F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 1 Fundamentaltheologie Titel: Der Glaube an GOTT, an CHRISTUS und den in der Kirche wirksamen GEIST Fachbereich: Semester: Semesterwochenstunden: Art der Lehrveranstaltung: Theol I 1 (T: 2. Sem., A,F: 3. Sem) 1 VO Ziele: Erkenntnis der Chancen und Schwierigkeiten des Glaubens und der Glaubensverkündigung heute; Verständnis für das Spezifisch-Christliche, für den Glauben an die Trinität in der Kirche; Problembewusstsein für Theologie als Glaubenswissenschaft Inhalte: Begründung des Glaubens angesichts glaubenserschwerender Strömungen der Neuzeit; Begründung des Glaubens an GOTT, an CHRISTUS, an den in der Kirche wirksamen GEIST; Aufweis von Hilfen für diesen Glauben – die grundsätzliche Bedeutung von Spiritualität; Theologie als Glaubenswissenschaft Lehr- und Lernmethoden: Vortrag, Diskussion Lehrmittel/ Literatur: Skriptum im Internet, Literatur 2 wichtige Hinweise: Kleingedruckte Texte sind Erweiterungsstoff, kommen also nicht zur Prüfung Die graphischen Zusammenfassungen am Ende dienen der Übersicht, sie allein reichen aber nicht für die Prüfung! Verbindung zu anderen Gegenständen: Phil, DO, Spir, Moth, RPA, EZWI Testurvoraussetzungen: ? Bewertung (Prüfungsform und –bedingungen): Kolloquium F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 2 FUNDAMENTALTHEOLOGIE ......................................................................................................................... 1 0. EINFÜHRUNG: GRUNDPROBLEME DER FUNDAMENTAL-THEOLOGIE ...................................... 4 0.1 VORLÄUFIGE BEGRIFFS- UND AUFGABENBESTIMMUNG VON "FUNDAMENTALTHEOLOGIE" .................................................................................................................... 4 0.1.1 Das "klassische" Verständnis: Theologie ist Glaubenswissenschaft, Fundamentaltheologie deren Grundlegung und Rechtfertigung .................................................................................................................. 4 0.1.2 Die Erschwerung von Glauben und Glaubensverkündigung - und damit auch von (Fundamental)Theologie in der Neuzeit ........................................................................................................ 5 0.2 DIE FUNDAMENTALTHEOLOGISCHE GRUNDFRAGE: WAS BEDEUTET "GLAUBEN"? ............. 9 0.2.1 Gesucht: Ein Mittelweg zwischen Rationalismus und Fideismus ......................................................... 9 0.2.2 Glaube als Du-Glaube ........................................................................................................................ 10 0.2.3. Glaube und Sinnfragen 15 .................................................................................................................. 11 0.2.4 Gewissen und absolutes Du ............................................................................................................... 14 0.2.5 Wissen und Wahrheitsfrage ............................................................................................................... 19 0.2.6 Die fünf Wege ..................................................................................................................................... 21 0.2.7 GOTTESbeweise - Hinweise auf GOTT.............................................................................................. 22 0.2.8 Das Problem des Sprechens über GOTT ........................................................................................... 23 0.2.9 Glauben im religiösen Sinn ........................................................................................................... 25 1 GLAUBE AN G O T T.................................................................................................................................. 27 1.1 VERNUNFTGLAUBE...................................................................................................................................... 27 1.2 GLAUBE UND OFFENBARUNG ..................................................................................................................... 27 1.2.1 "Natürliche" (allgemeine) und "übernatürliche" (besondere, geschichtliche) Offenbarung .............. 27 1.2.2 Vernunftglaube und Religion, Offenbarungsglaube und Religionen .................................................. 31 Die geschichtliche Offenbarung GOTTES bis zu ihrem Höhepunkt in JESUS CHRISTUS ........................ 31 2 DER GLAUBE AN J E S U S C H R I S T U S........................................................................................ 36 2.1 DER GLAUBE AN DEN AUFERSTANDENEN CHRISTUS ............................................................................... 36 2.1.1 Die Vorstellungen der Erlösungsbedürftigkeit und Erlösung im AT ................................................. 36 2.1.2 Die überbietende Erfüllung der atl. Vorstellungen durch das NT: die Auferstehung CHRISTI. ... 36 2.1.3 Der Tod JESU CHRISTI hat Heilsbedeutung .................................................................................... 38 2.2 DER "GLAUBE" AN DEN "IRDISCHEN" JESUS ............................................................................................. 40 2.2.1 Interpretation des öffentlichen Wirkens JESU von der Ostererfahrung her ................................. 40 2.2.2 Interpretation der Zeugung und Geburt von der Ostererfahrung her ............................................... 44 2.2.3 Interpretation der Person JESU CHRISTI durch Seine Titel ............................................................ 44 2.3 DER GLAUBE AN DEN PRÄEXISTENTEN SOHN UND AN DEN GEIST ........................................................... 46 2.3.1 Möglichkeit und Sinn der Menschwerdung GOTTES ........................................................................ 46 2.3.2 Rückschluss auf die Präexistenz und die zwei "Naturen" des SOHNES ............................................ 47 2.4 DER GLAUBE AN DEN DREI-EINIGEN GOTT ................................................................................................ 49 2.4.1 Der Hl. GEIST ............................................................................................................................... 49 2.4.2 Gedanken zur Trinität ................................................................................................................... 50 3 DER GLAUBE AN DEN IN DER KIRCHE WIRKSAMEN GEIST ........................................................ 54 3.1 "VERKÜNDIGT WURDE DAS GOTTESREICH, GEKOMMEN IST DIE KIRCHE" (LOISY) ................................. 54 3.1.1 Die Aktualität der Frage nach der Kirche ......................................................................................... 54 3.1.2 Das Volk Israel als Vorform der Kirche ............................................................................................ 54 3.1.3 Der irdische JESUS verkündet das GOTTESREICH und bemüht Sich um die Umkehr Israels ........ 55 3.1.4 Die Kirchengründung durch den Auferstandenen und Seinen GEIST ............................................... 57 3.2 KIRCHE UND REICH GOTTES .................................................................................................................... 58 3.2.1 Differenz und Bezogenheit von Kirche und Reich GOTTES .............................................................. 58 3.2.2 "Deinen Tod, oh HERR, verkünden wir, und Deine Auferstehung preisen wir - bis Du kommst in Herrlichkeit": Die Aufgaben der Kirche...................................................................................................... 59 3.2.2.1 Das Gebet .................................................................................................................................................... 61 Symbol, Meditation, Traum, Vision ......................................................................................................................... 62 Die schmerzliche Heilung des äußeren und inneren Menschen – die Verwandlung zu Nächsten- und GOTTESliebe .................................................................................................................................................................................. 67 3.2.2.2 Sakramente .......................................................................................................................................... 72 3.2.3 Schrift, Inspiration, Irrtumslosigkeit ................................................................................................. 73 3.2.4 Schrift und Tradition ......................................................................................................................... 74 3.2.5 Lehramt und Unfehlbarkeit................................................................................................................ 75 3.3 "...DAMIT GOTT ALLES IN ALLEM SEI" (1 KOR 15,28) ................................................................................ 77 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 3 3.3.1 Theodizee....................................................................................................................................... 77 3.3.2 Eschatologie ...................................................................................................................................... 80 3.4 THEOLOGIE ALS GLAUBENSWISSENSCHAFT - VERSUCH EINER EINKLEIDUNG DER THEOLOGIE MIT DEM „GEWAND“ DES NEUZEITLICHEN WISSENSCHAFTSPARADIGMAS OHNE ÄNDERUNG DES INHALTS .................... 85 3.4.1 Hinführung .................................................................................................................................... 85 3.4.2 Die Charakteristika von Wissenschaft........................................................................................... 86 3.4.2.1 3.4.2.2 3.4.2.3 3.4.3 Das transzendentalphilosophische Denkmodell im Anschluss an KANT und FICHTE ................ 90 3.4.3.1 3.4.2.2. 3.4.4 Die Hermeneutik als geisteswissenschaftliche Ideologie................................................................... 102 Der Marxismus als ökonomistische Ideologie ................................................................................... 103 Die Theologie als neuzeitliche Glaubenswissenschaft ................................................................ 105 3.4.8.1 3.4.8.2 3.4.8.3 4 Der Positivismus und seine Weiterentwicklungen als naturalistische Ideologie ................................ 99 Der Nationalsozialismus als biologistische Ideologie ....................................................................... 101 Die philosophische Verwendung des geisteswissenschaftlichen Methodentyps .......................... 102 3.4.7.1 3.4.7.2 3.4.8 Der naturwissenschaftliche Methodentyp ............................................................................................ 95 Der geisteswissenschaftlich-empirische Methodentyp ........................................................................ 97 Die Unzulänglichkeit der philosophischen Verwendung von Einzelwissenschaften .................... 98 Die philosophische Verwendung des naturwissenschaftlichen Methodentyps .............................. 99 3.4.6.1 3.4.6.2 3.4.7 Die Ichgewissheit als Basis ................................................................................................................. 90 Die Ichgewissheit als Basis der Einzelwissenschaften ........................................................................ 91 Die Differenzierung der Einzelwissenschaften in Natur- und Geisteswissenschaften ................... 95 3.4.4.1 3.4.4.2 3.4.5 3.4.6 Der vorläufige Unterschied von Alltagswissen / einzelwissenschaftlichem Wissen / Philosophie ..... 86 Die heute üblichen Charakteristika von Wissenschaft ......................................................................... 87 Einzelwissenschaften und Wissen(schaft)stheorie (Philosophie) ........................................................ 88 Die Ichgewissheit als Basis von Religionsphilosophie und Theologie .............................................. 105 Die Wertfrage und die Sonderstellung der wertenden philosophischen Disziplinen ......................... 110 Die Theologie als Wertwissenschaft.................................................................................................. 112 LITERATURVERZEICHNIS................................................................................................................ 115 SELBSTPRÜFUNGSFRAGEN UND LITERATUREMPFEHLUNGEN ................................................... 118 SELBSTPRÜFUNGSFRAGEN FTH ...................................................................................................................... 118 EMPFOHLENE LITERATUR....................................................................................................................... 118 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 4 0. EINFÜHRUNG: GRUNDPROBLEME DER FUNDAMENTALTHEOLOGIE 0.1 VORLÄUFIGE BEGRIFFS"FUNDAMENTALTHEOLOGIE" UND AUFGABENBESTIMMUNG VON 0.1.1 Das "klassische" Verständnis: Theologie ist Glaubenswissenschaft, Fundamentaltheologie deren Grundlegung und Rechtfertigung In der Auseinandersetzung mit Häresien, Judentum und Heidentum versuchten die Christen früh eine rationale Begründung ihres Glaubens, ansatzhaft schon im NT (vgl. 1 Petr 3,15). Da sie sich dazu des wissenschaftlichen Denkens ihrer Zeit, der griechischen Philosophie, bedienen mussten, um intellektuell akzeptiert zu werden, schufen sie etwas Neues - die Theologie als Synthese von biblischem Glauben und griechischer Philosophie. Diese Synthese von Glauben und Philosophie ist, anders als etwa im Fernen Osten (Hinduismus, Buddhismus), im vorderasiatischen und europäischen Raum neu; denn hier war in Griechenland die Philosophie als vernünftige Weltdeutung in ausdrücklicher Konkurrenz zur polytheistischen Religion entwickelt worden. Dabei stand zunächst, besonders im 2.Jh.n., die Apologetik, d.h. die rationale Verteidigung des christlichen Glaubens, im Vordergrund, ab dem 3.Jh.n. (ORIGENES, TERTULLIAN) entwickelte sich eine theologische Systematik, innerhalb derer die Apologetik nur mehr einen Teilbereich darstellte - eine in AUGUSTINUS gipfelnde Entwicklung1. Bisheriger Höhepunkt in der Wissenschaftsgeschichte der Theologie war die Scholastik ("Schulwissenschaft") des Mittelalters, besonders THOMAS v. Aquin, auf den die Definition der Theologie als "Glaubenswissenschaft" zurückgeht (S.th. I 1, 2). Aber obwohl viele Grundsatzfragen der Theologie, die man heute in die Fundamentaltheologie eingliedert, bereits in der Scholastik ausführlich erörtert wurden, entstand noch keine Fundamentaltheologie als eigene theologische Disziplin. Eine ausdrückliche Gliederung der Theologie in Disziplinen erfolgte erst in der Neuzeit - die Bezeichnung "Fundamentaltheologie" taucht überhaupt erst im 2 19.Jh.auf - und ist bis heute nicht abgeschlossen. Diese Zeitverzögerung erklärt sich daraus, dass die Theologie der neuzeitlichen Wissenschaftsentwicklung lange ablehnend gegenüberstand. Doch dürfte die Aufgabenstellung der Theologie im allgemeinen und der Fundamentaltheologie im besonderen leichter einsehbar sein, wenn zuerst einige Grundthemen der Fundamentaltheologie konkret durchgedacht wurden; daher soll die wissenschaftstheoretische Fragestellung auf später (3.4.) verschoben werden. Vorläufig nur so viel: Die Fundamentaltheologie soll die Vernünftigkeit (christlichen) Glaubens ausweisen, und zwar Ausführlicher bei GEERLINGS W., Apologetische und fundamentaltheologische Momente und Modelle in der Geschichte, in: Handbuch der Fundamentaltheologie, Freiburg-Basel-Wien, Bd.4, 1988,317-333. 2 Ausführlicher bei REIKERSDORFER J., Fundamentaltheologische Modelle der Neuzeit, in: s.Anm.1, Bd.4, 348-370. 3Vgl. SECKLER M., Fundamentaltheologie: Aufgaben und Aufbau, Begriff und Namen, in: s.Anm.1, Bd.4, 452-510. 1 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 5 sowohl "nach innen", also als Selbstreflexion der Theologie, mit den Themenkreisen Glaube an GOTT (demonstratio religiosa), Glaube an CHRISTUS (demonstratio christiana), Glaube an den in der KIRCHE wirksamen GEIST (demonstratio catholica), als auch "nach außen", also als Selbstverteidigung der Theologie (Apologetik); da diese Aufgabe umstritten ist, gibt es hier keinen Konsens über die Themenkreise. Wir behandeln diese Thematik in eigenen Vorlesungen, nämlich in der Philosophie der Neuzeit die Auseinandersetzung mit den geschichtsmächtigsten atheistischen Weltanschauungen unseres Jahrhunderts (Positivismus, Nationalsozialismus, Marxismus), in Religionswissenschaft und Ökumenische Theologie die bedeutendsten nichtchristlichen Weltreligionen (Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Islam) & die christlichen Konfessionen & weitere inner- und außerkirchliche religiöse Gruppierungen. 0.1.2 Die Erschwerung von Glauben und Glaubensverkündigung - und damit auch von (Fundamental)Theologie 2in der Neuzeit1345 Verschiedene geistesgeschichtliche Strömungen der Neuzeit problematisierten und problematisieren christlichen Glauben, der im Mittelalter "die" europäische Weltanschauung darstellte: Während man im Mittelalter Gründe gegen den Glauben gebraucht hätte, braucht man heute solche für den Glauben. Will der gläubige Mensch diese Herausforderung annehmen, muss er sich die wichtigsten glaubenshemmenden Strömungen der Neuzeit bewusst machen. Die Säkularisierung („Verweltlichung": zu unterscheiden von Säkularisation, d.i. die Verstaatlichung von kirchlichem Vermögen) ist ein Prozess, durch den sich immer mehr Bereiche aus ihrer kirchlichen Bindung herauslösten (Recht, Politik, Kunst, Sitte und Sittlichkeit, Wissenschaft). Dieser Prozess ist an sich religiösneutral, er ist sogar biblisch grundgelegt, denn nach biblischer Auffassung ist GOTT nicht mit dem Kosmos identisch, sondern entlässt diesen aus Sich als "Schöpfung" und gewährt dieser damit eine gewisse Selbständigkeit. Aber dieser Prozess gestaltete sich in der abendländischen Geschichte so, dass die Lösung aus dem (institutionell-)kirchlichen Bereich zugleich ein Aufgeben der religiösen Bindung und Verbindlichkeit mit sich brachte: aus der berechtigten Säkularisierung wurde ein unberechtigter Säkularismus. Die Fundamentaltheologie muss zeigen, dass der eigentliche "Gegenstand" des Glaubens eine grundsätzlich nicht-säkularisierbare Wirklichkeit und die Verantwortung dieser gegenüber daher unaufgebbar ist, da diese Letztwirklichkeit GOTT ist. Das Vat. II (bes. GS 36) spricht in diesem Zusammenhang von einer relativen Autonomie der irdischen Wirklichkeit - sofern der Schöpfer die Schöpfung aus sich 5 Nach einer von GRESHAKE an der Uni / Wien gehaltenen Dogmatik-Vorlesung F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 6 entlässt, ist sie autonom, sofern Er ihr Schöpfer bleibt, besteht eine Letztbindung an Ihn. Bis in das ausgehende Mittelalter hatte es Meinungsvielfalt nur innerhalb der Einheit des "christlichen Abendlandes" gegeben - durch die Säkularisierung verselbständigten sich unterschiedliche Meinungen als verschiedene Weltanschauungen, die in demselben kulturellen und geographischen Raum unvermittelt nebeneinanderstehen: Dieser Pluralismus führt häufig zu einer Verunsicherung des Einzelnen und zur Gefahr, Einzelbereiche zu verabsolutieren ("Ideologie") Fundamentaltheologie muss zeigen, dass es nur ein Absolutes gibt, und muss, gerade im Dienst dieses Absoluten, einerseits Fehlmeinungen abwehren (Apologetik, Ideologiekritik) und andererseits den Dialog mit anderen Weltanschauungen zu führen suchen (Ökumene im weitesten Sinn). "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung" 6 - Auch die Aufklärung war, zumindest im deutschen Sprachraum, ursprünglich nicht religionsfeindlich, entwickelte sich aber zunehmend in dieser Richtung: Durch die Zentrierung auf den Menschen, seine Vernunft (Mittel) und seine Glückseligkeit (Ziel) bekam GOTT zunächst die Rolle eines Garanten für diese zugewiesen (etwa bei LESSING, z.T. auch bei KANT), wurde aber immer mehr zum "Lückenbüßer" und daher überflüssig; das Problem spitzte sich zu, da diese Meinung erst in unserem Jahrhundert die breite Masse erreicht und gefördert wird durch den Konsum-Materialismus des Westens. Dagegen hat die Fundamentaltheologie zu zeigen, dass hier ein verkürztes Menschen- und Wirklichkeitsbild und eine verkürzte Glücksvorstellung zugrundeliegt, während durch richtig verstandenen Glauben die Bestimmung des Menschen ungekürzt gesehen und gelebt werden kann. Durch den gigantischen Erfolg der neuzeitlichen Naturwissenschaften beanspruchte dieses Wissenschaftsmodell Allgemeingültigkeit, und zwar vielfach nicht nur im Wissenschaftsbereich, sondern als Deutung und Normierung der Gesamtwirklichkeit - an die Stelle der "alleinseligmachenden Kirche" trat die "alleinseligmachende Wissenschaft". Die Naturwissenschaften, weil auf den materiellen Bereich beschränkt, gestatten auch eine Anwendung ihrer Erkenntnisse auf diesen materiellen Bereich in Technik und Wirtschaft, so dass es zu einer gleichzeitigen Verwissenschaftlichung, Vertechnisierung und Verwirtschaftlichung kam. Die zunehmende Einsicht in die Grenzen dieser Wirklichkeitsdeutung führt allerdings nicht automatisch zum Glauben, sondern auch zu anderen verkürzten Wirklichkeitsdeutungen in Theorie (etwa der Marxismus) und Praxis (etwa die westliche Flucht in einen das Denken übertönenden Genuss). 6 KANT, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? A 481 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 7 Fundamentaltheologie hat zu zeigen, dass religiöser Glaube auch - oder gerade angesichts moderner Wissenschaftlichkeit sinnvoll ist, da beide sich auf unterschiedlichen Denkebenen bewegen, und dass Glaube zudem eine sinngebende Lebensorientierung ermöglichen kann. Alle bisher genannten neuzeitlichen Glaubensgefährdungen stellen zugleich unterschiedliche Formen der Religionskritik dar. Hier hat Fundamentaltheologie zu zeigen, dass Kritik an Fehlformen von Religion berechtigt, Religion als solche davon aber nicht zwingend betroffen ist. Diese eben genannten glaubenserschwerenden Strömungen der Neuzeit wurden in den letzten 30 Jahren verschärft – durch die Institutionenkritik der 68ergeneration: Heute scheint es zum intellektuellen Outfit zu gehören, Werte zu relativieren und Institutionen zu kritisieren. Dahinter steht ein langer geistesgeschichtlicher Entwicklungsprozess, den wir eben mit Schlagwörtern wie Säkularisierung, Aufklärung, Pluralismus u.ä. zu charakterisieren versuchten, in ihrem Grundanliegen zunächst durchaus berechtigt, wurden übersteigert – eine Entwicklung, die durch die „emanzipatorischen“ Ideen der 68ergeneration ihren Höhepunkt fand 7. Zunächst auf schmale intellektuelle Kreise beschränkt, erhielten sie erst in den letzten 30 Jahren eine große Breitenwirkung, und zwar durch die Verbindung der Wert- und Institutionenkritik der 68ergeneration mit unserem wachstumsorientierten Wirtschaftssystem, also durch die Verbindung von neomarxistischem Materialismus mit Konsummaterialismus. Denn selbst wenn in einer pluralistischen Gesellschaft von jedem ihrer Mitglieder die Toleranz gefordert ist, die FRIEDRICH d.Gr. am Höhepunkt der Aufklärung in dem bekannten Satz zusammenfasste: jeder solle nach seiner Facon selig werden, ist doch gleichermaßen die vereinfachte Form des KANTschen Rechtsgrundsatzes zu berücksichtigen, dass meine Freiheit dort endet, wo die des anderen beginnt 8. M.a.W.: Eine Gesellschaft kann auf gemeinsame religiöse, vielleicht sogar noch auf gemeinsame sittliche Werte verzichten (Religions- und Gewissensfreiheit), sie muss aber solche Werte anerkennen, die ihre Existenz garantieren – andernfalls hebt sie sich selbst auf. Solche Grundwerte dürfen daher nicht aus einer Religion oder anderen Weltanschauung abgeleitet werden, sondern aus anthropologischen Grundgegebenheiten, die jeder Mensch vernünftiger Weise anerkennen muss oder zumindest müsste. Der Mensch als biologisches Mängelwesen muss diese biologischen Mängel auf anderer Ebene wettmachen, da er sonst nicht überlebensfähig wäre. Zu diesen Mängeln zählt, dass er – im Gegensatz zu höheren Tieren – sekundärer Nesthocker, also sehr lange auf die Betreuung durch bereits erwachsene Artgenossen angewiesen, ist. Der Sozialbedürftigkeit entspricht positiv die Sozialfähigkeit des Menschen. Um Sozialbezüge auf Dauer zu stellen, d.h. um Gesellschaft zu schaffen und zu erhalten, sind zumindest vier Funktionen zu erfüllen: Die Selbstreproduktion durch Zeugung und Erziehung neuer Gesellschaftsglieder. Die Selbsterhaltung durch Arbeit. Der Selbstschutz durch Rechtsnormen. Zu den biologischen Mängeln des Menschen zählt auch die Reduktion seiner Instinktsteuerung und Umweltangepasstheit, ein Mangel, der durch den Aufbau einer Erkenntnis- und Handlungsstruktur wettgemacht werden kann und muss. Das gilt auch für die eben genannten drei Grundfunktionen: Er muss auch lernen, diese drei Funktionen wissentlich und willentlich zu bejahen – was eine vierte Grundfunktion darstellt: Die Selbstdeutung durch Werte, die zumindest die drei vorhergehenden Funktionen einschließen Der leichteren Erfüllung dieser Grundfunktionen dienen Institutionen, das sind „stereotype Modelle von Verhaltensfiguren“9. In amüsanter Weise dargestellt von RÖHL K.R., Linke Lebenslügen, Frankfurt 1995, 5.Aufl., der als Ex-Ehemann von Ulrike MEINHOF viel Interessantes aus eigener tragik-komischer Lebenserfahrung zu berichten weiß. 8 KANT I., Jeder, der in Vergesellschaftung mit anderen leben will, muss seine Freiheitsäußerungen so weit einschränken, dass sie mit denen der anderen Mitglieder dieser Gesellschaft zusammenbestehen können, Metaphysik der Sitten, AB 33 f. 9 GEHLEN A., Mensch und Institutionen, in ders.: Anthropologische Forschung, Reinbek bei Hamburg 1961, 70. 7 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 8 Obwohl vom Menschen geschaffen, haben sie sich gewissermaßen verselbständigt. Sie helfen ihm daher beim Aufbau seiner Verhaltensstruktur und haben insofern eine anthropologisch unverzichtbare Entlastungsfunktion. Den Grundfunktionen entsprechen daher Grundinstitutionen, etwa Ehe und Familie dienen der Selbstreproduktion, Schule, Betriebe, Spitäler der Selbsterhaltung, der Rechtsstaat (und entsprechende Unter-Institutionen) dem Selbstschutz und weltanschauliche Organisationen, sofern sie die genannten Grundwerte bejahen und fördern, dienen der gesellschaftsstabilisierenden Selbstdeutung 10. Institutionen sind also der künstliche Ersatz für die fehlende Instinktsteuerung des Menschen und insofern notwendig. Sekundär aber können sie, weil sie langlebiger und weniger flexibel sind als das Individuum, die Funktionen überleben, zu deren Stabilisierung sie beitragen sollten, und so zu einem gesellschaftlichen Korsett erstarren. Diese Ambivalenz von Institutionen führte zu unterschiedlichen Formen von Institutionenkritik. Während GEHLEN11 in einer systemimmanenten Institutionenkritik gesellschaftserhaltende Institutionen für grundsätzlich zu akzeptieren, aber für immer verbesserungsbedürftig hielt, ging die 68ergeneration besonders im Anschluss an HABERMAS 12 den extremeren Weg der systemtranszendenten Institutionenkritik: Der gesellschaftlich geforderte Triebverzicht, der den einzelnen in die Neurose treibt, treibt die Gesellschaft zur Schaffung von Institutionen – Institutionen sind also Gesellschaftsneurosen; dabei entspricht dem Wiederholungszwang der Neurose die Verhaltensstabilisierung durch Institutionen13. Die Emanzipation von der Entfremdung erfordert daher eine Zerstörung aller gesellschaftlich anerkannten Institutionen 14. Inzwischen sind mehr als 30 Jahre vergangen. Wie hat sich die systemtranszendente Institutionenkritik praktisch ausgewirkt? RÖHL, der Ex-Ehemann von Ulrike MEINHOF, bringt dafür zahlreiche konkrete Beispiele. Diese Institutionenkritik ist innerhalb der letzten 30 Jahre für unsere Ohren sehr plausibel geworden, weil sie – in einfacherer Sprache als bei HABERMAS und vor allem ohne linke Etikettierung - mittlerweile über all unsere Medien transportiert wird. Kein Wunder – sind doch die wilden Studenten der 68erjahre mittlerweile in gehobenen Positionen etabliert, besonders in solchen der Medienszene, aber auch in Politik und Wirtschaft. Hier liegt wohl die größte Gefahr der 68erjahre: Es fand keine Revolution mit rascher Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse statt – denn eine solche hätte man erkennen, prüfen und abwehren können -, sondern eine schleichende Reformation, durch die vieles ungeprüft zur Gewohnheit wurde. Oder, plakativer formuliert: die erfolglose Revolution wurde zur erfolgreichen Reformation. Die zunehmende Zerstörung von gesellschaftsnotwendigen Institutionen hinterlässt Lücken, die von HABERMAS´ vagen Gesellschaftsträumen nicht gefüllt werden konnten. Für diese „Marktlücke“ des Materialismus marxistischer Prägung bot sich eine handfestere Füllung, die für den Konsummaterialismus westlicher Prägung typische Allianz von Naturwissenschaften („Wertfreiheit“), Technik („Machbarkeit“) und Wirtschaft („Wachstums- und daher Konsum-orientierung“). Der biologische Triebüberschuss des Menschen wird von ihm als unendliche Sehnsucht erlebt – doch wird sie von immer weniger Menschen religiös, d.h. als Sehnsucht nach dem Unendlichen, gedeutet. Denn die Werbung liefert ein wirtschaftsförderndes, materialistisches Versprechen freihaus - die unendliche Sehnsucht durch unendlich viele materielle Güter zu befriedigen - und kurbelt die Wirtschaft gerade durch die Nichteinlösbarkeit dieses Versprechens an. Eine „Heilung“ dieser wert-, institutions- und damit selbstzerstörerischen Tendenzen unserer Gesellschaft dürfte nicht leicht sein. – Aber: Wäre dann nicht gerade Kirche „die“ Heilungsinstitution? Und ist es bloßer Zufall, dass die systemtranszendente Institutionenkritik sich besonders gern gegen die Kirche wendet? Dies erklärt, warum etwa die Katholische Kirche von Rechtsstaaten anerkannt wird, gewisse den Staat ablehnende Sekten nicht; oder warum nicht alle politischen Parteien in einem Rechtsstaat zulässig sind – nämlich solche nicht, die den Rechtsstaat ablehnen. 11 S.o., Anm.8. 12 Besonders in seinem Hauptwerk: Erkenntnis und Interesse, Frankfurt 1968. – Fairerweise muss hinzugefügt werden, dass HABERMAS in seiner Hinwendung zur Diskursethik fast einen Bekehrungsprozess durchgemacht hat, was aber seine Mitverantwortung für die 68erjahre nicht aufheben kann. 13 HABERMAS J., Erkenntnis und Interesse, 335-337. 14 Ebd., 337. 10 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 9 Durch diese spezifisch neuzeitlichen Probleme wird die grundsätzliche Aufgabenstellung der Fundamentaltheologie zwar nicht verändert, doch erschwert: Man kann nicht mehr unproblematisch mit dem Traktat "Glaube an GOTT" beginnen, sondern muss zuerst die Möglichkeitsbedingungen von "Glauben" ausweisen, was im folgenden Abschnitt (0.2) versucht werden soll. ZUSAMMENFASSUNG: Theologie = Glaubenswissenschaft, Fundamentaltheologie = Grundlegung der Theologie, sowohl als Selbstreflexion als auch als Selbstverteidigung. Problematisierung in der Neuzeit durch Säkularisierung Pluralismus Aufklärung Verwissenschaftlichung/Vertechnisierung/Verwirtschaftlichung Religionskritik 0.2 DIE FUNDAMENTALTHEOLOGISCHE GRUNDFRAGE: WAS BEDEUTET "GLAUBEN"? 0.2.1 Gesucht: Ein Mittelweg zwischen Rationalismus und Fideismus Spätestens seit der aristotelisch-thomistischen Unterscheidung von Zweifel / Meinung / Wissenschaft und der Bestimmung des Glaubens als Höchstform des Wissens lag das - von THOMAS übrigens nie vertretene - Missverständnis nahe, den Glauben nicht als eigene Bewusstseinsart anzuerkennen, sondern ihn rational beweisen zu wollen (Rationalismus). Dagegen wurde immer wieder, schon seit TERTULLIANs "credo quia absurdum", besonders aber in der Reformation (LUTHER "Hure Vernunft") und im (christlichen) Existentialismus, versucht, den Glauben als Gegensatz zum Wissen zu verstehen, wodurch Glaube letztlich zu einem irrationalen und damit unverantwortbaren Lebensexperiment wird (Fideismus). Beide Extremmeinungen sind berechtigt kritisierbar. Das Verhältnis von Glauben und Wissen genauer zu bestimmen, ist daher die Grundaufgabe der Fundamentaltheologie, deren Klärung allen weiteren Themen voraus gesetzt ist. Dabei müsste sich der Glaube als eine Sonderform des Wissens erweisen lassen, die einerseits nicht als notwendig beweisbar sein dürfte - sonst wäre Glaube unfrei -, andererseits aber als sinnvoll ausweisbar sein müsste - sonst wäre Glaube unverantwortbar. Gerade im Vollzug dieser Grundaufgabe ist Fundamentaltheologie am stärksten "philosophisch", da es hier ja um eine allgemein wissenschaftstheoretische - oder besser: wissenstheoretische - Frage geht. Es versteht sich von selbst, dass bei diesen grundlegenden Überlegungen (noch) nicht biblisch argumentiert werden darf, da zu Glauben im allgemeinen und zu biblischen Glauben im besonderen ja erst hingeführt werden soll. In der Theologie spiegelt sich dies in der Unterscheidung von philosophischer / theologischer GOTTESlehre wider.14 Literaturempfehlung: MUCK O., Philosophische GOTTESlehre, Düsseldorf 1990, 2.Aufl.; VORGRIMLER H., Theologische GOTTESlehre, Düsseldorf 1993, 3.Aufl. -Ausführlicher bei FRIES H., 14 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 10 Grundaufgabe der Fundamentaltheologie: Bestimmung des Verhältnisses von Glauben und Wissen. Gesucht: Glauben als Sonderform des Wissens 0.2.2 Glaube als Du-Glaube Wer hätte sich noch nie über den Satz "Glauben heißt nichts Wissen" geärgert? Dieser bekannte Satz definiert - ausdrücklich oder stillschweigend - Wissen als "Gewissheit von Etwas als wahr", Glauben hingegen als bloßes "Meinen von Etwas als wahr", also als minderwertige Form des Wissens. Da "wissbar" zunächst nur das erscheint, was wir -mittelbar oder unmittelbar - sinnlich wahrnehmen können, scheint Wissen und damit Wissenschaft auf den sinnlich wahrnehmbaren (materiellen, empirischen) Wirklichkeitsbereich eingeschränkt - und GOTT bestenfalls Gegenstand bloßen Meinens sein zu können. Aber: Diese scheinbar so plausible und heute so verbreitete Ansicht greift zu kurz, da sie eine Reihe wirklicher Erfahrungen des Menschen so nicht erklären kann, und erweist sich dadurch selbst als bloße Meinung. Denn schon im Alltag kennen wir alle eine andere Form des Glaubens, die nur in der deutschen Sprache vom Wort her nicht unterschieden ist - das Vertrauen in ein Du. Von der Ungenauigkeit des Wortes "glauben" ist vor allem die deutsche Sprache betroffen; im Lateinischen sind opinari und credere ( cor-dare = das Herz schenken), im Englischen to mean und to believe (verwandt mit to love) unterschieden. Im Hebräischen bedeutet 'aman neben "glauben" auch "fest sein, gegründet sein, verankert sein" und gehört sprachlich zu Amen "so ist es, so sei es". Auch wenn eine Person als Person nicht in gleicher Weise erkannt werden kann wie ein Gegenstand, sondern nur, wenn sie sich mir "offenbart", ist das spezifische "Erkennen" der Person nicht weniger "wirklich" und schon gar nicht weniger "wichtig" als das von Gegenständen. Daher lässt sich gegen die pseudo-wissenschaftliche Voraussetzung, dass nur empirisch Wahrnehmbares wissbar und daher die empirische Wirklichkeit die einzig mögliche sei, schon von unseren bisherigen Überlegungen einwenden: Wenn wir von unserer unverkürzten Alltagserfahrung ausgehen und diese kritisch überdenken, zeigen sich uns zwei Arten von Wirklichkeitserfahrung, nämlich Sachwissen und Personwissen; damit zwei Aspekte der Wirklichkeit, ein materieller oder immanenter und ein geistiger oder transzendenter. So zeigt das Nachdenken über einfache Alltagserfahrungen, die schon ein Volksschüler macht, dass Wirklichkeit nicht auf materielle Wirklichkeit reduzierbar ist ! Auch die Bezogenheit beider Wissensarten ist bereits im Alltag erfahrbar: Eine Person kann offenbaren: "etwas" - ein Sachwissen, das prinzipiell auch anders gewinnbar und nach richtig/falsch beurteilbar ist; ein noch ungesichertes Sachwissen ist Glauben im Sinne von "Meinen"; "sich" - eine solche Selbstmitteilung ist nicht durch eine andere Art der Wissensgewinnung ersetzbar und nicht nach richtig/falsch beurteilbar, sondern es Fundamentaltheologie, Graz- Wien-Köln 1985, besonders im Kapitel "Der Glaube als personaler Akt",18-27. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 11 ist aus den Erfahrungen mit einer Person auf ihre Wahrhaftigkeit rückzuschließen; ein solches Person-Wissen ist als Du-Glaube im Sinne von "Vertrauen" eine eigene und bedeutsame Art des Wissens, die, weil nicht rein materiell begründbar, einen Transzendenzbereich der Wirklichkeit erschließt. ZUSAMMENFASSUNG: Die absolute Gegenüberstellung von Glauben/Wissen ist unhaltbar. Glauben (im Sinne von Vertrauen) ist keine minderwertige Art des Wissens (wie Glauben im Sinne von Meinen), sondern eine berechtigte und wichtige Sonderform des Wissens. Bereits der Du-Glaube im menschlichen Bereich weist über die empirische (materielle) Wirklichkeit hinaus, eröffnet also einen Transzendenzbereich. Offen sind nach dieser 1. Überlegung noch die Fragen: Wie verhält sich der Transzendenz- zum Immanenzbereich ? Ist der Transzendenzbereich personhaft zu denken? 0.2.3. Glaube und Sinnfragen 15 Zur Methode: Wir haben die Meinung, Glaube sei minderwertiges Wissen, dadurch widerlegt, dass wir unsere eigene Alltagserfahrung genauer überdachten. Diese Vorgangsweise soll zunächst (bis 0.2.5) beibehalten werden, weil dieser "anthropologische Ansatz" zu den typisch neuzeitlichen Forderungen an Philosophie und alle mit dem Menschen befassten Wissenschaften gehört. Wir müssen daher weitere Alltagserfahrungen aufweisen, die nicht empirisch begründet werden können, die also Hinweise auf Transzendenz sind - genauer: die zeigen, dass Wirklichkeit mehr ist als Empirie, d.h. mehr, als mit den Sinnesorganen erfahrbar ist. Wir bewerten unsere konkreten Erfahrungen - meist unbewusst - als sinn-voll (Glück, Liebe) oder sinn-los (Unglück, Leid, Tod). Wir begnügen uns also nicht damit, dass eine Erfahrung so ist und nicht anders, sondern urteilen, wie eine Erfahrung sein sollte / nicht sein sollte. Damit setzen wir als umfassenden Beurteilungsmaßstab für die einzelnen Erfahrungen "Sinn" voraus, und zwar umfassend in doppelter Bedeutung: dass dieser Maßstab auf alle mir möglichen Erfahrungen anwendbar ist und dass er ihnen gegenüber ein uneinholbares Ganzes darstellt (ein geglücktes Leben ist nicht daraus "zusammensetzbar", dass man oft "Glück hatte"); ja, es ist sogar gerade umgekehrt: es gibt nur unter der Voraussetzung eines Sinnganzen einzelne Sinnerfahrungen, da, wenn das Ganze des Lebens sinnlos wäre, Teilerfahrungen nicht sinnvoll sein bzw. nicht als sinnvoll beurteilt werden könnten. Weil nun Sinn eine allgemeine Beurteilungsnorm bildet, kann er nicht auf derselben Ebene liegen wie die von ihm beurteilten Erfahrungen. Das zeigt sich auch daran, dass wir nie "den" Sinn erfahren, sondern immer "Etwas" als sinnvoll / sinnlos. Dieser "Sinn" transzendiert also die einzelnen Erfahrungen, die nach ihm als Norm bewertet werden. Da "Sinn" die Erfahrungsebene transzendiert, ist die Sinnfrage auch nicht auf der Ebene der Erfahrungswissenschaften lösbar: "Wir B.-SCHMIDT J., Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, Freiburg-Basel-Wien 1975. Vgl. dazu auch FRIES H., Fundamentaltheologie, sAnm 14, 27- 37. Ausführlicher: GROM 15 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 12 fühlen, dass selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind" sagt WITTGENSTEIN 16. Weil Sinn die Erfahrungsebene transzendiert, kann er als solcher nicht "bewiesen" werden. Es kann nur indirekt gezeigt werden, dass die gegenteilige Annahme, "alles ist sinnlos", in sich widersprüchlich ist: Denn entweder beansprucht sie zumindest für sich selbst Sinn, dann hat sie Sinn bereits vorausgesetzt, oder es ist wirklich alles sinnlos, dann auch sie selbst. Abgesehen von dieser logischen Überlegung setzt der Mensch, um überhaupt leben zu können, praktisch immer schon Sinn voraus ("Urvertrauen zum Leben": KÜNG, WELTE), auch wenn er dies nicht merkt oder leugnet. Durch den Aufweis eines die Erfahrungsebene transzendierenden Sinns sind wir einen Schritt weitergekommen: Dieser Sinn zeigt nicht nur, dass Wirklichkeit nicht auf Erfahrungswirklichkeit beschränkbar ist, sondern stellt für die Erfahrungswirklichkeit eine wesentliche Beurteilungs-Norm dar: "Sinn" ist ja der immer schon vorausgesetzte Maßstab, mit dem wir unsere Erfahrungen bewerten. ZUSAMMENFASSUNG: "Glauben" kann auch bedeuten "Vertrauen in einen Gesamtsinn"; dieser Sinn transzendiert nicht nur die Erfahrungswirklichkeit, sondern stellt eine Norm oder ein Bewertungskriterium für sie dar. Noch offen: Ist dieser umfassende Sinn zugleich als absolutes Du zu verstehen ? (Vgl. u., 0.2.4) Bei den meisten unserer Erfahrungen wird uns kaum ausdrücklich bewusst, dass wir sie als sinnvoll / sinnlos bewerten - wir gehen mit einem "Da hab' ich aber Glück gehabt!" / "Warum musste das gerade mir passieren?" zur Tagesordnung über. Doch gibt es im menschlichen Leben auch solche Erfahrungen, die uns die Sinnfrage ausdrücklich stellen lassen, weil sie uns unsere Grenzen erlebbar machen. Sie werden daher auch Grenzerfahrungen genannt. Dafür einige Beispiele: Leid in seiner schrecklichen Vielfalt ist nur in den seltensten Fällen als sinnvoll ausweisbar (Strafe, Sühne, Möglichkeit menschlichen Reifens). Meist aber erscheint es uns, zumindest in dieser Welt, als sinnlos. Die Frage nach dem Leid hat den Menschen daher immer wieder und schon sehr früh beschäftigt - man denke an das Buch "Ijob". Und die Leidfrage hat sich gerade angesichts der GOTTESfrage zugespitzt, das Leid wurde für viele zum "Felsen des Atheismus" (BÜCHNER). Die spezifisch christliche Antwort auf die Theodizeefrage, d.h. die Frage, wie GOTT angesichts des scheinbar sinnlosen Leides in der Welt gerechtfertigt werden könne, ist Seine Menschwerdung in JESUS CHRISTUS, worauf im Kapitel 3.3.1 unter Einbezug der biblischen Offenbarung noch näher eingegangen wird. Noch weniger als das Leid lässt sich der Tod als immanent-sinnvoll ausweisen, d.h. zeigen, dass der Tod in dieser Welt einen Sinn hat. – Denn einerseits ist ein unter irdischen Bedingungen end-los fortlaufendes Leben selbst bei guter Gesundheit sinnlos (tiefsinnig ausgeführt in Simone de BEAUVOIRs Roman "Alle Menschen sind sterblich"). Verleiht doch erst unser Bewusstsein, für all unsere Aufgaben nur eine bestimmte Zeitdauer Verfügung zu haben, diesen Aufgaben Verbindlichkeit. Am deutlichsten wird das sicher bei 16 WITTGENSTEIN L., Tractatus 6.52. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 13 zwischenmenschlichen Beziehungen: Wenn ich ebenso gut in einigen Millionen oder Milliarden Jahren jemandem helfen, ein Versprechen einlösen, heiraten, mich um einen Kranken kümmern etc. könnte - warum sollte ich dies alles dann jetzt schon tun ? Wenn ich aber alles beliebig lang aufschieben kann - wie erlebe ich dann jetzt meine Zeit ? Andererseits: Ein Leben, das mit dem Tod enden würde, hätte keinen endgültigen Sinn. Endgültigkeit muss das Ganze des Lebens betreffen, und diese Ganzheit ist zu keinem Zeitpunkt des Lebens gegeben, sondern bleibt, bis zum Tod, aufgegeben. M.a.W.: Der Tod, der jedem Geschöpf gewiss ist, kann nur dann als sinnvoll ausgewiesen werden, wenn er einerseits die der Zeit unterworfene irdische Daseinsform beendet, andererseits aber kein absolutes Ende darstellt, sondern das Endgültig-Werden und das Zeitlos-Werden des Lebens. 17 Auch Liebe (gemeint ist echte Liebe und nicht ein bloßer Hormonstau) leidet an der ihr in dieser Welt auferlegten Endlichkeit. Daher hat jeder Mensch das Empfinden, in dieser Welt weder genug Liebe empfangen noch geschenkt zu haben. Liebe strebt nach Unendlichkeit 18. Dieses Unendlichkeitsstreben des Menschen, das gerade an der Liebe besonders deutlich erfahrbar wird, kann vom Menschen auch fehlgedeutet werden, was der Philosoph FICHTE 19 anschaulich beschreibt: Menschen, die verkennen, dass ihre Sehnsucht auf Unendlichkeit ausgerichtet ist, und meinen, sie mit etwas Endlichem befriedigen zu können, begeben sich mutig "auf diese Jagd der Glückseligkeit, innig sich aneignend und liebend sich hingebend dem ersten besten Gegenstande, der ihnen gefällt. ...Aber sobald sie einkehren in sich selbst und sich fragen: bin ich nun glücklich? - wird es aus dem Innersten ihres Gemüts vernehmlich ihnen entgegentönen: o nein, du bist noch ebenso leer und bedürftig als vorher. Hierüber mit sich im reinen, meinen sie, dass sie nur in der Wahl des Gegenstandes gefehlt haben, und werfen sich in einen andern. Auch dieser wird sie ebensowenig befriedigen, als der erste: kein Gegenstand wird sie befriedigen, der unter Sonne oder Mond ist". Den Grenzerfahrungen, mögen sie nun negativ (Leid, Tod) oder positiv (Liebe) sein, ist also gemeinsam, dass sie uns unsere Endlichkeit schmerzlich spürbar machen was zeigt, dass wir - trotz aller Endlichkeit - auf Unendlichkeit ausgerichtet sind: Gerade in den Grenzerfahrungen erleben wir unsere Endlichkeit nicht als absolutes Ende, sondern eben als Grenze - als Grenze zur Unendlichkeit. Auch Grenzerfahrungen sind folglich Hinweise dafür, dass Wirklichkeit mehr ist als empirische Realität; damit bestätigen sie aber nicht nur die bisherigen Überlegungen zu Du- und Sinn-Erfahrungen, sondern führen zugleich etwas weiter: Hatten die DuErfahrungen auf einen Transzendenz-Bereich der Wirklichkeit verwiesen und die Sinn-Erfahrungen diesen Transzendenz-Bereich als den Immanenz-Bereich Ausführlicher etwa bei GRESHAKE G., Stärker als der Tod, Mainz 1976, und KÜNG H., Ewiges Leben ? München-Zürich 1982."Wenn mit dem Tod alles aus ist, wird das Leben sinnlos" .. ; also darf mit dem Tod nicht alles aus sein", sagte BLOCH (Das Prinzip Hoffnung, Frankf.1959, 1301). Dazu ergänzend SPLETT: da das Leben immer wieder Sinn zeigt, kann mit dem Tod nicht alles aus sein (Über die Möglichkeit, GOTT heute zu denken, in: Handbuch der Fundamentaltheologie, vgl. Anm.1, Bd I,152). 18 Zur Liebe als Sinngebung des Leides vgl. GRESHAKE G., Der Preis der Liebe, Freiburg i.Br. 1978. 19 FICHTE J.G., Anweisung zum seligen Leben, SW V, 408. 17 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 14 normierend ausgewiesen, so machen die Grenzerfahrungen auf die Offenheit und Verwiesenheit der Immanenz auf Transzendenz aufmerksam. ZUSAMMENFASSUNG: Erfahrungen, die uns die Begrenztheit irdischer Daseinsbedingungen erleben lassen, nennt man Grenzerfahrungen. Sie verweisen damit nicht nur auf Transzendenz, sondern sind Zeichen dafür, dass Immanenz auf Transzendenz ausgerichtet ist, dass Immanenz in Transzendenz ihren endgültigen Sinn findet. 