Rolf L. Willaredt Zu Goethes Naturerleben. Gegenwart ist ihr

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Rolf Willaredt
„Gegenwart ist ihr Ewigkeit“
Goethes
naturwissenschaftliches Denken
und Handeln
heute
Ein fachübergreifendes Lernprojekt
zum Naturerleben mit Goethe
1. Zielvorstellung des Lernprojekts
2. Naturbegriffe im ausgehenden 20. Jahrhundert
3. Goethe, naturwissenschaftlicher Dichter und dichtender Naturwissenschaftler
4. Goethes Geschichtsbegriff
5. Goethe, der Universalist
6. Die Verbindung von Wissenschaft und Kunst bei Goethe
7. Wie hält es Goethe mit der Religion?
8. Goethes interdisziplinäres Denken und Handeln
9. Goethes Einstellung zur Technik
10. Zukunftsperspektiven mit Goethe
11. Überlegungen zur Methodik und Didaktik eines deutschsprachigen
fachübergreifenden Unterrichts
1. Zielvorstellung des Projekts
Auch in Rumänien kamen wir in seinem Jubiläumsjahr nicht an Goethe vorbei. Es jährte sich
der 250. Geburtstag des großen Dichters, Schriftstellers, Staatsmannes, Schauspieldirektors
und Naturwissenschaftlers. Aber nicht aus diesem Anlass allein könnte sich ein Schul- und
Universitätsprojekt mit Goethe beschäftigen. Im Folgenden wird ein fachübergreifendes
Projekt angeregt. Goethe gehört auch ohne Gedenkjahre nach wie vor zu den anregendsten
Persönlichkeiten des Kulturlebens gerade in der Gegenwart. Dort, wo seine Wirkung
verblasst, ist es an der Zeit, seine Biographie und seine Ideenwelt wieder aufleben zu lassen.
Das hier vorgestellte Konzept ist offen. Erweiterungen und Begrenzungen des Projektes sind
möglich. Je nach Klassenstufe, Interessengruppe und Zeitrahmen kann eine Beschäftigung mit
Goethes Naturerleben auch in einzelnen Unterrichts- oder Seminarstunden und im kleineren
Rahmen effektvoll sein. Goethe sollte aber bewusst nicht auf das Fach Deutsche Literatur
begrenzt bleiben. Ich schlage zwar das Fach Deutsch als Leit- und Koordinationsfach eines
Projektes vor, es bezieht aber alle anderen Schulfächer oder Universitätsdisziplinen mit ein,
weil Goethe selber nach einer solchen Methode verlangt, wenn man ihm gerechter werden
will. Am Ende des beispielsweise Projektes könnten je nach Schulart und Vertiefung ein
Goethe-Sammelheft, eine Ausstellung, eine Theater-Aufführungen, Lesungen und/ oder
Diskussionsforen stehen.
Ziel ist, die Schüler-/innen oder immer auch Studentinnen aus vielen Perspektiven die
Aktualität Goethes und dessen Naturverstehen erleben zu lassen. Sie sollen Goethes Denkund Handlungsweisen mit (ihren) gegenwärtigen Lebensweisen vergleichen und eigene
Schlüsse daraus ziehen. Mir ist daran gelegen, Goethe in seiner Zeit zu erkennen, aber ich
finde es noch viel wichtiger, mit den Schüler/-innen und Studenten/-innen zusammen, das
Zeitüberdauernde an Goethes Denken und Handeln gemeinsam heraus zu filtern und zu
sehen, was uns heute noch nützen könnte.
Das Projekt ist der Versuch einer Pädagogisierung und Politisierung des Naturbegriffs im
Sinne des großen Weltbürgers und Universalisten. Motivationen dazu sollen aus den
fachübergreifenden, handlungsorientierten, schüleraktiven, respektive Studenten/innenaktiven
Aufgabenstellungen entstehen.
2. Naturbegriffe im ausgehenden 20. Jahrhundert
Angesprochene Fachbereiche:
Deutsch/ Ethik/ Geschichte/ Kunst/ Naturwissenschaften/ Philosophie/ Religion...
Ziel:
 Die Schüler/-innen [oder auch Studentinnen und Studenten] sollen lernen, dass es ein
Spektrum von Naturbegriffen gibt, die historisch und gesellschaftlich begründet sind.
 Die Schüler/-innen sollen lernen, dass der Mensch innerhalb der Naturabläufe steht und
keinen Beobachterstatus außerhalb der Natur besitzt.
Um Goethes Naturerleben mit dem heutigen Verständnis vergleichen zu können, ist es
notwendig, den Pluralismus im Naturverständnis des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu
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vergegenwärtigen. Über „Natur“ hat jede und jeder irgendeine Vorstellung. Viele gehen
davon aus, dass ihre Vorstellung auch die allgemeingültige sei. Es gibt aber ganz
unterschiedliche Naturbegriffe. Was der eine als 'Natur' bezeichnet, ist bei der anderen
Garten- und Kulturlandschaft. Manche bezeichnen als Natur, was andere nur mehr als
menschliche Umwelt gelten lassen.
Positiv ausgedrückt, könnte man darin einen Ausdruck pluralistischer Meinungsvielfalt sehen.
Ich sehe darin eher eine weltanschauliche Orientierungslosigkeit der Menschen im
ausgehenden 20. Jahrhundert. Die christlich-abendländische Werte-Erziehung ist zunehmend
von der wissenschaftlich-technischen Erschließung der Welt aufgelöst worden. Es gibt aber
gleichzeitig noch keine zeitgemäße metaphysische Antwort auf die sinnlich übersinnlichen
Fragen, die der Mensch nach wie vor an das Leben hat. Florierend sind allein ErsatzReligionen (Geld, Laufbahn, Geschwindigkeit, Macht etc.), die aber alle eine Gemeinsamkeit
haben: Sie lenken mehr ab vom Wesenskern, als dass sie bemüht wären, auf die wesentlichen
Phänomene des Lebens hinzuführen.
So hat ja die Katholische Kirche 1992 mit der Rehabilitierung Galileis anerkannt, dass sich
die Erde doch um die Sonne dreht und die Erde doch nicht der Mittelpunkt der göttlichen
Schöpfung sei. Und im Jahre 1996 hat der Papst der Evolutionstheorie zugestimmt. Seither
darf innerkirchlich
nicht mehr allein davon ausgegangen werden, dass allein die
alttestamentarische Schöpfungsgeschichte Zeugnis der Entstehung und Belebung der Erde sei.
Die Zeitlupen-Bewegung der Katholischen Kirche zeigt immerhin, was in anderen Bereichen etwa den naturwissenschaftlich-technologischen Bereichen - schneller geht. „Natur“ - als eine
philosophische Kategorie - hat über die Jahrtausende hindurch ihre Geschichte und ist keine
festgeschriebene Begrifflichkeit. Zu allen Zeiten wurde sie anders verstanden.
