Das Problem einer „arztethischen Normbildung“ und der Umbruch

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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
HEINRICH POMPEY
Das Problem einer „arztethischen Normbildung“
und der Umbruch der heutigen Medizin
Originalbeitrag erschienen in:
Arzt und Christ 14 (1968), S. [179] - 190
Heinrich Pornpey:
DAS PROBLEM EINER „ARZTETHISCHEN NORMBILDUNG"
UND DER UMBRUCH DER HEUTIGEN MEDIZIN
A
us der Schwierigkeit, die medizinischen wie die möglichen anthropologischen Sachverhalte und Konsequenzen des medizinisch-theologischen Grenzbereichs ganz zu
erfassen und zu verstehen, läßt sich ersehen, daß der Theologe nicht mehr in der Lage
sein kann, allein die arztethischen Fragen ganz konkret und sachgerecht zu beurteilen
und die Überlegungen und Planungen des kommenden medizinisch-technischen wie
medizinisch-biochemischen „Experiments Mensch" jeweils klar zu begrenzen oder theologisch-anthropologisch eindeutig zu finalisieren. Er wird jenen vollen Einblick in diesen hoch komplexen medizinisch-anthropologischen Sachbereich wahrscheinlich niemals
mehr ganz gewinnen, da die Sachverhalte selbst dem durchschnittlichen Arzt, als Nichthwissenschaftler, oft schon undurchschaubar und unerklärbar sind. Damit ist die
ierte „arztethische Normbildung" durch den Umbruch der Medizin an einem entscheidenden, kritischen Wendepunkt angelangt.
Die beiden theologischen Prämissen, die dem Theologen für ethisch-theologische
Aussagen über Medizin und Arzttum zur Verfügung stehen, sind: die Offenbarung und
die natürliche Erkenntnis vom Menschen 2 . Doch theologische Konklusionen aus diesen.
beiden Prämissen stoßen nun auf so erhebliche Schwierigkeiten, daß sie nur gemeinsam mit einem Fachmediziner geschlossen werden könnten. Aber auch der Gemeinschaftsarbeit dieser beiden Fachvertreter dürfte es kaum gelingen, einen arztethischen
Sachverhalt generell und absolut für immer gültig zu beurteilen. Es muß leider konstatiert werden, wie beide Prämissen, die volle Einschätzung der Offenbarung und die
ebenso totale natürliche Erkenntnis der physischen wie psychischen Seite des Menschen,
nur noch bedingt heranzuziehen sind, so daß zwangsläufig die bislang gewohnten,
vielfach sehr absoluten ethischen Aussagen immer mehr hinter relativeren zurücktreten.
werden, weil konsequenterweise der Gewißheitsgrad der Prämissen den Gewißheitsgrad der theologischen Folgerungen bestimmt. Sollte sich diese Erfahrung und Erkenntnis in Zukunft bestätigen, dann wird sich auch die offizielle kirchliche Lehrverkündigung weitaus zurückhaltender äußern, da ihr generalisierende, d. h. für immer gültige
und für jeden Einzelfall verbindliche theologische Konklusionen zur Einschätzung
arztethischer Sachverhalte aus so gearteten Prämissen nur schwerlich mehr möglich
werdens. In dieser Situation kann sich also die Theologie nur noch bemühen —
und damit kommt sie der Methodik der biblischen Ethik auch weitaus näher —, die
Determinanten eines allgemeinen, offenen Verhaltensmodells (positiv-konstruktiv,
nicht negativ-verbietend) zu beschreiben, was die traditionelle kasuistisch-ethische
Normierung des ärztlichen Tuns nicht versuchte. Aber auch kaum mehr als den Aufweis eines solchen Modells bzw. seiner Determinanten wird der Theologe anbieten
können, aufgrund dessen der medizinische Fachmann im je konkreten Fall sein ethisches Verhalten selbst einzuschätzen und auszurichten hat. Sicher ist diese Situation
für den Arzt nicht leicht, da ihm so fast die volle Verantwortung für die rechte ethische
Einschätzung seines Tuns überlassen bleibt.
Sandei rii, i2 2, i . ' CW ' V 3 rz :urg
180
Heinrich Pompey
Diese Krise der heutigen arztethischen Normbildung hat — entsprechend den beiden
genannten Prämissen — zwei deutlich erkennbare Gründe, deren einer aus der Medizin
und deren anderer sich aus der heutigen Theologie selbst ergeben: 1. Scheinen die Erkrankungen und damit die medizinisch-technischen wie medizinisch-chemischen Handhaben und Maßnahmen von zunehmender Komplexität zu sein, so daß der medizinische Bereich und damit das ärztliche Tun in seiner Einzelproblematik selbst oft von.
sachkundigen Fachleuten nicht mehr ganz erfaßt und damit auch nicht mehr voll ein.geschätzt werden kann (s. u. Abschn. 1). 2. Bringt die Theologie durch eine neuere Exegese und eine existentiellere anthropologische Ausrichtung eigene Schwierigkeiten mit
sich, die gegenüber der traditionellen kasuistisch-juristisch reglementierten Normethik
eine berechtigte Unsicherheit auslösten (s. u. Abschn. 2); obschon ihre bisherigen allgemeingültigen, offenen Aussagen, soweit die Prämissen in dieser Weise richtig eingeschätzt wurden, auch heute bedingt noch brauchbar sein können (s. u. Abschn. 2. 3).
1. Die hohe Komplexität der Heilkunst
ö
g Die rechte Einschätzung des medizinischen Bereichs ist durch vielschichtige, m
dimensionale Relationen eingeengt. Eine doppelte somatische Komplexität ist ge
einmal durch die Krankheit selbst mit ihrer detaillierten und oft unergründbaren
Kausalität und Symptomatik wie zum anderen durch die oft ebenso unkontrollierbaren Wirkungen der therapeutischen Maßnahmen. Sie wird erhöht durch die jeder
Krankheit und jeder Therapie vorgegebene und mitgegebene psychosomatische wie
psydm-soziale Eigenkomplexität. Graduell verstärkt werden die Komplexitäten dieser
drei Bereiche (Krankheit, Therapie, psycho-soziale Relevanz) durch die künftigen chirurgisch-technischen Handhaben wie die biochemischen Möglichkeiten der reparierenden
und manipulierenden Medizin, die weitaus stärker in den personalen Bereich des Menschen eindringen können als die bisher verfügbaren Praktiken. Wenn sich somit der Arzt
bereits — sei er medizinischer Experimentator oder Praktiker — in nie ganz durchschaubaren somatischen Verhaltensbereichen und in psychophysisch-psychosozialen
Wechsel- und Grenzzonen bewegt4 , wie schwer muß es dann erst dem Theologen fallen,
die für eine differenzierte arztethische Aussage notwendige richtige Einschätzung vorzunehmen, wenn ihm nicht genaue Sachinformation und Einsichten gegeben werden
können. Keinesfalls darf er aber die scheinbar abseits stehenden anthropologischen
(psychosozialen wie psychosomatischen) Aspekte mit der ihnen eigenen theologischen
Relevanz übergehens.
