Röslau, 2500 Einwohner, 1650 Evangelisch, 350 Katholisch, der

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„Wegzeichen im Fichtelgebirge – Gib den Chancen eine Chance“
Röslau, ca. 2500 Einwohner (es waren schon einmal mehr), 1650 evangelisch, 350 katholisch,
der Rest muslimisch oder ohne Religionszugehörigkeit, Dekanat Wunsiedel, geprägt vom
Ende der Porzellanindustrie im Ort, strukturschwache Region, Wegzug von Jugendlichen und
Arbeitssuchenden ...
Man könnte dieser Negativliste noch einiges hinzufügen.
Man könnte es aber auch anders formulieren. „Potentialregion“ – denn eine Krise setzt immer
auch etwas frei, Räume zum Beispiel. Eine Krise macht auch mutig, und wenn es nur der Mut
der Verzweiflung ist. Man ist geneigt etwas auszuprobieren, auch wenn ein Großteil der
Bevölkerung immer einen sehr frühen Horizontabschluss sucht („des ham mir ja noch nie
gemacht“, „dafür ham mir ka Geld“).
Potential ist dennoch da, so dachten wir uns, Petra Feigl, Künstlerin am Ort, und Thomas
Guba, seit fünf Jahren Pfarrer in Röslau. Und es entstand ein Projekt im Rahmen von „Kunst
und Kirche“, „Wegzeichen“ genannt.
Schnell waren 12 Künstler gefunden, unterschiedlichster Stilarten, Textiler, Weber,
Keramiker, Enkaustik, Videoinstallation, Textinstallation, Steinmetzarbeiten, Fotografie und
Glaskunst. Alle wollten zum Ausstellungsthema Arbeiten anfertigen. Alle waren auch ein
wenig geehrt, einmal etwas in einer Kirche ausstellen zu dürfen.
Aus unterschiedlichen Ecken Nordbayerns sollten die Künstler kommen und so waren nicht
nur Oberfranken, sondern auch Mittelfranken und welche aus der nördlichen Oberpfalz mit
dabei.
Die katholische Kirchengemeinde vor Ort war sofort mit im Boot, auch wenn das Ordinariat
in Regensburg zögerlich war.
Workshops wurden angeboten, Vorträge, Konzerte, Führungen durch die Ausstellung,
Andachten mit profilierten Theologen und Dekanen aus Oberfranken, Gottesdienste.
Ein alter Verbindungsweg zwischen beiden Kirchen konnte wiederhergestellt und mit sechs
Glasstelen mit Impulsfragen ansprechend gestaltet werden.
Ein Café richtete die Kirchengemeinde ein und über 80 freiwillige Helfer wurden in wenigen
Tagen gefunden.
Ca. 3100 Besucher aus ganz Oberfranken und der Oberpfalz kamen, um zeitgenössische
Kunst in zwei Kirchen und in einem scheinbar „verschlafenen Dorf“ im Fichtelgebirge zu
erleben.
Fast alle waren begeistert.
So viel zum Projekt.
Offen und deutlich den Dialog suchen und sich auf Veränderungen einlassen.
Die Röslauer Kirchengemeinde hat sich seit einigen Jahren ganz deutlich das Ziel gesetzt,
„Kirche für das Dorf“ zu sein. Man will stärker mit den Vereinen und den Menschen vor Ort
in Kontakt treten. So hat sie eine Bandenwerbung ("Bei uns stehen Sie nicht im Abseits –
Evang. Kirchengemeinde Röslau") auf dem örtlichen Fußballplatz (Bezirksoberliga)
geschaltet, eine Familienmesse initiiert oder lädt beispielsweise ganz offiziell zu einem
Kirchweihumzug ein, der von örtlichen Vereinen bestritten wird.
Menschen spüren, dass sich Kirche öffnet. Kirche stellt sich den Veränderungen im Dorf. Das
Projekt „Wegzeichen“ hat allen gezeigt, dass Kirche den Ort aktiv mitgestalten will. Kirche
bringt sich ein, die „Gehstruktur“ funktioniert und in ihrer Folge auch wieder die
„Kommstruktur“, denn die Menschen vor Ort wollen auch etwas zurückgeben.