Handlungen der Schüler/innen und Schüler
 Die Schüler/-innen führen über das gesamte Projekt einen Ordner, in dem sie die Beiträge

aus allen Veranstaltungen und Unterrichtsbeiträgen sammeln können.
Die Schüler/-innen erstellen Plakate, in denen die unterschiedlichen Naturbegriffe zum
Ausdruck kommen.
3. Goethe, naturwissenschaftlischer Dichter und dichtender
Naturwissenschaftler
Angesprochene Fachbereiche:
Deutsch/ Geschichte/ Naturwissenschaften...
Ziel:
 Die Schüler/-innen sollen wichtige Aspekte des vielgestaltigen und abwechslungsreichen
Lebens Goethes kennen lernen.
 Die Schüler/-innen lernen das umfangreiche Werk Goethes kennen, können die Bücher
handhaben und in Bildbänden lesen.
Goethe war, wie manchmal in den Hintergrund tritt, studierter Jurist und tätiger Staatsmann
war. Am wenigsten bewusst ist, dass sich dieser weltbürgerliche Universalist sein Leben lang
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am allerliebsten als Naturforscher und Wissenschaftler gesehen hat. Goethes
wissenschaftliches Denken im Allgemeinen und naturwissenschaftliches Denken im
Besonderen sowie die daraus abzuleitenden alltagspraktischen Verhaltensvorschläge sind
Thema dieses Projekts.
Handlungen der Schüler/-innen
Die Schüler/-innen suchen anhand der Bestände der Schulbibliothek oder Stadtbücherei oder
Universitätsbibliothek Lebensdaten und Werke Goethes zusammen. Sie referieren und
erstellen ein Informationsblatt.
4. Goethes Geschichtsverständnis
Angesprochene Fächer:
Deutsch/ Geschichte/ Ethik/ Philosophie/ Religion...
Ziel:
Die Schüler/-innen lernen unterschiedliche Geschichtsbegriffe kennen und begreifen
angewandte Geschichte als Museumspädagogik in heutigen ortsnahen Museen.
Zunächst ist es wichtig, die Methode des Vorgehens offenzulegen. Es geht hier - wie eingangs
erwähnt - nicht um ein historisch-museales Thema. Uns sollte es vor allem um unsere
Gegenwart gehen.
Goethe selbst hat als einer der ersten der Moderne „die drückende Last abgelegter
Vergangenheit“ empfunden. Wer sich nur mit ihr beschäftige, der verfalle einem Verhalten,
das die Gegenwart lähme. „Die Geschichte“, sagt Goethe - und damit auch die
Geschichtswissenschaft -, „selbst die beste, hat immer etwas Leichenhaftes, den Geruch der
Totengruft.“ Geschichtliches als Vergangenes anzusehen hieße, es nicht an sich heran zu
lassen. „Geschichte schreiben“, steht in Goethes „Maximen und Reflektionen“ ist „eine Art,
sich das Vergangene vom Halse zu schaffen.“ (AS 23)
Trotzdem steht Goethe dem historischen Universum und wissenschaftlichen Erkenntnissen
nicht abweisend gegenüber. Dem widerspricht schon die Tatsache, dass er selbst sich nicht
nur in seinen autobiographischen Schriften, sondern auch in den 'Materialien zur Geschichte
der Farbenlehre' als bewanderter Historiker erweist. In einem Gespräch, das er 1806 mit dem
Historiker Luden führte, hebt Goethe aber die Unsicherheit historischer Quellen und
historischen Forschens hervor. Er hält die reine Beschäftigung mit Geschichte jedoch letztlich
für 'unergiebig' und unkalkulierbar. Insofern gibt uns Goethe einen Auftrag, wenn wir seine
wissenschaftlichen Ergebnisse ernst nehmen.
Diesen Auftrag hat Nietzsche dann später in seiner Schrift „Vom Nutzen und Nachteil der
Historie für das Leben“ weiterverfolgt. In der Nachfolge Goethes plädiert Nietzsche darin
dafür, der Geschichte nur insoweit zu dienen, als diese dem Leben diene.
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Handlungen der Schüler/innen:
 Eine Schüler/-innen-Gruppe beschäftigt sich mit Goethes Geschichtsbegriff.
 Sie überprüfen, inwieweit das Konzept des örtlichen Stadt- oder Heimatmuseums sich von

einem Goetheschen Geschichtsbegriff unterscheidet.
Dazu verfassen die Gruppen eine Anfrage an die Museumsleitung und vereinbaren eine
Führung unter dieser Fragestellung.
 Die Gruppe diskutiert ihre Erfahrungen in einem klassenübergreifenden Kreis.
Hilfsweise für höhere Klassen kann Friedrich Nietzsches Frühschrift „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für
das Leben“ auszugsweise herangezogen werden.
5. Goethe, der Universalist
Angesprochene Fachbereiche:
Deutsch/ Geschichte/ Kunst/ Naturwissenschaften...
Ziel:
 Die Schüler/-innen lernen unterschiedliche Farbtheorien kennen.
 Sie lernen, in welcher Tradition die moderne Naturwissenschaft steht.
 Die Schüler/-innen erleben, dass Lebensgefühl und Lebensqualität maßgeblich davon
abhängt, wie sie selbst ihre Umwelt gestalten.
Charakteristisch für Goethes Naturbegriff ist seine Abneigung, die Natur kennenzulernen
durch eine wissenschaftliche Zerstückelung in diverse Disziplinen. Aber Goethe scheint mit
seinen Anschauungen und Forschungsergebnissen als Naturwissenschaftler gescheitert, weil
nicht seine Farbenlehre, sondern diejenige Isaac Newtons sich durchgesetzt hat. Die heutigen
Physiker sind Newtons Schüler. Aber angesichts der derzeitigen Weltlage, deren Bedrohung
sehr wesentlich durch die Anwendungen naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und
physikalischer Vorgaben begründet ist - Atomforschung, Gen-Forschung etc. - , sollte auch
Goethes Denkansatz wieder aufgegriffen werden.