1. 1 Als erstes Beispiel dafür, wie schwierig etwa heute bereits die anthropolog
theologische und damit die medizinisch-ethische Einschätzung für Arzt und Theologen.
geworden ist, mögen die heutigen Herztransplantationen stehen. Es sei davon ausgegangen, daß sie, wie im Fall von Dr. Blaiberg, erfolgreich verlaufen. So stehen wir
mit diesen Möglichkeiten der chirurgisch-technischen Medizin, zu denen bald auch
Transplantationen größerer Körperregionen zählen werden, am Beginn einer komplexen psychosomatischen wie psycho-sozialen Umgestaltung des Menschen, die nicht
mehr mit einer vollpersonalen Restitution gleichgesetzt werden kann 6 und auch nicht
nur eine somatisch-medizinische Seite besitzt.
Durch die allgemein angenommene unwiederbringliche Trennung der depressorischen
Zu einer „arztethischen Normbildung"
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und pressorischen Zentren mit dem Herzen, die bei der Implantation von fremden
Herzen wahrscheinlich immer irreversibel bleibt, wird nicht nur eine somatische Funktion auf Dauer unterbunden, sondern ebenso ein psychisch bedeutsamer Vorgang teilweise beeinträchtigt. Das sogenannte Herzklopfen oder Erröten sind z. B. Reflexe, die
zum Teil auch diese Zentren auslösen, und die das zwischenmenschliche Verhalten
hemmend oder fördernd bestimmen können. Diese Reflexe vermindern sich in einem
solchen Fall nicht nur bei freudiger und angstbedingter Erregung, sondern ebenso beim
Einbruch und bei Mordversuchen und beeinträchtigen die Imputation. Unbestritten
findet sich ein solcher Mensch nicht mehr ganz so vor wie vor dem Eingriff 8 . Das Herz
scheint somit nicht allein eine auswechselbare Blutpumpstation zu sein, sondern ebenfalls ein interpersonales Organ, da es deutlich psycho-soziale Funktionen ausübt. Solche
Reaktionen, verbunden mit Implantationen weiterer Organe und Glieder, denen
vielleicht ebenfalls — nur heute noch nicht offensichtlich — eine mehr oder weniger
gewichtige interpersonale Funktion zukommt, könnten eine relevante, nicht mehr so
ohne weiteres zu übergehende Persönlichkeitsveränderung oder eine gewaltige Verhaltensumformung bedeuten, die durch die Summierung solcher Implantationen dann
e ethisch bedenkliche Wesensveränderung hervorrufen. Auch die 'metaphysische
lematik einer solchen Umgestaltung des Menschen sollte nicht unberücksichtigt
bleiben, so z. B. die Auswirkungen dieser veränderten personal-seelischen Struktur
des Menschen auf sein Mitmenschsein und auf sein Gottesverhältnis 9 . Wie schwerwiegend solche Eingriffe sind, die das von Gott bestimmte und so, wie vorgefunden,
geschaffene Wesen einer Person verändern, wird in der menschlichen Gesellschaft
seinen Niederschlag finden und seine Auswirkungen zeigen können, sobald die Zahl
solcher Menschen zunimmt. Aus all dem ergibt sich, daß Transplantationen und Implantationen nicht nur rein fachwissenschaftliche Überlegungen fordern, sondern ebenso personale (individual- wie sozialpsychologisch) und damit ethisch-metaphysische
Abwägung verlangen, woraus sich eine sehr bedachte Anwendung ergeben dürfte 9 .
1. 2 Gravierender und von weit größerem Ausmaß sind die Persönlichkeitsveränderungen auf biochemischer Basis, die ethisch wie anthropologisch noch relevanter sein
werden und als zweites Beispiel für die schwierige ethische Einschätzung des medizinisch-theologischen Grenzbereichs erwähnt seien. Die molekulargenetischen Steuerungen und Umformungen des Menschen sind wohl nicht mehr in eine allzu ferne Zukunft
gerückt, zumal am Ende des vergangenen Jahres der amerikanischen Molekularbiologie
die erste Teilsynthese einer lebenden Vire aus anorganischen Stoffen gelang". Diese
Kenntnisse können zwar Heilzwecken dienen, wie aber auch der erste Schritt zum
Manipulieren des Menschen nach einem selbst festgesetzten Menschenbild sein. Damit
,c die bisherige Grenze der überlieferten Heilpraxis zur manipulierenden Medizin
praktisch überschritten. Die so zu erwartende anthropologische, psychosomatische Komplexität der künftigen Medizin erfordert vom verantwortlichen Arzt ebenfalls mehr
als fachliches Können.
