Predigt über Lukas, 12, 42-48

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Ewigkeitssonntag
Pfarrer Stephan Frielinghaus
20.11.2011
Französische Friedrichstadtkirche
Predigt über Lukas 12,42-48
Wie jedes Jahr am Totensonntag tun mir die fünf törichten Jungfrauen aus dem Gleichnis von
vorhin ein wenig leid. Ich hätte es nett gefunden, wenn die anderen fünf, die klugen, ihnen im
entscheidenden Augenblick vielleicht doch etwas abgegeben hätten. Das ist es schließlich,
was wir sonst doch immer lernen sollen, dass es für alle reicht, wenn wir untereinander teilen.
Aber es ist bei den Gleichnissen, mit denen Jesus uns das Himmelreich zu erklären versucht,
eben nicht so, dass man jeden einzelnen Gedanken auf die Wirklichkeitsebene übertragen
kann. Hier kommt es ihm darauf an, dass wir ihn in der rechten Weise erwarten. Er möchte ja,
dass alle bereit sind für ihn; und da wir weder Tag noch Stunde wissen, wann er kommen
wird, sollen wir jeden Tag mit ihm rechnen, so leben, dass jeder Tag sein Tag sein könnte.
Wir merken an solchen Geschichten aus dem Neuen Testament, wie stark das Thema Erwartung das Leben der ersten Christen und Christinnen bestimmt hat. Sie haben täglich mit dem
Ende dieser Zeit und dem Anbruch einer neuen Zeit gerechnet. Sie haben geglaubt, dass dieser Tag so bald kommen würde, dass nicht einmal alle damals Lebenden bis dahin sterben
würden.
Vom Thema Erwartung ist auch der Predigttext für heute bestimmt.
Der Herr aber sprach: Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr über
seine Leute setzt, damit er ihnen zur rechten Zeit gibt, was ihnen zusteht? Selig ist der
Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, das tun sieht. Wahrlich, ich sage euch: Er wird
ihn über alle seine Güter setzen. Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein
Herr kommt noch lange nicht, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch
zu essen und zu trinken und sich voll zu saufen, dann wird der Herr dieses Knechtes
kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht
kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen. Der Knecht aber, der den Willen seines Herrn kennt, hat aber nichts vorbereitet noch nach seinem Willen getan, der wird viel Schläge erleiden müssen. Wer ihn
aber nicht kennt und getan hat, was Schläge verdient, wird wenig Schläge erleiden.
Denn wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist,
von dem wird man umso mehr fordern.
Wie schon am letzten Sonntag, als wir vom ungerechten Haushalter gehört haben, ist es wieder ein Verwalter, der im Mittelpunkt des Gleichnisses steht, ein Verwalter und die verschiedenen Möglichkeiten, die er hat, mit dem ihm anvertrauten Gut umzugehen. Hier ist er offenbar ein herausgehobener Mitarbeiter, der auch für die Betreuung der anderen Mitarbeiter zuständig ist. Er ist treu; sein Herr kann sich auf ihn verlassen. Er weiß: Jederzeit kann sein Herr
wiederkommen. Selig wird er genannt, das heißt so viel wie glücklich, in der Nähe Gottes
befindlich. Und tatsächlich: Nach seiner Rückkehr, so erzählt Jesus, wird der Herr einen solchen Verwalter zu einem Mitbesitzer seiner Güter machen.
Es könnte aber auch anders kommen: Der Verwalter könnte davon ausgehen, dass sein Herr
sich mit der Rückkehr viel Zeit lassen wird. Er könnte damit beginnen, die ihm untergeordneten Mitarbeiter zu terrorisieren, selber ein Leben in Saus und Braus zu führen auf Kosten seines Herrn. Wenn der Herr dann käme, plötzlich und unerwartet, würde er einen solchen Verwalter unbarmherzig und hart bestrafen. Einem, der den Willen seines Herrn genau gekannt,
aber nicht danach getan hat, würde es dabei noch ärger ergehen als einem, der ohne eigenes
Verschulden falsch gehandelt hat – wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und
wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.
