Prof. Dr. Dr. Michael N. Ebertz Was erwarten Jugendliche von der Kirche – was ist zu tun? These 1: Zwischen Kirchen-Image und Kirchen-Erfahrung In der Kirche engagierte Jugendliche wissen, dass Kirche in ihrem Erfahrungsfeld besser als ihr Ruf ist – sein kann. Dies heißt freilich nicht, dass sie kritiklos sind und keine (häufig auch enttäuschten) Erwartungen an die Verantwortlichen der Kirche haben: „Aus Kirche könnte man mehr machen.“ These 2: Unterschiedliche Erwartungen Auch ist es keinesfalls so, dass die Erwartungen der in der kirchlichen Jugendarbeit Engagierten in die gleiche Richtung gehen: Die ‚Spirits’ sehen die Kirche typologisch primär als Ort der Gottesliebe, die ‚Humans’ primär als Ort der Nächstenliebe, die ‚Funs’ primär als Ort der Selbstliebe. Eine Herausforderung kirchlicher Jugendarbeit besteht darin, die Erfahrung von Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe zusammen zu führen. Insbesondere seitens der ‚Humans’, aber auch die ‚Funs’, wird gerade die Vielschichtigkeit des kirchlichen Angebotes positiv bewertet. Die Kombination, die Mischung unterschiedlicher Freizeit- und Bildungsangebote scheint ein wichtiges Profilmerkmal kirchlicher Jugendarbeit zu sein, das es zu pflegen gilt. These 3: Erinnerungen In religionspädagogischer Absicht wird man - nicht zuletzt die ‚Spirits’ - an die Wesensmerkmale der jüdisch-christlichen Glaubenstradition zu erinnern haben, wozu auch gehört, dass sich die Beziehung des Menschen zu Gott, dem Schöpfer der Welt, keinesfalls auf Bibellektüre und auf den religiösen Kult beschränken kann. Und den Pfarrgemeinden, wo die ‚Spirits’ häufig ein geistliches Angebot vermissen, wie auch den dort in der Regel dominierenden ‚Humans’ wie ‚Funs’ wäre zu vermitteln, dass sich das Christliche nicht im Selbsthilfe- und Dienstleistungsehrenamt erschöpft. Zugleich müsste es darum gehen, der Tendenz zur Privatisierung des Christseins ‚gegen den Strich zu laufen’ und den Beitrag des Christen zur Gestaltung des Sozialen aus seiner öffentlichen Mitverantwortung heraus als eine spannende und vitalisierende Aufgabe wiederzuentdecken und neu zu erfahren. These 4: Gottesbilder - Christusbilder Viele Studien bringen eine hochgradige Pluralität der Gottesbilder – auch und gerade unter Katholiken - zutage, die einerseits von der christlichen Tradition gedeckt sind, andererseits aber auch nur schwer mit ihr zu vermitteln sind. Auffällig ist auch unter den Jugendlichen ein starker Subjektivismus in den Gottesvorstellungen, bei einigen – besonders den ‚Funs’ - aber auch eine beinahe durchgehende Sprachlosigkeit, ja 2 Peinlichkeit in der Gottes-Kommunikation. ‚Gott’ wird zwar verbalisiert, nicht aber – und dies ist noch auffälliger, ja aufregender - ‚Gott in Christus’ (Christozentrik). Eine zentrale Herausforderung ist, dieser Tabu-Erwartung, religionspädagogisch zu begegnen und Jesus Christus zu einem plausiblen religiösen Bezugspunkt werden zu lassen. These 5: Jugendästhetische Repräsentanz in der Liturgie Für nahezu alle Befragten der ‚Spirits’, der ‚Humans’ und der ‚Funs’ erweist sich eine junge und lebendige Kirche nicht zuletzt in ihren liturgischen Vollzügen. Die Erwartungen an die Gottesdienste sind allem Anschein nach erstaunlich hoch und hoffnungsvoll nach dem Motto: ‚Aus Kirche, aus den Gottesdiensten könnte man mehr machen’. Einige Jugendliche können sich gravierende Veränderungen in Form und Inhalt des Gottesdienstes