Der Goethe-Forscher und Philosoph Alfred Schmidt schrieb dazu: „Die Zukunft wird lehren,
ob es sich bei Goethes Naturanschauung um das Nachhutgefecht eines unwiederbringlich
verlorenen Alten oder um den Sendboten eines Neuen handelt.“ (AS, 1984, S.11)
Was hat Goethe als Wissenschaftler zu bieten? „Das geistige Riesenreich“, wie Walter
Benjamin Goethes Lebenswerk einmal bezeichnete, hat viele 'Klimazonen' und erstreckt sich
gleichsam über mehrere Kontinente des Intellekts. Schon zu seinen Lebzeiten trat der
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Naturforscher Goethe hinter dem Dichter und Theaterdirektor Goethe weit zurück. So meint
Goethe zu diesem Umstand selbst:
„Seit länger als einem halben Jahrhundert kennt man mich, im
Vaterland und auch wohl auswärts, als Dichter und läßt mich
ebenfalls für einen solchen gelten; dass ich aber mit großer
Aufmerksamkeit mich um die Natur in ihren allgemeinen
physischen und ihren organischen Phänomenen emsig bemüht
und ernstlich angestellte Betrachtungen stetig und
leidenschaftlich im Stillen verfolgt, dieses ist nicht so allgemein
bekannt, noch weniger mit Aufmerksamkeit bedacht worden.„
(vgl.: AS, S.13)
Einigermaßen geläufig ist der Allgemeinbildung, dass Goethe den Zwischenkieferknochen am
menschlichen Schädel wiederentdeckt hat, welcher belegt, dass der Mensch seinem Körper
nach Teil des Tierreichs ist und nicht von Gott direkt geschaffen wurde oder ohne Beziehung
zur Evolution stünde. Während bei den antiken Gelehrten der Zwischenkieferknochen als
Gemeinsamkeit zwischen Tier und Mensch geläufig war, hatten die Anatomen, die unter dem
christlichen Bildungsmonopol in den Klosterschulen ausgebildet wurden, es 1700 Jahre
erfolgreich betrieben, den Menschen direkt von Gott abstammen zu lassen, um die Bibel darin
zu bestätigen.
Weiter verborgen im Blickschatten liegen noch Goethes intensive Beschäftigung mit Botanik,
Zoologie, Meteorologie, Geologie und Optik. Diese Vielfalt der Betätigungsfelder darf nicht
missverstanden werden als Verzettelung, sondern ist Ausdruck einer universell ansetzenden
Methode. Goethe stellte sich unvoreingenommen und motiviert der verwirrenden Vielfalt in
der Natur.
Autodidaktisch arbeitete er sich z.B. in die Botanik ein. Er hat 2500 botanische Sammelstücke
hinterlassen. Gesammelte Pflanzen zeichnete er selbst ab, colorierte sie und legte sie ab in
einem Herbarium von zuletzt 1300 verschiedenen Arten. Mit Mikroskop, Lupe und
botanischem Besteck untersuchte er sein Leben lang und leistet auf diesem Gebiet für die
damalige Zeit „Pionierarbeit“
Seine Holzsammlung umfasst zusammen mit der seines Herzogs Carl August 49
exemplarische Stücke und 476 Holztäfelchen. Hier verschaffte er sich einen Überblick auch
über exotische Holzarten. Als Staatsrat interessierte ihn besonders die ökonomische
Bedeutung des Holzes: Wachstumseigenschaften, Härte und Verwertungsmöglichkeiten.
Seine besondere Beachtung fand darüber hinaus merkwürdig gewachsenes Holz: Auswüchse
an Stämmen, Verknollungen, Verwachsungen.
Goethe hinterließ ferner 18.000 mineralogische Objekte unter den 50 000 Exponaten, die in
Weimar insgesamt aus Goethes Besitz katalogisiert sind. Die Mineralogie war eine weitere
Leidenschaft seiner naturwissenschaftlichen Studien. Hier kam ihm seine amtliche Aufgabe
als Leiter der Kriegs- und Wegebau-Kommission genauso entgegen wie seine Tätigkeit als
Bergbau-Beauftragter des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach, um zu Findlingen zu
kommen; aber in seinen zuletzt 18 Schränken mit 450 Schubladen, die voller Kristalle,
Tropfstein-Konfigurationen, roher Edelsteine und erzener Brocken waren, lagerten
Fundstücke aus ganz Europa.
Heute sprechen wir von Vernetzung und interdisziplinärem Denken. Für Goethe war dieses
Vorgehen Lebensphilosophie und wissenschaftliche Leitlinie zugleich.
Am deutlichsten wird diese Auseinandersetzung durch Goethes Farbenlehre, dem Herzstück
seiner naturwissenschaftlichen Werke. In der Farbenlehre wendet sich Goethe gegen die
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Erkenntnisse Isaac Newtons (1643-1727). Newton, dessen physikalische Methoden und
Gesetze unsre Schulphysik auch heute noch bestimmen.
Während Newton auch in seinen anderen Experimenten die isolierte, abstrahierte
Versuchsanordnungen wählt, die so in der Lebenswirklichkeit nicht vorkommen, wollte
Goethe Naturerscheinungen im Lebenszusammenhang begreifen.
Auf seiner historischen Reise durch die Zivilisationsgeschichte betrachtet unser Autor sodann
die überlieferten Aussagen vieler bekannter Persönlichkeiten von den Vorsokratikern bis zu
Newton zum Farbenthema. Über Newton äußerte sich Goethe meist missgünstig. Er erklärte
diesen zu einem mathematischen Geist, der allein „abstrakt“ zu denken vermochte, ohne die
Sinne mit einzubeziehen. So geriet Goethes Farbenlehre in „schroffem Gegensatz“ zu der
Vorstellung Newtons, weil Goethes Wissenschaft die menschlichen Sinne ganzheitlich
einbezieht. Somit schwamm er schon zu Lebzeiten gegen den Strom eines allein
seligmachenden technischen Fortschrittglaubens, „der seit Galilei und Newton auf einem
Entwurf von Natur beruht hat, die Natur allseits verfügbar zu machen.“ (AS, 14) Goethe steht
auf der anderen Seite in der wissenschaftlichen Welt, der bis heute durch keinen Prozess
überbrückt werden konnte. Während die eine Seite nach der Brauchbarkeit und
Quantifizierbarkeit von Natur fragt, um sie rücksichtslos zu verwerten und damit meist auch
zu zerstören, versucht ein ganzheitliches Wissenschafts- und Naturverständnis im Sinne
Goethes in der Natur heimisch zu werden. Unser Wissenschaftler stellte sich nicht gegen die
Natur, er fühlte sich mitten in ihr. Jürgen Teller formulierte dies im Hinblick auf Goethes
Farbenlehre einmal so:
„Goethe war nicht - wie die gesamte mathematisierte Physik seit
Galilei [(1564-1642)] bis heute - darauf aus, die Natur zu
beherrschen. Er wollte einen Dialog mit ihr führen.“
(Nachwort zu: Goethe: Die Tafeln zur Farbenlehre und deren Erklärung, S. 70)
Sehen wir uns die Unterschiede einmal etwas genauer an, ohne die gesamten Dimensionen
dieser Diskussion erfassen zu können:
„Newton erklärt das weiße Licht als eine Zusammensetzung aus farbigen Lichtern. Goethe
dagegen als das einfachste, unzerlegbarste, homogenste Wesen,“ das wir kennten; es sei nicht
zusammengesetzt, am allerwenigsten aus farbigen Lichtern. Goethe, der das Spektrum des
Regenbogens kannte, „nimmt die Farben für Metamorphosen des Lichtes, für Erscheinungen,
die im Kampf des Lichtes mit der Dunkelheit entstünden. Dunkelheit interpretiert unser
mystischer Naturforscher nicht nur als die Abwesenheit von Licht, denn dann wäre Dunkelheit
für uns nicht wahrnehmbar, sondern als ein „positives Gegenlicht“. (Vgl.: Walter Benjamin, FR
27.8.77)
Ich kann hier über diese Lehre nur andeuten, was sich lohnt, in seiner Gesamtheit betrachtet
zu werden, aber was für alle menschliche Kommunikation mit der Natur innerhalb des
goetheschen Weltbildes gilt, das ist im Zusammenhang der Farbenlehre am offenkundigsten.
