Biblische Exegese (= Auslegung) Die Biblische Exegese, die Auslegung der Bibel als Heilige Schrift in der christlichen Theologie, klärt die Bedeutung eines biblischen Texts. Die biblische Exegese hat in ihrer reflektierten, wissenschaftlichen Form wechselseitig die Bemühungen von Philologie, Rechtswissenschaft und einer sich entwickelnden Literaturwissenschaft unterstützt und verwertet. Insofern ist sie am Entstehen einer allgemeinen methodischen Exegese beteiligt gewesen. Schon innerhalb der ersten Generationen des Christentums finden sich Beispiele dafür, dass neutestamentliche Texte nicht klar zu verstehen waren. So bescheinigt der 2. Petrusbrief den Briefen des Paulus und anderen Schriften, dass in ihnen "einige Dinge schwer zu verstehen sind" (2. Petr 3,16). Hermeneutik und Exegese Oft wird biblische Exegese mit Biblischer Hermeneutik verwechselt oder gleichgesetzt, aber die beiden sind nicht identisch. Exegese ist die praktische Auslegung eines biblischen Textes, Hermeneutik klärt die Ziele und Beweggründe für diese Auslegung. Stationen in der Geschichte der Biblischen Exegese Jüdische Exeges Ein frühes Zeugnis biblischer Exegese ist schon der jüdische Talmud. Die Auslegung geschieht hier unter der Annahme, dass alle sprachlichen Einzelheiten und bisweilen auch die Schreibung der Wörter des Alten Testaments von Gott direkt veranlasst worden seien und Botschaften von Gott enthielten, die jeden Bereich des täglichen Lebens regeln. Das Alte Testament sei also direktes Wort Gottes. Bedeutend in der Formulierung der jüdischen Auslegungsmethodik sind die sieben Auslegungsregeln des Rabbi Hillel, von denen einige auch in den Predigten Jesu verwendet wurden, und später die 13 Auslegungsregeln des Rabbi Jischmael. Christliche Exegese Entsprechend der klassischen philologischen Schule in Alexandria stellte Origenes (ca. 185 - 254) für die Bibel die Theorie vom „mehrfachen Schriftsinn“ auf. Demzufolge reichte nicht die rein literarisch-philologische Analyse des Textes. Dem einfachen Gläubigen genügte dieser geschichtliche Sinn, jedoch sollte die Exegese für Geübtere auch den seelischen Sinn erheben und für Vollkommene der geistig-geistliche Sinn festgestellt werden. Dieser Dreischritt somatische - psychische - pneumatische Exegese wurde dann durch Johannes Cassianus im 5. Jahrhundert zur Theorie vom vierfachen Schriftsinn ausgebaut, die für das gesamte Mittelalter prägend war. Ähnlich wie in der jüdischen Tradition der Bibelauslegung (siehe PaRDeS) tritt zur historisch-literalen Exegese nun ein Dreischritt, der sich am Schema Glaube-Liebe-Hoffnung orientiert. Literalsinn (wörtliche, geschichtliche Auslegung) Allegorischer Sinn (Interpretation „im Glauben“) = dogmatisch Tropologischer Sinn (Interpretation „in Liebe“) = moralisch Anagogischer Sinn (Interpretation „in Hoffnung“)= endzeitlich Damit stand die Frage einer mehrdeutigen Schrift im Raum. Da aber nach eindeutigen Auslegungen gefragt wurde, setzten hier Reformbemühungen ein. Die Reformatoren lehnen im Einklang mit dem in der Renaissance neu entdeckten historischen Bewusstsein den vierfachen Schriftsinn ab. Sie wollen historisch (und auch theologisch) „zu den Quellen“ (ad fontes). Sie fragen allein nach dem Wortoder Literalsinn (sola scriptura). Vielfach kam es im protestantischen Raum zur Vorstellung einer „Verbalinspiration“, d. h. die Bibel sei Wort für Wort vom Heiligen Geist inspiriert und somit im wortwörtlichen Sinne unfehlbar. Damit stellte sich dann aber die Frage, ob das ausreicht. Die reformatorische Hermeneutik beantwortete das mit der theologischen These vom „Wort Gottes“, das alleinige Autorität hat und für sich spricht. Damit spitzte sich die Frage nach dem Verstehen zu und die neuzeitliche Hermeneutik entwickelte sich - zunächst als typisch protestantische Ergänzung der Exegese. Eine entsprechende Verdeutlichung der katholischen Position erfolgte auf dem Konzil von Trient (1545-1563), als die mehrdeutige Schrift unter die Autorität von kirchlichem Lehramt gestellt wurde: Ohne das (bischöfliche bzw. päpstliche) Lehramt bleibt die Bibel zweideutig. Durch die enge Anlehnung der Bibel an die kirchliche Tradition bildete sich zunächst explizit keine Hermeneutik heraus. Die Exegese seit der Aufklärung reagierte insbesondere auf die altprotestantische (lutherische) Orthodoxie des 16. und 17. Jahrhunderts, die den Literalsinn mit „Gottes Wort“ gleichsetzte und somit den Bibeltext erneut mit einem bis ins Äußerste verfeinerten Regelwerk umgab. Die sich als wissenschaftlich verstehende Exegese der Aufklärung propagierte dagegen die Trennung von Literalsinn der Bibel und „Wort Gottes“ in der Bibel. Damit konnte der Bibeltext mit nun sich schnell entwickelnden philologischen und historischen Methoden untersucht werden, wogegen die Dogmatik (insbesonders die Schriftlehre) und die Biblische Hermeneutik sich um das Verstehen der analysierten Texte kümmern sollte. Der konservative Protest gegen die Bibelauslegung der Aufklärung firmierte im 19. Jahrhundert unter dem Stichwort Repristinationstheologie: Es war der Versuch, den früheren, voraufklärerischen Umgang mit der Bibel wiederherzustellen. Die Repristinationstheologie konnte sich allerdings nicht durchsetzen. Wenn auch eine absolut objektive Exegese nicht möglich ist, so sind doch ihre Ergebnisse heutzutage zwischen katholischen und evangelischen (und mit Einschränkung auch orthodoxen) Theologen im akademischen Bereich weithin ähnlich. Die Verwertung der Ergebnisse einer exegetischen Standardanalyse jedoch kann sehr unterschiedlich sein. Allgemeines zur biblischen Exegese [Bearbeiten] In der heutigen Zeit gibt es verschiedene exegetische Methoden, die sich bezüglich ihrer Voraussetzungen und Methoden mehr oder weniger stark unterscheiden. Allen gemeinsam ist, dass sie sich bemühen, den ausgewählten Textabschnitt der Bibel (die "Perikope") sachgemäß und fachgerecht auszulegen (Als "Schriftauslegung" bezeichnet man umgangssprachlich ja die Interpretation eines Textes (einer Schrift): Im engeren Sinne ist damit die Auslegung einer Heiligen Schrift gemeint, so z.B. der Bibel (Biblische Exegese) oder des Koran). Einführend wird hier also zunächst versucht, das Vorgehen einer sachgerechten