„Lustvoll leben!“ Sexualität im Leben von Frauen mit Behinderung/chronischer Erkrankung Einführungsvortrag von Monika Pelkmann am 22. 09. 2007 Der viel gerühmte Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik weg von der Fürsorge hin zu mehr Selbstbestimmung hat bislang noch wenig positive Auswirkungen auf den öffentlichen Umgang mit dem Thema Sexualität und Frauen mit Behinderung gezeigt. Sexualität und Behinderung scheint nach wie vor ein unvereinbares Begriffspaar zu sein, nicht zusammen zu passen. Auch wenn es inzwischen für Menschen mit Behinderung Bücher, Filme, Fotoausstellungen gibt, in denen es um Sexualität und den lustvollen Umgang mit dem eigenen Körper geht, hat dieses Thema immer noch einen exotischen Touch und ist in der gesamtgesellschaftlichen Sicht noch lange nicht Normalität. Besonders der Umgang mit Sexualität in betreuten Wohneinrichtungen zeigt, dass sexuelle Selbstbestimmung als Menschenrecht immer noch ein Tabuthema ist. MitarbeiterInnen und Pflegepersonal sind in der Regel unzureichend sexualpädagogisch geschult, um mit dem Thema angemessen umgehen zu können. Wenn z.B. eine Mitarbeiterin einer Einrichtung den Vorschlag macht, einen Kontakt-Raum oder Lustraum einzurichten, kann sie zur Antwort bekommen: Wollen Sie hier etwa ein Bordell aufmachen? 1 Frauen mit Behinderung werden zwar häufig als sexuelles Neutrum gesehen, das schützt sie aber nicht vor sexueller Gewalt, im Gegenteil: Aufgrund ihrer körperlichen Abhängigkeit sind sie einem vielfach höheren Risiko ausgesetzt, Opfer von sexualisierter Gewalt zu werden als nicht behinderte Frauen. Grenzüberschreitungen bei Therapien und dem Anpassen von Hilfsmitteln werden fast als Normalität erlebt. Aiha Zemp, die bekannte Schweizer Forscherin auf dem Gebiet Behinderung und Sexualität, die wie sie sagt, als Laune der Natur mit Arm- und Beinstümpfen geboren wurde, drückte diese Erfahrung so aus: An mir darf jeder und jede rumfummeln! In den Einrichtungen für Menschen mit Behinderung gibt es im Falle von sexualisierter Gewalt kaum verbindliche Handlungsrichtlinien. Ein Klima von Tabuisierung, Verunsicherung und Verschweigen bildet einen Nährboden für sexuellen Missbrauch. Auf diese Thematik werden wir in der Arbeitsgruppe von Frau Servos weiter eingehen, und natürlich ist auch in den anderen AGs Platz für dieses Thema. Konzeption und Ziel der Veranstaltung „Lustvoll leben“ Als wir anfingen, uns mit Sexualität im Leben von Frauen mit Behinderung zu beschäftigen, wurde uns zunächst die große Schwere des Themas deutlich; Sexualität und Behinderung von Frauen schließt immer sexualisierte Gewalt ein. Dieses Thema wollen wir natürlich nicht ausklammern, die Diskussion auf politischer und sozialrechtlicher Ebene ist wichtig, das ist unbestritten. Trotzdem haben wir uns bewusst entschlossen, mit dem Titel des heutigen Tages 2 „Lustvoll leben!“ den Blick eher auf die Licht- als auf die Schattenseiten der Sexualität zu richten und uns zunächst ganz persönlich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wir beabsichtigen mit der Arbeit, die uns hier zusammengeführt hat, eine Verbesserung unserer Lebensqualität im Hinblick auf eine Erweiterung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben um den Bereich Liebe, Partnerschaft, Erotik, Sexualität. „Auch das noch! mag manche von euch jetzt denken. Als ob ich sonst keine Probleme hätte!