Kapitel 1: Grundlagen

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Kapitel 1
Grundlagen
1.1 Elemente der mathematischen Logik
1.1.1 Einleitung
Mathematik basiert auf den Methoden und Erkenntnissen der Logik (z.B. Aussagenlogik, Prädikatenlogik) und der Mengenlehre (z.B. Axiomsystem nach Zermelo und
Fraenkel). In den folgenden Abschnitten wollen wir aus diesen beiden Bereichen wichtige und grundlegende Elemente kennenlernen.
Mathematik bedeutet Analysis mathematischer Aussagen, wie z.B.:
Die Zahl 3 ist eine Primzahl.
Die Zahl 4 ist eine Primzahl.
Es gibt unendlich viele Primzahlzwillinge.
Die erste Aussage ist richtig, die zweite Aussage ist falsch; über den Wahrheitsgehalt
der dritten Aussage können wir zum heutigen Zeitpunkt noch nicht entscheiden, sind
aber überzeugt, dass sie entweder wahr oder falsch ist.
Die mathematische Logik ist zweiwertig. Oder mit anderen Worten:
Eine Aussage ist entweder wahr oder falsch.
Es gibt keine weitere Möglichkeit. Genau das ist der Inhalt des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten.
1.1.2 Mathematische Aussagen
Mathematische Aussagen bezeichnen wir im Folgenden mit kleinen Buchstaben a, b,
c usw. Nach dem eben Gesagten können sie genau einen der beiden Werte annehmen
entweder w (wahr) oder f (falsch).
1
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
2
Aussagen setzen wir durch folgende fünf Verknüpfungen miteinander in Beziehung
¬,
∧,
∨,
→,
↔.
In dieser Reihenfolge bedeuten diese Symbole: nicht, und, oder, folgt, äquivalent.
Ihre aussagenlogischen Bedeutungen definieren wir in Form einer Wahrheitstabelle:
a
w
w
f
f
¬a
f
f
w
w
b
w
f
w
f
¬b
f
w
f
w
a∧b
w
f
f
f
a∨b
w
w
w
f
a→b
w
f
w
w
b→a
w
w
f
w
a↔b
w
f
f
w
Beispiel 1. Dieser Tabelle entnehmen wir z.B. die beiden Äquivalenzen
a→b
↔
¬a ∨ b
sowie
(a ↔ b)
↔
(a → b) ∧ (b → a).
Diese abgeleiteten Ausdrücke ermöglichen es uns insbesondere, die Äquivalenz ↔ allein durch die Verknüpfungen ¬, ∧ und ∨ auszudrücken.
Zukünftig werden wir statt ↔“ an geeigneter Stelle =“ schreiben, um die Formeln
”
”
übersichtlicher zu gestalten. Im vorliegenden Beispiel heißt das also
a → b = ¬a ∨ b,
(a ↔ b) = (a → b) ∧ (b → a).
Die runden Klammern geben dabei vor, in welcher Reihenfolge die logischen Verknüpfungen auszuführen sind. Lässt man sie weg, so gilt stillschweigend folgende Vereinbarung über deren Priorität: ¬, ∧, ∨, → und ↔ (von der höchsten zur niedrigsten).
Beispiel 2. Wir benötigen später die Identität
a ∧ (b ∨ c) = (a ∧ b) ∨ (a ∧ c).
Zu ihrem Beweis stellen wir eine Wahrheitstabelle auf:
a
w
w
w
w
f
f
f
f
b
w
w
f
f
w
w
f
f
c
w
f
w
f
w
f
w
f
b∨c
w
w
w
f
w
w
w
f
a ∧ (b ∨ c)
w
w
w
f
f
f
f
f
a∧b
w
w
f
f
f
f
f
f
a∧c
w
f
w
f
f
f
f
f
(a ∧ b) ∨ (a ∧ c)
w
w
w
f
f
f
f
f
Die Behauptung ergibt sich nach Vergleich der fünften mit der achten Spalte.
1.1. ELEMENTE DER MATHEMATISCHEN LOGIK
3
Aufgabe 1. Beweisen Sie die Identität
a ∨ (b ∧ c) = (a ∨ b) ∧ (a ∨ c).
Schließlich kommen wir zu folgenden wichtigen Negierungsregeln für ∧ und ∨.
Satz 1.1. (de Morgansche Regeln der Aussagenlogik)
Es gelten
¬(a ∧ b) = ¬a ∨ ¬b, ¬(a ∨ b) = ¬a ∧ ¬b.
Aufgabe 2. Beweisen Sie diese Regeln mit Hilfe von Wahrheitstabellen.
Aus allen diesen Regeln ziehen wir den Nutzen, weitere Identitäten ohne aufwendige Wahrheitstabellen zu beweisen. Betrachten Sie dazu als Beispiel die äquivalenten
Umformungen
¬(a → b) = ¬(¬a ∨ b) = ¬¬a ∧ ¬b = a ∧ ¬b.
Es gilt also
¬(a → b) = a ∧ ¬b.
Aufgabe 3. Verifizieren Sie auf diese Art und Weise die Äquvivalenz
¬(a ↔ b) = (a ∧ ¬b) ∨ (b ∧ ¬a).
1.1.3 Quantoren
Aussagenlogische Methoden genügen allein natürlich nicht, um Mathematik betreiben
zu können. Wir werden es stets mit mathematischen Variablen verschiedenster Individuenmengen zu tun haben. Für ihre Beschreibung verwenden wir den Allquantor ∀ und
den Existenzquantor ∃, und zwar wie folgt:
◦ ∀x ∈ X : p(x) bedeutet, dass für alle Elemente x aus der Individuenmenge X die
Aussage p(x) wahr ist
◦ ∃x ∈ X : p(x) bedeutet, dass es ein Element x aus der Individuenmenge X gibt,
für das p(x) wahr ist.
Formeln dieser und ähnlicher Art gehören der sogenannten Prädikatenlogik an, auf die
wir in ihrer Tiefgründigkeit (mehrstufiges Prädikatenkalkül und zugehörige Gödelsche
Sätze) nicht eingehen. Es sei aber betont, dass sie die eigentliche Grundlage aller mathematischen Disziplinen bildet.
Beispiel 3. Stetige Funktionen stehen im Zentrum der Analysis, und wir werden uns
später mit ihnen sehr detailliert auseinander setzen. Wir sagen, eine Funktion f : Ω → R
heißt stetig in einem Punkt x ∈ Ω, wenn gilt
∀ε > 0 ∃δ > 0 ∀y ∈ Ω : |x − y| < δ −→ | f (x) − f (y)| < ε .
Diese Definition benötigt drei Quantoren, während Stetigkeit für alle x ∈ Ω bereits vier
Quantoren erfordert.
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
4
1.1.4 Beweismethoden
Es gibt Aussageformen, die für jede Belegung w oder f in eine wahre Aussage übergehen, sogenannte Tautologien. Hier einige Beispiele:
◦
a ∨ ¬a
(Satz vom ausgeschlossenen Dritten)
◦
¬(¬a) → a
(Satz von der doppelten Verneinung)
◦
(a → b) ∧ a → b
(Satz zum modus ponens)
◦
(a → b) ∧ (b → c) → (a → c)
(Satz zum modus barbara)
◦
◦
◦
¬(a ∧ ¬a)
(oder: [b → (a ∧ ¬a)] → ¬b)
(Satz vom Widerspruch)
(a → b) ↔ (¬b → ¬a)
(a → b) ∧ ¬b → ¬a
(Satz von der Kontraposition)
(Satz zum modus tollens)
Aufgabe 4. Verifizieren Sie, dass diese Aussagen tatsächlich Tautologien sind.
Eine Tautologie bezeichnen wir auch als stets erfüllbar oder allgemeingültig, eine Aussage, deren Negation eine Tautologie ist, als nie erfüllbar.
Tautologien sind für uns deswegen interessant, weil sie wichtige Beweisprinzipien der
Mathematik liefern, wie z.B.
