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Ren.Einl.
6. Vorlesung
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<html>
<head>
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<title> Michaela Boenke: Vorlesung SoSe 2002: 07</title>
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<p class="Autorin">Michaela Boenke</p><h1> Geschichte der Philosophie II:
Philosophie des späten Mittelalters und der Renaissance</h1><h2> Siebte
Vorlesung: <br>Gott und Kosmos </h2><hr>
<p class="RESP"><i>Dokument erstellt:</i> 2002-06-11<br>
<i>Letzte Änderung:</i> 2002-06-11<br>
<i>WWW-Redaktion:</i> Heinrich C. Kuhn</p>
<hr><hr>
<p class="NAV"><a href="Default.htm">[Leitseite Unterlagen zur Vorlesung]</a></p>
<hr><hr>
1. Wiederholung: Antike Kosmologie
2. Thomas von Aquin
3. Bischof Tempiers Verbote kosmologischer Thesen
<HR class="Zwischen">
<P class="Gross">Vergleich Platon, Aristoteles mit Atomismus: Ordnung impliziert für Platon, daß es nur einen
Kosmos gibt, nicht unzählige Welten, wie die Atomisten lehrten, Leukipp (um 460vC), Demokrit (ca 460-360), die
keine Idee von Ordnung voraussetzen, sondern für die alles aus dem zufälligen Zusammenstoß von Atomen entsteht.
erwähnt den Atomismus überhaupt nicht in seinen Schriften, Arsitoteles diskutiert den Atomismus; so schrieb er in
der Schrift "Vom Werden und Vergehen" "Leukippos und Demokrit, die die Atome erfunden
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haben, lassen die Veränderung und Enstehung aus diesen erfolgen: durch ihre Trennung und Vereinigung das
Entstehen und vergehen, durch ihre Anordnung und Lage die Veränderung."</p>
<P class="Gross">Platon begründet die Ordnung und Harmonie des Kosmos durch die höchste Idee des Guten. Der
Weltschöpfer bzw. richtiger Weltordner bei Platon, der Demiurg, ist gut und neidlos, und so erbaute er einen schönen
Kosmos, der Einer und geschlossen ist. Der Schöpfungsmythos hat die Funktion, im Modus einer bildlichen
Erzählung die mathematisch-musikalische Ordnung des Kosmos einsichtig zu machen, zu zeigen, daß Welt nicht ein
zufälliges Sammelsurium von Fakten, sondern ein Kosmos, ein geordnetes Ganzes ist.</p>
<P class="Gross">Diese Ordnung ist eine harmonische, ein Gedanke, den Platon von Pythagoras bezogen hat. Die
Harmonie der Welt, des Kosmos, beruhte nach Pythagoras und ihm folgend Platon darauf, dass alles nach
Zahlenverhältnissen geordnet war. Pythagoras fand diese Harmonie in der Musik, wo er den harmonischen
Zusammenklang der Töne und die Stufen der Tonleiter auf Zahlenverhältnisse zurückführte, und wandte die
gefundenen Zahlenverhältnisse auf den Kosmos an., indem er behauptete, die Planeten würden beim Durchlaufen
ihrer Bahn eine himmlische Musik, die sogenannte Spährenmusik abspielen. Der Protagonist Timaios in Platons
glechnamingem Dialog war Pythagoreer, Platon läßt ihn in Anlehnung an die pythagoreische Sphärenmusik den
Gedanken entwickeln, daß der Kosmos nach musikalischen Zahlenverhältnissen aufgebaut ist. Diese Idee der
Weltharmonik setzt sich bis in die Frühe Neuzeit fort, sie erreicht einen Höhepunkt noch einmal bei Johannes Kepler
in derm Werk "De harmonia mundi", Über die Harmonie der Welt, eine Schrift, in der es um die Gesetze
der Planetenbewegungen geht.</p>
<P class="Gross">Aristoteles kritisierte Platons bildliche Darstellung der Weltordnung in der Schrift "De
Caelo" (Vom Himmel), er nahm den schönen Mythos vom weltordnenden Demiurgen sozusagen beim Wort:
In De caelo schrieb Aristoteles gegen Platon:</P>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ"><CITE>De caelo 479b:</CITE> "Die
Hilfe aber, die einige von denen, die lehren, der Himmel sei unvergänglich, aber doch
entstanden, sich zu bringen hoffen, nützt nichts. Sie behaupten nämlich, sie würden in
ähnlicher Weise, wie jene, die geometrische Figuren zeichnen, vom Entstehen
sprechen, nicht als ob er wirklich einmal entstanden wäre, sondern nur aus
pädagogischen Gründen, da man es eher erkennt,é, wenn man es wie auf eienr
Zeichnung entstehen sehe. Aber dies ist, wie wir sagen, nicht dasselbe. Denn bei der
Zeichnung der Figuren ist alles gleich schon da, nachdem man es eingetragen hat, bei
jenen Beweisgängen aber geschieht nicht dasselbe, sondern etwas Unmögliches. Denn
was als das Frühere und als das Spätere genommen wird, ist einander so ziemlich
entgegengesetzt. Denn sie sagen, daß einstmals aus dem Ungeordneten Geordnetes
geworden sei; daß aber dasselbe gleichzeitig ungeordnet und geordnet sei, ist
unmöglich, sondern es muß notwendig ein Werden und eine Zeit trennend
dazukommen. Bei den Zeichnungen aber ist nichts durch die Zeit getrennt. Daß also
der Himmel unmöglich zugleich ewig und geworden sein kann, ist klar."
<CITE>(Üb. Gigon S. 88f.)</CITE></P></BLOCKQUOTE>
<P class="Laufend">Diese Kritik ist sehr geschickt. Aristoteles nimmt Platons Mythos nicht einfach wörtlich, was
billig wäre, er zeigt, daß Platon sich in Widersprüche verfängt. Darstellung von Werden impliziert notwendig Zeit;
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ein Früher und ein Später. Der Vergleich zur Mathematik ist schief: Da ist die Zeit keine objektive Größe, nur unser
Zusammensetzen eienr geometrischen Figur vollzieht sich in der Zeit, das Dreieck ist deswegen nicht selbst zeitlich.