Hier reflektiert der Mensch die Natur aus seiner dialektisch verstandenen Zugehörigkeit.
Goethe behauptet nämlich:
„Das Auge hat sein Dasein dem Licht zu verdanken. Aus
gleichgültigen tierischen Hülfsorganen ruft sich das Licht ein
Organ hervor, das seinesgleichen werde, und so bildet sich das
Auge am Lichte fürs Licht, damit das innere Licht dem äußeren
entgegentrete.“ (HA 13 323)
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Es gilt in dieser Anschauung die Behauptung, dass nur Auge und Licht zusammen
Erkenntnisse sammeln können, folglich könne das Licht als physikalisches Phänomen nicht
isoliert gemessen oder definiert werden. Frei nach dem Spruch eines mittelalterlichen
Mystikers:
„Wär nicht das Auge sonnenhaft,
Wie könnten wir das Licht erblicken?“
(HA 13 324)
Bis ins physiologisch Kleinste beugt Goethe das Verhältnis von Licht und Auge durch. Er
geht den Eindrücken nach, wie sich auch im Traum oder bei geschlossenen Augen helle oder
farbige Gegenstände betrachten lassen. Die Farben begreift er als Wechselspiel zwischen
Gemüt und Ausstrahlung. So hat der Staatsrat in Weimar die Zimmer seines Hauses nach
Gesichtspunkten seiner Farbdeutungen streichen lassen. (vgl. Goethe-Haus in Weimar)
'Gelb', als nächste Farbe am Licht, mache - nach Goethes Auslegung - einen Raum warm,
angenehm und erfreulich.
'Blau' führe immer etwas Dunkles mit sich, diese widersprüchliche Farbe scheine vor uns
zurückzuweichen und gebe uns das Gefühl der Kälte; 'blau' weite den Raum.
'Rot' löse in uns das Gefühl nach Ernst und Würde aus.
'Grün' solle man diejenigen Zimmer streichen, in denen man sich länger aufhalten wolle. (HA
13 498ff)
Die Wirkungen der Farben untereinander und miteinander forderten den Farblehrer zu
ausführlichen Untersuchungen heraus. Die Werbepsychologie macht sich die daraus
abgeleiteten Gesetzmäßigkeiten immer wieder zu eigen.
Handlungen der Schüler/-innen:
 Die Schüler/-innen vergleichen Goethes und Newtons Farbentheorie und stellen die

wichtigsten Punkte auf Plakaten gegenüber.
Die Schüler/-innen bemalen nach Goethes Vorschlägen aus seiner Farbenlehre große
Plakat- oder Wandflächen und diskutieren die Farbwirkung.
 Die Schüler/-innen machen begründete Vorschläge bezüglich der Farbgestaltung ihrer
Klassenräume oder anderer Teile des Schulgebäudes. Sie tauschen sich aus über das
Aussehen ihrer Kinderzimmer.
6. Zur Verbindung von Wissenschaft und Kunst bei Goethe
Ziel:
 Die Schüler/-innen sollen sich im Vortrag von Gedichten und in schauspielerischen
Darstellungen üben.
 Die Schüler/-innen sollen in der Bücherei bibliographieren üben.
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 Die Schüler/-innen lernen Goethes universales Interesse kennen.
 Sie lernen einzelne historisch gewachsene Fachrichtungen voneinander abzugrenzen und
bilden sich in der Diskussion eine Meinung über die Notwendigkeit von vernetztem Denken
in der gegenwärtigen komplexen Welt.
Goethe verbindet in seinem Denken jedoch nicht nur die einzelnen Wissenschaftsdisziplinen,
sondern er zielt konsequent darauf ab, sogar Wissenschaft und Kunst zu vereinen. In ihnen
sieht Goethe „ein Gleiches in verschiedenen Erscheinungsformen“ (AS 19), weil sie eine
gemeinsame Basis hätten: die Natur. So tun wir recht daran, im Dichter Goethe immer auch
den Naturforscher zu sehen und umgekehrt im Naturforscher Goethe auch den Dichter. „Das
Schön“, heißt es in den 'Maximen und Reflektionen', „ist eine Manifestation geheimer
Naturgesetze, die uns ohne dessen Erscheinung ewig wären verborgen geblieben.“ (Zitiert nach
AS 25)
„Ich kann nicht genug sagen, was meine sauer erworbene
Kenntnis natürlicher Dinge [...] mir überall hilft, um mir das
Verfahren, den Künstler und den Handwerker zu erklären“
(zitiert nach : Kahler, Marie-Luise: a.a.O.)
Außerdem glaubte Goethe, dass jede wissenschaftliche Naturerkenntnis die Menschen dazu
drängt, diese in künstlerischer Form „auszulegen“. Und dies können wir, so glaube ich, zu
allen Zeiten bestätigt finden. Ein Beispiel wäre die Komödie 'Die Physiker' von Friedrich
Dürrenmatt, in der der Autor die Erkenntnisse und kriegstechnologischen Folgen der
Atomspaltung durch Verfremdungen zu problematisieren versuchte.
Der Atom-Physiker Werner Heisenberg, der für seine Quantentheorie 1932 den PhysikNobelpreis erhalten hat, spricht 100 Jahre nach Goethe von einem „innersten Bereich“ des
„reine[n] Denken[s]“, wo man den „verborgenen Harmonien in der Welt nachspürt“. Dort
könne „Wissenschaft und Kunst kaum mehr unterschieden werden“. Dieser innerste Bereich
sei „vielleicht für die heutige Menschheit die einzige Stelle, an der ihr die Wahrheit ganz rein
und nicht mehr verhüllt [...] gegenübertritt“ (zitiert nach Hans-Peter Dürr: Physik und
Transzendenz, 1986, S. 18). Und Goethe dient allen ihm nachfolgenden Dichtern,
Dramaturgen oder Erzählern als Vorbild beim Verschränken von wissenschaftlichen
Erkenntnissen und künstlerischem Ausdruck:
Dornburg, September 1828
Früh, wenn Tal, Gebirg und Garten
Nebelschleiern sich verhüllen,
Und dem sehnlichsten Erwarten
Blumenkelche bunt sich füllen,
Wenn der Äther, Wolken tragend,
Mit dem klaren Tage streitet,
Und ein Ostwind, sie verjagend,
Blaue Sonnenbahn bereitet,
Dankst du dann, am Blick dich weidend,
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Reiner Brust der Großen, Holden,
Wird die Sonne, rötlich scheidend,
Rings den Horiziont vergolden.