◦ den direkten Beweis: Folgt aus dem modus ponens, d.h. gilt a, und folgt b aus a,
so gilt auch b;
◦ den indirekten Beweis: Folgt aus dem modus tollens, d.h. gilt ¬b, kann aber b
aus a abgeleitet werden, so gilt ¬a und a ist falsch.
Schließlich noch zwei Beweismethoden unter Verwendung der Quantoren ∃ and ∀ :
◦
◦
¬∀xp = ∃x¬p
¬∃xp = ∀x¬p
Aufgabe 5. Überlegen Sie sich als Übung zu jeder Beweismethode ein Beispiel.
1.1.5 Literaturnachweis
Für detaillierte und weiterführende Studien der hier vorgestellten Methoden und Techniken empfehlen wir
◦ Reinhardt, F.; Soeder, H.: dtv-Atlas Mathematik I
◦ Wolf, R.S.: A tour through mathematical logic
◦ Ziegler, M.: Mathematische Logik
◦ Zoglauer, T.: Einführung in die formale Logik für Philosophen
1.2. ELEMENTE DER MENGENLEHRE
5
1.2 Elemente der Mengenlehre
1.2.1 Cantors Mengendefinition
G. Cantors Beträge zur Begründung der transfiniten Mengenlehre aus dem Jahre 1895
beginnen mit folgender Erklärung:
Unter einer Menge“ verstehen wir jede Zusammenfassung M von be”
stimmten wohlunterschiedenen Objekten m unsrer Anschauung oder unseres Denkens (welche Elemente“ von M genannt werden) zu einem Gan”
zen.
Eine Menge M lässt sich auf genau zwei Arten charakterisieren:
◦ durch Angabe ihrer Elemente m1 , m2 , m3 usw., in Zeichen
M = {m1 , m2 , m3 , . . .} ,
wobei die Reihenfolge der Elemente nicht wichtig ist;
◦ durch Angabe einer ihr definierenden Eigenschaft, z.B.
M = {x ∈ X : p(x)} ,
so dass die Menge M aus allen Elementen x einer Obermenge X besteht, in Zeichen x ∈ X, für welche die Eigenschaft oder Aussage p wahr ist.
Wir werden beide Schreibweisen verwenden.
Beispiel 4.
1. Die Menge M = {1} besteht aus dem einzigen Element 1.
2. Die Menge N = {1, 2, 3, . . .} bezeichnet die unendliche Menge der natürlichen
Zahlen ohne Null, auf deren Konstruktion wir in Kürze detailliert eingehen.
√
√
√
√
3. Die Menge M = {0, 2, − 2} besteht aus den drei Elementen 0, 2 und − 2.
Da diese Zahlen auch die einzigen Lösungen der algebraischen Gleichung
x3 = 2x
im Bereich der reellen Zahlen R sind, können wir M auch durch genau diese
charakterisierende Eigenschaft angeben:
√
√
M = {x ∈ R : x3 = 2x} = {0, 2, − 2} .
4. Die Menge M = 0,
/ die sogenannte leere Menge, besitzt nach Vereinbarung kein
Element.
Wir sprechen von einer endlichen Menge, falls die Anzahl ihrer Elemente eine endliche
natürliche Zahl ist, wie im Beispiel
{n ∈ N : 2n < n2 } = {3} ,
andernfalls sprechen wir von einer unendlichen Menge, z.B.
{x ∈ R : sin x = 0} = {x : x = kπ , k ∈ Z} .
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
6
1.2.2 Das Zermelo-Russell-Paradox
Cantors Mengenlehre litt bereits von Beginn an unter gravierenden Inkonsistenzen.
Denn, wie unabhängig voneinander Zermelo und Russell aufzeigen, wird Cantors Men”
gendefinition“ insbesondere dann problematisch, wenn als Elemente einer Menge wieder Mengen zugelassen werden. Beide stellten nämlich die Frage nach der Menge M
aller derjenigen Mengen A, die sich nicht selbst als Element enthalten, also
M = {A : A 6∈ A} .
Nach Definition dieser Menge ist dann aber M ∈ M genau dann, wenn M 6∈ M – ein
offensichtlicher Widerspruch!
Dieses Beispiel wurde später in folgender Interpretation bekannt: In einer Stadt gibt es
einen Barbier, der nur die Männer rasiert, die sich nicht selbst rasieren. Wer rasiert aber
dann den Barbier?
Die heutige Mathematik basiert auf einer, die ursprünglichen Ideen von E. Zermelo
und A. Fraenkel weiterführenden axiomatischen Mengenlehre, in welcher solche Widersprüche durch sogenannte Regularitätsaxiome“ ausgeschlossen werden. Wir wer”
den hierauf nicht eingehen, sondern berufen uns auf unser intuitives Verständnis“ des
”
Mengenbegriffs.
1.2.3 Mengenrelationen und Mengenoperationen
Wir stellen in diesem Paragraphen stichpunktartig die grundlegenden Relationen und
Operationen zwischen Mengen zusammen. Seien also A und B zwei beliebige Mengen.
◦ Mengenrelationen
A = B A ist gleich B
x ∈ A ⇐⇒ x ∈ B
A ⊆ B A ist Teilmenge von B
x ∈ A =⇒ x ∈ B
A ⊂ B A ist echte Teilmenge von B A ⊆ B ∧ A 6= B
Die Mengengleichheit können wir offenbar auch so auffassen
A=B
genau dann, wenn A ⊆ B und B ⊆ A,
und genau auf dieser Auffassung basieren alle Beweise zu Mengengleichheiten!
◦ Vereinigung, Durchschnitt, Differenz
A ∪ B A vereinigt mit B
A ∩ B A geschnitten mit B
A \ B A weniger B
{x : x ∈ A ∨ x ∈ B}
{x : x ∈ A ∧ x ∈ B}
{x : x ∈ A ∧ x ∈
6 B}
◦ Kartesisches Produkt
A × B = {(a, b) : a ∈ A, b ∈ B}.
1.2. ELEMENTE DER MENGENLEHRE
7
Beispiel 5. Sind A = {1, 2} und B = {a, b}, so ist
A × B = {(1, a), (1, b), (2, a), (2, b)} .
1.2.4 Rechenregeln für Mengen
Satz 1.2. Für drei Mengen A, B und C gelten
A ∩ (B ∪C) = (A ∩ B) ∪ (A ∩C),
A ∪ (B ∩C) = (A ∪ B) ∩ (A ∪C).
Beweis. Wir beweisen nur die erste Identität. Dazu erinnern wir an die aus dem ersten
Abschnitt bekannte Gleichheit
a ∧ (b ∨ c) = (a ∧ b) ∨ (a ∧ c),
welche wir mittels einer Wahrheitstafel bewiesen haben, und ermitteln (wir werden
gewöhnlich ⇒“ für Implikationen schreiben)
”
x ∈ A ∩ (B ∪C) =⇒
=⇒
=⇒
=⇒
=⇒
x ∈ A ∧ x ∈ (B ∪C)
x ∈ A ∧ (x ∈ B ∨ x ∈ C)
(x ∈ A ∧ x ∈ B) ∨ (x ∈ A ∧ x ∈ C)
(x ∈ A ∩ B) ∨ (x ∈ A ∩C)
x ∈ (A ∩ B) ∪ (A ∩C),
was die Inklusion
A ∩ (B ∪C) ⊆ (A ∩ B) ∪ (A ∩C)
zeigt. Wir überzeugen uns auch, dass wir in dieser Schlusskette alle Implikationen
umkehren dürfen, d.h. statt =⇒ gilt stets ⇐⇒“, was
”
”
”
(A ∩ B) ∪ (A ∩C) ⊆ A ∩ (B ∪C)
liefert. Damit ist die erste Mengengleichheit bewiesen.
Aufgabe 6. Beweisen Sie auch die zweite Behauptung dieses Satzes.
Unser nächstes Resultat beinhaltet die de Morganschen Regeln.