Will Platon diese Zeitlickeit in seiner Erzählung zugleich negieren, weil die Ordnung nicht geworden, sodnern ewig
ist, dann muß er in der These enden, daß Unordnung, die er voraussetzt, gleichzeitig mit der Ordnung ist, die er
erklären will: damit widerspricht er aber dem Satz vom Widerspruch, dem höchsten Gesetz der Logik bei Aristoteles.
</p>
<P class="Gross">Aristoteles verbannt aus seiner Kosmologie jeden Gedanken an einen Kosmos, der entstand.
Aristoteles´ Kosmologie beruht auf einem Nachdenken über die Ursachen und Modi der Bewegung, wie bei
Seelenlehre, ist auch hier sein Zugang ein naturphilosophischer. Es gibt eine vollkommene Bewegung: das ist die
Kreisbewegung. Es gibt keine Bewegung, die ihr entgegengesetzt ist. Sie ist vollkommen, sie wird nicht gestört, sie
ist also ewig. Und aus dieser Kreisbewegung zieht Aristoteles Konsequenzen für die Ewigkeit des Himmels, un das
ist - - sahen wir - neben der Lehre von der Sterblichkeit der Seele die 2. These, die dem christlichen
Schöpfungsglauben widerspricht:</p>
<P class="Gross">Wir hatten das Zitat aus De Caelo:</p>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"Denn weder naturgemäß noch
naturwidrig kann er irgendeine andere Bewegung vollziehen als die Kreisbewegung,
weder im Ganzen noch irgendeiner seiner Teile. Denn dasselbe gilt vom Ganzen wie
vom Teil. / Ebenso muß man vernünftigerweise annehmen, daß er unentstanden und
unvergänglich ist und nicht zunimmt und sich nicht verändert. Denn alles Werdende
wird aus einem Entgegengesetzten und einem Zugrundeliegenden, und ebenso geht es
zugrunde durch ein Entgegengesetztes (…;). Wenn nun diesem Körper nichts
entgegengesetzt sein kann, weil es auch keine Beegung gibt, die der Kreisbewegung
entgegengesetzt wäre, so scheint also mit Recht die Natur dasjenige, was unentstanden
und unvergänglich sein sollte, aus den Gegensätzlichkeiten herausgenommen zu haben.
(…) Daß nun der erste Körper ewig ist und ohne Zunahme und Abnahme,
sondern alterslos und unvergänglich ist, das ist, wenn man die Voraussetzungen annimt,
aus dem Gesagten klar."</P></BLOCKQUOTE>
<P class="Laufend">Anders ist es, sahen wir, in der sublunaren Welt: Hier gibt es Enstehen und Vergehen,
Zumahme und Abnahme. Das ist die Welt der Elemente mit ihren Bewegungen zum natürlichen Ort. In der
supralunaren Welt kann es keine Elemente geben, sie würden die Kreisumläufe stören. Das Element des Himmels ist
also kein irdisches, sondern ein anderes Eleemnt, eine 5. Essenz - hierher kommt der Name
"Quintessentia" - der Äther. </p>
<P class="Gross">Der Himmel wird gebildet aus einem System von Schalen, in das die Himmelskörper eingebettet
sind; am äußersten Rand, unterhalb der als Kristallkugel vorgestellten Weltgrenze befindet sich die Fixsternsphäre,
unterhalb ihrer kreisen die bewegten Sterne und Planeten in stets gleichförmigen Bahnen. Den Himmel dachte
Aristoteles also plural: er bestand aus 7 Himmeln oder Sphären, in der sich je ein Planet bewegte: Mond, Merkur,
Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn. Die Planeten waren als beseselt, als von spirituellen Kräften oder Seelen
bewegt gedacht. Die stete Gesetzlichkeit ihrer Bewegungen erfordert die Lenkung durch einen Intellekt: es sind laut
Aristoteles reine Intellekte oder Geistwesen, die dafür sorgen, daß die Kreisbewegungen des Himmels ungestört
verlaufen.</p>
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<P class="Gross">Aristoteles bringt in seiner Kosmologie Empirisches und Spekulatives, Physik und
Vollkommenheitsvorstellungen zusammen; das Urbild des Vollkommenen ist die kreisförmige Bewegung..Nun hat
alles, das bewegt ist, eine Ursache seiner Bewegung. So denkt Aristoteles auch die Bewegung des Himmels als
verursacht: es gibt etwas, das ihn in Bewegung setzt und in Bewegung hält, und ist hier nochmal gegen Platon
formuliert:</p>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ"><CITE>Met. XII6, 1071b</CITE>
"Gäbe es nun ein Prinzip des Bewegens und Hervorbringens, aber ein solches,
das nicht in Wirklichkeit wäre, so würde keine Bewegung stattfinden; denn was bloß
das Vermögen (die Möglichkeit. tò dýnamin) hat, kann auch nicht in Wirklichkeit sein.