(Bd. 1, S.391)
Handlungen der Schüler/-innen
 Schüler/-innen gehen zur Bücherei und suchen in den Werken Goethes Gedichte, TheaterAuszüge, Textpassagen zum Thema Natur.
 Sie sollen verschiedene Vortrags- und Darstellungsformen ausgewählter Natur-Gedichte
Goethes einüben.
 Die Schüler/-innen suchen zusammen, mit welchen Fachgebieten sich Goethe beschäftigte.
 Sie schlagen nach, was man unter den einzelnen Fachrichtungen versteht und entwerfen
dazu Plakate!
 Sie diskutieren, ob es heute noch Universalisten geben kann!
 Sie verfassen eine Erörterung mit eigener Meinung über die Begriffe „Fachidiotentum“
und „vernetztes Denken“! Sie lesen sich ihre Aufsätze und diskutieren darüber.
7. Wie hält es Goethe mit der Religion?
Angesprochene Fachgebiete:
Deutsch/ Ethik/ Geschichte/ Philosophie/ Religion...
Ziel:
 Die Schüler/-innen sollen Goethe als säkularisierenden Naturverehrer kennenlernen, der
vom christlichen Gottesbild abrückt, aber die Natur gleichzeitig auch beseelt.
 Die Schüler/-innen sollen Weltoffenheit auch als Toleranz unter den religiösen

Weltanschauungen erkennen lernen.
Die Schüler/-innen sollen ihr eigenes Gottesverständnis reflektieren und formulieren.
Die naturwissenschaftlichen Studien unseres Dichters stießen bei einem anderen Grenzpunkt
an religiöse Fragen. Ist da ein Gott, der die Natur im Inneren zusammenhält?
Goethe goss Öl in die brennende Diskussion um die Jahrhundertwende vom 17. zum 18.
Jahrhundert 'ob da überhaupt ein Gott sei'. An diesem 'Atheismus-Streit' nahmen alle schon
damals bedeutenden Intellektuellen - wie Kant, Hegel, Schiller, Goethe, Jean Paul, Fichte,
Schelling teil. Goethe hatte mit dem Evolutionsnachweis 'Zwischenkieferknochen' ein
medizinisch-anatomisches Argument für sich.
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Viele Naturwissenschaftler wurden am Höhepunkt ihrer Forschungsleistungen gläubig, weil
sie die letzten Fragen des Lebens dann doch nicht erklären konnten. Biogenetiker z.B., die die
komplexen Strukturen unserer DNS und deren Auftrennung und identische Verdoppelung bei
der Zellteilung untersuchen, finden - auch als große Rationalisten unter den Forschern fasziniert, schließlich nur noch religiöse Erklärungen. Der Physiker Albert Einstein bettet
seine Faszination für die „Erhabenheit“ und „wunderbare Ordnung, welche sich in der Natur
sowie in der Welt des Gedankens offenbart“ in eine „kosmische Religiosität“, die „die
religiösen Genies aller Zeiten„ ausgezeichnet“ hätte. (In: Dürr, S.68f)
Goethe hatte sein personales Gottesverständnis oder Naturverständnis schon früh abgelegt.
Eine „große Bedeutung“ für die religiöse Entwicklung hatte das Erdbeben von Lissabon am
1.11.1755. Bei dieser Katastrophe wurde die glanzvolle Stadt in Sekunden niedergerissen von
einer vorher nicht gekannten Naturgewalt. Tausende von Menschen fielen dieser gnadenlosen
Naturattacke zum Opfer. Die Nachricht verbreitete sich für damalige Verhältnisse in rasender
Geschwindigkeit über ganz Europa. Die Nachfragen des sechsjährige ließen ihn unbefriedigt
zurück. Später drückte er seine daraus entstandenen Zweifel so aus, dass ihm in seinem
„sechsten Lebensjahr, nach dem Erdbeben in Lissabon, die Güte Gottes einigermaßen
verdächtig geworden“ (Peter Boerner, S. 18) sei.
Es ergab sich aus diesem biographischen Umstand die Folge, daß der Denker und
Wissenschaftler hinfort in der Natur „kein System“ mehr vermutet hat. Die Natur ist für
Goethe „Leben und Folge aus einem unbekanntem Zentrum“ und weiter: Naturbetrachtung sei
daher endlos (AS 30). Kein Mensch sei imstande „in irgendeiner Sache abzuschließen.“ „Ja,
Goethe geht sogar so weit, dass er dem Menschen gar keinen Einblick in objektive
Zusammenhänge zugesteht; der Mensch lege sich die Gegenstände in einer nur ihm gemäßen
Vorstellungsart zurecht. So bringe er diese „in ein gewisses fassliches Verhältnis“, obwohl sie
dieses „streng genommen untereinander nicht“ (AS 31) hätten. Wer hier an die moderne ChaosTheorie erinnert wird, der kann Goethes zeitübergreifendes Denken erkennen.
„Das Wahre„ sei mit „dem Göttlichen identisch“, dieses sei aber für uns direkt niemals zu
erkennen. Wir sähen das Wahre „nur im Abglanz, im Beispiel, Symbol“ [vgl.:
Höhlengleichnis von Platon] (vgl.: AS 33). Und in seinen „Maximen und Reflektionen“ spannt
Goethe den Bogen zum Naturbegriff hinüber, denn allein die Natur hält er für göttlichunfehlbar:
„Wer die Natur als göttliches Organ leugnen will, der leugne nur
gleich alle Offenbarung [...] Die Natur ist immer Jehova. Was
sie ist, was sie war, und was sie sein wird.“ (AS 33)
Natur verkörpert für den Pantheisten gleichsam das göttliche Prinzip; Natur sei Gott. Und
insofern brauche Goethe nur die Natur zu betrachten, um auf göttliche Wahrheit zu stoßen.
Allerdings bleibt auch der große Denker innerhalb eines eingrenzenden Kreises gefangen.
„Alle Philosophie über Natur“, bleibe letztlich „Anthropomorphismus“ (AS 33), d.h. der
Mensch kann nicht aus seiner Haut, seinem Denken und Fühlen heraus. Er kann seine
Außenwelt nur mit seinen Maßstäben, Mitteln und Fähigkeiten erfassen. Dennoch gibt es
diese Außenwelt auch ohne ihn. Die Natur hat nach Goethe eine „Unbedingtheit“. Der immer
bekannter werdende Satz: 'Der Mensch benötigt zum Leben die Natur, diese den Menschen
aber nicht', gehören da mit hinein.