“ Wie wir aus eigener Erfahrung wissen, haben viele Frauen mit und ohne Behinderung dieses Thema für sich abgehakt. Zu schwierig, zu viele schlechte Erfahrungen, zuwenig geeignete Kandidaten/Kandidatinnen für eine lustvolle Beziehung. Und trotzdem gibt es für einige immer wieder Zeiten, in denen die Sehnsucht und die Wünsche danach sich nicht verdrängen lassen. Diese Sehnsüchte begrüße ich heute besonders herzlich! Und all die mutigen Frauen hier, die sich mit ihnen auseinandersetzen wollen und Lust haben ihre Fantasie beflügeln zu lassen mit dem Gedanken: Es ist oft viel mehr möglich, als wir denken. Zuerst müssen wir in unserem Kopf Grenzen überschreiten, das ist der Anfang. Wir wollen heute einen geschützten Rahmen bieten, um über Sexualität und Lust, und alles, was im weitesten Sinne damit zu tun hat, zu reden und wenn gewünscht auch zu fühlen. Es wäre schön, wenn es uns gelingt, das Thema ein wenig zu öffnen und den Austausch darüber so anzuregen, dass sich nach der heutigen 3 Veranstaltung möglicherweise die ein oder andere kleine Frauengruppe im Land sich weiter zu dem Thema trifft. Stellen wir uns nun die Frage: LUST Was bedeutet das eigentlich? Lustvoll leben, mit Lust leben…In unserem täglichen Sprachgebrauch kommt das Wort Lust hauptsächlich in seiner Verneinung vor. Einen Satz sagen und hören wir häufig genug: Ich hab keine Lust! Unlust wird als negativ erfahren und daher gemieden. Dabei hat die Unlust eine wichtige Funktion, sie ist oft ein Hinweis auf Probleme, die es anzupacken gilt. Aber wir machen es heute ja mal anders: Wir beschäftigen uns mit der Lust und diese ist lt. Wörterbuch eine intensive, angenehme Weise des Erlebens, die sich auf unterschiedlichen Ebenen der Wahrnehmung zeigen kann, z.B. als angenehme Empfindung oder als Gefühl der Befriedigung. Lt. Sigmund Freud, einer der größten Psychologen, bringen wir Menschen ein instinktives angeborenes Streben nach Bedürfnisbefriedigung und Glücklichsein mit auf die Welt. Aber sobald wir dem Kleinkindalter entwachsen sind, wird uns ein Leben nach dem Lustprinzip schwer gemacht durch Erziehung, gesellschaftliche Normen und Zwänge, durch das Leben selbst, die viel beschworene Realität. Wir müssen vernünftig sein, das Leben ist keine Spielwiese, man kriegt nichts geschenkt und wie wir wissen eine behinderte Frau hat es besonders schwer. Manchmal gehen wir ziemlich hart mit uns selbst um, wenn wir uns sagen: wie blöde sehe ich heute wieder aus, wie dick bin ich geworden, mich mag sowieso keiner, 4 ich bin es nicht wert geliebt zu werden. Jede von uns kennt diese negativen Gedanken Aber wir kennen sicher auch lustvolle Gefühle, z.B,. wenn wir konzentriert in eine Tätigkeit vertieft sind. Mit solchen Gefühlen, neudeutsch auch Flow genannt, macht uns die Arbeit oder das Hobby Spaß, wir sind ausgeglichener und entspannter, wir können uns freuen, mehr lachen, können Pläne schmieden, verstehen uns selbst und andere besser und fühlen uns im eigenen Körper gut trotz Einschränkungen und Schmerzen. Mit solchen Gefühlen werden wir mutiger und trauen uns auch zu, Neues auszuprobieren, rufen vielleicht auch schon mal einen netten Mann/Frau an, um mit ihm/ihr ins Kino zu gehen oder wir gehen mit einer Freundin in die Disco zum Tanzen. Bedeutung von Partnerschaft und Sexualität Nähe zu anderen Menschen ist ein wichtiger Bestandteil von Lebensqualität. Wir brauchen Menschen, an die wir uns anlehnen können, bei denen wir auftanken, uns Rat holen können. Jeder Mensch ist angewiesen auf Halt, Geborgenheit, Intimität