vorstellen und neigen im Unterschied zu anderen zum Experimentieren mit symbolischen Handlungen. Letztlich geht es um die Repräsentanz ihres jugendgenerationellen Lebens und Lebensgefühls durch das Moment des Ästhetischen, durch ihre Ästhetik, ihre Musik. Hier verdichtet sich ihre generationelle Identität, die sich auch im Dienst Gottes – im Gottesdienst – zum Ausdruck bringen will und von der Ästhetik anderer Generationen nicht blockiert oder überfremdet werden soll. Mit Jugendlichen müsste erarbeitet werden, welche Elemente eines christlichen Gottesdiensts – der Eucharistiefeier - theologisch konstitutiv und welche gestaltungsoffen sind. Und gerade auch unterhalb der ‚Eucharistieschwelle’, die nicht zu oft zu überschreiten wäre, liegen experimentelle Gestaltungs- und breite Mitwirkungschancen. These 6: Erfahrungsbezogene Verkündigung Aber auch die Gestaltung der Predigt sollte an die Sprache und das sprachliche Rezeptionsniveau der Jugendlichen angepasst sein und sich an ihren lebensweltlichen Erfahrungs- und Sorgebereichen orientieren. Es geht wohl nicht darum, den jungen Menschen predigend ‚nach dem Munde zu reden’, sondern ihnen auch und gerade in der Verkündigung des Wortes Gottes zu zeigen, dass er als ‚Gott mit uns’ auch ein ‚Gott mit ihnen’ ist. These 7: Für eine Kultur des Dankens und der Wertschätzung Die Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement im Raum der Kirche ist unter den befragten Jugendlichen Beweggründen, erhebliches die je Desiderat größtenteils nach gegeben, Orientierungstyp hinsichtlich der wenn auch variieren. sozialen aus unterschiedlichen Jugendliche Anerkennung der bringen ein Jugendarbeit insbesondere seitens der pastoral Hauptamtlichen zum Ausdruck. Die unentgeltliche ehrenamtliche Arbeit stellt ein ‚Pfund’ der katholischen Jugendarbeit dar und sollte deshalb auch als ein solches wahrgenommen und gepflegt werden. Konkret und punktuell geht es den Jugendlichen darum, ein ehrlich gemeintes Lob zu erhalten, wenn sie das 3 Gefühl haben, etwas ‚auf die Beine gestellt’ oder sich für etwas eingesetzt zu haben. Strukturell geht es wohl um mehr: um den mittelfristigen Aufbau einer Kultur der Wertschätzung und der sozialen Anerkennung – auch hinsichtlich ihrer – freilich nach ‚Humans’, ‚Spirits’ und ‚Funs’ – recht unterschiedlichen Teilhabe am pastoralen Grundauftrag der Kirche.1 These 8: Mediation Die Verbesserung des Dialogs zwischen ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitern und den Jugendlichen zum wechselseitigen Erlernen der unterschiedlichen Perspektiven und eine bessere Kooperation und Partizipation auch und gerade der ehrenamtlich Engagierten ist eine hervorstechende Erwartung. Es müssten Überlegungen angestellt werden, neue Partizipationschancen zu Partizipationssteigerung sondieren. liegt Partizipationsverfahren, als Ein wichtiger möglicherweise in der Einrichtung Schritt weniger von in im Richtung Ausbau eindeutigen von Vermittlerrollen, wahrgenommen an und von Personen, die situativ und fallweise als Mediatoren hin zum ‚Erwachsenensystem’ der Pfarrgemeinde Ansprechpartner vor Ort sollten ehrliches empathisch wahrnehmen, ernst nehmen, fungieren (und umgekehrt). Solche Interesse an den Jugendlichen zeigen, sie respektieren, wertschätzen und ihnen gegebenenfalls - bei Konflikten mit ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitern der Kirche – advokatorisch zur Seite