1. 3 Wir dürfen voraussichtlich annehmen, daß die heutige Medizin erst am Anfang
ihrer physikalisch-technischen und biochemischen Möglichkeiten steht, so daß manche
heute noch utopisch wie auch noch erschreckend anmutende Planung sicher realisiert
werden wird. Verfehlt wäre es bestimmt, sich grundsätzlich gegen diese unaufhörlich
voranschreitende Entwicklung zu stellen, denn was die ärztliche Kunst vermag, vermag
sie schließlich nur aufgrund der von der Natur und damit von Gott gegebenen Gesetz-
182
Heinrich Pompey
mäßigkeiten, die zu erkennen sicher nicht verboten, deren Einhaltung aber geboten zu
sein scheint. Es liegt also bei der Selbsteinschätzung einer so gewandelten Medizin wie
ihrem Arzttum, Sinnhaftigkeit und ethische Erlaubtheit ärztlichen Tuns unter diesen
Möglichkeiten ernsthaft und verantwortungsbewußt zu untersuch.en 12 . Doch die somatisch wie anthropologisch komplexen und mehrdimensionalen — heute noch kaum
durchschaubaren und abschätzbaren — Eingriffe, bei denen Ausmaß und Auswirkung
schon im Einzelfall und erst recht kaum generell (d. h. für alle möglichen Fälle einer
Kategorie) zu beurteilen sind, beeinträchtigen ein endgültiges und allgemeinverbindliches
Urteil des Ethikers und so nicht zuletzt auch ein daraus resultierendes verantwortliches
Verhalten des Arztes. Ferner ist es unbedingt erforderlich, die anthropologische Relevanz der zu erwartenden unpersonalen steuernden Medizin — wie ebenso ihre ethische
Vereinbarkeit — nicht allein von den genannten Einzelfällen (automatische Patientenüberwachungsanlagen, Herztransplantationen, artifizielle Gen- oder Chromosomenmutationen etc.) her einzuschätzen, sondern ebenso ist die Gesamtheit der in ihr offensichtlich zum Ausdruck kommenden unpersonalen Faktoren und damit schließlich die
inhumane Intentionalität einer solchen ärztlichen Kunst zu beachten. Da diese Medizin
in ihrer Gesamtheit dem vollpersonalen Menschen oft nicht mehr gerecht wird, ka
auch schon eine ihrer einzelnen Handhaben anthropologisch wie sittlich abzulehg.
sein. Unbestreitbar bedeutet also die so entscheidend veränderte medizinisch-anthropologische Sachlage, daß die erste Prämisse für arztethische Konklusionen oder Norm2. Die Wandlung der ethischen Aussageweise
Nicht minder erschwerend wirkt sich für den medizinisch-theologischen Dialog über
ein zeitgerechtes und adäquates Arztethos die parallel verlaufende, überaus starke
Konfrontation der Theologie mit der sich in allen Bereichen wandelnden Welt aus.
Das neue weltliche Weltverständnis und das ihm tatsächlich zugrunde liegende Anderssein der heutigen Welt hat darum auch für die anthropologischen und theologischen
Aussagen der kirchlichen Lehrverkündigung heute nicht mehr ganz eindeutige Ausgangsbaen geschaffen. Womit der Gewißheitsgrad unserer zweiten Prämisse, die aus
Offenbarung und ihrer Tradition genommen werden sollte, ebenfalls unsicher geworden ist. Unsere Überlegungen und Schlußfolgerungen müssen somit neben der schwierigen medizinisch-anthropologisch hoch komplexen Ausgangsbasis nun auch noch die
heute anders eingeschätzten Aussagen der Offenbarung und ihrer historisch relativ
gesehenen Tradition berücksichtigen. Eine kasuistische arztethische Normbildung, die
für jeden Einzelfall und für jede Zeit verbindlich sein möchte, dürfte deshalb auch aus
diesen Gründen dem heutigen Theologen kaum mehr möglich sein. Durch die unäg
weichliche Konfrontation der Theologie mit Weltwirklichkeit und Weltverständnis
zeichnet sich darum eine weit weniger absolute generalisierende Theologie ab, die notwendig eine Wandlung ihrer ethischen Aussageweise — also nicht so sehr der Aussageinhalte — zur Folge hat.
2. 1 Die neueren exegetischen Untersuchungen zur sittlichen Forderung des NT
konnten auch keine solche ethische Kasuistik aufzeigen, was sich uns heute sehr dienlich
erweist. Jesus entwickelte kein starres moral-kasuistisches System, wie Schn,ackenburg
hervorhebt. Er sprach in die konkrete Situation seine Botschaft 13 . Die aus dem Volk
gestellten ethischen Fragen dienten ihm stets zur Verkündigung seines gesamten Heils-
Zu einer „arztethischen Normbildung" 183
auftrages. So eingebettet, rief eine konkrete Antwort zur „augenblicklichen Entscheidung" auf und nicht erst zu einer später möglichen Anwendung. Jesus war „kein
Kasuist und kein Situationsethiker", sondern gab im Einzelfall immer ganzheitlich
fordernde, „grundsätzliche Richtlinien". So ist seine Sittenlehre „konkret und doch
normativ" 14 .
Vor allem seine kritische Haltung zur theologisch-jüdischen Tradition, der „Überlieferung der Alten", verdient gerade heute und speziell in unserem Zusammenhang
beachtet zu werden. Die Theologen seiner Zeit, zumindest die Schriftgelehrten, „sahen
den göttlichen Willen nicht nur im Sinaigesetz des AT verkörpert, sondern stellten
auch die ‚Überlieferung der Alten< als gleichberechtigt daneben und erklärten sie als
genauso verbindlich" 15 . Dies wurde von Jesus nicht akzeptiert, wie seine Stellungnahmen zur Sabbatfrage, zu den Reinheitsvorschriften usw. zeigen 16 . Mit dem Vorwurf: „Ihr laßt das Gebot Gottes außer acht und haltet euch an die Überlieferung der
Menschen" (Mk 7, 8) kennzeichnete er, nach Schnackenburg, die vorgefundene „Tradition als bloße Menschensatzung" 17 . Er entthront auch die „jüdische Ansicht, daß jedes
Gebot, ob groß oder klein, ob das Herz oder äußere Dinge betreffend, zum gleichen
orsam verpflichte" 18 . So legte Jesus „das Fundament einer neuen Sittlichkeit, ja
Sittlichkeit überhaupt aufs neue, indem er den sittlichen Wert einer Handlung
allein von der Herzensgesinnung abhängig macht" 19 . Ihm kam es „auf die wahre, religiös fundierte Sittlichkeit an, wie immer man sein Leben gestaltete" 20 , wodurch er
deutlich auch das durch seine Botschaft inspirierte Gewissen zur verantwortlichen
Richtschnur des Handelns erhob. Von ihm wurde jedenfalls für die seiner Zeit überlieferte ethische Tradition der Primat der Gesinnung, d. h. des Gewissens, vor einer
äußeren Legalität gewahrt. All dies bezeugt eine kritische Haltung, die auch uns heute
die Überprüfung z. B. der arztethischen Tradition erlauben und ermöglichen dürfte.