Schriftauslegung am Beispiel der Bibelauslegung (Exegese) für theologische Laien verständlich zu erklären und zu begründen: Damit nicht jeder aus der Bibel die Ansichten heraushebt und für allein gültig erklärt, die ihm persönlich „in den Kram“ passen, sollten bei der Auslegung der Bibel („Exegese“) bestimmte Regeln beachtet werden, so z.B. dass Einzelverse nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden dürfen, dass die Aussageabsicht des Verfassers in seinem ursprünglichen historischen, sozialen und politischen Kontext erforscht werden muss usw. (Beispiel: Man kann nicht davon ausgehen, dass mit dem Verbot des Blutvergießens im AT gemeint sei, dass eine Bluttransfusion gegen ein göttliches Gebot verstoße). Nach Auffassung vieler Christen – mit Ausnahme von Fundamentalisten – ist die Bibel weder ein in jedem einzelnen Buchstaben unfehlbares, wörtlich zu befolgendes Buch, noch ist sie eine belanglose Sammlung alter und somit überholter Märchen und Legenden. Viele Erzählungen, seien sie auch noch so alt, enthalten - neben vielerlei Inhalten symbolischer Bedeutung - historisch zuverlässige Kerne, die später archäologisch belegt werden konnten. Auch enthalten sie Lebenserfahrungen und „weisheiten“ vieler Generationen, Erfahrungen von Liebe und Leid, Tod und „Schicksal“, aus denen man lernen kann (und die man, ihrer Schmerzhaftigkeit wegen, nicht alle selbst machen muss), - Erfahrungen, die schließlich den Glauben an Gott bewirkt haben und aus diesem Glauben heraus auch gedeutet worden sind. Als Hilfsangebot zur Verarbeitung von Erfahrungen aller Art, als Deutungs- und/oder Sinnangebot an jeden einzelnen Menschen wird die Bibel auch heute noch von ihren Befürwortern für wichtig gehalten. Methoden der Exegese (I): Die historisch-kritische Methode Die verbreitetste Methode der biblischen Exegese ist die sogenannte "historischkritische Methode". Sie hat zum Ziel, einen biblischen Text in seinem damaligen historischen Kontext auszulegen, wobei die Rekonstruktion der vermuteten Vorgeschichte des Textes eine besondere Rolle spielt. Historisch gesehen ist sie eigentlich keine einheitliche Methode, sondern ein buntes Gemisch aus verschiedenen Fragestellungen, die v.a. seit der Aufklärung von wissenschaftlicher Seite her an die Bibel gestellt wurden. Sie gilt bis heute in der evangelischen und katholischen Theologie als Standardmethode der Bibelauslegung, auch wenn die exegetische Fachdiskussion sich seit den 1970er Jahren immer stärker auch anderen Auslegungsansätzen zuwendet (s.u.). Die Anwendung der historischkritischen Methode auf die Bibel setzt voraus, dass biblische Exegese "ein Stück Geschichtswissenschaft" (R. Bultmann) sei, da es sich beim Bibeltext um ein geschichtliches Dokument handelt. (Bisweilen wird diese Texttheorie als einseitig kritisiert, daher neuerdings auch die Beschäftigung mit anderen Ansätzen.) Die Auslegung von Bibelabschnitten in ihrem historischen Kontext macht einem zum Beispiel bewusst, dass Jesus Jude war, oder dass die Regel "Auge um Auge, Zahn um Zahn" zum damaligen Zeitpunkt ein echter menschenrechtlicher Fortschritt war. Andererseits hat die historisch-kritische Methode aus theologischer Sicht den Nachteil, dass sie nur schwer den Bezug zum konkreten heutigen Glaubensleben herstellen kann und über den Detailproblemen häufig das Ganze des (End-)Textes aus dem Blick verliert. Siehe auch: Historisch-kritische Methode Die folgenden Schritte der historisch-kritischen Methode sind üblicherweise Bestandteil der exegetischen Seminare im Theologiestudium: 1. Textkritik 2. Übersetzung 3. Textanalyse 4. Literarkritik 5. Formkritik 6. Traditionsgeschichte 7. Motivgeschichte 8. Religionsgeschichte 9. Redaktionsgeschichte 10. Zusammenfassende Interpretation Im Einzelnen: 1. Textkritik: Vergleich der Handschriften Bevor man sich der Auslegung eines biblischen Textes widmen kann, stellt sich zunächst die Frage: Welcher Text ist überhaupt gemeint? Da der biblische Text bis zu Gutenberg handschriftlich überliefert werden musste, haben sich im Laufe der Jahrhunderte manche Abschreibfehler oder gutgemeinte Korrekturen in den Text geschlichen. Der in der Reformationszeit bekannte Bibeltext, der Textus Receptus, unterschied sich daher vom heute rekonstruierten Bibeltext an einigen Stellen, wenn auch meist nur in Details. Als Textgrundlage gelten heute Handschriften und Handschriftenfragmente aus dem 2.-4. Jh. n. Chr. für das Neue Testament, und für das Alte Testament ein vollständiges hebräisches Manuskript um 1000 n. Chr., dessen Texttreue jedoch durch die Funde von Qumran bestätigt ist. Unsere neueren Bibelübersetzungen berücksichtigen bereits die jeweils aktuellen Forschungsergebnisse. Auch die hebräische Textausgabe des Alten Testaments (Biblia Hebraica Stuttgartensia) und die griechische Textausgabe des Neuen Testaments (E. Nestle/K. Aland, Novum Testamentum Graece) enthalten Anmerkungen, an welchen Stellen des Bibeltextes unterschiedliche Textvarianten in den ältesten Handschriftenfunden existieren. Die erste Aufgabe des Exegeten ist es also, die Handschriften nach Quantität und Qualität sowie nach weiteren Kriterien abzuwägen und zu entscheiden, welche Lesart die ursprüngliche ist. Wissenschaftliche Kriterien für die Textkritik wurden zuerst von Johann Albrecht Bengel (1687-1752) entwickelt, einem bekannten Vertreter des Pietismus. Fast immer kann man heute aus guten Gründen entscheiden, warum eine bestimmte Lesart in einem Manuskript einer anderen Lesart vorzuziehen ist, eine "absolute" Sicherheit gibt es jedoch nicht. 