Hubert Raunjak - Literaturpreis Ohrenschmaus

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LITERATURPREIS
„
OHRENSCHMAUS“
DAS GANZ ANDERE LEBEN
VON UNS BEHINDERTEN
MENSCHEN
IN BEZUG AUF SEXUALITÄT
GESCHRIEBEN VON
RAUNJAK HUBERT
SEPTEMBER 2009
Das ganz andere Leben von uns behinderten Menschen
in Bezug auf die Sexualität
Begründung:
Warum ich über das Thema „Sexualität“ schreibe?
Ganz einfach: Sexualität ist ein sehr weit verbreitetes Thema.
Menschen, die gehen können, haben es leichter eine Partnerin oder einen Partner zu finden. Zu
dieser Meinung bin ich gekommen, weil ich von meinen eigenen Erfahrungen spreche. Das habe
ich schon oft als Rollstuhlfahrer zu spüren bekommen. Es ist nämlich so, dass die Gesellschaft
glaubt, wenn man eine Behinderung hat ist man arm und bekommt selbst nichts auf die Reihe.
Ich kenne eine Frau die im Rollstuhl sitzt. Sie hat einen Beruf erlernt und brachte vor zwei Jahren
eine gesunde Tochter zur Welt. Ihr Ehemann und sie haben eine Familie gegründet.
Was ich damit sagen will – es ist auch möglich, dass man als Mensch mit Behinderung genauso
eine Partnerschaft führen kann. Es ist egal ob man gesund oder behindert ist.
Ich selbst sitze ja im Rollstuhl. Ich kann behaupten, dass es viele Menschen gibt, die sich nicht
im Traum vorstellen können, dass ein Mensch mit Behinderung jemals an Partnerschaft oder
Sexualität denkt. Selbst für die Familie ist es unvorstellbar, dass ihr Sohn oder ihre Tochter auch
den Wunsch nach einer Partnerschaft oder Sex haben. Ich sehe bei der Familie darin das
Problem, dass sie einen großen Beschützerinstinkt gegenüber ihren behinderten Kindern haben.
Den können viele Eltern sogar schwer bei ihren gesunden Kindern ablegen. Es ist ja ihr eigenes
Fleisch und Blut das jede Mutter zur Welt gebracht hat. Wenn aber das Kind eine Behinderung
hat, ist es für Eltern natürlich noch schwerer es selbständig werden zu lassen. Sie glauben oft,
dass das Kind arm ist und sowieso nicht viel selber machen kann.
Was mich aber am meisten stört ist, dass sich die Gesellschaft und die Politiker sich über so
viele Dinge, und besonders über uns behinderte Menschen, den Mund zerreißen. Dabei wäre es
so einfach. Sie bräuchten nur mit uns selber zu reden. Denn wenn man einen Menschen mit
Behinderung selbst fragt, wie er mit seiner Behinderung umgeht, bekommt man auch eine
Antwort auf das was man wissen möchte. Das ist auch meine Motivation, warum ich über das
Thema „Sexualität“ schreibe. Ich hoffe, dass wir trotz Einschränkungen ein normales Leben
führen können.
Das ganz andere Leben von uns behinderten Menschen im Bezug auf die Sexualität
Wenn ich vom anderen Leben spreche, meine ich damit, dass wir Menschen mit Behinderung
uns oft mit Sachen herumschlagen müssen, die für andere überhaupt nicht existieren. Das kann
zum Beispiel die Diskriminierung sein oder ganz einfach Beschimpfungen auf der Straße. Ich
selbst musste mir schon einiges anhören – teilweise die härtesten Dinge die man sich überhaupt
vorstellen kann.
Es ist oft schwer mit seinem eigenen Schicksal klar zu kommen. Ganz besonders dann, wenn
man von der Gesellschaft wieder sehr viel schlechtes zu hören bekommt. Aber es ist oft so, dass
man mit der Zeit solche Reaktionen akzeptiert. Für mich ist es jedenfalls leichter um damit klar zu
kommen. Denn trotz Behinderung kann man sich das Beste für sein Leben herausholen. Da gibt
es viele Möglichkeiten.