0.2.4 Gewissen und absolutes Du Eine wesentliche Grenzerfahrung blieb noch unerwähnt: die der Schuld. Gerade wenn der Mensch sich schuldig fühlt, fühlt er seine Begrenztheit: Er hat nach seiner Überzeugung handeln wollen und hat dies - aus welchen Gründen auch immer nicht geschafft; und er hat durch sein Versagen vielleicht unwiderruflich etwas Positives zerstört oder etwas Negatives hervorgerufen. Diese Grenzerfahrung des Schuldig-Werdens setzt zweierlei voraus: dass man anders hätte handeln können, also Freiheit, und dass man anders hätte handeln sollen , also eine verbindliche, nicht aus der bloßen Handlungsabsicht ableitbare Norm. Beides wurde und wird gerade in unserem Jahrhundert, zumeist in Weiterführung FREUDscher Gedanken, vielfach geleugnet: menschliches Verhalten sei durch das Zusammenwirken von Erbanlagen ("Es") und Milieu ("Über-Ich") determiniert, d.h. zwingend bestimmt; Handlungsnormen wären daher grundsätzlich als verinnerlichte Handlungsforderungen der Gesellschaft zu verstehen. Dagegen lässt sich einwenden: Gerade die moderne Anthropologie, Humanbiologie und Verhaltensforschung20 hat anhand des Unterschieds von Mensch und Tier nachgewiesen, dass das FREUDsche Vorstellungsmodell zu kurz greift und wesentliche Aspekte des Menschseins übersieht: Das Verhalten des Menschen lässt sich nicht - wie das des (wild lebenden) Tieres - aus dem Reiz-Reaktions-Schema lückenlos erklären. Dieses Schema besagt, dass auf jeden Umweltreiz zwingend die entsprechende Reaktion erfolgt; man spricht daher auch von "Schlüsselreizen", weil Reiz und Reaktion aufeinander so abgestimmt sind wie Schlüssel und Schloss. Der Mensch aber besitzt nur mehr Instinktreste, die allein sein Verhalten nicht zureichend steuern könnten - genauer: bei ihm ist das Reiz-Reaktions-Schema durchbrochen. Reize werden bewusst (biologische Basis des Verstandes) und damit aus Handlungszwängen in bloße Handlungsmöglichkeiten verwandelt (biologische Basis des Willens). Der Mensch braucht daher schon zum bloß biologischen Überleben Verstand und Willen, die freilich immer auf Erbanlagen und Umwelt bezogen bleiben. Damit wäre für die Grenzerfahrung der Schuld erst geklärt, dass der Mensch kann, aber noch nicht, wie er handeln soll. 20 Hier sind vor allem A. GEHLEN und K.LORENZ zu nennen. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 15 Wären Verstand und freier Wille aber nur Ersatz für eine mangelhafte Triebstruktur, wäre das eine schlechter Tausch gegenüber der Tierwelt. Selbst- und Arterhaltung sind durch eine intakte Triebstruktur besser zu gewährleisten als durch Verstand und Willen. Denn weil die Umweltreize den Menschen nicht zwingen, kann sich der Mensch auch für schädliche Reize entscheiden; und weil er nicht automatisch reagiert, kann er seine Triebe und Wünsche beliebig vervielfältigen. Haben Verstand und Willen vielleicht einen anderen Zweck? Diese Frage führt auf die weitere Frage, wie der Mensch seine Wahrnehmungs- und Handlungsstruktur aufbauen, wie er Verstand und Willen gebrauchen soll. Eine erste Antwort liefert die notwendige Gemeinschaftsbezogenheit des Menschen. Während Tier"staaten" automatisch, weil instinktgesteuert, funktionieren, befindet sich der Mensch in einer weit schwierigeren Situation: Einerseits ist er wesentlich und nicht bloß zufällig ein "zoon politikon", ein geselliges Lebewesen (ARISTOTELES), das nur unter Menschen zum Menschen werden kann (KANT): dies wurde auch naturwissenschaftlich vielfach bestätigt; andererseits ist der "Naturzustand", d.i. der (noch) nicht bewusst und freiwillig normierte Zustand, zumindest der Möglichkeit nach ein Kriegszustand (so KANT in Abschwächung von HOBBES). Daraus folgt, dass der Mensch jede Form von Gemeinschaft bewusst und frei bilden muss. Unverzichtbare Voraussetzung dafür ist, dass zusammenlebende Menschen solche Normen anerkennen, die ein möglichst konfliktfreies Zusammenleben überhaupt erst ermöglichen: diese Normen werden als Gesetze bezeichnet. Sie ersetzen somit die reduzierte Instinktsteuerung des Menschen und sind insofern nicht "natürlich". Sie sind aber auch - entgegen rechtspositivistischen Annahmen - nicht völlig willkürlich, sondern müssen, eben um Gesetze zu sein, bei aller historischen und kulturellen Verschiedenheit dem einen Ziel dienen, das friedliche Zusammenleben von Menschen zu ermöglichen. Dieses Ziel ist daher der allgemeine Beurteilungsmaßstab ("Rechtsgrundsatz"), ob ein konkretes Gesetz rechtens ist oder nicht: Der Mensch muss seine Freiheitsäußerungen so weit einschränken, dass sie mit denen der anderen mit ihm zusammenlebenden Menschen gemeinsam bestehen können (vgl. KANT, KdrV, A 316, B 373 u.ö.). Einfacher: Meine Freiheit endet dort, wo die des anderen beginnt. Dieser Rechtsgrundsatz schließt die sog. Grundrechte ein: Jeder Mensch muss über seinen eigenen Körper und über einen Teil seiner gegenständlichen Umwelt als Eigentum verfügen können - sonst könnte er seine Freiheit nicht realisieren -, und der Schutz dieser Verfügung muss gewährleistet sein. Über die Quantität des Eigentums und die Qualität des Verfügungsrechtes ist damit noch nichts ausgesagt: dies muss durch konkrete Gesetze geregelt werden. Aber: Wie kann der Schutz der Grundrechte und auch der weiterer Gesetze sichergestellt werden? Dazu bedarf es einer eigenen Institution, deren Grundaufgabe es ist, den Rechtszustand zu erhalten oder zumindest nach etwaigen Verletzungen wiederherzustellen, und die mächtig genug ist, dass sie das immer kann. Eine solche Institution nennen wir Staat. Daher kann die grundsätzliche Notwendigkeit eines Staates sinnvoller Weise nicht abgelehnt werden, wohl aber die jeweilige Konkretisierung desselben - bis hin zum Widerstandsrecht. Die erste Antwort auf die Frage, nach welchem Kriterium wir unsere Erkenntnis- und Handlungsstruktur aufbauen sollen, wäre demnach: Wir sollen verallgemeinerungsfähig im Sinne des Rechtsgrundsatzes handeln und den Staat als Rechtsgesellschaft anerkennen. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 16 Da das Recht nur das Äußere menschlicher Handlungen betrifft, ist es kontrollierbar, und da es zum gewaltfreien Zusammenleben nötig ist, ist es erzwingbar. Man nennt dies die Sanktionsfähigkeit des Rechts. Genau hier endet auch die staatliche Macht. Denn das Innere der Handlungen, die Gesinnung, ist dem Staat unzugänglich, da es weder äußerlich kontrollierbar noch gewaltsam erzwingbar ist. Und gerade deshalb weist das Recht notwendig über sich hinaus: Würden in einem Staat lauter Menschen leben, die das Recht innerlich ablehnen und nur äußerlich dazu gezwungen werden müssten - wer zwingt dann wen ? Damit friedliches Zusammenleben also funktionieren kann, muss die Mehrheit von konkret zusammenlebenden Menschen die Verallgemeinerungsfähigkeit des Handelns frei und innerlich bejahen. Daher macht gerade die Gesinnung den Wert einer Handlung aus. Dies hat schon JESUS in den sog. Antithesen der Bergpredigt betont (Mt 5,21-48), in denen Er eine bloß buchstäbliche Gesetzeserfüllung für unzureichend erklärt und eine dem Gesetz entsprechende Gesinnung fordert. Philosophisch begründet hat den Unterschied und die Bezogenheit von Recht und Sittlichkeit vor allem KANT (bes. in GMS und KdpV), dessen Überlegungen ich nur vereinfacht darstellen - und dadurch auch zu einer Differenzierung von Gewissen / Über-Ich kommen möchte. Der Kategorische Imperativ (Singular!) sagt, welche Handlung in einer bestimmten Situation als Selbstzweck angesehen werden muss - d.h. sie soll schlechthin ("kategorisch") getan werden, ohne Rücksicht auf etwaige Vor- oder Nachteile. Die KANTsche Formulierung klingt etwas barock:"Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die <von der> Du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde" - einfacher und moderner ausgedrückt: Handle so, wie jeder Mensch an Deiner Stelle handeln müsste. Das entspricht ganz der biblischen Forderung "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst". Denn allgemeingültiges Handeln bedeutet ja, sich selbst keine "Privilegien" herauszunehmen, die man anderen nicht zubilligt. Man kann leicht die Gegenprobe machen: Wer eine moralische Verfehlung („Schuld“) begeht (von "Sünde" sollte man erst auf religiöser Ebene sprechen: Sünde meint Absond-erdung von GOTT, d.h. umfasst Schuld & Leid & Tod), will ja nicht, dass alle anderen auch schuldig werden - sonst würde ihm seine Schuld ja keinen Vorteil mehr einbringen - , sondern er will bloß für sich eine Ausnahme. Das Moralgesetz (Singular !) ist also die Forderung nach allgemeingültigem Handeln, und zwar das Äußere (Tat) und Innere (Gesinnung) der Handlung betreffend, und ist insofern formal. Sowohl die Betonung der Gesinnung als auch die Formalität wurde KANT vorgeworfen - zu Unrecht: Die Betonung der Gesinnung ("Gesinnungsethik") heißt ja nicht, dass man seine gute Gesinnung nicht verwirklichen müsste, sondern grenzt Recht und Sittlichkeit sinnvoll ab: das Recht kann sich wegen seiner Sanktionsfähigkeit nur auf das Äußere der Handlung, auf die Tat, beziehen, die Sittlichkeit hingegen betrifft nicht nur die Gesinnung, sondern die Einheit von Gesinnung und Tat - deshalb ist eine sittliche Handlung immer zugleich rechtlich, aber nicht umgekehrt. Das ist gut biblisch, zumindest ntl. (vgl. die Antithesen der Bergpredigt). Die Formalität aber gehört notwendig zur Allgemeingültigkeit: Denn erstens sind inhaltliche moralische Vorschriften (Fachausdruck: materiale Wertethik) eben aufgrund ihrer Inhaltlichkeit situations- und kulturabhängig und damit eben nicht allgemeingültig. Zweitens würden inhaltliche Handlungsvorschriften, wenn man sie als Gesetz und nicht als Ratschlag versteht, das Gewissen überspringen. Gerade dieses aber ist zur F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 17 Realisierung von Sittlichkeit unerlässlich. Es soll ja in unendlich mannigfaltigen Situationen sittlich gehandelt werden. Dabei stellt sich folgende Schwierigkeit ein: Das Sittengesetz, wie es der Kategorische Imperativ formuliert, ist, drückt ein Sollen aus, doch formal. Die konkreten Handlungssituationen sind zwar inhaltlich bestimmt, doch sind ihre Bestimmungen Seinsbestimmungen. Zwischen beiden Bereichen, die im wirklichen sittlichen Handeln zusammengebracht werden müssen, kann kein Ableitungsverhältnis bestehen, weil weder aus einem formalen Sollen inhaltliche Forderungen ableitbar sind noch aus inhaltlichen Seinsbestimmungen ein Sollen. Da also kein mittelbarer Zusammenhang zwischen beiden Bereichen herstellbar ist, muss zwischen ihnen ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen: Es muss evident (unmittelbar einleuchtend) sein, welches Handeln in einer konkreten Situation sittlich ist. Diese Evidenz einer gesollten Tätigkeit oder Sollensgewissheit ist das Gewissen, ein Wort, das auch gut das Moment der inneren Gewissheit ausdrückt.21 Ein so verstandenes Gewissen kann nicht "anerzogen" werden. Alle Theorien, die im Anschluss an FREUD - das Gewissen aus der Internalisierung (Verinnerlichung) äußerer Handlungsanforderungen erklären wollen, übersehen erstens, dass für diese Internalisierung bereits eine Instanz vorausgesetzt ist, die Seins- und Sollensbestimmungen unterscheiden und letztere annehmen oder ablehnen kann, zweitens, dass Normeninternalisierung mittels Lohn/Strafe immer nur zu rechtlichem, nie aber zu sittlichem Handeln führen kann (Wodurch sollte der "Übergang" erfolgen, dass man zuerst aus Lohn-Straf-Motivation handelt, "dann" aber um der Sache selbst willen?), drittens, dass durch eine solche Internalisierung die Möglichkeit, sich gegen seine gesellschaftliche Mitwelt zu stellen (Märtyrer aller Art) schwer erklärbar würde. Damit soll die Existenz eines Über-Ich natürlich nicht geleugnet werden, wohl aber seine Gleichsetzung mit dem Gewissen. Da aber das Gewissen nicht triebanalog gegeben sein kann, muss es erzogen werden. Hier kann die Parallelität zur theoretischen Gewissheit weiterhelfen: Auch theoretische Gewissheit, wie wir sie von vielen logischen und mathematischen Einsichten her kennen, kann nicht "angelernt", sondern muss in jedem Lernenden vorausgesetzt werden, tritt aber nur dann auf, wenn ein entsprechender Erkenntnisprozess stattfindet. So muss auch das Gewissen als praktische Evidenz jeder Erziehung vorausgesetzt, doch durch Erziehung aktiviert werden. Die Allgemeingültigkeit des im Kategorischen Imperativ formulierten Moralgesetzes schließt Sozialität in doppelter Weise ein: Erstens dadurch, dass es sich ausnahmslos an alle Menschen richtet und eben keine Ausnahme, kein Privileg, gestattet. Zweitens - und dies ist eine Folge des ersten Moments - schließt es die Forderung ein, jeden Menschen als zumindest möglichen Adressaten der Sittlichkeit nie bloß als Mittel für eigene Zwecke zu gebrauchen, sondern ihn immer auch als Selbstzweck, als Person zu achten. Dies schließt jede Art von Ausbeutung des Mitmenschen radikal aus. Die Leugnung einer solchen Evidenz – wie sie heute von den meisten Moralphilosophen vertreten wird – nimmt der Moral die sichere Basis. => Ausführlicher in Philosophie und Moraltheologie. 21 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 18 Während beim unsittlichen Handeln die Natur dem Menschen sein Handeln vorschreibt - man spricht von Heteronomie (Fremdgesetzgebung) -, gibt sich beim sittlichen Handeln und nur bei diesem der Mensch selbst das Gesetz - man nennt dies Autonomie. Doch ist, wie sich gleich zeigen wird, diese Autonomie keine absolute, sondern eine relative - denn wie das Recht über sich hinauswies auf Sittlichkeit, so weist Sittlichkeit über sich hinaus auf Religion - m.a.W.: es geht um die Frage von Autonomie / Theonomie der Sittlichkeit. Missverständlicherweise wurde und wird dies oft so dargestellt, als wäre die Behauptung nach Autonomie der Sittlichkeit die Forderung, dass der Mensch beliebig sittliche Normen festsetzen könne - und diese Beliebigkeit meint man, durch eine Theonomie der Sittlichkeit "retten" zu müssen, wobei Vertreter dieser Ansicht häufig selbst in eine gewisse Beliebigkeit verfallen - etwa den Dekalog für verbindlich zu erklären, die sehr zahlreichen anderen sittlich-religiösen Forderungen des AT nicht einmal zu erwähnen. Dieses Auseinanderdividieren von Autonomie und Theonomie wurzelt aber in dem falschen Verständnis von Autonomie als Beliebigkeit statt als Allgemeinverbindlichkeit des Handelns. Versteht man Autonomie richtig, kann sie keinen Gegensatz zur Theonomie bilden, sondern führt letztlich auf diese hin - genauer: kann auf diese hinführen. Denn es möglich, dass Menschen auf der Ebene der Sittlichkeit stehenbleiben, ohne weiterzufragen - was die uns allen bekannte Erfahrung erklärt, dass Atheisten bisweilen anständigere Menschen sind als Christen. Stellt man aber erstens die Frage nach einem letzten Grund der kategorischen sittlichen Forderung, so kann dies kein anderer Mensch sein - menschliche Rollenerwartungen bleiben auf der Ebene des Über-Ich -, sondern muss die menschliche Ebene überschreiten: wieder hin auf einen Transzendenzbereich (wie schon 0.2.2), der als normgebend erscheint (wie 0.2.3). Während aber wir bei der Einteilung unserer Erfahrungen als sinnvoll / sinnlos nach einer transzendenten Norm bewerteten, wendet sich diese Norm im Gewissen fordernd an uns - d.h. aber, sie ist personhaft zu denken, da Einander-Auffordern ein spezifisch interpersonales Verhalten darstellt22. Und stellt man zweitens die Frage nach einem letzten Sinn sittlicher Forderungen an den Menschen (vgl. KdpV, A 204-255), zeigt sich einerseits, dass die Forderung, in allen Situationen sittlich zu handeln, eine Überforderung des Menschen wäre, wenn er nicht hoffen dürfte, dass es eine endgültige Daseinsform (Ewiges Leben) gibt, in der Sittlichkeit und Seligkeit einander entsprechen; andererseits, dass die Forderung nach sittlicher Selbstbestimmung ein Ideal darstellt, dass wir unter irdischen Daseinsbedingungen zwar anstreben sollen, aber nie ganz erreichen können - die Erreichung dieses Ideals und damit unserer menschlichen Bestimmung müsste uns von Jemandem (GOTT) in einer endgültigen Lebensform (Ewiges Leben) geschenkt werden oder, was dasselbe meint, wir müssten, weil und sofern wir unser Leben auf GOTT hin ausrichten, in GOTT hinein verwandelt werden. So verstanden wäre Religion die Letztsinngebung von Sittlichkeit, Autonomie letztlich in Theonomie begründet. Erst dadurch zeigt sich auch eine Möglichkeit zur Bewältigung der Schulderfahrung: Denn im Immanenzbereich findet Schuld nur zu oft keine Vergebung und keine Wiedergutmachung; nicht zufällig verfallen heute viele Menschen, die Wirklichkeit 22 Zu Recht wurde das Gewissen seit SOKRATES als "Stimme GOTTES" verstanden. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 19 und Immanenz gleichsetzen, einem sonderbaren "Unschuldswahn" - und als Folge dieser Verdrängung diversen Neurosen. Ebenso bietet dieses absolute Du auch die Möglichkeit zur Bewältigung der Grenzerfahrung "Tod": Ohne Ewiges Leben wäre der an den Menschen gerichtete sittliche Anspruch in doppelter Weise eine Überforderung (wegen seiner Unerfüllbarkeit und wegen des fehlenden adäquaten Glücks). ZUSAMMENFASSUNG: Auch von der Gewissenserfahrung her wird auf einen normgebenden Transzendenzbereich verwiesen, wir können diesen Bereich nun aber als personhaft annehmen: Der absolute Sinn erweist sich in der an uns gerichteten Gewissensforderung als absolutes Du. 0.2.5 Wissen und Wahrheitsfrage23 Der Begriff des Wissens hat sich durch die bisherigen Überlegungen erweitert, nicht aber die Definition des Wissens als "Gewissheit von Etwas als wahr". Woher stammt diese Wahrheit unseres Wissens ? Seit AUGUSTINUS, DESCARTES und FICHTE ist die Ichgewissheit unbestrittene Basis der Philosophie: Ich kann an allem zweifeln, nur nicht daran, dass ich, der ich zweifle, bin und zweifle – d.h. dass ich bin und denke (sum cogitans oder cogito ens) Die Philosophie als Grundlagenwissenschaft darf daher nur 2 Voraussetzungen machen: diese Ichgewissheit, aus der wir faktisch nicht herauskönnen dass es Wahrheit gebe, denn jede Erkenntnis beruht auf der Unterscheidungsmöglichkeit von wahr / falsch, und jeder Versuch, Wahrheit zu beweisen oder zu widerlegen, setzt Wahrheit uneinholbar voraus Es muss das Verhältnis von Ichgewissheit und Wahrheit geklärt werden Einerseits sind Ichgewissheit und Wahrheit identisch: beide sind erkenntnismäßige Selbstbegründungsverhältnisse, da jeder Versuch, Ichgewissheit zu begründen, Ichgewissheit bereits voraussetzt, und jeder Versuch, Wahrheit abzuleiten, Wahrheit bereits voraussetzt. Anderseits sind Ichgewissheit und Wahrheit nicht identisch. Denn ich weiß nicht nur, dass ich ich bin, sondern auch viele andere Erkenntnisinhalte Ichgewissheit ist eine abgrenzbare Erkenntnis neben anderen Erkenntnissen. Wahrheit aber ist jeder wahren Erkenntnis uneinholbar vorausgesetzt (ich erkenne nie „die“ Wahrheit, sondern immer „etwas“ als wahr) Zur Wahrheit als notwendiger Voraussetzung alles, also auch des philosophischen, Denkens vgl. FICHTEs Wissenschaftslehre von 1804 und LAUTH R., Die absolute Ungeschichtlichkeit der Wahrheit, Stuttgart-Berlin-Köln- Mainz 1966. Beide Autoren arbeiten stark die Unwandelbarkeit der Wahrheit heraus, die notwendig ist, damit sie alle verschiedenen Inhalte des Denkens bewahrheiten kann. Auch die Relation unserer Gewissheit zur Wahrheit ist nicht wandelbar, sondern nur die auf Wahrheit bezogenen und dadurch gewissen Denkinhalte. Die Frage „Was ist Wahrheit?“ führt also zur Frage „Wer ist Wahrheit?“ 23 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 20 Wie muss Wahrheit beschaffen sein, damit sie alle wahren Erkenntnisse bewahrheiten kann? Denn: Mein bloßes Denken kann meine Erkenntnisse nicht bewahrheiten, weil sonst alles, was ich denke, wahr sein müsste, Irrtum also ausgeschlossen wäre. Auch beim Menschen gibt es einen Tätigkeitsbereich, in dem der Unterschied wahr / falsch aufgehoben ist: im Kunstschaffen. Kein Kunstwerk ist als wahr / falsch beurteilbar, weil der Künstler in ihm seine eigene Idee verwirklicht (STh I Qu 14). Der Unterschied wahr / falsch ist nur dort möglich, wo man eine vorgegebene Wirklichkeit im Nach-Denken verfehlen kann. Beim Menschen ist das Schaffen aber in doppelter Weise eingeschränkt: Schaffen ist beim Menschen nur ein Tätigkeitsbereich neben anderen Jedes menschliche Schaffen setzt ein vorgegebenes Material voraus, ist also nie ein Schaffen aus dem Nichts Soll Wahrheit alles, was sie nicht selbst ist, bewahrheiten können, muss sie ein Wesen sein, das im Denken schafft / im Schaffen denkt. Dann ist alles, was sie denkt, ihr Geschöpf und insofern wahr – und der Mensch kann das von der Wahrheit Geschaffene / Gedachte richtig oder falsch nach-denken, d.h. das menschliche Schaffen ist ein relatives (auf GOTTES Schaffen bezogenes) Schaffen. Damit präzisiert sich das Verhältnis Selbstgewissheit / Wahrheit im Sinne eines Identitäts-Nichtidentitäts-Verhältnisses, das FICHTE (anders als HEGEL!) auch als „absolutes Wissen“ oder Bildverhältnis bezeichnet: Ichgewissheit und Wahrheit, Mensch und GOTT, sind identisch als erkenntnismäßiges Schaffen. Ichgewissheit und Wahrheit sind nichtidentisch insofern, als Wahrheit ein absolutes (erkenntnismäßiges und seinsmäßiges) Schaffen ist, Ichgewissheit nur ein Nach-Schaffen Der Mensch ist Bild GOTTES, das ist seine höchste Bestimmung. Absolutes Schaffen GOTT In Wesensverschiedenheit schaffend (d.h. Identität/Nichtidentität setzend) Relatives Schaffen= Ichgewissheit Mensch Diese Identitäts- (auch das menschliche Ich schafft im Denken) – Nichtidentitäts – Beziehung (das menschliche Ich ist nur nach-schaffend) hat FICHTE im Anschluss an Gen 1 als Ebenbildlichkeitslehre (Mensch als Bild GOTTES) entwickelt, was ausführlicher in der Philosophie behandelt wird. Der Entfaltung dieses GOTTESverständnisses im Hinblick auf die Trinität wird 2.4 behandelt. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 21 ZUSAMMENFASSUNG: Glauben meint auch die durch unsere Unterscheidung von wahr / falsch berechtigte Annahme einer absoluten Wahrheit; diese kann nur als personhafter Erkenntis- und Seinsgrund ihrer selbst und alles anderen Wirklichen gedacht werden - also als Schöpfer, der im Denken schafft und im Schaffen denkt. 0.2.6 Die fünf Wege Die bisherigen Hinführungen zu GOTT stützten sich - in vereinfachter Form - auf neuzeitliche, anthropologisch orientierte Denkmodelle (bes. KANTs und FICHTEs). Doch wurden bereits im Mittelalter solche Hinführungen zu GOTT versucht, hier in Übernahme von Weiterentwicklung von Denkmodellen der griechischen Philosophie durch die arabische und jüdische Scholastik. Man bezeichnete diese Hinführungen als "Wege", nicht als "Beweise". 24 Das Ontologische Argument (ANSELM v. Canterbury, Proslogion) schließt daraus, dass wir den Begriff eines vollkommensten Wesens widerspruchsfrei bilden können, auf dessen notwenige Existenz: Denn könnte man dem Begriff des vollkommensten Wesens dessen Existenz noch hinzufügen, hätte man gar nicht das vollkommenste Wesen gedacht. Die fünf Wege des THOMAS v. A. (S.c.gent. I,13; S.Th. I,2,3) hingegen gehen nicht erfahrungsunabhängig vor, sondern schließen von der Welterkenntnis auf GOTT: 1. Aus der Tatsache, dass wir nur verursachte Veränderungen („Bewegungen“) erfahren, müssen wir auf einen unbewegten Beweger schließen: sonst käme man in den Regress der Bewegungen (d.h. Bewegung der Bewegung der Bewegung ...) 2. Aus der Tatsache, dass jede Ursache sich als Wirkung einer anderen Ursache erweist, muss auf eine Erstursache geschlossen werden: sonst käme man in den Regress der Ursachen. 3. Alles Existierende, das uns umgibt, ist nicht notwendig, sondern "kontingent", d.h. bloß verwirklichte Möglichkeit. Aus der Existenz dieses bloß Möglichen, der von einem anderen her Seienden, muss auf die Existenz eines Notwendigen, des aus Sich Selbst Seins, geschlossen werden: sonst müsste die Verwirklichung von Möglichem aus Nicht-Wirklichem erfolgen, was unmöglich ist. Diese drei Wege wurden auch als "Kosmologische Argumente" bezeichnet, weil sie von der Kontingenz des Kosmos ("a contingentia mundi") auf einen absoluten (notwendigen, vollkommenen) Grund des Kosmos schließen. 4. Alles Existierende, das uns umgibt, weist verschiedene Grade von Vollkommenheit, d.h. eine Differenz von Sein und Sollen, auf. Die Möglichkeit der Unterscheidung dieser Grade setzt ein Maximum an Vollkommenheit voraus, in dem Sein und Sollen (Sein, Wahrsein, Gutsein und Schönsein) zusammenfallen. Das ist THOMAS´ Umformung des Ontologischen Arguments. In der Fachsprache heißt dies: Es geht bei den viae nicht um eine extrinsezistische (von außen erfolgende) Glaubensbegründung, die ein Beweisverfahren an die Stelle der persönlichen Glaubensentscheidung setzt, sondern um eine intrinsezistische Glaubensbegründung, die dem Gläubigen seine Glaubensentscheidung als sinnvoll und damit als verantwortbar erweist. Diese Art der Glaubensbegründung ist der natürlichen Erkenntnis (cognitio naturalis) zugänglich. 24 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 22 5. Aus der zweckmäßigen Naturordnung kann auf einen zwecksetzenden Schöpfer geschlossen werden: denn wir wissen aus eigenem Handeln, dass Zwecksetzung nur einem intelligenten Wesen möglich ist. Dieses Argument wurde als "Physikotheologisches oder Teleologisches (telos=Zweck) Argument" bezeichnet. In der spätere Tradition wurde des vierte Argument des THOMAS meist durch das ontologische Argument ersetzt.25 KANT hat diese GOTTES"beweise" - widerlegt, wobei seine Widerlegungen eher einem vermeintlichen Beweischarakter gelten26. 0.2.7 GOTTESbeweise - Hinweise auf GOTT Sowohl aus den neuzeitlichen als auch aus den mittelalterlichen Hinführungen zum Glauben an GOTT folgt: "Beweisen" heißt, "etwas" (das daher von anderen "Etwasen" abgrenzbar sein müsste!) zwingend einsichtig machen, d.h. dann müsste der Beweisführende "über" dem zu Beweisenden stehen und dann wäre Glauben nicht mehr eine freie Wissensart, sondern ebenso notwendig wie unser Naturbewusstsein. GOTT DARF ALSO GAR NICHT BEWEISBAR SEIN, WEIL ER SONST NICHT GOTT WÄRE ! Etwas anderes ist es, zu der spezifischen Wissensart "Glauben" hinzuführen: Eine solche Hinführung nimmt die freie Entscheidung für oder gegen den Glauben nicht ab, macht sie aber verantwortbar; ist kein GOTTES"beweis", sondern ein Hinweis auf GOTT: Der hinweisende Mensch sucht sich nicht über GOTT zu stellen oder GOTT von anderen Wirklichkeiten abzugrenzen, sondern sieht sich von verschiedenen kontingenten Wirklichkeiten auf eine absolute Wirklichkeit verwiesen. Die vorgeschlagene Unterscheidung von unmöglichen GOTTESbeweisen / möglichen Hinweisen auf GOTT ist eine Antwort auf die schon (vgl.o., 0.2.1) genannte Aufgabe, einen gangbaren Weg zwischen Rationalismus und Fideismus zu finden: Gäbe es GOTTESbeweise, würde Glauben in Wissen aufgelöst, gäbe es keine Hinweise auf GOTT, wäre Glauben unverantwortbar. Ausführlicher bei: MUCK O., Philosophische GOTTESlehre, Düsseldorf 1990, 2. Auflage, 104 ff. KANT,I. KdrV (Kritik der reinen Vernunft) A 592-630, B 620- 658: Gegen den Ontologischen Beweis wendet er ein, dass aus einem Begriff die Existenz des Gemeinten nicht zwingend ableitbar ist. KANT erläutert dies an einem einfachen Beispiel: hundert wirkliche Taler unterscheiden sich von hundert möglichen Talern nicht begrifflich, sonst würde die Begriff "hundert Taler" etwas anderes meinen als hundert Taler; wohl aber unterscheiden sie sich real, durch ihr Vorhandensein / Nicht-Vorhandensein (KdrV, A 599 f., B 627 f.) Gegen die Kosmologischen Beweise (bei THOMAS 1-4) meint KANT: Aus Bestimmungen des empirischen Seins kann nicht zwingend auf ein Sein ganz anderer Art geschlossen werden, weil wir über keine die Schöpfung und GOTT übergreifenden Seins- und Denkkategorien verfügen. Gegen das Physiko-theologische Argument wendet er ein: Aus der Naturzweckmäßigkeit ist nicht zwingend auf einen zwecksetzenden Schöpfer zu schließen, denn die Tatsache, dass wir Zwecksetzen nur aus unserem eigenen intelligenten Handeln kennen, beweist nicht, dass es keine anderen Möglichkeiten für das Zustandekommen zweckmäßiger Ordnung gäbe. 25 26 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 23 ZUSAMMENFASSUNG: GOTT kann nicht beweisbar sein, weil Er sonst nicht GOTT wäre. GOTT muss aufweisbar sein, weil sonst der Glaube an Ihn nicht verantwortbar wäre. 0.2.8 Das Problem des Sprechens über GOTT Wir haben uns von unserer menschlichen Wirklichkeit her jener personhaften, transzendenten Wirklichkeit genähert, die wir GOTT nennen. Wie ist ein Sprechen über GOTT möglich ? Schon das Wort "GOTT" ist kein Begriff im eigentlichen Sinn. Gewöhnlich sind Wörter Begriffe, d.h. begreifen ihren Inhalt dadurch, dass sie ihn begrenzen. Gerade das ist beim Wort "GOTT" nicht möglich, weil GOTT nicht abgrenzbar ist. Sondern das Wort "GOTT" ist nur ein Hinweis auf GOTT. Noch schwieriger zu lösen ist die Frage, wie über GOTT etwas ausgesagt werden kann. Dabei betrachten wir diese Frage zunächst so, wie sie vonseiten des Menschen gestellt wird; davon zu unterscheiden ist die Frage, ob und wie Selbstaussage GOTTES möglich ("Offenbarung") ist (s.u., 1.2 1). Sagt man etwa "Die Schöpfung ist" und "GOTT ist", so könnte man das dahingehend missverstehen, als könnte man den Begriff "Sein" der Schöpfung und GOTT überordnen: Da wir aber über keine die Schöpfung und GOTT übergreifenden Seins- und Denkkategorien verfügen, können wir nichts in gleicher Weise für GOTT und Schöpfung aussagen. Um dennoch irgendwie über GOTT sprechen zu können, entwickelte man im Mittelalter die sogenannte "Analogielehre". Logisch gesehen können Begriffe verwendet werden: univok, d.h. in gleichem Sinn (z.B. "Ich setze mich auf eine rote Bank" / "Ich setze mich auf eine grüne Bank"), äquivok, d.h. in verschiedenem Sinn (z.B. "Ich setze mich auf eine rote Bank"/ "Ich trage das Geld auf eine Bank"), analog, d.h. in ähnlichem Sinn (z.B. "Ich bin gesund" / "Tee ist gesund"). Alle Begriffe, die man auf GOTT anwendet, sind nur analog auf Ihn anwendbar. Um diese Analogie etwas zu präzisieren, bediente man sich der Kombination dreier Aussageweisen: Die via affirmativa (positive Aussageweise) spricht GOTT alles Positive zu (GOTT ist gut, weise, mächtig,...), die via negativa (negative Aussageweise) spricht GOTT alles das ab, was von der Schöpfung aufgrund ihrer Kontingenz gilt (GOTT ist un-endlich, un-veränderlich, un-begrenzt, un-begreiflich etc.) - und macht dadurch darauf aufmerksam, dass GOTT die positiven Eigenschaften nicht so zugesprochen werden können wie einem Geschöpf. Die via eminentiae (übersteigernde Aussageweise) fasst die beiden anderen Aussageweisen so zusammen, dass GOTT alles Positive nur in einem alles Geschöpfliche übersteigenden Sinn zugesprochen werden darf (GOTT ist allgütig oder absolut gut, allwissend oder absolut weise, allmächtig oder absolut mächtig, F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 24 ...; vgl. THOMAS V.A. De Div.Nom. 1d.3). Dass man auch so nicht zu Begriffen von GOTT, sondern nur zu Hinweisen auf Ihn kommt, haben zwei Konzilsentscheidungen ausdrücklich festgehalten: "Zwischen Schöpfer und Geschöpf lässt sich keine Ähnlichkeit feststellen, ohne dass eine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre" (Lat.IV, DS 806). GOTT ist "über alles, was außer Ihm (besser: was nicht Er) ist und gedacht werden kann, unaussprechlich erhaben" (Vat.I, DS 3001). Diese beiden Konzilsentscheidungen betonen zu Recht die Schwierigkeiten der klassischen Analogielehre. In der Neuzeit wurde - z.T. auf die Bibel zurückgreifend - eine andere Form des bildhaften Denkens entwickelt, das symbolische Denken 27. Analoges und symbolisches Denken haben gemeinsam, dass sie Irdisches als Bild für Überirdisches nehmen: "alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis" (GOETHE, Schluss von Faust II). Unterschieden sind beide Denkweisen durch die Art, wie sie diese Bildhaftigkeit zu präzisieren suchen - die Analogielehre durch die soeben beschriebenen drei Aussageweisen, das symbolische Denken durch einen noch zu erläuternden Praxisbezug. Da im Alltag der Symbolbegriff meist ungenau verwendet wird, empfiehlt sich eine Begriffsklärung. Der Mensch hat - entsprechend seinen verschiedenen Wissensarten - auch verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten: Wissen im engeren Sinn ist auf den empirischen Bereich beschränkt und in Begriffen eindeutig ausdrückbar, weil jedem Begriff eine entsprechende Sinneserfahrung korrespondiert - vgl. KANTs berühmter Satz: "Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind" (KdrV, A 51,B 75). Wissen im weiteren Sinn (Du-, Sinn-, Grenz-, Gewissens-, Glaubenserfahrungen, Selbstreflexion) weist über den materiellen Bereich hinaus und braucht andere Ausdrucksmöglichkeiten 28, nämlich einerseits Symbole: sie drücken ihren Bereich ganz, aber nicht real (die empirische Realität verändernd) aus (z.B. Ehering); andererseits reale Handlungen: sie drücken ihren Bereich real, aber nicht ganz aus (z.B. Zärtlichkeit, gemeinsame Kinder, Akte der materiellen und geistigen Fürsorge ...) Dabei stehen symbolisches und reales Handeln in Wechselbezug: Symbolisches Handeln deutet das reale, reales Handeln konkretisiert das im Symbol Gemeinte. Gerade darin besteht der eigentliche Vorzug des symbolischen Denkens gegenüber dem analogen: Die Präzisierung des im Bild Gemeinten wird nicht bloß theoretisch versucht (wie etwa durch die Kombination der via affirmativa, negativa und eminentiae), sondern im praktischen Handeln realisiert. Dadurch wird die empirische Realität sukzessive dem transzendenten Ideal angenähert. Symbole (zu Griech. symballein = zusammenfügen) dienten ursprünglich als Erkennungszeichen zwischen Gastfreunden und deren Nachkommen; dazu wurde ein kleinerer Gegenstand (Würfel, Ring, Brosche) zerbrochen, und jeder der beiden Am klarsten wohl von KANT in der KdU (Kritik der Urteilskraft), bes. A 251 ff., BC 254 ff. Vgl .KNAUER P., Der Glaube kommt vom Hören. Ökumenische Fundamentaltheologie, Graz-Wien-Köln 1978, 37. 28 Damit ist, im Anschluss an KANT, doch im Gegensatz zu manchen modernen Autoren (BULTMANN, HÜBNER), nicht nur zwischen symbolischem und begrifflichem Denken unterschieden, sondern auch zwischen symbolischem und mythischem Denken. 27 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 25 Freunde bewahrte eine Hälfte auf. Bei Bedarf konnten sich Verwandte damit ausweisen, indem sie die unregelmäßigen Bruchflächen aneinanderfügten. Bei uns werden Symbole verstanden als bildhafte Hinweise auf den Transzendenzbereich, also einen Bereich, den man nicht eindeutig begreifen und beherrschen kann und der gerade deshalb durch Handeln immer weiter zu füllen ist. Dabei ist folgender Unterschied zu beachten: Für Kinder oder für Naturvölker erscheint nicht bloß der Transzendenzbereich unverfügbar - genauer: ihr vorbegriffliches Denken unterscheidet nicht zwischen immanenten und transzendenten Aspekten der Wirklichkeit. Diese vorbegriffliche Wirklichkeitssicht kann als "mythisch" im eigentlichen Sinn bezeichnet werden. Vorbegriffliches Denken stellt daher auch Immanentes symbolisch dar - man denke etwa an das Symbolspiel der Kinder oder an den Jagdzauber von Naturvölkern. Diese sogenannte "kompensatorische Symbolik" hört mit der Weiterentwicklung des Individuums oder der Kultur auf und wird durch begriffliches Denken ersetzt. Für jeden Menschen aber bleibt der Transzendenzbereich als solcher nur symbolisch ausdrückbar, und zwar auch dann, wenn dieser sich selbst offenbarte (zur Selbstoffenbarung GOTTES in der Geschichte s.u., 1.2.). Daraus erklärt sich etwa die Verwendung von Gleichnissen im NT als bildhafter Hinweis auf die GOTTESherrschaft, daraus erklärt sich auch der enge Bezug von Kunst und Religion. Die Bedeutung der Symbolik kann also nur von denen geleugnet werden, die Wirklichkeit und materielle Wirklichkeit gleichsetzen. Andernfalls sind Symbole für Kunst, Sittlichkeit und Religion unverzichtbar. ZUSAMMENFASSUNG: Reden von GOTT ist nicht in adäquaten Begriffen, sondern nur in Bildern möglich, da GOTT unbegreiflich ist. Das Mittelalter entwickelte deshalb die Analogielehre, präzisiert durch die drei Aussageweisen. Die Bibel und das neuzeitliche Denken verwendet Symbole, d.h. auf GOTT hinweisende Bilder, die in enger Beziehung zu dem Handeln stehen, das GOTT mittels des Gewissens von uns fordert. 0.2.9 Glauben im religiösen Sinn Wir versuchten also in unserem Einleitungskapitel 0, zum Glauben im religiösen Sinn hinzuführen. Dabei zeigte sich, dass Glaube als spezifische Wissensart ausgewiesen werden kann, die aus keiner anderen Wissensart, vor allem nicht aus empirischem Wissen, ableitbar ist; dass diese spezifische Wissensart nicht als notwendige Tatsache unseres Bewusstseins gegeben ist (wie etwa unser Gegenstandsbewusstsein), sondern uns aufgegeben ist, wenn wir alle uns gegebenen Tatsachen aus einem Letztgrund erklären wollen: Dieser Aufgabencharakter des Glaubens verweist auf Freiheit, Entscheidung, Verantwortung. Bisher wurde also zu zeigen versucht, dass viele unserer konkreten Erfahrungen durch die Annahme eines personhaften, nicht auf den Immanenzbereich beschränkbaren Letztgrundes besser erklärt werden können als durch das Fehlen F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 26 einer solchen Annahme. Einen solchen Letztgrund nennen wir traditioneller Weise GOTT. Daher ist die heute oft geäußerte Meinung, Religion sei Glaube, Atheismus Wissen, ein undurchdachtes Vorurteil: Weder bei der Annahme noch bei der Leugnung GOTTES bewegt man sich ja auf der Ebene einfach zu beweisender empirischer Gegenstände, sondern sowohl die Annahme als auch die Leugnung GOTTES sind unterschiedliche Erklärungsmodelle für unsere Erfahrungswelt: Kein solches Modell ist direkt verifizierbar, sondern nur indirekt nämlich daran, welches die qualitativ sinnvollere Erklärung für quantitativ mehr Erfahrungen bietet. Deshalb haben wir in unserem Einführungskapitel 0 auf solche Erfahrungen verwiesen, die durch ein atheistisches Interpretationsmodell nicht oder doch nur in unbefriedigenderer Weise erklärt werden können. Glauben im religiöse Sinn ist also Glauben an GOTT, was zunächst ein Doppeltes meint: Glauben, dass GOTT ist (credere Deum) und diesem GOTT vertrauen (credere Deo), wobei beide Momente in untrennbarer Wechselbeziehung stehen. ZUSAMMENFASSUNG: Das Wort "Glauben" ist im Deutschen mehrdeutig: Einerseits bedeutet es "Meinen", also eine minderwertige Art des Wissens, andererseits meint es eine Sonderform des Wissens, nämlich das durch zahlreiche den Immanenzbereich transzendierende Erfahrungen begründete V e r t r a u e n auf einen p e r s o n h a f t e n Le t z tg r u n d, als dessen Bild wir uns verstehen dürfen. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 27 1 GLAUBE AN G O T T 1.1 Vernunftglaube All unsere bisherigen Überlegungen zum Thema "Glaube" könnte man unter dem Stichwort "Vernunftglaube" zusammenfassen (ein seit der Aufklärung üblicher Terminus), da wir zur Annahme und Anerkennung GOTTES nicht aufgrund irgendwelcher besonderer Erfahrungen, Visionen, Auditionen, Erscheinungen etc. kamen, sondern durch vernünftiges Denken. Dieser Vernunftglaube hat den Vorteil, alle im Menschen selbst liegenden Voraussetzungen des Glaubens auszuschöpfen und so vor einem fideistischen Glaubensverständnis zu bewahren; den Nachteil, auf GOTT nur hinzuweisen, Ihn aber nicht inhaltlich bestimmen zu können - ist doch nicht einmal eine andere menschliche Person als Person inhaltlich durch bloßen Vernunftgebrauch erkennbar! Die einzigen inhaltlichen Bestimmtheiten sind also die an uns durch das Gewissen gerichteten Aufforderungen, so dass Vernunftglaube letztlich mit einer in GOTT fundierten Moral zusammenfällt (wie etwa bei KANT). Es kommt daher darauf an, wie man den Vernunftglauben bewertet: Lässt man nur ihn als die einzige Möglichkeit des Glaubens gelten (Aufklärung, KANT) und hält die geschichtliche Offenbarung nur für eine pädagogische Hinführung zu diesem, wird Religion nicht nur (richtig) in Moral fundiert, sondern (fälschlich) auf Moral reduziert, wodurch das spezifisch Christliche nicht erfasst werden kann. Sieht man hingegen im Vernunftglauben nur eine, wenn auch wesentliche, Art des Glaubens, die zugleich Eigenwert hat, zugleich aber die Möglichkeitsbedingung für die Erfassung geschichtlicher Offenbarung und damit des spezifisch Christlichen darstellt, eröffnet gerade der Vernunftglaube den Vollsinn von Religion. ZUSAMMENFASSUNG: Der Vernunftglaube bestimmt das Verhältnis GOTT- Mensch nur mithilfe der Vernunft, ohne konkrete Offenbarungen; er stellt zugleich die religiöse Sinngebung von Moral dar, weil er seine einzige inhaltliche Bestimmung durch das Gewissen erhält. 1.2 Glaube und Offenbarung 1.2.1 "Natürliche" (allgemeine) und "übernatürliche" (besondere, geschichtliche) Offenbarung Schon im zwischenmenschlichen Bereich ist es so, dass ich ein Du (als Person, nicht als Masse im Raum oder als Verkettung chemischer Verbindungen oder als biologischer Organismus verstanden) nicht wie einen Gegenstand begreifen kann, sondern dass sich dieses Du mir offenbaren und ich dieser Offenbarung vertrauen muss. Es zeigt sich also schon auf menschlicher Ebene die notwendige Zusammengehörigkeit von Offenbaren und Glauben. Denn eine Offenbarung kommt nur dann an ihr Ziel, wenn sie von ihrem Adressaten geglaubt wird; und Glauben als spezifische Wissensart hat zum Inhalt eine personale Offenbarung und nichts anderes (es wäre widersinnig, an empirische Daten zu "glauben"). Schon im zwischenmenschlichen Bereich setzt Offenbarung also voraus: Personalität und Freiheit. Weiters: Das zwischenmenschliche Geschehen des Sich-Offenbarens und F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 28 des Hinhörens ist nicht momenthaft möglich, sondern nur prozesshaft. Nicht einmal ein Mensch kann sich also ein für allemal einem anderen offenbaren bzw. von einem anderen verstanden werden! Ein weiteres wichtiges Charakteristikum interpersonaler Offenbarung ist also Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit. Wie sieht das Verhältnis Offenbarung-Glaube aus, wenn der Offenbarende kein menschliches Du, sondern GOTT ist ? Die katholische Tradition unterscheidet: Die "natürliche" oder allgemeine Offenbarung ergeht an alle Menschen in der Schöpfung und ermöglicht bzw. fordert Vernunftglauben. Dieser ist jedem Menschen, an jedem Ort, zu jeder Zeit möglich; er kommt aber nur zur Annahme der Existenz GOTTES und zur inhaltlichen Bestimmung der Beziehung GOTTMensch mittels des Gewissens, doch ohne über GOTT selbst Näheres wissen zu können. Die "übernatürliche" oder geschichtliche Offenbarung ergeht in der Geschichte an einige Menschen, die dadurch eine besondere Zeugenaufgabe erhalten, und fordert Offenbarungsglauben. Die traditionelle Bezeichnung dieses richtig gesehenen und wichtigen Unterschiedes zweier Arten von Offenbarung bzw. Glauben war "natürliche / übernatürliche" Offenbarung; "Natur" wurde dabei als "Geschöpflichkeit" verstanden. Mit der neuzeitlichen Änderung des Naturbegriffs - "Natur" als "das in Raum und Zeit Erscheinende und mit naturwissenschaftlichen Methoden Erfassbare" - empfiehlt sich eine Änderung der Terminologie, wie die hier vorgeschlagene von "allgemeiner / geschichtlicher" Offenbarung. Sonst bestünde die Gefahr, wegen einer missverständlich gewordenen Terminologie auch die wesentliche Unterscheidung selbst aufzugeben. Die Bezeichnungen "Vernunft-" und "Offenbarungs-" glauben gehen auf die Aufklärung zurück und sind ebenfalls nicht ganz glücklich gewählt, da im Terminus Vernunftglauben das Erkenntnismittel (Vernunft), im Terminus Offenbarungsglauben der Erkenntnisinhalt (Offenbarung) angesprochen sind. Die Unterscheidung von allgemeiner und geschichtlicher Offenbarung ist biblisch grundgelegt (Röm 1,19 f.; Hebr 1,1-14) und wurde vom Vat I in der dogmatischen Konstitution Dei Filius ausdrücklich definiert: "Dieselbe heilige Mutter Kirche hält fest und lehrt, dass GOTT, der Ursprung und das Ziel aller Dinge, mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen gewiss erkannt werden kann; ...jedoch hat es Seiner Weisheit und Güte gefallen, auf einem anderen, und zwar übernatürlichen Wege Sich Selbst und die ewigen Ratschlüsse Seines Willens dem Menschengeschlecht zu offenbaren ..." (DH 3004). Dabei offenbart GOTT "Sich" (vgl. bes. Vat II, DV I,2), also etwas, was wir durch Vernunft nicht ableiten könnten; dass personale Selbstoffenbarung nur in Geschichte möglich ist, haben wir bereits anhand menschlicher Selbstoffenbarung dargetan wobei die Geschichtlichkeit der Offenbarung GOTTES aber keine Geschichtlichkeit GOTTES bedeutet (vgl.o., 0.2.5). Obwohl eine solche personale Selbstmitteilung immer nur ganz konkreten Menschen gegenüber möglich ist, ist darin keine Benachteiligung der übrigen Menschen zu sehen; denn es haben die, denen eine solche Offenbarung zuteil wurde, Zeugenaufgabe. Ferner bedeutet die Geschichtlichkeit der Offenbarung, dass damit zu rechnen ist, dass die Menschen GOTT zunehmend besser verstehen können - so etwa zeigt sich ein Fortschritt der GOTTESerkenntnis vom AT zum NT; eine Überbietung der Menschwerdung GOTTES ist zwar nicht zu erwarten - insofern ist JESUS "der" Offenbarer GOTTES, wie es vor allem das Joh-Ev betont -, wohl aber, dass "der GEIST der Wahrheit" uns "in die ganze Wahrheit führen wird" (Joh 16,13). F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 29 In der Annahme zweier einander ergänzender Offenbarungs- bzw. Glaubensarten ist die katholische Tradition ausgewogener als einerseits die evangelische, die immer wieder zu einer Entgegensetzung von Vernunft und Glauben und damit zum Fideismus neigte, und andererseits als das von der Aufklärung geprägte Denken, das in der Überbewertung der Vernunft ihre Ergänzungsbedürftigkeit durch die geschichtliche Selbstoffenbarung GOTTES verkannte und somit zum Rationalismus tendierte 29. Die für die Theologie im allgemeinen und für die Fundamentaltheologie im besonderen grundlegende30 Relation von Offenbarung - Glauben erfordert von der Theologie bzw. auch Religionsphilosophie ein anderes Geschichtsverständnis, als es historische Einzelwissenschaften haben31: Zwar ist allen mit "Geschichte" befassten Disziplinen gemeinsam, dass sie Geschichte als interpersonales Handlungsgefüge in der Zeit verstehen; aber während die Geschichtswissenschaften diese Interpersonalität auf menschliche Personen beschränken, umfasst sie in der Theologie und Religionsphilosophie menschliches und göttliches Handeln. Das hat Konsequenzen. In einer Geschichte ohne GOTT lässt sich - analog zu einem Leben ohne GOTT - kein Gesamtsinn feststellen, da das Ganze weder der individuellen noch der menschheitlichen Geschichte gegeben ist (vgl. auch o., 0.2.3); sondern es lassen sich nur Einzelereignisse zu diesem oder jenem Teilsinn zusammenschließen. Erst durch den Glauben an GOTT erhält die Geschichte einen Gesamtsinn - sie wird zur Heilsgeschichte. Geschichte und Heilsgeschichte sind insofern identisch, als sie vom Heilsangebot GOTTES her, das an alle Menschen ergeht, der Möglichkeit nach denselben Umfang haben; insofern nicht-identisch, als sie, da das Heilsangebot GOTTES den Menschen frei lässt, sich darauf einzulassen (Glauben) oder nicht (Unglauben), faktisch nicht denselben Umfang haben, sondern nur ein Teil der Weltgeschichte Heilsgeschichte, der andere (und leider wohl größere!) Unheilsgeschichte ist. Ob diese Differenz zwischen Geschichte und Heilsgeschichte einmal aufgehoben werden wird, dafür sind wir auf besondere Offenbarung angewiesen, weil wir dies nicht durch bloße Vernunftüberlegung wissen können. Mit der Differenz und Relation von allgemeiner und besonderer Offenbarung hängt ein weiterer, oft missverstandener Begriff zusammen, nämlich der der Gnade. Gnade meint freies, ungeschuldetes Heilshandeln GOTTES und ist daher mit (Selbst)Offenbarung identisch: GOTT offenbart "Sich", GOTT schenkt "Sich". Der terminologische Unterschied betrifft die Akzentuierung, die bei "Offenbarung" das theoretische (erkenntnisbezogene), bei "Gnade" das praktische (handlungsbezogene) Moment stärker hervorhebt. Gnade teilt daher den Doppelaspekt von Offenbarung ebenso wie die Gefahr von dessen einseitiger Bewertung: Es ist sonderbar, dass gerade KANT, der das Verhältnis allgemeiner ("apriorischer") Erfahrungsbedingungen und konkreter ("aposteriorischer") Erfahrungen mit bisher unüberbotener Sorgfalt untersuchte, das Verhältnis von Vernunftglauben / Offenbarungsglauben nicht als Sonderfall dieses Verhältnisses allgemeiner Erfahrungsbedingungen / konkreter Erfahrungen erkannte und dadurch den Offenbarungsglauben fehlbewertete (bes. in: Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft). – Klarer bei RAHNER K., Grundkurs des Glaubens, 1980, 11.Aufl.,bes. 122 ff. u. 143 ff. 30 Ausführlicher: SECKLER M., Der Begriff der Offenbarung, in: vgl. Anm.1, Bd.2, 0-82. 