Sonntag, 17. September 2006 Pfr. Michael Wanner Thema: „Priorität Nr. 1 - Gebet!“ 1. Tim. 2, 1-7 31/06 Liebe Gemeinde, liebe Freunde! Die richtigen Prioritäten zu setzen, ist Ausdruck von persönlicher Reife und Lebenserfahrung. Ich habe noch unsere vierjährige Tochter vor Augen, als es vor dem Urlaub ans Kofferpacken ging. Sie nahm sich auch einen Koffer her und packte einfach alles ein, was ihr im Kinderzimmer vor den Füßen lag und in die Hände kam. Sie konnte sich noch nicht vorstellen, was im Urlaub tatsächlich wichtig sein würde und was nicht. Wir schmunzeln über Kinder, die noch keine Prioritäten kennen oder für die völlig Unwichtiges wichtig erscheint. Doch aus Gottes Sicht verhalten wir uns oft ähnlich wie kleine Kinder. Anstatt nach Gottes Prioritäten für unser Leben zu fragen, schaffen wir drauf los und tun, was uns gerade in den Kopf kommt oder was gerade an uns herangetragen wird. Wir verhalten uns wie ein Boot ohne Anker. Wir werden von jedem Wellenschlag in eine andere Richtung geworfen. Der Apostel Paulus bietet uns einen Ankerplatz an. Er schärft uns den Blick für das, was wirklich wichtig ist. Er macht deutlich: Von Gott her gesehen gilt: Priorität Nr. 1 ist das Gebet. Er schreibt seinem Freund Timotheus: „So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen.“ Paulus ermutigt: Betet! Vor allem Gebet! Viermal ertönt sein Ruf: Betet! Wie im Stadion feuert er die Spieler auf dem Spielfeld ihres Alltags an: „Betet, betet, betet, betet!“ Aber er sitzt nicht nur auf den Rängen und feuert an. Er selbst ist im Beten ein großes Vorbild. Ganz erstaunlich, wie regelmäßig und intensiv Paulus für die Menschen betet, die er kennt und für die er sich verantwortlich weiß. Das Gebet soll „vor allen Dingen“ eine Rolle spielen. Es soll am Anfang eines Tages stehen und zu Beginn einer Tätigkeit praktiziert werden. Michael Hahn, der Gründer der Hahnschen Gemeinschaft, gebrauchte den Vergleich vom Mähen eines Bauers. Er sagte: „Es ist beim Gebet wie beim Wetzen der Sense. Es ist doch ein großer Unterschied, ob ich die Sense vor dem Mähen oder danach wetze.“ Es geht nicht um das „Jetzt wollen wir kurz noch beten“ am Ende einer langen Sitzung oder am Ende eines ausführlichen Treffens. Vielmehr soll das Gebet Ausdruck unseres Lebens sein und deshalb in allen denkbaren Lebenssituationen praktiziert werden. Mose, der politische und religiöse Führer des Volkes Israel war völlig überlastet und überfordert mit seiner Aufgabe. Da bot sich sein Schwiegervater Jitro als Berater an. Er zeigte ihm, wie er besser delegieren und die Leitungsstrukturen im Volk verbessern könnte. Jitro wollte dadurch erreichen, dass Mose wieder Zeit findet für das Wichtigste und riet ihm: „Vertritt du das Volk vor Gott und bringe ihre Anliegen vor Gott und tu ihnen die Satzungen und Weisungen kund, dass du sie lehrst den Weg, auf dem sie wandeln, und die Werke, die sie tun sollen“ (2. Mo. 18,19f). Ganz ähnlich verhielten sich die Leiter der Urgemeinde in Jerusalem. Sie setzten für die vielen organisatorischen Aufgaben, die sich in der großen Gemeinde ergaben, weitere Mitarbeiter ein mit der Begründung: „Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben“ (Apg. 6,4). Paulus betont: Von Gott her gesehen, ist das Gebet die wichtigste Aufgabe des Menschen. „Priorität Nr. 1: Gebet!“ Und dann entfaltet er verschiedene Gebetsarten, gibt uns eine Gebetsliste und nennt uns bestimmte Gebetsanliegen. <b>Gebetsarten</b> Zunächst beschreibt Paulus verschiedene Gebetsarten, die sich anbieten: „So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung.“ Eine Gebetsart ist die <b>Bitte</b>. Bitten heißt: Ich habe Termine mit Gott. Ich reserviere mir feste Gebetszeiten. Mit meinen Bitten kann ich zu Gott kommen. Ich kann mein Herz vor ihm ausschütten und ihm alles sagen, was mich bewegt. Vor wichtigen Gesprächen und Entscheidungen werde ich ihn um Weisheit bitten. Ich darf ihm auch alle meine Wünsche vortragen. Es gibt kein Anliegen, das zu groß oder zu klein wäre, so dass er dafür nicht ein offenes Ohr hätte. Neben den festen Terminen mit Gott gibt es auch die <b>ständige Unterhaltung mit Gott</b>. Paulus nennt diese Unterhaltung nur Gebet, denn hier geht es um die Gebetsart, die die Intention des Betens im Kern beschreibt. Luther sagt: „Das Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott.“ Ich kann den ganzen Tag über ohne Unterbrechung mit Gott verbunden sein und alles mit ihm besprechen. Ich führe in diesem Fall keine Selbstgespräche, sondern rede mit Gott, so wie ich mich mit einem guten Freund unterhalte. Ich mache dabei die Erfahrung, dass er meine Gedanken lenkt und mir seine Antworten und seine Unterstützung zukommen lässt. Die dritte Gebetsart ist die <b>Fürbitte</b>. Die Fürbitte ist eine Eingabe an Gott. Der Begriff, der hier verwendet wird, bedeutet soviel wie „Petition“. Jeder Bürger kann ja z.B. beim Deutschen Bundestag eine schriftliche Petition einreichen, die verbunden ist mit einer ganz bestimmten Bitte oder Beschwerde. Ebenso kann ich bei Gott an allerhöchster Stelle eine Petition einreichen. Ich kann für andere Menschen beten, die vielleicht selbst gar nicht beten können oder gar nicht beten wollen. Gott wird diese Fürbitte dann so behandeln, wie wenn der für den ich bete, selbst gebetet hätte. Die vierte Gebetsart, die Paulus nennt, ist der <b>Dank</b>. Dank ist die Rückmeldung für das, was Gott getan hat. Es gibt so viel, wofür wir danken können. Wenn ich anfange, zu danken, verändert sich mein Denken. Ich werde dankbar. Ich entdecke immer mehr, dass alles Gute im Leben Geschenk ist. Ein Geschenk aus der Hand Gottes. <b>Gebetsliste</b> Nun zeigt uns Paulus seine Gebetsliste. Er macht deutlich, für wenn wir beten können: „So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit.“ Christen sind nicht zuerst aufgerufen zu einer politischen Umgestaltung der Welt, sondern zum Gebet. Aber das Gebet hat den Effekt, dass ich innerlich stark beteiligt bin am Geschick derer, für die ich bete. Daher schließt das Gebet die gesellschaftliche und politische Mitwirkung nicht aus, sondern ein. Es motiviert zum gezielten Handeln. Neuerdings erwacht eine Spiritualität, die sich nur auf das eigene Wohlbefinden konzentriert, die Verantwortung für die Welt ausblendet und den Glauben privatisiert. Das Gebet im Sinne der Bibel verhindert diese Art von Spiritualität genauso wie das andere Extrem einer reinen Politisierung des Evangeliums. Auf der Gebetsliste von Paulus steht zunächst einmal die Überschrift: „Alle Menschen“. Gott hat ja alle Menschen geschaffen. Er selbst sagt: „Siehe, alle Menschen gehören mir; die Väter gehören mir so gut wie die Söhne (und natürliche auch die Mütter und Töchter)“ (Hes. 18,4). Daher umspannt das Gebet die ganze Welt. Es gibt keinen Menschen, den Gott nicht im Blick hätte und für den ich nicht beten könnte. Unter dieser Überschrift „alle Menschen“ können Sie auf Ihrer persönlichen Gebetsliste Namen eintragen. Die Namen von Menschen aus der Gemeinde, aus unserem Ort und Land, aber auch Namen von anderen Menschen oder Menschengruppen irgendwo auf der Welt. Sie können hier sogar die Namen ihrer Gegner und Feinde eintragen. Als nächstes sehen wir auf der Gebetsliste von Paulus die Abschnitte: „Könige und Obrigkeit“. Damit werden alle Regierenden und alle Verantwortungsträger in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft angesprochen. Gott ist es, der alle Regierenden und Versantwortungsträger einsetzt und absetzt. Daniel sagt von Gott: „Er ändert Zeit und Stunde; er setzt Könige ab und setzt Könige ein; er gibt den Weisen ihre Weisheit und den Verständigen ihren Verstand“ (Dan 2,21). Daher ist das Gebet ein direkter Eingriff in das politische Geschehen. Friedrich Christoph Oetinger, nicht verwandt mit unserem Ministerpräsidenten hat gesagt: „Die Fürbitte der Kinder Gottes ist ihre Teilhabe am Weltregiment Gottes.