Ich habe für mich selbst entdeckt, dass mir Sport sehr gut tut. Der persönliche Wille etwas zu
machen und natürlich meine persönliche Einstellung zum Leben helfen mir sehr. Mir hilft es,
wenn ich mich körperlich abreagiere. Ich arbeite auch viel an mir – nicht um andere zu
beeindrucken, sondern um meine Selbständigkeit zu erweitern. Das stärkt meine
Unabhängigkeit. So brauche ich nicht ständig jemanden um Hilfe zu bitten. Es ist oft schwer ein
barrierefreies Leben zu führen. Das fängt oft schon bei der Wohnungssuche an, geht weiter im
Straßenverkehr und endet bei vielen Ämtern. Egal wo man hin will, irgendwo stößt man an seine
Grenzen. Oft sind Behördenwege sehr erschwerlich.
Ich selbst bin ja Rollstuhlfahrer. Mein Leben und meinen Alltag habe ich mir gut organisiert.
Meine Arbeit, die ich mir selbst aussuchte, mag ich sehr gerne. Ich lebe in einer Einrichtung, wo
ich auch meine Arbeit gefunden habe. Im Wohnhaus habe ich mein eigenes Zimmer. Ich fahr alle
zwei Wochen zu meiner Familie nach Hause. Dieser Abstand von meiner Familie tut mir sehr
gut. So habe ich meinen Abstand zur Familie, und kann mich in der Einrichtung selbst entfalten.
Für mich ist das sehr wichtig, da ich mir selbst beweisen kann, dass ich selbst etwas erreichen
kann. Wenn ich zu Hause bin, versuchen meine Eltern mir alles abzunehmen. Es ist sehr lieb
von ihnen, dass sie helfen möchten.
Aber man kann nur dann Erfahrungen fürs Leben machen, wenn einem nicht alles abgenommen
wird. Denn es kann passieren, dass man auf die Schnauze fällt. Aber dann steht man wieder auf
– nur so macht man seine eigenen Erfahrungen, und lernt dabei fürs Leben. Denn das Leben ist
ein ständiges auf und ab. Ich bin mit meinem Leben sehr glücklich.
Glücklich mit meinem Leben bin ich aber auch deshalb, weil ich meine Sexualität auch als
Rollstuhlfahrer ausleben kann. Es wird zwar nicht von allen akzeptiert, aber das muss man
hinnehmen. Viele lassen sich von dem Gerede beeinflussen, dass ein Mensch mit Behinderung
keine Sexualität haben kann. Es gibt immer wieder Menschen die ein Problem damit haben, dass
wir anders sind als sie. Auch sie haben oft Probleme mit ihrer Sexualität oder ihren Partnern. Der
Unterschied für sie ist, dass sie glauben, dass Sexualität nur für sie etwas normales ist.
Sexualität für einen Menschen mit Behinderung ist für sie abnormal.
Oft kommt bei der Gesellschaft die Frage auf, ob sexuell bei uns was abgeht und wie das
funktioniert. Oder es gibt die Meinung, dass wir kein Sexualleben haben sollten. Ich wünsche mir
oft, dass unsere Sexualität für normal angesehen wird. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein,
dass auch wir unsere Bedürfnisse ausleben können – ohne etwas in Frage stellen zu müssen.
Wir wissen selbst, dass wir eine Behinderung haben – welche Art auch immer. Die Behinderung
begleitet uns jeden Tag. Da muss keiner mit Sprüchen kommen, die uns noch mehr behindern.
Man sollte uns so akzeptieren wie wir sind, und uns nicht ständig mit anderen zu vergleichen.
Das ist genau so mit der Sexualität. Immer werden Vergleiche gezogen.
Ich persönlich kann sagen, dass es sehr wohl möglich ist, trotz Behinderung, eine Partnerin
beziehungsweise einen Partner zu haben. Es sollte sich keiner einreden lassen, dass das nicht
möglich ist. Ich selbst habe eine Partnerin mit der ich Geschlechtsverkehr habe. Wir sind beide
Rollstuhlfahrer. Ich muss sagen, dass es immer wieder schön ist mit ihr Sex zu haben.
Regelmäßig gehe ich auch in verschiedene Erotikshops. Dort schaue ich mir die
unterschiedlichsten Spielzeuge, Hefte und Filme an.
Einige Sachen habe ich mir schon besorgt. Für mich ist es selbstverständlich sich selbst zu
befriedigen, und dafür auch verschiedene Hilfsmittel zu verwenden. Mit der Selbstbefriedigung
lerne ich auch meinen Körper kennen, und weiß damit auch was mir gut tut und was nicht.