31 Auf die wissenschaftstheoretische Abgrenzung der Theologie zur Philosophie einerseits, zu Einzelwissenschaften andererseits wird noch ausführlicher eingegangen, s.u.3.4. 29 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 30 Allgemeine Gnade, von der griechischen Theologie stärker betont, ist letztlich die gesamte Schöpfung; bei einseitiger Überbewertung wird das Geschichtliche, Konkrete, Individuelle zu wenig berücksichtigt und die "apokatastasis ton panton" (die endgültige Rettung aller) ist nicht nur Inhalt der Hoffnung, sondern zwingende Folge des allgemeinen göttlichen Heilswirkens (etwa bei ORIGENES). Besondere Gnade, von der westlichen Theologie im Anschluss an AUGUSTINUS stärker betont, meint GOTTES konkretes, geschichtliches Heilshandeln; bei einseitiger Überbewertung kann die Frage der Prädestination (der Vorherbestimmung einzelner zum Heil) nicht befriedigend gelöst werden - und man gerät in all die Schwierigkeiten, wie sie die westliche Theologie durchziehen32. Es ist also wichtig, beide Arten des Gnaden- bzw. Offenbarungshandelns GOTTES zu sehen. Dies bewahrt auch davor, das Heilswirken GOTTES als "Konkurrenz" zur menschlichen Freiheit zu betrachten: Gnade bzw. Offenbarung einerseits, Glauben andererseits sind die Bezeichnung desselben Vorganges, nämlich der lebendigen Beziehung zwischen GOTT - Mensch, das eine Mal vonseiten GOTTES, das andere Mal vonseiten des Menschen gesehen. Denn die Beziehung GOTT - Mensch ist ja keine äußerliche - wie die zwischen zusammenhandelnden Menschen -, sondern eine zutiefst innerliche - GOTT handelt durch den sich Ihm öffnenden Menschen. Dies ist, wie wir noch sehen werden, auch für das richtige Verständnis von "Wundern" und "Inspiration" wichtig und wird anhand dieser Themen genauer behandelt werden. Während das Verhältnis von GOTTES Allmacht und menschlicher Freiheit auf wissenschaftlicher (philosophischer und theologischer) Ebene schwierig lösbar ist, ist es in einem alltäglichen Bild leicht verständlich zu machen: Jede Mutter ist ihrem Baby gegenüber zunächst allmächtig – nur weil sie diese Allmacht schrittweise zurücknimmt, kann das Kind sich frei entfalten und zu einem verantwortungsvollen Menschen heranreifen. Und diese Zurücknahme der mütterlichen Überlegenheit geschieht aus demselben Motiv, das wir bei GOTT annehmen dürfen: aus Liebe. Liebe will die freie und bestmögliche Entfaltung des Geliebten – sonst würde sie den Namen Liebe gar nicht verdienen. Daher ist der Mensch nicht trotz, sondern wegen der göttlichen Allmacht und Liebe frei! Menschliche Mütter sind aber beschränkt in ihren Möglichkeiten – erstens können sie oft nicht richtig einschätzen, was und wie viel sie ihrem Kind bereits zumuten können; zweitens stehen sie immer wieder in der Gefahr, ihre eigenen Wünsche auf das Kind zu übertragen – bei GOTT fallen diese Einschränkungen selbstverständlich weg. Wir dürfen daher vertrauen, dass Er Seine Allmacht immer genauso weit zurücknimmt, wie es unserer Entwicklung gut tut – aus Liebe zu uns: unsere Freiheit ist also letztlich von GOTTES Liebe ermöglicht. ZUSAMENFASSUNG: Das GOTT-Mensch-Verhältnis wird vom Menschen her als Glaube, von GOTT her als Offenbarung oder Gnade bezeichnet. Dabei lässt sich zwischen Die im Laufe der Theologiegeschichte sehr kompliziert gewordene Gnadenproblematik wird in knapper und sehr klarer Weise behandelt von GRESHAKE G., Geschenkte Freiheit. Einführung in die Gnadenlehre. Freiburg - Basel - Wien 1977. 32 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 31 allgemeiner Offenbarung oder Gnade / Vernunftglauben und geschichtlicher Offenbarung oder Gnade / Offenbarungsglauben unterscheiden. Die unterschiedenen Momente stehen aber zueinander in notwendiger Beziehung, weil der Vernunftglaube die allgemeine Bedingung für den geschichtlichen Offenbarungsglauben darstellt, der geschichtliche Offenbarungsglaube aber erst inhaltliche Bestimmungen des allgemeinen Vernunftglauben ermöglicht. 1.2.2 Vernunftglaube und Religion, Offenbarungsglaube und Religionen Die Etymologie (die sprachliche Herkunft) des lateinischen Wortes "religio" ist unsicher: CICERO stellt es zu relegere (berücksichtigen), LACTANTIUS zu religari (sich an etwas binden) - ersteres dürfte sprachlich richtiger sein, letzteres dem Sinn nach passender. Die philosophische, theologische und religionswissenschaftliche Literatur weist eine unterschiedliche Verwendung der Begriffe Glauben/Religion/Religionen auf. Hier soll "Religion" (Singular) im Sinne von Vernunftglauben verstanden werden, "Religionen" (Plural) als die inhaltlichen Ausformungen des geschichtlichen Offenbarungsglaubens. Ihre Verschiedenheit erklärt sich aus der Verschiedenheit der Menschen einerseits, der Unbegreiflichkeit GOTTES andererseits - der Sichoffenbarende GOTT kann vom glaubenden Menschen verschieden, durchaus auch im Sinne von verschieden gut, verstanden werden 33. Hierbei ist Religion die grundsätzliche Rahmenbedingung von Religionen: Denn sonst könnte man weder innerhalb der geschichtlichen Inhalte zwischen religiösen und nicht-religiösen unterscheiden noch innerhalb der religiösen Inhalte eine Bewertung versuchen. Die wichtigsten nicht-christlichen Religionen werden in Religionswissenschaft behandelt; dort wird auch versucht, die von uns geglaubte Vorrangstellung der christlichen Religion zu begründen. Bis dahin beschränken wir uns auf die Auseinandersetzung mit christlichem Glauben. ZUSAMMENFASSUNG: Im Sinne einer Sprachregelung verstehen wir Religion im Sinne von Vernunftglauben, Religionen als inhaltliche Ausformungen des geschichtlichen Offenbarungsglaubens. Die geschichtliche Offenbarung GOTTES bis zu ihrem Höhepunkt in JESUS CHRISTUS In allen Naturreligionen (d.h. sowohl in den sogenannten Elementarreligionen als auch im Polytheismus) wird das GÖTTLICHE von der unmittelbaren Naturerfahrung des Menschen her verstanden - denn das ist die ursprünglichste, weil jedem Menschen notwendig zukommende, Erfahrungsart; die Reflexion der spezifisch menschlichen Erfahrungsweisen (Du-, Sinn-, Gewissenserfahrung, Selbst-) hingegen erfolgt frei und daher in einem (menschheits- und individualgeschichtlich) späteren Stadium. Dies hat zur Folge: Das GÖTTLICHE wird mit dem Kosmos gleichgesetzt, Transzendenz- und Immanenzbereich werden nicht unterschieden - weshalb jede Naturreligion 33 So auch FRIES, 57. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 32 pantheistisch ist, d.h. Schöpfer und Schöpfung identifiziert. Und weil der Kosmos nicht als Einheit, sondern als Vielfalt von Erscheinungen erlebt wird, sind die meisten Naturreligionen polytheistisch. Diese Einheit von GOTT (GÖTTIN) / Naturerscheinung drückt sich bis in die Sprache hinein aus und macht uns vielleicht gerade an der Sprache die Verschiedenheit jener Vorstellungsweise von der unseren deutlich. Auch in der Sprache antiker Hochkulturen wird nicht zwischen der Bezeichnung des Naturphänomens und der ihm zugeordneten GOTTheit unterschieden; so etwa meint im Griechischen helios, im Lateinischen sol Sonne und Sonnengott, selene bzw. luna Mond und Mondgöttin etc. - im heutigen Deutsch müssten wird dafür eigene Wörter schaffen, wie etwa "Sonnerich" und "Möndin". So konnte THALES v. Milet sagen, dass alles voll von GÖTTERN sei. Die Selbstdeutung des Menschen erfolgt von der - GÖTTLICHEN - Natur und ihrer Zyklik her, was ein geschichtliches Denken ausschließt. Denn die Natur bietet sich dem Menschen als "ewige Wiederkehr des Gleichen" dar, in ihrem Wechsel von Tag/Nacht, Mondphasen, Jahreszeiten etc. Der Mensch sucht sich in diesen geschichtslosen Kreislauf einzuordnen, er macht sich gleichsam zum Phänomen unter Phänomenen. D.h. aber, der Mensch sieht sich selbst eher naturhaft als personhaft. Das betrifft auch die Sichtweise des Verhältnisses GÖTTER-Menschen: Der Mensch sieht sich als Diener der GÖTTER - er hat für sie zu sorgen wie für die Natur. Auch dies spiegelt sich im Sprachlichen; so etwa bezeichnet im Griechischen wie im Lateinischen dasselbe Verb das Verehren der GÖTTER und das Bebauen des Ackers (therapeuein bzw. colere). Diese Weltsicht wird üblicher Weise als mythisch bezeichnet. Es wäre allerdings einseitig, Naturreligionen nur als "falsch" zu bewerten - GOTT ist ja auch nach jüdisch-christlicher Überzeugung in Seiner gesamten Schöpfung gegenwärtig. Aber GOTT lässt sich nicht auf diese Natur reduzieren: GOTT ist auch Kosmos, aber Er ist nicht nur Kosmos. Die Besonderheit des alttestamentlichen Glaubens34 ist die, dass die - relativ kleine und damals kulturell unbedeutende - Gruppe der Prä-Israeliten (von einem "Volk Israel" kann erst ab der Landnahme gesprochen werden) ein konkretes geschichtliches Rettungserlebnis, das des Exodus, als Offenbarung ihres (urspr. auf dem Sinai beheimateten) StammesGOTTES JAHWE ("Ich bin der Ich-bin-für-euchDa") interpretierte. Schon diese GOTTESbezeichnung zeigt das Neuartige des biblischen Denkens gegenüber der heidnischen Umwelt: GOTT trägt nicht mehr die Bezeichnung eines, wenn auch noch so mächtigen, Naturphänomens, sondern Sein Name ist eine Verheißung, die nur von Ihm Selbst in der Geschichte eingelöst werden kann. Der Name wurde in früheren Zeiten viel stärker als Ausdruck des Wesens verstanden (man denke an das Märchen "Rumpelstilzchen"); bei uns ist diese Bedeutung des Namens nur mehr in Resten vorhanden, etwa dass der Christ bei der Taufe seinen Namen, beim Ordenseintritt und - im Normalfall die Frau - bei der Eheschließung einen neuen Namen erhält. Damit wird die Geschichte statt der Natur zum primären Medium der GOTTESerfahrung - die Natur wird erst durch späteres Nachdenken als das andere Medium der GOTTESoffenbarung gesehen, durch das der in der Geschichte erfahrene RetterGOTT JAHWE als Schöpfer des Kosmos erkannt wird. Dazu dürfte auch JAHWEs Identifizierung mit dem im syrisch-kanaanitischen Raum beheimateten HimmelsGOTT EL beigetagen haben. Jedenfalls wird am Ende dieses Prozesses 34 Ausführlicher bei VORGRIMLER H., Theologische GOTTESlehre, Düsseldorf 1993, 3.Aufl., S. 44 ff. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 33 JAHWE als Herr der Natur und Geschichte verstanden. Das hat wesentliche Konsequenzen: Wird das GOTT-Mensch-Verhältnis von der Geschichte her interpretiert, wird es als Interpersonalgeschehen ("Bund") verstanden, d.h. aber, als personal, bewusst, frei. Dadurch wird GOTT nicht als Naturkraft verstanden, sondern als personhaft wirkend, als immanent und transzendent zugleich, als einzig. Dadurch wird auch ein spezifisch menschliches Selbstverständnis eröffnet: Der Mensch als "Bild" GOTTES, d.h. als der, dessen Grundaufgabe es ist, GOTT in der Schöpfung zu repräsentieren. Die skizzierten Charakteristika biblischen Denkens heben es also klar von der zyklischen Vorstellungsweise der Naturreligionen ab. Daher empfiehlt es sich auch nicht, jedes bildhafte Denken als "mythisch" zu bezeichnen und dem "Logos", der vernünftigen Rationalität, gegenüberzustellen, wie dies heute in der philosophischtheologischen Literatur zumeist geschieht35. Denn die mythische Vorstellungsweise ist bildhaft, weil sie zwischen Immanenz und Transzendenz nicht unterscheidet und daher vorrational ist; die biblische Denkweise ist bildhaft, weil sie zwischen Immanenz und Transzendenz sehr wohl unterscheidet und daher symbolisch ist, d.h. Immanentes als Bild für Transzendentes verwendet (vgl. das oben zum Symbol Gesagte, 1.1.2). Daher ist auch die Forderung nach "Entmythologisierung" der Bibel unpassend36, denn die Bibel gestattet und erfordert keinen Weg "Vom Mythos zum Logos"37. Vielmehr ist, sobald der unumkehrbare Denkfortschritt von einer mythischen zu einer immanent-transzendenten Weltsicht vollzogen wurde, das rationale Denken der Immanenz, das symbolische der Transzendenz zugeordnet. Selbstverständlich waren jenen Keimzellen des jüdischen Volkes nicht sofort all diese Konsequenzen ihres JAHWE-Glaubens klar - auch der alttestamentliche Monotheismus entwickelte sich erst allmählich -, aber mit dem Glauben an den in den Exodus-Ereignissen helfenden JAHWE war ein prinzipieller Anfang gesetzt: diesen JAHWE zunächst als einen in der Geschichte wirkenden GOTT u.a. GÖTTERN zu verstehen, der als "GOEL" (Schützer, Löser) jene kleine Volksgruppe als Seine "Familie" erwählte und daher beschützt; erst allmählich wurde Er immer mehr als alleiniger HERR der Geschichte und daher auch als SCHÖPFER und HERR der Natur gesehen, der mit Seinem "Volk" einen "Bund" schließt (analog den Vasallenverträgen der altorientalischen, besonders der assyrischen, Herrscher) 38. Gerade dieses Selbstverständnis gestattete es dem jüdischen Volk sich selbst als "auserwähltes Volk" zu verstehen, allerdings nicht exklusiv, sondern stellvertretend, als "Heilszeichen für die Völker" - ein Selbstverständnis, das die Kirche übernommen hat (Kirche als "Grundsakrament"): Denn der Bund ist Gabe und Aufgabe zugleich; Mythos" ist "ein in Erzählform entwickeltes Symbol" (RICOEUR P., Phänomenologie der Schuld, Bd.II, Freiburg- München 1971, 26). Ähnlich auch TILLICH P., Symbol und Wirklichkeit, Göttingen 1986, 3.Aufl., und HÜBNER K., Die Wahrheit des Mythos, München 1985. 36 "Entmythologisierung" wurde im Anschluss an R. BULTMANN zu einem vielstrapazierten Schlagwort der Exegese (vgl. bes. Jesus, München-Hamburg 1926, und Jesus Christus und der Mythos, Hamburg 1964). 37 Vgl. NESTLE W., Vom Mythos zum Logos, Stuttgart 1940 38 Eine sehr ausführliche Auseinandersetzung bietet G.v.RAD, Theologie des AT I und II, München 1962-65, 4.Aufl.; knapper bei ZENGER E., Der Gott der Bibel. Sachbuch zu den Anfängen des atl. Gottesglaubens, KBW, Stuttgart 1979. Ein guter Überblick über Einzelthemen des atl. Glaubens findet sich bei LOHFINK N., Unsere großen Wörter. Das AT zu Themen dieser Jahre, Freiburg 1978, 2.Aufl. 35 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 34 die Exodus-Erfahrung zu verallgemeinern: Man konnte rückinterpretierend die bisherige Geschichte gliedern in "Urgeschichte" (Gen 1-11: alle Menschen, und zwar grundsätzlich, betreffend) - "Vätergeschichte" (Erzählungen über die eigenen Ahnen, die Scheichs von Sippen waren und Glaubenserfahrungen machten) "Volksgeschichte" (ab dem Buch Exodus). Man konnte die eigene Gegenwart deuten als Gabe der Treue JAHWEs und Aufgabe für das Volk, diese Treue angesichts der religiösen und sittlichen Anfechtungen der heidnischen Umwelt zu bewähren; ja, man konnte von dieser Grundauffassung her Niederlagen des Volkes als Strafe (statt als Versagen) JAHWEs deuten - wodurch nicht nur ein Neuanfang nach dem Exil möglich wurde, sondern ein Überleben der Juden durch all ihre Verfolgungen bis in unsere Zeit. Man konnte vom Bund her aber auch die Zukunft deuten: Der Jude erwartete und erwartet das Heil von JAHWE, doch ohne zu wissen, wie dieses Heil aussieht. Gerade nach dem Exil entwickelten sich unterschiedliche Erlösungsvorstellungen, wie (direkt oder durch einen MESSIAS), wo (in oder auch jenseits der Geschichte) und wem gegenüber (gegenüber allen Menschen oder allen Juden oder nur gegenüber frommen Juden) JAHWE sich als JAHWE erweisen werde. Gerade diese Unsicherheit zeigt die doppelte Vorläufigkeit des AT: es ist vorläufig sowohl im Sinne von nichtendgültig als auch im Sinne von vorverweisend. Wir Christen sehen in JESUS CHRISTUS die Vollendung des JAHWE-Seins GOTTES und damit die Erfüllung der Vorläufigkeit des AT. Doch sollten wir respektieren, dass dies nicht die einzig mögliche Deutung jener Vorläufigkeit ist und dadurch zu größerer Achtung vor unserer Mutterreligion, dem Judentum, kommen39. ZUSAMMENFASSUNG: Naturreligionen gehen von der unmittelbaren Naturerfahrung aus und setzen das GÖTTLICHE mit der Schöpfung gleich; das ist eine einseitige, doch nicht völlig falsche Sicht. Das Exodus-Ereignis ist die erste Geschichtserfahrung, die ausdrücklich als Offenbarung eines GOTTES gedeutet wird; daraus folgt: ein wachsendes Verständnis JAHWEs als des einzigen, personhaften, immanent-transzendenten GOTTES; ein wachsendes Selbstverständnis des Menschen als Mensch, d.h. als eines freien, verantwortungsbegabten, geschichtlichen Wesens; eine Deutung des GOTT-Mensch-Verhältnisses als Bund; dieser ist: Gabe und Aufgabe zugleich und Ausführlicher: DOHMEN Chr.-MUSSNER F., Nur die halbe Wahrheit ? Für die Einheit der ganzen Bibel, Freiburg- Basel-Wien 1993; ZENGER E., Das Erste Testament. Die jüdische Bibel und die Christen, Düsseldorf 1991. 39 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 35 gestattet das Verstehen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von GOTT her und auf GOTT hin. Der Name JAHWE ist Selbstoffenbarung und Heilsverheißung zugleich: das ganze AT versteht sich als sukzessive Bestätigung dieser Offenbarung, doch bleibt offen auf eine endgültige Offenbarung hin. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 36 2 DER GLAUBE AN J E S U S C H R I S T U S 2.1 Der Glaube an den auferstandenen CHRISTUS 2.1.1 Die Vorstellungen der Erlösungsbedürftigkeit und Erlösung im AT Viele heutige Menschen leben in einem seltsamen "Unschuldswahn": Dieser erklärt sich daraus, dass der Mensch seine eigene Erlösungsbedürftigkeit nur akzeptieren kann, wenn er auch an eine Erlösungsmöglichkeit glaubt - und dieser Glaube fehlt heute vielen. Anders das Volk Israel: Gerade weil es seine Geschichte als fortlaufende Treuebezeugung JAHWEs trotz sich häufig wiederholender menschlicher Untreue, also Schuld, verstand, entwickelte es ein Bewusstsein von Sünde und Erlösung bzw. Erlösungsbedürftigkeit. Während aber die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen für den Juden immer eindeutig feststand/ feststeht, stand bezüglich der Erlösung nur fest, dass sie von GOTT kommen werde - das Wie aber war noch offen und wurde im Laufe der langen Geschichte Israels mit mannigfaltigen Vorstellungen gefüllt. So etwa erwartete man, da sich der Jenseitsglaube merkwürdig spät entwickelte, das Heil zunächst nur in der Geschichte, später auch (niemals nur!) jenseits der Geschichte - eine Entwicklung, die z.Z. JESU noch nicht abgeschlossen war: Das einfache Volk, aber auch die Sadduzäer, die immerhin die Tempelpriesterschaft stellten, hielten an der altertümlicheren Hoffnung auf ein rein irdisches GOTTESREICH fest. Weiters herrschte Uneinigkeit darüber, ob GOTT das Heil direkt oder durch eine Mittelsperson, den MESSIAS, wirken werde und, wenn durch einen MESSIAS, wie dieser vorzustellen sei - am populärsten war hier die Erwartung eines davididischen Idealkönigs. Um der ablehnenden Haltung vieler zeitgenössischen Juden gegenüber JESUS gerecht zu werden, muss man sich vergegenwärtigen, dass sie JESUS gleichsam durch die Brille dieser Vorstellungen sahen, und da sahen sie einiges, was zu ihren Vorstellungen passte und ihnen Hoffnungen machte, anderes aber, was für sie völlig unverständlich und schockierend sein musste. Und noch heute ist ein wesentlicher Unterschied zwischen Judentum und Christentum, dass die Juden die Erlösung ausschließlich in der Zukunft erwarten, wir Christen sie aber in dem Spannungsverhältnis von schon begonnen – noch nicht vollendet sehen. ZUSAMMENFASSUNG: Der Glaube an eine Erlösung durch GOTT erleichtert das Akzeptieren der eigenen Erlösungsbedürftigkeit. Das AT zeigt ein klar entwickeltes Sündenbewusstsein und mannigfaltige Erlösungsvorstellungen. 2.1.2 Die überbietende Erfüllung der atl. Vorstellungen durch das NT: die Auferstehung CHRISTI. Der Schock, den der Tod JESU - und noch dazu dieser Tod - unter seinen Anhängern auslöste, kann nicht krass genug vorgestellt werden: JESUS schien in Seinem Anspruch gescheitert, von JAHWE verworfen: "Verflucht (d.i. von GOTT verworfen) ist, wer am Holze hängt", Dtn 21,23. Selbst Seine Jünger mussten daher gemäß ihrer jüdischen Vorstellungswelt - glauben, einem falschen MESSIAS F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 37 nachgelaufen zu sein. Das primäre Fluchtmotiv der Jünger war also sicher nicht Furcht, sondern, dass sie an JESUS "irre geworden" waren (Mk 14,27 und // ). Aufgrund dieser tiefeingewurzelten Überzeugung von der Verworfenheit eines Gekreuzigten durch GOTT kann auch die radikale Sinnesänderung der Jünger auf rein menschlicher Ebene nicht erklärt werden, wie es Leugner der Auferstehung immer wieder versucht haben: Wie hätten die Jünger durch bloßes Nachdenken erkennen sollen, dass der "Verfluchte" doch der "Richtige" war ?40. Und wie könnte Nachdenken dazu beGEISTern, für dessen Verkündigung alles, auch das Leben, zu riskieren ? Ohne die radikale Erfahrung des Auferstandenen ist also die radikale Sinnesänderung der Jünger unerklärlich 41! Dabei ist zu beachten: Es handelt sich nicht um eine Erfahrung der Auferstehung selbst, denn diese ist eine dem Menschen unter den gegenwärtigen Lebensbedingungen unzugängliche Neu-Schöpfung: An JESUS CHRISTUS wird Ende und Vollendung der Schöpfung vorweggenommen. Vielmehr spricht das NT von Erfahrungen (Plural!) des Auferstandenen, und zwar in zweierlei Weise: Die Osterevangelien, die - nach heute allgemein anerkannter theologischer Überzeugung - nicht von Augenzeugen des Auferstandenen verfasst wurden, versuchen in symbolischen Bildern Erfahrungen des Auferstandenen zu erzählen42 Dabei bemühen sie sich deutlich, einerseits die Identität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten zu bezeugen, andererseits Seine Neuartigkeit zu betonen (wiederholtes Motiv des Nicht- Erkennens) - denn: Auferstehung ist keine Rückkehr in das irdische Leben, wie etwa die Auferweckung des LAZARUS43 sondern Aufgenommen-Werden in die endgültige und vollendete Seinsweise GOTTES44. Diese Erzählungen der Osterevangelien bleiben notwendig bildhaft, da man, wie wir schon mehrmals darzutun versuchten, über GÖTTLICHES nur symbolisch sprechen kann (vgl. oben. 1.1.2 und 1.2.3) - d.h. aber, sie bleiben grundsätzlich mehrdeutig. Diese Mehrdeutigkeit betrifft aber nur das "Wie" der Erfahrungen des Auferstandenen, nicht aber das "Dass" - denn: "Ist aber CHRISTUS nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos" (1 Kor 15,14). PAULUS, also der einzige unumstrittene Augenzeuge des Auferstandenen unter den ntl. Autoren, spricht über seine Erfahrungen in theologischer Weise. Daher gilt hier, wie auch sonst: theologische (eindeutige) Texte liefern den Deutungsschlüssel zu bildhaften (mehrdeutigen), nicht umgekehrt. Der wichtigste dieser paulinischen Texte ist 1 Kor 15. Dabei fällt auf, dass er, der Augenzeuge, jeden Versuch einer Beschreibung der Erfahrung des Auferstandenen vermeidet, Dies ist auch gegenüber theologischen Versuchen einzuwenden, die die Erfahrung des Auferstandenen auf das Bewusstwerden des "Weitergehens" der "Sache JESU" reduzieren wollen, so MARXSEN W., Die Auferstehung Jesu von Nazareth, Gütersloh 1968. 41 Zu dem für den christlichen Glauben zentralen Thema "Auferstehung" gibt es eine Fülle von Literatur. Besonders empfehlenswert ist die sowohl fundamentaltheologisch- dogmatische als auch exegetisch-bibeltheologische Behandlung durch GRESHAKE G.-KREMER J., Resurrectio mortuorum. Zum theologischen Verständnis der leiblichen Auferstehung, Darmstadt 1986. 42 Vgl. dazu KREMER J., Die Osterevangelien - Geschichten um Geschichte, KBW, StuttgartKlosterneuburg 1977. 43 Vgl. KREMER J., Lazarus. Die Geschichte einer Auferstehung, KBW, Stuttgart 1985. 44 Zu Recht weist G.LOHFINK in seinem lesenwerten Büchlein "Die Himmelfahrt Jesu - Erfindung oder Erfahrung?" (KBW,Stuttgart 1980, 2.Aufl.) nach, dass LUKAS die Ostererfahrung der neuen Daseinsweise JESU zu einer Entrückungserzählung ausgestaltete. Wir feiern ja auch liturgisch nicht einen "Weggang" JESU, was seltsam wäre, sondern Seine neue Gegenwart. 40 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 38 die Tatsache und Bedeutung dieser Erfahrung aber stark hervorhebt. Für die Tatsache bietet PAULUS nicht nur sich selbst, sondern über fünfhundert Zeugen an (1 Kor 15,6), also weit mehr als die Evangelien. Und diese Tatsache der Auferstehung hat Bedeutung für unsere Zukunft, weil an CHRISTUS offenbar wurde, was uns alle und mehr als alles angeht: dass auch wir endgültig in das Leben GOTTES hineingenommen werden sollen (1 Kor 15,20-28), "damit GOTT alles in allem sei" (1 Kor 15,28). Die einzige Aussage bezüglich des "Wie" ist eine Abgrenzung der leiblichen Auferstehung im christlichen Sinn gegenüber einerseits der jüdischen Vorstellung einer Auferweckung desselben materiellen Körpers am Letzten Tag, andererseits der heidnischen Vorstellung einer unsterblichen, unleiblichen und unindividuellen Seele (1 Kor 15,35-50): Für die neue leibseelische Daseinsweise bei GOTT prägte PAULUS den schwer übersetzbaren Begriff "soma pneumatikon" (1 Kor 15,44): Die Einheitsübersetzung gibt diesen Ausdruck mit "überirdischer Leib" wieder, früher bevorzugte man "verklärter Leib"; doch scheint die wörtliche Übersetzung "GEISTiger (GEISTerfüllter, GEISTbelebter, GEISTgewirkter) Leib" vorzuziehen, wenn man GEIST nicht (im griechisch-philosophischen Sinn) als Gegenbegriff zu Leiblichkeit, sondern (im biblischen Sinn) als lebensspendenden GOTTESGEIST versteht. Auf den HL.GEIST wird noch im Kapitel 3 näher eingegangen. Jedenfalls ist der Sinn der Auferstehung klar: Sie ist ein Zeichen dafür, dass GOTTES Liebe "stärker als der Tod"45 ist und daher keinen, der sich Ihm anvertraute, im Tod lässt, sondern ihn in Sein Leben hineinnimmt. Für JESUS CHRISTUS bedeutet dies zugleich die endgültige Bestätigung Seines Anspruches, für uns bedeutet diese Bestätigung JESU CHRISTI auch die Verheißung, durch den Tod hindurch ebenso in das Leben GOTTES hineingenommen zu werden wie Er: "Wenn der GEIST dessen in euch wohnt, der JESUS von den Toten auferweckt hat, dann wird Er, der CHRISTUS JESUS von den Toten auferweckt hat, auch euren sterblichen Leib lebendig machen, durch Seinen GEIST, der in euch wohnt" (Röm 8,11). Trotz dieser eminenten Sinnhaftigkeit von Auferstehung fällt es heute vielen Menschen schwer, an ein solches Endgültig-Werden des Lebens zu glauben. Denn Möglichkeitsbedingung einer solchen Auferstehung ist, dass Wirklichkeit nicht auf Empirie, auf sinnlich erfahrbare Wirklichkeit, beschränkbar ist. Daher bemühten wir uns im Einführungskapitel 0 relativ ausführlich, einen Transzendenzbereich von Wirklichkeit nachzuweisen (zum Verhältnis Naturgesetzlichkeit -"Wunder" s.u.,2.2.1). ZUSAMMENFASSUNG: Die Auferstehung JESU ist - als d a s Zentralereignis des NT - Bestätigung Seines MESSIASanspruches für Ihn und für uns und Vorwegnahme der eschatologischen Neuschöpfung an Ihm und Verheißung einer solchen Neuschöpfung für uns. 2.1.3 Der Tod JESU CHRISTI hat Heilsbedeutung Von der Erfahrung des Auferstandenen her begann gleichsam "rückspulend" ein neues Verstehen der Person JESU CHRISTI einzusetzen, beginnend mit Seinem 45 Vgl. GRESHAKE G., Stärker als der Tod, Mainz 1983, 7.Aufl. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 39 Tod. Dazu stellte man die - offenbar auf JESUS selbst zurückgehende - paradoxe Verbindung des Todes eines Gekreuzigten mit dem Heil aller Menschen her 46. Für JESUS selbst dürfte diese Deutung Seines Todes im atl. Gedanken des stellvertretenden Sühneleidens begründet gewesen sein, wie es am eindringlichsten das vierte GOTTESknechtlied (Jes 53) schildert: Wenn das Volk sich in seiner Gesamtheit dem Bund mit GOTT versagt, kann der einzelne dennoch diesen Bund stellvertretend für die anderen - zu leben trachten; er wird aber gerade dadurch für die anderen zum "Stein des Anstoßes" werden (vgl. 1 Petr 2,8), gleichsam zum "Sündenbock" ("Er hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Holz des Kreuzes getragen..." , 1 Petr 2,2447) - d.h. er wird durch die Erfüllung von GOTTES Willen zu leiden haben - nicht weil GOTT ihn leiden lassen will, sondern weil die ihn ablehnenden Menschen ihn leiden lassen; dieses Leid kann er - wieder stellvertretend - als Sühne für die anderen annehmen und so deren entfremdete GOTTESbeziehung heilen 48. Wie die Deuteworte beim Letzten Abendmahl zeigen, dürfte JESUS selbst Seinen Tod in diesem Sinne verstanden haben.49 Mit zunehmender Präzisierung des SOHNverständnisses, die schon durch PAULUS erfolgte, erhielt der Tod JESU eine noch tiefere Bedeutung: Wenn in JESUS CHRISTUS GOTT selbst in einmaliger Weise gegenwärtig ist, dann liegt hier die endgültige Offenbarung Seines JAHWE-Seins vor - Sich nicht nur durch Menschen, sondern als Mensch zu offenbaren. So konnte GOTT die Folgen des Freiheitsmissbrauchs 50 aufheben, ohne die Freiheit selbst zu beseitigen: Dadurch, dass Er selbst das menschliche Leben, vor allem Leid und Tod teilt, überwindet Er die Folgen des Bösen und beginnt, Schuld (und daher GOTTverlassenheit), Leid und Tod in Sein GÖTTLICHES Leben hinein aufzuheben. Der bekannte Satz des IGNATIUS v.A.: "Was GOTT nicht angenommen hat, hat Er auch nicht erlöst" lässt sich daher auch positiv formulieren: Nur was GOTT angenommen hat, hat Er erlöst. 51 Deshalb und nur deshalb kann der Christ das "Ärgernis" und die "Torheit" des Kreuzes (1 Kor 1, 23) annehmen, weil diese Negativität für ihn durchsichtig gemacht wurde auf eine letzte und nicht mehr relativierbare Positivität hin. Das ist die GÖTTLICHE Lösung des Theodizeeproblems (und anders als durch GOTT ist es nicht lösbar, vgl. oben, 0.2.3, und ausführlicher 3.3.1) - GOTT selbst leidet und stirbt im Menschen JESUS, um Leid und Tod zu überwinden. "Morte occisus mortem occidit" (Vom Tod getötet tötete Er den Tod), so formuliert, rhetorisch wohlgeschult, AUGUSTINUS. ZUSAMMENFASSUNG: Vgl. KERN W., Das Kreuz als Offenbarung GOTTES, in: vgl.Anm.1 Bd.2, 200. Eine interessante, wenn auch eher tiefenpsychologisch als theologisch akzentuierte Auseinandersetzung mit der Sündenbockproblematik bietet SCHWAGER R., Brauchen wir einen Sündenbock ? Gewalt und Erlösung in den biblischen Schriften, München 1986, 2.Aufl. 48"Der `Stellvertreter' nimmt sozusagen die anderen in die Hingabe an Gott hinein", GRESHAKE G., Erlöst in einer unerlösten Welt ? Mainz 1987, 98; dieses Buch bringt - im Zusammenhang mit dem Sühneleiden JESU und mit dem Gedanken der CHRISTUS-Nachfolge - eine auch den heutigen Menschen ansprechende Interpretation des Sühnegedankens. 49 Vgl. auch SCHÜRMANN H., Jesu ureigener Tod, Freiburg 1975. 50 Den als "Erbsünde" bezeichneten Unheilszusammenhang. -Vgl. dazu MOLTMANN J., Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie, 1972. 51"Es gibt sozusagen keinen Raum mehr, den er nicht mit seiner Gegenwart und solidarischen Liebe zu uns erfüllt; es gibt keinen Ort und keine Situation mehr, in der wir ihn nicht antreffen können", GRESHAKE, vgl. Erlöst ...?, 102. 46 47 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 40 Die Erfahrung des Auferstandenen führte zu einer neuen Sichtweise Seines Todes: als stellvertretendes Leid - das aber in CHRISTUS von GOTT selbst geleistet wird. 2.2 Der "Glaube" an den "irdischen" JESUS Diese Überschrift enthält zwei Einschränkungen, die zu rechtfertigen sind: Erstens: Es geht um JESUS als Gegenstand des Glaubens, d.h., sofern JESU' irdisches Leben GOTT in einmaliger Weise sichtbar machte. Damit werden außerchristliche Interessen am vorbildlichen Menschen JESUS ausgeklammert.52 Zweitens: Es geht um den irdischen, nicht um den historischen JESUS. Seit dem Scheitern der Rekonstruktion eines von der Glaubensverkündigung gereinigten JESUS durch die Leben-JESU-Forschung einerseits 53 und der Verflüchtigung des historisch wirklichen JESUS in die Verkündigung durch BULTMANN andererseits empfiehlt sich ein Mittelweg, wie er durch die literarische Gattung der Bibel selbst nahegelegt wird 54 : Da in der Schrift Geschichtliches und Verkündigung untrennbar vereint sind, kann auch der historische JESUS nicht ohne den verkündigten CHRISTUS erkannt werden und umgekehrt. Daher verwenden wir im weiteren nur den Ausdruck "irdischer JESUS" und meinen damit den rein zeitlich zu verstehenden Abschnitt zwischen Geburt und Tod. Sobald durch die Erfahrung des Auferstandenen die Heilsbedeutung Seines Todes gesehen wurde, begann auch eine neue Sichtweise Seines Lebens. Historisch lässt sich das gut anhand des NT verfolgen: Am Anfang standen kurze Bekenntnisformeln zum Auferstandenen; dann folgten, in den paulinischen Briefen, ausführliche Darlegungen der Heilsbedeutung von Tod und Auferstehung JESU; schließlich, in den Evangelien, eine Interpretation Seines irdischen Lebens von der Ostererfahrung her, und zwar chronologisch gestuft: MARKUS, der älteste Evangelist, beginnt mit dem öffentlichen Wirken des erwachsenen Mannes JESU, MATTHÄUS und LUKAS beginnen mit Kindheitsevangelien, JOHANNES - wie übrigens schon PAULUS - stellt die Frage nach der Präexistenz (s.u.,2.3). 2.2.1 Interpretation des öffentlichen Wirkens JESU von der Ostererfahrung her Die Ostererfahrung öffnete gleichsam die Augen dafür, auch das irdische Leben JESU neu zu sehen: Nicht erst bei der Auferstehung war GOTT in JESUS CHRISTUS präsent, sondern bereits in Seinem öffentlichen Wirken, in Seiner Wortund Tatverkündigung. Wortverkündigung: Eine ausführliche Übersicht über nicht-christliche JESUS- Bilder findet sich bei WALDENFELS H., Kontextuelle Fundamentaltheologie, Paderborn-München-Wien-Zürich 1988, 2.Aufl.,205-228. 54 Zur Besonderheit der Bibel und ihres Verständnisses vgl. bes. KREMER J., Die Bibel lesen - aber wie ? KBW, Stuttgart 1978, 6.Aufl., und Die Bibel - ein Buch für alle. Berechtigung und Grenze `einfacher' Schriftlesung, KBW, Stuttgart 1986; LOHFINK, G. Jetzt verstehe ich die Bibel, KBW, Stuttgart o.J. 52 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 41 Unumstrittenes Zentrum der Verkündigung JESU war die basileia, die GOTTESHERRSCHAFT55. Dieser Begriff war nicht neu, auch nicht, dieses GOTTESREICH auch (nie nur!) als etwas Eschatologisch-Endgültiges zu sehen: beides, sowohl die Hoffnung auf eine GOTTESHERRSCHAFT auf Erden als auch die Entwicklung einer Hoffnung auf eine Vollendung dieser GOTTESHERRSCHAFT am Ende der Geschichte, war atl. vorgeprägt. Neu war vielmehr JESU schockierender Anspruch, dass diese GOTTESHERRSCHAFT durch Ihn auf Erden begonnen habe (etwa Mk 1,15) - ein Anspruch, der nicht nur Seine Zeitgenossen sondern jeden, der von Ihm hört, vor die unausweichliche Frage stellt: "Für wen haltet ihr mich ?" (Mk 8,29 und //) und der es verbietet, JESUS auf einen "netten Menschen" zu reduzieren. Der große alexandrinische Theologe ORIGENES hat für diese Einheit von verkündigtem Inhalt und verkündigendem JESUS den Ausdruck autobasileia geprägt, d.h. "Er selbst ist die Königsherrschaft (GOTTES)". Da JESUS schon zu Seinen Lebzeiten von dieser Nähe GOTTES in unüberbietbarer Weise erfüllt war, prägte diese Nähe all Sein Denken, Reden und Tun - Er sprach und handelte also nicht nur bisweilen im Auftrag GOTTES, sonst aber als Privatmann, wie etwa die Propheten; Er verkündete nicht bloß das Wort GOTTES, Er war und ist das Wort GOTTES (zum Titel Wort GOTTES (LOGOS) vgl.u., 2.2.3) Neben kurzen Statements (Logia) und sich aus der Situation ergebenden Streitgesprächen bevorzugte JESUS in Seiner Verkündigung daher die Gleichnisrede 56, und zwar nicht nur aufgrund der bilderreichen Erzählweise des Orientalen. Es wurde bereits bei der Behandlung der Frage des Sprechens über GOTT (vgl.o.,0.2.8) dargetan, dass über den GÖTTLICHEN Bereich nur symbolisch gesprochen werden kann. Und ein Gleichnis ist nichts anderes als ein erzählerisch entfaltetes Symbol: Denn in ihm wird erstens Irdisches zum Bild für das GOTTESREICH und ist zweitens immer der für das symbolische Denken typische Handlungsbezug da - tröstliche Verheißung und Einladung zur Mitarbeit zu sein. JESU Wirken: Aber nicht nur JESU Reden, auch Sein gesamtes Tun verwies zeichenhaft auf die GOTTESHERRSCHAFT und verwirklichte sie zugleich partiell. JESU Wirken ist daher sakramental im eigentlichen Sinn (als "wirksames Symbol") auf diese GOTTESHERRSCHAFT ausgerichtet, so dass Er selbst treffend als "Ursakrament" bezeichnet werden kann. An Seinem Handeln fiel dabei besonders auf: JESU Beziehung zu Seinen Jüngern glich nicht der eines Rabbis zu seinen Schülern, denn diese war quantitativ auf die Lehrzeit und qualitativ auf ein Lehrverhältnis beschränkt; JESUS "beschlagnahmt" Seine Jünger uneingeschränkt, so wie es im AT nur JAHWE selbst mit den von Ihm erwählten Menschen tut, und setzt sich dabei sogar über die sittlichen Pflichten gegenüber der Familie hinweg - so etwa die Aufforderung, die Familie zu verlassen oder zumindest hintanzusetzen (Mk 10,29 f. et par.) oder die schockierende Forderung "Lass die Toten ihre Toten begraben!" (Mt 8,22 und Lk 9,60). Vgl. dazu SCHÜRMANN H., Gottes Reich - Jesu Geschick. Jesu ureigener Tod im Licht seiner Basileia Verkündigung, Freiburg 1983 56 Vgl. dazu etwa JEREMIAS J., Die Gleichnisse Jesu, Göttingen 1954; KNOCH O., Wer Ohren hat, der höre. Die Botschaft der Gleichnisse Jesu. Ein Werkbuch zur Bibel, Stuttgart 1985,2.Aufl.; LINNEMANN E., Gleichnisse Jesu, Göttingen 1975, 6.Aufl. 55 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 42 JESUS beanspruchte, Herr über die Sünde zu sein: Er ist ja das „Lamm GOTTES, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“, d.h. die Trennung von Schöpfer und Schöpfung überbrückt. Dies zeigte sich an Seiner wiederholten Tischgemeinschaft mit Sündern Tischgemeinschaft bedeutete Lebensgemeinschaft vor GOTT, so dass JESU Vorliebe für Zöllner und Sünder nicht auf soziale Anteilnahme reduziert werden dar57; vielmehr will JESUS in Seiner besonderen Zuwendung zu diesen Außenseitern zeigen, dass ganz Israel sich zu GOTT bekehren soll; an den Außenseitern wird nur zeichenhaft sichtbar, was für alle gilt. Wieder sollte man Sünde nicht auf Schuld reduzieren – JESUS hat nicht nur Schuldigen vergeben, sondern auch andere Außenseiter (Kranke, Frauen) in die Gemeinschaft mit GOTT heimgeholt. Wenn auch JESUS sicher noch nicht ein gesetzesfreies Evangelium wie PAULUS verkünden konnte - denn die paulinische Gesetzesfreiheit setzt voraus, dass JESUS CHRISTUS durch Sein Leben, Sterben und Auferstehen zum alleinigen Heilsmittler wurde -, so beanspruchte Er doch immer wieder, das Gesetz mit endgültiger Autorität auszulegen (so in den provokativen Krankenheilungen am Schabbat und in den sog. "Antithesen" der Bergpredigt). Besonders auffällig und auch von Seinen Gegnern nicht bestritten, sondern anders interpretiert ("Die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren, sagten: Er ist von Beelzebul besessen; mit Hilfe des Anführers der Dämonen treibt Er die Dämonen aus" (Mk 3,22 und //)) aber war, dass JESUS als "Zeichen" Seiner GÖTTLICHEN "Vollmacht" Kranke und Besessene58 heilte, vielleicht auch Tote erweckte und über die Natur in ungewöhnlicher Weise verfügte59. Da die Bibel selbst diese außergewöhnlichen Taten JESU immer wieder in engstem Zusammenhang mit dem Glauben an Ihn sieht (so die bei vielen Wundererzählungen wiederkehrende Formel "Dein Glaube hat die geholfen!", mit der JESUS von sich als Menschen wegweist auf den durch Ihn wirkenden GOTT. Noch deutlicher "Und Er konnte dort kein Wunder tun; ...und Er wunderte sich über ihren Unglauben" (Mk 6, 5f.) können auch sie nicht als Glaubens"beweise" gelten, wohl aber als Zeichen für den Glauben60. Biblisch betrachtet hat das "Wunder"-Wirken JESU einen dreifachen Zeichencharakter: Zeichen Nach MERKLEIN H., Jesus, Künder des Reiches Gottes, in: s.Anm.1 Bd.2,bes. 148 ff.,158 ff. und 166. 58 Besessene können als psychisch Kranke verstanden werden; die Vorstellung, dass (besonders psychische) Erkrankungen von bösen Dämonen verursacht werden, weist, symbolisch verstanden, auch für unsere Zeit auf Richtiges hin: dass erstens Krankheit GOTTES Heilswillen widerspricht und dass zweitens gerade psychische Erkrankungen häufig mit der Nicht-Bewältigung von Schuld zu tun haben, nicht nur mit eigener, sondern -–und meist sogar mehr – mit fremder. Unsere „Dämonen“ sind oft, was man uns, vor allem in unserer Kindheit, angetan hat.- Vgl. auch KREMER J., Heutiges Sprechen über Teufel, Dämonen und Besessenheit. Bibeltheologische Erwägungen als Orientierungshilfe, Wiener Diözesanblatt 116, 1978, 57-60. MÜLLER J., Und heilt alle deine Gebrechen. Psychotherapie in christlicher Sicht, Stuttgart 1989. 59 Zur exegetischen Einteilung und Bewertung der Arten von "Wundern" hier nur kurz folgendes: Abgesehen von der Auferstehung, die als "Wunder aller Wunder" eine Sonderstellung hat und bereits oben ausführlicher besprochen wurde (2.1), sind die Kranken- und Besessenenheilungen allgemein anerkannt; umstritten hingegen sind die Totenerweckungen - wobei hier allerdings beachtet werden muss, wie "tot" definiert wird (vgl. dazu KREMER J., Lazarus. Die Geschichte einer Auferstehung, KBW, Stuttgart 1985, und KÜNG H., Ewiges Leben ? München-Zürich 1982) - und die Naturwunder, die von vielen Exegeten in die Nähe der "Begleitwunder" (z.B. Finsternis bei JESU Tod) gerückt und ebenso wie diese als Stilmittel verstanden werden. 60 Die neuscholastische Theologie versuchte in ihrem Rückzugsgefecht gegen den scheinbar bedrohlichen naturwissenschaftlichen Fortschritt, "Wunder und Weissagungen" als extrinsezistischen Glaubensbeweis, also als Glaubensbeweis "von außen", zu installieren. Diese Interpretation ergibt 57 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 43 für das angebrochene / noch nicht vollendete GOTTESREICH, für die GÖTTLICHE Autorität JESU und für unseren menschlichen Glauben zu sein. Für die Bibel ist daher nicht wichtig, dass Außergewöhnliches geschieht, sondern dass die Nähe GOTTES erfahren wird61. Daher ist es unsinnig, Wunder als "Übertretung von Naturgesetzen" zu definieren - "Wunder stehen nicht gegen die Natur, sondern gegen das, was wir von der Natur wissen", sagte schon AUGUSTINUS. Wunder wären nämlich nur dann als Übertretung von Naturgesetzen definierbar, wenn wir bereits alle Naturgesetze kennten, was kein vernünftiger Menschen behaupten und was der gesamten naturwissenschaftlichen Forschungstätigkeit widersprechen würde. Zudem würde die Vorstellung, dass GOTT einerseits die Natur samt ihrer Gesetzlichkeit wirkt, andererseits in ebendieser Natur korrigierend "herumpfuscht", kein sehr geglücktes GOTTESbild ergeben. GOTT "konkurriert" nicht mit Seinen Geschöpfen - sondern: GOTT wirkt direkt (als "Erstursache") die Schöpfung, aber nicht ebenso direkt in der Schöpfung - hier wirkt er mittels der Geschöpfe (durch "Zweitursachen")62. Was GOTT durch Seine Geschöpfe wirkt, kann als staunenswert, vielleicht auch nach dem jeweiligen Wissensstand als unerklärlich erscheinen. Dabei ist zu beachten, dass GOTT die Freiheit des Menschen nicht überspringt, d.h., dass Er nur in der vernunftlosen Geschöpflichkeit gleichsam automatisch wirkt, im Menschen aber nur, sofern dieser es zulässt: Dies erklärt, warum Propheten und Heilige, allen voran aber natürlich JESUS, GOTTES Macht (dynamis) durch zeichenhafte Machttaten (dynameis) in der Schöpfung sichtbar machen können - nicht durch besondere Kenntnis von noch unbekannten Naturgesetzen, sondern durch ihre enge Verbindung mit GOTT, also durch ihren Glauben. JESUS nannte GOTT "Abba", was nicht nur "Vater", sondern - im Sinne einer Zärtlichkeitsanrede - "Väterchen, Papa" bedeutet63. Diesen so vielfältig manifestierten Anspruch JESU, den seine Anhänger zu Seinen Lebzeiten so häufig erfuhren und so wenig verstanden, verstehen sie nun von der Erfahrung des Auferstandenen her - wobei für uns heute bei vielen Perikopen nicht mehr klar entscheidbar ist, ob es sich um ein Sehendwerden für eine am irdischen JESUS tatsächlich erkennbare Besonderheit handelt oder ob eine Rückprojektion der Ostererfahrung in das irdische Leben JESU vorliegt. Für die Grundaussage des NT spielt dies allerdings keine Rolle: Wie immer der Einzelfall zu beurteilen ist - das NT will aussagen, dass GOTT Sich nicht erst im auferstandenen CHRISTUS, sondern bereits im irdischen JESUS in einmaliger und endgültiger Weise offenbarte. sich aber nicht zwingend aus der Behandlung von Wundern und Weissagungen durch das Vat I (DS 3009), weil hier zwar von "äußeren Beweisgründen", doch auch von "inneren Hilfen des HL.GEISTES" und von "Zeichen für die GÖTTLICHE Offenbarung" gesprochen wird; vgl. dazu KNAUER P., Der Glaube kommt vom Hören. Ökumenische Fundamentaltheologie, Graz-Wien-Köln 1978,267 f. 61Eine klare Herausarbeitung des Unterschieds von biblischem und modernem Wunderverständnis findet sich bei WEISER A., Was die Bibel Wunder nennt, KBW,Stuttgart 1975. 62 FRIES, s.Anm 14, 292; vgl. auch WEISSMAHR B., Glauben, Mirakel, Wunder, BiKi 29, 1974, 2-5. 63 Vgl. JEREMIAS J., Abba, Studien zur neutestamentl. Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen 1966; JEREMIAS macht besonders auf die Einmaligkeit dieser GOTTESanrede im Judentum aufmerksam (a.a.O.,59) F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 44 ZUSAMMENFASSUNG: JESUS CHRISTUS repräsentierte GOTT bereits in Seinem irdischen Leben in unüberbietbarer Weise, was Seine Jünger erst durch die Ostererfahrung rückblickend erfassten. 2.2.2 Interpretation der Zeugung und Geburt von der Ostererfahrung her Wir sagten soeben, dass es bezüglich des irdischen Wirkens JESU im Einzelfall oft schwierig ist, zwischen nachösterlicher Interpretation eines Ereignisses und der Rückinterpretation der Ostererfahrung, also zwischen zeichenhaftem Geschehen und zeichenhafter Interpretation, zu unterscheiden. Dies gilt in verstärktem Ausmaß von den sogenannten "Kindheitsevangelien", die bei Mt und Lk eine Art theologischer Ouverture bilden. Beide Texte stellen, unabhängig voneinander, die Besonderheit JESU durch besondere Zeichen dar (Verkündigung durch Engel, Neuschöpfung durch GOTT in MARIA etc.)64 Damit soll ausgesagt werden, dass JESUS von Anfang an nicht nur SOHN DAVIDs und insofern Erfüllung des AT ist, sondern auch SOHN GOTTES und insofern einmalige Überbietung des AT. ZUSAMMENFASSUNG: Die Kindheitsevangelien (Mt 1-2,Lk 1-2) gestatten keine klare Trennung von historischem Kern und Kerygma; ihre Grundaussage ist die Betonung der Besonderheit JESU CHRISTI, in dem die atl. Verheißungen nicht nur erfüllt (SOHN DAVIDs), sondern sogar überboten werden (SOHN GOTTES). 