Exegetisch wurde erwiesen, daß der Urgemeinde nach dem Zeugnis der Schriften.
ebenfalls eine absolute „sittliche Normbildung" fremd war, ja selbst das alttestamentliche Bundesvolk hatte in der biblischen Zeit keine ethische Systematik angestrebt 21 .
Weitaus wichtiger waren für sie die konstituierenden theologischen Heilsgegebenheiten22 .
Das Fehlen einer absoluten „sittlichen Normbildung" und das Fehlen direkter moraltheologischer Systematiken hinderte die alttestamentliche wie neutestamentliche Gemeinde nicht, in einer konkreten Situation ethisch fordernd zu sprechen. Doch stets
bildete das verpflichtende Ethos mit der theologischen Heilsverkündigung eine gelebte
dynamische Einheit. Nach Schnackenburg läßt sich die „Einheit des Religiösen und
Sittlichen im ganzen NT nicht zerreißen" 23 . So ist „die urchristliche Ethik. .. nach
Inhalt und Motivation eschatologisch orientiert und an Jesu Wort, an die Forderungen
r Nachfolge und an sein Beispiel gebunden" 24 . Daraus wird die materiale Relevanz der Offenbarung und des Heilshandelns Gottes auch für das heutige Ethos
sichtbar, die aus „Inhalt und Motivation" der biblischen Offenbarung — wenn auch
schwer faßbar — abgelesen und abgeleitet werden kann.
Aus der Schrift lassen sich, wie J. Blank betont, „Grundhaltungen und Grundtendenzen des christlichen Ethos" aufzeigen, „die jedoch im ganzen so offen und flexibel sind, daß sie auf neue Herausforderungen eingehen können und neue Gestaltungen
wagen müssen25 . Wie schwierig entsprechende Explikationen aus den Schriften des NT
sowie ihre Konkretisierungen in den heute so komplexen Situationen sind, wird von
den Exegeten nicht übersehen", die die überwiegenden Einzelanweisungen, wie sie vor
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Heinrich Pompey
allem in der Briefliteratur angetroffen werden, selbst eine solche zeitverhaftete Durchführung der christlichen Grundhaltung sind. Aus diesen, wenn auch zeitbedingten Anwendungen ergibt sich, daß die neutestamentlich.e Ethik keine Gesinnungsethik ist,
die dem gelebten Ethos femsteht. So wollen nach Blank z. B. die „bildhaften Weisungen der Bergpredigt zweifellos die Tat, nicht etwa nur die Gesinnung; sie appellieren
an den menschlichen Willen, aber so, daß sie es dem Menschen selbst anheimstellen,
Weise und Ausmaß der Verwirklichung in eigene, gesetzlich nicht präformierbare
Regie zu übernehmen. Das Tun, das die Verwirklichung unternimmt, kann deshalb
nur eines aus Freiheit, aus Glauben, aus der Unruhe der Liebe und der eschatologischen
Hoffnung für das Heil einer heillosen Welt sein. Dann ist es freilich wohl nur im Vertrauen auf Christus, den gekreuzigten und auferstandenen, in der Anerkennung seiner
Reichsbotschaft, also nur ,ristologisch-soteriologisch`
und ,esc.hatologisch< vollziehch
bar" 2 7
Wenn auch eine juridisch-kasuistische Normierung der christlichen Ethik als unbiblisch abgewiesen wird, so wird von der Exegese aber nicht bezweifelt, daß es ein
verbindliches, wenn auch nicht gesetzliches Ethos geben muß. Somit fanden und finden
die sich stets wandelnden ethischen Problemkonstellationen ihre Fundierung, Ori
tierung, kritische Überprüfung und Legitimation ausschließlich im Heilsauftrag
Heilshandeln Gottes. Die alles umgreifende Heilsbotschaft, wie sie auch in den konkreten ethischen Aussagen der Schrift zum Tragen kommt, und die fundamentale
inhaltliche Bezogenheit der Ethik auf diese Botschaft schaffen die ethisch relevante
Verbindlichkeit. Dagegen scheint es zweifelhaft, ob auch die in der damaligen konkreten, einmaligen Situation entstandene Form und Aussageweise einer solchen Antwort heute noch verpflichtet und so übernommen werden kann, da sie in der uns
zugänglicklen Form von Menschen — den der damaligen Zeit und ihrem Denken verhafteten Evangelisten — zusammengestellt und formuliert wurde 28 .
Zur unumgänglichen Realisierung des Ethos schlägt Blank statt des Normbegriffs
die Bezeichnung „ethisches Modell" oder in Anlehnung an Paulus und die Kirchenväter den Begriff „Typos" vor. Eine so verstandene und gestaltete Ethik kann zugleich
konkret und abwandlungsfähig sein. Wegweisend ist dabei das neutestamentliche Ethos
„als ethisches Moder". Es bleibt Aufgabe des Theologen, im Dialog .mit den Menschen die je notwendige Interpretation und Applikation vorzunehmen. Eine Aufgabe,
der sich in unserem interfakultativen Bereich die sogenannte Pastoralmedizin bzw.
Pastoralanthropologie immer wieder neu zuwenden müßte.
2. 2 Wie von der Exegese die geschichtliche Relevanz der neutestamentlichen Aussagen und Formulierungen herausgestellt wurde, so wird auch von Dogmatikern und
Moraltheologen die geschichtliche Bedingtheit ihrer tradierten Aussagen nicht eig
bestritten". Womit unumgänglich, wenn auch ungewollt, eine große Unsicherheit in
Kauf genommen werden mußte.
Die bis in unsere Zeit überlieferte Moralkonzeption, die unter dem methodischen.
Einfluß der Scholastik und Kasuistik geprägt worden war, wird heute oft den menschlichen Situationen und notwendigen Verhaltensweisen nicht mehr ganz gerecht. Eine
Grundlage ihres Denkens bildete vielfach die Vorstellung von der absoluten und totalen Naturgesetzmäßigkeit allen Seins, in dem alles eindeutig und logisch-mathematisch
exakt nachprüfbar ablaufen würde. Die neueren Naturwissenschaften haben aber gezeigt, daß besonders in den Bereichen der Biologie, Physiologie, Biochemie, Atom.