Satz 1.3. (de Morgansche Regeln für Mengen)
Sind A und B Teilmengen einer Obermenge X, so gelten
X \ (A ∪ B) ⇐⇒
X \ (A ∩ B) ⇐⇒
(X \ A) ∩ (X \ B),
(X \ A) ∪ (X \ B).
Aufgabe 7. Beweisen Sie diese Aussagen dieses Satzes.
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
8
1.2.5 Literaturnachweis
Ausführliche Betrachtungen, angefangen von Cantors ursprünglicher Mengenlehre bis
zur modernen mengentheoretischen Axiomatik finden sich u.a. in
◦
◦
◦
◦
Deiser, O.: Einführung in die Mengenlehre
Spivak, M.: Calculus
Stillwell, J.: Mathematics and its history
Wolf, R.S.: A tour through mathematical logic
Zahlreiche Beispiel haben wir dem umfangreichen Lehr- und Übungsbuch
◦ Merziger, G.; Wirth, T.: Repetitorium der höheren Mathematik
entnommen.
1.3 Zahlensysteme
1.3.1 Die Menge der reellen Zahlen
Hierunter wollen wir eine nichtleere Menge verstehen, deren Elemente wir als reelle
Zahlen bezeichnen.
Reelle Zahlen sollen miteinander vergleichbar sein. Wir fordern daher die Existenz
◦ einer Gleichheitsrelation =“
”
◦ und einer Ordnungsrelation <“
”
Die Ordnungsrelation y“ sei trichotomisch, d.h. zwei beliebige Elemente x, y ∈ R sol”
len genau eine der folgenden drei Beziehungen eingehen
entweder x < y oder x = y
oder y < x
(in Worten: x ist kleiner als y, x ist gleich y oder y ist kleiner als x).
Die Gleichheitsrelation =“ erfülle die folgenden Eigenschaften:
”
◦ Reflexivität: x = x für alle x ∈ R.
◦ Symmetrie: Falls x = y, so auch y = x für alle x, y ∈ R.
◦ Transitivität: Falls x = y und y = z, so auch x = z für alle x, y, z ∈ R.
Definition 1.1. Eine Relation mit diesen drei Eigenschaften Reflexivität, Symmetrie
und Transitivität heißt eine Äquivalenzrelation.
Aufgabe 8. Finden Sie eigene Beispiele für Äquivalenzrelationen aus der Mathematik,
Physik, Chemie, aus dem Alltag usw. Definieren Sie dazu jeweils geeignete Mengen,
Elemente dieser Mengen und Äquivalenzrelationen zwischen diesen Elementen.
1.3. ZAHLENSYSTEME
9
Neben der Trichotomie für die Ordnungsrelation <“ fordern wir schließlich ihre
”
◦ Transitivität: Falls x < y und y < z, so auch x < z für alle x, y, z ∈ R.
Unter Verwendung der Gleichheitsrelation werden wir in Form der folgenden Axiome
(I1 ) bis (I9 ) die zwei arithmetischen Operationen
Addition
+ : R × R −→ R
Multiplikation · : R × R −→ R
vermöge
x, y ∈ R 7→ x + y ∈ R
x, y ∈ R 7→ x · y ∈ R
erklären (die sogenannten arithmetischen Axiome).
Für diese arithmetischen Operationen vereinbaren wir anschließend in den Axiomen
(II1) bis (II3 ) gewisse Verträglichkeitsregeln mit der Ordnungsrelation <“(die soge”
nannten Axiome der Anordnung).
Schließlich werden wir die Menge der reellen Zahlen durch ein besonderes Vollständigkeitsaxiom von den übrigen Zahlenmengen (natürliche Zahlen, ganze Zahlen, rationale
Zahlen) auszeichnen, die wir später separat diskutieren.
Insgesamt beinhaltet also der axiomatische Aufbau der reellen Zahlen neben der Einführung einer Gleichheits- und einer Ordnungsrelation folgende Axiomgruppen
◦ die arithmetischen Axiome,
◦ die Anordnungsaxiome,
◦ das Vollständigkeitsaxiom.
Diese drei Axiomgruppen wollen wir nun im Detail vorstellen.
1.3.2 Die arithmetischen Axiome
Die arithmetischen Axiome beinhalten die grundlegenden arithmetischen Eigenschaften der Addition und Multiplikation reeller Zahlen. Wir unterteilen sie in
◦ die arithmetischen Axiome der Addition,
◦ die arithmetischen Axiome der Multiplikation,
◦ das Distributivgesetz.
Wir beginnen mit den arithmetischen Axiomen der Addition.
(I1 ) Kommutativgesetz der Addition
Für alle x, y ∈ R gilt x + y = y + x.
(I2 ) Assoziativgesetz der Addition
Für alle x, y, z ∈ R gilt (x + y) + z = x + (y + z).
(I3 ) Existenz des neutralen Elements der Addition
Es gibt genau ein Element 0 ∈ R mit x + 0 = x für alle x ∈ R.
(I4 ) Existenz des inversen Elements der Addition
Zu jedem x ∈ R gibt es genau ein y ∈ R mit x + y = 0. Dieses Element y bezeichnen wir mit −x.
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
10
Entsprechende Regeln wollen wir auch für die Multiplikation festlegen.
(I5 ) Kommutativgesetz der Multiplikation
Für alle x, y ∈ R gilt x · y = y · x.
(I6 ) Assoziativgesetz der Multiplikation
Für alle x, y, z ∈ R gilt (x · y) · z = x · (y · z).
(I7 ) Existenz des neutralen Elements der Multiplikation
Es gibt genau ein Element 1 ∈ R \ {0} mit x · 1 = x für alle x ∈ R.
(I8 ) Existenz des inversen Elements der Multiplikation
Zu jedem x ∈ R \ {0} gibt es genau ein y ∈ R \ {0} mit x · y = 1. Dieses Element
bezeichnen wir mit 1y oder y−1 .
Das Distributivgesetz endlich verknüpft Addition und Multiplikation.
(I9 ) Distributivgesetz
Für alle x, y, z ∈ R gilt x · (y + z) = x · y + x · z.
1.3.3 Folgerungen aus den arithmetischen Axiomen
Aus den arithmetischen Axiomen lassen sich alle arithmetischen Regeln beweisen, welche wir in Zukunft benötigen. Das betrifft zunächst
◦
◦
◦
−(−x) = x, (−x) + (−y) = −(x + y)
(x−1 )−1 = x, x−1 · y−1 = (x · y)−1 , falls x, y 6= 0
x · 0 = 0, x · (−y) = −(x · y), (−x) · (−y) = x · y, x · (y − z) = x · y − x · z
Die detaillierten Argumentationen, um jede dieser scheinbar elementaren Behauptungen unter alleiniger Verwendung obiger Axiome zu beweisen, sind allerdings oft sehr
umfangreich.
Wir wollen das an einem Beispiel veranschaulichen.
Satz 1.4. Es gilt
x·0 = 0
für alle x ∈ R.
Beweis. Wegen x ∈ R und 0 ∈ R ist zunächst x · 0 ∈ R, und damit ist auch −(x · 0) ∈ R
nach (I4 ). Wir erhalten
x · 0 = x · (0 + 0) = x · 0 + x · 0
nach (I3 ) und (I9 )
=⇒ x + − (x · 0) = x · 0 + x · 0 + − (x · 0) nach Addition von − (x · 0)
=⇒ 0 = x · 0 + 0 = x · 0
nach (I4 ) und (I3 )
Es gilt also x · 0 = 0, was die Behauptung zeigt.
Ferner implizieren die arithmetischen Axiome die Regeln der Bruchrechnung
◦
x u xv + yu
+ =
,
y v
yv
x u xu
· =
,
y v
yv
xv
xu−1
=
,
−1
yv
yu
wobei natürlich die Nenner in allen Brüchen ungleich 0 sein müssen.