Also würde es nichts nützen, wenn wir ewige Wesen annehmen wollten, wie die
Anhänger der Ideenlehre, sofern in ihnen nicht ein Prinzip enthalten wäre, welches das
Vermögen der Veränderung in sich hat Aber auch dies würde nicht genügen, noch die
Annahme irgendeines anderen Wesens neben den Ideen; denn sofern das Wesen nicht
in Wirklichkeit sich befände, so würde keine Bewegung stattfinden. Ja, wenn es selbst in
Wirklichkeit sich befände, sein Wesen aber bloßes Vermögen wäre, auch dann würde
keine ewige Bewegung stattfinden; denn was dem Vermögen nach ist, kann
möglicherweise auch nicht sein. Also muß ein solches Prinzip vorausgesetzt werden,
dessen Wesen Wirklichkeit ist." </p></BLOCKQUOTE>
<P class="Gross"><EM class="Verw">Erklärung mündlich: <br>
(1) Möglichkeit und Verwirklichung, <br>(2) Ideen, wenn sie das Gestaltende, das Bewegende, Ordnende der Welt
sein sollen, müssen dynamisch sein, Wirkprinzipien, oder durch ein Anderes vermittelt werden →<br>(3)
Platons Demiurg. Wiederholung des Problems Möglichkeit - Wirklichkeit , unendlicher Regress</EM></p>
<P class="Gross">Auf diese Weise erschließt Aristoteles ein Prinzip, dessen Wesen Wirklichkeit ist, das seiner
Natur nach wirklich ist, als Ursache der kosmischen Bewegung. Wäre dies Prinzip selbst nicht in Wirklichkeit, so
müßte etwas anderes es aus der Mögölichkeit zur Wirklichkeit überführen, wir kommen zum Problem des
unendlichen Regresses: Das Erstprinzip muß wirklich sein. Das entspricht nicht Platons Bild vom Demiurg (das er
selbst aber ja gar nicht zeitlich verstanden wissen wollte), und nicht dem christlichen Gott, der vor der Schöpfung der
Möglichkeit nach Schöpfer war, der Wirkichkeit nach erst, als er die Welt erschuf. </p>
<P class="Gross">Die Ursache für den Himmelsumschwung ist laut Aristoteles Gott. Der Gott bewegt laut
Aristoteles die Welt, aber nicht als ihre Wirkursache, nicht als Schöpfer, sondern Gott bewegt die Welt als Ziel.</p>
<P class="Gross">Aristoteles nennt Gott den "unbewegten Beweger": er bewegt, aber nicht, indem er
selber in Aktion tritt, die Welt schafft oder ihr ein bestimmtes Bewegungsquantum und einen Bewegungsmodus gibt
Gott bewegt, sagt Aristoteles, als Ziel. Er bewegt also den Kosmos, indem dieser sich ewig auf ihn zubewegt, als auf
sein Ziel.</p>
<P class="Gross">Den Basistext für diese schwierige Überlegung finden Sie im <CITE>7. Kapitel des 12. Buches
der Metaphysik.</CITE> Aristoteles schreibt: </p>
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<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"…so lösen sich demnach diese
Schwierigkeiten, und es gibt etwas, das sich immer in unaufhörlicher Bewegung bewegt,
diese Bewegung aber ist die Kreisbewegung. Dies ist nicht nur durch den Begriff,
sondern durch die Sache selbst deutlich. Also ist der erste Himmel ewig. Also gibt es
auch etwas, das bewegt. Da aber dasjenige, das bewegt wird und bewegt, ein Mittleres
ist, so muß es auch etwas geben, das ohne bewegt zu werden, selbst bewegt, das ewig
und Wesen und Wirklichkeit ist. Auf solche Weise aber bewegt das Erstrebte und das
Intelligible (Erkennbare); es bewegt, ohne bewegt zu werden. Von diesen beiden ist das
erste (als Prinzipien) dasselbe. Denn Gegenstand des Begehrens ist dasjenige, was als
schön erscheint, Gegenstand des Willens ist an sich das, was schön ist. Wir erstreben
aber etwas viel mehr, weil wir es für gut halten, als daß wir es für gut hielten, weil wir es
erstreben. (…) Daß aber der Zweck zu dem Unbewegten gehört, macht die
Unterscheeidung deutlich; denn es gibt einen Zweck für etwas und einen Zweck von
etwas; jener aber ist unbeweglich, dieser nicht. Jenes bewegt wie ein Geliebtes, und
durch das (von ihm) Bewegte bewegt es das übrige. Wenn nun etwas bewegt wird, so
ist es möglich, daß es sich auch anders verhalte. Wenn also Ortsbewegung die erste
Wirklichkeit (wirkliche Tätigkeit, energeia) insofern ist, als das Bewegte in Bewegung ist
, so ist insofern auch möglich, daß es sich anderes verhalte, nämlich dem Ort, wenn
auch nicht dem Wesen nach. Nun gibt es aber etwas, was ohne bewegt zu werden
selbst bewegt und in Wirklichkeit (in wirklicher Tätigkeit) existiert; bei diesem ist also
auf keine Weise möglich, daß es sich anders verhalte. Denn Ortsbewegung ist die erste
unter den Veränderungen, und unter ihr die Kreisbewegung; diese Bewegung aber wird
von einem ersten Beweegenden hervorgebracht. Also ist es notwendig seiend, und
inwiefern es notwendig ist, ist es auch so gut und in diesem Sinne Prinzip. (…)
Und Leben wohnt in ihm, denn der Vernunft Wirklichkeit (wirkliche Tätigkeit) ist
Leben, jener aber ist die Wirklichkeit (Tätigkeit), seine Wirklichkeit (Tätigkeit) an sich
ist bestes und ewiges Leben. Der Gott, sagen wir, ist das ewige, beste Lebewesen, so
daß dem Gott Leben und beständige Ewigkeit zukommen; denn dies ist der
Gott."</P></BLOCKQUOTE>
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<P class="Laufend">Diese Gott bewegt die äußerste Himmelssphäre: den Fixsternhimmel. Die anderen Sphären,
also die Planeten, werden von ebenfalls reinen Intelligentien bewegt - die Ordnung und Regelmäßigkeit der
Sternbewegungen kann nur von Intelligenz verursacht sein. Bewegt also Gott den "ersten Himmel", die
Fixsternsphäre, so sind es andere reine Intelligentien, die die Bewegung der Planeten lenken. Dazu schreibt
Aristoteles in <CITE>Metaphysik XII 7, 1073a</CITE>:
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"Ob nun aber nur ein solches Wesen
anzunehmen ist oder deren mehrere, diese Frage darf nicht übersehen werden.