Zu einer "arztethischen Normbildung"
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physik, Psychophysik, Soziologie usw. die gefundenen Gesetze niemals total für jeden
Fall und für immer zu gelten haben, sondern relativ und nur mit einer größeren Wahrscheinlichkeit zutreffen, und (wie z. B. im Falle der Lichtstrahlen) sogar mehrdeutig
sein können. Impliziert nun Theologie, besonders aber Moral- und Pastoraltheologie,
Anthropologie, so kann sie ihrerseits dem Menschen, der durch seine Körperlichkeit
viele dieser natürlichen Gesetzmäßigkeiten zur Lebensgrundlage hat, nicht gerecht
werden, solange sie glaubt, eine den Lebensgesetzen fremde, d. h. absolute und total
immer geltende Verhaltensnorm erstellen zu können 31 . Eine solche Absicht läßt sich
eigentlich auch in der überlieferten, verbindlichen kirchlichen Lehrverkündigung, wenn
man von wenigen Ausnahmen und von den Kodifizierungen des Kirchenrechts absieht,
nicht grundsätzlich nachweisen. Die totale Normierung wurde höchstens als Idealzustand von einigen Kanonisten und Kasuistikern erstrebt, aber zumeist nur, um den
Menschen in der konkreten Situation eine leichtere Entscheidung zu ermöglichen. Doch
wegen der biologischen Grundlage werden darum heute alle ethischen Normen — man
erkennt hier die Unz-w- eckmäßigkeit des Begriffs — nur unter dieser Rücksicht erstellt
und auch gelebt werden können 32 .
Zudem gründet unsere Ethik, vornehmlich ihre absolute Sicherheit, zu einem Teil
der hypothetischen Voraussetzung, daß einmal geoffenbarte moraltheologische
Grundlegungen durch die Geschichte hindurch unter Leitung der Kirche sich fortentwickeln, entfalten und sich dabei immer mehr verdeutlichen. Diese Annahme einer
stets positiv fortschreitenden Moral, nicht zuletzt als moraltheologische Tradition verstanden, der es darüber hinaus noch eingegeben ist, auch die je neu auf sie zukommenden ethischen Probleme aus sich heraus gültig explizieren zu können, muß nicht notwendig stimmen. Warum sollten sich nicht auch bei ihr, wie in der Gesamtentwicklung
und Geschichte des neuen Gottesvolks der Kirche — in der die ethische Entwicklung
unablöslich eingebettet ist — Rückschläge, Rückschritte und ganze Rückentwicklungen,
wie Fehleinschätzungen und Fehlansätze einstellen und auch wesentlich zum Tragen
kommen, die vielleicht für die je geschichtliche Zeit richtig gewesen sein mögen? Warum sollte nicht auch sie noch nie dagewesene Wege neu schaffen und einschlagen müssen.,
selbst auf die Gefahr eines zeitweiligen Irrwegs hin? Die in dieser Geschichtsrelativität und der zuvor angedeuteten Sachrelativität gründende und daraus notwendig folgende Erneuerung der Moral, zumindest ihrer Aussageformen, bringt ein weiteres, sehr
erschwerendes Moment für den medizinisch-theologischen Dialog über arztethisches
Verhalten in unserer Zeit mit sich.
Wohl nicht zuletzt analysierte Böckle angesichts dieser vorgefundenen Situation und.
dieser Sachverhalte drei charakteristische Faktoren, die der Theologe bei seinem paston, ethischen Auftrag beachten muß und die sich auch in den Reflexionen zum heutigen Selbstverständnis des medizinisch-theologischen Grenzbereichs deutlich konstatieren
lassen 33 : 1. die „Entsakralisierung der Natur", 2. das „Bewußtwerden der Geschichtlichkeit des Menschen und der Welt" wie 3. „die Erkenntnis der kulturgeschichtlichen
Variabilität der gesellschaftlichen Verhaltensnormen 34 ". Diese Situationsanalyse führt
Bödele konsequenterweise zu einer relativeren und situationsgerechteren theologischen
Aussageweise der Moral (d. h. nicht zu einer unverbindlich relativistischen Moral oder
Situationsethik) und einer daraus resultierenden Seelsorge.
Aber auch andere Moraltheologen, so z. B. Klomps, stellen deutlich heraus, wie die
"Einsicht in die historisch bedingte Relativität" und auch, so könnte man hinzufügen,
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in die sachbedingte Relativität vor einer falschen Aufstellung von Thesen und „vor
deren ungerechtfertigter Verabsolutierung" bewahrt 35 . „Eine Moraltheologie, welche
die durch die geschichtlich-kritische Selbstprüfung" und für unseren medizinisch-biologischen Bereich auch durch eine medizinisch sachbedingte kritische Selbstprüfung
„bewirkte Unruhe auf sich zu nehmen verschmähte, würde den Menschen, dem sie
gilt, nicht mehr erreichen" 36 . So werden Wandelbarkeit, Vorläufigkeit und Entprivatisierung der Moral als Folge dieser Einschätzung von Böciele und anderen nicht nur
deutlich zugestanden, sondern ihre Beachtung für den Bereich der fundamentalen Ethik
ausdrücklich als konstituierende Elemente gefordert 37 .
2. 3 Keineswegs soll mit all diesen Überlegungen und Darlegungen gesagt sein, daß
die überlieferte christliche Arztethik grundsätzlich keinerlei Hilfen mehr bieten kann.
Auch heute können noch manche ihrer Aussagen bei konkreten Entscheidungen einen
guten Dienst leisten. Doch muß man beachten, daß sie niemals absolut zu setzen sind.,
d. h., daß ihnen nur eine typische Bedeutung zukommt. Ohne näher auf sie einzugehen, seien als Beispiel einige durchaus noch praktikable, kurze, prägnante Aussagen
genannt: Differenzierende Kriterien waren z. B. das Prinzip des kleineren übels, das
Prinzip des mehrwertigen Effekts oder der Mehrzweckhandlung, die Unterscheidu
zwischen direkt Töten und indirekt Sterbenlassen sowie die Trennung zwischen "m
ordinaria et extraordinaria". Sodann finden sich Leitsätze, die bereits die Absolutheit
der Kasuistik eingrenzten, wie die Einschränkung „pro singulis sed non pro omnibus
casibus", ferner „abusus non tollit usum" oder „in dubio lex non obligat", die Frage
nach Probabilität oder Tutiorität sowie die Unterscheidung zwischen der sogenannten
objektiven Ordnung und dem Primat der subjektiven Gewissensentscheidung (regula
proxima moralitatis). Als positive Richtungsnormen kennen wir für den ärztlichen
Bereich z. B. die Forderung „lege artis" zu handeln wie „omnino non nocere" und.
viele andere. Es bleibt jedoch zu beachten, daß eine arztethische Entscheidung aufgrund eines dieser Prinzipien stets variabel ist. Bei einer 'momentanen Einzelentscheidung können diese allgemeinen Leitsätze aber eine gute, praktikable Hilfe darstellen.