2. Übersetzung aus dem Hebräischen bzw. Griechischen Nachdem der ursprüngliche hebräische bzw. griechische Text festgestellt worden ist, kann er ins Deutsche übersetzt werden. Das erfordert vom Exegeten möglichst gute Kenntnisse in Althebräisch und Altgriechisch (einige Kapitel des Alten Testaments sind außerdem in Aramäisch verfasst) - weswegen ein/e TheologiestudentIn bis heute diese alten Sprachen erlernen muss -, zum anderen ist auch Grundwissen in Linguistik und Übersetzungswissenschaft nötig. Man muss verstehen, wie Sprachen funktionieren. Es gibt auch im Hebräischen und Griechischen Phänomene wie Polysemie (Mehrdeutigkeit), Stilmittel, sprichwörtliche Wendungen, Poesie usw., die auch als solche verstanden werden sollten. Manche Begriffe müssen im Deutschen durch längere Ausdrücke umschrieben werden. Der Exeget/die Exegetin muss also eine gute Balance halten können zwischen einer sklavischen Wort-für-WortÜbersetzung, die aber das tatsächlich Gemeinte nicht erschließt, und zwischen freien Umschreibungen, die zwar den Inhalt gut erfassen, aber sich sehr weit vom Wortlaut des ursprünglichen Textes entfernen. Wer sich eine deutsche Bibel kaufen will, hat die Wahl zwischen formtreuen Übersetzungen (z.B. die Elberfelder Bibel), inhaltstreuen Bibelübersetzungen (z.B. die Gute-Nachricht-Bibel) und den Übersetzungen der "Mitte" (Lutherübersetzung, Einheitsübersetzung). Siehe auch Bibelübersetzung 3. Textanalyse: Die Struktur des Textes Zwar hat der/die BibelauslegerIn an dieser Stelle bereits eine vorläufige deutsche Übersetzung des Textes zur Hand, doch beziehen sich alle folgenden Schritte um der Exaktheit willen grundsätzlich auf den hebräischen bzw. griechischen Text. Der hier aufgeführte dritte Schritt der Textanalyse gehört zwar eigentlich nicht zur klassischen historisch-kritischen Methode, wird aber in neueren Methodenbüchern schon eigens berücksichtigt. Während die klassische historisch-kritische Methode sich vor allem darauf konzentrierte, die vermutete Entstehungsgeschichte des Bibeltextes zu rekonstruieren ("diachron"), geht man in der Exegese neuerdings verstärkt dazu über, den Bibeltext als solchen in seiner Endgestalt zu betrachten ("synchron"). Bevor man den Text in seine Vorstufen "zerlegt", solle er zunächst auch selbst zur Geltung kommen. Dazu wird bei der Textanalyse auf Methoden aus Linguistik und Literaturwissenschaften zurückgegriffen: auf die Erstellung von Wortfeldern aus Begriffen des Textes, auf die Struktur und Entfaltung der "Story" sowie auf die Zeichnung der Erzählfiguren durch den biblischen Erzähler (Erzähltheorie), auf das Aktantenmodell von Greimas oder auf die Semantische Strukturanalyse (Neudorfer/Schnabel 1999, 69ff), welche den linguistischgrammatischen Aufbau eines Textes nachzeichnen hilft. 4. Literarkritik: Rekonstruktion der Quellen Die biblische Exegese sieht es außerdem als eine ihrer Hauptaufgaben an, mittels Literarkritik die schriftlichen Quellen des Bibeltextes zu rekonstruieren. Im Gegensatz zur literaturwissenschaftlichen Textanalyse ist die Literarkritik sehr alt. Die Methode der Literarkritik entstand in der Bibelexegese im 18. und 19. Jahrhundert aus dem Bedürfnis heraus, die Widersprüche, Spannungen, Doppelungen und sprachliche Unterschiede zwischen Bibeltexten zu erklären. Entsprechende Beobachtungen wurden schon zur Zeit der Alten Kirche gemacht, stellten aber damals noch kein echtes Problem dar (für Origenes zeigten die Widersprüche zwischen den Evangelien, dass der Leser auf den geistlichen und nicht den wörtlichen Sinn der Bibel achten müsse; Augustinus dagegen versuchte die Harmonie der Evangelien nachzuweisen). Mit dem Erwachen des historischen Bewusstseins in der Aufklärungszeit musste die Bibelexegese jedoch eine historische Antwort auf das Problem der Widersprüche geben, zum anderen wollte man nun auch die ältesten, ursprünglichsten Quellen herausarbeiten, denen der höchste historische Wert zugemessen wurde. Die Literarkritik versucht also zu klären, ob der Autor eines Bibeltextes auf schriftliche Quellen zurückgegriffen hat. Vor allem bei alttestamentlichen Texten, aber auch bei einigen neutestamentlichen Texten ist wohl vorauszusetzen, dass der einzelne Bibeltext eine lange Vorgeschichte besitzt, also aus verschiedenen Quellen zusammengesetzt ist und dabei immer wieder überarbeitet wurde. Das Ziel ist letztlich, die Texte der verschiedenen Redaktionsstufen möglichst im Wortlaut zu rekonstruieren. Wie aber findet man Quellen und Bearbeitungen heraus, wenn es keine externen Hinweise gibt? Im Buch Genesis wurde beispielsweise beobachtet, dass einige Textpassagen von Gott als "Jahwe" sprechen (der israelitische Gottesname), andere Texte beschreiben ihn einfach als "Elohim" (= Gott), und wieder andere Texte mischen diese Gottesbezeichnungen. In Verbindung mit anderen Beobachtungen wurde daraus geschlossen, dass zwei Quellen zugrunde gelegen haben müssen, die eine sei vom Jahwisten, die andere vom Elohisten geschrieben. Oder aus sprachlichen und inhaltlichen Gründen kann man Jesaja 4055 und 56-66 anderen Autoren zuweisen als (der Grundtext von) Jesaja 1-39 usw. Um unterschiedliche Quellen voneinander abzugrenzen, achtet man auf das unvermittelte Auftauchen neuer Personen, Orte, Zeitangaben oder anderer Themen, auf Widersprüche oder fehlende Bezüge zwischen einzelnen Versen oder auf Wiederholungen im Text, die einen straffen Erzählablauf stören. Die wichtigsten literarkritischen Hypothesen wurden im 19. Jahrhundert entwickelt und gelten in modifizierter Form bis heute, zum Beispiel die JEDP-Hypothese beim Pentateuch oder die Zweiquellentheorie bei den Synoptischen Evangelien. Allerdings sind viele Exegeten inzwischen vorsichtiger geworden, mehrere Vorstufen eines Bibeltextes wörtlich zu rekonstruieren, weil die Kriterien der Quellenscheidung zum Teil sehr subjektiv sind und die Zahl der - einander widersprechenden - literarkritischen Entstehungshypothesen heute fast unüberschaubar geworden ist. 5. Formgeschichte: Bestimmung der Textgattung Als nächstes wird die sprachliche Form des Textes untersucht. Beim Endtext (und allen seinen Vorstufen) ist zu klären: Handelt es sich um eine Wundergeschichte? Um ein Gleichnis? Um ein prophetisches Mahnwort? Denn um einen Text zu verstehen, sollte man dessen Textgattung richtig zugeordnet haben. Ein Gleichnis beispielsweise will nicht historisch verstanden werden, sondern als eine vergleichende Erzählung, die in einem bestimmten Punkt eine allgemeine Wahrheit transportieren und veranschaulichen soll. Jesus verwendete diese Erzählgattung sehr häufig (bekannt ist das Gleichnis vom verlorenen Sohn in Lukas 15,11-32). Nach der Zuordnung des Textes zu einer bestimmten Textgattung kann man analysieren, ob und an welchen Punkten die konkrete Textform von der idealtypischen Gattung abweicht, um auch daraus einige Schlüsse zu ziehen. Die