“ Erinnern wir uns doch daran, was 1989 geschah. Damals wurde durch die Gebete von tausenden von Christen in den überfüllten Kirchen der ehemaligen DDR durch Gott, den König der Welt, die ostdeutsche Regierung abgesetzt und die Mauer abgerissen, die unser Land teilte. Unter dieser Überschrift „Könige und Obrigkeit“ können Sie auf Ihrer persönlichen Gebetsliste wieder selbst Namen eintragen. Die Namen von den Politikern unserer Stadt und unseres Landes, die Namen von Bürgermeister Stritzelberger mit dem Stadtrat und von Ministerpräsident Günther Oettinger mit der Landesregierung. Sie können dort die Namen der Schulleiter unserer Schulen, die Namen der Leiter unserer Behörden oder der Vorgesetzten in ihrem Betrieb eintragen. Die Namen aller Entscheidungsträger, mit denen Sie zu tun haben. Was geschieht, wenn wir für andere Menschen beten? Es verändert sich nicht nur bei diesen Menschen etwas, sondern auch bei uns. Im Gebet bringen wir Menschen mit Gott zusammen. Wir sehen auf einmal, was Gott in ihrem Leben tun kann und dass er seinen Willen in ihrem Leben verwirklichen will. Unser Verhalten zu den Menschen, für die ich bete, ändert sich. Wie können wir denn den, für den wir beten, noch verachten oder gar hassen? Interesse erwacht und die bisherige Gleichgültigkeit verschwindet. Und noch eines. Wenn wir beten, sehen wir die Menschen und die ganze Welt vom Ziel her. Wir wissen, dass Gott durch die Wiederkunft seines Sohnes Jesus Christus sein Reich in dieser Welt aufbauen wird. Das ist der Zeitpunkt, an dem sich alle Verhältnisse ändern werden. Dieses Wissen bewahrt uns vor der Versuchung einer ideologischen Weltverbesserung oder einer illusionären Fortschrittsgläubigkeit. Es macht uns aber auch Mut, dass wir uns für die Menschen und für die Welt voller Hoffnung und Tatkraft engagieren solange bis Jesus wiederkommt. <b>Gebetsanliegen </b> Nun kommt Paulus noch auf verschiedene Gebetsanliegen zu sprechen. Ein erstes Gebetsanliegen leitet sich von dem zentralen Willen Gottes ab. Paulus schreibt: „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“ Paulus betont: Wir brauchen einen Mittler, der uns mit Gott verbindet. Ohne diesen Mittler läuft nichts. Ohne diesen Mittler sind wir verloren. Er sagt: „Es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus.“ Ohne diesen Verbindungsmann sind wir Menschen orientierungslos, haltlos, hoffnungslos. Ohne ihn fehlt uns das Gegenüber unseres Schöpfers. Wir sind abgeschnitten von den Wurzeln des Lebens und aller Weisheit. Unser Navigationssystem hat keinen Fixpunkt, an dem es sich orientieren könnte. Wir fragen uns unsicher: „Wohin sollen wir gehen?“ Unsere Energiereserven bekommen keinen Nachschub mehr. Wir suchen verzweifelt: „Woher bekommen wir neue Kraft?“ Unsere Füße verlieren den Boden unter sich. Wir rufen angstvoll: „Wer hält mich fest, wenn ich falle?“ Das erste wichtige Gebetsanliegen ist daher das Gebet für alle Menschen, dass sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Das Gebet, dass viele Menschen ihren eigenen Zustand erkennen und sich nach einer persönlichen Beziehung zu Gott sehnen. Das Gebet, dass sich viele Menschen auf die Suche nach Gott begeben. Das Gebet, dass viele Menschen gerettet werden und in Jesus den kennen lernen, der ihnen Orientierung, Halt und Hoffnung gibt und sie mit Gott verbindet. Es ist Gottes ausdrücklicher Wille, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Das zweite wichtige Gebetsanliegen heißt: „Betet, dass wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.