und Anerkennung. Wenn wir dieses positive Lebensgefühl mit jemandem teilen möchten, kann es auch gut sein, dass wir Lust auf einen anderen Menschen haben, mit ihr oder ihm zärtlich sein wollen oder Lust haben auf Sex.., d.h. sich mit ihr oder ihm vereinigen, schlafen, Liebe machen wollen oder wie ihr die natürlichste Sache der Welt nennen mögt. Wenn dann jemand da wäre, mit dem/der wir diese Lust liebevoll leben könnten, 5 das wäre wunderbar! Doch das ist nicht immer so einfach zu bewältigen, oft ist kein PartnerIn da, mit dem/der frau diese Nähe leben kann. Frauen und Mädchen mit Behinderung haben mit ganz praktischen Schwierigkeiten bei der Aufnahme von Freundschaften und Partnerschaften zu kämpfen: Zum Beispiel: Wegen ihrer häufig eingeschränkten Mobilität bleibt ihnen wenig Spontaneität in ihren sozialen Unternehmungen, ein Fahrtdienst muss geplant und bestellt werden, und viele gesellschaftliche Orte sind leider immer noch nicht barrierefrei zugänglich. Erschwerend hinzu kommt, dass Frauen mit Behinderung nicht oder nur eingeschränkt zugetraut wird, Kinder zu erziehen. Dem Kinderwunsch von Frauen mit Behinderung wird immer noch häufig mit Unverständnis begegnet - übrigens ebenso wie dem Wunsch nach Arbeit/Erwerbsarbeit. Sehr problematisch ist auch, wenn eine Frau mit einer körperlichen Behinderung einen Mann trifft, der sich für sie interessiert, dann muss sie sich fragen, ob dieser Mann nicht vielleicht ein Amelotatist (Deformationsfetischist) ist, ein Mann, der ein fehlendes Körperteil der Frau als Fetisch für die Entwicklung seiner Lust braucht. Oder ob sie an einen ängstlichen Mann geraten ist, der glaubt, eine Frau mit Behinderung nimmt ihm so schnell keiner weg, wenn er sich nur genug aufopfert. Oder ob der Mann sie für seine finanzielle 6 Sicherheit ausnutzt. Das sind alles nicht die besten Startbedingungen für eine gelungene Beziehung. Hat unser „Objekt der Begierde“ aber all diese peinlichen Prüfungen überstanden, fragen wir uns dann oft noch: Wieso gerade ich? Was findet der/die denn an mir? Da geht es dann um unsere Barrieren im Kopf und wie frau sie überwindet: Wir leben in einer Welt, deren Schönheitsideale geprägt sind von einer Ästhetik- und Leistungsmafia unvorstellbaren Ausmaßes. Durch jede Seifenoper im Fernsehen tänzeln gleichförmige, oberflächengeglättete Schönheiten. Der Körperkult wird immer massiver. Was zählt, ist der Konsum. Ich bin, was ich verbrauche. Alles was ich scheinbar brauche, hole ich mir! Und wenn es eine Schönheits-Operation ist, spare ich eben drauf. Fett absaugen, Nase verkleinern, Brüste vergrößern, sich fast zu Tode hungern, das ist der Terror, dem sich immer mehr v. a. junge Menschen aussetzen. Aus diesem Blickwinkel sind Menschen mit Behinderung unattraktiv und unerotisch. Die tollen begehrenswerten Frauen, das sind die anderen! Bei diesem Wettbewerb sind wir außen vor. In diesem Zusammenhang möchte ich das Weibernetz in Kassel zitieren, die bundesweite Organisation von Frauen mit Behinderung, Sie nehmen kritisch Stellung zu den Model-Contests für Frauen mit Behinderung , diese sind lt. Weibernetz kontraproduktiv, weil sie 1. die Normen nicht durchbrechen und 2. die Frauen mit Behinderung in 7 zwei Gruppen spalten, in die noch schönen und den großen Rest der anderen. Das Körperbild von Frauen und Mädchen mit Behinderung wird auch geprägt von dem Unterschied, ob die Beeinträchtigung angeboren ist oder zu einem späteren Zeitpunkt