Sie treffen dabei so lange zu, wie der Arzt sie nicht absolut setzt und ihr übergeordnetes
ethisches Verhaltensmodell beachtet 38 .
3. Die voraufgegangenen Untersuchungen und Überlegungen wollten zeigen, wie
die Voraussetzungen für generell verbindliche Schlußfolgerungen bzw. moraltheologische Konklusionen im medizinisch-theologischen Grenzbereich und damit für eine
"arztethische Normbildung" heute sehr unsicher geworden sind, da ein totaler Gewißheitsgrad der notwendigen medizinischen wie theologischen Prämissen nicht mehr
erreichbar ist. So werden alle am ordentlichen wie auch am außerordentlichen Lehramt
beteiligten Theologen nicht mehr umhin können, demütig die Unvollkommenheit
Bemühens — zumindest im medizinisch-theologischen Grenzbereich — zu konstatieren.
Ihre Glaubwürdigkeit wird sich nur erhöhen, wenn sie sich bei der Beantwortung de/anthropologisch so relevanten und dazu noch medizinisch wie theologisch hoch komplexen Fragen immer wieder um eine sachgerechte und eine stets kritisch unvoreingenommene Einschätzung bemühen. Die mehrdimensionalen medizinisch-anthropologischen Sachverhalte wie die heutige Selbsteinschätzung der Theologie legen also
deutlich eine Abkehr von der bisherigen, oft kasuistischen arztethischen Normbildung
nahe und zwingen dazu, dem Arzt, der um eine rechte, verantwortungsbewußte
ethische Entscheidung bemüht ist, eine andere Hilfe anzubieten.
Zu einer „arztethischen Normbildung" 187
Die nun notwendige neue ethische Aussageweise muß den ethischen Anspruch der
Heilsbotschaft so darstellen, daß das ethische Verhalten erkannt und nach ihr ausgerichtet werden kann. Eine sicher nicht leichte Bedingung angesichts der dargestellten
Problematik. Dieser Wandel der Aussageweise bedeutet nicht unbedingt, daß sich auch
immer die vorgefundenen Aussageinhalte geändert haben. Ein Wandel trifft nur so weit
zu, wie der Inhalt durch eben die stets historisch und sachlich relevante Aussageweise
geprägt wurde. Sie sind weiterhin als verbindlich erkennbar, soweit sie heute noch als
modelltypisch angesehen werden können. Ohne also die tradierte christliche Arztethik
ganz zu verwerfen, wird es heute darüber hinaus eine weitere Aufgabe der Theologie
im Dienst an einer Medizin im Umbruch sein, nach neuen theologischen wie pastoralen
Wegen zu suchen, so z. B. die theologisch-anthropologischen Grundlagen modelltypischer allgemeiner Prinzipien aufzuzeigen" und in der Seelsorge neben der direkten
Begegnung des Arztes mit der Schrift auch mit Hilfe solcher aus der Offenbarung und
der menschlichen Natur abgeleiteten Prinzipien das ethische Gewissen und Empfinden
der Wissenschaftler wie der Praktiker zu formen, damit sie ihr Tun in der konkreten
Situation danach ausrichten und anhand dieser Prinzipien selbst überprüfen können 4 °.
D Theologe muß also trotz der vorgefundenen medizinisch wie theologisch ungünsti, Ausgangssituation versuchen, dem Mediziner, der sich um ein fachgerechtes und
arztethisches Verhalten bemüht, eine theologisch-anthropologische Einschätzung seiner
Problematik und ergänzend dazu eine theologisch-anthropologische Zielsetzung der
Heilkunst aufzuzeigen. Die praktische Hilfe des Theologen und Seelsorgers, die sie
dem christlich gesonnenen Arzt leisten möchten, darf somit nicht bei der kritischen
Konstatierung des arztethischen Bereichs stehenbleiben. Der Seelsorge kommt es darum
zu, die deutlich gewordenen Ansätze einer möglichen methodisch-formal veränderten,
wenn auch nicht material neuen Arztethik im Gespräch mit dem Arzt in Zukunft immer wieder neu zu erarbeiten 41 .
Die Verpflichtung zur christlichen Lebensgestaltung, die unbestreitbar auch den.
beruflich-ärztlichen Bereich impliziert, wird angestrebt und dabei gnadenhaft im ärztlichen Alltag wirksam, wenn es dem christlichen Arzt gelingt, aus dem für ihn allein.
modelltypischen Geist der Schrift wie aus dem Geist und der Seinsweise der Sakramente sein ganzes Leben durch ein Leben mit der Schrift und den existentiell vollzogenen Sakramenten zu gestalten, wozu der gemeinsame spirituelle wie arztethisch
ausgerichtete Dialog zwischen Arzt und Theologen einen notwendigen Hilfsdienst
leisten könnte. In dieser Begegnung mit Christus liegt heute jede arztethische Gewissensbildung begründet, und nur in dieser existentiellen Teilhabe an Christus wird auch
das christlich inspirierte Arztethos tatsächlich vollzogen werden. Die gesamte Lebensltung und Lebensbewältigung eines christlich orientierten Arztes ist somit gebunden und stets ausgerichtet an „Jesu Wort, an die Forderungen seiner Nachfolge und an
sein Beispiel"42 , die modelltypisch sind für sein ganzes Tun. Die Vorstellung des
„ ‚Christus medicus` im frühen Christentum und in der älteren Heilkunst", wie sie von.
Schipperges untersucht wurde, war bereits ein solcher Ansatz, mit dessen Hilfe Christus auch als Typos für die christliche Lebensgestaltung des Arztes und damit letztlich
auch der Arztethik und einer ärztlichen Spiritualität angesehen werden konnte 43 .