(…) Das Prinzip nämlich und das Erste von allem Seienden ist unbewegt, sowohl
an sich wie auch in akzidenteller Weise, aber es bringt die erste, ewige und einige
Bewegung hervor. Da nun das bewegte von etwas bewegt werden, und das erste
Bewegende an sich unbewegt sein, und die ewige Bewegung von einem ewigen
(Prinzip), die einige von einem einigen ausgehen muß, und da wir ferner außer der
einfachen Bewegung des Ganzen, welche nach unserer Behauptung von dem ersten
und unbewegten Wesen ausgeht, noch andere ewige Bewegungen sehen, die der
Planeeeeten nämlich (denn ewig und ruhelos ist der im Kreis bewegte Körper, wie dies
in den physischen Schriften erwiesen ist), so muß auch jede dieser Bewegungen von
einem an sich unbeweglichen und ewigen Wesen ausgehen. Denn die Natur der
gestirne ist ein ewiges Wesen, und so ist auch das Bewegende ewig und früher als das
bewegte, und was früher ist als ein Wesen, muß notwendig Wesen sein. Demnach ist
aus dem vorher erörterten Grunde offenbar, daß ebensoviele Wesen existieren müssen,
die ihrer Natur nach ewig und an sich unbewegt und ohne Größe sind. Daß also Wesen
existieren, und von ihnen eines das erste und zweite ist nach derselben Ordnung wie die
bewegungen der Gestirne, ist offenbar. Die Anzahl aber der Bewegungen müssen wir
aus derjenigen Wissenschaft entnehmen, welche mit der Philosophie in der nächsten
Beziehung steht, aus der Astronomie."</P></BLOCKQUOTE>
<P class="Laufend">Aristoteles berechnete in Übereinstimmung mit damaligen Astronomen 55 solcher reinen
Intelligenzen, die die Himmelsgestirme bzw. ihre Sphären lenken. Denn die Bewegungen der Planeten sind aus
mehreren Bewegungen zusammengesetzt, so haben Sonne und Mond je drei Bewegungen bzw. Sphären: die tägliche
der Fixsternbewegung, die jährliche des Tierkreises (Ekliptik), und die Deviationen zur Ekliptik, so ergibt dies 6
Sphären, sie können die Berechnungen in Metaphysik XII ( und im Kommentar dazu) nachschlagen.</p>
<P class="Gross">Kommen wir zu Aristoteles´ Gott zurück. Ein solcher Gott, der den Göttermythen der
griechischen Antike das Ende machte, ist ein philosophisch gedachter Gott; ein Gott, den Vernunft gebildet hat. Gott
greift in die Welt, in die Natur und Geschichte, in das menschliche Leben, nicht ein. Aristoteles´ Gott wird nicht
nach anthropologischen Schemata gedacht: dies hatten die Mythen ja hinreichend ausgereizt, indem sie Götter nach
dem Vorbild von Leidenschaften getriebener Menschen ersannen. Aristoteles denkt einen rein philosophischen Gott.
Das heißt auch, denn an irgendetwas muß sich eine Gottvorstellung schließlich bilden, daß er ihn nach dem Modell
des Philosophen denkt.. Denn philosophisches Erkennen zeichnet sich dadurch aus, daß das, was gedacht ist, und
das, was denkt, dasselbe ist: Vernunft. Vernunft denkt in Begriffen die durch Vernunft gebildet sind. </p>
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<P class="Gross">So schrieb Aristoteles in einem Einschub in diese Begündung eines primum movens, eines ersten
unbewegt Bewegenden, Met. XII7, 1072b: </p>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"Von einem solchen Prinzip also hängen
der Himmel und die Natur ab. Sein Leben aber ist das beste, und wie es bei uns nur
kurze Zeit stattfindet, da beständige Dauer uns unmöglich ist, so ist es bei ihm
immerwährend. (…) Denn seine Wirklichkeit (wirkliche Tätigkeit) ist zugleich
Lust. Und deshalb ist Wachen, Wahrnehmen, Vernunfttätigkeit das Angenehmste, und
durch diese erst Hofnungen und Erinnerungen. Die Vernunfttätigkeit an sich geht aber
auf das an sich Beste, die höchste auf das Höchste. Sich selbst erkennt die Vernunft in
Ergreifung des Intelligiblen; denn intelligibel wird sie selbst, den gegenstand berührend
und erfassend, so daß Vernunft und Intelligibles dasselbe sind. Denn die Vernunft ist
das aufnehmende Wesen für das Intelligible und das Wesen. Sie ist in wirklicher
Tätigkeit, indem sie das Intelligible hat. Also ist jenes (das Intelligible) noch in vollerem
Sinne göttlich als das, was die Vernunft Göttliches zu haben scheint, und die
Betrachtung (theoretische Tätiglkeit) ist das Angenehmste und Betse. Wenn sich nun so
gut, wie wir zuweilen, der Gott immer verhält, so sit er bewundernswert, wenn aber
noch besser, dann noch bewundernswerter. So verhält er sich aber. Und Leben wohnt
in ihm …"</P></BLOCKQUOTE>
<P class="Gross">Dies Denken der Vernunft entspricht der aristotelischen Vorstellung von Glück: Glück ist, wenn
der Mensch ganz bei sich ist; und bei sich ist er, wenn er tut, was ihn von anderen Lebewesen unterscheidet:
theorein, das heißt, das, was in seinem Geist ist, in Gedanken fassen. Das Glück der ungestörten Theorie - von dem,
wie gesagt, Kinder, Kranke, Frauen und Arme ausgenommen sind - das Glück der ungestörten Theorie ist nach
Aristoteles dem Menschen aber nur zeitweilig erlaubt; allein Gott, sagt Aristoteles, genießt es immer. Gott kreist in
sich, indem er sich selber denkt. Möglicherweise - das läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen - weiß der Gott des
Aristoteles überhaupt nichts von der Welt, so wie, im Sinne des Beispiels von Aristoteles, der Geliebte ja auch von
der Existenz des Liebenden nichts wissen muß.</p>
<P class="Gross">Die Gott-Welt und Gott-Mensch-Beziehung ist strikt eine solche auf Gott zu: es ist die
Ausrichtung auf Vollkommenheit. Gott ist der Grund, und zwar als Ziel, der dem Streben nach Glückseligkeit und
Vervollkommnung zugrundeliegt, so wie er als Zielursache der Bewegung des Kosmos zugrundeliegt. So beginnt die
Nikomachische Ethik des Aristoteles mit dem Satz:</p>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"Jede Kunst und jede Lehre, ebenso jede
Handlung und jeder Entschluß scheint irgendein Gut zu erstreben. Darum hat man mit
Recht das Gute als dasjenige bezeichnet, wonach alles
strebt."</P></BLOCKQUOTE>
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<P class="Laufend">Zwischen den Gütern, die wir erstreben, gibt es nun aber eine Stufung oder Hierarchie; es gibt