Ich schaue mir auch hin und wieder verschiedene Sexfilme an – sehe mich aber nicht als geilen
Bock, nur weil ich diese Filme ansehe.
Wichtig finde ich, dass auch auf die Verhütung geachtet werden soll. Da ich mit meiner Partnerin
Geschlechtsverkehr habe, ist es für mich selbstverständlich, dass ich verhüte. Nur manchmal
schäme ich mich, wenn ich in ein Geschäft gehe und Kondome kaufe. Oft werde ich von den
Kunden und den Verkäufern schief angeschaut. Dabei sollte es doch eine Selbstverständlichkeit
sein, dass man Verhütungsmittel kauft. Ich persönlich wünsche mir, dass die Sexualität bei
Menschen mit Behinderung für normal angesehen wird. Es sollte kein Tabu mehr sein, dass
Menschen mit Behinderung eine Sexualität haben und diese auch ausleben.
Da ich mich auch rechtlich mit diesem Thema beschäftigt habe, möchte ich zum Abschluss noch
einige Erklärungen aufschreiben und einen kleinen Auszug aus dem Strafgesetzbuch bringen:
Das Sexualstrafrecht sieht grundsätzlich keine unterschiedliche Behandlung von Menschen mit
und ohne Behinderung beziehungsweise nach Geschlecht oder sexueller Orientierung vor. Im
Einzelfall ist dies zu überprüfen beziehungsweise findet seinen Niederschlag allenfalls in der
Spruchpraxis.
Menschen mit Behinderung als Sexualstraftäter – Es kommt selten zu einer Verurteilung. In der
Regel werden diese in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.
Was ist sexueller Missbrauch?
Eine Definition:
Jede ungewollte sexuelle Handlung gegen den Willen des Opfers beziehungsweise jede sexuelle
Handlung, der das Opfer aufgrund mangelnder körperlicher, psychischer, kognitiver, sprachlicher
und sozialer Fähigkeiten nicht wissentlich zustimmen kann. Ebenso werden vom Täter
Machtgefälle, Wissensunterschiede, Autorität und Ambivalenzerleben ausgenutzt, um eigene
Bedürfnisse zu befriedigen.
Auszug aus dem Strafgesetzbuch – Strafbare Handlungen gegen sexuelle Integrität und
Selbstbestimmung:
Sexueller Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person: Einen sexuellen
Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person begeht, wer eine wehrlose
Person oder eine Person, die wegen einer Geisteskrankheit, wegen Schwachsinns, wegen einer
tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen anderen schweren, einem dieser Zustände
gleichwertigen seelischen Störung unfähig ist, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen oder
nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass
er an ihr eine geschlechtliche Handlung vornimmt oder von ihr an sich vornehmen lässt oder sie
zu einer geschlechtlichen Handlung mit einer anderen Person oder, um sich oder einen Dritten
geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, dazu verleitet, eine geschlechtliche Handlung an
sich selbst vorzunehmen.
Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses:
Wer mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person, seinem
minderjährigen Wahlkind, Stiefkind oder Mündel oder mit einer minderjährigen Person, die seiner
Erziehung, Ausbildung oder Aufsicht untersteht, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber
dieser Person eine geschlechtliche Handlung vornimmt oder von einer solchen Person an sich
vornehmen lässt oder, um sich oder einen Dritten geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen,
dazu verleitet, eine geschlechtliche Handlung an sich selbst vorzunehmen.
Ebenso ist zu bestrafen, wer als Arzt, klinischer Psychologe, Gesundheitspsychologe oder
Psychotherapeut oder sonst als Angehöriger eines Gesundheits- oder Krankenpflegeberufes mit
einer berufsmäßig betreuten Person, als Angestellter einer Erziehungsanstalt oder sonst als in
einer Erziehungsanstalt Beschäftigter mit einer in der Anstalt betreuten Person oder als Beamter
mit einer Person, die seiner amtlichen Obhut anvertraut ist, unter Ausnützung seiner Person
gegenüber einer geschlechtlichen Handlung vornimmt oder einer solchen Person an sich
vornehmen lässt oder, um sich oder einen Dritten geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen,
dazu verleitet, eine geschlechtliche Handlung an sich selbst vorzunehmen.
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