Christliche Existenz und säkulare Berufung müssen also unumgänglich in der faktischen Einheit des personalen Lebensbereichs nicht nur durchgestanden, sondern auch.
konstruktiv gestaltet werden. Dabei wird sich das „an der Offenbarung und der Ver-
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kündigung Jesu orientierte Gewissen" stets neu bemühen müssen, „sich seinem Geiste
anzugleichen" 44 . Ein solches Gewissen handelt nach Klomps „frei, schöpferisch und
stark, denn es handelt nicht nach einem ihm auferlegten Gesetz, in Christus und im
Heiligen Geist handelt es aus sich selbst, und der Geist dieses Tuns berührt nicht nur
die Handlung als solche, sondern den Grund der Person bis in ihre Tiefe, aus der die
sittliche Tat erwächst"44 . Wohl nur in diesem Sinn kann es gelingen, in der je neuen
Situation sich neu und richtig zu entscheiden.
Anmerkungen
1. Die nachfolgenden Ausführungen sind dem größeren Vortrag „Neue Ansätze der Theologie für den Dienst an einer Medizin im Umbruch" entnommen, der als Beitrag zur XX. Deutschen :Arztetagung für medizinisch-theologische Gemeinschaftsarbeit (vom 4. bis 8. Juni 1968)
in Nyborg (Dänemark) gehalten wurde und demnächst etwas erweitert in Buchform ersche
wird.
2. Wobei in unserem Fall die natürliche Erkenntnis vom Menschen neben den anthropologischen Aussagen der Philosophie und der Psychologie vornehmlich auch den pathologischen wie
den therapeutischen Bereich und seine Manipulierba.rkeit umfaßt.
3. Weil der Inhalt solcher Konklusionen nicht formell geoffenbart ist, konnten entsprechende
kirchliche Aussagen, bei denen nur eine Prämisse der Offenbarung und die andere der natürlichen Erkenntnis entstammten — wie es im medizinisch-theologischen Grenzbereich zumeist
der Fall ist —, auch früher schon nie als formelle Dogmen, sondern nur als katholische Wahrheiten angesehen werden. Ihre Leugnung war dann niemals Häresie, sondern nur ein „error
in fide"; vgl. A. Kolping, Einführung in die katholische Theologie. Münster 1960, 102-103.
4. Diese Komplexität besteht ebenso bei der Einschätzung auch nicht krankhaft-defekter
biologisch-medizinischer Sachlagen, wie z. B. bei einer gesamtanthropologischen Beurteilung der
Weckung neuen Lebens.
5. Schließlich setzt ethisches Urteil und daraus resultierendes Verhalten die Einschätzung der
natürlichen Ausgangsbasis voraus, analog dem theologischen Axiom „Gratia supponit naturam".
6. Über die von Papst Pius XII. geforderte vollpersonale Restitution, insbesondere der
„menschenwürdigen Rehabilitation", als Grenze für die Erlaubtheit medizinischer Eingriffe
vgl. H. Fleckenstein, Alte und neue Aufgaben des Arztes in der modernen Gesellschaft. In:
Moral zwischen Anspruch und Verantwortung. Festschrift für W. Schöllgen (Hg. F. Bödde und
F. Groner), Düsseldorf 1964, 175-190. 178).
7. Die ethische Problematik, die durch eine eventuelle Lebendübertragung des Herzens und
damit nach dem Tod des Spenders aufgeworfen ist, soll nicht berücksichtigt werden.
8. Sicher werden diese Menschen auch nicht gleich rauben und morden, entscheidend blei en
für ihr künftiges Tun die bisherigen ethischen Vorstellungen und das Gewissen. Es wäre jetint
denkbar, daß in diesem Bereich labile Menschen z. T. einer für den zwischenmenschlichen
reich notwendigen somatischen Hemmvorrichtung beraubt werden.
9. Vielleicht ergibt sich darüber hinaus aus der traditionellen Seelevorstellung: anima est
forma corporis, bei der sich die Seele auch als Formprinzip der Körperteile erweist, theoretisch
die Problematik einer partiellen „Seelentransplantation", wenn man bedenkt, daß jede Zelle
jeweils das ganze genetische Programm eines Menschen und damit das Formprinzip des Individuums enthalten soll, wenngleich es von ihr auch nicht material ausgestaltet ist. Selbst wenn
Seele nicht in der traditionellen Weise als Form-Prinzip, sondern mehr als personales Prinzip
verstanden wird, wie es Exegese und die heutigen naturwissenschaftlichen und existenzphilosophischen Überlegungen nahelegen, ist diese mögliche Problematik noch nicht ganz ausgeschlossen.
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Zu einer „arztethischen Normbildung" 189
10. Die ethische Relativität aufgrund ähnlicher, wenn auch weit sorgfältigerer Überlegungen
wird so weit gehen können, daß im Einzelfall Herztransplantationen durchaus erlaubt erscheinen. Dies braucht jedoch nicht unbedingt aber auch eine generelle Erlaubtheit von Herztransplantationen implizieren. Doch zuvor müßten die vorgetragenen, nur schwer präzisierbaren Bedenken biologisch-medizinisch wie anthropologisch-psychologisch weiter beobachtet
und untersucht werden, bevor eine medizinisch wie ethisch sachgerechte Beurteilung gelingen
kann.
11. Vgl. Pressenotizen vom 16. Dezember 1967 wie Podiumdiskussion „Herstellung eines
Viruskerns?" im Bayerischen Rundfunk, II. Programm, 21. März 1968 um 22.05 Uhr.
12. Doch in diesen Möglichkeiten der kommenden Medizin, die bereits formaliter die überlieferte Vorstellung von der Medizin des Heilens übersteigt, liegt eine entscheidende Veränderung des Selbstverständnisses der Medizin, das seinerseits bedeutsam auf die ethische Einschätzung rückwirken kann. Nicht mehr allein die Restitution, sondern ebenso die Konstruktion des Menschen werden in Zukunft das neuzeitliche Arztethos von einer gewandelten Grundlage ausgehen lassen und werden ungezählte neue, verkomplizierte Probleme schaffen.
13. Rudolf Schnadeenburg, Die sittliche Botschaft des Neuen Testaments. München 1962' V.
14. Ebd. V. 15. Ebd. 40. 16. Vgl. ebd. 40 ff.
17. Ebd. 42. 18. Ebd. 43. 19. Ebd. 43.
20. Ebd. 43.
21. Jedoch Jesus mußte, wie angedeutet, zu seiner Zeit gegen einen starren, religiös toten
llegalismus in Israel ankämpfen, daraus wird sichtbar, wie wenig er solche moraltheochen Kodifizierungen wünschte.