solches, das wir um eines anderen willen, und es gibt etwas, das wir um seiner selbst willen erstreben. Aristoteles
fährt fort:</p>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"Wenn es aber ein Ziel des Handelns gibt,
das wir um seiner selbst willen wollen und das andere um seinetwillen; wenn wir also
nicht alles um eines anderen willen erstreben (denn so ginge es ins Unbegrenzte, und
das Streben wäre leer und sinnlos), dann ist klar, daß jenes das Gute und das beste
ist." <CITE>(ebd. a 18ff:)</CITE></P></BLOCKQUOTE>
<P class="Laufend">Dieses Letztziel wird als Eudaimonia, Glückseligkeit bestimmt:</P>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"Glückseligkeit nennen es die Leute
ebenso wie die Gebildeten, und sie setzen das Gut-Leben und das Sich-gut-Verhalten
gleich mit dem Glückseligsein." <CITE>(I,2; 1095a17ff)</CITE>
<P class ="Laufend">Was Glückseligkeit sei, wird im <CITE>10. Buch der Ethik</CITE> behandelt. Dabei nimmt
Aristoteles die am Anfang der Ethik konstatierte Zusammenführung von Tugend und Glück auf - ich zitiere
nochmals aus der <CITE>Ethik, X 7, 1177a11ff</CITE>:</P>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"Ist aber die Glückseligkeit eine der
Tugend gemäße Tätigkeit, so muß sie vernünftigerweise der vorzüglichsten Tugend
gemäß sein, und diese ist wieder die Tugend des Besten in uns. Mag dies der Geist oder
etwas anderes sein, was seiner Natur nach als das Herrschende und Leitende auftritt
und das Schöne und Göttliche zu erkennen vermag, oder sei es selbst göttlich oder das
Göttlichste in uns: immer wird die seiner eigentümlichen Tugend gemäße Tätigkeit die
vollendete Glückseligkeit sein."</P></BlockQUOTE>
<P class=Laufend">Und Aristoteles schließt an, den Bezug zur Metaphysik herstellend, daß
diese Tätigkeit die betrachtende - oder eben das Philosophietreiben - sei: Sie ist das finis
ultimum, das um seiner selbst willen geliebt wird.:</P>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ"><CITE>ebd. 1177b2ff:</CITE> "Von
der Betrachtung läßt sich behaupten, daß sie ihrer selbst willen geliebt wird. Sie bietet
außer dem Betrachten nichts; vom praktischen Handeln dagegen haben wir noch einen
größeren oder kleineren Gewinn außer der
Handlung."</P></BLOCKQUOTE>
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<P class="SehrGross">Fassen wir zusammen: Bei Aristoteles beruht die Ordnung des Kosmos und der Dinge der
Natur und das menschliche Streben darauf, daß alles eine Vollkommenheit erreichen will, eine Perfektion, die Gott
auszeichnet, so daß Gott als Ziel die Welt bewegt. Es gibt die Welt, den Kosmos, und Gott als den Beweger; und in
der Welt gibt es Sphären unterschiedlicher Vollkommenheit: das ruhige Reich des stets gleich bewegten Äthers und
der Gestirne, und die Welt des Werdens und Vergehens, die supralunare, die ober-mondische, und die sublunare, die
Welt unter dem Mond. Alles ist gesetzlich in dieser zweigestuften Welt; die die naturtheoretische Variante und
Transformation und Korrektur der Ideenlehre Platons ist: Nicht abstrakte Ideen, sondern der erste Himmel ist das
"primum movens", das, was den Kosmos in Bewegung hält, indem es sich auf Gott, den unbewegten
beweger, zubewegt.</p>
<P class="Gross">Fragen wir nun: Kannte das Mittelalter ein solches Weltbild? Das Mittelalter kannte sowohl den
Timaios Platons als auch Aristoteles´ Metaphysik, aber zugleich den Gedanken eines Schöpfergottes - dem
Aristoteles dieselben Gründe entgegenhalten könnte wie dem Platon, hätte er nach der Herauskunft des Christentums
gelebt. Anders als Platon, wollte die christliche Welt die Schöpfung nicht metaphorisch verstanden wissen. Die
christliche Vorstellung war die einer creatio ex nihilo, der Weltschöpfung aus dem Nichts durch einen Gott, der Gott
schon war, ehe er die Welt erschuf. Thomas von Aquin versuchte, beides zu koordinieren: die Idee der Schöpfung
und Aristoteles´ Bild des Kosmos und seiner Relation zu Gott. </p>
<P class="Gross">Bei Thomas kommt ein neues Argument hinzu: der Wille Gottes. Den Begriff des Willens
einzuführen ist notwendig, wenn Schöpfung gedacht werden soll: denn zur Schöpfung hat sich Gott, so wie er in der
christlichen Theologie vorgestellt wird, willentlich entschlossen. Und es kam im Mittelalter zu einer Streitfrage, mit
der wir uns in dieser Vorlesung befassen werden: Handelt Gott aufgrund seiner Vernunft, und stellt sich dieses
Handeln in einer vernünftig eingerichteten Welt dar, so daß die Einrichtung der Welt notwendig ist, oder handelt er
gemäß eines Willens, der keinen Beschränkungen unterworfen ist. Die Alternative ist die von einem rationalistischen
und einem voluntaristischen Gottesbild.</p>
<P class="Gross">Thomas von Aquin wollte diesen Streit durch den Beweis der Identität von Wille und Verstand in
Gott beilegen. Die Identität von Verstand und Wille in Gott - noch jenseits aller Schöpfungsfragen - wird von
Thomas im Anschluß an Aristoteles gesucht.. Gott, der sich selbst erkennt durch den Verstand, begehrt, argumentiert
Thomas, deshalb zuerst sich selbst; der Wille Gottes geht zunächst auf sich. Im CompendiumTtheologiae schreibt
Thomas: </P>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"Weiter ist offenkundig, daß Gott wollend
sein muß. Er - das vollkommene Gut - versteht nämlich Sich Selbst. … Das
verstandene Gut aber wir mit Notwendigkeit geliebt; dies aber geschieht durch den
Willen. Also muß Gott wollend sein."</P></BLOCKQUOTE>
<P class="Laufend">Und Thomas fährt fort - Kap. 33:</P>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"Es leuchtet aber ein, daß Gottes Wille
nichts anderes sein kann als Sein Verstand. Da nämlich das verstandene Gut
Gegenstand des Willens ist, bewegt es den Willen und ist dessen Wirklichkeit und
Vollkommenheit. In Gott aber unterscheiden sich Bewegendes und Bewegtes,
Wirklichkeit und Möglichkeit, Vollkommenheit und zu Vervollkommnendes nicht.