erworben wurde: Behinderte Kinder erleben sich zunächst trotz aller Einschränkung als vollständig und intakt. Ich bin Ich! Therapie und medizinische Versorgung vermitteln dann neben den Schmerzen die Erfahrung: So wie ich bin, bin ich nicht in Ordnung. Jede/r darf in meinen Körper eingreifen, ohne mich um Erlaubnis zu fragen. Ich bin erst schön, wenn ich z.B. laufen kann. Diese Erfahrungen entwickeln ein gestörtes Körperbild und die Erfahrung: Ich bin nicht liebenswert. Wird die Behinderung erst später erworben, müssen zwei Lebensteile - vorher und nachher in Einklang gebracht werden: Ich bin nicht mehr schön, weil mir ein Teil meines Körpers fehlt oder Ich bin erst wieder liebenswert, wenn ich wieder laufen kann. Dabei wird die Aufmerksamkeit nur noch auf die Beeinträchtigung gerichtet und alle anderen Fähigkeiten und Begabungen ausgeblendet. Nun möchte ich euch einladen, gedanklich die Welt der fantasielosen und begrenzten Sichtweisen, die ich eben beschrieben habe, zu verlassen und einzutauchen ein in eine Welt der Sinnlichkeit und Achtsamkeit uns selbst und unserer Körper-Geist-Seele Einheit gegenüber. Wir entwickeln eine Gegenthese: 8 Körperbehinderung ist erstmal keine sexuelle Behinderung. Unsere Sexualität lassen wir nicht von gesellschaftlichen Normen bestimmen. Sexualität hat mit äußerer Schönheit nur sehr bedingt etwas zu tun. Der Geist bringt die Materie hervor, unsere Wirklichkeit wird von dem bestimmt, was wir fühlen und denken. Körperlichkeit lässt sich nicht ohne die Seele sehen und erfahren. Hier möchte ich ein Gedicht von Mathias Vernaldi von 1982 zitieren. Er ist einer der Autoren aus dem Buch: Behinderte Sexualitätverhinderte Lust? und Mitbegründer von Sexybilities in Berlin. Frau beachte v. a. die letzte Zeile des Gedichtes! „Ärzte und Bürokraten haben meinen Körper benannt, geschwollene Füße und Waden bezeichnen sie mit Elefantiasis, die eingeschränkte Beweglichkeit der Gelenke erfassen sie als Kontraktur, progressiver Muskelschwund ist die Schädigung, die mich berechtigt eine Invalidenrente und Sonderpflegegeld zu beziehen. In der Rubrik „Besondere Kennzeichen“ führe ich das Prädikat „gehunfähig“ WENN WIR UNS NAHE SIND, BEBT JEDE FASER MEINES LEIBES. Wenn wir schon in einer Zeit des Körperkultes leben, dann sollten wir uns auch unseren eigenen Körperkult leisten. Vernaldi sagt: „Ich bin schön nicht trotz meines Buckels, mein Buckel ist schön (weil er zu 9 mir gehört)! Wenn ich nur denke, dass ich schön bin, dann bin ich schön, und es empfinden mich auch andere als schön und begehrenswert.“ Es geht also um unsere Kraft der Eigenwahrnehmung und Selbstinszenierung. Diese ist bei kleinen Kindern noch sehr stark ausgeprägt, sie fragen sich nicht, wie sie auf andere wirken, vergleichen sich nicht, sie sind einfach sie selbst und das macht ihren Reiz aus. Attraktivität ist das individuelle, persönliche subjektive Empfinden jedes Einzelnen. Wenn wir uns also auf die Suche nach unserer eigenen, persönlichen Attraktivität machen, fragen wir uns: was ist das Einzigartige an mir? Was macht mich einmalig? Wie finde ich zum Kern meines Wesens? Das herauszufinden, ist eine lebenslange und spannende Aufgabe. Ich habe eben gesagt, dass Körperbehinderung nicht per se sexuelle Behinderung ist. Dazu sagt Prof. Thomas Mösler, Lehrer für Sexualmedizin und Sexualtherapie an der Universität Erlangen, dass gerade im Bereich der Sexualität die Grenzen zwischen gesund/“normal“ und nicht gesund/“unnormal“ sehr verschwimmen. Mösler sagt: Psychische Konflikte und Verwundungen können mitunter größere negative Folgen nach sich ziehen als körperliche oder geistige Behinderung und nicht wenige der starken, schönen, vermeintlich gesunden Menschen haben beachtliche Schwierigkeiten im sexuellen Bereich. 