Formgeschichte hat in der Bibelexegese zwei Ausprägungen gefunden, die sogenannte "ältere Formgeschichte" und die "neuere Formgeschichte". a) Die "ältere Formgeschichte" entstand um 1920 mit drei Publikationen von K.L. Schmidt, M. Dibelius und R. Bultmann. Die Bestimmung der Textgattung sollte nicht nur als Verstehensrahmen dienen, sondern sollte helfen, die mündliche Überlieferung vor den ältesten schriftlichen Quellen sehr genau nachzuzeichnen. Der Grundgedanke ist folgender: Jede Textgattung hat immer auch einen bestimmten Sitz im Leben, nämlich eine typische Situation, in der sie verwendet wird. So sei der "Sitz im Leben" von Gebeten oder Lehrtexten der Gottesdienst und die christliche Unterweisung, der von Wundergeschichten dagegen die missionarische Verkündigung. In der typischen Überlieferungssituation wurde dabei in der Regel auch ihr Ursprung gesehen; man konnte nun also sehr einfach bestimmen, in welcher Situation und zu welchem Zweck die frühchristliche Gemeinde Jesuserzählungen "erfand". Wenn eine - durch die Literarkritik bereits von allen späteren schriftlichen Zusätzen befreite - mündliche Erzählung mehreren Zwecken gedient haben könnte, wird je ein Zielpunkt wiederum einer eigenen mündlichen Überlieferungsstufe zugeordnet (beispielsweise in der Exegese von Jakobs Kampf am Jabbok in Genesis 32,23-33). Die Möglichkeit, dass eine mündliche Überlieferung auch einen historischen "Kern" besitzen kann, wird durch diese Vorgehensweise zwar nicht ausgeschlossen, aber deutlich minimiert. Die Bibelexegese in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte ihren Schwerpunkt dabei im Differenzkriterium, um den 'historischen Jesus' aus den biblischen Texten herauszuschälen: Der so rekonstruierte Jesus trug im Grunde weder jüdische noch christliche Züge, obwohl Jesus unbestritten Jude war und das Christentum begründete. Daher wird das Differenzkriterium in der heutigen Leben-Jesu-Forschung durch das Kohärenzkriterium ergänzt (G. Theißen). b) Während die Gattungsbestimmung bei der "älteren Formgeschichte" vor allem den Zweck hatte, die mündliche Vorgeschichte des Textes zu rekonstruieren, bricht die "neuere Formgeschichte" ganz mit diesem Ziel. Denn "die Möglichkeit diachroner Rückfrage mit Hilfe formgeschichtlicher Forschung wird zunehmend in Frage gestellt" (Meiser/Kühneweg 87): Man müsse auch mit einem Traditionskontinuum zwischen Jesus und der Gemeinde rechnen, besonders wenn sich die Unterweisung der Jünger durch Jesus an das rabbinische Schulwesen anlehnte und dann die soziale Rolle der Traditionsträger (z.B. Apostel) im Urchristentum beachtet wird. Die Tradition mag in der Urgemeinde geformt worden sein, ist aber nicht notwendigerweise erst von ihr erfunden. Dass am Anfang der mündlichen Überlieferung immer die "reine Form" gestanden habe, ist nicht zwingend. Außerdem war die ältere Formgeschichte noch sehr selbstgewiss darin, die verschiedenen Stufen der mündlichen Überlieferung im Wortlaut rekonstruieren zu können - dabei zeigen Untersuchungen, dass mündliche Überlieferung im Wortlaut variieren kann. Die "neuere Formgeschichte" verzichtet dagegen völlig darauf, aus der Form des Textes Hypothesen über die Textgeschichte zu gewinnen. Stattdessen werden Form und Gattung des Endtextes umso genauer gewürdigt: Zunächst beschreibt man die individuelle Form des Einzeltextes, dann sucht man ähnliche Texte aus biblischer und außerbiblischer antiker Literatur und versucht ein gemeinsames Gattungsschema zu erstellen, um zuletzt die individuellen Abweichungen vom Gattungsschema zu untersuchen sowie die Konsequenzen, die sich daraus für das Verstehen ergeben. Für die Formanalyse gibt es inzwischen sehr ausgefeilte Klassifizierungen von antiken Textgattungen und Untergattungen (K. Berger). Siehe auch Formgeschichte 6. Traditionsgeschichte: Die zugrunde liegende mündliche Überlieferung Die Traditionsgeschichte zeichnet - im Verbund mit der Formgeschichte - die Entwicklung der mündlichen Überlieferung nach, die den ersten schriftlichen Vorstufen des Textes voranging. In einigen exegetischen Methodenlehren wird sie auch "Überlieferungsgeschichte" genannt. (Genaueres in Kürze.) Siehe auch Traditionsgeschichte bzw. Überlieferungsgeschichte 7. Begriffs- und Motivgeschichte: wie sich Vorstellungen entwickelten (Dieser Methodenschritt wird manchmal auch noch zur Traditionsgeschichte gezählt.) Während die Literarkritik, Form- und Traditionsgeschichte an den mündlichen und schriftlichen Vorstufen des Bibeltextes insgesamt interessiert sind, versucht der/die ExegetIn in diesem Methodenschritt nun die Vorgeschichte von einzelnen Ausdrücken des Bibeltextes nachzuzeichnen. Wenn beispielsweise in neutestamentlichen Texten vom "Sohn Davids", von "Gerechtigkeit", vom "Heiligen Geist", von "Gesetz", von "Evangelium" oder vom "Lamm Gottes" die Rede ist, so muss für diese Ausdrücke der damalige Vorstellungshintergrund des antiken biblischen Autors rekonstruiert werden. Das geschieht anhand von früheren und zeitgleichen biblischen und außerbiblischen Texten, in denen ähnliche Begriffe und Anschauungen gesucht werden. Ob ein Begriff eher in seiner frühjüdischen (inklusive alttestamentlichen) Verwurzelung oder eher auf römisch-hellenistischem Hintergrund gedeutet werden soll, ist jedoch häufig umstritten. Ähnliches gilt für die Deutung von Ausdrücken in alttestamentlichen Texten. Die Erkenntnis, dass Begriffe in ihrem historischen Kontext zu deuten sind, reicht bis in die Anfänge der Textauslegung zurück, die Methode der Motivgeschichte wurde in den letzten Jahrhunderten in der Exegese jedoch noch weiter verfeinert. Die Ergebnisse der Motivgeschichte findet man in den großen theologischen Lexika (ThWAT, ThWNT) oder für den Bibelleser in Bibellexika zusammengefasst. 