In seinem Buch „Westöstlicher Divan“ verrät Goethe seine Neigung zu persischer und
mohammedanischer Religionsgeschichte. Er hob Zeugnisse islamischer Beduinen aus der
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Versenkung und hat Aspekte daraus in sein Fühlen und Denken überführt. Goethe ist in seiner
Weltbürgerlichkeit also mit Lessing ein Mittler der großen Weltreligionen.
Im Lebenskampf und in seiner Willkür macht sich der Mensch seit 500.000 Jahren seine
Umwelt in zunehmendem Maße 'untertan'. Wenn wir nun in alltäglichen Wendungen davon
sprechen, dass der Mensch die Natur zerstört, dann müssten wir uns unseres
„anthropozentrischen Denkens“ bewusst werden: Wir denken, von uns hänge alles ab. Wahr
ist, dass wir Menschen unser Überleben gefährden, je mehr wir von unserer Umwelt zerstören.
Für Natur, in kosmischen Dimensionen gedacht, dürfte aber das Aussterben einer irdischen
Art dieselbe Bedeutung haben, wie das sprichwörtlich gewordene umgefallene Fahrrad in
Peking für die Motorisierung auf der gesamten Erde.
Der Kalender der Naturentwicklungen blättert sich um in Jahrmilliarden. Wollen wir Goethes
Naturbegriff erschließen, müssen wir uns die Natur als immerwährendes prozesshaftes Sein
vorstellen. Milliarden von Galaxien, kosmische Massen, Strahlung, Licht, irdisches Leben,
pulsieren als vielfältige Mosaikelemente im Kaleidoskop der endlos sich variierenden
Naturvorgänge.
Entstehen, Gebären, Aufblühen, Ableben, Sterben, Umschaffen und wieder anders
entwickeln, neu konfigurieren inmitten von Vergehens- und Verendeprozessen, das ist unser
Weltenlauf: Goethe interpretiert alles als ein zeitlich unbegrenzbares, nie anhaltendes Fließen.
Goethes Kosmologie lehrt keinen Anfang und kein Ende, keine Schöpfung und kein Jüngstes
Gericht. Seine Aufforderung an das Leben heißt: „Stirb und werde!“, denn „du bist nur ein
trüber Gast auf der dunklen Erde.“ (Westöstlicher Divan, HA 2 19)
Die Natur
(Fragment aus dem Jahre 1773)
„Natur! Wir sind von ihr umgeben und umschlungen unvermögend aus ihr herauszutreten, und unvermögend tiefer in
sie hineinzukommen. Ungebeten und ungewarnt nimmt sie uns
in den Kreislauf ihres Tanzes auf [...] Sie schafft ewig neue
Gestalten [...] Sie spricht unaufhörlich mit uns und verrät uns ihr
Geheimnis nicht. Wir wirken beständig auf sie und haben keinen
Einfluss über sie. [...] Sie baut immer und zerstört immer. [...] Es
ist ein ewiges Leben und Bewegen in ihr und doch rückt sie
nicht weiter. [...] Sie hat sich einen eigenen allumfassenden Sinn
vorbehalten, den ihr niemand abmerken kann. [...] Auch das
Unnatürlichste ist Natur. [...] Sie spritzt ihre Geschöpfe aus dem
Nichts hervor, und sagt ihnen nicht, woher sie kommen und
wohin sie gehen. Sie sollen nur laufen. Die Bahn kennt sie. [...]
Der Tod ist ihr Kunstgriff viel Leben zu haben. [...] Jedes
Bedürfnis ist Wohltat. Schnell befriedigt, schnell wieder
erwachsend. [...] Man gehorcht ihren Gesetzen auch wenn man
ihnen widerstrebt [...] Ihre Krone ist die Liebe, nur durch sie
kommt man ihr nahe. [... Die Natur] ist alles. [...] Alles ist
immer da in ihr. Vergangenheit und Zukunft kennt sie nicht.
Gegenwart ist ihr Ewigkeit. [...] Sie ist ganz und doch immer
unvollendet.“ (HA 13 45ff)
Handlungen der Schüler/innen
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 Die Schüler/innen bereiten sich in Kleingruppen auf eine Talk-Show vor. Thema: Wie ist

Gott: verborgen, gerecht, abwesend, eingreifend, Freiheit gewährend...?
Als Anregung erhalten die einzelnen Gruppen „Glaubenssätze“ Goethes, aus denen sie ein
Motto wählen:
 Natur ist für Goethe „Leben aus einem unbekannten Zentrum“
 „Das Wahre ist mit dem Göttlichen identisch, dieses kann man niemals direkt




erkennen.“
„Die Natur ist immer Jehova. Was sie ist, was sie war, und was sie sein wird.“
Goethe ist ein Pantheist. Für ihn ist Natur Gott.
„Alle Philosophie über Natur bleibt letztlich Anthropomorphismus“.
Angesichts von Erdbeben und Kriegen ist Goethe „die Güte Gottes einigermaßen
verdächtig geworden“.
8. Goethes Vorstellung eines interdisziplinäres Forschens und Handelns
„Wo fass ich dich, unendliche Natur“? (Faust, HA 3 22)
Angesprochene Fachbereiche:
Kunst/ Philosophie/ Technik / Werken...
Ziel:
Die Schüler/innen setzen sich gedanklich und handwerklich mit Goethes „Urbild“-Theorie
auseinander.
Der verwirrende Reichtum der Naturabläufe ließ Goethe als Naturforscher jedoch nicht
resignieren; der Genius ging in einer Kombination aus Empirie und Menschenverstand an die
Naturphänomene heran. Seine Wissenschaftsmethode basierte auf einer „Frische der
unmittelbaren Wahrnehmung, Fleiß des Sammelns, Strenge der Ordnung, souveräne
Sicherheit im Vergleichen und Kraft des Gedankens“ (Vgl.: Teller, Jürgen: a.a.O., S., 87). Goethe
setzt eine innere Teilnahme an den Vorgängen voraus, ohne die kein Wissenschaftsfeld
beackert werden könne. Hier erfolgt eine Pädagogisierung seines naturwissenschaftlichen
Vorgehens.
Den Anspruch auf Exaktheit lehnte unser Universalwissenschaftler ab. Wahrnehmung als
ganze könne aber am ehesten Wahrheit erfassen. Exaktheit, Sinnlichkeit, Phantasie und
Reflexion, Äußeres und Inneres sind notwendig, um Natur zu erschließen. Nur
wissenschaftliche Darstellung und Kunst zusammen können Wahres ausdrücken.