1.3. ZAHLENSYSTEME
11
1.3.4 Die reellen Zahlen bilden einen Zahlenkörper
Eine nichtleere Menge K, die wie R allen vorgestellten arithmetischen Axiomen genügt, bekommt in der Mathematik einen speziellen Namen.
Definition 1.2. Eine Menge K von Elementen, auf denen eine additative Verknüpfung
+ : K × K → K und eine multiplikative Verknüpfung · : K × K → K definiert sind,
welche den arithmetischen Axiomen (I1 ) bis (I9 ) genügen, heißt ein Körper.
Insbesondere sprechen wir vom Körper der reellen Zahlen R.
1.3.5 Die Anordnungsaxiome
Die drei Axiome der Anordnung, die die Ordnungsrelation <“ betreffen, lauten nun
”
wie folgt.
(II1 ) Transitivität der Anordnung
Aus x < y und y < z folgt stets x < z.
(II2 ) Verträglichkeit mit der Addition
Aus x < y folgt x + z < y + z für alle z ∈ R.
(II3 ) Verträglichkeit mit der Multiplikation
Aus x < y und 0 < z folgt stets xz < yz.
Insbesondere sprechen wir im Falle von R von einem angeordneten Körper.
1.3.6 Folgerungen aus den Anordnungsaxiomen
Die Anordnungsaxiome genügen, um alle für uns notwendigen Regeln, welche zwei
Elemente x, y ∈ R vermittels der Relation < in Beziehung setzen, zu beweisen. Das
betrifft insbesondere
◦
◦
◦
◦
◦
◦
◦
◦
x < y genau dann, wenn x − y < 0
x < 0 genau dann, wenn − x > 0
x > 0 genau dann, wenn − x < 0
x < y genau dann, wenn − x > −y
x < y und u < v, dann x + u < y + v
xy > 0, dann (x > 0 und y > 0) oder (x < 0 und y < 0)
xy < 0, dann (x > 0 und y < 0) oder (x < 0 und y > 0)
x 6= 0 genau dann, wenn x2 > 0
x < y und z < 0, dann xz > yz
x > 0 genau dann, wenn x−1 > 0
x2 < y2 und x ≥ 0 und y > 0, dann x < y
Das Relationssymbol ≥ in der letzten Folgerung ist dabei so zu verstehen:
x ≥ y genau dann, wenn x > y oder x = y.
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
12
1.3.7 Das Vollständigkeitsaxiom
Um dieses, für alle Grenzwertprozesse der Analysis wesentliche Axiom formulieren
zu können, benötigen wir die
Definition 1.3. Eine nichtleere Teilmenge M ⊂ R heißt nach oben beschränkt, falls es
eine reelle Zahl b ∈ R gibt mit der Eigenschaft
x ≤ b für alle x ∈ M.
Die Zahl b bezeichnen wir dabei als obere Schranke von M.
Beachte, dass sogleich alle Zahlen k′ ∈ R mit k′ ≥ b obere Schranken dieser Teilmenge
M darstellen.
Definition 1.4. Eine nichtleere Teilmenge M ⊂ R heißt nach unten beschränkt, falls es
eine reelle Zahl a ∈ R gibt mit der Eigenschaft
a≤x
für alle x ∈ M.
Die Zahl a bezeichnen wir als eine untere Schranke von M. Schließlich heißt M ⊂ R
beschränkt, falls gilt
a ≤ x ≤ b für alle x ∈ M.
Unter einer kleinsten oberen Schranke von M (bzw. größten unteren Schranke) wollen
wir nun eine reelle Zahl verstehen,
◦ wenn sie eine obere (untere) Schranke von M ist,
◦ wenn es keine kleinere obere (keine größere untere) Schranke von M gibt.
Das Vollständigkeitsaxiom lautet dann wie folgt.
(III) Jede nichtleere, nach oben beschränkte Teilmenge M ⊂ R besitzt eine kleinste
obere Schranke, das sogenannte Supremum sup M von M. Oder dazu äquivalent:
Jede nichtleere, nach unten beschränkte Teilmenge M ⊂ R besitzt eine größte
untere Schranke, das sogenannte Infimum inf M von M.
Beachten Sie dabei, dass Supremum und Infimum tatsächlich für beliebige Teilmengen
M ⊂ R definiert werden können. Insbesondere schreiben wir
sup M < +∞, falls M nach oben beschränkt ist, andernfalls sup M = +∞
inf M > −∞, falls M nach unten beschränkt ist, andernfalls inf M = −∞
Das Symbol ∞“ lesen wir als Unendlich.“
”
”
Beispiel 6. Jede der Mengen (−1, 1), (−1, 1], [−1, 1) oder M = [−1, 1] besitzt −1 als
Infimum und +1 als Supremum. Warum?
1.3. ZAHLENSYSTEME
13
1.3.8 Über den axiomatischen Aufbau
Die Ausführungen in diesem Abschnitt sind kursorisch und dienen lediglich einer allgemeinen Einordnung des bisher behandelten Stoffes.
Die hier vorgestellte Methode, die reellen Zahlen einzuführen, ist nicht die einzig
mögliche. Häufig wählt man auch folgenden Weg:
1. Definiere vermöge der Peanoschen Axiome eine Arithmetik der natürlichen Zahlen. Diese selbst können nach J. von Neumann aus mengentheoretischer Sicht
über sogenannte Paarbildung der leeren Menge definiert werden:
0 := 0,
/
1 := {0}
/
2 := {0,
/ {0}},
/
3 := {0,
/ {0},
/ {0,
/ {0}}}
/
usw.
2. Führe vermöge der natürlichen Zahlen die Menge Z der ganzen Zahlen und aus
diesen durch Verhältnisbildung die Menge Q der rationalen Zahlen ein.
3. Führe vermöge der rationalen Zahlen die Menge R der reellen Zahlen ein, z.B.
durch Äquivalenzklassenbildung rationaler Cauchyfolgen.
Auf den für die gesamte Analysis fundamentalen Begriff Cauchyfolge werden wir im
Verlaufe unserer Vorlesungen noch wiederholt zurückkommen.
Wir gehen hier jedoch den Weg, zunächst die Menge R der reellen Zahlen axiomatisch
einzuführen, um dann die natürlichen, die ganzen und die rationalen Zahlen aus dieser
umfassenden Menge herauszufiltern.
Welche Anforderungen sollten wir an ein solches Axiomensystem eigentlich stellen?
◦ Das Axiomensystem muss widerspruchsfrei sein, d.h. es darf nicht möglich sein,
aus den Axiomen eine Aussage als auch ihre Negation abzuleiten.
◦ Die einzelnen Axiome sollen untereinander unabhängig sein, d.h. ein Axiom
sollte möglichst nicht aus den anderen durch logische Schlussfolgerungen ableitbar und damit von diesen Axiomen abhängig sein.
◦ Das Axiomensystem soll vollständig sein, d.h. alle innerhalb der Sprache“ des
”
Axiomensystems formulierbaren Sätze sollten auch möglichst innerhalb dieses
Systems beweisbar sein.
Aber genügt unser hier vorgestelltes Axiomensystem diesen Anforderungen?
Es ist möglich, die am Anfang unserer Vorlesung angesprochene Aussagenlogik axiomatisch vollständig und widerspruchsfrei zu formulieren. Ein solches Systems findet
sich z.B. in T. Zoglauers Lehrbuch Einführung in die formale Logik für Philosophen.
Dasselbe gilt aber auch für gewisse Elemente der Euklidischen Geometrie, die der polnische Logiker A. Tarski später als elementar bezeichnete, und die wir im Rahmen der
Linearen Algebra und Geometrie kennenlernen werden. Wir verweisen auf S. Givants
und A. Tarskis Übersichtsartikel Tarski’s system of geometry.
Aber bereits die oben angesprochenen Peanoschen Axiome, die uns die gewöhnliche
Arithmetik in der Menge N der natürlichen Zahlen zur Verfügung stellen, zusammen
mit einem Induktionsprinzip, das wir in Kürze einführen werden, erfüllen diese Anforderungen schon nicht mehr.