… Also muß der göttliche Wille das verstandene Gut sein. Der göttliche Verstand
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und das göttliche Wesen aber sind dasselbe. Also ist der Wille nichts anderes als der
göttliche Verstand und sein Wesen."</P></BLOCKQUOTE>
<P class="Gross">Schöpfung denken heißt, daß Gott für alle Dinge, die da sind, Ursache ihres Daseins ist. So wie in
Gott selbst Verstand und Wille Eines sind, ist der thomistischen Theologie zufolge die Schöpfung Folge seines
Willens und bestimmt durch seinen Verstand. Die Welt, die Gott geschaffen hat, steht unter dem Prinzip des Guten:
sie ist gut ihren Urspung nach, denn ihre Ursache, Gott, ist gut; und sie ist gut ihrer Beschaffenheit und Einrichtung
nach, da ein guter Urheber nur das Gute schaffen kann. Gott und Welt sind durch die Relation der Ähnlichkeit,
similitudo und assimilatio, bestimmt. Denn gemäß eines aristotelisch-scholastischen Grundsatzes muß die Wirkung
jederzeit der Ursache entsprechen, das heißt ihr ähnlich, aber nicht mit ihr identisch sein. Alles ist dazu gemacht, sagt
Thomas, damit es der bonitas, dem Gut-Sein Gottes, ähnlich sei. So erklärt sich für Thoams auch die
Mannigfaltigkeit der geschaffenen Wesen: Keines drückt Gott ganz oder vollkommen aus. Kap. 102 aus dem
Compendium Theologiae stellt diesen Gedanken dar:</P>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"Die Verähnlichung mit Gott ist die Ursache der
Verschiedenheit in den Dingen. (…) Weil nämlich wegen des Abstnades eiens jeden
Geschöpfes von Gott das Gut-sein Gottes nicht auf vollkommene Weise dargestellt
werden konnte, mußte sie durch viele Dinge dargestellt werden, damit das, was von
seiten des einen fehlt, von seiten eines anderen ergänzt werde (…) Was der
allgemeinen Ursache schlechthin und auf geeinte Weise inne ist, findet sich in den
Wirkungen auf vielfältige und unterschiedliche Weise; denn es ist etwas auf edlere
Weise in der Ursache als in den Wirkungen. Das eine und einfache Gut-sein Gottes ist
aber Prinzip und Wurzel des ganzen Gut-seins, das sich in den Geschöpfen findet. Also
müssen die Geschöpfe so dem Gut-sein Gottes ähnlich sein, wie Vieles und
Unterschiedenes einem einzigen Einfachen ähnlich ist. So treten also Vielheit und
Unterscheidung in den Dimngen nicht durch Zufall oder von ungefähr auf, wie auch
die hervorbringung der Dinge nicht vom Zufall oder von ungefähr kommt, sondern
wegen eiens Zieles."</P></BLOCKQUOTE>
<P class="Gross">Die Ähnlichkeit der Welt mit Gott beruht also darauf, Ähnlichkeit des Gut-Seins Gottes zu sein,
die Verschiedenheit zu Gott darauf, daß sie im Unterschied zu Gott nicht ein höchst einfaches Wesen, sondern durch
Vielheit und Verschiedenheit gekennzeichnet ist: Die Nichtidentität indiziert einen Mangel: die Ähnlichkeit des
Werks zu seinem Urheber ist nie vollkommen. Kennzeichnend für diese Dinge ist, daß sie gemäß ihrer
eingeschränkten Vollkommenheit das vollkommene Gute, Gott, nachzuahmen streben: das ist die Komposition von
Aristoteles und Christentum. Thomas schreibt in Kap. 103 des Compendium Theologiae:</P>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"Jede Bewegung und Tätigkeit jedweden
Dinges scheint nach Vollkommenheit zu streben. Das Vollkommene aber hat die
Bewandtnis des Guten; die Vollkommenheit jedweden Dinges ist nämlich sein GutSein. Also strebt jede Bewegung und Tätigkeit jedweden Dinges nach einem Guten.
Ren.Einl.