Nicht nur hinsichtlich der Darstellungsweise ihrer Ergebnisse zweifelt Goethe jedoch an der
Befähigung mancher Naturwissenschaftler. Er kritisiert auf grundsätzliche Art das
ehrfurchtslose Vorgehen in der modernen Naturwissenschaft. Dies wird an einem zentralen
Begriff in seiner Methodenvorstellung deutlich:
Goethe nennt Erscheinungen in der Natur
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„’Urphänome’, wenn nichts in der Erscheinung über ihnen liegt, sie aber
dagegen völlig geeignet sind, dass man stufenweise [...] von ihnen herab bis
zu dem gemeinsten Falle der täglichen Erfahrung niedersteigen kann.“
(HA 13 368)
Seine Kritik richtet sich darauf, dass die Naturforschung dieses 'Urphänomen' nicht als
„Grenze des Schauens“ (ebenda) anerkennen will, sondern immer Weiteres, Tieferes und
Kleineres aufsuchen will. Hinter einen Urtypus, hinter eine Urzelle, hinter ein Unteilbares
sollte man nicht weiter zurück wollen. Goethe meinte, alle Lebewesen seien jeweils
Spielarten, die sich aus einer Urform entwickelten. Auf der Suche nach der Urpflanze bereiste
er Sizilien und fertigte Pflanzen-Skizzen an. Er sei nur auf der Suche nach einer Idee, hat ihm
Friedrich Schiller dazu im direkten Gespräch entgegnet. Goethe näherte sich im Verlauf seiner
Studien einer solchen bildhaften Auslegung seiner Urpflanze an, aber der Idee als solche blieb
er sein Leben lang treu.
Alle organischen Naturphänomene führt unser Naturforscher auf „Urbilder“ zurück:
„Fische, Amphibien, Vögel, Säugetiere“. Diese 'Urbilder' würden in ihren
beständigen Teilen mehr oder weniger durch Fortpflanzung aus- und
umgebildet“. (Aus Goethes Vorträgen über vergleichende Anatomie).
Handlungen der Schüler/innen
Alle organischen Naturphänomene führt Goethe auf „Urbilder“, auf Urphänomene zurück:
„Fische, Amphibien, Vögel, Säugetiere“. Diese Urbilder seien mehr oder weniger durch
Fortpflanzung aus - und umgebildet. (vgl.: Vorträge über vergleichende Anatomie II 17, 275).
 Die Schüler/-innen stellen für eine Ausstellung „Urbilder“ her zu geläufigen Pflanzen und
Tieren. Sie reduzieren nach eigenen Vorstellungen ihre Objekte auf das Wesentliche und
wählen die entsprechenden Materialien.
9. Goethes Einstellung zur Technik
Angesprochene Fachbereiche:
Deutsch/ Gemeinschaftskunde/ Geschichte/ Sozialkunde/ Politik/ Technik/ Ethik/ Religion...
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Ziel:
Die Studenten/-innen sollen sich mit Goethes Haltung zur Technik auseinandersetzen. Sie
verfolgen die Probleme der historisch gewachsenen Technisierung der Gesellschaft und
erfahren den Zusammenhang mit Abhängigkeit des Menschen von der Technik und der sozial
belastenden Arbeitslosigkeit.
Naturwissenschaft und Forschung sind die Grundlagen der Technologie. Goethes
naturwissenschaftliche Methodik färbt folglich sein Technikverständnis und seine Kritik am
modernen unreflektierten Zeitgeist.
Wir können Goethes Denken und Handeln nicht maßstabsgetreu auf unsere Gegenwart
übertragen. Das wäre a-historisch und romantisierend. Aber wir können gerade an Goethes
Denken etwas lernen, was auf ein Wesentliches zielt, auf etwas Zeitüberdauerndes, das uns
heute noch genauso betrifft, wie die Menschen und ihr gesellschaftliches Zusammenleben vor
200 Jahren.
In „Wilhelm Meisters Wanderjahren“ beschreibt Goethe die Vision eines „überhand
nehmenden Maschinenwesens“, das „sich wie ein Gewitter langsam, langsam heranwälzt, das
kommt und treffen wird.“ An solchen , fast seherischen Aussagen merken wir, dass Goethe,
die wichtigste Repräsentationsfigur der deutschen Kultur im In- und Ausland, mehr in ihrem
Stolz verankert ist als in unserem schlechten Gewissen um eine bedrohte Zukunft.
Goethe warnt vor einer dominanten Technikwelt, die die Menschen ihrer Beschäftigung
beraubt und zu einer Massenerwerbslosigkeit führt.
Er sieht das Maschinenwesen, wie es weiter in „Wilhelm Meisters Wanderjahren“ heißt: als
„weniger günstig [an] als [die] unmittelbare Handwerksarbeit, wo wir Kraft und Gefühl in
Verbindung ausüben“.
Er distanziert sich auch von einer Technisierung des Alltags, wenn die Apparate nur die
Bequemlichkeit unterstützen sollen. „Elender“ sei „nichts, als der behagliche Mensch ohne
Arbeit.“ (1779, nach Boe 57f). Goethe lässt Wilhelm in den „Wanderjahren“ über Technik und
technische Hilfsmittel an anderer Stelle ausführlicher reden. Wenn wir die angesprochenen
‘Brillen’ stellvertretend für eine moderene Apparatur nehmen, dann kommen wir einem
Kernverständnis Goethes zur Technik noch näher:
„Ich habe im Leben überhaupt und im Durchschnitt gefunden, dass diese Mittel, wodurch wir unseren Sinnen zuhilfe kommen, keine sittlich günstige Wirkung auf den Menschen ausüben. Wer durch Brillen sieht, hält sich für
klüger, a1s er ist [...].
Wir werden diese Gläser so wenig als irgendein Maschinenwesen aus der Welt bannen, aber dem Sittenbeobachter ist es wichtig, zu erforschen und zu wissen, woher
sich manches in die Menschheit eingeschlichen hat,
worüber man sich beklagt. So bin ich z.E. überzeugt, daß
die Gewohnheit, Annäherungsbrillen zu tragen, an dem
Dünkel unserer jungen Leute hauptsächlich schuld hat."
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Ich habe mich gefragt, ob ich für diesen Vortrag lieber keine Brille tragen soll, um
glaubwürdiger zu erscheinen. Ich habe es aber doch vorgezogen klüger zu erscheinen, als ich
bin.
Trotz dieser Eigenwilligkeit Goethes, was Brillen angeht, er war kein Fortschrittsfeind auf
dem Gebiet der Technik. In der „ltalienischen Reise“ zeigt er sich verwundert über die
Rückschrittlichkeit des damaligen Italiens. Das Land sei zwar „von Natur höchlich begünstigt,
blieb [aber] in allem Mechanischen und Technischen, worauf doch eine bequemere und
frischere Lebensweise gegründet ist, gegen alle Länder unendlich zurück.“
Seine Schilderungen lassen keinen Zweifel, dass ihm der Lebensstandard in seiner Weimarer
Umgebung erstrebenswert, sei. Zum Verkehrsbild und zur Wohnweise in Italien schreibt er:
„Man wird wie vor Jahrhunderten noch immer fortgeschaukelt, und so sind sie in ihren
Wohnungen und allem.“ (HA 11 120)
Goethes Technikwelt darf das Irrationale, das Magische oder Beseelte nicht verbannen.