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Veränderungen im Ort, die vor allem wirtschaftlicher Art waren, werden auf einmal durch
eine Stärkung des „Wir-Gefühls“ aufgefangen, und da hat Kirche eine ganz wichtige Rolle
wahrzunehmen. Dialoge finden statt, nicht nur zwischen Künstlern und Projektleitung, auf
einmal zwischen vielen Menschen, zwischen Gästen und Einheimischen, zwischen Kunst und
Kirche. Die gemeinsame Suche nach einem gangbaren Lebensweg in schwieriger Situation
schweißt zusammen.
Deutlich und geistesgegenwärtig unsere Überzeugungen vertreten
Auf einmal ist Kirche wieder gefragt. Menschen kommen nach den Veranstaltungen und
bemerken: „Dass Kirche so auch sein kann?“ „ Ja, wie denn, welches Bild von Kirche haben
Sie denn bisher gehabt?“, meine Gegenfrage. Und es stellt sich heraus, dass man Kirche
immer wieder als etwas dogmatisch Festgelegtes, immer wieder das Gleiche machend erlebt
und wenig Innovationskraft verspürt. Ich bin ein wenig enttäuscht, weil ich als Pfarrer unsere
Kirche grundsätzlich auch anders erlebe, aber offensichtlich kommt dies bei vielen Menschen
nicht an. Ich merke, dass Menschen eine „Öffnung“ der Kirche brauchen, um anknüpfen zu
können. Die „Verdichtung“ kommt fast von alleine durch Nachfragen, durch Begeisterung,
durch eine Suchbewegung, bei der eine Gemeinde helfen kann. Das ist auch die Zeit,
Überzeugungen einzubringen. Ich verstehe dies nicht so, wie ich es auch erlebe, stark
evangelistisch, fast manchmal zwanghaft. Menschen entdecken von alleine, wenn sie
angenommen werden, und Lebens- sowie Glaubenshilfe sind dann die Aufgaben.
Aufgeschlossen den Fragen der Menschen und ihrer Lebenswelt begegnen
Ich mag das Büchlein von Fulbert Steffensky, „Schwarzbrotspiritualität“. Da schreibt er:
„Eine offene Kirche ist eine Kirche, die verwandten Geistern Obdach bietet. Ich denke hier
vor allem an die Begegnung von Kunst und Kirche (...) Der Glaube und die Künste lehren
loben, sie kennen die große Grundfähigkeit des Herzens. Sie besingen das Leben (...) Sie
haben eine gemeinsame Mutter: die Sehnsucht nach dem Leben.“ 1
Die Sehnsucht nach dem Leben werden wir sicher unterschiedlich definieren. Als ich diese
Zeilen schreibe, leben Menschen diese Sehnsucht auf den Fanmeilen der Fußball-EM aus.
Aber es muss doch mehr geben. Meine Beobachtung: Kunst in Röslau hat Fragen gestellt und
hat Sehnsucht geweckt. Ach, was sage ich: Kunst bei uns hat sehr viele Fragen gestellt und
noch mehr Sehnsucht geweckt, und deshalb hat sie einen Prozess in Gang gesetzt. Einen
Prozess, den einige Pfarrer und Dekane in ihren Abendandachten hervorragend aufgenommen
haben. Sie haben diese Sehnsucht als Christen spüren lassen, ohne gleich wieder eine einfache
Antwort zu geben, sie haben es geschafft die Fragen zu vertiefen und Schneisen zu schlagen,
Wege auszuprobieren.
Für mich als Pfarrer war eine wichtige Frage wie Menschen jenseits der Kerngemeinde damit
umgehen. Ich habe entdeckt: Sie machen sich auf die Suche. Es werden Gesprächstermine
vereinbart. Es wird gesprochen, intensiv nachgedacht, auch in den lokalen Medien. Eine
aufgeschlossene Kirche stellt ähnliche Fragen wie all die Menschen ringsumher. Sie lebt in
der gleichen Welt wie all die anderen und sie bietet Lebenshilfe und Lebensdeutung an.