Ewigkeitssonntag
Pfarrer Stephan Frielinghaus
20.11.2011
Französische Friedrichstadtkirche
Das Gleichnis hat unverkennbar einen drohenden Unterton: Vom In-Stücke-Hauen ist da die
Rede, von Schlägen, von Verbannung in die Ecke der Ungläubigen. Solche Methoden haben
ausgedient sowohl als Mittel der Pädagogik wie auch als Mittel der Bestrafung, zumindest in
den zivilisierten Gegenden unserer Welt, Gott sei Dank! Auf der anderen Seite ist es ja wahr:
Es gibt so etwas wie eine verspielte Chance, ein endgültiges Zuspät, ein sozusagen am Leben
vorbeigelebtes Leben. Für mich gehören jene Beerdigungen zu den traurigsten, bei denen es
anscheinend überhaupt nichts über den Verstorbenen oder die Verstorbene zu sagen gibt. Da
ist jemand 70 oder 80 oder 90 Jahre alt geworden, und die Angehörigen können einfach gar
nichts sagen über dieses Leben, nicht weil die Trauer sie sprachlos macht, das gibt es natürlich auch, sondern weil wirklich nichts gewesen ist – das muss ja nicht die Schuld der Toten
sein, sondern kann auch ein schreckliches Versäumnis derjenigen sein, die sie durch ihr Leben begleitet haben oder hätten begleiten sollen. Sicher, das gibt es, sich – in der Sprache des
Gleichnisses gesagt – so lange nicht um den kommenden Herrn zu kümmern, bis es zu spät
ist, sich auf ihn einzustellen. Wohl deshalb heißt es ganz ähnlich in Psalm 90: Herr, lehre uns
bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.
Aber vielleicht haben wir heute ganz andere Gefühle: Wir denken heute besonders an die
Menschen zurück, von denen wir im Laufe dieses Jahres oder auch vor langer Zeit Abschied
genommen haben. Und ich denke an die vielen, die ich schon beerdigt habe, und an die Angehörigen, die zurückbleiben mussten. Ich denke an jene Frau, noch in mittleren Jahren, die
innerhalb von wenigen Tagen nicht nur ihre Mutter sondern auch ihren Mann verloren hat.
Beide haben wir gemeinsam begraben. Ich denke an die 100jährige, deren Angehörige trotzdem traurig waren, dass sie gestorben ist, weil der Schmerz über den Verlust eines Menschen
keine Frage des Alters ist, das er erreicht hat. Ich denke an die Menschen, die mit dem Leben
nicht fertiggeworden sind, die Zuflucht gesucht haben in Alkohol und Tabletten und es damit
sich selbst und ihren Angehörigen schwergemacht haben. Ich denke an den Mann in meinem
Alter, der gerade alles geschafft hatte: eine gute Stelle, eine junge Frau und eine kleine Tochter, Freunde, Haus und Garten – von einer Stunde zur anderen ist er aus allem herausgerissen
worden. Es ist nicht möglich, von allen zu erzählen, so viele sind es, so viel Traurigkeit, so
viel Tränen. Oft wäre ich froh gewesen, wenn ich besseren Trost hätte spenden können. Manches Mal habe ich mich gefragt, ob das, was wir auf dem Friedhof machen, nicht nur eine
kollektive Verdrängung nicht beantwortbarer Fragen unter professioneller Anleitung ist, oder
ob wir eine wirkliche Hoffnung haben, die über den Tod hinausreicht.
Hören wir noch einmal den letzten Vers unseres Predigttextes: Wem viel gegeben ist, bei dem
wird man viel suchen, und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern. –
Vielleicht gelingt es uns, diese Worte nicht drohend, sondern tröstend zu hören: Nicht dass
von uns gefordert werden soll, was wir gar nicht haben, dass wir überfordert werden sollen,
sondern dass Gott uns geben will, was wir brauchen. Denn auch das ist ja wahr: Viele von uns
haben die Erfahrung gemacht, dass Gott reichlich gibt, und besonders tut er das durch andere
Menschen; gerade deshalb sind wir ja traurig, wenn sie von uns gehen.
Gott hat uns viel gegeben, und er will uns noch mehr geben: Den neuen Himmel und die neue
Erde, in der es keinen Tod, kein Leid, kein Geschrei, keine Schmerzen und Tränen mehr geben wird, so haben wir es vorhin als Ausdruck uralter Hoffnungen gehört. Wann wird das
sein? Christen glauben, dass es schon angefangen hat, als Christus in die Welt gekommen ist,
und sie hoffen, dass er es vollenden wird, wenn er einst wiederkommt. Daran denken wir in
der Adventszeit, die am nächsten Sonntag beginnt – Advent heißt ja Ankunft – , und schlagen
so thematisch eine Brücke vom alten zum neuen Kirchenjahr.
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Ewigkeitssonntag
Pfarrer Stephan Frielinghaus
20.11.2011
Französische Friedrichstadtkirche
Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem
wird man umso mehr fordern – der Kirchenvater Augustinus hat dieses Wort einmal kühn in
ein Gebet umformuliert und damit den tröstenden Klang ganz deutlich werden lassen. Er hat
gesagt: Gib, was du forderst, und dann fordere, was du willst!
Amen.
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