Gerade weil der Zauberlehrling zum Beil greift, um dem Irrationalen Herr zu werden, zeigt er,
dass dieser die angemessene Ebene der Auseinandersetzung mit der technologischen
Herausforderung nicht erreichen kann. Er verharrt im einengenden, mechanistischen Denken.
Damit ist aber kein dämonischer Geist zu bezwingen. Einem solchen Ungeist müssen sich die
Bedrohten mit den Waffen des interdisziplinären, ganzheitlich denkenden Menschen stellen.
Handlungen der Schüler/innen
Die Schüler/-innen erarbeiten Kurzreferate zu folgenden Themen:
 „Elender ist nichts als der Mensch ohne Arbeit“. Warum bewirkt Arbeitslosigkeit eine

menschliche Verelendung?
Was hält Goethe für arbeitsplatzvernichtend?
 Wie technisiert war zur Zeit Goethes das Handwerk?
 Welche technischen Umbrüche hat Goethe in seinem Leben erlebt?
 Welche sittliche Kritik hat Goethe an technischen Hilfsmitteln? Ist seine Kritik auf heute
übertragbar?
9. Eine Zukunftsperspektive mit Goethe
Ziel:
Die Schüler/-innen sollen Positionen zum heutigen naturwissenschaftlichen Denken hören,
tolerieren, kritisieren. Sie selbst sollen eine eigene Position dazu entwickeln.
Wenn uns Goethes Vorstellungen um eine menschengemäße und naturverträgliche
Technologie, die sich meines Erachtens aus den hier angeführten Zitaten entwickeln ließe
gerade heute zunehmend bedenkenswert erscheint, so deshalb, weil wir allmählich irre
geworden sind an den Er-rungenschaften eines technischen Fortschritts, der darauf abzielt, die
Natur allseits verfügbar zu machen. Nach Goethes Verständnis wird es aber nur dazu
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kommen, dass die Natur zwar unbeeindruckt weiter besteht, nur ohne menschliches Leben,
wenn sich nicht bald etwas Grundsätzliches ändert.
„Schwer ist freilich, die Frage zu beantworten, wo das Ja
zur Technik aufzuhören und das Nein einzusetzen habe.
Denn bedrohlich wird Technik ja nicht allein dort, wo sie
vor allem [...] zur Technik der Bedrohung wird. Es wird
die Hauptsache der Philosophie der Technik sein, den
dialektischen Punkt ausfindig zu machen und zu
bestimmen, wo sich unser Ja zur Technik gegenüber in
Skepsis oder in ein unverblümtes Nein zu verwandeln
hat.“
(Günther Anders: DAM II 127)
Diesen dialektischen Punkt wollte auch Goethe ausfindig machen und dann eine Entscheidung
treffen in seinem weiteren Verhalten. Technik hat der Menschheit viel geholfen, und eine
Menschheit mit in absehbarer Zeit 8 oder 10 Milliarden Menschen ist auf technische
Errungenschaften angewiesen. Technische Apparaturen und Verfahren sind sogar nötig, um
Negativfolgen der angewandten Technik zu korrigieren. Aber die Lehrer/-innen und Schüler/innen insbesondere der naturwissenschaftlich-technischen Fächer sollten an einen Goethe-Satz
erinnert werden, der ihnen zu einem ethischen Leitsatz werden könnte:
„Das schönste Glück des denkenden Menschen ist, das
Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche
ruhig zu verehren.“
Es ist von einer besonderer Spannung, diesen Satz Goethes aus einem Buch von Erwin
Chargaff zitiert zu haben, der als Pionier der Gen-Forschung aus dem industriellwissenschaftlichen Forschungsprozess ausgestiegen ist, weil ihm ethische Zweifel über die
Richtigkeit seines Tuns gekommen sind.
Goethe hält die Natur nicht für wehrlos. So heißt es im Faust:
„Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben,
Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,
Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben“.
(Faust HA 3 28)
Abschließende Podiumsdiskussion zum Thema:
 Grenzen des Schauens
 Grenzen des Handelns
Wie weit dürfen wir, sollen wir, müssen wir gehen in der Gen-Forschung, der Atomforschung,
der Medizin...
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11. Überlegungen zur Methodik und Didaktik eines deutschsprachigen
fachübergreifenden Unterrichts
Wir haben ein Hauptaugenmerk auf den deutschsprachigen Fachunterricht im deutschen
Auslandsschulwesen gerichtet. Dies ist sicher ein wichtiger Schritt in der Didaktik des
deutschsprachigen Fachunterricht in DaF und des muttersprachlichen Unterrichts, weil
Fachterminologien wie eine weitere Fremdsprache wirken. Allerdings zeigt uns ein Projekt
wie das zu Goethes naturwissenschaftlichem Denken, dass man, wo immer es möglich ist, die
Grenzen der einzelnen Fachdisziplin überwinden sollte, um den inhaltlichen
Problemstellungen unserer internationalen, ja globalen Welt gerechter zu werden. Dies sollten
wir heute in den Gruppen bei unseren Unterrichtsplanungen berücksichtigen.
In einem Zeitalter, wo nationale Grenzen Fallen, dürfen die naturwissenschaftlichen Fächer
ihre engen Grenzen nicht behalten wollen.
Am Ende dieses Kapitels dieser Dokumentation stellt der Ausdruck einer Foliensammlung
eine knappe Übersicht über zehn Teilprojekte unseres Rahmenthemas dar. Diese Teilthemen
erwachsen aus dem fächerübergreifenden Bogen dieses Beitrags. Das Rahmenprojekt ist
sowohl mit einer 11. Klasse als auch mit einer Studenten-Gruppe im dritten Studienjahr in
Hermannstadt/ Rumänien mit motivierenden Ergebnissen durchgeführt worden.
Literatur:
Goethe, Johann Wolfgang von: Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, München 1981. (Zitiert als: HA, Bandangabe
und Seitenzahl).
Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen Band1, München 1968, Band 2, München 1980.
Boerner, Peter: Goethe, Hamburg 1964.
Chargaff, Erwin: Das Feuer des Heraklit, Stuttgart 1981.
Dürr, Hans-Peter: Physik und Transzendenz, Bern, München, Wien 1986.
Grimm, Hermann: Goethe. Vorlesungen, Band I und II, Winterbach 1989.
Kahler, Marie-Luise: Goethes Sammlung zur Botanik, Prospekt, Weimar ohne Erscheinungsdatum).
Lenk Hans und Ropohl Günter (Hrsg.): Technik und Ethik, Stuttgart 1993 2.
Schmidt, Alfred (AS): Goethes herrlich leuchtende Natur, München 1970.
Lenk, Hans, Ropohl, Günter (Hrsg.): Technik und Ethik, Stuttgart 1993, Reklam Nr. 8395.
Wagner, Friedrich (FW): Weg und Abweg der Naturwissenschaft, München 1970.
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