Verlässlich und vertrauenswürdig für die Menschen sein, indem wir – treu den
biblischen Traditionen – die Aufgaben der Gegenwart erfüllen.
Vor Ort ist eine Aufgabe der Gegenwart noch immer die Zusammenarbeit zwischen den
beiden großen Kirchen zu verstärken. Wir sind ein großes Stück weitergekommen.
Gegenseitige Besuche, gemeinsame Vorbereitung der Aktionen und gemeinsames Feiern
haben uns einander nahe gebracht. Beide Kirchengemeinden sind miteinander verbunden.
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Durch Installationen, die sich in den beiden Kirchen ergänzten, durch den neuen, alten
Verbindungsweg, durch persönliche Freundschaften, die entstanden sind.
Auch die Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit konnte transparent kommuniziert werden.
Wo Menschen miteinander arbeiten strahlt dies aus. Es entsteht das Gefühl von
Zusammengehörigkeit und das schafft Vertrauen. Dass der gemeinsame Glaube die Basis
bildet, wurde in vielen Kunstwerken deutlich. Dass beim Thema „Wegzeichen“ ein Jesuswort
wie „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) eine wichtige Rolle gespielt
hat, ist selbstverständlich.
Offen und deutlich, aufgeschlossen und verlässlich dem Glauben und dem Leben dienen
Ich bin froh über dieses Projekt, das offen und deutlich von Regionalbischof Wilfried Beyhl
unterstützt wurde, das Menschen in einen Ort gebracht hat, der sich profilieren könnte mit
ungewöhnlichen Aktionen in einer strukturschwachen Region. In einer Region, in der Kirche
und Glaube aber eben noch eine Rolle spielen, in der nachgefragt wird.
Ja, Kunst geht auch im Fichtelgebirge, fernab von München. Kunst schafft Selbstvertrauen,
schafft Identität, und Kirche tut gut daran ihre Botschaft mit einzupflanzen.
Ich mag Ideen, wie sie in „Kirche der Freiheit“ formuliert werden. Ich mag nicht jede Idee,
kann aber vielem etwas abgewinnen. „Der Chance eine Chance geben“2 zum Beispiel. Ich
freue mich über Leuchtfeuer 7, dem über die Bildungsarbeit3, die bei uns geleistet wurde und
eigentlich doch eine protestantische Spezialität von alters her war und ist.
Ja, da hat ein Leuchtfeuer geleuchtet in Röslau, viele, die da waren, haben das bestätigt.
Schlusswort:
Es geht weiter: Eine Podiumsdiskussion wird unser Projekt weiterführen. Die grundlegende
Frage dabei: „Was bringt ein derartiges Projekt für die Dorfentwicklung?“ Ich bin gespannt.
Ich weiß, da wollen jetzt Kolleginnen sagen und denken, wie ich es selbst vielleicht auch tun
würde, was schreibt denn so ein Dorfpfarrer über ein Projekt, das wir nicht gesehen haben und
das uns vielleicht gar nicht interessiert.
Ich bin ganz bewusst dem Leitbild unserer Landeskirche in den Überschriften gefolgt. Ich
vermute nämlich, dass es völlig andere Projekte gibt, vielleicht bei Ihnen vor Ort, die genauso
gut in dieses Leitbild passen. Nur – ich kenne sie nicht, leider. Ich möchte partizipieren an
guten Ideen anderer. Vielleicht möchte das ja auch jemand an unseren Ideen hier im Dorf.
Und die Sehnsucht nach Leben, die müsste uns ja alle verbinden.
Thomas Guba
Pfarrer in Röslau
Ludwigsfelder Str. 7
95195 Röslau
E-Mail [email protected]
P.S.: Von diesem Projekt wird es im Spätherbst 2008 eine ausführliche Dokumentation geben.
1
Steffensky, Fulbert: Schwarzbrot-Spiritualität, Stuttgart 2005, S. 44-46
Kirche der Freiheit, Impulspapier der EKD, Seite 14ff
3
Kirche der Freiheit, Impulspapier der EKD, Seite 77
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