2.2.3 Interpretation der Person JESU CHRISTI durch Seine Titel Die ältesten uns greifbaren Glaubenszeugnisse sind Kurzformeln, die die Einmaligkeit JESU CHRISTI mit Hoheitstiteln zu umschreiben suchen, die im NT und von der kirchlichen Tradition übernommen wurden. Die Fülle der Titel drückt keineswegs eine wie immer geartete Titelsucht aus, sondern erklärt sich aus der Schwierigkeit, JESU Wesen auch nur einigermaßen adäquat zu erfassen. Hier sei auf die bekanntesten verwiesen: JESUS ist der CHRISTUS (MESSIAS) 65. Im AT war die Salbung Zeichen einer InDienst-Nahme durch JAHWE - jeder König und Priester war daher ein "Gesalbter". Doch schon im AT entwickelte sich die Vorstellung "des" Gesalbten als dessen, der das Heil JAHWEs vermittelt. Für das NT steht fest: JESUS ist dieser CHRISTUS so sehr, dass der Titel CHRISTUS für JESUS gleichsam zum zweiten Eigennamen und dadurch ausschließlich für Ihn reserviert wurde. JESUS ist der SOHN (GOTTES)66. Schon im AT meint "Sohn" keineswegs nur eine biologische Beziehung, sondern häufig ein Zugehörigkeitsverhältnis - immer wieder heißen (zunächst) das ganze Volk Israel und (später auch) die Könige "Sohn JAHWEs", einmal sogar der SATAN - so Ijob 1,6; dieser sonderbar anmutende Vgl. BECK E., Gottes Sohn kam in die Welt. Sachbuch zu den Weihnachtstexten, KBW,Stuttgart o.J Ausführlicher bei KASPER W., Jesus der Christus, Mainz 1984, 9.Aufl. 66 Einen Überblick über den SOHNES-Titel bietet KREMER J., "Sohn Gottes", BiLi 46, 1973, 3-21. 64 65 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 45 SATANstitel erklärt sich wohl am besten daraus, dass - in anti-dualistischer Weise die Zugehörigkeit und damit Unterordnung des SATAN unter JAHWE ausgedrückt werden soll. Von diesem Zugehörigkeitsverhältnis ist auszugehen, wenn man das SOHN-Sein JESU richtig und nicht heidnisch erfassen will. Bekanntlich zeugen in den heidnischen Mythologien der biblischen Umwelt verschiedene GÖTTER in durchaus biologischer Weise Söhne mit hübschen Erdenfrauen. So darf die Menschwerdung GOTTES in MARIA selbstverständlich nicht verstanden werden, wenngleich dies dem Christentum von Gegnern immer wieder vorgeworfen wurde vgl. Koran, Sure 19. Aufgrund dieser Gefahr sollten auch lehramtliche ("gezeugt und nicht geschaffen") und liturgische ("GOTTEs und MARIENs SOHN") Texte sorgfältig auf ihre Missverständlichkeit hin überprüft werden. Dass JESUS als "der" SOHN verstanden wird, drückt die Einmaligkeit Seiner GOTTESbeziehung aus, die im folgenden (s.u.,2.3) noch weiter zu bestimmen ist. Zunächst so viel: der ntl. SOHNESbegriff ist nicht im heidnischen Sinn biologisch zu verstehen, sondern als überbietende Erfüllung des atl. Sohnes-verständnisses zu sehen - aus der atl. Amtsoder Funktionsbezeichnung (Erwählung durch GOTT) ist eine Wesensbezeichnung geworden. JESUS ist der MENSCHENSOHN. Das im AT mehrdeutige Wort wurde in Dan 7 als "apokalyptischer Mensch" verstanden, ursprünglich kollektiv im Sinne einer Idealperson, d.h. die Heiligen Israels der letzten Tage; doch noch vor CHRISTUS wurde das Verständnis individualisiert im Sinne eines GOTTgesandten und dadurch der Bedeutung von MESSIAS angenähert. JESUS dürfte den MENSCHENSOHNBegriff als Selbstbezeichnung bevorzugt haben, weil er nicht so leicht politisch missverstanden werden konnte wie der MESSIAStitel.67 JESUS ist "der" PROPHET: Auch dieser Titel knüpft an das AT an und drückt zugleich dessen Überbietung aus. Der atl. Prophet heißt "nabi", übersetzbar mit "(von GOTT) berufener Rufer", der immer wieder Botschaften GOTTES dem Volk auszurichten hat. JESUS aber ist Wort und Botschaft GOTTES. JESUS ist der LOGOS. Diesen Hoheitstitel verwendet nur das Joh.-Ev., und zwar in Zusammenhang mit der ihm eigenen Inkarnationschristologie (s.u.2.3). Er wird - nicht ganz glücklich - mit "Wort" übersetzt, ist allerdings überhaupt kaum angemessen ins Deutsche zu übertragen - man denke an GOETHEs "Faust". Es liegt, trotz der griechischen Sprache, eher die hebräische Vorstellung der Offenbarung GOTTES als Tat-Wort ("dabar") zugrunde, durch das GOTT Sich in Schöpfung und Geschichte offenbart - in der Geschichte zunächst partiell mit worthaften Aufträgen an einzelne Menschen, die Propheten, total aber in JESUS CHRISTUS: "Und das Tat-Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns Sein Zelt aufgeschlagen" - so die wörtliche Übersetzung von Joh 1,14. Sekundär mag mit dieser Bezeichnung auch die griechische Wortbedeutung "Vernunft" mitgedacht gewesen sein, um die Vernunftgemäßheit der GÖTTLICHEN Offenbarung in Schöpfung und Geschichte zu betonen. JESUS ist der HERR (KYRIOS)68. Dieser Begriff ist im Griechischen ebenso zweideutig wie im Deutschen, denn er meint sowohl "Herr" als höfliche Anrede für Männer als auch "HERR" als Anrede GOTTES. Wenn auch nicht an allen Stellen des NT, an denen diese Bezeichnung verwendet wird, klar ist, ob sie im ersten oder zweiten Sinn gemeint ist, ist doch sicher, dass sie oft den zweiten Sinn hat und somit JESUS GÖTTLICHKEIT zuspricht - am deutlichsten im Philipper-Hymnus, Phil 2,511. Diese Auffassung wird nicht generell geteilt; ausführlicher bei PESCH R.-SCHNACKENBURG R.KAISER O. (Hsg.) Jesus und der Menschensohn. Fs.f.A.VÖGTLE, Freiburg 1975. 68 Vgl. SCHULZ S., Maranatha und Kyrios Jesus, ZNW 53, 1962, 125-144, bes. 125 ff. u.134 ff. 67 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 46 JESUS ist GOTT (THEOS). Diesen Titel verwendet nur das Joh.- Ev., doch trotz dieser scheinbaren "Verdopplung" GOTTES immer im Singular ! (zur schwierigen Fragen der GÖTTLICHEN "Personen" und der Trinität s.u., 2.4). ZUSAMMENFASSUNG: Die Erfahrung des Auferstandenen bewirkte auch eine neue Sichtweise der Person JESU - sich ausdrückend in zahlreichen Titeln, die sich dem Geheimnis Seiner Person zu nähern suchen, ohne es je ausschöpfen zu können. 2.3 Der Glaube an den präexistenten SOHN und an den GEIST 2.3.1 Möglichkeit und Sinn der Menschwerdung GOTTES Fragt man von der Menschwerdung als dem Höhepunkt der geschichtlichen Offenbarung GOTTES her nach ihrer Möglichkeit, so muss diese, entsprechend des Wechselbezugs von Offenbarung und Glauben, aufseiten GOTTES und des Menschen auffindbar sein: Von GOTT her ist die Schöpfung als allgemeinste Offenbarung der Rahmen, der die Menschwerdung GOTTES nicht nur ermöglicht, sondern in ihr zur Vollendung kommt. Vom Menschen her ist seine Kontingenz, seine geschöpfliche Bezogenheit auf GOTT und Offenheit für GOTT, der Rahmen, der die Menschwerdung GOTTES nicht nur ermöglicht, sondern durch sie vollendet wird. Die Menschwerdung GOTTES vollendet in gleicher Weise GOTTES Gegenwart in Seiner Schöpfung und die Selbsttranszendenz des Menschen auf GOTT hin - mit der Menschwerdung beginnt also die Vergöttlichung der Welt.69 Warum ereignet sich dann aber diese Menschwerdung GOTTES nicht in jedem Menschen? Hier ist es nicht zureichend, nur auf die Möglichkeit des schuldhaften Sich-Verschließens des Menschen gegenüber GOTT hinzuweisen - diese Möglichkeit sehen auch jene Religionen, die an eine wiederholte Menschwerdung des GÖTTLICHEN glauben (Hinduismus und Buddhismus, vgl. Religionswissenschaft) - obwohl natürlich auch dieser Grund mitberücksichtigt werden muss: Denn dann wäre es möglich, dass auch andere Menschen außer JESUS aus Freiheit ebenso offen für GOTT wären wie Er, so dass jene totale Menschwerdung GOTTES sich auch in ihnen ereignen könnte. Solches wurde und wird auch immer wieder vertreten, oft verbunden mit der Behauptung der Gleichwertigkeit aller Religionen und der Ablehnung des besonderen Anspruches des Christentums. ABER: Eine solche Argumentation würde die Geschichtlichkeit verkennen - es kann in der Geschichte keine Wiederholungen genau desselben geben! Es ist daher konsequent, dass die wiederholbare Menschwerdung des GÖTTLICHEN von Religionen vertreten wird, die zyklisch und nicht geschichtlich denken (Hinduismus Ausgeführt bei RAHNER K., Grundkurs des Glaubens, Einführung in den Begriff des Christentums, Freiburg-Basel- Wien 1980, 11. Aufl.,.211-225. 69 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 47 und Buddhismus). In den Rahmen eines geschichtlichen Denkmodells aber ist die Wiederholbarkeit weder der Inkarnation noch der Glaube an eine Reinkarnation widerspruchsfrei unterzubringen, auch wenn dies manche westliche Zeitgenossen für "in" halten. Auf die Problematik wird bei der Besprechung der genannten Weltreligionen in Religionswissenschaft noch ausführlicher eingegangen werden. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass GOTT - wie übrigens jede andere Person - Sich nur sukzessive in der Geschichte offenbaren kann, weil Er sonst vom Menschen gar nicht verstanden würde. Das schließt ein: Menschwerdung ist nicht zu jeder Zeit möglich, sondern Höhepunkt der in der Zeit erfolgenden Offenbarung (biblisch "Fülle der Zeit") - denn: in der Geschichte gibt es keine Wiederholungen! nicht zu jeder Zeit bzw. zumindest nicht wiederholt nötig ,und zwar weder vonseiten GOTTES, weil Er dieser Offenbarung nichts hinzuzufügen hat - eine die Menschwerdung qualitativ überbietende Offenbarung ist nicht einmal denkmöglich, sondern nur eine quantitative Ausweitung der Menschwerdung auf andere, möglichst alle, Menschen; eine Tier-, Pflanzenoder Materiewerdung GOTTES wäre sinnlos, da diese Bereiche nicht selbstbewusst sind, also auch in keinem personalen Verhältnis zu GOTT stehen können; noch vonseiten der Menschen, weil sie durch jene einmalige Menschwerdung in jene VATER-SOHN-Beziehung hineingenommen, "Kinder GOTTES", werden können. Gerade daraus erklärt sich ein richtig verstandener Absolutheitsanspruch des Christentums 70: GOTT wirkt das Heil aller Menschen - aber, gleichgültig, ob sie dies erkennen und / oder anerkennen - durch JESUS CHRISTUS. Insofern sind zwar alle Religionen als positive Heilswege anzuerkennen, aber nicht als gleichwertig dem Christentum - sondern sie sind, ohne es zu wissen, Heilswege nur aufgrund des in CHRISTUS gewirkten Heils. Es ist also auch bei der Menschwerdung als dem Höchstfall von Offenbarung das bereits besprochene Verhältnis von allgemeiner / geschichtlicher Offenbarung bzw. Vernunftglauben / Offenbarungsglauben zu berücksichtigen. ZUSAMMENFASSUNG: Menschwerdung ist die Vollendung der GÖTTLICHEN Offenbarung und der Geschöpflichkeit des Menschen; sie ereignet sich ein für allemal, in Einem für alle. 2.3.2 Rückschluss auf die Präexistenz und die zwei "Naturen" des SOHNES Schon die beiden bedeutendsten Theologen des NT, PAULUS und JOHANNES, kamen zur Annahme der Präexistenz des SOHNES, d.h. dass der SOHN GOTTES nicht erst zugleich mit dem Menschen JESUS geschaffen wurde, sondern - als ewig existierender - in JESUS Mensch wurde. - Wie ist das zu begründen ? Das eigentlich Neue des NT gegenüber dem AT ist, dass GOTT Sich in einmaliger und unüberbietbarer Weise in einem Menschen, JESUS von Nazaret, offenbart Damit ist nicht notwendig HEGELs Konzept des Christentums als "absoluter Religion" übernommen, sondern nur eine gewisse - und in Religionswissenschaft noch näher zu begründende - Vorrangigkeit des Christentums behauptet: Die Absolutheit ist immer eine relative - d.h. es gibt nicht "die" Religion, sondern es kann bestenfalls gezeigt werden, dass einer Religion die Annäherung an GOTT besser geglückt ist als anderen. 70 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 48 diese einmalige GOTTESbeziehung wurde besonders mit dem Wort SOHN ausgedrückt (s.o., 2.2.3). Schon im NT und nicht erst bei späteren Theologen kam es durch diese "Menschwerdung" gleichsam zu einer "Verdopplung" GOTTES - bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung Seiner Einheit (vgl. etwa Phil 2,5-11; Mt 11,25-30; Joh 1,1-18): GOTT wird Mensch, doch ohne in dieser Menschwerdung ganz in JESUS aufzugehen - GOTT ist "in" JESUS und zugleich "außerhalb" JESU' als der, zu dem JESUS "Abba" sagt. Von dieser geschichtlichen Offenbarung GOTTES als VATER-SOHN her ist der Rückschluss möglich, dass GOTT bereits in Sich eine Relation setzt, dass Er "Sich" bereits in Sich "offenbart", was wir durch die Bildrede "VATER-SOHN" veranschaulichen. Denn wäre GOTT nicht bereits in Sich Relation, würde Er Sich nicht als das offenbaren, was Er in Wahrheit ist; wäre Er in Seiner Relation zur Schöpfung nicht frei: Nur ein GOTT, der in Sich wesenhaft Relationalität ist, ist frei, auch "Etwas" (Schöpfung) aus dieser Relationalität zu entlassen, ohne dabei Seine eigene Identität, Relationalität zu sein, zu verlieren: GOTT ist Relation und schafft Relation. Die Annahme einer von GOTT zwar abhängigen, doch von Ihm unterschiedenen, in eine gewisse Eigenständigkeit entlassenen und zeitlich begrenzten Schöpfung führt zur Annahme der Trinität; die umgekehrte Annahme eines in sich relationslosen GOTTES hingegen führt letztlich zu einer pantheistischen Gleichsetzung von GOTT und Kosmos und zur Annahme der Ewigkeit dieses Kosmos (vgl. auch 2.4). Präzisiert wurde das Verständnis der zweiten GÖTTLICHEN Person und Ihrer Menschwerdung besonders durch das Konzil von Chalzedon, in Ausgrenzung sowohl des monophysitischen als auch des nestorianischen Missverständnisses. Durch die Überbetonung der Einheit der Person CHRISTI durch die alexandrinische Theologenschule wurde auch die Einheit Seiner "Natur" überbetont, wobei Sein GÖTTLICHES Wesen Sein Menschsein gleichsam aufgesaugt habe, daher Monophysitismus, d.h. Einnaturenlehre. Durch Überbetonung der Zweiheit der "Naturen" CHRISTI durch die antiochenische Theologenschule wurde eine nur lose Verbindung dieser beiden Naturen angenommen, wodurch es schwierig wird, CHRISTUS als eine Person zu sehen (Nestorianer – ausführlicher in Ökumenischer Theologie). Das Konzil betont, dass der eine JESUS CHRISTUS "wahrhaftig GOTT" und "wahrhaftig Mensch" ist, "wesensgleich dem Vater der GOTTHEIT nach" und "wesensgleich uns Seiner Menschheit nach" (DH 301) und dass die eine Person JESU CHRISTI "in zwei Naturen unvermischt, unverwandelt, ungetrennt und ungesondert besteht .." (DH 302). Um diese Formulierungen für heute verständlich und verbindlich zu machen, muss man berücksichtigen, was in ihnen ausgesagt werden sollte - denn das Wie, die damals verwendeten Begriffe, hat sich verändert71. Die eine Person JESUS war Gerade die hier entscheidenden Begriffe "Person" und "Natur" haben lange dogmengeschichtliche Entwicklungen hinter sich. Anders als in der Trinitologie - s.u., 2.4 - hat der Personbegriff in der Christologie bereits etwa die heutige Bedeutung. Nicht aber das, was wörtlich mit "Natur" wiedergegeben wurde: Im griechischen Originaltext ist das entsprechende Wort "physis", in der kirchlichen lateinischen Übersetzung "natura"; dies entspricht aber nicht dem Begriff "Natur" im heutigen Verständnis ("Inbegriff des sinnlich Wahrnehmbaren"), sondern eher dem, was wir als "Wesen" einer Sache oder Person bezeichnen - also das, was eine Sache oder eine Person zu dem macht, was sie ist; das wird auch dadurch bestätigt, dass in der damaligen Theologie physis auch mit ousia, natura auch mit substantia wiedergegeben werden konnte. 71 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 49 GOTT und Mensch zugleich, d.h. Sein Menschsein war wesentlich ("substantiell") und nicht bloß akzidentiell durch Seine Beziehung zum Vater bestimmt. Das also, was die unverwechselbare Einmaligkeit JESU' ausmachte, war seine VATERBeziehung. Doch diese Beziehung GOTTES zu Sich, d.i. die Beziehung der ersten zur zweiten GÖTTLICHEN "Person", die Beziehung des "VATERS" zum "SOHN", entstand und endete nicht mit der Lebensdauer des irdischen JESUS, sondern konkretisierte sich nur in diesem JESUS, ist aber, als wesentlich zu GOTT gehörend, ewig. ZUSAMMENFASSUNG: Die einmalige GOTTESbeziehung JESU führte zu dem Rückschluss, dass GOTT bereits in Sich Relation sei, die durch die Bildworte "VATER" und "SOHN" ausgedrückt wird, und dass GOTT Sich daher in der Geschichte so offenbare, wie Er in Sich ist. 2.4 Der Glaube an den drei-einigen GOTT 2.4.1 Der Hl. GEIST Schon im AT wurde das Wirken JAHWEs personhaft versinnbildlicht, wie etwa mit "Bote" (mal'ak), "Wort" (dabar), "Weisheit" (hokmah) oder "Geist" (ruah). Die Vor-läufigkeit des AT zeigt sich auch darin, dass das Verhältnis dieser personhaften Symbole JAHWEs zu Seiner Einheit nicht ausdrücklich geklärt wird. Mit ruah (GOTTESGEIST)72 umschrieb man schon im AT verschiedene Wirkungsweisen GOTTES, denen gemeinsam ist, dass sie Leben in irgendeiner Form spenden. Die etwas blasse Übersetzung des GÖTTLICHEN LEBENSSPENDERS - oder genauer: LEBENSSPENDERIN (ruah ist im Hebr. feminin!) - mit GEIST dürfte das Schattendasein des HL. GEISTES besonders in der katholischen Kirche verschuldet oder zumindest mitverschuldet haben. Der HL.GEIST spielt im religiösen Leben des Durchschnittsgläubigen kaum eine Rolle das Kreuzzeichen, in dem Er verbaliter erwähnt wird, ist weitgehend mechanisiert, und in persönlichen Gebeten wendet man sich an den VATER und/oder SOHN, worunter man sich eher etwas vorstellen kann. In der Bibel ist die Rolle des GOTTESGEISTES wesentlich bedeutender: So schenkt die ruah irdisches Leben an Mensch und Natur (z.B. Ps 104), Leben im Sinne von Be-GEIST-erung, und zwar zunächst an einige auserwählte Menschen (Richter, Propheten, Könige), endzeitlich dem MESSIAS (Jes 11) und dem gesamten Volk (Joel 3, 1 f.), - d.h. aber: Immer drückte dieses Wort eine besondere Verbindung zu GOTT, ein HineingenommenWerden in Sein Leben, aus73. Von dieser Basis her versteht sich, dass das NT die besondere Verbindung JESU mit GOTT auch durch Seine "GEISTerfülltheit" umschrieb - Er ist GEISTgeschöpf, der GEIST erfüllt Ihn bei der Taufe, er wirkt im GEIST und wird durch den GEIST von den Toten auferweckt - und dann ebenso die durch Ihn vermittelte GOTTESkindschaft (vgl. Joh 20, Apg 2, Charismen bei PAULUS). Am stärksten zeigt sich dies bei Lk, dessen Doppelwerk vom Wirken des GOTTESGEISTES wie von einem Roten Faden durchzogen ist: Lk verbindet zwei atl. Vorstellungen - die des Vgl. dazu RAHNER K., s.Anm. 29, bes. 139 ff.; CONGAR Y, Der Heilige Geist, Freiburg 1982, und MÜHLEN H., Der Heilige Geist als Person. In der Trinität, bei der Incarnation und im Gnadenbund. Ich-Du-Wir, 1966, 2.Aufl. 73 Ausführlicher bei SCHULTE R., Die Vorbereitung der Trinitätsoffenbarung, in: MySal II,49-82. 72 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 50 GEISTerfüllten MESSIAS (Jes 11) und die des GEISTerfüllten GOTTESvolkes (Joel 3). Daher lässt sich bereits im NT nicht nur eine "Verdopplung", sondern eine "Verdreifachung" GOTTES nachweisen. Doch führt auch diese Verdreifachung nie zum "Tritheismus", d.h. zum Glauben an drei GÖTTER. Freilich gelingt es dem NT nicht - wie übrigens wohl keiner Theologie - diese dreifache Einheit GOTTES klar zu fassen - sie bleibt das Grundgeheimnis des Christentums. Anschaulich drückt dies die bekannte Legende über AUGUSTINUS aus: Als er, gedanklich mit seinem Werk "De Trinitate" beschäftigt, am Meer spazierenging, sah er einen kleinen Buben Wasser mit der Hand in eine am Strand befindliche Mulde schöpfen. Auf AUGUSTINs Frage, was der Bub hier mache, antwortete dieser, er wolle das Meer in die Grube schöpfen. Als AUGUSTINUS dem Kind sagte, dass dies unmöglich sei, antwortete der Knabe, dass es ebenso unmöglich sei, dass ein Mensch die Dreifaltigkeit erfasse, und verschwand. 2.4.2 Gedanken zur Trinität So sehr es zu begrüßen ist, dass unsere Kenntnisse von und unsere Toleranz gegenüber anderen Religionen nach dem Vaticanum II zugenommen hat, so stehen wir doch gerade dadurch verstärkt vor der Anforderung, das Spezifikum unseres christlichen Glaubens gegenüber anderen Religionen herauszuarbeiten und zu begründen. Diese Anforderung betrifft natürlich besonders alle in der Glaubensverkündigung Tätigen. Zwei Argumentationswege scheiden, obwohl sie sich zunächst anzubieten scheinen, für diese Begründung aus: Verstehen wir die Hl. Schrift als Niederschlag besonderer religiöser Erfahrungen von Menschen in der Geschichte und befragen wir sie nach dem wirklich Neuen des sogenannten Neuen Testaments, so bietet sich auch dem theologisch ungeschulten Gläubigen die Antwort: dass GOTT Sich als VATER, SOHN und GEIST offenbart(e) – theologisch gesprochen: dass die Trinität eine Offenbarungswahrheit sei 74. So richtig diese Antwort ist – wir sind diesen Weg ja in 2.4.1 auch gegangen -, so unzureichend ist sie auch – denn die religiöse Bedeutung der Bibel kann ja nicht innerbiblisch begründet werden, da dies ein Zirkelschluss wäre. Doch auch der Rückgriff auf spirituelle Erfahrung reicht nicht zu der geforderten Begründung. Viele, nicht einmal alle, Menschen kommen im Laufe ihres Lebens zur Erfahrung, dass GOTT in ihnen ist und sie in GOTT, dass sie also „Söhne“ / „Töchter“ GOTTES sind75. Dass CHRISTUS diese Erfahrung schon als Embryo hatte, ist nicht beweisbar, zumal erstens auch Heilige anderer Religionen diese Erfahrung so früh haben, dass sie sich an keinen vorhergehenden Zustand der GOTTferne erinnern können, und zweitens auch in anderen Religionen Menschen, die diese Erfahrung später im Leben machen, dies häufig durch das Beispiel anderer machen, die diese Erfahrung früher hatten (es gibt also nicht bloß eine Nachfolge CHRISTI, sondern auch eine Nachfolge BUDDHAs etc). - Damit scheidet auch der Weg spiritueller Erfahrung für die Begründung des unterscheidend Christlichen aus – und muss es wohl auch, da sonst Menschen anderer Religionen nicht zur Einheitserfahrung mit GOTT gelangen könnten So etwa THOMAS, S.th. I, qu. 32 Vgl NOUWENs Meditationen zur Taufe JESU, in: Du bist der geliebte Mensch Freiburg 1993, 25 ff. und 42 ff.; vgl auch Apg 17, 28 74 75 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 51 Seit AUGUSTINUS, DESCARTES und FICHTE ist die Ichgewissheit unbestrittene Basis der Philosophie: Ich kann an allem zweifeln, nur nicht daran, dass ich, der ich zweifle, bin und zweifle – d.h. dass ich bin und denke (sum cogitans oder cogito ens): Diesen Gedankengang haben wir bereits (o., 0.2.5) ausführlicher dargestellt, so dass ich mich hier mit einer zusammenfassenden Skizze begnügen kann. Absolutes Schaffen GOTT In Wesensverschiedenheit schaffend (d.h. Identität/Nichtidentität setzend) Relatives Schaffen= Ichgewissheit Mensch Aber es ist zu fragen: Kann das absolute Schaffen nur in Wesensverschiedenheit schaffen oder nicht auch in Wesensgleichheit, also in einem reinen Identitätsverhältnis? Kann man GOTT als absolutem Schaffen absprechen, sich in beiden Möglichkeiten zu verwirklichen? Absolutes Schaffen wäre ja gerade nicht absolut, wäre es nur auf eine der beiden Möglichkeiten eingeschränkt. Damit würde sich unsere Skizze folgendermaßen ändern: Absolutes Schaffen In Wesens- gleichheit Bild des absoluten Schaffens In Wesens- verschiedenheit VATER GEIST als SOHN SOHN als Bindeglied zwischen VATER und Schöpfungsmittler GEIST als Bindeglied zwischen Schöpfungs- mittler und Geschöpfen Relatives Schaffen Mensch, Geschöpf SOHN: Wenn GOTT absolutes Schaffen ist, liegt es in Seinem Wesen, zu schaffen; und wenn Er aus Sich Selbst („per transsubstantiationem“, d.h. in Wesensgleichheit) schafft, muss Er etwas Wesensgleiches schaffen – oder besser: hervorbringen, da der Begriff „Schaffen“ im Sinne eines zeitlichen Abstammungs- statt logischen Ursprungsverhältnisses missverstanden werden könnte. „VATER“ und „SOHN“ sind also wesensgleich, doch ursprungsverschieden - der VATER ist der ursprungslose Ursprung, der SOHN der „ewig“ (= zeitlos) aus dem VATER Hervorgehende – daher sind die göttllichen „Personen“ Relationen: VATER und SOHN sind wesensgleich, ausgenommen ihre VATER-SOHN-Beziehung76. In Deo omnia sunt unum, ubi non obviat relationis oppositio,, sagt ANSELM (De Proc.Sp.S., cap. 1, zit. nach CONGAR Y., Der Hl. GEIST, 392), wobei er sich auf AUGUSTINUS stützt und auf THOMAS weiterwirkt. – Vgl. auch HILBERATH, Pneumatologie, 503ff. 76 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 52 GEIST77: Ist der SOHN wesensgleich mit dem VATER, muss auch Er absolutes Schaffen sein, also „Etwas“ in Wesensgleichheit hervorbringen. Nimmt man beide Aspekte, die Wesensgleichheit und die Ursprungsverschiedenheit von VATER und SOHN ernst, könnte der leidige FILIOQUE-Streit in einer Weise gelöst werden, auf die schon CONGAR abzielt 78: Berücksichtigt man den westkirchlichen Einwand79, dass der GEIST, wenn Er nur „vom VATER“80ausginge, vom SOHN nicht unterscheidbar wäre (die „Personen“ sind ja Relationen, die sich aufgrund ihrer Ursprungsbeziehungen unterscheiden!), muss der GEIST „vom VATER und vom SOHN“81ausgehen. Damit ist aber noch nicht die Formulierung FILIOQUE gerechtfertigt – die Anglikaner und Altkatholiken haben sie ja bereits aufgegeben - , denn diese könnte dahingehend missverstanden werden – und das ist die ostkirchliche Kritik -, dass der GEIST in gleicher Weise von VATER und SOHN ausgehe, wodurch VATER und SOHN ununterscheidbar würden. Berücksichtigt man beides – der GEIST muss von VATER und SOHN ausgehen, doch nicht in gleicher Weise, wäre zunächst für die immanente Trinität die im ökumenischen Dialog vorgeschlagene Kompromiss-Formel dem FILIOQUE vorzuziehen: Der GEIST geht aus vom VATER durch den SOHN. Dadurch wäre dreierlei gewährleistet: erstens, die Wesensgleichheit bei Personverschiedenheit 82, zweitens die Begründung, warum Sich die göttliche „Substanz“ (das göttliche „Wesen“) gerade in drei und nur in drei „Personen“ konkretisiert, drittens, warum der GEIST als Band zwischen VATER und SOHN gesehen werden kann – nämlich dadurch, dass Er von beiden, wenn auch in verschiedener Weise, ausgeht. Die hier skizzierte Lösung würde zwischen der ost- und westkirchlichen Position („per Filium“ statt „Filioque“) vermitteln. Ist die ökonomische Trinität die immanente? Karl RAHNER kreierte den Satz: „Die `ökonomische´ Trinität ist die immanente und umgekehrt“ 83 - mit der Begründung, dass GOTT sonst nicht „Sich“ offenbaren würde. Um zu überprüfen, ob und wie weit dieser Satz gilt, muss zuerst die andere Art des „Schaffens“ GOTTES untersucht werden – das Schaffen in Wesensverschiedenheit, das Schaffen aus dem Nichts 84. Die beiden Arten des „Schaffens“ hat schon Die der Westkirche wiederholt vorgeworfene „GEISTvergessenheit“ dürfte sowohl auf einer einseitigen CHRISTOzentrik als auch für einer Überbetonung des institutionellen Aspekts der Kirche beruhen- vgl. HILBERATH, Pneumatologie, 445-447. 78 Ausführlich auch bei HILBERATH, Pneumatologie, 506 ff. und 539 ff. 79 Sehr klar bei THOMAS, C.gent. IV 24 f. 80 So die urspr. Formulierung des nizäno-konstantinopolitanischen Credo, DH 150. 81 So die Ergänzung des Credos 1014 durch BENEDIKT VIII. 82 Vgl. Constantinopolitanum I, DH 150.153.155.168-177, gestützt auf die Argumente der drei Kappadozier BASILIUS, GREGOR von Nazianz und GREGOR von Nyssa, und Lateranense IV, DH 800. 83 Bemerkungen zum dogmat. Traktat De Trinitate, in: Schr.z.Th.I., Einsiedeln 1961, 115. 84 Das Nichts hat also erst hier seinen Platz – gegen GRESHAKE (Der dreieine GOTT), der den SOHN als NICHT des VATERs bestimmt (223) und die Schöpfung „in“ die Differenz zwischen VATER und SOHN stellt, so dass die Geschöpfe dem VATER ähnlicher wären als der SOHN ! (196-199). Die unterschiedliche Interpretation beruht letztlich darauf, dass GRESHAKE auf HEGEL aufbaut (23 u.ö.), ich auf AUGUSTINUS und FICHTE. 77 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 53 AUGUSTINUS in den letzten drei Büchern seiner Confessiones klar herausgearbeitet: schafft GOTT aus Sich Selbst, „schafft“ Er notwendig, so entsteht die ewige Trinität; schafft GOTT aus dem Nichts, gibt Er in verschiedenem Ausmaß Anteil an Seinem Sein, und es entsteht die zeitliche Schöpfung 85. Sofern die drei Personen wesensgleich sind, müssen alle drei an der Schöpfung beteiligt sein, sofern sie personal verschieden sind, muss auch ihre Schöpfungsbeteiligung verschieden sein. Dafür dürfte die Formel angemessen sein: Vom VATER durch den SOHN im GEIST (A PATRE per FILIUM in SPIRITU). Vom VATER, d.h. der VATER ist nicht nur innertrinitarisch, sondern auch bei der Seinsgabe an das Nichts ursprungsloser Ursprung. Durch den SOHN: der SOHN ist Schöpfungsmittler, weil der VATER direkt aus Sich nur den wesensgleichen SOHN hervorbringt, alles andere aber durch diesen86. Im GEIST: dieser Gedanke ist uns weniger vertraut, folgt aber daraus, dass der GEIST das „Band“ zwischen VATER und SOHN ist. Die Seinsgabe des VATERS durch den SOHN ist eine relative, d.h. muss als Teilhabe an GOTTES Sein grundsätzlich auf Ihn bezogen bleiben – wofür sich in der Theologie der Begriff creatio continua bzw. Kontingenz der Schöpfung eingebürgert hat: Bliebe die Schöpfung nicht „im GEIST“, fiele sie ins Nichts zurück, da sie ja ihr Sein nicht aus sich selbst hat. Oder, wie es CONGAR poetischer ausdrückt: der GEIST ist die Ekstase GOTTES und dieses Außer-Sich-Sein GOTTES ist das In-uns-Sein des GEISTES87 Die grundsätzliche Kontingenz der Schöpfung spitzt sich bezüglich des Menschen zu und macht GOTTES Heilswirken nicht nur in der Schöpfung sondern auch – ja sogar besonders – in der Geschichte not-wendig. Denn der SOHN, weil wesensgleich mit dem VATER, schafft, wie der VATER schafft 88- der Mensch, weil am Sein GOTTES nur partiell teilhabend, kann nur nach-schaffen und darin die (ontologische) Schöpfungsordnung (moralisch) anerkennen („gut“) oder verfehlen („böse“). Von diesen Überlegungen her ist CONGAR zuzustimmen, dass RAHNERs These von der Identität der immanenten und ökonomischen Trinität in Richtung einer Analogie beider abzuschwächen sei, weil das freie Mysterium der Ökonomie und das notwendige der Immanenz nicht völlig deckungsgleich sein können 89: Die immanenten Relationen – der VATER bringt, notwendig und ewig, den wesensgleichen SOHN und durch den SOHN den wesensgleichen GEIST hervor – spiegeln sich wider in den ökonomischen – der VATER schafft durch den SOHN im GEISTE die wesensverschiedene Schöpfung. ZUSAMMENFASSUNG: GOTT offenbarte Sich in der Geschichte so, wie Er in Sich selbst ist - als eine personhafte, dreirelationale Einheit. Vgl. auch CONGAR Y., Der Hl. GEIST, 420 f. So auch die eher philosophischen Texte des NT - Joh 1,1-4 ; Kol 1,16 f.- die einen Gedanken des späten PLATO (TIMAIOS) aufgreifen 87 Vgl. CONGAR Y., Der Hl. GEIST, 421 f. 88 „Was nämlich der VATER tut, das tut in gleicher Weise der SOHN...“: Joh 5,19 c; ähnliche Gedanken finden sich im Joh-.Ev öfter. 89 Vgl. CONGAR Y., Der Hl. GEIST, 334 f. 85 86 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 54 3 DER GLAUBE AN DEN IN DER KIRCHE WIRKSAMEN GEIST 3.1 "Verkündigt wurde das GOTTESreich, gekommen ist die Kirche" (LOISY90) Dass "Kirche" nicht bloß Thema der Dogmatik und Kirchengeschichte, sondern auch der Fundamentaltheologie ist, muss erst gerechtfertigt werden: Denn die Thematisierung von "Kirche" in der Fundamentaltheologie impliziert, dass Kirche ein konstitutives Element des christlichen Glaubens, aus diesem also nicht beliebig eliminierbar, ist.91 3.1.1 Die Aktualität der Frage nach der Kirche Heute ist es "in", "die Kirche" in Frage zu stellen, ja, abzulehnen - häufig mit dem gedankenlosen Motto "CHRISTUS Ja, Kirche Nein" -, ohne aber zu differenzieren, was man mit "die Kirche" überhaupt meint. An diesem negativen Kirchenbild trägt allerdings die Kirche Mitschuld: Die mittelalterliche Machtkirche war ebenso wenig anziehend wie die gegenreformatorische Papst- und Kleruskirche und die antiliberale und anti-wissenschaftliche Seelenheilsanstalt des 19. Jhs. Nur - eine solche Kirche hat CHRISTUS ohnedies nicht gegründet, sondern eine, die im GOTTESreich ihr Maß und Ziel hat. 3.1.2 Das Volk Israel als Vorform der Kirche Das Volk Israel verstand sich als Glaubens-, Rechts- und Kultgemeinschaft. Die hebräische Selbstbezeichnung war kahal, die griechische Übersetzung seit der LXX ekklesia: beides meint "die - von GOTT - herausgerufene oder berufene Versammlung", drückt also eine Erwählung durch GOTT aus, die als symbolhaft und stellvertretend für andere Völker verstanden wurde - dem Selbstverständnis des GOTTESvolkes eignet also von vornherein Sakramentalität, d.h. wirksames Heilssymbol zu sein. Dies zeigt sich besonders an dem alle drei Teile des JESAIABuches durchziehenden Gedanken der "Völkerwallfahrt nach Jerusalem" (z.B.Jes 2,2-5; 49,22f.; 55,4f.; 60,1-22; 66,18-23): Sobald sich das Volk Israel zu GOTT bekehrt habe, werde des zum Licht der Heiden, so dass alle Heiden nach Jerusalem kämen, um sich ebenfalls zu GOTT zu bekehren. Da die Kirche als ntl. GOTTESvolk beansprucht, legitime Erbin des atl. GOTTESvolkes zu sein, ist zu fragen: Wer führte diese Trennung in ein atl. und ein ntl. GOTTESvolk herbei - und wann und warum tat er dies ? Und hat das ntl. GOTTESvolk das atl. lückenlos abgelöst - oder hat das Nebeneinanderbestehen dieser beiden GOTTESvölker einen für uns ablesbaren heilsgeschichtlichen Sinn ? Dieser von LOISY (L'Evangile et l'Eglise, Bellevue 1903,2.Aufl.,155) kritisch gemeinte Satz trifft etwas Wahres - den Unterschied von Kirche und GOTTESreich; es wird aber noch der - trotz dieser Verschiedenheit herrschende - Wechselbezug beider zu zeigen sein 91 So auch FRIES, s.Anm. 14,21 f. und RAHNER, s.Anm. 29, 313 ff. 90 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 55 3.1.3 Der irdische JESUS verkündet das GOTTESREICH und bemüht Sich um die Umkehr Israels Wie schon erwähnt (vgl.o.,2.2.1), stand die Verkündigung des GOTTESREICHES im Zentrum des Lehrens und Wirkens des irdischen JESUS. Diesen Begriff hatte Er aus dem AT übernommen, ihm aber neue Aspekte verliehen. Im AT wurde das Reich GOTTES ursprünglich als irdisches Friedensreich verstanden - und konnte aufgrund des sich erst spät entwickelnden Jenseitsglaubens auch gar nicht anders verstanden werden -, doch setzte schon im AT ein Vergeistigungsprozess ein, durch den das GOTTESREICH auch einen transzendenten Aspekt erhielt. Diese Entwicklung verbunden mit der Entwicklung eines Jenseitsglaubens - hatte sicher mehrere Wurzeln: Zunächst, weil sich die Hoffnung auf eine glanzvolle irdische Wiederherstellung des Reiches nach dem Exil als trügerisch erwiesen hatte; ferner, weil sich das Bewusstsein durchsetzte, dass GOTTES Treue und Macht am Tod keine Grenze finden könnte; und schließlich, weil das Märtyrertum vieler junger Juden in den Makkabäerkriegen die einfache Gleichung - gesetzestreues Leben ist langes Leben - zunehmend als zweifelhaft erscheinen und immer mehr den Gedanken an ein neues und endgültiges Leben bei JAHWE erst nach dem Tod aufkommen ließ. Dazu könnten auch außerjüdische Wurzeln gekomnmen sein, weil die etwa zweihundert Jahre dauernde persische Oberhoheit auch eine religiöse Beeinflussung der Juden durch den parsischen Dualismus (vgl. auch Religionswissenschaft) mit sich gebracht haben könnte. Allerdings hatte sich dieser Jenseitsglaube zur Zeit JESU noch keineswegs generell durchgesetzt. Gerade die politisch-religiöse Gruppe der Sadduzäer, die die Tempelpriesterschaft stellte, anerkannte auch z.Z. JESU ausschließlich die irdische Wirklichkeit. JESUS aber setzt den nachexilischen Vergeistigungsprozess fort und übernimmt damit die irdisch-überirdische Charakteristik des GOTTESREICHES, doch unter ausdrücklicher Betonung des escha-tologischen Vorbehaltes: das GOTTESREICH habe durch Ihn auf Erden schon begonnen, sei aber noch nicht vollendet und auf Erden auch nicht endgültig vollendbar. Von der Verkündigung des GOTTESREICHES zu unterscheiden ist die Berufung bestimmter Menschen in JESU unmittelbare Nachfolge und die zeichenhafte Auswahl von zwölf engsten Mitarbeitern. Ist dies als Gründung einer Kirche durch den irdischen JESUS zu verstehen ? Bis in unser Jahrhundert wurde eine Kirchengründung durch den irdischen JESUS in christlichen Kreisen ziemlich unhinterfragt vertreten, ja, manche halten bis heute daran fest. Als Belegstellen wurden und werden bes. Mt 16,18 f. und Mt 18,18 zitiert. Sieht man nur auf diesen beiden Stellen, scheinen sie tatsächlich eine Kirchengründung durch den irdischen JESUS zu beweisen. Dagegen sprechen aber: Direkt einige andere Texte, wie Joh 21, Mt 28,16-20 und Apg 1- 2: Es gibt zum "Felsenwort" an PETRUS (Mt 16,18 f.) eine auffallende Parallele bei Joh 21: Auch hier wird PETRUS mit der Kirchenleitung betraut, allerdings durch den Auferstandenen. Während bzgl. des PETRUS die Mt- und Joh-Stelle einander gegenüberstehen, entscheiden die explizit auf Kirchengründung bezogenen Texte eindeutig zugunsten einer Kirchengründung durch den Auferstandenen: Mt 18,18 spricht die Binde- und Lösegewalt den Jüngern, nicht unbedingt einem neuen GOTTESvolk zu. Wo aber von einem neuen GOTTESvolk die Rede ist, spricht immer der Auferstandene und stellt immer einen Bezug zum GOTTESGEIST her: Mt 28, 16-20 erscheint der Auferstandene der repräsentativen Gruppe der Elf, F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 56 erteilt den Missionsbefehl und verheißt Seine geistige Gegenwart bis zum Ende der Welt. Apg 1 verheißt der Auferstandene Seinen GEIST und fordert zur Zeugenschaft "bis an die Grenzen der Erde", Apg 2 erfolgt die GEISTsendung. Sowohl bei Mt als auch bei Lk zeigt sich das Neue des NT auch daran, dass der atl. Gedanke der Völkerwallfahrt gleichsam umgedreht wird: das Neue GOTTESvolk soll nicht warten, bis die Völker nach Jerusalem kommen, sondern es soll diese Völker aufsuchen - wobei natürlich auch dafür vorausgesetzt ist, dass das GOTTESvolk "Licht der Heiden" ist. In Joh 20,19-23 überträgt der Auferstandene Seinen GEIST durch Anhauchen, verbunden mit Sendung und Vollmacht der Sündenvergebung. Indirekt spricht gegen eine Kirchengründung durch den irdischen JESUS der Gesamtkontext Seines irdischen Wirkens93. JESUS verkündete in Wort und Tat den Anbruch des GOTTESreiches, den Er Sich - gemäß den bereits erwähnten atl. Vorstellungen - als Sammlung und Bekehrung des Volkes Israel vorstellte, damit dieses zum Licht der Heiden werden könne: "JESU gesamte Existenz war zuerst Dasein für Israel und nur durch dieses Dasein für Israel Dasein für die Völker"93. Das zeigt sich vor allem daran, dass Er erstens innerhalb Seines größeren Jüngerkreises die Zwölf auswählte als Symbol der Wiederherstellung der längst nicht mehr vorhandenen zwölf Stämme Israels; diese Wahl der Zwölf liegt also ganz auf der Linie prophetischer Zeichenhandlungen, die dem Volk Israel vertraut waren und deren Sich JESUS auch sonst fallweise bediente (z.B. Tempelreinigung). Zweitens zeigt sich JESU Anknüpfen an die atl. Vorstellung "Juden - Licht der Heiden" daran, dass Er zu Lebzeiten mehrmals eine für uns sehr hart klingende Beschränkung auf das Volk Israel vornahm - etwa bei der Aussendung der Zwölf (Mt 10,5 f.) oder bei der Ablehnung der Heilungsbitte der Heidin (Mt 15,24). Ferner teilte JESUS, was viele Texte des NT zeigen, die Naherwartung Seiner Zeitgenossen, d.h. die Erwartung, dass Ende und Vollendung der Schöpfung unmittelbar bevorstünden (z.B. Mt 16,28). Dieser "Irrtum" JESU wird akzeptabel, wenn man bedenkt 94: Die Naherwartung hat sich zwar nicht generell erfüllt, individuell aber galt sie für JESUS selbst und gilt weiterhin für jeden Menschen. Zudem ist Naherwartung nicht primär informatorisch zu verstehen, d.h. als Information über das baldige Weltenende, sondern performatorisch, als Aufforderung zur Wachsamkeit gegenüber dem sicher kommenden und jederzeit möglichen Ende. Als wahrer GOTT und wahrer Mensch war zwar JESU Person in ihrer Ganzheit durch die Präsenz GOTTES in Ihm geprägt (vgl. o., 2.3.2), nicht aber verfügte Er über irgendwelche heilsirrelvante Sonderinformationen (vgl. Mk 13,32). Das Hauptargument gegen eine Kirchengründung durch den irdischen JESUS aber ist: Hätte JESUS von Sich aus ein neues GOTTESvolk gegründet, dann hätte ja Er den Bruch zum ursprünglichen GOTTESvolk herbeigeführt. Nimmt man hingegen an, dass Er das ursprüngliche GOTTESvolk zu Seinem VATER bekehren wollte, dann liegt die Schuld an diesem Bruch bei jenen Menschen, die JESUS ablehnten - freilich Ausführlicher bei LOHFINK G., Jesus und die Kirche, in: vgl. Anm.1Bd.3, 49-96. LOHFINK,a.a.O.,87. 94 Auf die schwierige Frage des Selbstverständnisses JESU kann hier nicht näher eingegangen werden - es sei dazu verwiesen auf: RAHNER K., Dogmatische Erwägungen über das Wissen und Selbstbewusstsein Jesu Christi, in: Schriften V, 222-245; und VÖGTLE A., Exegetische Erwägungen über das Wissen und Selbstbewusstsein Jesu, in: Gott in Welt I, Freiburg 1964, 608-667. 93 93 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 57 nicht global bei "den" Juden, da JESUS erstens nur einem geringen Prozentsatz der damals lebenden Juden bekannt war und zweitens nicht von allen Juden abgelehnt wurde - man sollte nicht vergessen, dass JESUS selbst und die gesamte erste Generation der Christen Juden waren! 3.1.4 Die Kirchengründung durch den Auferstandenen und Seinen GEIST Eine Kirchengründung im eigentlichen Sinn, d.h. die Gründung eines vom ursprünglichen GOTTESvolk getrennten neuen GOTTESvolkes, setzt voraus: das Scheitern des Konzepts "Bekehrung Israels - Israel als Heilsmittler für alle"; zugleich aber die Erfahrung, dass der, der dieses Konzept vertrat, trotz Seines irdischen Scheiterns von GOTT in neuer und unübertroffener Weise bestätigt wurde und daher dieses Konzept in neuer Weise weitergeführt werden muss. Für die später als Kirchengründung bezeichnete Neuschöpfung des GOTTESvolkes ist also Tod und Auferstehung JESU CHRISTI gleichermaßen vorausgesetzt - ein auf bloß menschlicher Ebene gefällter Entschluss, die Sache JESU weiterzuführen, wäre unerklärlich, weil unmotiviert (vgl. die obigen Ausführungen zur unverzichtbaren Bedeutung der an den Satz "Von GOTT verflucht ist, wer am Holze hängt" (Dtn 21,23). Die ersten Christen waren ja Juden und hielten sich an das AT. Nur die tiefgreifende Erfahrung, dass GOTT Selbst diesen Gekreuzigten als MESSIAS und SOHN bestätigte, also die Begegnung mit dem Auferstandenen, konnte christlichen Glauben und damit Kirche gründen! JESUS CHRISTUS hat also die Kirche gegründet, aber als Auferstandener, und diese Gründung ist nur in Seinem GEISTE annehmbar und lebbar. Es ist allerdings eine kaum zu klärende Frage, warum GOTT nicht die Auferstehung JESU CHRISTI mit der Auferstehung aller zusammenfallen ließ, warum also die Geschichte nach Ostern weitergeht. Wenn sie aber weitergeht, kann sie letztlich nur den Sinn haben, dass diese an CHRISTUS vorweggenommene Vollendung durch Wort- und Tatverkündigung in der Geschichte lebendig gehalten wird, um schon auf Erden möglichst viele Menschen in die durch CHRISTUS eröffnete GOTTESbeziehung hineinzunehmen. Wenn also die Geschichte nach Ostern weitergeht, dann ist die Trennung von CHRISTUS und Kirche nicht berechtigt - dann wird CHRISTUS in Seiner Kirche und durch Seine Kirche in der Geschichte repräsentiert!. Oder genauer: Soll repräsentiert werden. Denn jede Ausformung von Kirche wird sich daran messen lassen müssen, ob und wie weit sie - in bewusster Fortsetzung des irdischen JESUS - GOTTES liebende Nähe in der Geschichte weiterhin "verleiblicht", ob und wie weit sie "Leib CHRISTI" ist. Wie verhält sich nun dieses ntl. GOTTESvolk zum atl.? Diese Frage wird im NT nicht einheitlich gelöst: vor allem Lk (bes. am Ende der Apg) und z.T. Joh vertreten die sog. "Verwerfungstheorie", d.h. der sich nicht-bekehrende Teil der Juden wird verworfen und lückenlos durch das neue GOTTESvolk abgelöst. Diese Auffassung war leider einer der Wurzeln des kirchlichen Antisemitismus, der zu den dunkelsten Kapiteln der Kirchengeschichte gehört; eine ausdrückliche Stellungnahme gegen den Antisemitismus findet sich erst im Vat II (Nostra aetate 4). Viel zu wenig Beachtung fand bisher die Auffassung, die PAULUS vor allem in Röm 9-11 vertritt: Aufgrund der unverbrüchlichen Treue GOTTES kann das atl. GOTTESvolk nicht verlorengehen; GOTT lässt nur eine vorübergehende Verstockung des Volkes Israel zu, um den Heiden auch einmal eine Bekehrungschance zu geben. Sind einmal die Heiden bekehrt, werden sie - in F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 58 Umkehrung zu atl. Vorstellungen - zum Licht der Juden, so dass endzeitlich beide GOTTESvölker bekehrt zusammenfinden. ZUSAMMENFASSUNG: Bereits das Volk Israel ist kahal, von GOTT erwählte Heilsgemeinde. JESUS versuchte zu Seinen Lebzeiten eine Sammlung und Bekehrung ganz Israels, damit dieses zum Heilszeichen aller Völker werde: In diesem Bemühen scheiterte Er. KIRCHE als ntl. GOTTESvolk ist daher Werk des auferstandenen CHRISTUS und Seines GEISTES, um das heilswirksame Leben, Sterben und Auferstehn JESU CHRISTI in der Geschichte präsent zu halten. Die Neukonstituierung des GOTTESvolkes setzt aber keineswegs die Verwerfung des ursprünglichen GOTTESvolkes voraus. 3.2 Kirche und Reich GOTTES 3.2.1 Differenz und Bezogenheit von Kirche und Reich GOTTES Ein gefährlicher, weil zum "Triumphalismus" verleitender, Irrtum wäre (und war wohl auch zu gewissen Zeiten der Kirchengeschichte) die Identifizierung von Kirche und GOTTESREICH. Eine solche Identifizierung ist auch keineswegs zu rechtfertigen "Es gehört zu den Grundsätzen der Ekklesiologie, dass Kirche und Reich Gottes nicht identisch sind", betont zu Recht FRIES 95 -, da JESUS selbst das GOTTESREICH nie als bloß irdische Größe darstellte, sondern immer im Spannungsverhältnis des "Schon-noch nicht": Ende und Vollendung der Geschichte gehören zusammen! Andererseits sind aber Kirche und GOTTESREICH nicht völlig voneinander zu trennen - Kirche ist ja von GOTT durch CHRISTUS auserwählt, den Glauben an das angebrochene und die Hoffnung auf das sich vollendende GOTTESREICH zu verkünden. So kann Kirche als Grundsakrament des GOTTESREICHES, das GOTTESREICH aber als Grund, Maß und Ziel der Kirche verstanden werden. So sagt auch das Vat II (Lumen Gentium 48): "Die Kirche ...wird erst in der himmlischen Herrlichkeit vollendet werden, wenn die Zeit der allgemeinen Wiederherstellung kommt ......Auferstanden von den Toten (vgl. Röm 6,6), hat er seinen lebendigmachenden Geist den Jüngern mitgeteilt und durch ihn seinen Leib, die Kirche, zum allumfassenden Heilssakrament gemacht". Die richtige Bestimmung des Verhältnisses von Kirche / GOTTESREICH ist Voraussetzung dafür, den heiklen Satz CYPRIANs "Extra ecclesiam nulla salus" (Außerhalb der Kirche kein Heil) sinnvoll zu interpretieren, wobei man heute die positive Deutung bevorzugt - Kirche ist Heilssakrament für alle. So verstanden meint der Satz, dass die Kirche wirksames Zeichen des GOTTESREICHES sei oder 95 FRIES H., Der Sinn von Kirche im Verständnis des heutigen Christentums, in: s.Anm.1 Bd.3, 27. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 59 der - wenigstens im Sinne des Vernunftglaubens - gläubige Mensch nur durch Vermittlung CHRISTI bzw. Seiner Kirche gerettet werden kann - und zwar gleichgültig, ob er dies weiß oder nicht, ob er es akzeptiert oder nicht. Ferner sind die traditionellen "Kennzeichen" (notae) der Kirche - una, sancta, catholica, apostolica (einzig, heilig, allgemein, apostolisch) - keine durch die Kirche bereits realisierten Ist-Werte, sondern Soll-Werte, d.h. Gaben des GEISTES an die Kirche, die für sie Auf-Gabe sind - wobei aber ebendieser in der Kirche präsente GEIST zu ihrer sukzessiven Verwirklichung hilft. ZUSAMMENFASSUNG: KIRCHE und GOTTESREICH sind bis zur Vollendung der Welt zwar unterschieden, doch notwendig aufeinander bezogen, wobei KIRCHE das Grundsakrament des GOTTESREICHES, das GOTTESREICH Grund, Maß und Ziel der KIRCHE ist. 3.2.2 "Deinen Tod, oh HERR, verkünden wir, und Deine Auferstehung preisen wir bis Du kommst in Herrlichkeit": Die Aufgaben der Kirche Kirche soll also in der Geschichte das GOTTESREICH repräsentieren oder, was dasselbe meint, die endgültige Offenbarung GOTTES in CHRISTUS in der Geschichte verkünden. Dieser allgemeine Sakramentscharakter der Kirche wird auch sprachlich daran deutlich, dass sowohl das konsekrierte Brot als auch die Gemeinde als "Leib CHRISTI" bezeichnet werden: CHRISTUS verleiblicht Sich in beiden, wobei die Verbindung beider darin zu sehen ist, dass der Genuss der Eucharistie dem Menschen dazu verhelfen soll, CHRISTUS in sich immer mehr Gestalt gewinnen zu lassen. M.a.W.: In jeder Eucharistiefeier sollte eine doppelte Wandlung stattfinden, zunächst die von Brot und Wein, dann die der Gemeinde in das Wesen CHRISTI96. Dieses Verkünden kann aber nicht bloß im Sinne einer Lehre zu verstehen sein vielmehr muss der Wort- und Tatoffenbarung GOTTES in CHRISTUS ein Wort- und Tatglaube der Kirche entsprechen, der einerseits die Beziehung zu GOTT, andererseits die zum Nächsten ausdrückt, um so dem Doppelgebot der GOTTESund Nächstenliebe zu entsprechen. Berücksichtigt man nun weiters, dass der Mensch Transzendenz immer nur symbolisch intendieren kann, folgt, dass GOTTESdienst im eigentlichen Sinn Symbolhandlungen und Deuteworte als bildhafte Versinnlichung des transzendenten Bereiches umfassen muss : "Liturgie" (vgl.o., symbolisches Denken, 0.2.8) ; weil Symbole immer einen Handlungsbezug mitenthalten - die Liturgie über sich hinausweist in die Sphäre konkreter Aktivität. Diese kann aber nicht GOTT selbst betreffen, sondern muss im Dienst am Nächsten bestehen. Gemäß den beiden dem Menschen möglichen Grundaktivitäten, Erkennen und Handeln, umfasst dieser Dienst am Nächsten Belehrung – „Verkündigung" (Kerygma) - und Sozialhilfe, im weitesten Sinn - "Diakonie". Die Aufgabe der Kirche entfaltet sich also in den drei Grundfunktionen Liturgie, Verkündigung, Diakonie (Vgl. SC 9) 96 Vgl. GRÜN A., Eucharistie und Selbstwerdung, Münsterschwarzach 1990. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 60 Liturgie Kerygma Diakonie Diese Grundfunktionen müssen den jeweiligen geschichtlichen Erfordernissen angepasst werden - aber: Einseitige Überbetonung einer und Unterdrückung der anderen Funktionen bringt Zerrbilder von Kirche hervor. Wir leben in einer von zweckrationalem Denken geprägten Zeit. Daher fällt es den meisten Christen leicht, die Notwendigkeit von Diakonie und von Verkündigung einzusehen, während viele die Liturgie für überflüssig halten: "GOTT braucht das doch nicht!" Das ist zweifellos richtig, doch wäre zu fragen, ob nicht vielleicht wir Liturgie brauchen. Im Rahmen einer Fundamentaltheologie sind dazu nur kurze Überlegungen angebracht, die auf Gebet 97 und Sakramente beschränkt werden sollen. Wenn uns PAULUS auffordert "Betet ohne Unterlass" (1 Thess 5,17), so meint er damit das indirekte Gebet, d.h. dass wir unser gesamtes Leben zum Gebet machen sollen. Das können wir aber nur, wenn wir den Kontakt mit GOTT regelmäßig "üben", also das direkte Gebet pflegen. Den meisten Christen ist heute der große Reichtum kirchlicher Gebetstradition gar nicht mehr ausreichend bekannt – ein Reichtum, der es jedem Christen gestatten würde, ihm zusagende Gebetsformen zu finden. Dazu wollen die folgenden Gedanken anregen. 1. Inhaltlich 1.1 verbal: frei / vorgeformt 1.2 Meditation = inhaltliche Betrachtung (Text, Bild, Musikstück) 1.3 Vision= bildhafte religiöse Erfahrungen 2. Übergangshilfen: Mantren= Hl. Formeln, deren häufige Wiederholung vom inhaltlichen zum inhaltslosen Gebet führen kann (Rosenkranz,98 JESUSgebet, ...) 3. Inhaltslos 3.1 Kontemplation = inhaltslose Betrachtung: (GOTT Selbst ist "Inhalt") 3.2 Mystik = Einheitserfahrung mit GOTT Ausführlicher: DEIFEL E., Überlegungen zum inneren Gebet, in: CPB 1988, H.5.,217-222. 98 Vgl. SCHERSCHEL R., Der Rosenkranz – das JESUSgebet des Westens, Freiburg 1979. 97 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 61 3.2.2.1 Das Gebet In diesem Abschnitt wollen wir überlegen, wie wir, jeder von uns, in die im ersten Teil skizzierte Liebesgeschichte GOTTES mit dem Menschen einklinken können. „Denn in Ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17,28) Die Grundausrichtung des Lebens auf GOTT könnte man statt als „Glauben“ auch als „indirektes Gebet“ bezeichnen. „Betet ohne Unterlass“ (1 Thess 5,17). Aber auch wenn das gesamte Leben des gläubigen Menschen zum (indirekten) Gebet werden soll, kann dies nur gelingen, wenn der Mensch auch das direkte Gebet übt. Da wir nicht bei einem heilen Zustand („Paradies“) anfangen können, sondern immer schon in der Entfremdung („Erbsünde“), fällt uns das Leben in der Gegenwart GOTTES schwer. Und da ist es zu wenig, sich die Allgegenwart GOTTES theoretisch vorzustellen, sondern wir müssen immer wieder das direkte Gebet praktisch üben – nur dann kann unser ganzes Leben sukzessive zum indirekten Gebet werden – ein lebenslanger Weg. Auf diesem Weg müssen direktes und indirektes Gebet immer ineinander verwoben bleiben: das direkte Gebet als „Üben“ der Grundausrichtung auf GOTT, das indirekte durch eine entsprechende Lebensgestaltung – durch ein einfaches Leben. Damit ist nicht oder nur sekundär ein gewisser Verzicht auf Luxus gemeint. Primär erfordert das ein Bemühen um ein Leben im Jetzt, weil das die einzige Zeitdimension ist, die an die Ewigkeit GOTTES rührt – „Jetzt ist die Zeit der Gnade“ (2 Kor 6,2). Nur im Jetzt können wir ganz präsent sein, nicht zerrissen in ein gegenwärtiges Tun und in ein Träumen von Vergangenheit oder Zukunft. Nur im Jetzt sind wir wach und offen für GOTTES Willen, damit Er durch andere Menschen zu uns sprechen und durch die Situationen, in die Er uns stellt – eine Haltung, die JESUS als „Wachsamkeit“ oder „reines Herz“ bezeichnet. „Denn in Ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17,28) sagt aber nicht nur aus, dass wir unser ganzes Leben zum indirekten Gebet machen sollen, sondern auch, dass wir als ganze Menschen beten sollen. Nach biblischer Überzeugung hat GOTT uns Menschen nicht als Gespenster geschaffen, sondern als leibseelische Ganzheit. Während man im Mittelalter, zumindest in den Orden, noch den Körper ins Gebet miteinbezog – etwa der hl. DOMINICUS oder der uns unbekannte Verfasser der „Wolke des Nichtwissens“ -, ging man neuzeitlich immer mehr davon ab – der Körper wurde zum Fremdkörper, in dem man nicht mehr wirklich zu Hause ist. Viele Menschen investieren viel Zeit in ihre berufliche Karriere, wenig Zeit in ihre Partnerschaft und Familie und gar keine in ihre Beziehung zu GOTT – und wundern sich, dass ihre Ehen unbefriedigend sind und GOTT für sie tot ist. Doch kann jeder unschwer selbst erfahren: je mehr ich mich in eine Beziehung hineinbegebe, desto mehr wird sie glücken. Die Ehe als Bild unserer Beziehung zu GOTT geht im biblischen Bereich auf den Propheten HOSCHEA zurück und wird im NT und in der christlichen Literatur, besondern in der Liebesmystik, ausgefaltet. Die Arten des direkten Gebets lassen sich daher gut an den Arten des Umgangs menschlicher Partner miteinander ablesen. Partner sprechen über alles miteinander, was sie bewegt – auf GOTT übertragen: das verbale Gebet. Gefühle lassen sich aber nur unzureichend in Worte fassen, weshalb Liebende sich verbaler, bildlicher, gegenständlicher Symbole bedienen; die Rose, die „er“ „ihr“ schenkt, oder die Lieblingsspeise, die „sie“ „ihm“ kocht“, sagt meist mehr als tausend Worte – als Gebet: die Meditation. Und F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 62 schließlich gibt es ein tiefes, gemeinsames Schweigen, das noch mehr aussagt als Worte und Bilder – wer kennt nicht diese kostbaren Stunden, in denen man bei einem geliebte Menschen einfach sitzt, vielleicht seine Hand hält und von tiefem Glück erfüllt ist, dass es gerade diesen Menschen gibt? - als Gebet: die Kontemplation. Diese unterschiedlichen Gebetsarten, die eben den unterschiedlichen Möglichkeiten von zwischenmenschlichen Beziehungen entsprechen, sind in allen Hochreligionen seit Jahrhunderten, ja, seit Jahrtausenden bekannt. Die Erfahrungen von Menschen sind und bleiben ähnlich, ihre Interpretationen aber verschieden, weil diese vom kulturellen Umfeld und vom individuellen Bildungsstand des interpretierenden Menschen abhängen. Erst im 20. Jh. wurden diese unterschiedlichen Möglichkeiten, Erfahrungen zu deuten, auch durch die Gehirnforschung bestätigt. Exerzitien wollen uns helfen, dieses Ganz-für-GOTT-da-Sein zu üben – Exerzitien sind ja Geistliche Übungen. Diejenigen, die die Exerzitien begleiten, sind nur Wegweiser, üben müssen Sie selbst. Exerzitien gibt es natürlich in zahlreichen Formen – gemeinsam ist allen, dass sie den Exerzitanten helfen wollen, das Bild, das GOTT von ihnen hat, immer klarer zu sehen und zu auf dieses zuzugehen, ein Leben lang. Symbol, Meditation, Traum, Vision Gerade für Gebet und Meditation ist es wichtig zu klären, was ein Symbol ist und was es kann. Begriffe drücken Denkinhalte aus, gleichgültig, ob sie gedacht, ausgesprochen oder niedergeschrieben werden. Im strengen Sinn begreifen aber lassen sich nur solche Denkinhalte, die von anderen klar abgrenzbar sind – also unsere Vorstellungen von materiellen Dingen: „Begreifen“ ist ja immer ein „Begrenzen“ – beobachten Sie einmal, wie Kleinkinder noch im wörtlichen Sinn „begreifen“, indem sie unbekannte Gegenstände abtasten. Denkinhalte, die Geistiges meinen – etwa Gerechtigkeit, Liebe, GOTT - sind nicht so klar abgrenzbar. Sie sind Hinweise auf eine den materiellen Bereich übersteigende Wirklichkeit, die wir mit unseren eigenen Erfahrungen füllen und die uns zugleich einladen, weitere Erfahrungen in diesem Bereich zu machen. Diese Wörter sind daher keine Begriffe im strengen Sinn, sondern eigentlich sprachliche Symbole. Dieser Unterschied entspricht unseren beiden Gehirnhälften – die Begriffe entsprechen der linken (rationalen), die Symbole der rechten (intuitiven) Gehirnhälfte. Das Wort „Symbol“ kommt aus dem Griechischen vom Verb symbállein, d.h. zusammenfügen. Ursprünglich war damit ein kleiner Gegenstand gemeint (Ring, Brosche, Spielmarke), den Gastfreunde zerbrachen und jeder in der eigenen Familie weitergab; im Bedarfsfall konnte sich durch Mitnehmen und Zusammenfügen der beiden Teile jemand als Familienmitglied des Gastfreundes ausweisen. Im heutigen Sprachgebrauch bedeutet Symbol etwas mit den Sinnen Wahrnehmbares – Wort, Bild, Melodie, Gegenstand -, das aber etwas Geistiges meint. Ein Symbol ist daher ein materielles Bild für Geistiges und erschließt dadurch einen größeren Wirklichkeitsbereich. Das Symbol „kann“ folglich mehr als ein Begriff und ist für jede Beziehung zwischen Personen, ob zwischen Menschen oder zwischen Mensch und GOTT, unverzichtbar. Als Bild für einen wesentlich weiteren geistigen Bereich will das Symbol durch Handlungen zunehmend gefüllt und konkretisiert werden. Ein uns allen vertrautes Beispiel: ein Ehering symbolisiert das Ganze der Ehe, wird aber zu einer leeren Hülse, wenn diese Ehe nicht ein Leben lang durch Tausende verschiedener Handlungen gefüllt wird, vom Fensterputzen bis zum gemeinsamen F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 63 Feiern, vom Durchstehen schwieriger Situationen bis zum Liebesakt. Das Symbol deutet das Ganze einer umfassenden Wirklichkeit im Bild, die einzelnen Handlungen realisieren das Ganze, ohne es je ganz einholen zu können. Das wird auch in der Bibel und in der Liturgie deutlich. Meditation ist die ganzheitliche Betrachtung (religiöser) Inhalte. Ganzheitlich meint, man denkt diese Inhalte nicht bloß mit dem Verstand durch, sondern lässt sie ganzheitlich auf sich wirken – auf Verstand, Gefühl und Wille. Daher will die klassisch gewordene, auf BENEDIKT zurückgehende Bibelmeditation, auch lectio divina, Geistliche Schriftlesung, genannt, die Schrift mit Leben in Verbindung bringen (“Korrelation“). Dazu ist es hilfreich, sich in der Vorstellung möglichst in die gelesene Situation hineinzuversetzen, als ob man life dabei wäre – eine Methode, die man Imagination nennt (IGNATIUS von Loyola, viele moderne Richtungen der Psychologie). Dieses Sich-hinein-Versetzen erfolgt zunächst bewusst und willkürlich, kann aber zunehmend unser Unbewusstes (s.u.) aktivieren, so dass solche Bilder und Szenen dann unwillkürlich im Traum oder auch als Tagtraum / Vision auftreten. Seit dem 2. Vaticanum haben sich eine Reihe wissenschaftlicher Methoden der Bibelarbeit entwickelt. Dies ist selbstverständlich anzuerkennen, ersetzt aber keineswegs den persönlichen Zugang zur und das persönliche Leben nach der Bibel. Ich kann die Erfahrungen biblischer Autoren mit meinem Leben in Verbindung bringen, entweder indem ich mich in ihnen wieder finde oder indem ich sie als Wegweiser für neue Erfahrungen nehme und so meinen Erfahrungshorizont zunehmend erweitere – „Lebe, was du von der Bibel verstanden hast, und du wirst die Bibel besser verstehen“ (Roger SCHUTZ). Die klassische Form dieser lectio divina, der Geistlichen Schriftlesung, umfasst drei Schritte, ein vierter kann angeschlossen werden: 1. Ich werde still, mache mir die Gegenwart GOTTES bewusst und lese einen kleinen, zusammenhängenden Abschnitt aus der Bibel (lectio, d.h. Lesung) und versuche diesen Abschnitt, so gut ich kann, zu verstehen (die lectio wendet sich also an den Verstand). – 2. Ich nehme mir Zeit und überdenke ruhig, was GOTT mir persönlich mit diesen Versen sagen will (meditatio im engeren Sinn, auch ruminatio, Wiederkauen, genannt; die ruminatio wendet sich an das Gefühl). – 3. Ich versuche, über das, was ich gelesen und erwogen habe, mit GOTT in Zwiegespräch zu kommen (oratio, d.h. Gebet), und überlege, was davon ich in meinem Leben praktisch umsetzen könnte (die oratio betrifft also auch den Willen). – 4. Wer sich noch tiefer von der Schrift verwandeln lassen möchte, hört auf, zu denken und zu wollen, wird einfach zu einer offenen Schale, in die der Schrifttext immer mehr einsinkt (contemplatio). Natürlich können auch Gruppen die Geistliche Schriftlesung üben. Eine altbewährte Methode ist das Chorgebet in den alten Orden, in denen zu bestimmten Tageszeiten („Horen“) Psalmen gesungen oder rezitiert werden. Gerade Psalmen, die menschliche Grundanliegen wie Bitte und Dank, Lob und Klage in Liedform vor GOTT bringen, enthalten starke symbolische Sprachbilder, die vom Unbewussten des antiken Dichteres in das Unbewusste des heuitgen Beters dringen. Dieser direkte Weg vom Unbewussten zum Unbewussten wird dadurch erleichtert, dass beim Chorgebet keine Nachdenkpausen gemacht werden, sondern das Gebet gleichmäßig dahinfließt. Heute werden für das Bibelmeditieren in Gruppen verschiedene Methoden des Bibel-Teilens angeboten (z.B. die Västeras-, die Lumko- und die BludeschMethode). Am einfachsten ist es sicher, nach dem Lesen der Bibelstelle ins Gespräch zu kommen über drei Fragen: 1. Was habe ich nicht verstanden? (hier wäre es gut, wenn wenigstens einer / eine in der Gruppe ein wenig über F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 64 Bibelkenntnisse verfügen würde) – 2. Was betrifft mich besonders? - 3. Was kann ich in meinem Leben praktisch umsetzen? Außer Bibelstellen können auch andere religiöse Texte, Musikstücke und Bilder meditiert werden, auch eigene Probleme, um sie gleichsam von GOTT heilen zu lassen. Gerade eine solche Problemmeditation kann uns helfen, dass nicht mehr die Probleme uns, sondern wir die Probleme haben. Diese Form der Meditation wird auch im nichtreligiösen Bereich in verschiedenen Formen der Psychotherapie verwendet – man nennt sie Dysidentifikation: ich bin nicht meine Trauer, meine Wut, meine Verletzung..., sondern ich habe bloß Trauer, Wut, Verletzung. Eine große Hilfe zur Sammlung, ja, zum Lösen körperlicher Verspannungen und Schmerzen, können Körpermeditationen sein. Auf jeden Fall lernt man durch solche Übungen, im eigenen Körper mehr zu Hause zu sein - der Körper verwandelt sich vom Fremdkörper zur ureigensten Behausung. Hier gibt es zahlreiche Möglichkeiten: Eutonie, Energieübungen, meditativen Tanz, Wallfahrten, Ikonenmalen – besonders die beiden letztgenannten Möglichkeiten haben sich schon lange als hilfreich bewährt und werden, nachdem sie längere Zeit als Folge der zweckrationalen Aufklärung verdrängt waren, gerade heute wiederentdeckt. Die Weiterführung der Meditation: Traum und Vision Dass es ein Unbewusstes gibt, ist heute kaum mehr umstritten, wohl aber, wie es zu deuten ist. FREUD unterschied bekanntlich drei Seelenbereiche: das Ich, das Es und das Über-Ich – wobei das Ich bewusst ist, das Es und Über-Ich aber dem Unbewussten angehören. Das Es vertritt die Gesamtheit unserer Triebe, also unser Erbe aus dem Tierreich, das Über-Ich die Gesamtheit der verinnerlichten Rollenerwartungen der Gesellschaft. Bei dieser Interpretation ist das Unbewusste also nur Brücke zur Natur (Es) und Brücke zur Gesellschaft (Über-Ich), für einen Transzendenzbereich ist kein Raum; das Symbol wird auf die Art und Weise auf ein Krankheitssymptom reduziert, das Über-Ich wird mit Gewissen gleichgesetzt und Träume können daher nur Botschaften des Es oder Über-Ich enthalten, nicht aber Botschaften GOTTES. Eine positivere Sichtweise des Unbewussten hingegen bietet V. FRANKL: Er stellte sein psychologisches Modell scherzhaft als „Höhenpsychologie“ der „Tiefenpsychologie“ gegenüber und verstand das Unbewusste nicht nur als Brücke zur Natur und zur Gesellschaft, sondern ausdrücklich auch als Brücke zu GOTT; damit ist auch die religiös wichtige Trennung von Über-Ich und Gewissen gegeben vereinfacht: das Über-Ich als Stimme der Gesellschaft, das Gewissen als Stimme GOTTES. Und damit wird auch eine religiöse Deutung von Träumen und das Akzeptieren der Möglichkeit echter Visionen möglich. Wenn wir auf unsere Träume achten, merken wir, dass FREUD zwar einerseits richtig erkannte, dass in ihnen vielfach unbewältigte Triebwünsche (Es) oder Rollenansprüche (Über-Ich), symbolisch verschlüsselt, hochkommen. Aber es gibt auch besondere Träume, die meist wesentlich klarer sind und die auf Lebensfragen antworten, oft mit deutlich religiöser Akzentuierung. FRANKL lieferte dazu die theoretische Erklärung – dass das Unbewusste eben auch eine Brücke GOTT sei. Dadurch wird klar, dass die zahlreichen biblischen Träume (etwa JAKOB: Gen 28,1022; JOSEPH: Gen 37, 5-11; 40,9-41,36; JOSEPH, der Bräutigam MARIAS: Mt 1,2023; 2,13-15; PAULUS: Apg 16,9-10) immer eine Führung durch GOTT darstellen. Und deshalb ist auch die Abgrenzung Nachttraum / Tagtraum (sofern er spontan auftritt und nicht eine willkürliche Träumerei darstellt)/ Vision kaum möglich: hier F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 65 bekommt der Mensch etwas zu sehen (und meist auch zu hören), was sein Leben unmittelbar betrifft. Dabei ist wichtig: Einerseits, dass der Mensch sich gegenüber visionärem Traum / Vision passiv verhält. So kann GOTT zur Sprache kommen und nicht das menschliche Ich. Daher sind Träume / Visionen die vom Menschen nicht-machbare Fortführung der Meditation: in der Meditation erwägen wir ganzheitliche Bilder, in Traum / Vision werden uns solche Symbole als Wegweiser für unser persönliches Leben geschenkt. Andererseits, dass die Traumbotschaft symbolisch verschlüsselt ist, und zwar auch und gerade in visionären Träumen, weil Überirdisches auf irdischer Ebene nicht anders ausdrückbar ist. 2.3 Heilung durch kontemplatives Gebet Eine klösterliche Anekdote erzählt: Ein junger Mönch bemüht sich übereifrig, hat aber das Gefühl, religiös nicht weiterzukommen. Er geht also zum Abt und fragt um Rat. Der Abt drückt im schweigend eine Teetasse in die Hand und beginnt Tee einzugießen - immer mehr, bis die Tasse übergeht und der heiße Tee dem armen jungen Mönch über die Finger rinnt. Schüchtern sagt der junge Mönch: Sehen Sie denn nicht, dass die Tasse bereits voll ist und nichts mehr hineingeht? Darauf antwortet der Abt: Siehst Du, ebenso verhält es sich mit Dir: Du bist voll von Deinen eigenen Gedanken, Wünschen und Plänen und willst doch, dass GOTT in Dir Platz findet. Zunächst eine kurze Rückerinnerung: Alle „alten“ (d.h. im Mittelalter gegründeten) Orden besaßen eine reiche Tradition ganzheitlichen Betens – eine Kombination von verbalen Gebeten, Meditation und Kontemplation mit bewusstem Einbezug des Körpers. In der Aufklärungszeit (18.Jh.) wurden diese Traditionen weitgehend verschüttet, viele beschauliche Orden aufgelöst: Es zählte nur das „Vernünftige“, was oft mit vordergründig-pragmatischen Zweckrationalität verwechselt wurde – die Kirche und ihre Orden sollten Menschen zu braven, moralischen Bürgern erziehen und Kranken, Behinderten, Alten etc. helfen. Erst im 20.Jh. setzte ein Umdenken ein: Gerade weil der Mensch sich in der Meditation ganzheitlich besinnt und in der Kontemplation GOTT völlig ausliefert, gleichsam zur offenen Schale für GOTTES Wirken wird, kann GOTT in dieser Gebetsweise den Menschen am stärksten umgestalten. - Der Weg des kontemplativen Gebets, auf den ich Sie einladen möchte, ist aber schwer zu beschreiben, weil wir hier an die Grenze des sprachlich Aussagbaren kommen. Ferner besteht gerade hier die Gefahr, dass man meint, durch das Lesen von Büchern, in denen die Erfahrungen anderer niedergelegt sind, bereits selbst diese Erfahrungen zu haben. Bücher, Vorträge, Exerzitien u.ä. sind aber nur nützliche Wegweiser für diesen Weg, gehen muss ihn jeder selbst. Es gibt zumindest zwei gute Gründe, kontemplativ zu beten: Der erste Grund ist ein eher (erkenntnis)theoretischer: da wir GOTT nicht als Inhalt neben anderen Inhalten denken können, ist im inhaltslosen Gebet GOTT selbst „Gegenstand“. Kontemplation kann also auch mit GOTTESschau wiedergegeben werden. Der zweite Grund ist ein praktischer: Jeder von uns hat schon die Erfahrung gemacht, dass gute Vorsätze nur eingeschränkt weiterhelfen. Das bedeutet keineswegs, dass sie halbherzig gefasst worden wären, sondern bestätigt die Annahme eines Unbewussten, das sich der Kontrolle durch unseren Verstand und Willen entzieht. Daher werden wir nur so weit, wie wir uns von GOTT verwandeln F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 66 lassen, zu selbstloser GOTTES- und Nächstenliebe fähig – und das ist ein lebenslanger Prozess: "Es ist ein gleichwertiger Austausch und ein gerechter Handel: So weit du ausgehst aus allen Dingen, so weit, nicht weniger und nicht mehr, geht GOTT ein mit all dem Seinen" (ECKEHART, Reden der Unterweisung 4, zit. nach QUINT (Hg.) (1963), ECKEHART. Deutsche Predigten und Traktate, München, 57). In der Kontemplation bemühen wir uns also, vor GOTT und für GOTT leer zu werden, was vor allem dem Ungeübten meist sehr schwer fällt. Hilfen dazu können sein: Das Sprechen von Wiederholungsgebete („Mantren“), die in allen Hochreligionen bekannt sind – in der Katholischen Kirche ist am bekanntesten der Rosenkranz, in den Ostkirchen das JESUSgebet. Ferner ist wichtig, regelmäßig einfach still zu sitzen, möglichst im Körperschwerpunkt, was zu seelischer Harmonie und Festigkeit hilft, und ruhig, tief und natürlich zu atmen. Die schwierigste Anforderung des kontemplativen Gebets, das Leerwerden, soll aber noch weiter geklärt werden – denn nichts fällt uns so schwer, wie das Loslassen dieser Begierden, Wünsche und Gedanken – machen sie doch unser konkretes Ich aus. Wenn wir aber nicht "Etwas" vor GOTT hintragen wollen - so die üblicheren Gebetsformen - , sondern GOTT selbst zum "Inhalt" des Gebets machen wollen, müssen wir in der Kontemplation alle Denkinhalte fallen lassen. Da wir die Wirklichkeit nicht im Denken schaffen, sondern bloß eine vorgegebene Wirklichkeit nachdenken, müssen wir nicht fürchten, dass nach dem Fallenlassen aller Denkinhalte das totale Nichts übrigbleibt - es bleibt das begriffliche Nichts, das in Wahrheit Alles - also GOTT Selbst - ist. Wer so leer geworden ist, darf hoffen, dass GOTT ihn erfüllen und dadurch sukzessive in Sein Bild verwandeln wird - ECKEHART sagt auch, dass GOTT in ihm geboren wird, oder, dass GOTT mit ihm eins wird - eine Erfahrung, die man als Mystik (s.u.) bezeichnet. Hintergründig geht es also bei der Forderung nach Leerwerden um ein totales Loslassen, d.h. um ein Sterben, und davor graut uns instinktiv. Daher ist die größte Hilfe zum Leerwerden das Vertrauen, dass wir nicht Leerwerden um des Leerwerdens willen, sondern um dem wahren Leben und Glück, GOTT, in uns Raum zu geben: Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten (Mk 8,35). Da wir aber nicht den ganzen Tag dem kontemplativen Gebet widmen können, müssen wir uns im Alltag um eine ergänzende Lebenshaltung bemühen – um Einfachheit, besonders, immer nur eine Tätigkeit, diese aber ganz und wach zu verrichten. Diese Einfachheit ist nicht nur eine religiös sinnvolle Hilfe, im „Jetzt“ GOTTES zu leben - „Jetzt ist die Zeit der Gnade“ (2 Kor 6,2) -, sondern bewahrt auch vor dem heute üblichen Stress – wer immer nur eine Tätigkeit verrichtet, kann nicht gestresst sein. Diese Einfachheit ist daher allen spirituell Interessierten zu empfehlen, auch denen, die das kontemplative Gebet (noch) nicht üben. Und die Wachheit wurde von JESUS besonders in Seinen Endzeitgleichnissen immer wieder eingefordert – erst in späterer Zeit wurde Verträumtheit mit Spiritualität verwechselt. Doch eine Gebetsart, die zur Weltflucht verleitet statt zur Bewährung in der Welt und ihren konkreten Anforderungen, ist gefährlich – GOTT spricht ja gerade durch die Realität und ihre konkreten, nicht immer angenehmen Anforderungen zu uns! TOLSTOI hat dies in einem Statement einprägsam formuliert: Der wichtigste Augenblick in meinem Leben ist das Jetzt; der wichtigste Mensch in meinem Leben ist der, mit dem ich jetzt zu tun habe; die wichtigste Tätigkeit in meinem Leben ist die, die ich jetzt verrichte. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 67 Wie die Meditation durch Träume / Visionen weitergeführt werden kann, so die Kontemplation durch mystische Erfahrungen. Hier besteht also eine Parallele: jeder kann sich entscheiden, ob er Meditation und / oder Kontemplation übt – niemand aber kann durch persönliche „Leistung“ verdienen, durch Visionen und / oder mystische Erfahrungen weitergeführt zu werden – das ist eine Gnadengeschenk GOTTES, und wir dürfen vertrauen, dass Er es zur rechten Zeit schenkt, d.h., wenn ein Mensch dazu reif geworden ist. Für einen spirituellen Weg im allgemeinen und den kontemplativen Weg im besonderen ist es sehr wichtig, sich nicht mit anderen zu vergleichen – ich muss meinen Weg gehen, nicht den eines anderen, und vertrauen, dass GOTT mir auf diesem Weg gerade die Gnaden schenkt, die ich brauche. Der Name Mystik kommt vom griechischen mýein, d.h. Augen und Mund verschließen, weil man GOTTESerfahrungen leichter ohne Ablenkung durch die sich aufdrängenden Sinneswahrnehmungen machen und, wenn man sie gemacht hat, nicht adäquat mitteilen kann. Der Übergang von der Kontemplation zur Mystik dauert meist viele Jahre, wobei zuerst die Liebe zu den Geschöpfen, dann die Liebe zu GOTT geläutert wird – diese Verwandlung ist immer schmerzlich („mystische Nacht“). Denn damit meine falschen Anhänglichkeiten umgestellt werden können, muss mir vieles genommen werden, letztlich meine Ich-Bindung, um für eine echte GOTTES-Bindung frei zu werden. Ein so umgewandelter Mensch kann in einem plötzlichen Erlebnis („Erleuchtung“) oder in einer langsam wachsenden Grundhaltung die Einheit mit GOTT und daher mit allen Geschöpfen erfahren – kann, weil GOTT dies schenkt, erfahren, weil es nicht um theoretisches Wissen geht. Diese Erfahrung ist - im Gegensatz zur Vision - bild- und begrifflos und kann daher sprachlich nicht adäquat ausgedrückt werden (was wohl die Unterschiede der begrifflichen Beschreibungsversuche erklärt). Doch sie prägt den Menschen nachhaltig im Sinne eines geistlichen Heilungsprozesses, seine Beziehung zu GOTT, zu all Seinen Geschöpfen und last not least zu sich selbst ist positiv verwandelt worden - der Mensch ist gleichsam in das verlorene Paradies zurückgekehrt. Dieser spirituelle Weg soll nun etwas ausführlicher beschrieben werden, so weit dies möglich ist – wirklich verstehen kann ihn nur der, der ihn geht. Die schmerzliche Heilung des äußeren und inneren Menschen – die Verwandlung zu Nächsten- und GOTTESliebe Erst wenn ein Mensch klar erkennt, dass er in einer unheilen Atmosphäre, in entfremdeten Beziehungen und an sein eigenes Ich gefesselt lebt, und sich ernsthaft entschließt, in „das verloren Paradies“ zurückzukehren, ist er reif für den spirituellen Weg – wobei er am Anfang meist nicht weiß, wie steinig und dornig dieser Weg streckenweise werden kann. Und das ist gut so – wer sich in GOTTES Hand gibt, darf zwar nicht ein leidfreies Leben erwarten, aber er darf vertrauen, dass ihm nicht mehr zugemutet wird, als er tragen kann. Die erste Phase dieses Weges ist daher die Heilung der falschen Bezüge zu GOTT, zu sich selbst, zum Mitmenschen und zur apersonalen Schöpfung – kurz: die Heilung von der Ich-Bindung - ein jahre-, meist sogar jahrzehntelanger Prozess, der auch als Läuterung, Reinigung oder Loslassen bezeichnet wird. Ich persönlich bevorzuge die Bezeichnung Heilung, weil Läuterung oder Reinigung als Engführung in Richtung Schuldvergebung missverstanden werden könnte, Loslassen aber zu einseitig unsere Aktivität betont und nicht bewusst macht, dass zur Aktivität des Loslassens die Passivität des SichEtwas-Nehmen-Lassens kommen muss, ja, dass diese den größeren Teil der Heilung ausmacht. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 68 Um zu verstehen, was mit Heilung gemeint ist und warum es eine Heilung des äußeren und inneren Menschen geben muss, erinnern wir uns an einige Grundüberzeugungen christlichen Glaubens: Nur GOTT ist, alles, was nicht GOTT ist und dennoch existiert, ist von Ihm und auf Ihn hin geschaffen, wobei „geschaffen“ eine Teilhabe an GOTTES Sein meint; dadurch, dass diese Teilhabe abgestuft ist – Mensch, Tier, Pflanze, tote Materie - , entsteht eine Schöpfungsordnung. Wir Menschen als vernünftige und freie Wesen können diese Grundgegebenheit unserer Existenz annehmen oder ablehnen. Lehnen wir sie ab – meist nicht aus Bosheit, sondern weil wir meinen, unser Lebensglück besser zu gestalten als GOTT - , stellen wir unsere eigene Ordnung der Ordnung GOTTES, unsere Ich-Bindung der GOTTES-Bindung, unsere Eigenliebe der GOTTESliebe entgegen – und zwar nicht nur in Grundsatzentscheidungen, sondern immer dann, wenn wir unsere Interessen oder die eines Mitgeschöpfes über den Willen GOTTES stellen. Die Bibel drückt dies in den schönen Legenden von Paradies und Vertreibung aus dem Paradies aus: GOTT stellt jeden Menschen in eine heile Ordnung hinein („Paradies“), der Mensch wird aus diesem Paradies sowohl durch fremde Schuld (anderer Menschen, aber auch der Unheilsstrukturen dieser Welt) als auch durch eigene Schuld ausge-sond-ert („Sünde“). Der von GOTT durch eigene und fremde Schuld abgesonderte Mensch ist an sich selbst gebunden, d.h. macht seine Triebe, Wünsche, Interessen, Vorstellungen zur Basis seiner Entscheidungen: er „liebt“ GOTT und die Geschöpfe nur so weit und in der Rangordnung, wie es zu seinen Interessen passt. Von dieser Basis her ist das Ideal der GOTTES- und Nächstenliebe nicht zu erfüllen, ja, nicht einmal richtig zu verstehen – es bleibt ein äußeres „Gesetz“ und wird nicht als die eigentliche Bestimmung unseres Lebens erkannt. Die Umwandlung von der falschen Selbstbestimmung zur echten Selbstbestimmung kann nur in einem längeren und meist schmerzlichen Prozess geschehen. Obwohl logisch betrachtet die GOTTESliebe Fundament der Nächstenliebe bzw. der Liebe zur Schöpfung ist, erfolgt die Verwandlung des Menschen fast immer zunächst von der Nächstenliebe bzw. Schöpfungsliebe her – in der spirituellen Literatur bezeichnet als Läuterung des äußeren Menschen: Die Rangordnung der Liebe zu den Geschöpfen muss umgestellt werden von meiner Rangordnung zu der Rangordnung GOTTES. Sicher ist dazu hilfreich, meine Rangordnung zu überdenken und vielleicht bewusst manches loszulassen, wovon ich überzeugt bin, dass es der Rangordnung GOTTES nicht entspricht. Hier sind Verhaltensweisen wie „Opfer“ und „Disziplin“ sinnvoll. Wie ein Diabetiker auf Süßigkeiten nicht um des Verzichts willen verzichtet, sondern um seiner Gesundheit willen, ist für unsere spirituelle Gesundheit, für ein Umstellen auf die Rangordnung GOTTES, sicher auch das Überdenken und Loslassen von falschen Anhänglichkeiten erforderlich. Diesen Teil der Läuterung hat man auch als „aktive Läuterung“ bezeichnet, weil man ja selbst etwas dazu beiträgt. Wichtiger aber und um vieles schwerer ist es einzuwilligen, sich von GOTT etwas oder jemanden nehmen zu lassen. Denn für die Läuterung oder Heilung des äußeren Menschen ist als Durchgangsstadium, nicht als Endzweck, das Loslassen bzw. das Getrennt-Werden von Menschen und Dingen erforderlich, die uns auf unserem Weg zu GOTT hindern würden. Da wir letztlich nicht beurteilen können, wer oder was uns hindert, können wir in die kleinen und großen Verluste unseres Lebens „nur“ einwilligen. Aber wer schon große Verlusterfahrungen hinter sich hat, weiß, wie schwer uns dieses „Nur“ fällt. Könnten wir wie IJOB akzeptieren, nicht nur unseren materiellen Besitz, sondern auch unsere liebsten Menschen und unsere Gesundheit zu verlieren? Fragen wir uns gelegentlich, wo wir die Grenze ziehen würden – das F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 69 abstrakte Loslassen („Ich überlasse alles GOTT“) erweist sich meist viel leichter als das konkrete, wenn uns wirklich etwas oder jemand genommen wird. Ziel der Läuterung des äußeren Menschen ist freilich weder stoische Apathie noch kynische Misanthropie noch masochistische Askese, sondern die Verwandlung der Eigenliebe in Nächsten- und Schöpfungsliebe. Um von der Eigenliebe loszukommen, ist es nötig, das loszulassen, woran ich als Ich hänge. Es ist daher kein billiger Trost, sondern eine ernstzunehmende Verheißung, wenn JESUS jedem, der Familie, Freunde, Besitz um Seinetwillen lässt, das Hundertfache verheißt (Mk 10, 29 f. // Mt 19,29 // Lk 18, 29 f.): erst durch das Aufgeben der Ich-Bindung werde ich fähig, Menschen und Schöpfung um ihrer selbst willen zu lieben. Ein Gedanke ECKEHARTs, den er im Buch der göttlichen Tröstung äußert, soll uns als Klammer zwischen der Heilung des äußeren und der des inneren Menschen dienen: Kein Gefäß kann zweierlei Trank in sich fassen. Soll es Wein enthalten, so muss man notgedrungen das Wasser ausgießen; das Gefäß muss leer und ledig werden. Darum: sollst du göttliche Freude und GOTT aufnehmen, so musst du notwendig die Kreaturen ausgießen“ (Zit. nach QUINT (1963), ECKEHART, Deutsche Predigten und Traktate, München, 114). Damit sind wir beim schwereren zweiten Schritt, der Heilung des inneren Menschen: Erstens: sie ist passiv zu erleiden; das einzige, was ich aktiv zu diesem Schritt beitragen kann, ist, mich inhalts-, willen- und bedingungslos GOTT auszuliefern – dazu hilft besonders die Kontemplation. Zweitens: der Verlust von Geschaffenem, wie er bei der Heilung des äußeren Menschen durchlitten werden muss, ist ja getragen von einer zwar noch ungeläuterten, aber immerhin vorhandenen GOTTESbeziehung - ich „habe“ ja noch GOTT, daher habe ich nicht alles gelassen, sondern nur Geschöpfe um GOTTES willen. Das Loslassen der GOTTESbeziehung ist dem Menschen aber im letzten gar nicht möglich – der letzte ihm mögliche Schritt ist die Kontemplation. Die Hilfe, die GOTT dem dazu bereiten Menschen dann angedeihen lässt, sieht zunächst für diesen Menschen wie die furchtbarste Strafe aus: GOTT entzieht Sich diesem Menschen total – er versetzt den Menschen in den Zustand der GOTT-verlassenheit oder mystischen Nacht – viel zu poetisch-harmlose Ausdrücke für die Realität dieses Grauens. Es mag aber für jeden, der in diesen Zustand gerät, tröstlich sein zu hören, wie andere ihn erlebt haben. Hier eine anschauliche Beschreibung von JOHANNES v. Kreuz: Wenn nun das Göttliche sie <die Seele> überfällt, um sie auszureifen, zu erneuern und dadurch göttlich zu machen – wenn es sie nun von allen eingewurzelten Neigungen, von allen klebenden und eingefleischten Eigenheiten des alten Menschen vollkommen entblößen will, dann zerstückelt und vernichtigt es derart ihre geistige Substanz in einer sie umschlingenden, dichten und tiefen Finsternis, dass sich diese Seele angesichts ihrer Erbärmlichkeiten in einem grausamen Geistestod hinschmelzen und hinschwinden fühlt ... (Joh.v.Kreuz, Dunkle Nacht II/6, zit. nach JÄGER (1994), Kontemplatives Beten, Münsterschwarzach, 14 f.) Viele „moderne“ spirituelle Wege meinen, dieses Durchgangsstadium umgehen zu können, viele meinen, GOTT auch durch einige Liedlein bei Kerzenschein erreichen zu können – und betrügen sich selbst und andere. Erinnern wir uns, dass auch JESUS sagte, dass nur der, der bereit ist, sein Leben zu verlieren, es gewinnen kann – und dass auch bei Ihm der Weg zur Einigung mit GOTT durch die GOTTverlassenheit, der Weg zur Auferstehung durch den Tod führte. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 70 Erleuchtung und Einigung Die Heilung des Menschen ist erst abgeschlossen, wenn er alles gelassen, wenn er die Ich-Bindung aufgegeben hat, wenn er sich selbst im mystischen Tod gestorben ist. Auch wenn dieser Umschwung ganz GOTT überlassen werden muss, kann es für den Menschen hilfreich sein, die Frage Warum hast Du mich verlassen ? in die Frage Wozu hast Du mich verlassen? zu verwandeln – was, wenn diese Verwandlung ehrlich sein soll, oft längere Zeit in Anspruch nehmen kann, entsprechend der psychologischen Erfahrung, dass traumatische Erlebnisse zunächst eine Aggressions-, dann eine Regressionsphase auslösen und erst in einer dritten Phase bewältigt werden können. Jedenfalls ist bedeutet die Warumfrage ein Rechten mit GOTT, die Wozufrage ein Sich-hinein-Begeben in GOTTES Willen. Schon KANT hat lapidar festgestellt Erfahrungen muss man machen. Selbst die banalste Alltagserfahrung kann man sprachlich nie so adäquat ausdrücken, dass für den, der diese Erfahrung nicht kennt, die Erfahrung durch die Beschreibung ersetzt werden könnte. Das gilt noch weit mehr für die höchstmögliche Erfahrung, die Erleuchtung oder Durchleuchtung. Ich möchte, obwohl das unüblich ist, hier zwei Ausdrücke verwenden, um darauf aufmerksam zu machen, dass die mystische Erfahrung sowohl ein plötzliches Hingerissen-Werden in GOTT sein kann als auch ein langsames In-GOTT-Hineinwachsen, wobei beides einander nicht ausschließen muss, sondern ergänzen kann. Das, was hier erfahren wird, lässt sich, wenn überhaupt, im Gegensatz zu unserer üblichen Denkweise beschreiben. Normaler Weise denken wir diskursiv, d.h. einen Denkinhalt nach dem anderen, wobei wir Denkinhalte voneinander abgrenzen und zueinander in Beziehung setzen. So ist es auch möglich, durch Nachdenken zu erkennen, dass wir selbst und alle Dinge im Kosmos ihr Sein nicht aus sich selbst haben können, und daraus zu schließen, dass sie dieses Sein von einem Wesen verliehen haben, das aus Sich Selbst ist, von GOTT. Solche Überlegungen sind durchaus berechtigt, haben aber den Nachteil, dass sie keine letzte existentielle Gewissheit gewähren – es könnte ja auch anders sein. In der mystischen Erfahrung wird diese Diskursivität (und damit die Zeit) kurzfristig aufgehoben, wir denken nicht, dass wir und alle Dinge in GOTT geborgen sind, sondern wir erfahren unsere Ich-Bindung in GOTT aufgehoben und diese Ganzheit intuitiv und als größtmögliches Glück – es sind ja alle schmerzlichen Trennungen, alle „Sünden“, aufgehoben. Anders ausgedrückt: Wir erfahren die Rückkehr ins Paradies. Auslöser kann eine Naturerfahrung sein, und zwar durchaus individuell verschieden – etwa für MOSE der brennende Dornbusch, für ELIJA das zarte Säuseln des Windes, für die Jünger am Schawuot- (Pfingst-)Fest das heftige Sturmesbrausen. Die heutige Psychologie spricht von peak-experience (Gipfel-Erlebnis). Die Primärerfahrung scheint bei den Menschen, die sie haben, gleich oder zumindest ähnlich zu sein, die sekundäre Deutung aber je nach Kultur und Religion verschieden. Während man in der christlichen Mystik stärker das Erleben der Geborgenheit der Schöpfung in GOTT betont (Liebesmystik), betont die östliche Mystik stärker das Erleben der Einheit mit dem GÖTTLICHEN (Einheitsmystik). Man müsste wohl beide Aspekte zusammensehen und von dem Erleben einer Identität-Nichtidentität oder Nichtidentität-Identität sprechen – im Bewusstsein, dass unsere diskursive Sprache zumindest zwei Begriffe braucht, um das auszudrücken, was im intuitiven Erleben eins ist - nicht als Entweder-Oder, sondern als Sowohl- Als auch. Natürlich kennt bereits die Bibel diesen Doppelaspekt der Einheitserfahrung – ich möchte dazu bewusst auf zwei Texte desselben biblischen Autors hinweisen, auf LUKAS: im Gleichnis vom barmherzigen F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 71 Vater ist GOTT das liebende, personale Gegenüber (Lk 15,11-32), in der Areopagrede der Apostelgeschichte die uns umgebende Lebensenergie (Apg 17, 28). Da wir bis zum biologischen Tod Zeitbedingungen unterworfen bleiben, ist die Zeitüberhobenheit, die „Ewigkeit“, der mystischen Erfahrung momenthaft. Dennoch prägt sie den Menschen in mehrfacher Hinsicht: Durch die Erfahrung der Geborgenheit seiner selbst und der ganzen Schöpfung in GOTT und der Einheit mit GOTT ist die Läuterung / Heilung der Kontemplation zu einer (vorläufigen) Vollendung gekommen – der Mensch beginnt ganz und heil zu werden, Leid, das ihn äußerlich trifft wie jeden Menschen, trifft nicht mehr seinen Seelenkern. Diese Erfahrung relativiert die Diskursivität seines Denkens, durch die erlebte Intuition wird sein Wissen nicht quantitativ vermehrt, sondern qualitativ verändert: er erlebt sich selbst, seine Mitmenschen und alle Dinge nicht als getrennte Seiende, von denen er auf GOTT als Schöpfer schließen kann, sondern er erlebt sich selbst und alle Geschöpfe mit GOTT vereint. Von dieser Erfahrung her wird erst echte Liebe zu den Geschöpfen möglich – Liebe als „Im-anderen-bei-sich-Sein“ (HEGEL). Mit der Relativierung der Diskursivität des Denkens wird auch das Zeitbewusstsein relativiert, so dass wir während dieser Erfahrung bereits Ewigkeit – als Zeitlosigkeit und nicht als unendliche Zeitdauer - erfahren können. Zum Abschluss dieser Überlegungen zum kontemplativ-mystischen Weg wollen wir den praktischen Aspekt überlegen, warum Tod und Auferstehung in diesem Leben wenigstens partiell vorweggenommen werden sollen – es ist das Fruchtbringen. Denn auch und gerade für die mystische Erfahrung hat uns JESUS selbst den Prüfstein genannt: An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Erntet man etwa von Dornen Trauben oder von Disteln Feigen? Jeder gute Baum bringt gute Früchte hervor, ein schlechter Baum aber schlechte ... (Mt 716 f.) . Denn die Früchte, die ein Mensch aus sich selbst hervorbringt, sind menschlich, die GOTT in ihm hervorbringt, göttlich. Im letzten Stadium des mystischen Weges, der Einigung, geht es also nicht um eine momenthafte, glückselige Erfahrung, sondern um das fruchtbringende Bleiben in GOTT – die Einigung ist der praktische Aspekt des kontemplativmystischen Weges. Niemand, der sich für diesen Weg entschließt, geht diesen Weg allein – er geht ihn immer auch für andere. Das ist auch der Grund, warum wir Läuterung / Erleuchtung / Einigung nicht auf das Jenseits vertagen, sondern hier und jetzt beginnen sollten. Spätestens hier muss klar werden, dass der Ausrottungsversuch der Mystik durch die Aufklärung und ihre Überzuckerung im 19.Jh. eine verkürzte Spiritualität hervorbrachte. Echte Mystik hingegen führt zu einer vertieften Realitätssicht und dadurch zur Tauglichkeit („Tugend“), als Glied des Leibes CHRISTI zu handeln. Hier zeigt sich auch erstens der innerchristliche Gegensatz von Pflichtethik / Liebesethik, zweitens der interreligiöse Gegensatz von Christentum und Buddhismus. In der Pflichtethik erscheint die Tugend als Pflicht im Gegensatz zu meinen Neigungen – ich soll gut handeln; daher besteht immer die Gefahr, aus diesem Bemühen herauszufallen. In der Liebesethik, die die Ethik der Einigung ist, gibt es diesen Gegensatz von Pflicht und Neigung nicht, da ja der Eigenwille im göttlichen Willen aufgehoben ist – ich will im Sinne GOTTES handeln. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 72 Bezüglich des Gegensatzes von Christentum und Buddhismus habe ich bereits bei der Besprechung der Erleuchtung erwähnt, dass der Buddhismus die mystische Erfahrung als reine Einheitserfahrung interpretiert, das Christentum aber beide Momente, die Einheit und die innige Liebesverbindung der Zweiheit, betont. Das unterschiedliche Verständnis der Erleuchtung wirkt sich auf das Verständnis und die Praxis der Einigung aus, ja, auf das Hoffnungsbild, mit dem die endgültige Einheit mit GOTT nach dem Tod ausgedrückt wird. Im Buddhismus werden die Beziehungen des Menschen zu Mitmenschen, zur Mitschöpfung, zu sich selbst, ja, letztlich zum GÖTTLICHEN als Hindernis gesehen – Ziel ist die unterschiedslose Einheit; und die Hoffnung über den Tod hinaus ist es, wie ein Tropfen im Ozean der GOTTheit zu verlöschen. Im Christentum sind die Geschöpfe, vor allem der Mensch, nicht bloße Aspekte der GOTTheit, sondern von einem personalen GOTT in eine relative Selbständigkeit entlassen. Da hier auch GOTT personal, also in Liebes-Beziehungen stehend, gedacht wird – in Sich (Dreifaltigkeit) und zur Schöpfung -, kann weder die Schöpfung in GOTT verschwinden noch die drei göttlichen Personen ineinander verschmelzen. Ziel ist hier also nicht die unterschiedslose Einheit, sondern die Einheit in einer Vielfalt heiler Beziehungen, die Einheit von Liebesbeziehungen. Das beste Bild dafür ist das himmlische Hochzeitsmahl. "GOTT ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in GOTT, und GOTT bleibt in ihm" (1 Joh 4,16 b). 