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
14
Vielmehr gelten die folgenden Gödelschen Sätze (siehe T. Zoglauer).
Satz 1.5.
1. Wenn die Peano-Arithmetik widerspruchsfrei ist, dann ist sie unvollständig. Und wenn sie vollständig ist, dann ist sie nicht widerspruchsfrei.
2. Wenn die Peano-Arithmetik widerspruchsfrei ist, dann kann ihre Widerspruchsfreiheit nicht bewiesen werden.
D. Hilbert verfolgte das ehrgeizige Programm, die Regeln der gesamten Mathematik,
d.h. der Peanoschen Arithmetik, der Mengenlehre, der Geometrie usw., auf die Grundlage eines einziges Axiomensystems aufzubauen. Einen Eindruck seiner Ideen gewinnt
man beim Studium seiner Axiomatik der Euklidischen Geometrie, enthalten in seinem
Lehrbuch Grundlagen der Geometrie. Durch Projektion“ seiner Axiome der Euklidi”
schen Geometrie auf die Axiome der Arithmetik konnte er die Widerspruchsfreiheit
der Euklidischen Geometrie nachweisen, falls nur die Axiome der Arithmetik widerspruchsfrei sind. Wir sprechen hierbei von relativer Widerspruchsfreiheit.
Ein Nachweis der Widerspruchsfreiheit der Arithmetik blieb aber zunächst aus. Die
Versuche der Mathematiker gipfelten schließlich in B. Russells und A.N. Whiteheads
monumentalem Werk Principia Mathematica. Im Jahre 1931 bewies K. Gödel jedoch,
dass das Hilbertschen Programm prinzipiell nicht durchführbar ist.
Gödels Arbeit trägt den interessanten Titel Über formal unentscheidbare Sätze der
Principia Mathematica und verwandter Systeme I – ein zweiter Teil war ursprünglich
angedacht. Auf Grund des enormen Interesses an seinen spektakulären Resultaten aus
mathematischer und philosophischer Sicht und den daraufhin unzähligen Anschlussarbeiten anderer Forscher machte für Gödel eine Fortsetzung seiner Arbeit aber keinen
Sinn mehr.
1.3.9 Literaturnachweis
Nur der letzten Paragraphen haben wir nicht auf Hildebrandts Lehrbuch zur Analysis gestützt.
◦ Paragraphen 1.3.1 bis 1.3.7
Hildebrandt, S.: Analysis 1
◦ Paragraph 1.3.8
Wolf, R.S.: A tour through mathematical logic; Zoglauer, T.: Einführung in die formale
Logik für Philosophen
1.4 Natürliche und ganze Zahlen
1.4.1 Definition der natürlichen Zahlen
Eine Teilmenge M ⊂ R der reellen Zahlen R wollen wir als eine induktive Menge
bezeichnen, falls gelten
◦ 1 ∈ M,
◦ x ∈ M, dann auch x + 1 ∈ M.
1.4. NATÜRLICHE UND GANZE ZAHLEN
15
Beispielsweise sind folgende Mengen induktiv:
◦ Die Menge R der reellen Zahlen.
◦ Die Menge der positiven reellen Zahlen.
Sind ferner M1 ⊂ R und M2 ⊂ R zwei induktive Mengen, so ist auch ihr Durchschnitt
M1 ∩ M2 = {x ∈ R : x ∈ M1 und x ∈ M2 }
eine induktive Menge. Eine endliche Menge, d.h. eine Menge, die nur aus endlich vielen Elementen besteht, ist nicht induktiv.
Aufgabe 9. Beweisen Sie diese Behauptungen.
Definition 1.5. Die Menge N der natürlichen Zahlen ist der Durchschnitt aller induktiven Teilmengen M ⊂ R.
Beachte, dass nach unserer Definition 0 6∈ N ist. Gelegentlich wird die Zahl 0 aber auch
willkürlich zu N hinzugerechnet, oder man schreibt einfach N0 = N ∪ {0}.
Die Menge N ist abgeschlossen bez. Addition und Multiplikation, d.h. mit zwei Elementen x, y ∈ N gilt auch stets
x + y ∈ N,
x · y ∈ N.
Es ist N aber nicht abgeschlossen bez. Subtraktion und Division.
Aufgabe 10. Beweisen Sie auch diese Behauptungen.
1.4.2 Das Prinzip der vollständigen Induktion
Als Durchschnitt aller möglichen induktiven Teilmengen ist N überhaupt die kleinste
induktive Teilmenge von R. Das besagt nämlich der
Satz 1.6. (Induktionsprinzip)
Ist M ⊂ R induktiv, und gilt M ⊂ N, so muss gelten M = N.
Beweis. Nach Voraussetzung ist zunächst M ⊂ N. Aus der Definition von N als Durchschnitt aller induktiven Teilmengen in R folgt aber auch N ⊂ M. Also gilt M = N.
Diesem Resultat entnehmen wir nun das Prinzip der vollständigen Induktion.
Satz 1.7. Für jedes n ∈ N sei eine Aussage An der Art gegeben, so dass gelten
(i) A1 ist richtig, und
(ii) aus der Richtigkeit von An für ein beliebig gewähltes n ∈ N folgt die Richtigkeit
von An+1 .
Dann gilt An für alle n ∈ N.
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
16
Beweis. Wir definieren die Menge
M := {n ∈ N : An ist richtig} ⊂ N.
Diese Menge ist nichtleer, denn nach Voraussetzung (i) ist A1 richtig, d.h. es ist bereits
1 ∈ M. Gemäß Voraussetzung (ii) ist M aber auch induktiv, so dass voriger Satz M = N
impliziert, was schließlich die Richtigkeit aller Aussagen An beweist.
Die Voraussetzungen (i) und (ii) des vorigen Satzes bezeichnet man in dieser Reihenfolge gewöhnlich als
(i) Induktionsvoraussetzung,
(ii) Induktionsschluss.
Das Beweisprinzip der vollständigen Induktion verlangt beides: das Verifizieren der
Induktionsvoraussetzung und das Durchführen des Induktionsschlusses.
Beispiel 7. Wir zeigen die Aussage
n
An :
∑ k = 1 + 2 + . . .+ n =
k=1
n(n + 1)
2
für alle n ∈ N.
(i) Induktionsanfang: Die Aussage A1 ist offenbar richtig, denn wir verifizieren
1
n(n + 1) = 1.
k
=
1
und
∑
n=1
2
k=1
(ii) Induktionsschluss: Für ein n ∈ N sei An richtig, d.h. es gelte
n
∑k=
k=1
n(n + 1)
.
2
Dann ermitteln wir
n+1
n
k=1
k=1
∑ k = ∑ k + (n + 1) =
(n + 1)(n + 2)
n(n + 1)
+ (n + 1) =
,
2
2
d.h. mit der Richtigkeit von An folgt die Richtigkeit von An+1 .
Nach dem Prinzip der vollständigen Induktion gilt daher die Aussage An für alle n ∈ N.
1.4.3 Die ganzen Zahlen
Die Menge Z der ganzen Zahlen definieren wir als die Vereinigung
Z := N− ∪ {0} ∪ N
mit der Setzung
N− := {−n : n ∈ N} .
Innerhalb der Menge der rationalen Zahlen kann man addieren, subtrahieren und multiplizieren. Bezüglich der Division ist Z nicht abgeschlossen.
1.5. DIE REELLEN ZAHLEN
17
1.4.4 Literaturnachweis
Dieser Abschnitt basiert vollständig auf S. Hildebrandts Lehrbuch zur Analysis.
◦ Paragraphen 1.4.1 bis 1.4.3
Hildebrandt, S.: Analysis 1
1.5 Die reellen Zahlen
1.5.1 Rationale Zahlen
Die Menge Q der rationalen Zahlen definieren wir als
Q := {p/q : p, q ∈ Z, q 6= 0}.
Innerhalb dieser Zahlenmenge lässt sich nun auch die Multiplikation umkehren und die
Division ausführen. Division durch 0 ist natürlich ausgeschlossen.