“ In diesem zweiten Gebetsanliegen geht es um die Rahmenbedingungen dafür, dass sich das Leben gesund entfalten kann: Kontinuierlich, im Frieden und in der Atmosphäre von Sicherheit und Geborgenheit. In diesem zweiten Gebetsanliegen geht es ebenso um die Rahmenbedingungen, dafür, dass sich der Glaube an Jesus Christus gesund entfalten kann: In aller Freiheit, in aller Konsequenz und verbunden mit aller Wertschätzung Es ist die Aufgabe der Politiker und der Verantwortungsträger unserer Gesellschaft, diese Rahmenbedingungen zu schaffen. Gemäß dieses zweiten Gebetsanliegens beten wir dafür, dass die Politiker und Verantwortungsträger nach Gottes Willen fragen, sich an seinen Geboten orientieren und die Rahmenbedingungen schaffen, sodass sich das Leben der Menschen und der Glaube an Jesus Christus gesund entfalten kann. Zum Gebet für die Politiker und Verantwortungsträger gehört auch der Dank. Uns geht es doch so gut, und dennoch sind wir statistisch gesehen ein Volk von Meckerern. Manfred Siebald beschreibt das in einem seiner Lieder und kennt noch andere Worte für die Unzufriedenheit der Deutschen: „Wir sind die Meckerer. Wir sind die Notengeber, die Millimetermesser und die Zeigefingerheber. Wir sind die Oberlehrer, die Zwischenrufer und die Briefbeschwerer. Wir sind die Schnellvergleicher, die Splittersucher und die Rotanstreicher. Wir sind die Stirnefalter, die Krümelfinder und die Rechtbehalter. Wann haben wir das letzte Mal gedankt? Gedankt für unsere Regierung, für das Bildungs- und Gesundheitswesen, für den Schutz der uns gegeben wird, für unseren Wohlstand und für unsere freiheitliche demokratische Regierungsform mit der wir leben? Wann haben wir das letzte Mal gedankt für die guten Rahmenbedingungen, in denen wir leben dürfen? Aber noch etwas zu diesem Gebetsanliegen: „Betet, dass wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.“ Wir kommen aus einer bewegten Urlaubszeit. Nun ist wieder der Alltag dran. Gefällt es uns, wenn unser Leben ruhig und still im ewig wiederkehrenden Wochenrhytmus verläuft? Der Zeitgeist möchte uns vormachen, dass es wichtig ist, dass immer etwas Besonderes läuft, und die bürgerlichen Alltagspflichten nur ein notwendiges Übel sind. Paulus macht Mut zu einem ruhigen und stillen Leben, zu einem ganz normalen Alltag. Im Kindergartenalter hat eine unserer Töchter einmal nach dem Urlaub gesagt: „Der Alltag ist der schönste Tag.“ Empfinden Sie das genauso? Wenn wir im Alltag auch die kleinsten Dinge für Gott tun, dabei immer wieder alles mit ihm besprechen und Gemeinschaft mit ihm pflegen, dann genügt das, um glücklich zu sein – ja der Friede Gottes kommt ins Leben und macht uns zufrieden. Viele fühlen sich auch nach dem Urlaub noch ausgebrannt und leer. Arne Völkel schreibt in seinem Buch über diese Zeitkrankheit: „Wir schützen uns am Besten vor Burnout, wenn wir anfangen unseren kleinen Alltag zu würdigen und auch die unangenehmen Nichtigkeiten mit ganzer Hingabe erfüllen. Nur so kommt Ruhe ins Leben. Wer meint, das entscheidende Leben gehe an ihm vorüber, weil er so viel Kleinkram erledigen muss, der setzt sich selbst unter einen Unzufriedenheitsdruck, der immer auf hohe Berufungen wartet, statt mit Gottes Hilfe auch die kleinen Dinge zu erledigen. Was wir im Namen Gottes tun, hat Ewigkeitswert, egal wie klein oder groß es ist.“ Priorität Nr. 1: Gebet. Paulus stellte uns verschiedene Gebetsarten vor. Er gab uns Tipps für eine persönliche Gebetsliste und nannte zwei wichtige Gebetsanliegen. Ich schließe mit einem Zitat von O. Sanders: „Wer die Sache Gottes zu seiner eigenen macht, wird erfahren, das Gott seine Angelegenheiten zu den seinen macht. Wenn wir einmal geklärt haben, was in unserem Leben an erster Stelle soll, ordnet sich alles andere, und der himmlisches Vater versorgt uns dann mit allem Nötigen.“ Amen