8. Religionsgeschichte: Vergleich mit außerbiblischen Texten Die biblischen Texte haben sich nicht im luftleeren Raum entwickelt, sondern standen in Beziehung und Austausch zu anderen Denkweisen in ihrem kulturellen Umfeld. Es geht bei diesem Methodenschritt speziell darum, Formulierungen oder Gedanken des biblischen Textes und seiner hypothetischen Vorstufen in die allgemeine altorientalische Geschichte, Religion und Kultur bzw. in den hellenistischrömischen und frühjüdischen geschichtlichen und religiös-kulturellen Hintergrund einzuzeichnen. Im Theologiestudium wird daher auch Grundwissen aus benachbarten historischen Disziplinen vermittelt. So kann man beispielsweise herausarbeiten, dass Sprüche 22,17-23,11 zum Teil wörtliche Anklänge an einen ägyptischen Text um 1100 v. Chr. besitzt, die Lehre des Amenemope. Die SintflutErzählung (Genesis 6-8) hat aufschlussreiche Parallelen im sumerischen Gilgamesch-Epos. Paulus verwendet nach der Schilderung in Apostelgeschichte 26,14 eine Formulierung aus Aischylos, Agamemnon ("Schwer ist es dir, gegen den Stachel auszuschlagen"); oder der Schreiber des Titusbriefs zitiert den griechischen Dichter Epimenides, De oraculis: "Die Kreter sind immer Lügner..." (Titus 1,12). Noch viel zahlreicher sind indirekte gedankliche Bezüge, wobei man jedoch auch nicht der "Parallelomanie" erliegen sollte, die bei jeder geringen Ähnlichkeit sofort eine Abhängigkeitsbeziehung zu außerbiblischen Texten vermutet. Der religionsgeschichtliche Vergleich wird in der Bibelexegese seit dem Ende des 19. Jahrhunderts (vgl. Religionsgeschichtliche Schule, Bibel-Babel-Streit) intensiv betrieben. 9. Redaktionsgeschichte: der Umgang des Autors mit seinen Quellen [ Der Methodenschritt der Redaktionsgeschichte beschreibt, in welcher Weise ein späterer Autor die Quellen der jeweils früheren schriftlichen Überlieferungsstufe verarbeitet hat. Beim Matthäusevangelium und Lukasevangelium, die gemäß der Zweiquellentheorie in vielen Textabschnitten auf das Markusevangelium zurückgegriffen haben, wird beispielsweise untersucht, in welcher Weise sie vom Markusevangelium abweichen. Anhand der redaktionellen Veränderungen wird deren eigenes theologisches Profil bestimmt. Solche redaktionellen Veränderungen können sein: stilistische Anpassungen; Umstellung von Textabschnitten; Kürzungen; Erweiterungen; Zusammenfügung verschiedener Traditionen; theologische Deutungen der literarischen Vorlage. Zum Teil wird auch die Kompositionskritik in diesen Methodenschritt einbezogen, also die Analyse, wie das gesamte Werk, zum Beispiel das Lukasevangelium, strukturiert ist. (Genaueres in Kürze.) Siehe auch Redaktionsgeschichte bzw. Redaktionskritik 10. Zusammenfassende Interpretation und theologische Aussage(n) [Bearbeiten] Zum Schluss wird die Entstehung des Bibeltextes in seinen einzelnen mündlichen und schriftlichen Überlieferungsstufen noch einmal knapp zusammengefasst; dabei sollten auch die theologischen Beweggründe für die textlichen Veränderungen deutlich werden. Außerdem kann - das geht jedoch über die historisch-kritische Methode hinaus - danach gefragt werden, welche Rolle das Thema des Textes innerhalb der Bibel (Biblische Theologie) oder der christlichen Theologie spielt. Probleme der historisch-kritischen Methode [Bearbeiten] Von wissenschaftlicher Seite wird häufig kritisiert, dass die Priester oder Pastorin der Praxis nur noch selten die historisch-kritische Methode anwenden, obwohl jeder Vorbereitung von Predigt oder Bibelstunde eine wissenschaftliche Exegese des Bibeltextes vorausgehen solle. Viele "Praktiker" jedoch beklagen ihrerseits, dass die historisch-kritische Methode nicht besonders hilfreich für die Predigtvorbereitung sei. Das Theorie-Praxis-Problem wird von manchen als Krise der klassischen Exegese gedeutet: Auf der einen Seite besitzt die biblische Exegese eine sehr ausgefeilte Methode der Auslegung (die historisch-kritische Methode), auf der anderen Seite wird sie in der nichtuniversitären Praxis kaum angewendet, offenbar weil in diesem Kontext noch andere Fragen und Anforderungen an die Bibelauslegung gestellt werden. Zwar ist in der aktuellen exegetischen Fachdiskussion vieles in Bewegung gekommen, seit den 1970er Jahren wächst die Zahl der in der Bibelexegese verwendeten Auslegungsmethoden rasant (s.u.). Allerdings umfasst die exegetische Ausbildung der Theologen weiterhin meist nur die historisch-kritische Methode, da sich andere Methoden erst noch etablieren müssen. Methoden der Exegese (II): (Neuere) Varianten Die einzelnen, je nach Standpunkt unterschiedlichen Exegese-Methoden sind hier nun im Folgenden kurz beschrieben, Näheres findet sich in den einzelnen Artikeln. Während die klassische historisch-kritische Methode im 18.-20. Jahrhundert von deutschen evangelischen Theologen entwickelt wurde und hierzulande weiter eine besondere Stellung einnimmt, wurden die neueren Methoden nahezu alle aus dem englischen oder französischen Sprachraum übernommen (ausgenommen Rezeptionsästhetik und Tiefenpsychologie). Es ist also eine deutliche Verschiebung der exegetischen Fachdiskussion hin zur Internationalität zu beobachten. Zu den folgenden Exegeseformen gibt es in der Regel jeweils schon hunderte oder tausende Publikationen, die mit dieser Methode Bibelauslegung betreiben: Kontextuelle Exegese Zur kontextuellen Exegese gehören verschiedene exegetische Modelle, die die Bibel und die religiöse Tradition jeweils für eine bestimmte – meist gesellschaftlich unterdrückte – Zielgruppe erschließen wollen. Es gibt kontextuelle Exegese u. a. für und von Frauen, Afroamerikaner und Homosexuelle. Begründet wird eine kontextuelle Exegese damit, dass eine kontextfreie Exegese ohnehin nicht möglich wäre. In jeder Exegese würden sich im Ergebnis die Machtverhältnisse der Gesellschaft widerspiegeln. Die kontextuelle Exegese will dieses Problem dadurch korrigieren, dass sie bewusst Partei für die Unterdrückten ergreift. Die kontextuelle Exegese fragt dabei nicht nur nach den gesellschaftlichen Machtverhältnissen der Gegenwart, sondern auch nach denen zur Zeit der Entstehung der Bibel und der Tradition. Diejenigen, die von der bisherigen patriarchalischen Exegese unterdrückt worden sind (Frauen, Arme, Bewohner der nichtwestlichen Welt, Juden, Angehörige nichtmonotheistischer Religionen, Homosexuelle, theologische Laien, Kinder, die Schöpfung bzw. ökologische Bewegung), sollen nun auch zu Wort kommen können und ihre Sicht auf die Bibel und ihre Interpretation mitteilen. Dieses Anliegen wird mehr oder weniger kämpferisch formuliert, daher auch die alternative Bezeichnung "engagierte Exegesen". Siehe auch: The Context Group Beispiele