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Jedwedes Gute aber ist eine Art Ähnlichkeit des höchsten Gutes, wie auch jedwedes
Seiende eine Ähnlichkeit des ersten Seienden ist. Also strebt die Bewegung und
Tätigkeit jedweden Dinges nach der Ähnlichkeit des Gut-seins
Gottes."</P></BLOCKQUOTE>
<P class="Laufend">Allen Wesen, als Geschöpfen, ist gemeinsam, ihrem Sein nach die Gutheit Gottes darzustellen
und ihrer Tätigkeit nach die Ähnlichkeit Gottes zu erstreben. Ähnlichkeit, Nachahmung, Teilhabe (participatio) sind
die Kategorien, gemäß derer Thomas die Relation der Welt zu ihrem Urheber unter der Leitidee der Gutheit Gottes
denkt. </p>
<P class="Gross">Laut Thomas ist es auszuschließen, daß Gott die Schöpfung -die er entgegen Aristoteles als
geschaffen, und mit Aristoteles als ewig denkt; Gott hat eine ewige Welt geschaffen -Thomas also schließt aus, daß
Gott sie Schöpfung je vernichten wird. Die 104. Untersuchung der Summe der Theologie - in der von Bernhart
besorgten Zusammenstellung und deutschen Übersetzung - befaßt sich mit der Frage nach der Erhaltung bzw. der
Möglichkeit der Vernichtung der Schöpfung und Geschöpfe durch Gott. </p>
<P class="Gross">Thomas behauptet, daß Gott nicht die Ursache des Strebens zum Nichtsein sein kann. Denn unser
Sein hängt, qua Schöpfung, von Gottes Güte ab: So würde die Vernichtung der Dinge durch Gott einen Widerspruch
in Gott eintragen: er würde einmal gut, und einmal nicht gut sein. Daher schließt Thomas: "Aber Gott kann
unmöglich nicht gut sein. Also kann er nicht machen, daß die Dinge nicht sind, was er täte, wenn er sie
vernichtete." So ist für Thomas die Welt anfänglich durch Gottes Schöpfungsakt entstanden, aber sie ist ewig
ihrer Dauer nach. </p>
<P class="Gross">Gleichwohl läßt Thomas einen bestimmten Modus eines von Gott mitbedingten, wenngleich nicht
verursachten, Nichtseins der Dinge offen. Da die Dinge aus Gott nicht infolge einer Notwendigkeit seiner Natur
folgen, sondern die Schöpfung und ihr Erhaltung Folgen seines Willens sind, kann Gott ein Ding dadurch zunichte
machen, nicht daß er es vernichtet, was seiner Gutheit widerspricht, sondern daß er von seinem Tun, nämlich dem
Erhalten, abläßt. Denn so sind Gottes Gutheit und Nichterhaltung dr Welt, nicht aber Gutheit und Zerstörung
kompatibel. Dies ist freilich spitzfindig genug, bleibt jedoch, bei Thomas, ein Gedankenspiel. Denn nicht nur infolge
seiner Güte, sondern auch infolge seiner Macht kann Gott kein Interesse an der Vernichtung seiner Geschöpfe haben.
Thomas schrieb in der Summa theologia:</P>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"Daß die Dinge ins Sein gebracht worden
sind, nachdem sie nicht waren, legt die Macht des Hervorbringers an den Tag. Aber
ihre Rückgabe ins Nichts würde eine derartige Bekundung verhindern: da Gottes Macht
sich am meisten darin zeigt, daß er die Dinge im Sein erhält, nach dem Wort des
Apostels Hebr. 1,3: "Träger aller Dinge durch das Wort seiner
Kraft."</P></BLOCKQUOTE>
<P class="Gross">Gott, der im christlichen Komsos die Dinge aus dem Nichts erschuf, ist der Erhalter der Welt; die
ursprüngliche Schöpfung, creatio, setzt sich - im terminus technicus der Scholastik - als creatio continua fort.
Thomas von Aquin blieb Philosoph, auch wo er sich mit Fragen der Theologie befaßte. Er mußte sich gegen
Aristoteles´ These von der Ewigkeit der Welt stellen, und seine Kritik an einem Ewigen, das doch entstanden sein
soll, unterlaufen. Ewig ist für Thomas die Welt in der Zukunfts-, nicht in der Vergangenheitsperspektive.</p>
<P class="Gross">Aber Bischof Etienne Tempier von Paris, mit dem wir bzgl. der Seelenlehre schon zu tun
bekamen, war das doch zuviel - er sah in solchen Lehren auch auf diesem Feld ein Zuviel an Rationalität. Denn wenn
Ren.Einl.
6. Vorlesung
12
der Bestand der Welt so sicher ist, was ist dann mit der christlichen Gesinnung? Auch bezüglich der antiken wie der
thomistischen Kosmologie sah Tempier die Grundfesten des Christentums gefährdet. Sein Verbot der 217 Thesen im
Jahr 1277 schließt kosmologische Lehren ein.</p>
<P class="Gross">Kommen wir also ein zweites Mal, nun im Zusammenhang kosmo-theologsicher Fragen, zu
Bischof Tempiers Lehrverboten. These 3 bezieht sich auf Aristoteles´ Lehre von Gott als einem Wesn, das nur das
beste will und denkt und so nur in sich selber kreist. Diese These konnte so verstanden werden, als habe Gott keinen
Bezug zur Welt, möglicherweise weiss der Gott auch nichts von ihrer Existenz. Bischof Tempier verbot den Satz zu
lehren:</p>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"3.Quod Deus non cognoscit alia a se
(Gott erkennt nichts, was von ihm verschieden ist."</P></BLOCKQUOTE>
<P class="Laufend">Und in Beziehung auf die Relation von Gott und Welt verbietet Tempier zu lehren:</P>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"62. Quod Deus est infinite virtutis, non
quia faciat aliquid de nichilo, sed quia continuat motum infinitum." (Gott ist von
unenldicher Kraft, aber nicht, weil er etwas aus dem Nichts bewirkt, sondern weil er
eine unendliche Bewegung fortgesetzt erhält." </P></BLOCKQUOTE>
<P class="Gross">Tempier verbot also, die die Ewigkeit der Welt als unentstandener zu lehren. Aber Aristoteles
hatte die Schwierigkeiten aufgewiesen, den Kosmos als entstanden und doch als ewig fortdauernd zu denken: was
enststeht, kann auch zugrundegehen. Das ist ein naturphilosophisches Arguement, mit dem, wie wir sahen,
Aristoteles die Ewigkeit der Welt bewiesen hat. . Tempier verbietet eine solche Argumentation, die dem
Schöpfungsgedanken widerspricht. Die vierte von ihm verbotene These lautet:</P>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"4. Quod nihil est eternum a parte finis,
quod non sit eternum a parte principii. (Nichts ist ewig in bezug auf sein Ende, was
nicht auch in bezug auf seinen Ursprung ewig wäre.)"