1.5.2 Abbildungen zwischen Mengen
Bevor wir mit der Theorie der rationalen Zahlen fortfahren können, benötigen wir einige neue Begriffe.
Unter einer Abbildung zwischen zwei Mengen M und N, in Zeichen
f : M −→ N,
verstehen wir eine Zuordnungsvorschrift, die jedem Element m ∈ M genau ein Element
n ∈ N zuordnet. Es heißen dabei M die Urbildmenge und N die Bildmenge oder der
Wertebereich der Abbildung f .
Definition 1.6. Die Abbildung f : M → N zwischen den Mengen M und N heißt
◦ surjektiv genau dann, wenn f (M) = N, d.h. f ist Abbildung auf N;
◦ injektiv genau dann, wenn f (m1 ) 6= f (m2 ), falls nur m1 6= m2 ;
◦ bijektiv genau dann, wenn f surjektiv und injektiv ist.
Eine bijektive Abbildung bezeichnet man auch als eineindeutig. In diesem Fall können
wir ihre Umkehrabbildung f −1 : N → M bilden, die ebenfalls eine Abbildung in unserem Sinne ist.
Definieren wir im allgemeinen
e = {m ∈ M : f (m) ∈ N}
e
f −1 (N)
e ⊂ N, so ordnet dieses f −1 Teilmengen von N Teilfür alle möglichen Teilmengen N
mengen von M zu. Es handelt sich aber nicht unbedingt um eine Abbildung im Sinne
unserer Definition.
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
18
1.5.3 Die rationalen Zahlen sind abzählbar
Eine nichtleere Menge M besitzt entweder endlich viele Elemente, und wir können sie
in der Form
M = {m1 , m2 , m3 , . . . , mn }
schreiben mit einer geeigneten natürlichen Zahl n ∈ N, oder sie besitzt unendlich viele Elemente. Nach G. Cantor unterscheiden wir in diesem Fall zwischen abzählbar
unendlichen Mengen und überabzählbar unendlichen Mengen.
Definition 1.7. Eine unendliche Menge M heißt abzählbar, falls sie umkehrbar eindeutig auf die Menge der natürlichen Zahlen N abgebildet werden kann, d.h. wenn es eine
bijekive Abbildung
f : N −→ M
gibt, welche jedem Element m ∈ M genau eine natürliche Zahl n ∈ N zuordnet.
Satz 1.8. Die Menge Q der rationalen Zahlen ist abzählbar.
Beweis. Es genügt, eine Abzählung der positiven rationalen Zahlen zu finden. Eine
solche Abbildung vermittelt das folgende, ebenfalls auf Cantor zurückgehende Diagonalverfahren, dass die gewünschte Abzählung mittels Pfeile veranschaulicht:
1
1
2
1
→
ւ
↓ ր
1
2
×
2
2
3
2
3
1
4
1
ւ
↓ ր
×
4
2
5
2
5
1
1
3
ր
ւ
ր
ւ
2
3
×
3
3
4
3
→
ւ
ր
ւ
1
4
1
5
×
2
4
3
4
ր
ւ
2
5
1
6
···
···
···
×44
···
5
4
···
5
3
→
ւ
ւ
..
..
..
..
.
.
.
.
Die positiven rationalen Zahlen lassen sich also wie folgt abzählen
1 7→ 1,
2 7→
1
,
2
3 7→
2
,
1
4 7→
3
,
1
5 7→
1
,
3
6 7→
1
,
4
7 7→
2
,
3
...
bzw. unter Verwendung einer bijektiven Abbildung f : N → M
f (1) = 1,
f (2) =
1
,
2
f (3) =
2
,
1
f (4) =
3
,
1
f (5) =
1
,
3
f (6) =
1
,
4
...
Tritt in Cantors Schema eine rationale Zahl q mehrfach auf, so wird sie lediglich beim
ersten Erscheinen gezählt und anschließend gestrichen.
Aufgabe 11. Wie zeigt man nun die Abzählbarkeit der gesamten Menge Q?
1.5. DIE REELLEN ZAHLEN
19
1.5.4 Existenz irrationaler Zahlen
√
Es gibt Zahlen, wie etwa die Kreiszahl π oder die Zahl 2, welche für einen lückenlosen Aufbau der Mathematik nicht mehr wegzudenken sind, aber welche sich nicht als
Verhältnis zweier ganzer Zahlen darstellen lassen und daher als irrational zu bezeichnen sind.
√
Satz 1.9. Die Zahl 2, welche die Länge der Diagonale des Einheitsquadrates wiedergibt, ist irrational.
√
Beweis. Wir führen einen Widerspruchsbeweis. Zunächst ist 2 > 0. Angenommen,
√
2 ist rational, d.h. mit teilerfremden natürlichen Zahlen p und q gelte
√
p
2= .
q
Quadrieren und Umstellen liefert 2q2 = p2 , d.h. p2 ist eine gerade Zahl. Dann muss
aber auch p selbst gerade sein, denn quadrieren wir eine ungerade Zahl, so erhalten wir
auch wieder eine ungerade Zahl zurück:
(2k + 1)(2k + 1) = 4k2 + 4k + 1.
Da also p = 2r mit geeignetem r ∈ N sein muss, ist p2 durch 4 teilbar. Mithin schließen
wir, dass q2 gerade, daher auch q gerade sind. Es besitzen also p und q den gemeinsamen Teiler 2 im Widerspruch zur Annahme der Teilerfremdheit.
Im Jahre 1861
√ ersann J.W.R. Dedekind eine bestechend einfache Methode, die Irrationalität von k für alle Nicht-Quadratzahlen k ∈ N zu beweisen.
√
Satz 1.10. Ist k ∈ N keine Quadratzahl, so ist k irrational.
√
Beweis. Wäre nämlich√ k > 0 rational, so gibt es eine kleinste natürliche Zahl n ∈ N,
so dass das Produkt n k > 0 ganzzahlig ist. Bezeichnen wir nun mit dem Symbol [a]
die größte
√ ganze Zahl kleiner oder gleich a, so genügt also die positive Zahl (nehme
√
k − [ k] > 0 an)
√
√
m := ( k − [ k])n
der Ungleichung 0 < m < n, und daher ist auch die Zahl
√
√ √
√ √
√
m k = ( k − [ k]) k n = kn − [ k] k n
positiv und ganzzahlig im Widerspruch zur Wahl von n.
1.5.5 Dualformdarstellung der reellen Zahlen
In diesem und im folgenden Paragraphen werden wir veranschaulichen, dass die Menge
Q der rationalen Zahlen auf dem reellen Zahlenstrahl keine Lücken“ aufweist, d.h.
”
dicht“ in R liegen. Damit zeigt sich, dass jede reelle Zahl beliebig genau durch eine
”
sogenannte Folge rationaler Zahlen approximiert werden kann.
Wir wollen unsere Untersuchungen mit einer Aufgabe beginnen.
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
20
Aufgabe 12. Zeigen Sie, dass sich jede natürliche Zahlen n ∈ N eindeutig in folgender Dualform
schreiben lässt
n = 2 p z p + 2 p−1 z p−1 + . . . + 21 z1 + 20 z0
mit geeigneten Koeffizienten zk ∈ {0, 1} für k = 0, 1, . . . , p und geeignetem Index p ∈ N0 .
Reelle Zahlen lassen sich natürlich auch bez. anderen Grundzahlen“ darstellen:
”
◦ Wählen wir statt der Grundzahl 2“ die Grundzahl 10“, so erhalten wir die all”
”
gemein übliche Dezimaldarstellung.
◦ Das babylonische Sexagesimalsystem beruht auf einer Zahlendarstellung bez. der
Grundzahl 60“.
”
Ganz allgemein spricht man von einer p-adischen Darstellung im Falle einer natürlichen Grundzahl p > 1. Wir wollen uns im Folgenden auf p = 2 beschränken.