für kontextuelle Exegese: Feministische Exegese Gemeinsam ist den einzelnen Richtungen der feministischen Bibelauslegung das Interesse, die Rolle und das Leben von Frauen in der Bibel zu erforschen und stärker im allgemeinen Bewusstsein zu verankern. Zudem hinterfragt sie kritisch das Männer- und Frauenbild der Bibel, deren Texte wohl alle von Männern verfasst worden sind. Schließlich will sie biblische Inhalte für Frauen in der heutigen Zeit nachvollziehbar machen. Bedeutende feministische Exegetinnen sind Carola Moosbach, Carter Heyward, Dorothee Sölle, Elisabeth Schüssler-Fiorenza, Helga Kohler-Spiegel, Luise Schottroff, Maria Jepsen, Marie-Theres Wacker, Irmtraud Fischer, Ruth Ahl, Ulrike Bail. Siehe auch: Feministische Exegese, Feministische Theologie, Feminismus Befreiungstheologische Exegese Bedeutende befreiungstheologische Exegeten sind Alberto Libanio, Antônio Moser, Ernesto Cardenal, Dom Erwin Kräutler, Dorothee Sölle, Gustavo Gutiérrez, Dom Hélder Câmara, Horst Goldstein, Hugo Assmann, Ignácio Ellacuria, Johann Baptist Metz, Jon Sobrino, Leonardo Boff, Oscar Romero, Paulo Suess, Ronaldo Muñoz. Siehe auch: Befreiungstheologie Postkoloniale Exegese Der Impuls der befreiungstheologischen Exegese ist heute zum Teil in die postkoloniale Exegese transformiert worden, die nicht so sehr auf den Gegensatz von Reich und Arm, sondern auf den Unterschied von westlicher und nichtwestlicher Welt konzentriert ist. Eine bekannte Vertreterin der postkolonialen Interpretation ist Musa W. Dube. Siehe auch: Postkoloniale Exegese, Postkolonialismus Kinderexegese Kinderexegese ist ein recht neuer exegetischer Ansatz. Zum Beispiel im Religionsunterricht wird empirisch erforscht, wie Kinder eines bestimmten Alters und bestimmter Sozialisation biblische Texte verstehen. Siehe auch: Kindertheologie Homosexuelle Exegese Siehe auch: Homosexualität im Neuen Testament Literaturwissenschaftlich und linguistisch orientierte Methoden [Bearbeiten] Narrative Exegese Die narrative Exegese entstammt dem französischen literaturwissenschaftlichen Strukturalismus. Wichtigster Vertreter der strukturalistischen Erzähltheorie ist hier Gerard Genette. Sie ist zum Teil schon in die neuesten Methodenlehren unter den Methodenschritt "Textanalyse" integriert. Allerdings passt die strukturalistische Texttheorie möglicherweise nicht wirklich zur historisch-kritischen Methode. Siehe auch: narrative Exegese Intertextuelle Exegese Intertextuelle Bibelauslegung ist ein noch recht junges exegetisches Auslegungsparadigma (seit Ende der 1990er), hat aber in den letzten Jahren bereits außerordentlich viele Publikationen hervorgebracht. Die intertextuelle Exegese basiert auf der Theorie der Intertextualität, die der französische Poststrukturalismus um Julia Kristeva in den 1960er Jahren entwickelte (vgl. Postmoderne). Bei "Intertextualität" geht es um die Transposition eines Zeichensystems in ein anderes. Intertextualität versucht zu beschreiben, was passiert, wenn man einen Text mit anderen Texten in Beziehung setzt. Texte bilden miteinander ein Universum, ein Netzwerk, ein Gewebe. Es geht also um Text-Text-Relationen, wobei im Poststrukturalismus mit "Text" alles gemeint sein kann: die Gesellschaft, der literarische Kontext, der historische Kontext, der Autor, der Leser und dessen Vorverständnis, die Gesellschaft usw. Für die intertextuelle Exegese wurden besonders die 'Kriterien für intertextuelle Echos' von Richard B. Hays (1989) zum Standardinstrument. Zur intertextuellen Exegese gehört auch die Spezialform der kanonisch-intertextuellen Exegese (Georg Steins, Thomas Hieke u.a.), die eine literaturwissenschaftlich reflektierte Transformation der alten kanonischen Exegese (Brevard S. Childs) darstellt. Siehe auch: intertextuelle Exegese, kanonisch-intertextuelle Exegese, Intertextualität Rhetorische Exegese Siehe auch: Rhetorische Exegese, Rhetorik Rezeptionsästhetische Exegese (engl. reader-response criticism) Die Interpretation richtet sich bei der Rezeptionsästhetik nicht mehr auf den Sinn des Textes, sondern konzentriert sich auf die Interaktion von Text und Leser. Die Methode der rezeptionsästhetischen Exegese fragt dabei danach, welche Leserlenkung ein Text bietet (Wolfgang Iser, Hans Robert Jauß). Sie ist in der Bibelauslegung bereits ein Klassiker unter den neuen Methoden, auch in Deutschland sehr verbreitet. Siehe auch: Rezeptionsästhetische Exegese, Rezeptionsästhetik Wirkungsgeschichtliche Exegese Die wirkungsgeschichtliche Exegese beschäftigt sich mit der Frage, wie ein Bibeltext zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Medien (Malerei, Plastik, Architektur, Musik, Literatur, Predigten, wissenschaftliche Texte, Texte von Nichttheologen) interpretiert worden ist. Siehe auch: Wirkungsgeschichtliche Exegese Dekonstruktivistische Exegese Eher im englischsprachigen Bereich vertreten, weniger in Deutschland. Die dekonstruktivistische Exegese ist eine ausgeprägte, häufig spielerisch erscheinende Form des Poststrukturalismus (vgl. intertextuelle Exegese). Nach Jacques Derrida ist "Sinn" nur ein unendliches Spiel von Zeichen. Siehe auch: Dekonstruktivistische Exegese, Dekonstruktivismus Linguistische Exegese Semiotische Exegese Mit der semiotischen Exegese sind in Deutschland besonders die Namen Ernst Güttgemanns und Stefan Alkier verbunden. Siehe auch: Semiotische Exegese, Textsemiotik, Semiotik Textpragmatische Exegese Vertreter der (text)pragmatischen Exegese sind u.a. Christof Hardmeier, Hubert Frankemölle. Siehe auch: Textpragmatische Exegese, Textpragmatik, Pragmatik (Linguistik) Von anderen Sozialwissenschaften inspirierte Exegese [Bearbeiten] Kulturanthropologische Exegese Die kulturanthropologische Exegese ist im angelsächsischen Sprachraum recht verbreitet (Bruce J. Malina) und wird in Deutschland von Wolfgang Stegemann und seinen Schülern vorangetrieben. Siehe auch: Kulturanthropologische Exegese, Kulturanthropologie, Ethnologie Sozialgeschichtliche Exegese Psychologische Exegese Tiefenpsychologische Exegese In der Tiefenpsychologischen Exegese geht es vor allem darum, im Gegensatz zu den anderen Methoden, von einem völlig anderen Ansatz auszugehen. Der Ansatz dieser Methode ist der Traum sowie die