3.2.2.2 Sakramente Für das Verständnis von Sakramenten sei an das zum symbolischen Denken bereits Ausgeführte erinnert (vgl.o., 0.2.8): Das auf den empirischen Bereich beschränkte begriffliche Denken wird durch das symbolische Denken sinnvoll ergänzt, da nur dieses den transzendenten Wirklichkeitsbereich erschließt; daher ist es für Kunst und Religion unverzichtbar. Für das Verständnis für Sakramente als wirksame Symbole müssen vor allem zwei Fagen geklärt werden: Woher stammt jene Heilswirksamkeit der Sakramente ? Wenn GOTT uns mit Seinem Gnadenhandeln in dieser Welt erreichen will, muss Er Seine Gnade gleichsam "verleiblichen"; Höhepunkt dieser Verleiblichung ist Seine Menschwerdung in JESUS CHRISTUS, der daher auch als "Ursakrament" bezeichnet wird (so etwa auch Lumen Gentium 1). Diese Form der Verleiblichung GOTTES war aber zeitlich beschränkt - auf den historischen JESUS. Daher bedarf es nach der Auferstehung neuer Formen der Verleiblichung, wobei es GOTT bzw. Seinem CHRISTUS weitgehend freisteht, welche Formen Er wählen will (eine gewisse Einschränkung ergibt sich durch die Forderung nach Verständlichkeit für den Menschen). Bindet Er sich aber an bestimmte Zeichen, so dürfen wir vertrauen, dass Er durch diese wirken will - was natürlich nicht heißt, dass Er nur in diesen und sonst nicht Heil wirken könne, bereits der irdische JESUS alle Sakramente in der heutigen Form gegründet haben müsste. Wohl aber ist gemeint, dass die sichtbare Kirche die wesentlichen Lebensbereiche des Menschen mittels der Sakramente an das in ihr gegenwärtige Heilswirken GOTTES durch den Auferstandenen bindet. Warum sind die sakramentalen Zeichenhandlungen als solche sittlich-neutral? Da unsittliche Handlungen nicht wirksame Symbole zur Vollendung des GOTTESREICHES sein können und sittliche Handlungen ohnedies geboten sind, F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 73 kommen nur sittlich-neutrale Handlungen in Frage: unter diesen wieder solche, die einen möglichst leicht verständlichen Zeichencharakter aufweisen (die hier einfließende Kulturabhängigkeit kann Zusatzschwierigkeiten bereiten). ZUSAMMENFASSUNG: Die Kirche erfüllt ihre Aufgabe, den Auferstandenen in der Geschichte präsent zu halten, gemäß Seinem Vorbild in Liturgie + Verkündigung + Diakonie 3.2.3 Schrift, Inspiration, Irrtumslosigkeit Im und nach dem Exil - also in einer Zeit jüdischer Identitätsfindung - hatten Juden, wohl vorwiegend jüdische Priester, religiöse Schriften, die meist schon eine lange mündliche und schriftliche Entwicklung hinter sich hatten, zum AT zusammenzustellen begonnen. Innerhalb der Urkirche, die nicht nur die zeitlich erste, sondern die konstitutive Epoche der Kirche darstellt, wurde die CHRISTUSOffenbarung schriftlich gefasst, wodurch das NT entstand. Nun wurden aber nicht alle religiösen Schriften im jüdischen bzw. christlichen Raum kanonisiert, d.h. als "Richtschnur" des jüdischen bzw. christlichen Glaubens anerkannt. Dabei bedeutet die Kanonisierung sowohl eine quantitative Abgrenzung gegenüber anderen religiösen Schriften als auch eine qualitative Bestimmung, dass diese in den Kanon aufgenommenen Schriften als "GOTTESwort" gelten können. M.a.W.: Diese kanonisierten Schriften galten von Anfang an als "inspiriert", d.h. unter Führung des GOTTESGEISTES geschrieben (zuerst 2 Tim 3,16). Aber - woher weiß man von der GÖTTLICHEN Verfasstheit gerade dieser Schriften, und wie ist das Verhältnis von GÖTTLICHER und menschlicher Autorenschaft zu denken? Die antik-mittelalterliche Deutung, GOTT sei der Autor, der Mensch Werkzeug, führte zur Annahme einer Verbalinspiration (Tridentinum, lutherische Orthodoxie): Der GOTTES-GEIST habe die Hl. Schrift wortwörtlich diktiert. Diese Auffassung erklärt weder die Verschiedenheiten und sogar sachlichen Irrtümer der biblischen Bücher noch das Zusammenwirken GOTT-Mensch und wurde daher aufgegeben. Heute ist am gängigsten die Weiterführung der Theorie der Realinspiration durch RAHNER104: Das ganze GOTTESvolk des Alten und Neuen Bundes ist inspiriert, einzelne aus diesem GOTTESvolk betätigen sich als Autoren. GOTT wirkt dabei nicht äußerlich auf den Menschen ein, was Er ja auch sonst nicht tut (vgl. oben, 2.2.1: GOTT wirkt immer als Erstursache durch geschöpfliche Zweitursachen), sondern in und durch den Menschen und seine natürlichen Talente, so dass die Inspiriertheit als Sonderform des Charismas und die Schrift als "GOTTESwort in Menschenwort" angesehen werden kann (In diesem weiten Sinn versteht noch PAULUS das Charisma, etwa 1 Kor 12,1-11; erst später wurde der Charismen-Begriff auf Amtsgnade einerseits - schon Eph 4,11 - , auf außergewöhnliche Gnadengaben andererseits eingeengt105. Weil die Schriften in dem - in jedem seiner Glieder inspirierten - atl. oder ntl. GOTTESvolk entstanden sind, beurteilt dieses RAHNER K., Über die Schriftinspiration, Quaestiones disputatae 1, Freiburg 1958. Vgl. dazu KREMER J., Eifert aber um die größeren Charismen, in: ThPQ 1980,321-335; DEIFEL E., Bibel - Wort GOTTES - auch heute noch ?, in: CPB, 1989, H.3, 144-146. 104 105 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 74 GOTTESvolk selbst, welche Schriften es als seine Norm anerkennt, also welche es kanonisiert. Diese Beurteilung ist ebensowenig willkürlich wie die Abfassung der Schriften, da ja beides "im GEISTE" erfolgt106. Dadurch erhält die Schrift von vornherein einen unlösbaren Bezug zum kirchlichen Lehramt bzw. zur kirchlichen Tradition, was uns noch beschäftigen muss. Mit der Inspiriertheit der Schrift hängt die Frage ihrer Irrtumslosigkeit eng zusammen. Bis in die Neuzeit hielt man alle Aussagen der Schrift problemlos für in jeder Hinsicht wahr, was natürlich mit der Theorie der Verbalinspiration zusammenhing. Diese Annahme geriet zwar durch das Entstehen der modernen Einzelwissenschaften ins Wanken, was sich am Fall GALILEI besonders deutlich zeigte, wurde aber bis zum Vat.II vertreten. Dort einigte man sich darauf, dass nur die Heilswahrheit irrtumsfrei ist, während auf anderen Gebieten Irrtümer durchaus möglich seien (überholtes Weltbild, menschliche Unkenntnis des Verfassers etc.): "...ist von den Büchern der Schrift zu bekennen, dass sie sicher, getreu und ohne Irrtum die Wahrheit lehren, die Gott um unseres Heiles willen in heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte " (DV 11, Hervorhebung v.Verf.). ZUSAMMENFASSUNG: Das ganze GOTTESvolk ist inspiriert, d.h. durch den GEIST mit GOTT verbunden. Die schriftliche Fixierung der Offenbarung, die im Rahmen dieser Inspiriertheit erfolgt, gilt daher als Kanon (Norm). Die Schrift als GOTTESwort in Menschenwort kann auf heilsirrelevanten Gebieten Irrtümer aufweisen, doch ist irrtumsfrei bezüglich der Heilswahrheit. 3.2.4 Schrift und Tradition Bis zur Reformation wurde der Traditionsbegriff zweideutig verwendet: Erstens im Sinne des kirchlichen Tradierens der Schrift, also: Tradition als Tätigkeit verstanden, zweitens im Sinne inhaltlicher Ergänzungen zur Schrift, also: Tradition als zur Schrift hinzukommende Inhalte verstanden. Die Reformatoren wandten sich zunächst ebenso undifferenziert gegen Tradition überhaupt (sola scriptura), wie man sich vorher undifferenziert auf Tradition berufen hatte, korrigierten dies aber bald: Tradition im Sinne des Tradierens anerkannten sie, da ja die Schrift und die Tätigkeit des Tradierens von der Kirche nicht zu trennen sind und der GOTTESGEIST nicht nur bei der Entstehung der Schrift mitwirkte, sondern als in der Kirche gegenwärtig geglaubt wird - als "GEIST der Wahrheit", der uns "in die volle Wahrheit führt" (Joh 16,13; vgl. auch oben, Realinspiration) Tradition im Sinne einer Schriftergänzung lehnte sie ab, da sonst JESUS CHRISTUS nicht die endgültige Offenbarung GOTTES wäre. M.a.W.: Die Protestanten vertraten und vertreten die materiale Schriftsuffizienz, d.h. dass die Schrift inhaltlich nicht ergänzungsbedürftig sei, verbunden mit der modalen Schriftinsuffizienz, d.h. dass die Schrift, um in der Kirche lebendig zu bleiben, die Tätigkeit des Tradierens braucht. "Indem GOTT ...die Urkirche ... will und schafft, will und schafft Er die Schrift" als "inspirierender Urheber", RAHNER, s.Anm. 104, 58. 106 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 75 Die katholische Stellungnahme ist bis heute nicht ganz klar. Die des Tridentinums war missverständlich im Sinne der Annahme zweier gleichberechtigter Offenbarungsquellen, Schrift und Tradition - obwohl schon im Tridentinum das ursprüngliche "et-et" (sowohl - als auch) durch ein einfaches "et" (und) ersetzt worden war. Diese Annahme der Gleichberechtigung von Schrift und Tradition war noch im Vat.II umstritten, wurde aber schließlich ausdrücklich aufgegeben (DV, besonders 9 f.). Schrift ist Wort GOTTES, die Tradition ist daher eindeutig der Schrift unterstellt und dient, als Tätigkeit des Tradierens, zur Bewahrung, Erklärung und Ausbreitung der Schrift; obwohl nicht ausdrücklich gesagt, könnte dies auch im Sinne der materialen Schriftsuffizienz bei modaler Schriftinsuffizienz verstanden werden. 107 ZUSAMMENFASSUNG: Tradition als Tätigkeit des Tradierens der Schrift innerhalb der Kirche ist unaufgebbar (modale Schriftinsuffizienz), inhaltliche Ergänzung zur Schrift ist problematisch, weil die Schrift als inhaltliche Fixierung der endgültigen Offenbarung GOTTES als material suffizient gelten muss. 3.2.5 Lehramt und Unfehlbarkeit "Das Lehramt steht nicht über dem Wort GOTTES, sondern dient ihm" (Vat. II, DV 10). Der Zusammenhang von Schrift und Tradition führt auf die Frage des kirchlichen Lehramtes, dessen Träger alle Kirchenglieder (d.h. alle Getauften und insofern vom GEIST Erfüllten), natürlich nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten und Ausbildung, sein müssen. Denn alle sind in die CHRISTUS-Beziehung hineingenommen oder GEISTerfüllt und müssen daher die oben (vgl.o., 3.2.2) genannten Grundfunktionen der Kirche miterfüllen - eine der wesentlichen Wurzeln der gegenwärtigen kirchlichen Krise ist sicherlich, dass die Eltern nicht die ersten "Katecheten" ihrer Kinder sind und die Familie nicht mehr Ort konkreter Erfahrung christlicher Lebensführung ist. Nur innerhalb dieses allgemeinen Lehramtes ist - im Sinne einer "Arbeitsteilung" - ein besonderes Lehramt denkbar, das in der katholischen Kirche durch Papst oder Papst und Bischöfe in außerordentlicher und ordentlicher Weise repräsentiert wird - eine historisch gewordene Ausformung, die so nicht zwingend, aber deswegen nicht unberechtigt ist: Der Glaube an die GEISTgeleitetheit der Kirche schließt ein, dass sie ihre Tätigkeiten und Organisation den jeweiligen historischen Erfordernissen anpassen darf und soll. Ist also die konkrete Repräsentation des Lehramtes nicht zwingend, so ist es doch der so unbeliebte Gedanke der "Unfehlbarkeit": Denn wenn Sich GOTT in CHRISTUS endgültig geoffenbart hat, muss Er auch für die sinngemäße Weitergabe dieser Offenbarung sorgen - sonst müsste GOTT Sich ja ständig neu offenbaren. Daher die biblische Verheißung, dass die Kirche in der Wahrheit (biblisch immer als Heilswahrheit zu verstehen) bleiben werde (vgl. 1 Thess 2,13; Mt 16,18 f. u. 18.18; So etwa legen RAHNER K.,(s.o., Anm. 104, 80-84); WIEDERKEHR,(Das Prinzip der Überlieferung in: s.Anm.1,Bd.4, 105-108) den Konzilstext im Sinne der materialen Schriftsuffizienz aus, POTTMEYER H.J., (Normen, Kriterien und Strukturen der Überlieferung, in:s.Anm.2, Bd.4, 138) meint, der Konzilstext lasse diese Frage offen. 107 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 76 Joh 16,13; 1 Tim 3,15). Diese biblische Formulierung des In-der-Wahrheit-Bleibens wäre dem missverständlichen und durch die Geschichte negativ besetzten Terminus "Unfehlbarkeit" vorzuziehen. Dieser Vorzug beruht auf theologischen (positive biblische Verheißungen, vgl. die eben zitierten Bibelstellen) und psychologischen (Vermeidung einer negativen Besetzung, positive Verstärkung) Gründen. Nicht erforderlich ist für diese Unfehlbarkeit irgendein besonderes Wunderhandeln GOTTES, sondern sie ist eine Konsequenz der GEISTerfülltheit der Kirche. Die Unfehlbarkeit der Gesamtkirche ist daher kein kontroverstheologisches (d.h. theologisch umstrittenes) Thema zwischen Katholiken und Protestanten, sondern nur die Art und Weise ist umstritten, wie diese Unfehlbarkeit sich innerhalb der Gesamtkirche realisiert und daher festgestellt werden kann. Ein mögliches Vorstellungsmodell (es ist das der Protestanten) ist - im Sinne eines "der GEIST weht, wo Er will" -, die Unfehlbarkeit nicht zu institutionalisieren, sondern anzunehmen, dass das In-der-Wahrheit-Bleiben auf die Gesamtkirche und ihre Geschichte zu beziehen sei: Trotz fallweiser Irrtümer werde die Kirche aufgrund ihrer GEISTerfülltheit nie endgültig aus der Wahrheit herausfallen. Ein anderes Vorstellungsmodell (es ist das katholische) ist, darüber hinaus (nicht anstatt !) diese Unfehlbarkeit auch zu institutionalisieren: Als unfehlbar gelten (vgl. DH 3011): ausdrücklich als verbindlich deklarierte Konzilsentscheidungen des Bischofskollegiums mit dem Papst an der Spitze ( "Ökumenische Konzilien") und "ex-cathedra-Entscheidungen" des Papstes108 Dogmen i.e.S., außerordentliches Lehramt; wenn alle Bischöfe der Welt, jeder an seinem Ort, ohne ausdrückliche Erklärung darin übereinstimmen, dass eine Glaubenslehre verpflichtend sei Dogmen i.w.S., ordentliches Lehramt. Bis heute ist dieser Institutionalisierungsversuch und vor allem die sprachlich nicht sehr glückliche Formulierung des Unfehlbarkeitsdogmas nicht unumstritten, was leider der Blick für die grundsätzliche Notwendigkeit der Vorstellung des In- derWahrheit-Bleibens der Kirche trübt. Aufgrund der Institutionalisierung der Unfehlbarkeit wurde auch der Verbindlichkeitsgrad von Glaubensentscheidungen abgestuft, je nachdem, von wem, wie und bezüglich welchen Inhalts sie erlassen wurden.109 "Ex cathedra" heißt wörtlich "von seinem Lehrstuhl aus" und ist ein Terminus technicus für Glaubens- oder Sittenfragen betreffende lehramtliche Äußerungen des Papstes, die er der Kirche als verbindliche Glaubensinhalte vorschreibt - vgl. DH 3074 -, was in der Kirchengeschichte sehr selten vorgekommen ist, etwa anhand der beiden MARIENdogmen (Immaculata, d.i. die "Erbsündenlosigkeit" MARIENS,1854, und Assumptio, d.i. die "Himmelfahrt" MARIENS, besser leibliche Aufnahme in den "Himmel", 1950). Bis heute ist es allerdings umstritten, wie die dogmatische Formulierung, DS 3074, zu verstehen sei - ob der Papst nur in Rückbindung an das Bischofskollegium oder auch gleichsam im Alleingang unfehlbar sei - vgl. dazu DULLES A., Lehramt und Unfehlbarkeit, in: vgl. Anm.1,Bd.4, 154 ff., bes.160 f. Diese Unklarheit beruht auf der zweideutigen sprachlichen Formulierung des Dogmas (das lateinische "ex sese" könnte sich entweder auf die "Definitionen" (als grammatisches Satzsubjekt) oder auf den "römischen Pontifex" (als logisches Subjekt) beziehen, ersteres würde die Unfehlbarkeit und Unwiderruflichkeit von Glaubensdefinitionen aufgrund ihrer selbst, d.h. weil sie unbedingte Glaubenswahrheiten sind, bedeuten, letzteres würde meinen, dass der Papst auch ohne Rückbindung an die kirchliche Glaubenstradition entscheiden könnte). Die Unausgefeiltheit einer so heiklen Formulierung erklärt sich aus dem Zeitdruck, unter dem das Konzil wegen des Einmarsches der italienischen Befreiungstruppen in Rom stand. 109 DULLES, vgl.Anm.108, unterscheidet bezüglich des Urhebers (in hierarchischer Reihenfolge): Ökumenische Konzilien, Papst ex cath., römische Kongregationen, Regionalkonzil, Bischofskonferenz, Ortsbischöfe; bezüglich der Art: Konzilsdefinition, päpstliche Bulle, Enzyklika, Ansprache, Erklärung; 108 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 77 ZUSAMMENFASSUNG: Soll die Offenbarung GOTTES in der Geschichte nicht vergeblich gewesen sein, muss GOTT dafür sorgen, dass Seine Kirche in der Heilswahrheit bleibt insofern ist sie "unfehlbar". 3.3 "...damit GOTT alles in allem sei" (1 Kor 15,28) 3.3.1 Theodizee Theodizee meint die Rechtfertigung GOTTES angesichts des (unverschuldeten) Leids in der Welt – ein Problem, das Atheisten immer wieder gegen den Glauben anführen. Daher gehört in die Fundamentaltheologie auch die Auseinandersetzung mit der Frage „Warum lässt der gute GOTT uns leiden?“ 110 In der Bibel versuchte eine erste Antwort schon der JAHWIST in Gen 3-11: Der Mensch ist schuld am Unheil der Welt, diese Schuld wird aber immer wieder vom Heilshandeln GOTTES umgriffen, das in der Berufung ABRAHAMs und damit in der Erwählung eines Volkes zum Heilssakrament der Welt gipfelt. Diese sog. Strafleidtheorie war im Alten Orient sehr verbreitet, löst aber nicht das Problem, warum auch unschuldige Menschen und Tiere leiden müssen. Im späteren AT wurde dieses Problem gesehen, doch nur negativ beantwortet: Im Buch IJOB erfährt der verzweifelte Mensch keine positive Antwort von GOTT, sondern nur den negativen Bescheid, dass GOTT so unendlich erhaben über den Menschen sei, dass Er Sich vor den Menschen weder rechtfertigen könne noch müsse. Bevor wir das CHRISTUSereignis als positive Antwort auf die Leidfrage verstehen können, müssen wir noch einige Differenzierungen anbringen: Es muss zwischen Leid, das Menschen verursachen, und zwischen naturgegebenen Leid unterschieden werden. Die Erklärung des ersteren ist einfacher: Würde GOTT den negativen Freiheitsgebrauch der Menschen verhindern, würde Er damit die Freiheit des Menschen überhaupt und damit das Menschsein aufheben. – Doch auch die naturgegebenen Leiden verweisen auf die Freiheit und Verantwortung des Menschen. Denn die Priesterschrift drückt etwas Widersprüchliches und doch Wahres aus, wenn sie GOTT angesichts einer Natur, die auch ohne Zutun des Menschen von Leid, Tod, Grausamkeiten, Katastrophen etc. nur so strotzt, die Billigungsformel aussprechen lässt: Gerade für den Menschen ist es gut, dass die Schöpfung nicht vollkommen ist - in einer vollkommenen und bezüglich des Inhaltes: Glaubenswahrheit, natürlich erkennbare Wahrheit, Folgerungen aus dem Glauben. Daraus ergeben sich verschiedene theologische Bewertungen - zu glauben mit: göttlichem Glauben / göttlichem und katholischem Glauben / definiertem Glauben / an den Glauben grenzend / kirchlichem Glauben / theologisch sicher / allgemein vertreten / fromme Meinung / vertretbare Meinung / geduldete Meinung - vgl. DULLES,166 f. 110 So das gleichnamige Buch von BRANTSCHEN J., Freiburg 1990, 5.Aufl. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 78 Schöpfung könnte der Mensch ja nicht Bild (= Mitarbeiter und Mitschöpfer) sein, da jede nur denkbare menschliche Handlung eine vollkommene Welt verschlechtern würde. Nur eine unvollkommene Welt ist gut für den Menschen, weil sie ihm ermöglicht, die Welt zu verbessern oder zu verschlechtern – was wieder auf die Freiheit des Menschen zurückführt. Hätte die Menschheit ihre Freiheit in den vielen Jahrtausenden besser gebraucht, wären die naturgegebenen Leiden weit mehr verringert, statt, wie jetzt, in vielen Bereichen sogar vermehrt. Nur – was hat der einzelne Leidende davon, dass sein Leid direkt oder indirekt von Menschen verschuldet ist? Hier wird die notwendige Zusammenhang von Schöpfung und Erlösung deutlich: GOTT ist das Risiko eines freien Geschöpfes eingegangen – GOTT kann diesem Geschöpf auch bei negativem Freiheitsgebrauch diese Freiheit nicht wieder wegnehmen, ohne Seine eigene Schöpfung in Frage zu stellen - aber Er kann diesem Geschöpf einen neuen Weg eröffnen, der diese Schöpfung durchsichtig und durchlässig macht auf ihre Vollendung hin. Diese Eröffnung eines neuen Weges geschieht durch das CHRISTUSereignis. Leider wurde der biblische Gedanke der sühnenden Lebenshingabe CHRISTI seit dem MA bis zur Unkenntlichkeit verzerrt: Da sich die Größe der Beleidigung an der Größe des Beleidigten misst, ist jede Beleidigung GOTTES unendlich groß. Und da Genugtuung (Satisfaktion) nur von einem ebenbürtigen Wesen geleistet werden kann, ist der endliche Mensch gegenüber dem unendlichen GOTT nicht satisfaktionsfähig. Daher muss der dem VATER wesensgleiche SOHN Mensch werden, denn nur dieser GOTTmensch ist satisfaktionsfähig; und Er muss mehr tun als das, wozu Er als Mensch ohnedies verpflichtet ist – nach GOTTES Willen zu leben -: Er muss, obwohl selbst sündenlos, den Tod des Sünders sterben. Diese sogenannte Satisfaktionstheorie, die gleichermaßen von der Feudalstruktur des MA geprägt ist wie vom römischen Rechtsdenken, erklärt zwar fast mathematisch genau, warum GOTT Mensch werden und einen so schrecklichen Tod sterben musste – aber um dem Preis eines düsteren, ja, erschreckenden GOTTESbildes, das nichts mit dem von JESUS verkündeten gütigen VATERGOTT zu tun hat. Zunächst ist der Gedanke zu korrigieren, dass GOTT versöhnt werden müsse – nicht ein ohnedies guter GOTT muss versöhnt werden, sondern eine keineswegs immer gute Welt: Lasst euch mit GOTT versöhnen (2 Kor 5,20) ruft PAULUS den Korinthern zu; und in einem schönen Weihnachtslied singen wir CHRIST ist erschienen, uns zu versühnen. Wenn es aber um die Versöhnung der Menschen geht – wozu brauchen wir die Lebenshingabe des Hirten / Lammes? Oder, wie der Titel eines lesenswerten Buches von R. SCHWAGER SJ lautet: Brauchen wir einen Sündenbock?111 Jeder Mensch trägt in sich negative Aspekte, die ihn daran hindern, eine freie, menschliche Persönlichkeit zu werden, die ihn von sich selbst, von GOTT, von den Mitmenschen entfremden. Sicher gehört hierher auch die persönliche Schuld, aber nicht nur – eine moralische Engführung würde den Blick dafür trüben, dass uns viel mehr als persönliche Schuld an unserer Menschwerdung hindern kann, u.U. sogar Erfolge oder sogenannten „Glücksgüter“ wie Reichtum; Macht etc. C.G. JUNG hat den Inbegriff dieser negativen Aspekte als Schatten bezeichnet und darauf aufmerksam gemacht, dass für unsere Menschwerdung das Bewusstmachen und Aufarbeiten dieses Schattens notwendig ist. Wo dies nicht gelingt, wird der eigene Schatten auf andere projiziert und an anderen verurteilt – man braucht nur die Menschheitsgeschichte, aber auch die eigene Lebensgeschichte ein wenig zu überdenken, und schon werden einem die vielen „Hexen“ bewusst, die da „verbrannt“ wurden, werden oder zumindest werden sollen. Da das Projizieren des Schattens auf andere Symptom einer noch-nicht-geglückten Menschwerdung ist, finden wir dieses Projizieren (menschheitsgeschichtlich) am stärksten in Primitivkulturen und (entwicklungspsychologisch) am stärksten bei Kleinkindern (Märchen: wobei zu prüfen wäre, ob 111 SCHWAGER R., Brauchen wir einen Sündenbock?, München 1986. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 79 Märchen vom Projizieren befreien oder es vielmehr fixieren). Bleiben wir bei den Primitivkulturen. Menschen, die negative Aspekte noch nicht als eigenen Schatten identifizieren und aufarbeiten können, übertragen ihn auf andere, wechselseitige Aggressivität ist die Folge (Krieg aller gegen alle), und diese führt zum Anwachsen des Unheils in der Welt, das eine immer größere Eigendynamik gewinnt – man spricht von Unheilszusammenhang. Eine erste, noch sehr unzureichende Aufarbeitung erfolgt dadurch, dass man nicht mehr beliebig aufeinander projiziert und daher einander bekämpft, sondern auf ein bestimmtes Opfer – meist Menschen in einer Außenseiterposition (Fremde, Behinderte, weise Frauen = Hexen, ...): die Gewalttätigkeit gegen den Schatten wird in Opferriten kanalisiert – der Sündenbockmechanismus lässt sich bereits lange vor dem AT nachweisen. Den nächsten, wesentlich deutlicheren Fortschritt gegen dem hemmungslosen Ausleben der Aggressivität stellt das AT dar: Am Versöhnungstag belädt der Hohepriester einen Bock – eben den Sündenbock - symbolisch mit den Sünden des Volkes und jagt ihn in die Wüste. Der Fortschritt gegenüber Primitivkulturen ist ein zweifacher: Es wird ein Tier statt eines Menschen geopfert Es wird zugegeben, dass nicht das Tier schuldig ist, sondern dass ihm die Sünden der Menschen aufgeladen werden Damit beginnt ein Sündenbewusstsein, aber noch nicht eine Aufarbeitung des gesamten Schattenbereiches. Soll die Lebenshingabe CHRISTI im NT nicht als Menschenopfer missverstanden werden, müssen wir versuchen, zwischen dem ganzen CHRISTUSereignis, also zwischen Menschwerdung, Leben, Tod und Auferstehung, einerseits, und der Erlösung andererseits einen Zusammenhang zu sehen. Die Welt, so wie sie ist, ist durch einen Unheilszusammenhang geprägt, den die Tiefenpsychologen „kollektiven Schatten“, die Theologen „Erbsünde“ oder „Sünde der Welt“ nennen, und durch den jeder Mensch schon vor Vernunftgebrauch eine negative Vorprägung erhält, so dass er aus eigener Kraft diesen Unheilszusammenhang nicht durchbrechen kann. Nach christlichem Glauben hat GOTT diesen Unheilszusammenhang durchbrochen, aber zugleich die Freiheit des Menschen nicht angetastet. Wir wissen nicht, ob dazu auch andere Wege der Erlösung möglich gewesen wären – faktisch wählte GOTT den Weg, Selbst Mensch zu werden und durch Sein Lehren und Wirken gegen diesen Unheilszusammenhang zu kämpfen – oder, positiv formuliert, mit der Errichtung des GOTTESREICHES zu beginnen. Gerade dadurch stieß Er auf die radikale Ablehnung der von der „Sünde der Welt“ geprägten Menschen, Er wurde zum Brennpunkt der Projektion der Sünde der Welt, zum Sündenbock par excellence. Natürlich konnten damals nur einige wenige konkrete Menschen den historischen JESUS zum Sündenbock machen, doch bleibt Er als kosmischer CHRISTUS, als Idealfigur, die das Bekämpfen des Unheilszusammenhanges / das Errichten des GOTTESreiches symbolisiert, der Sündenbock für alle Zeiten – Er ist das „Lamm GOTTES, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (Joh 1, 29). Allerdings ist zu bedenken, dass nicht GOTT Leid und Tod Seines SOHNES wollte – GOTT will immer nur unser Heil -, sondern die Menschen, die Ihn ablehnten. Es wäre durchaus möglich gewesen, dass mehr Menschen sich der Heilsoffenbarung GOTTES in JESUS geöffnet hätten oder noch öffnen würden. Ja, JESUS selbst scheint am Anfang Seines Wirkens mit diesem positiven Ausgang gerechnet zu haben, dass mit der Bekehrung Israels die Bekehrung der Menschheit zu GOTT, also das GOTTESREICH, beginnen würde. Wir wissen, dass es anders kam: JESUS teilte nicht nur unser Leben, sondern auch unser Leid und unseren Tod. Das Kreuz ist also nicht eine von GOTT geforderte Sühne, sondern ein Protest von Menschen gegen das Heilswirken GOTTES. Die Antwort der Menschen auf das Heilswort GOTTES war also ein Nein. Doch GOTT ließ diese Antwort nicht als endgültige gelten, sondern eröffnete sozusagen den Dialog neu durch die Auferstehung. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 80 Diese Form der Erlösung belässt uns aber die Freiheit, sie anzunehmen oder abzulehnen – in der Dogmatik spricht man von „objektiver“ und „subjektiver“ Erlösung. GOTT hat durch das CHRISTUSereignis – Menschwerdung, Leben, Tod, Auferstehung – den von Menschen geschaffenen Unheilszusammenhang der Welt durchbrochen oder, was dasselbe meint, mit der Errichtung Seines Reiches der Liebe und des Heils begonnen. Jeder von uns muss für sich entscheiden, ob er diesen Erlösungsweg mitgehen will oder nicht, ob er gegen den Unheilszusammenhang der Welt ankämpfen will oder nicht, ob durch ihn die Liebe GOTTES für andere erfahrbar werden soll oder nicht – und sich dabei im klaren sein, dass der Einsatz gegen die Sünde der Welt / für das GOTTESreich uns vieles, vielleicht sogar alles, kosten kann. Insofern – und nicht weil ein „böser“ GOTT das so wollte – gehört zur Erlösung das Leid, zur Auferstehung das Kreuz. 3.3.2 Eschatologie Da die Auferstehung JESU CHRISTI nicht zugleich Ende und Vollendung der Schöpfung oder, was dasselbe meint, die Verwirklichung des GOTTESREICHES mit sich brachte, ist für die "Zwischenzeit" zwischen dieser Auferstehung und der allgemeinen Vollendung Kirche als Grundsakrament nötig (vgl.o.,3.2.1). Eschaton heißt i.Gr. "das Letzte", theologisch im Sinne von Ende / Vollendung der Schöpfung, daher die sich damit beschäftigende Disziplin der Theologie "Eschatologie" 112. Wir haben bereits oben (vgl.o.,0.2.3) den Tod als die am schwersten zu bewältigende Grenzerfahrung des Menschen bezeichnet. Als eine solche hat er nicht bloß negative Bedeutung, sondern er hat auch die positive Funktion, unserem Leben die Gleichgültigkeit zu nehmen; doch kann weder er noch irgendein innerweltlicher und daher nicht-endgültiger Sinn dieses Leben vor Sinnlosigkeit bewahren - dies kann nur eine über den Tod hinausweisende Hoffnung. Es gehört daher zum Menschsein, nicht nur nach der innerweltlichen und z.T. machbaren Zukunft zu fragen, sondern auch nach einer über diese Welt hinausliegende, endgültige Zukunft. Diese Frage kann nur in Hoffnungsbildern beantwortet werden 113 : Es sind Hoffnungsbilder, weil die endgütige Zukunft nicht machbar ist114, sondern geschenkt werden muss; und es sind Hoffnungsbilder, weil auf den Transzendenzbereich nur in symbolischen Bildern hingewiesen werden kann. Dabei entwarfen verschiedene Religionen verschiedene Hoffnungsbilder (vgl. auch Religionswissenschaft); der christlichen Auferstehungsvorstellung waren zwei unterschiedliche Modelle von Hoffnungsbildern vorgegeben: Die im indogermanischen Raum (Hinduismus, griechisch-römische Religion und Philosophie) entwickelte Vorstellung einer wesenhaft, also nicht durch einen GÖTTLICHEN Gnadenakt, unsterblichen Seele; diese Seele streift den als Gefängnis oder Grabmal verstandenen Körper ab (so die orphisch-pythagoreisch- platonische Eine gute Einführung bieten NOCKE F.J., Eschatologie, Düsseldorf 1982, und RATZINGER J., Eschatologie - Tod und ewiges Leben, Regensburg 1978, 5.Aufl.; ferner GRESHAKE G., Stärker als der Tod, Mainz 1983. 113 Nach GRESHAKE, s.Anm.112,7-21. 55 114 Und auch nicht wissbar; gegen Versuche, ein Leben nach dem Tod zu "beweisen" (etwa MOODY R.A., Leben nach dem Tod, Hamburg 1977) wendet KÜNG H., (Ewiges Leben? München-Zürich 1982,36) zu Recht ein: "Was also besagen dann solche Sterbeerlebnisse für das Leben nach dem Tod? Kurz gesagt: nichts! ...Solche Sterbeerlebnisse beweisen für ein mögliches Leben nach dem Tod nichts; denn hier geht es um die letzten fünf Minuten vor dem Tod und nicht um ein ewiges Leben nach dem Tod." 112 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 81 soma-sema-Formel: "der Körper ist das Grabmal (der Seele)"), damit aber auch all ihre irdischen Bezüge und somit letztlich ihre Individualität (in der griechischrömischen Mythologie dadurch ausgedrückt, dass die Seele in der Unterwelt das Wasser der Lethe, das Wasser des Vergessens, trinkt; in den östlichen Religionen dadurch, dass ATMAN, die Menschenseele, in BRAHMAN, im GÖTTLICHEN, aufgeht); bei Bedarf kann sie daher, meist um ungesühnte Schuld zu sühnen (so die hinduistische und z.T. auch buddhistische Karma-Vorstellung) oder um wichtige Aufgaben zu übernehmen (vgl. VERGIL, Aeneis, VI,752 ff.), in neue Körper reinkarniert werden. Die Unwichtigkeit des Körpers drückt sich auch im Brauch der Vernichtung des Leichnams, meist durch Verbrennen, aus. Das (spät)jüdische, z.Z. JESU noch nicht voll durchgesetzte Vorstellungsmodell hingegen dachte sich den Menschen als untrennbare Einheit, die als Ganze sterblich ist, und hoffte, dass GOTT durch Seinen GEIST diesen ganzen Menschen am Tag des HERRN auferwecken werde. Durch die Erfahrung des Auferstandenen bekam die Hoffnung über den Tod hinaus eine unüberbietbare Bestätigung (vgl. 1 Kor 15), doch eine, die schwer begreifbar und aussagbar war, zumal sie den jüdischen und griechischen Vorstellungen der Umwelt widersprach: Die jüdische Vorstellung einer Auferweckung am Jüngsten Tag hatte sich, zumindest für JESUS CHRISTUS, unmittelbar nach Seinem Tod ereignet. Und die griechische Vorstellung einer Unsterblichkeit nach dem Tod hatte sich an JESUS CHRISTUS leibhaftig-individuell ereignet. Offensichtlich gelang - und gelingt? - es nicht leicht, die Erfahrung des Auferstandenen in die beiden kulturell vorgegebenen Interpretationsrahmen unterzubringen, so dass im NT ein unausgeglichenes Nebeneinander der Vorstellung einer Auferweckung am Jüngsten Tag115 und einer CHRISTUSbegegnung im Tod116 besteht. Dieser Unausgeglichenheit suchte man lange - und es ist bis heute das traditionelle Vorstellungsmodell - durch eine Kombination der eigentlich unvereinbarlichen griechischen und jüdischen Vorstellung zu begegnen: Die unsterbliche Seele kommt gleich nach dem Tod zu GOTT, erhält aber erst am Jüngsten Tag ihren wiederbelebten Körper zurück. Die Annahme einer leiblosen Seele diente also zur Überbrückung der "Zwischenzeit" zwischen individuellem Tod und Weltenende, hat(te) aber zwei Nachteile: Sie ist biblisch kaum abstützbar; bei dualistischen Denkmodellen ist der Körper das Individuationsprinzip der unindividuellen Seele (vgl. THOMAS v.A., S.th. I 75,5). Diese Problematik klingt bei THOMAS bereits an, ohne gelöst zu werden (etwa worin die Identität eines verbrannten oder zu Staub zerfallenen Körpers besteht (S.th. suppl. III 78 f.) oder welche Teile des Körpers auferstehen (S.th. suppl. III 80). Ein Umdenken setzte erst neuzeitlich ein, durch neue naturwissenschaftliche und philosophische Erkenntnisse. Es wurde immer mehr bewusst, dass die Identität der Person nicht von ihrer Körperlichkeit her konstituierbar ist: die Körperzellen werden etwa alle sieben Jahre weitgehend ausgetauscht; schon im Alltag erleben wir häufig eine Differenz zwischen dem, was unser "Ich" will, und dem eigenen Körper (etwa bei So 1 Thess 4,16; Phil 1,10; Röm 8,18-30; Mt 10,15; 11,21 f.; 12,41; Joh 11,24; Apg 26,23 u.ö.- Vgl. KREMER J., in: GRESHAKE G.- KREMER J., Resurrectio mortuorum. Zum theologischen Verständnis der leiblichen Auferstehung. Darmstadt 1986, 112 ff. 116 So Phil 1,20-23; 2 Kor 5,1-10; Lk 23,43;24,26; Apg 2,32f.; Joh 11,25. - Vgl. KREMER,J. in:s.Anm.115, 117 ff 115 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 82 Müdigkeit, Krankheit); zur individuellen Ichidentität tragen wesentlich auch die Erfahrungen der apersonalen Umwelt und der personalen Mitwelt bei, vor allem auch die eigenen Freiheitsentscheidungen. Leiblichkeit ist also mehr als Körperlichkeit: Ich habe einen Körper, doch ich bin Leib - d.h. ich verleibliche mich ständig in verschiedenen Weltbezügen, die meine geschichtliche Individualität ausmachen. Von diesen Überlegungen her wurde auch das Auferstehungsverständnis neu konzipiert: Auferweckung "meint dann vielmehr ... die Neuschaffung, Verwandlung des ganzen Menschen durch Gottes lebensschaffenden Geist Der Mensch wird also nicht - platonisch - aus seiner Leiblichkeit erlöst. Er wird mit und in seiner - nun verherrlichten, vergeistigten Leiblichkeit erlöst...Also doch eine leibliche Auferstehung, eine Auferweckung des Menschen mit seinem Leib? Nein und ja. Nein, wenn man unter `Leib' physiologisch den jeweiligen Körper versteht, den `Leichnam', die `Reliquien'. Ja, wenn `Leib' im Sinn des neutestamentlichen `Soma' weniger physiologisch als personal verstanden wird: als die identische personale Wirklichkeit, dasselbe Ich mit seiner ganzen Geschichte..."117. Bereits im Tod kommt die ganze Leibhaftigkeit, d.i. die individuelle Person, zu GOTT, d.h. aber, mit jedem Menschen wird zugleich ein Stück Welt in GOTT hinein vollendet 118 - ich reife zu GOTT und in mir reift ein Stück Welt zu GOTT: Das heißt nicht, dass der Mensch sich diesem Hineinwachsen in GOTT nicht auch versperren kann - auf "Hölle" wird noch eingegangen -, wohl aber, dass nichts auf Erden vergeblich getan wird. Damit wäre auch der soziale Aspekt der traditionellen Auffassung einer Vollendung am Jüngsten Tag gewahrt: Da der Leib jedes Menschen potentiell die ganze Schöpfung mitmeint, wird die individuelle Auferstehung in der Auferstehung aller vollendet - letztlich auch der Auferstehungsleib CHRISTI (so auch Kol 1,12-20, bes. 1,18). Die Vollendung des Menschen bestünde nach diesem Vorstellungsmodell also nicht in der Wiedervereinigung der körperlosen Seele mit dem wiederbelebten irdischen Körper, sondern in der Vollendung der leiblich-individuellen Beziehungen, die erst mit der Vollendung der Schöpfung erreicht ist. Die Frage der "Zwischenzeit" bleibt und wird auch heute von verschiedenen Theologen verschieden gelöst; zwei unterschiedliche Konzepte seien hier vorgestellt: Die Vollendung der Geschichte ist nicht punktuell vorzustellen, sondern als mit der Schöpfung beginnender und mit ihr endender Prozess. Erst wenn die allgemeine Vollendung erreicht ist ("Jüngster Tag"), ist auch die individuelle Vollendung abgeschlossen und die Zeit aufgehoben119. Irdische Zeit und Ewigkeit sind nicht zu vergleichen; daher scheinen nur uns unter unseren irdischen Daseinsbedingungen individuelle Vollendung im Tod und allgemeine Vollendung der Schöpfung zeitlich auseinanderzuliegen, für GOTTES Ewigkeit, in die wir mit dem Tod eintreten, sind sie gleichzeitig120 . Die "Zwischenzeit" bereitet also auch bei den neuzeitlichen Vorstellungsmodellen Schwierigkeiten. Bei GRESHAKE würden dann nämlich die Verstorbenen bis zum Tod des letzten Geschöpfes Zeitbedingungen unterliegen; bei LOHFINK müssten KÜNG H., s.Anm.276, 145 f.; vgl. auch BREUNING,W. :"Gott liebt mehr als die Moleküle, die sich im Augenblick des Todes im Leib befinden ... Auferweckung des Leibes heißt, dass der Mensch bei Gott nicht nur seinen letzten Augenblick wiederfindet, sondern seine Geschichte" (Gericht und Auferweckung von den Toten als Kennzeichen des Vollendungshandelns Gottes durch Jesus Christus, in: FEINER J.- LÖHRER M. (Hsg.), MySal V, Zürich 1976,882. 118 So auch GRESHAKE G.,s.Anm.112, 71 ff 119 So etwa GRESHAKE G.,s.Anm.112, 263 ff. 120 So LOHFINK G., Der Tod ist nicht das letzte Wort. Meditationen, Freiburg-Basel-Wien 1976 117 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 83 GOTT und die Verstorbenen trotz ihrer Gleichzeitigkeit irgendwie wissen, dass die gesamte Schöpfung diese Gleichzeitigkeit noch nicht erreicht hat. Ein noch größeres Problem stellt aber m.E. die Identität des Verstorbenen dar: wenn der ganze Mensch stirbt und auferweckt wird - wer oder was bleibt dann ident ? Nur GOTTES Wissen um diesen Menschen ? Zusammenfassend kann man also sagen: Dem traditionellen und dem neueren Vorstellungsmodell ist gemeinsam erstens der Glaube an ein Ewiges Leben des Individuums und zweitens, dass dazu ein - nur durch den Tod hindurch erreichbarer GEISTgewirkter Leib (1 Kor 15,44) nötig sei. Verschieden ist die Vorstellung, wie dieser GEISTgewirkte Leib erlangt wird: Das traditionelle Modell denkt an eine Verwandlung des im Grab ruhenden Körpers am Jüngsten Tag (1 Thess 4,16 f., 1 Kor 15,51- 54 - die "Verwandlung" betrifft hier allerdings die noch Lebenden); das neuere an eine Neuschöpfung im Tod (1 Kor 15,50: "...Fleisch und Blut können das Reich GOTTES nicht erben ..."; 2 Kor 5,1-3: "Wir wissen: Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, dann haben wir eine Wohnung von GOTT, ein nicht von Menschenhand erpichtes ewiges Haus im Himmel. Im gegenwärtigen Zustand seufzen wir und sehnen uns danach, mit dem himmlischen Haus überkleidet zu werden. So bekleidet, werden wir nicht nackt erscheinen"). Schwierigkeiten macht beim traditionellen Modell die Individualität der bis zum Jüngsten Tag leiblosen Seele, beim neueren Modell die Identität der verstorbenen / auferstandenen Person. Vielleicht sind beide Vorstellungskonzepte aber doch gar nicht so sehr verschieden, wenn man bedenkt, dass sich das Problem einer Zwischenzeit ja nur für die noch auf Erden lebenden Menschen stellt – wenn nach dem Tod Raum, Zeit und Materie aufhören, stellt sich die Frage nach einer Zwischenzeit gar nicht mehr. Von diesen Schwierigkeiten gewinnt ein PAULUSwort bleibende Gültigkeit: "...was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das GOTT denen bereitet hat, die Ihn lieben"( 1 Kor 2,9). Zu den christlichen eschatologischen Vorstellungsbildern gehören aber auch noch Gericht, Fegfeuer, Himmel und Hölle. Dass die GOTTESbegegnung für den unvollkommenen Menschen auch "Gericht" darstellt, ist biblisch vielfach abgestützt - doch sollte man vom biblischen Verständnis her Gericht nicht primär als Verurteilung, sondern als "Gerecht-gemacht-Werden durch GOTT" verstehen (vgl. Mt 10,15;11,21f.; 12,41 u.ö.); weniger ist die Vorstellung eines "Fegfeuers" biblisch begründbar, das Bild für die im Tod stattfindende läuternde und insofern schmerzliche GOTTESbegegnung sein dürfte: So verstanden wäre "Fegfeuer" nur ein anderes Wort für "Gericht": "Es ist schrecklich, in die Hände des lebendigen GOTTES zu fallen", heißt es im Hebräerbrief (Hebr 10,31; vgl. auch 1 Kor 3,12-15121). Himmel meint "vollendete Liebe und Kommunikation", und zwar nicht nur vertikal (GOTT-Menschen), sondern auch horizontal (Menschen untereinander)122. Die Schrift drückt dies mit verschiedenen Bildern aus, das AT und die Apokalyptik gern als GOTTESstadt, das NT häufig als (Hochzeits)Mahl. Die Vorstellung einer Hölle bereitet uns die meisten Schwierigkeiten, die keineswegs nur theoretischer, sondern vielmehr vorwiegend existentieller Art sind: Wie sollte eine 121 122 Vgl. GRESHAKE G., s.Anm. 112 , 90 ff. Vgl.ebd.,77. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 84 ewige Bestrafung mit der Güte GOTTES zu vereinbaren sein? Dabei wird übersehen, dass Hölle nicht Bestrafung durch GOTT, sondern Konsequenz der Freiheit des Menschen ist: "Hölle ist nicht eine Strafe, die Gott von außen her über den Menschen verhängt, sondern eine innere fürchterliche Möglichkeit menschlicher Freiheit selbst"123: Wer die Freiheit des Menschen bejaht, muss auch die Möglichkeit - nicht die Wirklichkeit! - des absoluten Freiheitsmissbrauches zugeben. Daher hat die Kirche Menschen zwar heiliggesprochen, aber niemals jemanden für verdammt erklärt. Hingegen wurde die prinzipielle Ablehnung der Hölle dogmatisch verworfen (DS 411): Denn dass niemand verdammt werde, kann und soll Gegenstand christlichen Hoffens und Betens, aber in dieser Welt niemals Gegenstand des Wissens sein. Die Bildworte Fegfeuer, Himmel und Hölle sind also nur auf GOTT hin zu verstehen was GRESHAKE124 so zusammenfasst: Der Christ fürchtet die Verantwortung vor GOTT (Fegfeuer), er fürchtet noch mehr, GOTT zu verlieren (Hölle) und hofft, GOTT zu erreichen. Statt der üblichen Zusammenfassung wollen wir die sehr klaren Thesen LOHFINKs 125 zu der Thematik bringen: ZUSAMMENFASSUNG nach G. LOHFINK: "In unserem Tod werden wir Gott endgültig und für immer begegnen". "Diese Begegnung wird uns zum Gericht". "In dieser Begegnung erfahren wir Gott nicht nur als unseren Richter, sondern wir erfahren zugleich und auf immer das Erbarmen und die Liebe Gottes". "Im Tod tritt der ganze Mensch mit `Leib und Seele', das heißt mit seinem ganzen Leben, mit seiner persönlichen Welt und mit der ganzen unverwechselbaren Geschichte seines Lebens vor Gott hin". "Mit unserer eigenen persönlichen Welt ist die übrige Welt und die gesamte Geschichte untrennbar verknüpft. Im Tod tritt deshalb zusammen mit uns selbst die gesamte übrige Geschichte vor Gott hin". "Unsere endgültige Begegnung mit Gott geschieht durch Jesus Christus ". Vgl.ebd.,84. Vgl.ebd.,21. 125 Zusammengefasst aus LOHFINK G., s.Anm. 120, 29 -60. 123 124 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP 3.4 Seite 85 Theologie als Glaubenswissenschaft - Versuch einer Einkleidung der Theologie mit dem „Gewand“ des neuzeitlichen Wissenschaftsparadigmas ohne Änderung des Inhalts 3.4.1 Hinführung PAULUS mahnt in 1 Thess 5,21: Prüfet alles, und behaltet das Gute! Zwei Voraussetzungen wurden zugrunde gelegt: 1) Die frühen Christen sahen sich vor die Anforderung gestellt, ihren Glauben in das damals anerkannte wissenschaftliche Gewand zu kleiden, das der griechischen Philosophie. Nach ihrem Vorbild stehen wir heute vor der Anforderung, unseren Glauben – niedergelegt in der Bibel und reflektiert in Patristik und Scholastik – in ein heute anerkanntes wissenschaftliches Gewand zu kleiden, natürlich ohne Verlust des Inhalts. Die heutige Anforderung ist allerdings in zwei Punkten schwieriger geworden: Erstens waren nur wenige Denkmodelle der antiken Philosophie atheistisch bzw. agnostisch, zweitens musste nur der biblische Inhalt eingekleidet werden, nicht aber dessen Reflexion in Patristik und Scholastik. 2) Eines der Postulate gegenwärtiger Wissenschaftstheorie lautet: eine Theorie ist umso besser, je mehr sie erklären kann. Von da her sind „progressive“ philosophische / theologische Denkansätze abzulehnen, die Teile der Bibel bzw patristischen und scholastischen Tradition nicht widerspruchsfrei in sich aufnehmen können. Seit GALILEI besteht ein neues Wissenschaftsparadigma, das primär von den Natur, sekundär auch von den Geisteswissenschaften erfolgreich praktiziert wird. Doch schon die Philosophie hatte Schwierigkeiten, ein allgemein anerkanntes neuzeitliches Denkmodell zu erstellen. Das dürfte nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass die Philosophie Gesamtwirklichkeit thematisiert, also die Wertfrage nicht ausklammern kann. Gerade diese Wertfrage wird aber in einer pluralistischen Kultur, in der wir nun einmal leben, sehr uneinheitlich gelöst. Daher sehen wir uns heute nicht der einen philosophia perennis, sondern einer Vielfalt von philosophischen Denkmodellen gegenüber. Aufgrund des noch zu besprechenden Naheverhältnisses von Philosophie und Theologie zieht die philosophische Krise eine theologische nach sich. Dazu kommt, dass viele Theologen der Entwicklung eines neuzeitlichen wissenschaftlichen Konzepts von Theologie überhaupt skeptisch gegenüberstehen, wohl in der unbegründeten Angst, dass eine neuzeitliche Einkleidung ihren unverzichtbaren Inhalt gefährden könnte. So ist die Theologie wohl die einzige Wissenschaft, die – abgesehen von theologischen Einzeldisziplinen – bisher noch mit einem mittelalterlichen Gesamtkonzept auftritt und daher von den anderen Wissenschaften nicht ernst genommen wird. Diese Arbeit versteht sich als Versuch, eine christliche Philosophie / Theologie – bei Bewahrung ihres unverzichtbaren Inhalts! – als neuzeitliches Denksystem zu entwerfen.20 20 Ausführlicher, aber von einer anderen Basis her, nämlich aufgrund von FICHTEs W.-L. 1804, 2.Fassung, vgl. JOSS J., Versuch einer transzendentalphilosophischen Grundlegung der Theologie als Wissenschaft, Diss/Wien 1980. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 86 Was könnte eine – kirchliche anerkennbare – Weiterentwicklung von (AUGUSTINs und FICHTEs) Ebenbildlichkeitslehre leisten? Der Gedanke der GOTT-Ebenbildlichkeit des Menschen ist biblisch, also auf der Ebene des Alltagsbewusstseins, mehrfach erwähnt – die Philosophie muss diesen Gedanken in evidenter Weise begründen und dadurch zeigen, dass der Mensch, genauer: menschliches (Selbst-) Bewusstsein, anders gar nicht zureichend erklärbar wäre. Dieser Denkansatz ermöglicht die Lösung mehrer Probleme: Die Erstellung eines christlich-philosophischen Systems, das den Postulaten moderner Wissenschaftlichkeit genügt (Inhalt oder Gegenstandsbereich, Form oder Methode, System oder Widerspruchsfreiheit) und daher christliche Philosophie / Theologie im Kreise der Wissenschaften gleichsam „salonfähig“ macht. Die Diskussion mit den modernen Naturwissenschaften (z.B. Evolution oder Quantenphysik) Die Entlarvung und Widerlegung atheistischer Ideologien der Neuzeit Eine dogmatisch korrekte Annäherung der Konfessionen Einen begründbaren Weg von der philosophischen Reflexion der christlichen Glaubenspraxis über die Erstellung eines christlich-philosophischen Systems zur reflektierten und daher gediegenen Glaubenspraxis – 1 Petr 3,15 b: Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt 3.4.2 Die Charakteristika von Wissenschaft 3.4.2.1 Der vorläufige Unterschied von einzelwissenschaftlichem Wissen / Philosophie Alltagswissen / Die Unterscheidung von Alltagswissen (doxa) und wissenschaftlichem Wissen (episteme, zunächst noch ohne die zusätzliche Unterscheidung von Einzelwissenschaften / Philosophie) hat eine lange Tradition (spätestens seit PLATON, in Ansätzen wohl schon bei PARMENIDES nachweisbar).21 Gemeinsam ist beiden Arten des Wissens, dass sie Wissen im Sinne von „Gewissheit von Etwas als wahr“ sind, also eine Relation von Wahrheit / BewusstSein darstellen. Mehr als eine solche Beschreibung von Wissen ist nicht möglich, da eine strenge Definition von Wissen unmöglich ist – sie müsste ja innerhalb des Wissens erfolgen, Wissen kann also nicht gleichsam von außen definiert werden. Unterschieden sind beide Wissensarten darin, dass Alltagswissen ursprünglich und notwendig ist - es gibt keinen völlig bewusstlosen Menschen -, wissenschaftliches Wissen sich aber auf Alltagswissen zurückbezieht, also reflexiv und frei ist, und daher Alltagswissen immer schon voraussetzt. Das Sprichwort: „Primum vivere, deinde philosophari“ hat hier seine bleibende Gültigkeit. Damit eine solche Wissensverdopplung sinnvoll ist, muss nachgewiesen werden können, dass beide Wissensarten eine spezifische Aufgabe haben. Auch Alltagswissen muss „Gewissheit von Etwas als wahr“ sein - sonst wäre es kein 21 Vgl. dazu: FICHTE J.G., B der W.