Ist also nun x ∈ R eine nichtnegative reelle Zahl, und bezeichnen wir mit [x] wie im
vorigen Paragraphen diejenige ganze Zahl, welche kleiner oder höchstens gleich x ist,
so können wir schreiben
x = [x] + ξ
mit einem nicht ganzzahligen Rest ξ ∈ [0, 1). Mit g := [x] haben wir daher den
Satz 1.11. Jede nichtnegative reelle Zahl x kann geschrieben werden in der Form
x = g+ξ
mit einem ganzzahligen Anteil
p
g = [x] =
∑ 2k zk ,
k=0
zk ∈ {0, 1} für k = 0, 1, 2, . . ., p,
und einem geeigneten ξ ∈ [0, 1). Dabei sind die z0 , z1 , . . . , zn eindeutig bestimmt.
Der nicht ganzzahlige Rest ξ kann mittels der Methode der Intervallhalbierung beliebig genau approximiert werden. Betrachte dazu das halboffene Intervall
I1 := {x ∈ R : 0 ≤ x < 1} .
Dieses Intervall heißt halboffen, weil die Zahl 0 zur Menge I1 gehört, die Zahl 1 gehört
dagegen nicht zu I1 .
Wir fahren nun wie folgt fort:
◦ Wir halbieren das halboffene Intervall I1 , und es muss ξ in genau einem der
beiden halboffenen Intervalle
Iℓ := [0, 21 ) = {x ∈ R : 0 ≤ x < 21 } oder
Ir := [ 12 , 1) = {x ∈ R :
1
2
≤ x < 1}
enthalten sein. Ohne Einschränkung sei ξ ∈ Iℓ , und wir schreiben I2 := Iℓ .
1.5. DIE REELLEN ZAHLEN
21
◦ Wir halbieren das halboffene I2 , und es muss ξ in genau einem der beiden halboffenen Intervalle
Iℓ := [0, 14 ) oder Ir := [ 41 , 12 )
enthalten sein. Ohne Einschränkung sei ξ ∈ Ir , und wir schreiben I3 := Ir .
Führen wir dieses Verfahren immer weiter fort, erhalten wir eine Folge von halboffenen
Teilintervallen
I1 , I2 , I3 usw., in Zeichen {In }n=1,2,...
Aufgabe 13. Veranschaulichen Sie sich diese Verfahrensweise an einer Skizze.
Satz 1.12. Es gibt eine eindeutig bestimmte Folge {In }n=1,2,... von halboffenen Teilintervallen, die sukzessive durch Intervallhalbierung entstehen, so dass gilt
ξ ∈ In
für alle n ∈ N.
Umgekehrt wird durch jede Folge {I n }n=1,2,... von ineinander geschachtelten, abgeschlossenen Intervallen
I n = [xn , xn + 2−n],
n
xn =
zk
∑ 2k
k=1
mit zk ∈ {0, 1}
eine Zahl ξ ∈ [0, 1] erfasst, welche im Grenzfall die Dualformdarstellung
ξ=
z1 z2 z3
+ + + ...
21 22 23
besitzt. Diese Darstellung ist darüber hinaus eindeutig, wenn ξ keiner der Intervallhalbierungspunkte ist.
Wir lassen diese Aussagen an dieser Stelle unbewiesen. Die hier angesprochenden Tatsachen aus dem Bereich der mathematischen Analysis werden wir an späterer Stelle
unserer Vorlesung erneut aufgreifen und vertiefen.
1.5.6 Die rationalen Zahlen liegen dicht
Die im vorigen Paragraphen vorgestellte Intervallhalbierungsmethode veranschaulicht,
dass wir zu beliebig vorgelegtem x ∈ R eine rationale Zahl pn ∈ Q in Dualform
n
zk
k
k=1 2
pn = g + ∑
mit g = [pn ], zk ∈ {0, 1},
finden können mit der Eigenschaft
0 ≤ x − pn ≤
1
,
2n
d.h. x und pn liegen nach n-maliger Intervallhalbierung in einem gemeinsamen, beliebig kleinen Teilintervall der Länge 2−n .
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
22
Die Elemente der Zahlenfolge
{2−n}n=1,2,... = { 12 , 41 , 81 , . . .}
streben aber mit wachsendem n ∈ N gegen Null, in Zeichen
1
= 0,
n→∞ 2n
lim
d.h. die zugehörige Folge {pn }n=1,2,... der rationalen Zahlen approximiert die reelle
Zahl x mit wachsendem n ∈ N beliebig genau.
Diese Aussage formulieren wir genauer in dem
Satz 1.13. Es sei x ∈ R beliebig gewählt. Dann gibt es zu jeder reellen Zahl ε > 0 eine
rationale Zahl p ∈ Q mit der Eigenschaft
|x − p| < ε .
Hierin bedeutet |x| der Absolutbetrag der reellen Zahl x, während |x − p| den Abstand“
”
zwischen den Zahlen p und q wiedergibt.
Definition 1.8. Die Betragsfunktion
| · | : R −→ [0, ∞) := {x ∈ R : x ≥ 0}
ist definiert gemäß
|x| :=
x, falls x ≥ 0
.
−x, falls x < 0
Wir sagen auch, die rationalen Zahlen liegen dicht in der Menge der reellen Zahlen R.
Oder mit anderen Worten: Jede reelle Zahl kann beliebig genau durch rationale Zahlen
approximiert werden.
1.5.7 Überabzählbarkeit der reellen Zahlen
Eine abzählbare, unendliche Menge, welche also vermittels einer geeigneten Abbildung bijektiv auf die natürlichen Zahlen N abgebildet werden kann, bezeichnen wir als
gleichmächtig zur Menge N, sie besitzt die gleiche Mächtigkeit wie N.
Cantors Begriff der Gleichmächtigkeit verallgemeinert den Begriff der Elementan”
zahl“, welcher bei unendlichen Mengen und Vergleichen der Quantitäten unendlicher
Mengen keinen Sinn mehr macht.
Definition 1.9. Eine unendliche Menge heißt nicht abzählbar oder überabzählbar, falls
sie nicht gleichmächtig zur Menge N der natürlichen Zahlen ist.
Wir wissen bereits, dass Q und N gleiche Mächtigkeit besitzen, obwohl doch Q mehr“
”
Elemente besitzt als N. Wir wissen aber auch, dass es reelle Zahlen gibt, die nicht zu
Q gehören und nur durch eine Folge
√ rationaler Zahlen beliebig genau approximiert
werden können, wie z.B. die Zahl 2.
Tatsächlich gilt der folgende, auf G. Cantor zurückgehende
1.5. DIE REELLEN ZAHLEN
23
Satz 1.14. Das Intervall [0, 1] = {x ∈ R : 0 ≤ x ≤ 1} ist nicht abzählbar. Überhaupt
ist die Menge R der reellen Zahlen überabzählbar.
Beweis. Mit dem nachstehenden Beweis orientieren wir uns erneut an S. Hildebrandts
Lehrbuch Analysis 1: Angenommen, das abgeschlossene I = [0, 1] ist abzählbar. Dann
gibt es eine bijektive Abbildung n 7→ xn der natürlichen Zahlen N auf die Elemente
xn ∈ I. Wir konstruieren eine Intervallschachtelung {In }n=1,2,... , so dass In ⊂ I sowie
1
3n
für die Länge eines jeden In richtig sind, und so dass xn 6∈ In für alle n ∈ N.
|In | := max{|x − y| : x, y ∈ In } =
◦ Zerlege I = [0, 1] in drei gleich lange, abgeschlossene Teilintervalle. Eines dieser
Teilintervalle enthält das Element x1 nicht. Wir bezeichnen es mit I1 :
x1 6∈ I1 ,
|I1 | =
1
.
31
◦ Zerlege I1 in drei gleich lange, abgeschlossene Teilintervalle. Eines dieser Teilintervalle enthält das Element x2 nicht. Wir bezeichnen es mit I2 :
x2 6∈ I2 ⊂ I1 ,
|I2 | =
1
.