stehen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, bedarf es zumindest fallweise professioneller – auch externer - Unterstützung. Der Ansprechpartner der Jugendlichen sollte die Aufgabe eines unaufdringlichen ‚Begleiters’, eines ‚Mentors’, eines ‚Mediators’ und eines ‚Anwaltes’ haben und von den Jugendlichen als Vertrauensperson selbst gewählt werden. Möglicherweise sind auch mehrere solcher Vertrauenspersonen zu gewinnen. Gegebenenfalls könnte mit den Jugendlichen besprochen werden, welche Vorstellungen sie von einem ‚Mediator’/einer Mediatorin haben, welche Erwartungen sie an diese Rolle stellen und wie eine gute Kommunikation und Kooperation ihres Erachtens aussieht. These 9: Soziale Schließung und Differenzierung In den meisten Gruppierungen kirchlicher Jugendarbeit kommt es im Lauf der Zeit durch die vielen miteinander verbrachten Stunden und Erlebnisse zu einem starken Zusammenhalt und zur Vertrauensbildung, die Fremdheit und Neuzugang ausschließt. Die Erwartung von vertrauensvoller Verbundenheit, ja auch Milieuverbundenheit, die selten explizit formuliert wird, aber implizit fraglos vorhanden, ja basal ist, verträgt keine Fremdheit. Dieser soziale Tatbestand sollte klug wahrgenommen und es sollte nicht 1 Vgl. hierzu: Michael N. Ebertz Ehrenamtliches (Laien-)Engagement. Einsichten und Anstöße. In: Hans-Georg Hunstig/Magdalena Bogner/Michael N. Ebertz (Hg.), Kirche lebt. Mit uns. Ehrenamtliches Laienengagement aus Gottes Kraft. Düsseldorf 2004, 142-175. 4 einfach für ‚Öffnung’ Gelegenheitsstrukturen plädiert des werden, Vertrauens da und einer der solchen Solidarität die Zerstörung folgen würden. von Eine Alternative liegt in der Eröffnung weiterer Gelegenheitsstrukturen für ‚Seiteneinsteiger-’ bzw. ‚Anfängergruppen’, die ein gesundes Nebeneinander – auch unterschiedlicher Milieuorientierungen - ermöglichen. Diese könnten eigene Schwellengrade haben, darunter auch Angebote in Gestalt von Projektgruppen. Letztere sind thematisch spezialisierter, bieten also nicht mehr die charakteristische Diffusität der kirchlichen Freizeitangebote, und könnten sich auch differenzierter auf die drei Orientierungstypen ausrichten (z. B. einen Bibelkreis für die ‚Spirits’, einen Arbeitskreis ‚Fairer Handel’ für die ‚Humans’ und ‚Postmateriellen’, eine Erlebniswerkstatt für die ‚Funs’, eine onlinecommunity für die ‚Modernen Performer’). So geht vertrauensvolle Verbundenheit und ‚Beheimatung’ nicht verloren, erstarrt aber auch nicht in gewohnheits- und milieuverengter Beharrung. Eine andere Frage ist: Was wird aus der herkömmlichen religiösen Kommunikation, was aus den Gesellungsformen der Jugendverbände, wenn die „primäre Form von Sozialität“ (Sinus-U27-Studie, 27) der Kinder und Jugendlichen die digitale Kommunikation ist? These 10: Professionalität Differenzierung scheint auch angesagt, wenn es gilt, sozial schwächere Jugendliche zu erreichen. Dabei scheinen die bisherigen Teilnehmer kirchlicher Jugendarbeit allerdings rasch überfordert. Außerdem grenzen sich einige der befragten Jugendlichen von sozial schwächeren Jugendlichen deutlich ab und wollen mit ihnen nicht in Verbindung gebracht werden. Ähnliches dürfte im Blick auf Kinder und Jugendliche mit Behinderungen gelten. Um solche Adressaten zu erreichen und in die kirchliche Jugendarbeit zu integrieren, sind professionelle Kräfte notwendig, die den Jugendlichen zur Seite stehen. Deswegen wäre über eine stärkere