-L., A 1794, B 1798; LAUTH R., Begriff, Begründung und Rechtfertigung der Philosophie, München-Salzburg 1967 (zit. als Phil.); SCHURR A., Die Begründung der Philosophie bei ANSELM v.CANTERBURY, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1966. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 87 Wissen -, doch weist es den Wahrheitsbezug des Bewusst-Seins nicht als wahr aus, sondern begnügt sich mit seinem faktisch vorhandenen Gewiss-Sein („faktische Evidenz“)22 . Diese ist zum Handeln und zur Kommunikation zureichend, kann aber Irrtum nicht grundsätzlich ausschließen, da Bewusst-Sein von sich aus Inhalte nicht bewahrheiten kann (sonst wäre alles, was wir denken, automatisch wahr). Das Alltagswissen ist also Wahrheitsbehauptung. Wissenschaftliches Wissen hingegen beansprucht, „objektive“ (d.h. intersubjektiv überprüfbare) Wahrheitsbegründung zu sein. Begründen bedeutet, etwas aus seinem Grund ableiten. Wenn also wissenschaftliches Wissen die Wahrheitsbehauptungen des Alltagswissens begründen will, muss es dessen Behauptungen als in Wahrheit begründet ausweisen. Dazu bedarf es zwei weitere Evidenzarten: Logische Evidenz ist die Evidenz eines Grund-Folge-Verhältnisses. Wäre nämlich in einem Grund-Folge-Verhältnis das Verhältnis selbst nicht evident, geriete man innerhalb desselben in einen unendlichen Regress ( G F würde dann zu G1 F1, G2 F2, .....Gn Fn). Damit man aber aufseiten des Grundes nicht in einen unendlichen Regress gerät (G1 G2, G2 G3, ... Gx Gy), muss man noch eine dritte Evidenzart annehmen, nämlich die genetische Evidenz als Evidenz eines 23 Selbstbegründungsverhältnisses . Diese dritte Evidenzart verweist allerdings schon auf den noch ausführlicher zu besprechenden Unterschied von Einzelwissenschaften und Philosophie. Auf die Wahrheitsfrage wird später ausführlicher eingegangen. 3.4.2.2 Die heute üblichen Charakteristika von Wissenschaft24 Aufgrund der Unmöglichkeit vollständiger Induktion kann ein allgemeingültiger Begriff von Wissenschaft nicht induktiv durch Sammlung, Beschreibung und Analyse alles dessen, was mit Wissenschaftsanspruch auftritt, gewonnen werden. Es wurden daher drei Postulate aufgestellt – ihre Begründung erfolgt durch die Philosophie (s.u.) -, denen eine Urteilsmenge genügen muss, um als Wissenschaft zu gelten. Wir sagten bereits: Wissenschaftliches Wissen soll Wahrheitsbehauptungen überprüfen und begründen, Begründen aber ist ein Herstellen von Zusammenhängen zwischen einem Grund und einem Begründeten (wobei, wenn der Grund sich seinerseits als begründungsbedürftig herausstellt, diese Begründungsreihe fortgesetzt werden muss) . Um daher als Wissenschaft gelten zu können, muss eine Urteilsmenge in durchgehendem Begründungszusammenhang 25 stehen oder, was dasselbe meint, ein System bilden. D.h.: Jedes Urteil in einer Wissenschaft besitzt nur dadurch Erkenntniswert, dass es mit allen anderen Urteilen derselben Wissenschaft in mittelbarem oder unmittelbarem Begründungszusammenhang steht - mit Ausnahme des Grundurteils (Grundsatzes, Axioms), das formal von allen anderen Sätzen derselben Wissenschaft dadurch unterschieden ist, dass es in dieser 22 Für die Unterscheidungen der Evidenzarten beziehen wir uns auf LAUTH, Phil., 64 ff, doch haben wir die Terminologie z.T. geändert; LAUTH bezeichnet die logische Evidenz als „apodiktische“, was nicht recht glücklich erscheint, da jede Evidenz apodiktisch sein muss; die Unterscheidungen finden sich schon bei FICHTE. 23 „Also nur das, von dem wir erkennen, dass es sich in seinem Erscheinen so zeigt, wie es ist, kann als wahr gelten gelassen werden“ – LAUTH, Phil., 78. 24 Nach FICHTE und LAUTH, Phil.; ähnliche Postulate finden sich bei SCHOLZ H., Wie ist eine evangelische Theologie als Wissenschaft möglich ? in: Zwischen den Zeiten 9, 1931, 19 ff., zit. nach PANNENBERG, WTH, 271 ff. 25 „Eine Wissenschaft hat systematische Form; alle Sätze in ihr hängen in einzigen Grundsatz zusammen und vereinigen sich in ihm zu einem Ganzen“, FICHTE, B der W.-L., 38. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 88 Wissenschaft zwar unmittelbar oder mittelbar Deduktionsgrund aller anderen Urteile ist, selbst aber in derselben nicht begründet werden kann – sonst wäre es nicht das Grundurteil. Die systematische Form allein aber ist unzureichend, da eine solche auch ein Wahnsystem haben könnte – die systematische Form muss „Etwas“ (einen Gegenstandsbereich oder Inhalt) enthalten, das wissbar ist und in gewisser Weise tatsächlich gewusst wird. Da es einerseits kein Sein „außerhalb“ des Bewusst-Seins geben kann, muss dieser Inhalt bereits gewusst werden, doch so, dass er weiterbestimmbar (wissbar) bleibt – denn andererseits wird dieser Inhalt ja erst durch die systematische Form als Wissen ausgewiesen. Einfacher: Der Inhalt muss bereits im Alltagswissen vorhanden sein. Ferner: Da der Grundsatz jeder Wissenschaft der jeweils einzige in ihr unableitbare Satz , d.h. nicht durch ihre systematische Form bestimmt, ist, ist der Grundsatz immer zugleich jenes Urteil, das den Gegenstandsbereich einer Wissenschaft definiert. Da es mehrere Wissenschaften gibt – worauf noch näher eingegangen wird -, muss jede Wissenschaft einen eigenen Gegenstandsbereich und daher einen eigenen Grundsatz haben. Fasst man die beiden ersten Postulate zusammen, so fordern sie, dass wissenschaftliches Wissen die systematische Weiterbestimmung von Alltagswissen sein solle. Für die Gewinnung und Verknüpfung jener systematischen Erkenntnisse über denselben Gegen-standsbereich ist eine je spezifische Vorgangsweise nötig – die Methode oder Form der Wissenschaft. Nur wenn die Methode (Form) dem Gegenstandsbereich (Inhalt) adäquat ist, kann ein widerspruchsfreies System erstellt werden.26 Die Begründung dieser Postulate ist Aufgabe der Philosophie. 3.4.2.3 Einzelwissenschaften und Wissen(schaft)stheorie (Philosophie) 27 Der bisher mehrfach angesprochene Unterschied innerhalb des wissenschaftlichen Wissens zwischen Einzelwissenschaften und Philosophie muss nun ausgeführt, ferner eine Begründung der oben aufgestellten Postulate versucht werden. Als Einzelwissenschaften sollen all jene Urteilsmengen gelten, die den drei genannten Postulaten genügen und einen Bereich des Alltagswissens so zum „Gegenstand“ haben, dass sie seine Bewussheit nicht ausdrücklich mitreflektieren – d.h. für sie gelten ihre Inhalte unreflektiert als „Sein“. Soll wissenschaftliches Wissen aber eine Wahrheitsbegründung leisten, so muss es eine Sonderwissenschaft geben, die erstens diese drei Postulate erfüllt – sonst wäre sie gar keine Wissenschaft – und zweitens sowohl das Verhältnis Alltagswissen / wissenschaftliches Wissen als auch das Verhältnis Bewusst-Sein / Wahrheit untersucht. 26 Ohne die Forderung nach Widerspruchsfreiheit wäre die Unterscheidung von wahr / falsch und damit letztlich Wissenschaftlichkeit überhaupt unmöglich. Damit ist nicht jede Form von Dialektik negiert – die Aufforderung nach Widerspruchsfreiheit ist ja zugleich die Forderung nach Überwindung von Widersprüchen -, wohl aber solche Formen von Dialektik, die jeden Denkschritt ihres Systems zugleich als wahr und falsch und nur das Systemganze als wahr ansehen (HEGEL, MARX) – vgl. dazu POPPER Ch., Was ist Dialektik? In: TOPITSCH E. (Hsg.), Logik der Sozialwissenschaften, Köln 1972, 8.Aufl., 267 ff. 27 Nach LAUTH, Phil.; SCHNEIDER P.K., Grundlegung der Soziologie, Stuttgart 1968 (zit. als Soz.) F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 89 Diese Wissenschaft ist ausdrücklich reflexiv, d.h. thematisiert alle Arten des Wissens, somit auch sich selbst. Daher kann man diese Sonderwissenschaft als Wissenstheorie bezeichnen; heute hat sich zwar eher der Terminus „Wissenschaftstheorie“ durchgesetzt, doch dürfte dieser zu eng sein, eben weil hier nicht nur wissenschaftliches Wissen, sondern auch Alltagsbewusstsein thematisiert wird. Im Anschluss an KANT und FICHTE kann man diese Sonderwissenschaft auch Transzendentalphilosophie nennen28. Eine andere heute übliche Bezeichnung ist Metatherorie, also Theorie der Theorien. Das impliziert folgende Aufgaben: Gegenüber dem Alltagswissen hat Philosophie die Aufgabe, die möglichen Gegenstandsbereiche des Wissens festzustellen und dass diese Gegenstandsbereiche nur durch konkretes Erfahren und Handeln (weiter)bestimmbar sind. Konkretes Erfahren und Handeln erweisen sich somit als Grenze der Wissenstheorie – m.a.W.: der Inhalt wirklichen Erfahrens und Handelns ist philosophisch nicht deduzierbar. Gegenüber den Einzelwissenschaften muss Philosophie zeigen, dass ihre Gegenstandsbereiche durch freies wissenschaftliches Forschen weiterbestimmbar sind. Dazu gehört: Die Gegenstandsbereiche der Einzelwissenschaften sind nur dadurch voneinander unterscheidbar, dass sie aufeinander beziehbar sind und umgekehrt, denn unser Denken erfolgt analytisch-synthetisch. Daher muss die Wissenstheorie das System der Einzelwissenschaften ableiten. Dies setzt voraus, dass die Grundsätze (Axiome) der Einzelwissenschaften nur relativ (bezogen aufeinander) unabhängig, doch deduzierbar aus dem Grundsatz der Philosophie sind. In Erfüllung dieser Aufgabe ist die Philosophie allgemeine Wissenschaftstheorie. Ferner fällt der Wissenstheorie die Aufgabe zu, die Adäquatheit von Inhalt und Methode jeder Einzelwissenschaft zu überprüfen – eine Aufgabe, die von der jeweiligen Einzelwissenschaft nicht geleistet werden kann, weil sie bereits mit ihrer Methode arbeitet. Die Wissenstheorie muss hier die notwendige und apriorische Grundstruktur jeder Einzelwissenschaft entwickeln; diese Grundstruktur stellt den Rahmen dar für die zureichende inhaltliche Weiterbestimmung mit der jeweiligen einzelwissenschaftlichen Methode. In Erfüllung dieser Aufgabe ist die Philosophie besondere Wissenschaftstheorie. Dadurch wird jede Einzelwissenschaft eine Synthese von formaler apriorischer Grundstruktur und ihrer inhaltlichen empirischen 29 Weiterbestimmung. Und drittens muss Wissenstheorie den Postulaten und Wissenschaftslichkeit genügen und sie als sinnvoll ausweisen. Dazu muss sie: Einerseits das System des menschlichen Wissens in seiner Formalstruktur (d.h. die notwendigen Arten des Wissens) aus einem absoluten (d.h. von keinem anderen Wissen abhängigen) Grundsatz ableiten; hiebei muss ihre Methode transzendental sein, weil sie nicht Inhalte, sondern Erkenntnisweisen von Inhalten thematisiert. Andererseits muss sie die Relation von Bewusst-Sein / Wahrheit klären: Auch für diese Aufgabe muss ihr Grundsatz absolut, sich selbst als wahr 28 KANT bezeichnet eine Erkenntnis, die sich nicht auf Gegenstände, sondern auf die Erkenntnis der Erkenntnis von Gegenständen richtet, als transzendental (KdrV, A 12, B 25): „Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt.“ 29 „ Man muss sich daher mit der Tatsache vertraut machen, dass allgemeingültige, nicht-empirische Aussagen den Gegenstand regulativ oder in seinen notwendigen Grund-bedingungen bestimmen, während empirische Aussagen die je und je variablen hinreichenden Weiterbestimmungen beschreiben“ – SCHNEIDER, Soz., 33. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 90 begründend, sein. Dieses Selbstbegründungsverhältnis wurde oben als genetische Evidenz bezeichnet. Die einzige Voraussetzung, die dabei gemacht werden darf, aber auch muss, ist, dass es eine Wahrheit gebe – diese Voraussetzung ist, wie selbst evident, nicht beweisbar, weil jeder Wahrheitsbeweis bereits Wahrheit uneinholbar voraussetzt. Die Philosophie muss diese von ihr gemachte Voraussetzung durch ihre Denkschritte erklären: „Es gebe Wahrheit, die allein wahr sei, und alles andere außer ihr unbedingt falsch; und diese Wahrheit lasse sich wirklich finden und leuchte unmittelbar ein, als schlecht hin wahr“30 3.4.3 Das transzendentalphilosophische Denkmodell im Anschluss an KANT und FICHTE 3.4.3.1 Die Ichgewissheit als Basis Die Philosophie stellt den Anspruch, Gesamtwirklichkeit, also auch deren Bewusstheit, zu begründen, ohne selbst in einer anderen Wissenschaft begründet zu sein - sonst käme man in den Regress. Daher muss ihr Axiom ein Selbstbegründungverhältnis sein. Diese Erkenntnis hatten bereits AUGUSTINUS31 und DESCARTES32: Bei jeder mir möglichen Tätigkeit, auch der des Zweifelns, bin ich mir bewusst, dass ich denke oder handle, also meiner Tätigkeit und somit meiner Existenz, und was ich denke oder handle, also des Inhalts meiner Tätigkeit. Dieses aus allen mir möglichen Tätigkeiten isolierbare Wissen ist die Ichgewissheit.33 34 Diese Ichgewissheit ist als Basis der Philosophie besonders geeignet : Sie ist unbezweifelbar gewiss. Sie ist (ideale, d.h. wissensmäßige) Selbstbegründung („genetische Evidenz“), weil aus keinem anderen Wissen ableitbar. Vielmehr wird umgekehrt jeder Bewusstseinsinhalt erst zu meinem Wissen, weil ich mir meiner selbst gewiss bin. Sie ist Einheit von Denken und Sein: Ich denke, weil ich bin – und ich weiß, dass ich bin, weil ich denke. Sie ist Einheit von Allgemeingültigkeit und Individualität: Jeder Mensch kann zu sich „Ich“ sagen, aber eben nur zu sich. Diese Ichgewissheit ist abstrakt und unbegrenzt. Um ein konkretes Ich zu werden, also eine individuelle Person, müssten bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein 30 FICHTE, W.L- 1804, 2.Fassung, 90. AUGUSTINUS, zuerst in Soliloquia I 7, 5-7 32 DESCARTES, besonders in Meditationes de prima philosophia. 33 Mit der Ichgewissheit als Basis ist die KANTsche Erkenntnis, dass Wissen immer eine Synthesis von Anschauung und Denken ist, nicht aufgehoben, sondern sinnvoll ergänzt. KANT lässt nämlich nur die sinnliche Anschauung gelten, weshalb auf das Ich als Erkenntnisbasis nur geschlossen werden kann. FICHTE aber arbeitet heraus, dass die Ichgewissheit die (logisch, nicht zeitlich) ursprünglichste Wissensart sei und ergänzt daher die sinnliche Anschauung, d.h. die Anschauung von sinnlich Wahrnehmbarem, durch eine intellektuelle Anschauung als Anschauung der Selbsttätigkeit des Ich. 34 Wir stützen uns hier auf die Ableitung von FICHTEs W.-L 1794. 31 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 91 Wir müssen diese Voraussetzungen fundiert sind. deduzieren und die Frage lösen, worin sie Damit diese Ichgewissheit als Grundsatz der Philosophie dienen kann, muss sie in die Form eines Urteils gekleidet werden: „Das Ich setzt (d.h. begründet) sich selbst“35 Ein Grundsatz muss etwas begründen – und wir fanden die Ichgewissheit ja als als Bedingung aller uns möglichen Aktivitäten. Unsere Aktivitäten aber sind immer bestimmte Aktivitäten – d.h. sie sind nicht nur von der Ichgewissheit abhängig (sonst wären sie nicht die Aktivitäten eines Ich), sondern auch begrenzt (sonst wären sie nicht bestimmt: Begreifen ist immer ein Begrenzen – weshalb, wie wir später ausführen werden GOTT unbegreiflich ist). Diese Begrenzung kann nicht aus dem Ich stammen – das Ich ist ja Prinzip der Aktivität -, sondern setzt die Existenz eines Gegenteils von Ich voraus: ein Nicht-Ich oder eine Gegenstandswelt. In jeder Aktivität, in der sich das (reine) Ich oder die Ichgewissheit als individuelles Ich konkretisiert – und wir leben nun einmal als konkrete Iche -, muss es zugleich sein Gegenteil voraussetzen – m.a.W.: Die unbestimmte Ichgewissheit, die allen Menschen gemeinsam ist, bestimmt sich als konkretes Ich immer nur in Auseinandersetzung mit Gegen-ständen, die seiner Aktivität Wider-stand leisten36. Damit scheinen wir in einen Widerspruch geraten zu sein: Einerseits muss Ichgewissheit zu ihrer Konkretisierung ihr eigenes Gegenteil voraussetzen, andererseits kann sie dieses Gegenteil nicht aus sich selbst begründen. Dieser Widerspruch ist (zunächst37) nur so lösbar, dass das Ich durch seine Aktivitäten die Grenze zum Nicht-Ich immer weiter hinausschiebt, also: Im Alltag immer weiter erkennt und handelt, in den Einzelwissenschaften immer weiter forscht, in der Philosophie sich als widerspruchsfreies Prinzip alles Wissens ausweist: Dies muss sie leisten können, weil die Forderung, dass alles Wissen im Ich begründet sein müsse, selbst widerspruchsfrei im Ich begründbar ist. Diese Grenzerweiterung des Ich gegenüber dem Nicht-Ich ist also unendliche Aufgabe38 - „Macht euch die Erde untertan“. 3.4.2.2. Die Ichgewissheit als Basis der Einzelwissenschaften39 Ichgewissheit kann nur zum konkreten Ich werden, wenn sie sich erkennend und handelnd mit der ihr vorausgesetzten Gegenstandswelt auseinandersetzt. Lassen wir vorläufig die Frage nach der Herkunft der Gegenstandswelt noch offen und beschäftigen uns mit der zunächst näherliegenden Frage: Wie kann das Ich auf eine Gegenstandswelt hin erkennen und handeln, wenn Ich und Nicht-Ich einen totalen Gegensatz darstellen? Wir müssen also etwas suchen, das zwischen Ich / Nicht-Ich vermittelt. Dieses Medium ist mein Körper. Denn er ist: 35 W.-L. 1794, 1.Grundsatz Vgl. W.-L. 1794, 2.Grundsatz. 37 Die endgültige Lösung dieses Widerspruchs erfolgt später und führt zur begründeten Annahme GOTTES. 38 Vgl. W.-L. 1794, 3.Grundsatz. 39 Die folgende Ableitung fußt in vereinfachter Form aus FICHTEs NRL 1796 und auf der SiL 1798. 36 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 92 Einerseits ein Raum und Zeit erscheinender Gegenstand, also ein Nicht-Ich. Andererseits aber ein solches, mit dem ich unmittelbar verbunden bin. Gerade diese Unmittelbarkeit unterscheidet meinen Körper von allen anderen sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen, weil ich zu diesen nur mittels meines Körpers in Kontakt treten kann. Daher erweist sich die in der Psychologie gestellte Frage nach der Art des Zusammenwirkens von Seele und Körper auch als Scheinfrage: Könnte ein Wie des Zusammenwirkens angegeben werden, wäre die Relation Seele / Körper keine unmittelbare. Daraus folgt: das reine Ich braucht zu seiner Konkretisierung nicht nur eine Gegenstandswelt sondern auch einen Körper – oder: konkretes Ichbewusstsein schließt notwendig Gegenstands- und Körperbewusstsein mit ein. Doch ist mit der Annahme eines Körper(bewusstsein)s das Problem der Konkretisierung des Ich erst teilweise gelöst. Grundsätzlich sind dem Ich zwei Arten von Aktivität möglich: Erkennen (Veränderung der Gegenstandswelt für das Ich: ideale Veränderung der Gegenstandswelt) und Handeln (Veränderung der Gegenstandswelt durch das Ich: reale Veränderung der Gegenstandswelt). Welche Art von Aktivität ist die primäre? Um Gegenstände real verändern, d.h. handeln, zu können, muss ich sie zuvor erkannt haben – aber um Gegenstände erkennen zu können, muss ich zuvor real auf sie eingewirkt haben, da ich nur so ihren Widerstand, ihre Gegen-ständlichkeit, erfahren kann. Scheinbar bilden Erkennen und Handeln also einen Zirkel. Wir müssen also ein Bewusst-Sein suchen, das zwischen dem Erkennen und Handeln vermittelt, das also mit beiden Aktivitäten etwas gemeinsam hat. Ein solches vermittelndes Wissen ist das Verstehen einer Aufforderung: Einerseits fordert jede Aufforderung zu einem bestimmten Inhalt auf und ist insofern Gegenstandsbewusstsein, andererseits lässt sie den Aufgeforderten frei, ob er dieser Bestimmung nachkommen will oder nicht und ist insofern Handlungsbewusstsein. Die Aufforderung rechnet also beim Aufgeforderten mit Erkenntnis- und Handlungsfähigkeit – sie kann daher nur von einem Wesen gesetzt werden, das selbst über Erkenntnis- und Handlungsfähigkeit verfügt, also von einem Du. Die Konkretisierung des Ichbewusstseins setzt also nicht nur eine Gegenstandswelt und einen Körper, sondern auch Mitmenschen voraus. FICHTE hat so die Feststellung KANTs40 „Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung“ tiefer begründet. Und gerade in unserem Jahrhundert wurde diese von FICHTE a priori deduzierte Erkenntnis empirisch mannigfach untermauert (Problem der homines feri; Hospitalismussyndrom), aber auch philosophisch stärker ausgebaut (BUBER). An den eben skizzierten Denkschritten wurde auch die Methode der Transzendentalphilosophie deutlich: Um die abstrakte Ichgewissheit zu konkretisieren, deduzierten wir die für diese Konkretisierungen notwendigen Voraussetzungen (Gegenstandswelt, Körper, Mitmenschen) durch: Analyse unseres Alltagswissens: Da, laut obigen Postulaten an Wissenschaftlichkeit, ein wissenschaftliches Denksystem widerspruchsfrei sein muss, müssen Lösungen gefunden werden, die im Alltagswissen vorhanden sind, und müssen kontrolliert werden (Postulat der intersubjektiven Überprüfbarkeit), ob sie die auftretenden Probleme beantworten (Affirmation) / nicht beantworten (Negation) / teilweise beantworten ( weitere Bestimmbarkeit). 40 KANT, Über Pädagogik, A 7 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 93 Die Synthese baut alle Teilerkenntnisse zur Einheit des Wissens zusammen, d.h. rekonstruiert die Formalstruktur des Bewusst-Seins mit dem Ich als Grundprinzip alles Wissens. Aus dem Grundsatz der Philosophie müssen sich alle Arten des Wissens ableiten lassen: Alltagswissen / Einzelwissenschaften / Philosophie: Durch Abstrahieren von allen Verschiedenheiten und Herausanalysieren des Gemeinsamen all unserer Aktivitäten sind wir zur Ichgewissheit gelangt. Dieser Abstraktions-Reflexions-Akt ist eine Freiheitsleistung, die die Ichgewissheit als Voraussetzung all unserer Aktivitäten auswies. Die freie wissenschaftliche Reflexion musste das Alltagswissen notwendig voraussetzen, da sie sonst keinen Inhalt hätte, umgekehrt bedarf das Alltagswissen der wissenschaftlichen Reflexion, um in seiner Notwendigkeit ausgewiesen und in seiner Wahrheitsbehauptung überprüft zu werden: Somit ist das Alltagswissen notwendiges, ursprüngliches Bewusst-Sein. Das einzelwissenschaftliche Wissen ist freie Nachkonstruktion und Wahrheitsbegründung einzelner Inhalte bzw. Inhaltsbereiche des Alltagsbewusstseins. Die Philosophie ist freie Nachkonstruktion als Nachkonstruktion (d.h. sich als Nachkonstruktion reflektierend) und Wahrheitsbegründung der möglichen Arten (Formen) des Wissens und ihres Systems. Seinswissen /Sollenswissen: Wie gelangten wir zu dem Grundsatz? Soll Ichgewissheit als solche erkannt werden, dann muss von allen Bewusstseinsarten abstrahiert werden (oder: soll das reine Ich erkannt werden, muss vom empirischen Ich abstrahiert werden). Dieses Sollenswissen, d.i. eines Etwas, das in der Sinnenwelt nur durch unsere (Wahl)Freiheit verwirklicht werden kann, ist also eine 41 spezifische, vom Seinswissen unterschiedene Art des Wissens . Da philosophisches Wissen eine Nachkonstruktion von Alltagswissen ist, muss das Sollenswissen und die reine Ichgewissheit sich auch im Alltagswissen nachweisen lassen. Im Erkennen bestimmt das Ich das Nicht-Ich idealiter (d.h. für sich selbst), im Handeln realiter (d.h. auch für andere): Soll das Ich in beiden Aktivitätsarten sich selbst bestimmen (das wäre die richtige Bedeutung von „Selbstbestimmung“), so muss es zum Bestimmungsgrund seiner Aktivität, d.h. warum es eine Veränderung am Nicht-Ich vornimmt, das reine Ich haben. Denn das empirische Ich ist ja immer schon durch das NichtIch mitbestimmt: Würde man also Triebe oder Neigungen des empirischen Ich zum Bestimmungsgrund wählen, so würde nicht das Ich das Nicht-Ich bestimmen, sondern das Nicht-Ich mittels des Ich das Nicht-Ich – m.a.W.: der Mensch würde, trotz Bewusstsein und Freiheit, ebenso handeln wie ein Tier. Diese im Alltag vorhandene Sollensgewissheit nennt man üblicherweise Gewissen und ist formulierbar als: Mache das reine Ich zum Bestimmungsgrund all deiner Aktivitäten – oder: Mache das empirische Ich immer mehr zum reinen Ich – oder: Handle allgemeingültig, d.h. so, wie jeder Mensch an deiner Stelle handeln 42 müsste (nicht: würde – das wäre ein Psychologismus) . 41 FICHTE bezeichnet das Seinswissen auch als sinnliches Wissen, das Sollenswissen als übersinnliches Wissen. Dies ist in der Terminologie FICHTEs dasselbe, was KANT mit seinem Kategorischen Imperativ ausdrückt: das durch sinnliche Treibe bestimmbare Ich soll sich nur durch das Moralgesetz bestimmen lassen. Wenn wir nach unseren Neigungen handeln, schreibt uns die Natur diese vor (Heteronomie) – wir handeln dann mit Vernunft und Freiheit genauso wie ein Tier aufgrund seiner Instinkte. Das Moralgesetz hingegen ist das einzige Handlungsprinzip, das aus der Vernunft als solcher ableitbar ist – daher gibt sich in ihm die Vernunft selbst das Gesetz (Autonomie): nur der moralisch Handelnde handelt spezifisch menschlich (GMS, AB 37-96). 42 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 94 Wie Ichgewissheit Basis aller Wissenschaft ist, soll zunächst knapp skizziert, im Anschluss daran dann für (Religions)Philosophie und Theologie näher ausgeführt werden. Reflektiert man darauf, dass Ichgewissheit zwar eine ideale (erkenntnismäßige, weil aus keiner anderen Erkenntnis ableitbare) Selbstbegründung darstellt, aber nicht zugleich eine reale (das Ich schafft weder sich selbst noch das Nicht-Ich), kommt man auf eine Letztbegründung der Ichgewissheit in einem absoluten Ich (GOTT) Religionsphilosophie und Theologie. Dies wird noch näher ausgeführt. Reflektiert man auf die notwendigen Bewusstseinsstrukturen (auf die formalen Gesetzmäßigkeiten jedes Denkens) erhält man die Formalwissenschaften 43 (Philosophie, Logik, Mathematik) . Reflektiert man auf die drei Bereiche, die das Ich sich voraussetzen muss, um sich als Ich konkretisieren zu können – Gegenstandswelt, Körper, Mitmenschen-, erhält man die Materialwissenschaften oder Einzelwissenschaften in ihrer zweifachen Methodik: Da diese drei Bereiche durch das Ich bestimmbar sind, sind sie einerseits als dem Ich vorgegeben zu betrachten naturwissenschaftlicher Methodentyp. andererseits als durch das Ich modifiziert und immer weiter modifizierbar zu betrachten geisteswissenschaftlicher Methodentyp. Beide Methodentypen sind aufeinander bezogen – nicht ihre Inhalte sind verschieden, sondern die Betrachtungsweise ihrer Inhalte. So kann man z.B. einen Obstbaum in seiner natürlichen Gewordenheit betrachten, aber auch in seiner wirtschaftlichen Verwertbarkeit. Daher ist auch der Unterschied von Natur- und Geisteswissenschaften kein starres Entweder – Oder, sondern die meisten Materialwissenschaften kombinieren beide Methodentypen – trotz der grundsätzlich berechtigten Unterscheidung. 44 Kombiniert man die drei Bereiche der Bestimmbarkeit und die beiden ihnen gegenüber möglichen Methodentypen, erhält man eine sechsteilige Gliederung möglicher Einzelwissenschaften bzw. Einzelwissenschaftsbereiche: Einzelwissenschaften Naturwissenschaften Geistes- (oder Kultur-) wissenschaften Gegenstandswissenschaften Individualwissenschaften Sozialwissenschaften Dies Korrelation zeigt sich in der Zusammenarbeit von Wissenschaften – z.B. ist Archäologie primär eine kulturwissenschaftliche Gegenstandswissenschaft, benötigt aber zum Datieren und Konservieren von Objekten naturwissenschaftliche Gegenstandswissenschaften.; Medizin ist primär eine naturwissenschaftliche 43 Bezüglich der Mathematik wäre heute dringender denn je die Frage zu klären, ob sie – so KANT – eine synthetische – oder – so RUSSEL und FREGE eine analytische Wissenschaft a priori ist. Könnte der Nachweis erbracht werden, dass sie eine synthetische Wissenschaft ist, wäre damit die Möglichkeit von synthetischen Urteilen a priori auch in einer wertfreien Wissenschaft erwiesen und damit eine Rettung der Metaphysik, die ja synthetische Urteile a priori benötigt, ermöglicht. 44 Vgl. SCHNEIDER P.K, Soz., Stuttgart 1968, bes. 61-100.-Nicht ganz klar ist hier die Stellungnahme PANNENBERGs: Einerseits kritisiert er, dass von den Neukantianern der Unterschied von Natur- und Geisteswissenschaften als ein methodischer verstanden wurde (WTH, 118 f.), andererseits hält er die Sonderstellung der Geisteswissenschaften – gegen ihre neopositivistische Vereinannahmung durch die Naturwissenschaften - aufrecht: Wenn auch die cartesianische Gegenüberstellung von Geist und Natur überholt ist, gilt die „Subjektbedingtheit aller Objekterkenntnis“ – Sinnthematik und Individuelles sind naturwissenschaftlich nicht erfassbar (WTH, 130 ff.) F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 95 Individualwissenschaft, braucht aber besonders in der Psychiatrie eine Sonderform der hermeneutischen Methode; Geographie kann die Erde betrachten, wie sie von Natur aus ist („physische Geographie“) und wie sie Menschen verändern („ökonomische Geographie“) etc. 3.4.4 Die Differenzierung Geisteswissenschaften der Einzelwissenschaften in Natur- und Da die Unterscheidung des natur- und geisteswissenschaftlichen Methodentyps indirekt auch für die Theologie wichtig ist - zur Abgrenzung der Theologie von den Einzelwissenschaften einerseits, zur Wertfrage innerhalb des wissenschaftlichen Denkens andererseits - , wollen wir beide Methodentypen kurz darstellen. 3.4.4.1 Der naturwissenschaftliche Methodentyp45 Der naturwissenschaftliche Methodentyp geht auf GALILEI zurück. Denn während KOPERNIKUS und KEPLER ihre Hypothesen (besonders die leichtere Berechenbarkeit der Planetenbahnen bei Annahme der Sonne als Mittelpunkt) als reine Arbeitshypothesen hinstellten, begann GALILEI mit der empirischen Überprüfung solcher Hypothesen. Deshalb geriet auch erst er in Schwierigkeiten mit der Inquisition, die fälschlicherweise meinte, dass mit dem Aufgeben des antikmittelalterlichen Weltbildes auch der Verlust der christlichen Weltanschauung verbunden sei. Die beiden Grundschritte des naturwissenschaftlich-empirischen Methodentyps sind Hypothesenbildung und Hypothesenüberprüfung. Daraus folgt, dass diese Methode erst anwendbar ist, wenn bereits eine empirisch überprüfbare (nicht schon überprüfte) Problemstellung vorliegt, d.h. ein Satz oder Satzsystem von Begriffen, die eine empirische Realität meinen. Man gelangt also durch diese Methode nicht zu bestimmten Problemen, sondern diese sind jener immer schon vorausgesetzt. Woher stammen dann diese zu untersuchenden Probleme? Erstens aus dem erfahrungsunabhängigen Teil der Wissenschaft, über den, wie oben dargetan, jede Wissenschaft als ihrem Rahmen verfügt. In ihm sind nicht alle Sätze a priori beweisbar, sondern manche nur als begründbare Forderungen aufzustellen, die einer Bestätigung durch die Erfahrung bedürfen (Beispiel: Es kann a priori schlüssig gefordert werden, wie ein Körper beschaffen sein müsse, um mit Bewusstsein und Freiheit zusammenbestehen zu können – die Bestätigung aber muss von empirischen Anthropologie erwartet werden). Zweitens aus dem Alltagsbewusstsein des Forschers – und dieses dürfte quantitativ der bedeutendste „Problemlieferant“ sein . Und drittens aus den Forschungsergebnissen anderer Wissenschaftler, die von dem, der mit ihnen weiterarbeiten möchten, „verstanden“ werden müssen - was auf den Zusammenhang von natur- und geisteswissenschaftlicher Methode (s.u.) verweist. Und nun die Schritte im einzelnen: 45 Vgl. dazu: STEGMÜLLER W., Metaphysik, Wissenschaft, Skepsis, Frankfurt-Wien 1954; ders., Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, 4.Aufl., Stuttgart 1969; TOPITSCH E. (Hsg.), Logik der Sozialwissenschaften, 8.Aufl., Köln 1972; WUCHTERL K., Methoden der Gegenwartsphilosophie, Bern-Stuttgart 1987, 17 ff. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 96 1. Hypothesenbildung: Analyse: Isolierung des zu untersuchenden Vorgangs, d.h. Abstraktion von allen nicht zu untersuchenden Aspekten; evtl. Zerlegung in Teilaspekte, die nacheinander untersucht werden müssen. Ferner versucht man, die Elemente (Faktoren, Variablen) in ein Bedingungsverhältnis zu bringen, d.h. unabhängige und abhängige Variable zu unterscheiden. Nie kann „die Natur“ oder gar „die Gesamtwirklichkeit“ Thema einzelwissenschaftlicher Forschung sein, da Gesamtnatur (als Inbegriff des sinnlich Wahrnehmbaren) oder Gesamtwirklichkeit (Inbegriff alles Denkbaren) ja niemals inhaltlich gegeben sind. Im Bedarfsfall Operationalisierung: Sprachlich gesehen sind Faktoren Begriffe, die einen empirischen Sachverhalt meinen – häufig aber zu unpräzise, so dass eine direkte empirische Überprüfung gar nicht möglich wäre. In einem solchen Fall zerlegt man den (unpräzisen) Oberbegriff in (präzise) Unterbegriffe (Indikatoren), die das Gemeinte ebenfalls ausdrücken (die valid sind), doch so konkret, dass eine direkte empirische Überprüfung möglich ist. Diesen Vorgang nennt man operationalisieren: Ein Begriff ist also operational definiert, wenn seine empirische Überprüfung direkt möglich ist. – In der Praxis wird bei der Ermittlung der Validität meist so vorgegangen, dass der Untersuchende den zu operationalisierenden Begriff mit Indikatoren versieht und dann einer Gruppe von Experten vorlegt, die die Validität der Indikatoren einschätzt (Experten-Rating). Wo es möglich ist, wird der zu überprüfende Begriff quantitativ erfasst, also gemessen, d.h. dem Begriff werden Zahlen zugeordnet. Dabei muss durch ein eigenes Verfahren die Reliabilität der Messinstrumente festgestellt werden, d.h. mit welcher Genauigkeit sie das messen, was sie messen wollen. Synthese: Man rekonstruiert den Vorgangs aus den operational beschriebenen Faktoren in Form eines Bedingungs-Schemas: mindestens ein Faktor (unabhängige Variable) muss Bedingung der anderen Faktoren (der abhängigen Variablen) sein. Durch diese beiden Schritte – Analyse und Synthese – wurde das Problem zu einer Hypothese umgebildet, d.h. ein einen empirischen Sachverhalt meinender Satz wurde in einen Satz über ein Bedingungsverhältnis zwischen den operational definierten Faktoren des gemeinten Sachverhaltes verwandelt. 2. Hypothesenüberprüfung: Die Falsifikation / Verifikation der Hypothese erfolgt durch Beobachtung und Experiment bzw., vor allem bei sozialwissenschaftlicher Anwendung des naturwissenschaftlichen Methodentyps, durch Datenerhebung (Beobachtung, Befragung, Test). Dabei ist die Falsifikation endgültig, die Verifikation immer nur vorläufig – es könnten ja neue Fakten oder bessere Erklärungsmöglichkeiten auftreten - : daher hat die Falsifikation Vorrang vor der Verifikation46. Dabei muss genau beachtet werden, für welche Grundgesamtheit die zu überprüfende Hypothese gelten soll. Bei Naturgegenständen ist dies relativ einfach; allerdings hat die neuere Physik, vor allem die Relativitätstheorie, zur Einsicht geführt, dass auch sog. 46 Dies hat POPPER durch seinen „Fallibilismus“ herausgearbeitet. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 97 „Naturgesetze“ nicht allgemeingültig sind, daher auch bei ihrer Überprüfung berücksichtigt werden muss, unter welchen Raum-Zeit-Bedingungen sie gelten. Wesentlich schwieriger gestaltet sich die Überprüfung bei zu untersuchenden Menschengruppen. Die Gesamtheit der Personen, für die die Hypothese zu gelten beansprucht, heißt Grundgesamtheit. Aufgrund ihres Umfanges kann sie meist nicht als Ganze zur Überprüfung herangezogen werden, sondern man wählt eine Stichprobe, die repräsentativ sein muss. Dies ist dann der Fall, wenn jedes Glied dieser Grundgesamtheit mit gleicher Wahrscheinlichkeit in die Stichprobe aufgenommen werden kann. Die an einer repräsentativen Stichprobe gewonnenen Ergebnisse gelten als signifikant für die Grundgesamtheit. Sind mehrere unabhängige Variable vorhanden, müssen ebenso viele Kontrollgruppen gebildet werden. Denn Abschluss bildet die Theoriebildung, d.h. die logisch widerspruchsfreie Eingliederung der vorläufig verifizierten Hypothese in das System der bisher verifizierten Hypothesen desselben Gegenstandsbereiches. Falsifizierte Hypothesen müssen durch Neubildung von Hypothesen ersetzt werden. 3.4.4.2 Der geisteswissenschaftlich-empirische Methodentyp47 Der geisteswissenschaftliche Methodentyp wird auch als hermeneutischer (verstehender) Methodentyp bezeichnet, weil er vom empirisch vorliegenden Äußeren einer Handlung auf ihr Inneres, auf ihren vom Handelnden selbst intendierten Sinn, schließen will. Dieser Vorgangsweise des Verstehens bedienen wir uns bereits im Alltag, wo dies aber meist auf ein bloßes „Einfühlen“ beschränkt ist – was im Alltag zureicht, weil die Eindeutigkeit des Verstehens hier ja durch die gemeinsame Praxis weitgehend gewährleistet ist. Im wissenschaftlichen Bereich, in dem intersubjektive Überprüfbarkeit gefordert ist, umfasst auch die Hermeneutik in bewusster Anlehnung an die Naturwissenschaften Hypothesenbildung und Hypothesenüberprüfung. Die Hypothesenbildung (das „Verstehen“ i.e.S.) unterlegt der jeweils zu untersuchenden Tat eine mögliche ihr zugrundeliegende Absicht. Dabei geht das Vorverständnis des Wissenschaftlers notwendig in die Hypothese ein, was nichts ausmacht, wenn er sich dessen bewusst ist und bereit, dieses Vorverständnis, wenn nötig, zu korrigieren. Die Hypothesenüberprüfung erfolgt dadurch, dass man durch Heranziehung aller zur der Tat oder dem Produkt menschlichen Handelns erreichbaren empirischen Daten versucht, den hypothetisch unterstellten Sinn als den vom Handelnden selbst beabsichtigten zu erweisen, was immer nur mit Wahrscheinlichkeit möglich ist. Diese ist aber kein Mangel der Methode, sondern liegt daran, dass der Rückschluss vom Äußeren der Handlung auf ihr Inneres prinzipiell nicht sicher sein kann, weil hier von etwas empirisch Wahrnehmbaren auf ein Nicht-empirisch-Wahrnehmbares geschlossen wird. Bei dieser Art der Hypothesenüberprüfung kommt es zu einer wechselseitigen Korrektur zwischen Hypothese / Vorverständnis des Forschenden einerseits, zwischen Hypothese / herangezogenen Daten (die selbst nach der hermeneutischen Methode „verstanden“ werden müssen) andererseits: dieses nicht linear, sondern in einem Hin-und-Her zum 47 Vgl. dazu: DILTHEY W., Grundlinien eines Systems der Pädagogik, Gesammelte Schriften, ed. BOLLNOW, Bd.9; GADAMER H.G., Wahrheit und Methode, Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, 3.Aufl., Tübingen 1972; GIRNDT H., Das soziale Handeln als Grundkategorie erfahrungswissenschaftlicher Soziologie, Tübingen 1967; PANNENBERG, WTH, 75-177; WUCHTERL K., Methoden der Gegenwartsphilosophie, BernStuttgart 1987, 103 ff. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 98 Ergebnis führende Vorgehen nennt man hermeneutischen Zirkel oder hermeneutische Spirale. Erstere Bezeichnung ist gebräuchlicher, letztere sinnvoller: Die Hin-und-HerBewegung tritt ja nicht auf der Stelle, sondern geht auf ein Ziel zu. In dieser Skizze meint “V” das Vorverständnis, T die zu interpretierende Tatsache. V2 V1 3.4.5 Die Unzulänglichkeit Einzelwissenschaften48 V der T philosophischen T1 Verwendung T2 von Seit gut hundert Jahren wird versucht, einzelwissenschaftliche Methodentypen auch philosophisch, d.h. als Deutung von Gesamtwirklichkeit, zu verwenden, so etwa der naturwissenschaftliche Methodentyp im (Neo)Positivismus und Nationalsozialismus, der geisteswissenschaftliche in der hermeneutischen Philosophie und im Marxismus. Für uns stellt sich die Frage, ob eine dieser neueren Philosophien wirklich als Philosophie im Sinne einer widerspruchsfreien Deutung von Gesamtwirklichkeit und somit als Basis für eine neuzeitliche Theologie gelten kann. Wenn nicht, hätten wir die Aufgabe nachzuweisen, dass die philosophische Verwendung von Einzelwissenschaften eine Ideologie darstellt. Dazu muss zunächst der Begriff "Ideologie" selbst präzisiert werden. Als instinktreduziertes Wesen muss der Mensch seine Erkenntnis- und Handlungsstruktur erst aufbauen. Dazu hat er einen natürlichen Hang, bewährte Erkenntnisse auf andere Bereiche auszudehnen. Geschieht dies begründet, spricht man von "Transfer". Geschieht diese Erkenntnisübertragung aber zu Unrecht, spricht man von "Vorurteil". Vorurteile sind daher oft gar nicht leicht durchschaubar, weil das ihnen zugrundeliegende Urteil richtig war und nur seine Verallgemeinerung unbegründet ist. Geschieht eine solch unbegründete Verallgemeinerung auf wissenschaftlichem Gebiet, wollen wir sie als Ideologie bezeichnen. Eine Ideologie liegt also in unserem Verständnis dann vor, wenn ein Denkmodell, das eine Teilwirklichkeit richtig erklärt, für eine Erklärung der Gesamtwirklichkeit ausgegeben wird. Darauf, dass die Ideologien eine Teilwirklichkeit richtig erklären, beruht ihre Gefährlichkeit 48 Für die Darstellung der philosophischen Verwendung der einzelwissenschaftlichen Methodentypen verweise ich auf die oben, 2.3.2 und 2.3.3, genannte Literatur; für die Ideologiekritik wurde zusätzlich herangezogen: DEIFEL E., Ideologische Wurzeln des Antisemitismus, in: ANHELL-HAGER (Hsg.), Kirche unter dem Nationalsozialismus, Wien 1988, 289-306. . F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 99 nämlich dann unhinterfragt für eine Erklärung der Gesamtwirkichkeit gehalten zu werden. Allerdings gibt es meist praktische Motive für die Akzeptanz von Ideologien durch breite Kreise. Und eine akzeptierte Ideologie zeigt - meist recht massive praktische Auswirkungen. Ideologien sind also nach unserem Verständnis verkürzte und daher verzerrte Wirklichkeitsauffassungen. Diese Verkürzung muss sich bei jeder Ideologie bereits in ihrem Grundansatz (Axiom) zeigen, weil eine Theorie, die beansprucht, Gesamtwirklichkeit zu erklären, widerspruchsfrei auf sich selbst anwendbar sein muss, da sie selbst ja auch ein Teil von Wirklichkeit ist. Ist also ein Axiom, als Grundsatz zur Erklärung einer Teilwirklichkeit genommen, widerspruchsfrei, doch als Grundsatz zur Erklärung der Gesamtwirklichkeit verstanden, widersprüchlich, liegt eine Ideologie vor. Die falsche Verallgemeinerung einer Weltanschauung bzw. die Widersprüchlichkeit ihres Grundansatzes nachzuweisen, ist Aufgabe der Ideologiekritik. Diese muss auf wissenschaftlicher und daher intersubjektiv überprüfbarer Ebene erfolgen – und, da Ideologien eine Deutung von Gesamtwirklichkeit versuchen und sich somit als Philosophie verstehen, muss sich auch ihre Kritik auf philosophischer Ebene bewegen. Ferner: Da Ideologien in der philosophischen Verwendung eines einzelwissenschaftlichen Denkmodells bestehen, Einzelwissenschaften aber grundsätzlich auf den Immanenzbereich von Wirklichkeit gerichtet sind, leugnen Ideologien den Transzendenzbereich von Wirklichkeit und sind insofern atheistisch. Atheismus ist selbst ein vieldeutiger Begriff 49, worauf hier nicht näher eingegangen werden soll. Bei den im folgenden zu besprechenden atheistischen Ideologien geht es um doktrinäre Atheismen, da sie ja auf der falschen Verallgemeinerung einzelwissenschaftlicher Theorien beruhen: Sie leugnen die Existenz GOTTES und/oder Seine Erkennbarkeit. Es ist daher klar, dass die Theologie sie nicht als philosophische Basis verwenden kann, aber an ihrer Widerlegung interessiert sein muss. 3.4.6 Die philosophische Verwendung des naturwissenschaftlichen Methodentyps 3.4.6.1 Der Positivismus und seine Weiterentwicklungen als naturalistische Ideologie 50 "Positivismus" ist eine Sammelbezeichnung all jener sich als philosophisch verstehenden Denkansätze, die – ausgehend vom naturwissenschaftlichen Methodentyp – nur empirische Wirklichkeit als Wirklichkeit gelten lassen. Die Bezeichnung „positiv“ stellt hier keine Bewertung dar, sondern meint, basierend auf der Grundbedeutung von „ponere“, die Beschränkung auf das Positive im Sinne von auf das Tatsächliche. COMTE ging unter dem Eindruck der großen Erfolge der modernen Naturwissenschaften und unter dem Einfluss der anti-metaphysisch eingestellten 49 50 Wir folgen hier LAY R., Zukunft ohne Religion ? Freiburg i.Br.1970, bes. 57 ff.. Vgl. dazu auch PANNENBERG, WTH, 31-74: Jeder Positivismus geht von etwas Gegebenem aus: der empiristische Positivismus von der Sinneswahrnehmung, der logische Positivismus (Neopositivismus) hingegen nimmt die Sinneswahrnehmung nicht als Ausgangspunkt, sondern als „Kontrollinstanz für auftretende Behauptungen“ (Ebd.,31) F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 100 englischen und französischen Aufklärung von der eben genannten Gleichsetzung „empirische Wirklichkeit ist Wirklichkeit überhaupt“ aus51. Diese Wirklichkeitserkenntnis soll auch die Basis für einen optimalen Zustand der Menschheit bieten, so dass möglichst viele Menschen möglichst glücklich werden können. Zur Erreichung dieses Zustandes sollen alle Wissenschaften zusammenarbeiten. Die klassischen Themen der Metaphysik, Freiheit, GOTT und Unsterblichkeit, gelten, wie alles Empirisch-nicht-Beweisbare, von diesem Denkansatz her als "Ideologie". Dieser Ansatz gewann noch im 19.Jh. einige Anhänger für sich, eine starke Breitenwirkung erreichte er aber erst als „Neopositivismus“ („Logischer Positivismus“) in der 2. Hälfte des 20. Jhs.: Die Bezeichnung "Neopositivismus" ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene Weiterentwicklungen des positivistischen Grundansatzes. Es ist eine von der eigenen philosophischen Position abhängige Wertung, welche Denkmodelle zeitgenössischer transzendenzleugnender Strömungen man dem Neopositivismus zuordnet; wir beschränken uns hier auf den "Wiener Kreis", der auch als logischer Empirismus oder logischer Positivismus bezeichnet wird. Diese Richtung, die vor allem in der Zwischenkriegszeit entwickelt und durch die Verfolgung durch den Nationalsozialismus zerstreut wurde, fasste besonders im angloamerikanischen Raum Fuß und wurde zur der Philosophie des Westens genauer: des westlichen praktischen Materialismus (Wirtschaftsliberalismus, Konsum-materialismus). Diese Richtung ist daher der Hauptgegner von Metaphysik, Religionsphilosophie und Theologie. Die Vertreter dieses Denkmodells präzisierten zunächst die axiomatische Gleichsetzung von Wirklichkeit mit materieller Wirklichkeit im sog. „empiristischen Sinnkriterium“: demnach ist ein Satz nur dann sinnvoll, wenn in ihm keine sinnlosen, d.h. empirisch nicht verifizierbaren, Begriffe vorkommen und 52 er logisch korrekt gebildet ist. Es werden also im apriorischen Bereich nur die analytischen Aussagen der formalen Logik zugelassen, werden synthetische Urteile auf den aposteriorischen Bereich beschränkt werden. Aber: Es zeigte sich, dass die empirische Verifizierung jeder Allaussage - und darunter fallen die Naturgesetze ebenso wie das empiristische Sinnkriterium, das ja eine Aussage über Gesamtwirklichkeit zu sein beansprucht - unmöglich ist (Unmöglichkeit der vollständigen Induktion) Verschiedene Rettungsversuche des empiristische Sinnkriteriums erwiesen sich als unzureichend. Unter ihnen ist der „Fallibilismus“ POPPERs am bekanntesten: POPPER akzeptierte die Nicht-Verifizierbarkeit von Allaussagen und schlug stattdessen vor, als sinnvolle Sätze solche gelten zu lassen, die empirisch nicht falsifizierbar sind.53 Aber: Auch das ist unhaltbar, weil damit die für die naturwissenschaftliche Forschung unentbehrlichen Existenzhypothesen (z.B. die Annahme, des gäbe ein Mittel gegen Aids) zu sinnlosen Sätzen würden. Richtig ist am Fallibilismus, dass der Falsifizierung ein Vorrang vor der Verifizierung von Hypothesen zukommt, weil die 51 Vgl. COMTE Au., „Positive Philosophie“, 6 Bde., 1830-42, und „“Positive Politik“, 4 Bde., 1851-54. Wie bei vielen „modernen“ Denkmodellen rückt die Menschheit an die Stelle GOTTES. 