Welt des kollektiven Unbewussten (Archetypes). Die Methode stützt sich vor allem auf die Tiefenpsychologie von Sigmund Freud und Carl Gustav Jung. In der bekanntesten Arbeit über diese Methode, Tiefenpsychologie und Exegese, legt Eugen Drewermann detailliert dar, wie die Bibel gedeutet werden kann, und übt darin scharfe Kritik an der HistorischKritischen Methode. Drewermann geht davon aus, dass bei einer tiefenpsychologischen Auslegung eines archetypischen Textes grundsätzlich verschiedene Textarten vorhanden sein können, es sind dies: Mythos, Legende, Novelle, Erscheinungs- und Berufungsgeschichte, Prophetie sowie Apokalypse. Jede dieser Erzählformen projiziert ein bestimmter Teil des Unbewussten auf ein Bild. Interaktionale Auslegung [Bibliodrama] Theologische Exegeseformen [Bearbeiten] Konfessionelle Exegese Zur konfessionellen Exegese gehören z.B. katholische Exegese, lutherische Exegese, methodistische Exegese, baptistische Exegese oder pfingstkirchliche Exegese. Dies ist nicht im tatsächlichen Sinn gemeint, sondern als Programm: Die Verständnisvoraussetzungen, die ein Katholik, Lutheraner usw. hat, sollen in die Bibelinterpretation einfließen. Grammatisch-historische Exegese Die grammatisch-historische Exegese zielt darauf hin, den Text entsprechend der ursprünglichen Absicht des Autors zu verstehen, so weit dies möglich ist. Sie stützt sich dabei auf exakte Analyse von Grammatik und Wortbedeutung ebenso wie auf Elemente der historisch-kritischen Methode wie Formgeschichte, Redaktionsgeschichte, oder Midraschgeschichte. Sie geht jedoch von grundsätzlich anderen Voraussetzungen aus als die Textgeschichte: die Bibel wird als Heilige Schrift gesehen, die von Gott inspiriert ist. Die als historisch berichteten Ereignisse werden im Wesentlichen als historische Ereignisse gesehen, auch Wunder werden nicht a priori ausgeschlossen. Die grammatisch-historische Exegese wird von vielen evangelikalen Theologen angewandt. Dogmatische Exegese Die dogmatische Exegese versucht, aus den Schriften Grundparameter des Glaubens herauszuarbeiten, die für alle Menschen von Bedeutung sind, arbeitet also systematisch-philosophisch. Die dogmatische Exegese spielt in der katholischen Kirche eine wesentliche Rolle. Existenzialistische Exegese Die existenzialistische Exegese gehört zu den sachorientierten Auslegungsarten: Hier wird versucht, menschliche Grundverfasstheiten aus den Texten zu schälen. Siehe auch: Existentiale Interpretation Fundamentalistische Exegese Die fundamentalistische Exegese geht von der Verbalinspiration und Irrtumsfreiheit der Bibel aus. Sie versteht die Bibel (abgesehen von eindeutig poetischen Texten) als historische Berichte, welche genauso geschehen sind, wie sie in der Bibel stehen. Die fundamentalistische Exegese hat keinen Zweifel daran, dass die Wundergeschichten wirklich so geschehen sind, und sind der Meinung, dass man diese Texte nicht interpretieren muss. Eisegese Als Eisegese wird ein der Auslegung aus dem Text heraus gegenläufiges Verfahren bezeichnet, das darin besteht, eine vorher vorhandene oder vorgegebene Meinung anhand von z.B. Biblischen Textstellen, die dabei dogmatisch verstanden werden, zu "beweisen". Zum Methodenpluralismus [ Angesichts der großen Vielfalt der Methoden, die seit den 1970er Jahren ihren Eingang in die Exegese gefunden haben, stellt sich die Frage, wie diese miteinander zusammenhängen. Bauen alle diese Methoden in irgendeiner Weise aufeinander auf? Sind sie von ihren Voraussetzungen her miteinander vereinbar? Sind alle Methoden der Bibelauslegung gleich sinnvoll und legitim? Bei jedem Text? Darf es auch eine spezifisch theologische Interpretation der Bibel geben? Diese Fragen tauchen seit einigen Jahren in der exegetischen Fachdiskussion zunehmend auf, sind jedoch noch nicht befriedigend beantwortet. Biblische Exegese im Kontext anderer Wissenschaften [ Die biblische Exegese war und ist bemüht, die Erkenntnisse und Methoden anderer textinterpretierender Wissenschaften aufzunehmen. Aufgrund des eng begrenzten Textkorpus (im Gegensatz zur Geschichts- oder Literaturwissenschaft), der hohen und zugleich umstrittenen Bedeutung der Bibel spielte die Entwicklung von genauen Methoden und einer reflektierten Hermeneutik natürlicherweise eine zentrale Rolle in der biblischen Exegese. Bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte sie auch noch wesentlichen Anteil am Entstehen einer allgemeinen Hermeneutik, als sich die historische Textinterpretation und juristische Textinterpretation abkoppelten. Heutzutage hat die biblische Exegese methodisch jedoch nur noch geringen Einfluss auf andere Wissenschaften, sie ist in hohem Maße rezipierend. Dafür ist sie seit einiger Zeit ein Schmelztiegel für sehr unterschiedliche Wissenschaften geworden, was auch neue methodische Erkenntnisse ermöglichen könnte. Da sich die klassische historisch-kritische Auslegung vorrangig als historische Wissenschaft versteht, bestehen besonders enge Verbindungen zur Geschichtswissenschaft. Die Bibelexegese dürfe keine anderen Methoden verwenden als die allgemeine Geschichtswissenschaft. In den letzten Jahren werden zunehmend auch geschichtstheoretische Überlegungen rezipiert, z.B. von Jörn Rüsen oder Hayden White. Mit der Altphilologie wird insbesondere die Methode der Textkritik geteilt. Die Archäologie wird in der Exegese in besonderer Weise aufgegriffen, da sie häufig zur historisch-kritischen Interpretation der Bibeltexte notwendig ist. Manche biblischen Exegeten sind zugleich Archäologen (biblische Archäologie). Zur Altorientalistik (Ägyptologie, Hethitologie, Assyriologie u.a.), Judaistik und Religionswissenschaft bestehen ebenfalls enge Beziehungen. Zur Auslegungsmethode der Rechtswissenschaft bestehen fast nur historische Verbindungen, vor allem im 19. Jahrhundert gab es noch einen regen Austausch (Schleiermacher, von Savigny u.a.). Bibel- und Rechtswissenschaft verband ursprünglich beide die Aufgabe, dass man einen für die Gesellschaft oder für Teile der Gesellschaft normativen Text in reflektierter Weise auszulegen habe. Allerdings hat die Exegese die Voraussetzung, dass es sich bei der Bibel um einen normativen Text handle, und auch die speziellen Fragen, die damit