Bedürfnisse bezüglich Körperpflege
 Bedürfnisse bezüglich religiöser Praxis
 Bedürfnisse und allenfalls Möglichkeiten einer gleichgeschlechtlichen Bezugsperson
 Krankenbesuch und Besuchszeiten
Dank
Ich danke all jenen Menschen, die mich während dieser Arbeit begleitet und in irgendeiner Art
unterstützt haben.
Besonderen Dank gelten dabei für die inhaltliche Korrektur des Islams Frau Dr. med. Majida Tufail und
Elhassan Orban (eidgen. dipl. Apotheker), des Judentums Dr. med. Schlomo Aschkenasy, Dr. Rolf
Halonbrenner und Dr. Josef Bollag, des Hinduismus und Buddhismus Christoph Peter Baumann. Ihm
auch ganz herzlichen Dank für die vielen Informationen und verständlichen Ausführungen, die vielen
Ermunterungen, die Kontakte mit andersgläubigen Menschen, die er mir vermittelte und die kompetente
Begleitung.
6 Literatur
 Barden, Ingeborg: Glauben - Leben - Pflege im Judentum, Christentum und Islam. Freiburg im
Breisgau 1992.
 Baumann, Christoph Peter: Aleviten. Der andere Islam. Basel 2000, 3. Aufl.
 Baumann, Christoph Peter: Buddhismus. Regensburg 1999.
 Baumann, Christoph Peter: Begegnung mit dem Hinduismus. Hamburg 1996, 2. Aufl.
 Baumann, Christoph Peter, Duncker, Tanja; u.a.: Die Frau im Islam. Basel 1991.
 Baumann, Christoph Peter, Jäggi, Christian J.: Muslime unter uns, Islam in der Schweiz. Luzern und
Stuttgart 1991.
 Brunner-Traut, Emma: Die fünf grossen Weltreligionen. Freiburg im Breisgau 1991.
 De Vries, S. Ph.: Jüdische Riten und Symbole. Reinbek bei Hamburg 1993.
 Gemeinschaft von Christen und Muslimen: Muslime im Spital Eine Handreichung. Bern.
 Klöcker, Michael; Tworuschka, Monika & Udo: Wörterbuch Ethik der Weltreligionen. Gütersloh
1996.
 Manava Verlag: Unterrichtsmittel 1997. Basel 1997.
 Neuner, Olga; Schäfer, Karl: Krankenpflege und Weltreligionen. Freiburg im Breisgau 1990.
 Neuberger, Julia: Die Pflege Sterbender unterschiedlicher Glaubensrichtungen. Berlin und
Wiesbaden 1995.
 Schweizerisches Rotes Kreuz: Bestimmungen für die Diplomausbildung in Gesundheits- und
Krankenpflege. 1992.
 Sharma, Arvind: Innenansichten der grossen Religionen. Frankfurt am Main 1997.
 Tworuschka, Monika & Udo; u.a.: Religionen der Welt. München 1996.
7. Anhang
Gesamtangebot der Pflege 37
Das Gesamtangebot der Pflege, welches die pflegerischen Bedürfnisse befriedigt, wird in fünf sich
gegenseitig ergänzenden Funktionen zusammengefasst:
 Funktion 1:
Unterstützung in und stellvertretende Übernahme von Aktivitäten des täglichen
Lebens
 Funktion 2:
Begleitung in Krisensituationen und während des Sterbens
 Funktion 3:
Mitwirkung bei präventiven, diagnostischen und therapeutischen Massnahmen
 Funktion 4:
Mitwirkung an Aktionen zur Verhütung von Krankheiten und Unfällen einerseits
sowie zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit andererseits; Beteiligung an Eingliederungsund 38 Wiedereingliederungsprogrammen
 Funktion 5:
Mitwirkung bei der Verbesserung der Qualität und Wirksamkeit der Pflege und
bei der Entwicklung des Berufes; Mitarbeit an Forschungsprojekten im Gesundheitswesen
A
nmerkungen
1
2
Gemeinschaft von Christen und Muslimen in der Schweiz. Muslime im Spital. Eine Handreichung.
vgl. SRK : Bestimmungen für die Diplomausbildung in Gesundheits und Krankenpflege. 1992.
Anhang.
3
Utitz, Z.: Religionen der Welt. 1996. S. 14.
4
vgl. ebd. S. 15.
5
vgl. ebd. S. 12.
6
vgl. Klöcker, Michael; Tworuschka Monika & Udo: Wörterbuch Ethik der Weltreligionen. 1996. S. 61, 62 & 213.
7
vgl. ebd. S. 214.
8
vgl. ebd. S. 205 - 208.
9
Baumann, Christoph Peter: Aleviten. Der andere Islam. 1994. S. 4.
10
vgl. Baumann, Christoph Peter; Jäggi, Christian J.: Muslime unter uns. 1991. S. 22-24.
11
ebd. 1991. S. 24.
12
vgl. ebd. S. 15 - 21.
13
ebd. S. 29 - 31.
14
ebd. S. 30 - 31.
15
vgl. ebd. S. 18 - 20.
16
Klöcker, M.; Tworuschka, Monika & Udo: Wörterbuch Ethik der Weltreligionen. 1996. S. 65.
17
vgl. ebd. S. 63 - 66.
18
vgl. ebd. S. 215.
19
vgl. ebd. S. 205 - 209.
20
Baumann, Christoph Peter: Begegnung mit dem Hinduismus. 1996. S. 7.
21
ebd. S. 12.
22
ebd. S. 13.
23
ebd. S. 15.
24
ebd. S. 16.
25
Neuberger, Julia: Die Pflege Sterbender unterschiedlicher Glaubensrichtungen. 1995. S. 28.
26
Baumann, Christoph Peter: Begegnung mit dem Hinduismus. 1996. S. 23.
27
Baumann, Christoph Peter: Buddhismus. 1999. Teil B / S. 27.
28
vgl. ebd. Teil B / S. 33.
29
ebd. Teil B / S. 6.
30
Tworuschka, Monika & Udo: Religionen der Welt. 1996. S. 295 & 296.
31
Baumann, Christoph Peter: Buddhismus. 1999. Teil B / S. 25.
32
ebd. Teil B / S. 70.
33
Tworuschka, Monika & Udo: Ethik der Weltreligionen. 1996. S. 133.
34
ebd. S. 118.
35
ebd. 1996. S. 67.
36
ebd. S. 209.
37
SRK: Bestimmungen für die Diplomausbildung in Gesundheits- und Krankenpflege. 1992. S. 4.
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