52 Vgl. WITTGENSTEIN L., Philosophische Bemerkungen, 150, zit. nach PANNENBERG, WTH, 33. 53 POPPER Ch., Logik der Forschung 1935. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 101 Falsifizierung endgültig, die Verifizierung aber immer nur vorläufig ist aufgrund der Unabschließbarkeit empirischer Erkenntnis. Die Grundschwierigkeit bleibt: Das empiristische Sinnkriterium selbst ist sinnlos54. Neuere Weiterentwicklungen dieses Neopositivismus, die unter unterschiedlichen Bezeichnungen auftreten, lösen diesen Widerspruch des empiristischen Sinnkriteriums "konventionalistisch", d.h. behalten den verkürzten Wirklichkeitsbegriff bei und definieren das empiristische Sinnkriterium als eine durch Übereinkunft (Konvention) aus pragmatischen Gründen so festgelegte Norm, weil es als Axiom wissenschaftlicher Forschung am brauchbarsten sei. Mit dieser – letztlich willkürlichen – Grundentscheidung wird dieser Ansatz rational unangreifbar, freilich um den Preis, das eigene Axiom, das festlegen soll, was innerhalb dieses Ansatzes als wahr / falsch gelten soll, nicht als wahr ausweisen zu können und damit den Korrespondenzaspekt der Wahrheitsfrage überhaupt aufzugeben. Trotz der Widersprüchlichkeit des (neo)positivistischen Axioms, die diesen Ansatz als Ideologie ausweist, ist er zu der Philosophie des westlichen Materialismus und seines liberalistischen Wirtschaftssystems geworden und daher die geistige Wurzel unserer Konsumgesellschaft. Hier zeigt sich paradigmatisch das Wesen einer Ideologie: Das für verschiedene Einzelwissenschaften richtige naturwissenschaftliche Denken wird falsch verallgemeinert, nicht aus wissenschaftlichen Gründen, sondern aus subjektiven, im Alltagsbewusstsein begründeten Motiven: der praktische Materialismus des Alltagsbewusstseins wird undurchschaut in die wissenschaftliche Reflexion hineingenommen und durch diese scheinbar gerechtfertigt. 3.4.6.2 Der Nationalsozialismus als biologistische Ideologie 55 DARWINs Theorie über die Entstehung der Arten, die in der Natur eine "natürliche Zuchtwahl" und einen "Kampf ums Dasein" impliziert, wurde von Rassentheoretikern vor dem und im Nationalsozialismus uneingeschränkt auf den Menschen übertragen, d.h. ohne die Einschränkung, dass der Mensch zwar auch, doch nicht nur Tier ist: Rasse wird zum wesentlichsten Bestimmungsmerkmal des Menschen, die Geschichte zur Geschichte der Rassenkämpfe mit dem Ziel des Sieges der "besten" Rasse gegenüber der bzw. den minderwertigen Rassen. Diese Rassentheorien waren keineswegs nur, aber auch im deutschen Sprachraum beheimatet - hier sind vor allem zu nennen: in Frankreich war ihr Hauptvertreter J.A. Comte de GOBINEAU, in Großbritannien H.St. CHAMBERLAIN, in Österreich LANZLIEBENFELS – HITLER und ROSENBERG hatten also Vorläufer. Gerade die Tatsache, dass verschiedene Rassentheoretiker verschiedene Rassen bzw. Rassenmerkmale als höher- oder minderwertig ansehen, zeigt die Willkürlichkeit derartiger Festlegungen. Für den Nationalsozialismus war die germanische oder 54 P.K. SCHNEIDER, Soz., 26-28, fasst die Problematik des empiristischen Sinnkriteriums sehr gut zusammen: Das empiristische Sinnkriterium könne keine Selbstanwendung gestatten, weil der Satz, dass verifizierbar nur empirisch verifizierbar bedeute, selbst nicht empirisch verifizierbar sei; solche Widersprüche entstünden durch eine Vermischung von Objekt- und Metasprache und übersähe, dass beide Sprachbereiche gerade dadurch unterschieden seien, dass die Metasprache kein empirisches Korrelat habe. Vielmehr bestimmt sie als Norm den empirischen Forschungsprozess, ist also selbst das Kriterium des Erkenntniswertes empirischer Aussagen, kann also nicht umgekehrt durch empirische Aussagen beurteilt werden. 55 Vgl. dazu: HITLER A., Mein Kampf, München, 2 Bde, 1925-27; ROSENBERG A., Der Mythos des 20. Jhs., München 1931, 3.Aufl.; zur Kritik: DEIFEL E., s.Anm.31. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 102 arische Rasse die höchstwertige und daher weltweit zu vermehrende, die jüdische oder semitische die minderwertigste und daher auszurottende56 Die Forderung nach Ausrottung "minderwertiger" Rassen bedurfte allerdings einer Zusatztheorie, da sonst unerklärlich bliebe, wieso sie im Daseinskampf nicht schon von selbst untergegangen waren. Auch diese Zusatztheorie stammt aus der Biologie: Wie Parasiten leben die Juden auf Kosten ihrer Wirte und richten sie dadurch zugrunde. Daher ist ihre Vernichtung zur Selbsterhaltung der wertvollen Arier nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar verpflichtend („Parasitentheorie“ als Begründung der „Endlösung“). Da hier nicht, wie beim Positivismus, ein einzelwissenschaftlicher Methodentyp, sondern sogar nur die Einzelwissenschaft Biologie zur Gesamtdeutung von Wirklichkeit verwendet wird, ist dieser Denkansatz noch in viel stärkerem Ausmaß als Ideologie anzusehen. Alle wesentlichen Begriffe (wie „Rasse“, „Kampf ums Dasein“, „Parasiten“ etc.) sind der Biologie entnommen, können den Menschen also nur so weit begreifen, als er auch Tier ist. Es ist erschreckend, dass dieser Denkansatz heute in etwas modifizierter Form wieder an Boden gewinnt – eine ideologiekritische Auseinandersetzung wäre heute auch eine wesentliche Aufgabe der Theologie. Da die in einer Ideologie vorgenommene falsche Verallgemeinerung nicht als objektiv richtig ausgewiesen werden kann, gab es auch für die Durchsetzung des Nationalsozialismus andere Gründe, wie etwa die instabilen sozio-ökonomischen Verhältnisse der Zwischenkriegszeit, längst vorhandene (und leider auch kirchlich geförderte) Vorurteile gegen die Juden und gezielt eingesetzte Propagandamaßnahmen. 3.4.7 Die philosophische Verwendung des geisteswissenschaftlichen Methodentyps Die philosophische Verwendung des geisteswissenschaftlichen Methodentyps basiert auf der Identitätsphilosophie SCHELLINGs und HEGELs, auf die im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden soll; sie fand ihre Ausprägung vor allem im hermeneutischen und im marxistischen Denkansatz. 3.4.7.1 Die Hermeneutik als geisteswissenschaftliche Ideologie57 DILTHEY kritisiert an der Transzendentalphilosophie, dass sie sich auf die Erkenntnis der Formalstrukturen der Wirklichkeit beschränke und will seinerseits das Ganze der Wirklichkeit inhaltlich erkennen. Als Ausgangspunkt wählt er den Menschen, der Natur und Kultur zugleich („Lebenseinheit“) ist, wobei er die Natur als unvollkommene Vorstufe der Kultur ansieht. In der Welt- und Menschheitsgeschichte findet eine Entwicklung vom Einfachen zum Komplexen statt – vom Anorganischen über das Organische zum Geistigen. Daher ist nicht die Natur, sondern die Kultur der eigentliche Lebensraum des Menschen. DILTHEY will damit „das Prinzip der 56 Dabei ist sowohl die Gleichsetzung von arisch und germanisch als auch die von semitisch und jüdisch unbegründet. 57 Vgl. dazu bes. DILTHEY W., Ges. Schriften, ed. BOLLNOW, Göttingen 1960/61; GADAMER H.G., Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 1972, 3.Aufl. – Eine sehr ausführliche Auseinandersetzung mit der Hermeneutik, die den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, bietet LAY R., Grundzüge einer komplexen Wissenschaftstheorie, Frankfurt a.M 1971, 2.Bd., 389 ff. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 103 historischen Schule ... philosophisch begründen“, aber nicht in einem „starren a priori unseres Erkenntnisvermögens“, sondern im Sinne einer „Entwicklungsgeschichte, welche von der Totalität unseres Wesens ausgeht“ 58 Da es auch die Philosophie mit Denkmodellen, also mit „objektivem Geist“, zu tun hat, müsse auch sie mit dem Methodentyp der Geisteswissenschaften (und nicht mit der transzendentalen Methode KANTs und FICHTEs) arbeiten. DILTHEY ordnet die philosophischen Denkmodelle in drei Grundtypen ein – Materialismus, objektiver Idealismus, subjektiver Idealismus, wobei er eine (hermeneutisch) begründbare Entscheidung zwischen ihnen für unmöglich hält. Die falsche Verallgemeinerung eines einzelwissenschaftlichen Methodentyps ist beim geisteswissenschaftlichen Ansatz am schwersten durchschaubar, weil es ja richtig ist, dass philosophische Denkmodelle als Produkte menschlicher Aktivität auch geisteswissenschaftlich betrachtet werden können. Bis zur letzten Studienreform wurde daher auch die Philosophie unreflektiert zu den Geisteswissenschaften statt zu den Formalwissenschaften gezählt. Aber: Es macht einen Unterschied, ob man einzelwissenschaftliche und philosophische Denkmodelle in ihrer historischen Einbettung verstehen will – und das ist in der Tat Aufgabe der Geisteswissenschaften -, oder ob man die transzendentalen Möglichkeitsbedingungen einzelwissenschaftlichen und philosophischen Denkens rekonstruieren will – und das ist Aufgabe der Philosophie. Geisteswissenschaften thematisieren den Entstehungs-zusammenhang von Denkmodellen, Philosophie deren Begründungszusammenhang. Auch der Anspruch, Gesamtwirklichkeit inhaltlich zu erfassen, kann nicht eingelöst werden, weil Gesamtwirklichkeit inhaltlich nie gegeben ist, und zwar nicht einmal die empirische Gesamtwirklichkeit. Auch das Axiom der Hermeneutik endet also in einem Selbstwiderspruch, weshalb auch dieser philosophische Denkansatz nicht als widerspruchsfreie Basis für Theologie taugt. Dazu kommt, dass DILTHEY sich ausdrücklich gegen die klassische Metaphysik stellt, was PANNENBERG folgendermaßen zusammenfasst: „Die Entdeckung der Geschichtlichkeit des Menschen ist nach DILTHEY das Ende der Metaphysik, nämlich das Ende ihres Ideals eines im GOTTESgedanken begründeten ´logischen Weltzusammenhangs`..... Damit ist zugleich die Einsicht in die Endlichkeit und Relativität aller geschichtlichen Erscheinungen gegeben“ 59. Es wird allerdings kritisch zu prüfen sein, ob PANNBERG selbst den GOTTESgedanken in einem hermeneutischen Ansatz überzeugend unterbringen kann (s. Abschnitt 4) 3.4.7.2 Der Marxismus als ökonomistische Ideologie60 Die Einzelwissenschaft Ökonomie thematisiert ausdrücklich nur wirtschaftliches Handeln des Menschen, d.h. ein Handeln, das der Befriedigung materieller Bedürfnisse dient und sich im Kreislauf von Produktion, Distribution und Konsumtion entfaltet. Ökonomie als Einzelwissenschaft leugnet damit keineswegs andere Handlungsbereiche des Menschen, doch reduziert sie - im Sinne der einzelwissenschaftlichen methodischen Abstraktion ihre Untersuchungen auf das ökonomische Handeln. 58 59 DILTHEY, Einleitung in die Geisteswissenschaften, Bd. 1, Ges. Schriften I, XVII f. PANNENBERG, Theol. 310. Vgl. MARX K.-ENGELS F., Manifest der kommunistischen Partei, 1848; Zur Kritik der politischen Ökonomie, 1859. 60 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 104 MARX verwendete das ökonomische Denkmodell philosophisch, also zur Deutung der Gesamtwirklichkeit: Sein Axiom ist, dass Wirtschaft die Wirklichkeit schlechthin sei. Er bezeichnet sie daher auch als Unterbau oder Basis. Alle anderen (Bewusst)Seinsbereiche, wie etwa Politik, Staat, Recht, Moral, Kunst, Religion sind, als Epiphänomene (Zusatzerscheinungen) der Wirtschaft, bloßer Überbau oder Ideologie: "Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt" 61. Da keinem geistigen Bereich eine eigenständige Wirklichkeit zukommt, ist die Änderung der Basis zugleich Änderung der Gesamtwirklichkeit. Dieses Konzept wird als dialektischer Materialismus bezeichnet bzw., zur Interpretation der Geschichte herangezogen, als historischer Materialismus. Träger des geschichtlichen sozioökonomischen Prozesses sind nicht Einzelindividuen, sondern Klassen, d.h. aus ökonomischen Gründen zusammengehörende Gruppen. Da die jeweils höchste Klasse die anderen Klassen zu unterdrücken und auszubeuten versucht, lehnen sich die unteren Klassen dagegen auf: dabei hat aber jeweils immer nur die nächstniedrigere eine reale Chance, die Unterdrückung abzuschütteln und selbst gesellschaftlich aufzusteigen. Daher ist die Geschichte immer eine Geschichte des Klassenkampfes, der so lange weitergeht,. bis die unterste Klasse, das Proletariat, an die Herrschaft gelangt ist ("Diktatur des Proletariats"). Dazu verhilft die "Sozialisierung" (Verstaatlichung) des gesamten Produktionsprozesses und damit die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln, da nur dadurch der Unterschied von Produzenten und Arbeitnehmern beseitigt werden kann. Dadurch wird die "klassenlose Gesellschaft" und somit das Aufhören des Klassenkampfes und schließlich jedes Krieges erreicht und eine Art Paradies auf Erden - eine andere Wirklichkeit gibt es nach MARX ja nicht - geschaffen. „Erst von der Überwindung der irdischen Zerrissenheit und Entfremdung des Menschen durch Verwirklichung einer klassenlosen Gesellschaft erwartete MARX das schließliche Absterben der religiösen Entfremdung, in der die reale gesellschaftliche Entfremdung der Menschen sich spiegle“ 62 Es versteht sich, dass eine ausdrücklich materialistische Philosophie keine Basis für Theologie sein kann. Uns bleibt noch die Aufgabe nachzuweisen, dass auch das marxistische Axiom in den Selbstwiderspruch führt und somit auch der Marxismus als Ideologie zu gelten hat. Wäre Wirtschaft tatsächlich die Basis, von der alle anderen Wirklichkeitsbereiche abhängen, wird der Stellenwert von MARX´ Philosophie unklar. Wäre sie, wie alle geistigen Bereiche, von der ökonomischen Basis abhängig, könnte sie keinen Vorzug gegenüber anderen philosophischen Denkmodellen beanspruchen; oder sie müsste ihre Unabhängigkeit von der ökonomischen Basis nachweisen – dann würde ihre Grundannahme falsch, dass alle geistigen Bereiche von der ökonomischen Basis abhängen. Schlussüberlegung Ausgehend von der Ichgewissheit als Basis konnten wir zwei Methodentypen, den natur- und den geisteswissenschaftlichen, als berechtigt ausweisen. Keiner der beiden eignet sich aber für eine widerspruchsfreie philosophische Verwendung. Wir müssen also zur Ichgewissheit als Basis zurückkehren und mit transzendentaler Methode die Ableitung von Religionsphilosophie und Konzeption von Theologie versuchen. 61 62 MARX K.-ENGELS F., Werke, Berlin 1959 ff., Bd. 13,8. PANNENBERG, Theol, 304. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 105 3.4.8 Die Theologie als neuzeitliche Glaubenswissenschaft 3.4.8.1 Die Ichgewissheit als Basis von Religionsphilosophie und Theologie 63 Wir leiteten die Basis der Einzelwissenschaften daraus ab, dass wir die Voraussetzungen der Konkretisierung der abstrakten Ichgewissheit überlegten. Da wir Menschen konkrete Individuen sind, also sich in uns Ichgewissheit konkretisiert haben muss, muss es diese Voraussetzungen notwendig geben – es sind, wie bereits dargetan, Körper, Gegenstandswelt und Mitmenschen. Aber: Woher stammen diese Voraussetzungen, da die Ichgewissheit sie nicht schafft, jedoch für ihre Konkretisierung benötigt? Dieses Problem führt zur Frage nach GOTT und damit zu Religionsphilosophie und Theologie. Auch die Basis der Religionsphilosophie und Theologie muss sich aus der Ichgewissheit ableiten lassen, da Ichgewissheit die Basis alles Wissens sein muss. Auf zwei Probleme wurde bisher nur hingewiesen, ohne sie zu lösen: Erstens die Relation der Ichgewissheit zur Wahrheit und zweitens die Frage, woher die der Konkretisierung der Ichgewissheit vorauszusetzenden Bereiche - Körper, Gegenstandswelt, Mitmenschen – stammen. Ichgewissheit zeigte sich als genetische Evidenz, d.h. als Evidenz eines Selbstbegründungsverhältnisses und als insofern mit Wahrheit identisch. Denn weder die Erkenntnis, dass Ich Ich bin, noch das Einleuchten einer Erkenntnis als wahr kann von woanders her begründet werden. Die Ichgewissheit nicht, weil sie jeder Erkenntnis uneinholbar vorausgesetzt ist - sonst wäre eine Erkenntnis nicht meine Erkenntnis; die Wahrheit nicht, weil jeder Wahrheitsbeweis Wahrheit uneinholbar voraussetzt. Wahrheit ist daher grundsätzlich nur indirekt beweisbar: Wenn es keine Wahrheit gäbe, könnte nicht zwischen wahr / falsch unterschieden werden und Wissen wäre überhaupt unmöglich. Da aber Wissen (als Einleuchten von Etwas als wahr) möglich ist, muss es Wahrheit geben. Nun ist aber Ichgewissheit eine bestimmte Art des Wissens neben vielen möglichen anderen Wissensinhalten – und als ein solches bestimmtes Wissen ist sie mit Wahrheit nicht identisch, denn die anderen Wissensinhalte setzen Wahrheit ja ebenso voraus. Denn da Wahrheit alle wahren Erkenntnisse bewahrheitet, kann sie keine bestimmte Erkenntnis neben anderen Erkenntnissen sein, sondern muss deren uneinholbare und unerkennbare Voraussetzung sein und gegenüber der Vielheit der bestimmten Erkenntnisse eine absolute Einheit darstellen64. Wie aber kann Wahrheit sich selbst und alles andere bewahrheiten? Dies kann sie nur, wenn sie – im Gegensatz zur Ichgewissheit - keine bloß „ideale“ (bloß denkerische) Selbstbegründung ist. Die Selbstbegründung der Ichgewissheit ist ja eine bloß ideale: Wenn das Ich, von allen möglichen Denkinhalten abstrahierend, auf 63 Für diesen Abschnitt folge ich FICHTE, W.-L. 1804, 2.Fassung Daher ist die einzige Voraussetzung, die die Philosophie machen darf und muss, dass es Wahrheit gebe: FICHTE, W.-L. 1804, X 90.- Vgl. dazu LAUTH R., Die absolute Ungeschichtlichkeit der Wahrheit, Stuttgart-BerlinKöln-Mainz 1966, zit. als Wahrheit. 64 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 106 sich selbst reflektiert, ist es sich seiner selbst gewiss – aber es schafft durch diese Abstraktion diese Existenz nicht, sondern macht sich dieselbe nur bewusst. Wenn daher die Ichgewissheit einen Letztgrund für seine Existenz und damit auch von Körper, Gegenstandswelt und Mitmenschen sucht (was es nicht muss – diese Reflexion erfolgt in Freiheit), dann muss sie sich notwendig einen absoluten Grund voraussetzen, d.h. eine Selbstbegründung, die ideal und real zugleich ist, die also im Erkennen schafft und im Schaffen erkennt. Ein solches Wesen nennen wir traditioneller Weise GOTT. Ein bloß ideales Schaffen wäre zu wenig – es würde GOTT auf die Ebene der Ichgewissheit stellen und die Herkunft von Ichgewissheit, Körper, Gegenstandswelt und Mitmenschen bliebe weiterhin offen. Ein bloß reales Schaffen aber würde GOTT auf die Ebene des Nicht-Ich stellen und das Bewusst-Sein bleibe offen. Jeder Versuch nämlich, Bewusst-Sein aus (unbewusstem) Sein abzuleiten – was alle materialistischen Weltanschauungen versuchen -, muss scheitern, weil jedes Sein, das man als Ableitungsbasis wählt, bereits ein bewusstes Sein sein muss – denn von einem unbewussten Sein weiß man nichts und kann es daher auch nicht als Ableitungsbasis wählen. Damit ist zugleich jeder Materialismus in seiner Wurzel widerlegt.65 Exkurs: Wahrheit 66 Nur wenn Wahrheit so – d.h. als identisch mit GOTT – verstanden wird, ist gesicherte Erkenntnis möglich, weil nur dadurch einer übergeschichtlicher „Bezugspunkt“ der Erkenntnis vorhanden und 67 Erkenntnis als „Gewissheit von Etwas als wahr“ definierbar ist, was schon AUGUSTINUS sah . LAUTH widerlegt in seinem Werk drei gängige Thesen: „Erste These: ´Die Wahrheit ändert sich durch die Geschichte`: Die These besagt: Alle Geltungen und das Ganze dieser Geltungen haben nur während einer gewissen Geschichtszeit Wahrheit, werden durch neue, anderen Geltungen und ein Ganzes dieser Geltungen abgelöst und verlieren damit ihre vorherige Gültigkeit. Das gilt von den theoretischen Geltungen, von den Wertsetzungen wie von der 68 Sinngebung, und wiederum von diesen zusammen in ihrer Einheit“ Gegen diese These wendet LAUTH ein: „Wenn alle Wahrheit geschichtlich ist, so ist es auch die Wahrheit dieser These“ Wodurch kann sie überhaupt ihren Wahrheitsanspruch bewähren? Die „Allgemeingültigkeit des Behaupteten kann offensichtlich hier nicht das Bewährende sein“, denn die These erhebt ja gar nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit, sondern nur auf Geltung zu einer bestimmten Geschichtszeit. Vertreter dieser These berufen sich daher auch nicht auf apodiktische (logische) oder genetische 69 Evidenz , sondern auf Erfahrung, die aber kein Apriori sein können. Die These von der Geschichtlichkeit der Wahrheit stellt die Geschichte selbst in Frage. Denn: „Die Vergangenheit ist für uns doch nur, indem wir sie als (nunmehr allerdings inexistent gewordenen) Teil unserer Wirklichkeit auf die (existente) Gegenwart beziehen“, wobei das Subjekt das im Wandel Identische sein muss, sonst könnte es seine Vergangenheit gar nicht als seine wissen. „Hatte diese 65 „Nun kann doch jeder, wenn er sich nur besinnen will, inne werden, dass schlechthin alles Sein ein Denken oder Bewusstsein desselben setzt: dass daher das bloße Sein immer nur die Eine Hälfte zu einer zweiten, dem Denken desselben, sonach Glied einer ursprünglichen und höher liegenden Disjunktion ist, .....Die absolute Einheit kann daher ebenoswenig in das Sein als in das ihm gegenüberstehende Bewusstsein ...gesetzt werden ....“: FICHTE, W.-L. 1804, 2.Fassung, Erster Vortrag, X, 95 f. 66 Ich bringe hier einen kurzen Überblick über LAUTH, Wahrheit. 67 Besonders in seinen Soliloquia. 68 LAUTH, Wahrheit, 12. 69 S.o., 1.1. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 107 Vergangenheit eine andere Wahrheit, so muss es auch von dieser Wahrheit wissen“, d.h. von zwei 70 verschiedenen Wahrheiten, was zwei voneinander getrennte Bewusstseine fordern würde. „Zweite These: ´Die Erkenntnis der Wahrheit wandelt sich durch die Geschichte`“ Wird aber Erkenntnis als „Wissen in Evidenz“ verstanden – und anders kann man Erkenntnis nicht verstehen – „Wie könnte sich diese Erkenntnis wandeln?... Jedes in Evidenz Erkannte gilt zeitüberhoben...Das gilt nicht nur von der in der Transzendentalphilosophie vollzogenen Gesamterkenntnis des Prinzipiellen, es gilt auch von jeder Teilerkenntnis“. Neue Teilerkenntnisse können gewonnen werden, aber die 71 bisher gewonnenen Teilerkenntnisse wandeln sich dadurch nicht. „Dritte These: ´Die Applikation der erkannten Wahrheit wandelt sich durch die Geschichte`“. Durch diese These wird geleugnet, „dass die im Prinzip erkannte Wahrheit eindeutig auf das gegebene Wirkliche bezogen werden kann.“ Aber: „Kann ich die Wahrheit nur in ihren Prinzipien klar erkennen, während ich hinsichtlich der Beschaffenheit des Wirklichen nie zu einer eigentlichen Erkenntnis 72 kommen kann, so ist mir die Möglichkeit der Verwirklichung der Wahrheit genommen“ Ich habe die LAUTHsche Widerlegung der These der Geschichtlichkeit der Wahrheit aus zwei Gründen relativ ausführlich dargestellt, weil wir sie für die Auseinandersetzung mit PANNENBERGs Konzept noch benötigen werden. Die Voraussetzung der Ichgewissheit muss ein absoluter Grund sein, d.h. ein ideal und real schaffender Grund, und einen solchen Grund nennen wir traditionell GOTT. Die philosophische Disziplin, die nach einem solchen absoluten Grund fragt, ist die Religionsphilosophie. Das Axiom der Religionsphilosophie müsste daher lauten: Ichgewissheit als ideale Selbstbegründung als Abbild GOTTES als absoluter Selbstbegründung. Um Abbild zu sein73, muss Ichgewissheit Etwas mit ihrem Urbild gemeinsam haben, sonst wäre sie nicht Abbild – und das ist, dass sie ideale Selbstbegründung ist; und sie muss sich auch von ihrem Urbild unterscheiden, sonst wäre sie mit ihm identisch – und das ist, dass sie nur ideale und nicht zugleich auch reale Selbstbegründung ist. 74 Gegenstand der Religionsphilosophie ist daher nicht GOTT selbst – denn er bleibt philosophisch unerkennbar -, sondern die Relation Absolutes / Ichgewissheit, GOTT / Mensch. Diese Bildgewissheit kann auch als Glaube bezeichnet werden und ist das höchste Wissen, zu dem der Mensch von sich aus (d.h. ohne Einbezug der geschichtlichen Offenbarung) gelangen kann – FICHTE bezeichnet diesen (Vernunft)Glauben daher auch als absolutes Wissen : Es ist das Wissen der Relation GOTT – Mensch, Wahrheit - Bewusstsein75. GOTT Selbst bleibt unerkennbar, weil der Mensch von sich aus diese Relation nicht inhaltlich bestimmen kann – er könnte ja inhaltliche Bestimmungen nur aus dem Bereich sinnlicher Erfahrung wählen. Soll daher dieses Verhältnis inhaltlich bestimmt werden, so müsste dies durch GOTT Selbst erfolgen 70 LAUTH, Wahrheit,12-21. LAUTH, Wahrheit, 27 f. 72 LAUTH, Wahrheit, 37. 73 Vgl. DRECHSLER J. FICHTEs Lehre vom Bild, Stuttgart 1955; WIESER E., Studie zu einer Ebenbildlichkeitslehre im Anschluss an J.G.FICHTE, Diss., Wien 1969 74 Es ist eine rein historische Frage der FICHTEinterpretation, ob dies FICHTE bereits vor dem „Atheismusstreit“ von 1798 so gesehen hat oder ob ihn nicht gerade dieser Streit nötigte, das Verhältnis zwischen Absolutem und absolutem Ich zu präzisieren. Jedenfalls deutete FICHTE nach dem Atheismusstreit eindeutig „das Selbstbewusstsein ...als Manifestation GOTTES“ (PANNENBERG, Theol., 221) 75 Damit wird zugleich der fundamentale Unterschied in den Denkansätzen FICHTEs und HEGELs deutlich: für FICHTE ist das absolute Wissen das Wissen unserer Relation zu GOTT, während GOTT selbst unerkennbar bleibt. Für HEGEL ist absolutes Wissen Wissen des Absoluten und vom Absoluten zugleich, der Mensch nimmt also an der Selbsterkenntnis GOTTES teil – oder eher: GOTT kommt nur mittels der Menschheit zum Selbstbewusstsein. 71 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 108 – hier wird als Sinn und Ort einer geschichtlichen Offenbarung („übernatürlichen Offenbarung“) deutlich. Damit hat FICHTE den KANTschen Denkansatz weiterentwickelt: Während KANT geschichtliche Offenbarung nur als Hinführung zum Vernunftglauben gelten lässt für jene, die der philosophischen Deduktion nicht fähig sind76, sieht FICHTE den unverzichtbaren Eigenwert der geschichtlichen Offenbarung: GOTT kann inhaltlich nicht durch andere bestimmt werden, sondern muss Sich – soll der Mensch Näheres über Ihn wissen können - Selbst durch Offenbarung bestimmen. Die Feststellung, dass a priori nur Sinn und Ort von geschichtlicher Offenbarung, nicht aber deren Inhalte abgeleitet werden können – diese müssen in der Geschichte geoffenbart werden -, führt zur Unterscheidung / Bezogenheit von (Religions)Philosophie und Theologie: Philosophie und Theologie haben einen Überschneidungsbereich, nämlich die Religionsphilosophie. Diese ist für die Philosophie Teildisziplin, für die Theologie Grundlagenwissenschaft. Das allein würde aber keine Sonderstellung der Theologie und kein besonderes Naheverhältnis zur Philosophie bedingen. Da, wie bereits dargetan, Philosophie die Axiome aller Wissenschaften bzw. Wissenschaftsbereiche ableiten können muss, hat sie mit all diesen den (apriorischen) Grundlagenbereich gemeinsam, der dann von den Einzelwissenschaften inhaltlich und somit empirisch weiterbestimmt wird – oder umgekehrt: jede Einzelwissenschaft hat einen apriorischen Rahmen, der empirisch gefüllt wird77. So gesehen wäre Theologie eine Einzelwissenschaft neben anderen. Traditioneller Weise aber hat die Theologie ein besonderes Naheverhältnis zur Philosophie. Wie lässt sich dieses begründen ? Diese Sonderstellung der Theologie besteht darin, dass sie, wie Philosophie, auf Gesamtwirklichkeit gerichtet und somit keine Einzelwissenschaft ist – das ist ihre Gemeinsamkeit mit der Philosophie. Der Unterschied zur Philosophie besteht darin, dass Philosophie sich zur Erkenntnis der Gesamtwirklichkeit ausschließlich der Vernunft a priori bedienen darf (Vernunftglauben), während Theologie Vernunft und Offenbarung kombiniert ( Offenbarungsglauben)78. Dies ist biblisch grundgelegt ( Röm 1.19 ff.; Hebr 1,1-14) und auch dogmatisch definiert: „Dieselbe heilige Mutter Kirche hält fest und lehrt, dass GOTT, der Ursprung und das Ziel aller Dinge, mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen gewiss erkannt werden kann; ...jedoch hat es Seiner Weisheit und Güte gefallen, auf einem anderen und zwar übernatürlichen Wege Sich Selbst und die ewigen Ratschlüsse Seines Willens dem Menschengeschlecht zu offenbaren ...“ (DH 3004). Dieser Unterscheidung / Bezogenheit von „natürlicher“ /“übernatürlicher Offenbarung“ und damit von Religionsphilosophie und Theologie soll noch etwas bedacht werden. Schon im zwischenmenschlichen Bereich kann eine Person als Person nicht wie ein Gegenstand in Raum und Zeit begriffen werden. Soll eine Person als Person erkannt werden, muss sie sich einer anderen Person mitteilen („offenbaren“) und diese Selbstmitteilung erreicht erst dadurch ihr Ziel, dass ihr geglaubt wird. D.h. schon auf menschlicher Ebene gehören Offenbaren und Glauben 76 77 78 Vgl. dazu KANT, Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, besonders 4. Hauptstück SCHNEIDER P.K., Soz., Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1968,33. Die Termini sind nicht ganz glücklich gewählt, aber seit der Aufklärung üblich. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 109 zusammen und verweisen, da Offenbaren / Glauben nur prozesshaft möglich sind, immer auch auf Geschichtlichkeit (Freilich nicht in dem Sinn, dass wahre GOTTESerkenntnis oder gar GOTT Selbst in der Geschichte veränderbar wären, wohl aber in dem Sinn, dass die Teilerkenntnisse in der Geschichte zunehmen 79. Dies gilt natürlich umso mehr, wenn der Sich-Offenbarende GOTT ist, der uns unendlich viel mehr zu sagen hat als jeder Mensch. Durch Vernunft können wir erkennen, dass GOTT ist, durch Offenbarung, wie GOTT ist. Daher ist die Unterscheidung von „natürlicher“ und „übernatürlicher“ Offenbarung unverzichtbar, obwohl die Terminologie wohl eher in allgemeine und geschichtliche Offenbarung geändert werden sollte. Denn während in der Antike und im Mittelalter „Natur“ im Sinne von substantia oder essentia verstanden wurde, meint in der Neuzeit Natur den Inbegriff des in Raum und Zeit Erscheinenden und mit naturwissenschaftlicher Methodik Erfassbaren. Zum Abschluss dieses Abschnitts und als Übergang zum folgenden soll noch auf das Verhältnis von Religionsphilosophie und Glauben (religiösem Alltagsbewusstsein) etwas eingegangen werden. Wir kamen zur Ichgewissheit und zu ihrer Weiterbestimmung als Bildgewissheit durch eine zweifache Freiheitsentscheidung. Denn weder Ichgewissheit noch Bildgewissheit sind Tatsachen des Bewusstseins. Da, wie schon ausgeführt, Philosophie eine Nachkonstruktion des Alltagsbewusstseins ist, muss sich eine Entsprechung zu der doppelten Freiheitsentscheidung und zu der doppelten Gewissheit bereits im Alltagsbewusstsein nachweisen lassen. Wie bin ich mir im Alltag meiner reinen Ichgewissheit gewiss ? Immer dann, wenn ich nach dem Gewissen handle. Denn hier entscheide ich mich aus Freiheit, nicht nach meiner jeweiligen Bedürfnisstruktur zu handeln, sondern so, wie jeder Mensch an meiner Stelle handeln müsste80 In der Gewissensentscheidung handle ich als Mensch oder als reine Ichgewissheit. Wenn man nun im Alltag nach einer Letztbegründung des Gewissens fragt – was man nicht muss: es handelt sich also wieder um eine Freiheitsentscheidung -, gelangt man zur Annahme eines personhaften Letztgrundes, denn nur ein solcher kann eine unbedingte Forderung an mich richten und ihrer Erfüllung, trotz möglicher irdischer Schwierigkeiten, einen Letztsinn verleihen81. Die Annahme eines personhaften Letztgrundes nennen wir Glaube. Und da Theologie dieses religiöse Alltagsbewusstsein zum Gegenstand hat, kann sie als Glaubenswissenschaft bezeichnet werden. Darin stimmen wir mit THOMAS überein, nicht aber darin, dass die Axiome der Theologie auf Offenbarungswahrheiten beschränkbar seien und dass gerade darauf ihr Vorzug gegenüber anderen Wissenschaften beruhe: Theologie übertreffe die anderen Wissenschaften an Sicherheit: “denn die anderen Wissenschaften schöpfen ihre Gewissheit aus dem Lichte der menschlichen Vernunft, die irren kann; diese hingegen schöpft ihre Gewissheit aus dem Lichte der göttlichen Wissenheit, die nicht getrogen werden kann“82 – Das würde erstens zu einer einseitigen Überbewertung des Offenbarungsglaubens gegenüber dem Vernunftglauben führen und zweitens übersehen, dass der Mensch auch Offenbarungswahrheiten nur mittels seiner Vernunft erkennen kann: auch die 79 Vgl. unseren obigen Exkurs „Wahrheit“ KANTs Kategorischer Imperativ, auf den unten, 3.2, noch näher eingegangen wird. 81 KANTs Postulatenlehre der KdpV 82 S.th. I 1,5 (ed. J.BERNHART, Stuttgart 1985) 80 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 110 göttliche Weisheit kann nur mit menschlicher und nicht mit göttlicher Vernunft erfasst werden.. Da sittliches und religiöses Bewusstsein auf einer Freiheitsentscheidung beruhen, verfügen viele Menschen nicht darüber – sei es, dass sie beide Bereiche ablehnen, sei es, dass sie zwar den sittlichen Bereich bejahen, aber den religiösen leugnen. Wenn solche Menschen philosophieren, fehlt ihnen der religiöse oder sogar der sittlich-religiöse Bereich als Inhalt – was die Problematik vieler „moderner“ Denkansätze, die wir oben schon besprochen haben, erklärt. Philosophie thematisiert Wirklichkeit als Ganzes nur auf der Basis der Vernunft, Theologie kombiniert Vernunft und geschichtliche Offenbarung 3.4.8.2 Die Wertfrage und die Sonderstellung der wertenden philosophischen Disziplinen Seit KANT wurde die Aufgabenstellung der Philosophie präzisiert: In Abgrenzung zu den Einzelwissenschaften richtet sie sich auf Gesamtwirklichkeit, kann also die Wertfrage nicht ausklammern. WEBERs berühmte Forderung nach Wertfreiheit von Wissenschaft83 kann also nur die Wertfreiheit von Einzelwissenschaften meinen und liefert damit ein neues Abgrenzungskriterium von Philosophie und Einzelwissenschaften. Denn wie die Einzelwissenschaften von der Bewusstheit ihrer Inhalte abstrahieren, so abstrahieren sie auch davon, was diese Inhalte für uns bedeuten, was sie uns wert sind, und ob es für diese Bewertung auch objektive - im Sinne von: für jeden Menschen verbindliche – Wertmaßstäbe gäbe. Im Gegensatz zu den Einzelwissenschaften thematisiert Philosophie also die Wertfrage, besonders in ihren Disziplinen Rechtslehre, Ästhetik, Ethik und Religionsphilosophie; aufgrund ihres bereits besprochenen Naheverhältnisses zur Philosophie kann auch Theologie die Wertfrage nicht ausklammern, ergänzt (nicht ersetzt !) aber die vernünftigen Wertmaßstäbe der Philosophie durch geoffenbarte. Diese Auffassung einer Arbeitsteilung zwischen Philosophie und Theologie einerseits, Einzelwissenschaften andererseits auch bzgl. der Wertfrage ist allerdings nicht unumstritten. Sowohl die positivistischen als auch die hermeneutischen Denkansätze wollen nämlich die Forderung nach Wertfreiheit auch auf die Philosophie ausdehnen, da die verschiedenen Wertungen empirisch nur festgestellt, aber nicht empirisch begründet werden können. Was wäre die Konsequenz? Dann würden Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, vergleichende Kunstwissenschaft und Kunstphilosophie (Ästhetik), vergleichende Moralwissenschaft und Moralphilosophie (Ethik), vergleichende Religionswissenschaft und Religionsphilosophie zusammenfallen. Und alle diese Wissenschaften müssten zu den Geisteswissenschaften gerechnet werden, weil sie ja allesamt menschliches Handeln bzw. dessen Ergebnisse zum Gegenstand haben. Da mit dem schon beschriebenen geisteswissenschaftlichen Methodentyp keine intersubjektiv begründbare Wertung der von diesen Wissenschaften thematisierten Wertungen vorgenommen werden kann, würde die Wertfrage subjektiver Willkür preisgegeben. 83 WEBER M., Vom Sinn der Wertfreiheit der Sozialwissenschaften, in: Soziologie, weltgeschichtliche Analyse, Politik, ed. J. WINCKELMANN, Stuttgart 1956, 2.Aufl., bes. 265. 272: Die wertende Beurteilung der norma-tiven Dignität praktischer Wertungen gehöre in die Wertphilosophie. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 111 Dies kann nur dadurch vermieden werden, wenn man objektive, d.h. intersubjektiv überprüfbare, Wertmaßstäbe nachweisen kann, was Aufgabe der Philosophie ist. Genauer: Die Philosophie bzw. ihre einschlägigen Disziplinen müssen im Alltagsbewusstsein objektive Wertmaßstäbe auffinden und als objektiv gültig begründen. Dafür ist die Grundfrage KANTs nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori - KANT stellt und beantwortet sie in allen drei seiner Kritiken – unabdingbar. KANT stellte sie erstmals ausdrücklich in der KdrV84: Wenn nur synthetische Urteile a posteriori möglich wären, könnte man Erkenntnis nur mittels Empirie erweitern – und alle nicht-empirischen Problemstellungen, also auch das Wertproblem, wären nur subjektiv entscheidbar – Bewertungen könnten nur festgestellt und aus der jeweiligen empirischen Bedürfnisstruktur des Wertenden erklärt, aber ihrerseits nicht bewertet werden. Dagegen versuchte KANT objektive Wertmaßstäbe für Erkenntnis, Ästhetik, Recht /Ethik und Religion nachzuweisen. Wir fassen seine Ergebnisse kurz zusammen: In der KdrV suchte KANT nachzuweisen, dass jede Erkenntnis apriorische Konstitutionsmomente enthält (Anschauungs- und Verstandesformen), bloße Sinneswahrnehmung daher keine Erkenntnis darstellt. Vielmehr ist Erkenntnis immer eine Synthesis von Anschauung und Verstandestätigkeit mittels der Zeit. Im ersten Teil der KdU weist KANT nach, dass ästhetische Urteile nicht bloß subjektiv sind, weil sie nicht in der empirischen und daher subjektiven Bedürfnisstruktur des Menschen fußen. Vielmehr beruht das ästhetische Wohlgefallen auf der Harmonie zwischen der Form eines erkannten Gegenstandes mit den bei allen Menschen gleichen Erkenntnisstrukturen – KANT nennt dieses Wohlgefallen daher „interesselos“, ein etwas missverständlicher Ausdruck: er meint jedenfalls die Unabhängigkeit von der 85 Triebstruktur . In der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und in der KdpV zeigt KANT für die Bereiche Recht und Ethik, dass der subjektive und zufällige sinnlich bestimmbare Wille des Menschen nur dadurch objektiv und allgemeingültig wird, dass er sich durch das Moralgesetz bestimmen lässt : sein subjektives Handlungsmotiv („Maxime“) muss als objektives Gesetz gelten können - oder, was dasselbe meint, er muss allgemeingültig 86 handeln wollen . Dieser Wertmaßstab kann – weil allgemeingültig – nicht als subjektiv bezeichnet werden. Der ethische Wertmaßstab verlangt eine äußere und innere Übereinstimmung mit dem so verstandenen Gesetz und impliziert daher den bloß rechtlichen Wertmaßstab, der eine nur äußere Übereinstimmung mit dem Gesetz fordert: jedes Glied einer Gesellschaft solle seine Freiheitsäußerungen so weit einschränken, 87 dass sie mit denen der anderen zusammenbestehen können . Dabei weist der Rechtsstandpunkt notwendig über sich hinaus auf den sittlichen: denn einerseits sind Freiheitsäußerungen kontrollierbar und notfalls erzwingbar (Sanktionsfähigkeit des 84 KdrV, B 19. A. GEHLEN (Anthropologische Forschung. Zur Selbstbegegnung und Selbstentdeckung des Menschen, Reinbek bei Hamburg 1961) hat die Möglichkeit ästhetischer Urteile zusätzlich von der Biologie her begründet: Im Tierreich sind die Auslöser von bestimmten Instinktabläufen (die „Schlüsselreize“) etwas Seltenes (in Farbe, Form, etc.), da andernfalls die Reaktionen ununterbrochen ablaufen würden. Da aber beim Menschen Auslöser und Instinkte entdifferenziert sind, die Eigenschaft der Seltenheit und Auffallendheit natürlicher Auslöser aber bleibt, gibt es für den Menschen nur "Auslöser überhaupt", d.h. Dinge, die vor anderen Dingen eine positive Bewertung als etwas Außerordentliches erfahren, doch ohne dass diese positive Bewertung ein bestimmtes Handeln auslöst. Die Beurteilung solcher Naturgegenstände erfolgt durch die Prädikation „schön“ (Naturschönes). Sekundär kann dieses interesselose Wohlgefallen auch zu einer spezifischen Handlungsweise führen, nämlich zur Produktion schöner Gegenstände (Kunstschönes). 86 Erstmals formuliert in der GMS, A 16, B 51 f.: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“. 87 KdrV, A 316, B 373, u.ö.; GMS 8-16. 85 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 112 Rechts), andererseits könnte eine Gemeinschaft, in der alle oder doch die meisten Glieder zum Recht gezwungen werden müssten, nicht bestehen – denn: Wer zwänge 88 dann wen ? Die Frage der religiösen Bewertung schließt KANT eng an die Ethik an. Das Moralgesetz gilt zwar unbedingt, bedarf aber zu seiner Sinngebung – da im gegenwärtigen Leben Tugend und Glückseligkeit offenbar nicht adäquat miteinander verknüpft sind - GOTT und Unsterblichkeit. Da das Moralgesetz objektiv gilt, gelten auch die Forderungen („Postulate“), dass es GOTT und Unsterblichkeit geben müsse, 89 objektiv . Bis hierher – dass religiöser Glaube, sofern er a priori jedem Menschen möglich ist, in Moral fundiert ist -, können wir KANT folgen. Nicht aber darin, dass er Religion letztlich auf Moral reduziert, indem er geschichtliche Offenbarung bloß als Vernunftersatz für das einfache Volk gelten lässt und daher Offenbarungsglauben nicht als notwendige Ergänzung, sondern als bloße Hinführung zum Vernunftglauben ansieht90. Daher haben wir die Hinführung zu Religion und damit zu religiösen Werturteilen auch nicht über KANT, sondern über FICHTE versucht. 3.4.8.3 Die Theologie als Wertwissenschaft Wie oben ausgeführt, ist für FICHTE die Bildgewissheit die höchstmögliche Weiterbestimmung der Ichgewissheit. Nun sind aber sowohl Ichgewissheit als auch Bildgewissheit allen Menschen gemeinsam und insofern allgemeingültig, wenn (Freiheit!) wir - auf der Ebene des Alltagsbewusstseins - nach unserem Gewissen bzw. nach dessen Letztbegründung fragen oder – auf der Ebene der Philosophie – nach der Basis allen Wissens bzw. dessen Letztbegründung. Da allgemeingültige Erkenntnisse immer formal sein müssen, können sich Gewissen und Vernunftglauben nicht inhaltlich voneinander unterscheiden, d.h. der Vernunftglaube kann nichts anderes fordern als es das Gewissen tut, was KANT richtig gesehen hat, sondern er bietet nur eine andere Betrachtungsweise, indem er dem Gewissen eine Letztbegründung verleiht. Anders hingegen verhält es sich mit der Theologie, die Vernunft- und Offenbarungsglauben thematisiert. Anerkennt man nämlich, dass GOTT personhaft ist und Sich in der Geschichte offenbaren kann, so kann Er an konkrete Individuen Forderungen stellen, die über das Moralgesetz hinausgehen - ja, es ist zu fragen, ob Menschen nicht gerade dadurch zu konkreten Individuen werden. Auf beides – auf die konkreten Forderungen und auf die Frage der Individuation muss etwas eingegangen werden. Zunächst zu den über die moralische Ebene hinausgehenden Forderungen. Aus dem bisher Gesagten dürfte klar sein, dass solche Forderungen dem Moralgesetz nicht widersprechen dürfen, wohl aber mehr verlangen dürfen als dieses. Dies ist im AT nicht immer gewährleistet, was zeigt, dass auch das sittlich-religiöse Bewusstsein der Menschen irren kann und an Erkenntnissen wächst - so etwa würden die Forderungen nach Opferung des ISAAK (Gen 22,1-19) oder nach Vollziehung des Bannes (etwa 1 Sam 15, 1-35) dem Moralgesetz widersprechen. Im NT hingegen 88 Diese Frage wäre auch kirchlicherseits interessant: die Kirche leistet einen wesentlichen Beitrag zur sittlichen und damit auch zu rechtlichen Erziehung der Staatsbürger – eine Leistung, die staatlicherseits kaum honoriert wird. 89 KdpV, bes. A 215 ff., B 216 ff. 90 Vor allem im Vierten Stück der RGV. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 113 und daran anknüpfend in der späteren Kirchengeschichte – finden sich zahlreiche Forderungen, die nicht an alle, sondern an ganz bestimmte Menschen ergehen und über den moralischen Bereich hinausweisen. Hier sind besonders zu nennen die Berufungen in die Nachfolge im engeren Sinn, die Evangelischen Räte und die Gemeindeethik der Bergpredigt - denn hier geht es nicht um eine Unterbietung der Ethik, sondern immer um eine Überbietung. Gerade deswegen sind diese Forderungen nicht allgemeingültig, sondern sinnvoll nur auf der Basis des Glaubens an den GOTT der Bibel und sinnvoll nur für bestimmte Menschen. Dieses Angesprochenwerden ganz bestimmter Menschen führt auf eine andere Sichtweise der die Philosophiegeschichte durchziehenden Frage nach dem Individuationsprinzip. Muss man nicht annehmen, dass Sich GOTT im Gewissen nicht nur allgemeingültig äußert, sondern auch mit je konkreten Forderungen an den je konkreten Menschen? Dann würde der Mensch umso mehr zum Individuum, je mehr er sich dem Bild nähert, das GOTT von ihm hat - m.a.W.: Individuationsprinzip wäre dann das Idealbild, das GOTT von jedem Menschen hat (tiefenpsychologisch gesprochen: das Selbst JUNGs), und der Mensch würde umso mehr Individuum, je mehr er dieses Idealbild erreicht. Und wir hoffen, dass die Differenz zwischen dem, was wir von unserem Idealbild realisieren konnten, und dem Idealbild selbst im Tod aufgehoben wird („Fegfeuer“). Zusammenfassend kann also gesagt werden: Das Naheverhältnis der Theologie zur Philosophie bleibt bestehen – beide thematisieren Gesamtwirklichkeit und müssen daher die Wertfrage einschließen -, der Unterschied (Philosophie: nur Vernunft / Theologie: auch geschichtliche Offenbarung) bestätigt sich auch in der Verschiedenheit ihrer Werturteile: die der Philosophie müssen a priori abstützbar sein, die der Theologie müssen die geschichtliche Offenbarung miteinbeziehen, was auch die Frage nach der Verwendung der hermeneutischen Methode in der Theologie neu aufwirft und den Unterschied von Moralphilosophie und Moraltheologie nach sich zieht. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 114 Bildgewissheit =Ichgewissheit Ich Nicht-Ich Körper Mitmenschen F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP 4 Seite 115 Literaturverzeichnis AUGUSTINUS Au., Soliloquia, MIGNE/ Patrologie, series Latina, 885 ff. 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F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 117 F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 118 SELBSTPRÜFUNGSFRAGEN und LITERATUREMPFEHLUNGEN Selbstprüfungsfragen FTH 1) Die Erschwerung von Glauben, Glaubensverkündigung und Theologie in der Neuzeit 2) Du-Glaube, Sinnfrage, Gewissen und Wahrheits-Frage als Hinführung zur Annahme eines Transzendenzbereiches 3) Die Problematik der sogenannten GOTTESbeweise und des Sprechens über GOTT 4) Die Wechselbeziehung von Vernunftglauben und Offenbarungsglauben 5) Die geschichtliche Offenbarung GOTTES bis zu ihrem Höhepunkt in JESUS CHRISTUS 6) Die Heilsbedeutung des Todes und der Auferstehung JESU CHRISTI 7) Interpretation des öffentlichen Wirkens und der Person JESU CHRISTI von der Ostererfahrung her 8) Der Glaube an den präexistenten SOHN und an den GEIST 9) Sammlung Israels durch auferstandenen CHRISTUS den irdischen, Kirchengründung durch den 10) Der Wechselbezug von GOTTESREICH und Kirche und die Grundaufgaben der Kirche 11) Schrift und Irrtumslosigkeit, Lehramt und Unfehlbarkeit 12) Grundzüge christlicher Theodizee und Eschatologie 13) Die Theologie als Glaubenswissenschaft EMPFOHLENE LITERATUR Folgende Fundamentaltheologien sind besonders zu empfehlen: FRIES H., Fundamentaltheologie, Graz-Wien-Köln 1985. KERN W.-POTTMEYER H.J.-SECKLER M., Handbuch der Fundamentaltheologie, 4 Bände, Freiburg-Basel-Wien 1985-1988. KNAUER P., Der Glaube kommt vom Hören. Ökumenische Fundamentaltheologie, Graz-Wien-Köln 1978. F u n d a m e n t a l t h e o l o g i e © Sr.Dr. Katharina Deifel OP Seite 119 RAHNER K., Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums, Freiburg-Basel-Wien 1976. WALDENFELS H., Kontextuelle Fundamentaltheologie, Paderborn- München-WienZürich 1988, 2.Aufl. Die übrige Literatur ist jeweils den Anmerkungen zu entnehmen.