32
Wir fahren auf diese Weise fort und erhalten eine Intervallschachtelung {In }n=1,2,... mit
der Eigenschaft
xn 6∈ In ⊂ In−1 ⊂ . . . ⊂ I2 ⊂ I1 ,
d.h. xn 6∈ I1 ∩ I2 ∩ . . . ∩ In−1 ∩ In .
Wie in den vorigen Paragraphen erkennen wir aber, dass ein ξ ∈ [0, 1] existiert im
unendlichen Durchschnitt
ξ = I1 ∩ I2 ∩ . . . ∩ In−1 ∩ In ∩ . . . =
∞
\
Ik .
k=1
Dieser Punkt ξ kommt nach Konstruktion nicht in der Folge {xn }n=1,2,... vor und ist
damit nicht im Bild der angenommenen Bijektion zwischen N und I. Das ist aber ein
Widerspruch zur Voraussetzung der Abzählbarkeit von I = [0, 1].
1.5.8 Literaturnachweis
Die Grundlage für diesen Abschnitt bildet erneut S. Hildebrandts Lehrbuch Analysis 1. Genauer
haben wir folgende Literatur verwendet:
◦ Paragraph 1.5.1
Hildebrandt, S.: Analysis 1
◦ Paragraph 1.5.2
Merziger, G.; Wirth, T.: Repetitorium der höheren Mathematik
◦ Paragraph 1.5.3, 1.5.4
Hildebrandt, S.: Analysis 1; Schröder, H.: Wege zur Analysis
◦ Paragraph 1.5.5, 1.5.6, 1.5.7
Hildebrandt, S.: Analysis 1
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
24
1.6 Die komplexen Zahlen
1.6.1 Historische Bemerkungen
Für die quadratische Gleichung
x(10 − x) = 40,
welche im reellen Zahlenbereich R nicht lösbar ist, gab G. Cardano im Jahre 1545
folgende Lösungen“ an:
”
√
√
5 + −15 und 5 − −15 .
Bereits 1777 führte L. Euler die Notation
i :=
√
−1
ein, womit sich Cardanos Lösungen nun wie folgt schreiben lassen
√
5 + 15 i,
√
5 − 15 i.
Definition 1.10. Unter einer komplexen Zahl z verstehen wir ein Tupel z = (x, y), auch
in der symbolischen Form
z = x + iy
geschrieben, mit zwei reellen Zahlen x, y ∈ R und der imaginären Einheit i =
Dabei heißen x der Realteil und y der Imaginärteil der Zahl z.
Was aber bedeutet i =
√
−1.
√
−1? Und wie rechnet man mit komplexen Zahlen?
Definition 1.11. Die Summe z1 + z2 und das Produkt z1 z2 zweier komplexer Zahlen
z1 = a + ib und z2 = c + id sind definiert gemäß
z1 + z2 := (a + c) + i(b + d),
z1 z2 := (ac − bd) + i(ad + bc).
Die zweite Definition rechtfertigt sich durch folgendes Argument“
”
z1 · z2 = (a + ib) · (c + id) = ac + iad + ibc + i2bd = ac − bd + i(ad + bc).
L. Euler gab aber auch folgendes negative Beispiel“
”
p
√
√
√
−2 = i · (2i) = −1 · −4 = (−1) · (−4) = 4 = 2.
Was läuft hier falsch?
1.6. DIE KOMPLEXEN ZAHLEN
25
1.6.2 Der Körper der komplexen Zahlen
Aus der Definition der komplexen Zahlen unter Verwendung der bekannten Rechenregeln aus R läßt sich leicht folgender Satz beweisen.
Satz 1.15. Für alle x, y, z ∈ C gelten
◦ das Kommutativgesetz der Addition x + y = y + x,
◦ das Assoziativgesetz der Addition (x + y) + z = x + (y + z),
◦ das Kommutativgesetz der Multiplikation x · y = y · x,
◦ das Assoziativgesetz der Multiplikation (x · y) · z = x · (y · z),
◦ das Distributivgesetz (x + y) · z = x · z + y · z.
Ferner gibt es ein neutrales Element bez. der Addition,
0 = 0 + i · 0 ∈ C,
und ein neutrales Element bez. der Multiplikation,
1 = 1 + i · 0 ∈ C.
Ist schließlich x = a + ib ∈ C mit x 6= 0, so läßt sich wie folgt das Inverse bestimmen
b
a
1
−i 2
.
= x−1 = 2
x
a + b2
a + b2
Wir berechnen nämlich
a
a2 + b2 −ab + ab
b
−1
x · x = (a + ib) · 2
=
−
i
+ 2
i = 1 + i · 0 = 1.
a + b2
a2 + b2
a2 + b2
a + b2
Dieses Inverse ist auch eindeutig bestimmt.
Aufgabe 14. Beweisen Sie alle hier offen gelassenen Behauptungen.
Wie auch im Falle von R bildet also die Menge C der komplexen Zahlen, zusammen
mit der im vorigen Paragraphen eingeführten Addition und Multiplikation, einen Zahlenkörper. Wir sprechen vom Körper der komplexen Zahlen.
Die Menge C ist, wie der Zahlenkörper R, abgeschlossenen gegenüber den arithmetischen Operationen. Zusätzlich sind wir aber jetzt in der Lage, beliebige Wurzeln zu
berechnen, was in R nicht möglich ist.
1.6.3 Die Gaußsche Zahlenebene
Komplexe Zahlen z = a + ib können in der sogenannten Gaußschen Zahlenebene wie
folgt veranschaulicht werden:
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
26
Im
z = a + ib
b
a
C
Re
z = a − ib
In dieser Skizze haben wir neben z = a + ib einen weiteren Punkt z = a − ib eingezeichnet, der sich aus z durch Spiegelung an der x-Achse ergibt.
Definition 1.12. Es heißt
z := a − ib
die zu z = a + ib komplex-konjugierte Zahl.
Interpretieren wir also eine komplexe Zahl geometrisch als Vektor in der Gaußschen
Zahlenebene, so lässt sich z.B. die Addition z1 + z2 als Vektoraddition veranschaulichen, wie wir sie im nächsten Kapitel detailliert besprechen werden.
In Paragraph 1.5.2 haben wir Abbildungen zwischen Mengen betrachtet. Im Falle einer
Abbildung f : R → R sprechen wir genauer von einer reellwertigen Funktion.
Die reellwertige Funktion x 7→ x2 , die einer reellen Zahl x ∈ R ihr Quadrat x ·x = x2 ∈ R
zuordnet, ist injektiv auf der positiven Halbachse {x ∈ R : x ≥ 0}. Hierauf können wir
also ihre Umkehrfunktion betrachten:
√
Umkehrfunktion von f (x) = x2 auf {x ∈ R : x ≥ 0} : g(x) = x .
Insbesondere gelten f (g(x)) = x und g( f (x)) = x auf der positiven Halbachse.
Definition 1.13. Es heißt die reelle Zahl
p
|z| := a2 + b2 ≥ 0
der Betrag der komplexen Zahl z = a + ib.
Der Betrag der komplexen Zahl z entspricht also der Euklidischen Länge des kom”
plexen Vektors“ z = a + ib in der Gaußschen Zahlenebene. Auch hierzu gehen wir im
nächsten Kapitel genauer ein.
Satz 1.16. Seien x und y zwei komplexe Zahlen. Dann gelten
◦
◦
◦
◦
|x| = 0 genau dann, wenn x = 0
(x) = x und x · x = |x|2
x + y = x + y und x · y = x · y
|x · y| = |x| · |y|
1.6. DIE KOMPLEXEN ZAHLEN
Beweis. Wir beweisen nur die letzte Regel, die restlichen verbleiben als Übung:
|x · y|2 = (x · y)(x · y) = x · y · x · y = x · x · y · y = |x|2 |y|2 ,
Das war zu zeigen.
27
28
KAPITEL 1. GRUNDLAGEN
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