Einbeziehung und über eine Kooperation z. B. mit der professionellen Caritas nachzudenken. Der oder die ‚Professionelle’ sollte jedoch nur die Funktion eines Begleiters und Beraters haben, da die Jugendlichen nicht ‚klientelisiert’ werden und ihr ‚autonomes’ Handeln nicht aufgeben wollen. Auch in der Kirche geht die Erwartung der Jugendlichen auf Respekt vor ihrem Souveränitätswillen, also des je persönlich geltenden Autonomieanspruchs gegenüber der kirchlichen Institution und Tradition, sich als selbst bestimmte Sinnkonstrukteure zu verhalten, wozu auch die Einstellung gehören kann, jeden Versuch der kirchlichen Beeinflussung als Eingriff in die inneren Angelegenheiten abzuwehren. These 11: Resonanzfähigkeit Nicht allen Erwartungen der Jugendlichen an die Kirche von heute wird jederzeit und an jedem Ort von jedem Rechnung getragen werden können. Aber es braucht (gerade auch in neuen pastoralen Räumen) Personen, die sich beflügeln lassen von den auffallend 5 positiven Erwartungen auch und gerade junger – nicht nur rituell kirchennaher Menschen, dass man nämlich „aus Kirche viel mehr machen könnte“. Eine solche erfrischende wie vielleicht überraschende Aussage bedeutet, für die unterschiedlichen Jugendlichen (und ihre Milieuorientierung) resonanzfähig zu werden und sich mit ihnen – und unter ihrer aktiven Partizipation - auf die Suche nach und in den gestaltungsoffenen Bereichen von Kirche zu machen und diese für Jugendliche und mit Jugendlichen neu zu buchstabieren – in prinzipiell diakonischer und charismenorientierter, d.h. ressourcenorientierter Haltung. These 12: Schutz vor Erwachsenen, Pfadfinder in der Jugendkultur Gesucht sind deshalb Räume, - wo die unterschiedlichen Typen von Jugendlichen in ihrem So-und-nicht-anders(geworden)-Sein repräsentiert und respektiert werden - wo die Vermittlung (Berührung, Anknüpfung) von christlicher Tradition und zeitgenössischer Jugendkultur mutig sondiert und experimentell erprobt werden kann (‚Evangelisierung‘), zumal die zeitgenössische Popkultur nicht selten an Momenten der christlichen Tradition anknüpft, - und wo der Schutz der jungen Menschen vor Erwachsenen ebenso gewährleistet ist wie der Schutz von Erwachsenen und ihren religiösen und ästhetischen Sitten und Bräuchen. Nötig sind deshalb geistliche Pfadfinder, Zeiten und Zentren - im Kontext der zeitgenössischen Jugendkulturen - mit Gebet, Tanz, in Musik, Kunst und Gespräch, - durch Events - wie die Weltjugendtreffen von Taizé, die Weltjugendtage des Papstes und die Minievents von Ordensgemeinschaften - und Gottesdienste auch zu ungewöhnlichen Zeiten und an ungewöhnlichen Orten - durch Exerzitien und andere Methoden religiöser Selbsterfahrung. Ziel ist der Aufbau und die Aktivierung sozialer Beziehungsnetze als Träger der NeuKommunikation und Neu-Plausibilisierung christlicher Sinngehalte. Insbesondere müsste es dabei darum gehen, sich auf die Suche zu machen, traditionell bereits vorgegebene Momente der christlichen Tradition mit der Erlebnis- und Erfahrungsdimension zu durchdringen und neu zu erschließen. Voraussetzung wäre, die Präsenz des kirchlichen Christentums zukünftig nicht nur auf der institutionell-organisatorischen sowie der kulturellen Ebene zu verankern, sondern verstärkt auch und gerade auf der Interaktionsund Individualebene, deren bisherige lebensweltliche Stützen zur Tradierung des Glaubens, z.B. in der Familie, weitgehend abhanden gekommen sind.