verknüpft sind, aufgrund ihrer historischen Ausrichtung weithin aufgegeben und tritt so in eine gewisse Spannung zur theologischen Dogmatik (siehe Historisch-kritische Methode, Ernst Troeltsch, Biblische Theologie, Exegese-Dogmatik-Problem). Die juristische Textauslegung erscheint methodisch weniger stark reflektiert als die biblische Exegese; man vergleiche die Methodenbücher von Karl Larenz (Rechtswissenschaft) und Odil Hannes Steck (Biblische Exegese). Inhaltlich gibt es zwischen Bibel- und Rechtswissenschaft deutliche Bezüge. Für die Rechtsgeschichte ist die Bibelwissenschaft von besonderer Bedeutung, vgl. nur die Zehn Gebote, das Bundesbuch (Ex 20,24-23,12) und weitere alttestamentliche Gesetzestexte. Siehe auch die Zeitschrift für biblische und altorientalische Rechtsgeschichte und Gesetz (Theologie). Bibelexegese und Philosophie berühren sich ebenfalls an vielen Punkten. Besonders die philosophische Hermeneutik (Gadamer, Ricoeur u.a.) hat auf die biblische Exegese eingewirkt. Außerdem wurden einzelne philosophische Konzepte auf die Exegese angewendet, wie z.B. Heideggers Existenzialontologie auf die existenziale Interpretation von R. Bultmann. Was die konkrete Methode der wissenschaftlichen Textinterpretation angeht, so wird die Interpretation von philosophischen Texten weniger stark durch methodische Überlegungen gesteuert als in der Bibelexegese. Einen konkreten Austausch auf dieser Ebene gibt es bisher kaum. Inhaltlich ist die Theologie insgesamt mit der Philosophie dadurch sehr verbunden, dass sie sich mit ähnlichen Fragen beschäftigt: Was ist der Sinn des Lebens? Gibt es etwas nach dem Tod? Was ist der Mensch? Was ist Glück? Gibt es Gott? Wie ist ein gelingendes Leben möglich usw. Die Bibelexegese hat an diesen Fragen jedoch höchstens indirekten Anteil. Linguistik, Semiotik und Kommunikationstheorie werden in der Exegese inzwischen zum größten Teil aufgegriffen, vor allem in den neueren Methoden; die Übersetzungswissenschaft und Computerlinguistik bisher eher nur in Ansätzen. Die Literaturwissenschaften (Germanistik, Anglistik, Romanistik, Slavistik u.a.) kommen methodisch in der rezeptionsästhetischen und narrativen Exegese zu ihrem Recht. Hier kommt es in den letzten Jahrzehnten zu einer zunehmenden methodischen Vernetzung von Bibel- und Literaturwissenschaft, die in einer nicht unerheblichen Spannung steht zur bisherigen historischen Orientierung der Bibelexegese ("Diachronie" versus "Synchronie"). Inhaltliche Berührungspunkte gibt es auch bei der wirkungsgeschichtlichen Exegese - wenn man z.B. als ExegetIn untersucht, wie Thomas Mann die Josephsnovelle (Genesis 37-50) verstanden und literarisch verarbeitet hat. Über die wirkungsgeschichtliche Exegese ergeben sich weitere Verknüpfungen zur Musik-, Kunst-, Theater- und Filmwissenschaft. Beispielsweise die Johannespassion von Johann Sebastian Bach, ein Kreuzigungsbild von Lucas Cranach d.Ä. oder ein kunstreich geschnitztes Kruzifix, die Oberammergauer Passionsspiele oder der Film "Die Passion" von Mel Gibson gelten nach diesem Verständnis auch als Formen von biblischer Exegese, hier speziell der Passionsgeschichte (Mk 14-15 und Parallelen). Allerdings ist das Verhältnis von bibel-, musik-, kunst-, theater- und filmwissenschaftlicher Hermeneutik noch nicht wirklich geklärt (vgl. Erwin Panofsky für die Kunstwissenschaft, Aristoteles für die Theaterwissenschaft u.a.). Auch christliches Brauchtum, nichtwissenschaftliche Bibelerklärungen, Predigten oder eben die christliche Dogmatik sind Formen von Bibelauslegung, deren Verhältnis zur 'eigentlichen' biblischen Exegese bestimmt werden kann. Einzelne neuere Methoden versuchen die Erkenntnisse verschiedener anderer Wissenschaften in die Bibelexegese zu integrieren: Die soziologische Exegese greift auf die Soziologie zurück, die psychologischen und tiefenpsychologischen Exegeseformen auf psychologische Theorien und die kulturanthropologische Exegese auf Ethnologie, (vergleichende) Kulturwissenschaft und Kulturanthropologie. Gelegentliche interdisziplinäre Verbindungen: Mit der Wirtschafts- und Politikwissenschaft bestehen weniger methodische, sondern eher inhaltliche Berührungspunkte. Zum einen dient die Bibelexegese als historische Quelle zur Wirtschaftsgeschichte und Geschichte des politischen Denkens. Daneben versuchen Theologen aus der Bibel Eckpunkte für eine Wirtschaftsethik sowie eine politische Ethik zu gewinnen. - Ähnlich ist es bei der Pädagogik und Didaktik. Für die Geschichte der Pädagogik ist die Bibel eine wichtige Quelle, seien es gewisse Erziehungsratschläge im Sprüchebuch oder das bekannte Schma Jisrael (Dtn 6,4f), das die Israeliten ihren Kindern einprägen sollen (6,6ff). Die Bibel selbst wurde außerdem bis in die Aufklärung hinein als "pädagogisches" Buch Gottes für die Menschen angesehen (vgl. Lessings "Erziehung des Menschengeschlechts"). Inhaltlich findet man Ergebnisse der biblischen Exegese natürlich in der Religionspädagogik wieder. Nur vereinzelt kommen Berührungspunkte zu naturkundlichen Disziplinen vor: Biologie (bei Tier- und Pflanzennamen im Alten Testament), Mineralogie (bei Namen von Edelsteinen), Astronomie (Namen von Sternbildern), Schifffahrt (z.B. Apostelgeschichte 27) oder Medizin (z.B. bei Krankheiten, die geschildert werden). Bei der Übersetzung und Auslegung entsprechender Stellen arbeiten Bibelexegeten manchmal mit jeweiligen Fachleuten zusammen. - Zu den Ingenieurswissenschaften schließlich bestehen nur indirekte Anknüpfungspunkte: nämlich über die Archäologie, wenn die biblische Exegese erforscht, wie Realia (Häuser, Tempel, Schiffe, Straßen, ...) in der damaligen Zeit konstruiert waren. Übrigens soll auch Jesus nach Mk 6,3 ein τεκτων (tekton), also ein Baumeister, gewesen sein. Grenzen der biblischen Exegese [Bearbeiten] Grundsätzlich kann keine Auslegungsmethode mit Sicherheit für die Richtigkeit ihrer Ergebnisse garantieren. Historische Fakten können mit keiner Methode bewiesen werden, sondern höchstens gut belegt und plausibel gemacht werden. Die Euphorie, die sich sowohl in den evangelischen Kirchen wie auch in der katholischen Kirche angesichts des neu erworbenen historischen Instrumentariums gebildet hatte, ist somit gebrochen.