22. Vgl. M. Noth, Die Gesetze im Pentateuch, ihre Voraussetzungen und ihr Sinn. In: Gesammelte Studien zum Alten Testament. Theol. Bücherei 6 (München 1857) 9-141.
23. R. Schnackenburg, a. a. 0. V.
24. E. Schnackenburg, Die Kirche im Neuen Testament. Freiburg 1963 2 121.
25. Vgl. J. Blank, Zum Problem „Ethischer Normen" im Neuen Testament. In: Concilium
III (1967) 356-362. 358.
26. Vgl. J. Blank, a. a. 0., R. Schnackenburg, a. a. 0.
27. Vgl. J. Blank, a. a. 0., 361.
28. Nur der Geist, d. h. der Inhalt an sich, einer ethischen Entscheidung dürfte göttlichen
Ursprungs sein, die Form und der durch die jeweilige Sachbezogenheit bedingte Inhalt sind
von Menschenhand. Diese menschliche Urheberschaft gilt sicher auch für die uns heute allein
noch möglichen Explikationen der Offenbarung und für die tradierten Bemühungen solcher
Explikationen. Warum sollte nicht auch die biblisch-kritische Methode, wie sie bei der Exegese der Offenbarung verwendet wird, ebenso bei der Auslegung der Tradition notwendig
sein?
29. A. a. 0., 361 f.
30. Besonders deutlich kommt diese Tendenz in den Aufsätzen der beiden moraltheologischen
Hefte der Zeitschrift Conciliurn 1 (1965) 5, III (1967) 5, zum Ausdruck.
31. Schließlich ist die Relativität dieser Gesetzmäßigkeiten und die der Wahrscheinlichkeit
unterworfene Wirklichkeit ebenfalls von Gott gewollt. Diese Unvollkommenheit des Lebens
gleicht die Natur mit einer gewaltigen Überproduktion und einem Überangebot aus, die einen
uf nach einer mehr oder weniger vollkommenen Gesetzmäßigkeit ermöglichen.
. Für den personalen Gewissensbereich wurde dem von der überlieferten Moraltheologie
unbewußt bereits Rechnung getragen, indem sie zwischen objektiver und subjektiver Schuld
unterschied. Damit trennte man zwischen objektiver Ordnung und subjektiver Erfüllung. Die
Absolutheit der objektiven Ordnung wurde durch die Ausnahmestellung des subjektiven Einzelfalls bereits damals eingeengt. Wenn auch die klare Erkenntnis einer wichtigen Sache gegeben war, wurde darüber hinaus zugestanden, daß auch die Freiheit der Entscheidung oft
durch vielfältige Sachverhalte, Situationen und menschliche Konstitutionen stark begrenzt sein
konnte, so daß die Erfüllung der sogenannten objektiven Ordnung entfiel und manchmal sogar
nicht vertretbar erschien. Die Entscheidung blieb also letztlich dem Gewissen des einzelnen.
überlassen. So hat auch die überlieferte christliche Ethik keine immer total und absolut verpflichtende Gesetzlichkeit proklamiert.
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Heinrich Pompey
33. Vgl. z. B. H. Pompey, Die Bedeutung der Medizin für die kirchliche Seelsorge im Selbstverständnis der sogenannten Pastoralmedizin. Freiburg 1968, 1-12 und 291-315; ders., Aporie und Selbstverständnis der sogenannten Pastoralmedizin im Laufe ihrer Geschichte. In:
Hurnanitas christiana (Hg. Prälat J. W. Becker) Nr. 21 (Neuß 1968), 3-11.
34. F. Böckle, Vordringliche moraltheologische Themen in der heutigen Predigt. In: Concilium IV (1968) 182-189. 182 f.
35. H. Klornps, Tradition und Fortschritt in der Moraltheologie. Köln 1963, 25.
36. Ebd. 25.
37. F. Böckle, a. a. 0., 184-188.
38. Seine anthropologisch-theologischen Grenzen und Grundlagen lassen sich aus der Untersuchung: H. Pornpey, Grenzen und Ziele der geplanten Manipulation des Menschen nach
Aspekten einer theologischen Anthropologie. In: Humanitas christiana (1-Ig. Prälat J. W.
Becker) Nr. 21 (Neuß 1968), 11-35, ablesen.
39. Sh. Anm. 38.
40. Es erweist sich methodisch wohl als zweckmäßig, bei arztethischen Überlegungen mehr
theologisch, idiographisch als nomothetisch vorzugehen.
41. Die nicht seltene Problematik zwischen christlichem Ethos und ärztlicher Berufsausübung
macht immer wieder deutlich, wie sehr christliche Berufung und weltlicher Beruf eines christlichen Arztes (es müßte korrekter heißen, eines Arztes, der auch Christ ist) zu einer existen.tiellen Einheit verbunden sind, so daß sein Arztsein und Christsein praktisch nicht trennbar
sind.
log i42. R. Schnackenburg, Die Kirche im NT, a. a. 0., 121.
43. Vgl. 1-1. Schipperges, Zur Tradition des „Christus medicus" im frühen Christentum und
in der älteren Heilkunde. In: Arzt und Christ (1965), 12-19.
44. H. Klornps, a. a. 0., 33.
Darin liegt die Größe Ihrer Aufgabe, geehrte Herren: wahre Mitarbeiter Gottes zu
sein bei der Verteidigung und Entfaltung seiner Schöpfung. In diesem Sinne sagt die
Heilige Schrift vom Arzt: „Gott hat ihn geschaffen" (Ekkl. 38, 1). Er hat ihn geschaffen als Werkzeug seiner Barmherzigkeit, um die Leiden seiner Brüder zu lindern, als
Ratgeber und Führer, um sie Vernunft zu lehren, als Verwalter seines Wissens um den
Menschen und seiner hilfreichen Güte. Der Arzt ist eine Wohltat Gottes; darum hat er
Anspruch nicht nur auf Ehre und Achtung bei den Menschen, sondern auch auf ihre
Dankbarkeit und ihr Vertrauen.
Pius XII., 1952
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