10 Auch die Fähigkeit, einen Orgasmus zu erleben ist nicht unbedingt an das Vorhandensein oder die perfekte Funktion der Nerven an den primären Geschlechtsorganen gebunden. Auch wenn das Gefühl in den Geschlechtsorganen nicht mehr vorhanden ist, kann durch bestimmte Übungen (z.B. aus der tantrischen Medizin) eine gute Orgasmusfähigkeit erreicht werden. Die Methode des Tantra arbeitet sehr stark mit der geistigen Kraft, der Vorstellungskraft und versteht Sexualität als spirituelle Kraft. Kommen wir nun zu der Frage: Wie finden wir Kontakte und wie gestalten wir sie? Die allererste Vorrausetzung für eine Kontaktaufnahme ist das Bewusstsein: Ich reduziere mich nicht auf meine Behinderung, ich bin viel mehr als mein Körper und ich habe einem anderen Menschen sehr viel zu bieten. Menschen mit Behinderung dokumentieren für die nicht behinderte Welt sehr nah die Zerbrechlichkeit des Körpers und damit des Lebens und all dessen, was die Gesellschaft des schönen Scheins sich vom Leib halten will und verdrängt. In Bezug auf eine mögliche Partnerschaft entstehen bei Nichtbehinderten Ängste vor einem Fortschreiten der Erkrankung, der Möglichkeit des Pflegefalls oder dem möglichen Verlust der Partnerin. Bei einer erworbenen Behinderung ist die eigene Verarbeitung der Erfahrungen wichtig, d.h. bevor ich meine Behinderung annehmen kann, muss ich mir all die damit verbundenen Gefühle von Trauer, Wut, Abschiednehmen, Bitterkeit und Depression erlauben können. 11 Das geht häufig nicht ohne die Unterstützung einer geschützten Selbsthilfegruppe oder Peer-CounselorIn. Um andere Menschen erfolgreich und dauerhaft an mich zu binden, ist ein kritisches Selbstbild nicht ungeeignet. Ich sollte keine überzogenen Ansprüche an andere haben und nicht von dem/der einen alles erwarten. Weder mit einer Konsumhaltung noch mit der Gebetsmühle der eigenen Leidensgeschichte macht frau sich interessant, was nicht heißt, die Behinderung auszusparen oder schön zu reden. Ich finde es immer sehr wichtig, dass ein Mensch, mit dem ich es zu tun habe, gelernt hat, Bitte und Danke zu sagen. Damit meine ich nicht die üblichen Höflichkeitsfloskeln, sondern die Fähigkeit um Hilfe zu bitten, diese auch anzunehmen und auch ein Bewusstsein für Dankbarkeit ausdrücken zu können. Soziale Kompetenz ist der angemessene Austausch zwischen Geben und Nehmen. Neben dem, was ich erwarte (z.B. Hilfe bei der Alltagsbewältigung über die Pflege hinaus), sollte ich auch einen Blick auf meine Potentiale werfen. Eigene Wertschätzung kann eine Beziehung sehr stabilisieren, macht sie eigentlich erst möglich. Zur Selbstwertschätzung gehört auch, Zeit und Aufmerksamkeit in Körper- und Kleiderpflege zu investieren, was natürlich nicht immer leicht ist, wenn ich Assistenz benötige und es heißt: Zeit ist Geld! Die so genannten Pflegemodule lassen eine aufwändige Körperpflege und Kosmetik nicht zu. Aber 12 auch mein Outfit (z. B. die Farbe meiner Kleider) ist Kommunikationsmittel, mit dem ich etwas ausdrücke. Kurz möchte ich noch etwas sagen zur Kontaktsuche im Internet und zu sexuellen Diensten. Es gibt inzwischen einen riesigen Markt von den „Rollenden Herzen“, einer Kontaktzentrale für behinderte und nicht behinderte Menschen in Hamburg bis hin zu Anbietern für sexuelle Dienste und Berührungsservice, Sensis in Wiesbaden und Sachsen oder sexybility in Berlin. In der Regel sind es Männer, die diesen Service nutzen. Sie müssen für diese kurzfristige körperliche Befriedigung ihrer Bedürfnisse häufig die Hälfte ihres Werkstatteinkommens ausgeben. Außerdem belegen Aussagen von Nutzern dieser Dienste, dass sie sich ja eigentlich mehr wünschen, nämlich eine Beziehung. Sexualität hat eigentlich immer mit Beziehung zu tun und ist viel umfassender ist als das, was wir uns über eine Dienstleistung holen können. Frauen wünschen sich eher ganzheitliche Befriedigung und scheuen eine Inanspruchnahme dieser Angebote. Sexualität leben, bedeutet für viele mehr als Geschlechtsverkehr, sondern Berührungen, intensive Körperkontakte, Umarmen, gehalten werden. Leider ist unsere sexualisierte Gesellschaft in dieser Beziehung nicht so offen und frei, dass uns dies leicht gemacht würde. Wer ohne Sexualpartner lebt, verzichtet häufig auch auf Zärtlichkeiten. Natürlich gibt es die Möglichkeit der Selbstbefriedigung als lustvolles Körpererleben, sie stillt nur nicht die Sehnsucht nach Zweisamkeit. 13 In meinem FreundInnenkreis schenken wir uns ab und zu zum Geburtstag Gutscheine für Massagen; ich hatte das Glück, eine wunderbare ayurvedische Ölmassage genießen zu dürfen. Die Masseurin ist durch ihre Ausbildung mit Menschen mit Behinderung vertraut, sodass frau hier keine Berührungsängste erwarten muss. Leider sind diese Massagen nicht gerade billig, aber für so einen Körpergenuss kann ich gerne auf ein neues Kleidungsstück oder Essengehen verzichten. Wir leben ununterbrochen mit unserem Körper und schenken ihm doch häufig wenig Aufmerksamkeit, sind getrieben von Dingen, die wir unbedingt erledigen müssen. Um gesund zu bleiben, müssen wir darauf achten, unserem Körper genug Schlaf und gesunde Nahrung zu bieten und auch unsere Seele braucht täglich Nahrung z.B. in Form von erbaulichen Dingen wie die Natur genießen oder Musik hören, Dinge, die uns gut tun und die kein Geld kosten. Ich habe mich in meinen Ausführungen auf sehr persönliche Aspekte des Themas bezogen. Da, wie wir wissen, das Private immer auch politisch ist, möchte ich abschließend für die Arbeit in den Arbeitsgruppen euch noch ein paar grundsätzliche Forderungen zum Thema Sexualität im Leben von Frauen mit Behinderung auf den Weg geben: Frauen mit Behinderung haben bzgl. ihrer Sexualität Rechte: 1. Recht auf Privatsphäre und Intimsphäre 14 2. Recht auf physische und psychische Unversehrtheit - das Recht auf Schutz vor Übergriffen 3. Recht auf Sexualberatung- und Sexualpädagogik 4. Recht auf Sexualassistenz 5. Recht auf eigene Kinder Leider oder zum Glück gibt es kein einklagbares Recht auf eine/n Partner/in; wir können zu keinem Amt gehen und uns beschweren: Ich hatte jetzt bereits seit zwei Jahren keinen Sex mehr! Langfristiges Ziel und gesellschafts und sozialpolitische Aufgabe ist die Aufnahme von Sexualität in den alltäglichen Dialog, die Aufhebung der Sprachlosigkeit, angstfreies, verständliches und ungezwungenes Reden über Sexualität, auch auf Seiten der BegleiterInnen von Menschen mit Behinderung.° Dies ist ein langer Weg, den wir heute ein erstes Stück gemeinsam gehen! Dabei wünsche ich allen für den Rest des Tages vor allem ganz viel Spaß und Lust miteinander! Monika Pelkmann 15