Ineins mit dem Verbot, Gott als unbewegten Beweger im Sinn von Aristoteles zu lehren, verbot Tempier auch die
Lehre von mehereren Bewegern, wie wir sie in der Metaphysik zur Erklärung der Bewegung der Himmelsspären und
Planeten vorgefunden haben. Laut Aristotele gibt es so viele Erstbeweger, wie es Sternenschalen und ewige
Sternbewegungen gibt. Tempiers These 66 vervbietet eine solche Lehre:
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"66. Quod plures sunt motores primi. (Es
gibt mehrere erste Beweger.) </P></BLOCKQUOTE>
<P class="Laufend">Und hieran schließt eine Kritik an der Relation von dem Ersten Beweger, Gott, und den übrigen
Bewegern oder reinen Intelligentien an, im 1. Teil der These 67:</p>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"67. Quod primum mobile simpliciter non
movet, nisi aliquo mediante" (Das erste schlechthin Unbewegte bewegt nur mit
Hilfe eines vermittelten Bewegten)". </P></BLOCKQUOTE>
<P class="Gross">Dann hatte ich letzte Vorlesung davon gesprochen, daß nicht nur
der Himmel laut Aristoteles ewig ist, sondern daß es Ewigkeit auch in der Welt des
Werdenden und Vergehenden, in der sublunaren Welt gibt. ewig sind laut Aristoteles
Ren.Einl.
6. Vorlesung
13
die Geschöpfe nicht als Individuen, sondern als Gattung. Auch der Kreislauf von
Geburt und Tod ahmt die kreisförmige Bewegung nach. Und ewig ist, woraus diese
Welt gebildet ist: Zeit und Bewegung, die Materie an und für sich und als das
Aufnehmende der Formen, und aktive Prinzipien, die diese Formen verursachen. Auch
diesen Aspekt verbietet Tempier mit These 87 zu lehren:</P>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">87. "Quod mundus est eternus, quantum
ad omnes species in eo contentas; et, quod tempus est eternum, et motus, et materia, et
agens, et suscipiens; et quia est a potentia Dei infinita, et impossibile est innovationem
esse in effectu sine innovatione in causa." (Die Welt ist ewig in bezug auf alle in
ihr enthaltenen Arten. Zeit und Bewegung, Stoff, Wirkursache und Aufnehmendes sind
ewig. Sowohl, weil sie aus der unendlichen Macht Gottes stammt, als auch, weil es kein
Neuwerden in der Wirkung gibt ohne ein Neuwerden in der Ursache."
</P></BLOCKQUOTE>
<P class="Laufend">Letzterer Aspekt ist hochinteressant: Die Ewigkeit der Welt
erfordert, einen unveränderlichen Gott zu denken. Würde die Welt sich ändern, so
müßte auch die Ursache der Welt, Gott, sich geändert haben: Aber ein ewiger Gott
kennt keine Veränderung. Das entspricht nicht dem Glauben gemäß der Lehren
beeispielsweise von Augustinus. Gott kann die Welt vernichten, ohne selbst ein anderer
zu werden. So ist hier das Feld einer theologischen Auseinandersetzung beschritten.
Die Frage ist: Ist Gottes Handeln notwendig oder frei? Kann Gott die Welt, oder die
der Welt zugrundeliegenden Gesetze vernichten bzw. ändern? Das Christentum kennt
eine solche Vernichtung und Neuordnung der Welt: das ist in der Apokalypse
dargestellt.</P>
<P class="Laufend">Auf diesen Gesichtspunkt: die Frage, ob Gottes Handeln von Notwendigkeit bestimmt ist, geht
Tempier mit Verbot der These 53 eigens ein:</P>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"53. Quod Deum necesse est facere,
quicquid inmediate fit ab ipso. - Error, sive intelligatur de necessitate coactionis, quia
tollit libertatem, sive de necessitate immutabilitatis, quia ponit impotentiam aliter
facere." (Alles, was unmittelbar von Gott bewirkt wird, muß er mit
Ren.Einl.
6. Vorlesung
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Notwendigkeit tun. - Dies ist ein Irrtum, sowohl wenn man es im Sinne der
Zwangsnotwendigkeit versteht, weil es die Freiheit zerstört, als auch im Sinne
notwendiger Unveränderlichkeit, denn es behauptet die Ohnmacht, anders zu
handeln." </P></BLOCKQUOTE>
<P class="Gross">
Wir haben gesehen, daß Aristoteles seinen Gottesbegriff - er spricht von Gott auch als von dem sich selbst
denkenden Denken - am Philosophen orientierte, an der philosophischen Vernunft. Diese strebt Gott so nach, wie der
Kosmos sich auf Gott als auf sein Ziel zubewegt: Und das ist laut Aristoteles das höchste Glück, dessen wir fähig
sind. So denkt die philosophische Vernunft das Unveränderliche, Wahre, und auch aus diesem Grund muß der
Komsos ewig sein: sonst wäre Wahrheitz nicht zu haben, sonst würde all unser Wissen sich auf Vergängliches
beziehen. Nun: genau dies, daß das Vergängliche unser Denken bestimmen muß, fordtert Bischof Etienne Tempier
zu lehren. Diese Welt ist nur ein Duchgangsstadium, und ein solches, das Gott jederzeit zerstören kann. Das Glück,
von dem Aristoteles in der Nikomachischen Ethik sprach, steht daher in Opposition zu einem Christentum, das auf
Werte wie Demut, Gehorsam, Leiderfahrung setzt. Daher verbietet Tempier zu lehren:</P>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ">"40. Quod non est excellentior status,
quam vacare philosophiae." (Es gibt keine ausgezeichnetere Lebensform, als sich
frei der Philosophie zu widmen.)" </P></BLOCKQUOTE>
<P class="Laufend">
Dieser These können wir entnehmen, daß Tempier die Wertschätzung einer ganzen neuen Leebnsform entkräften
will, die sich aals Verwissenschaftlichung beziechnen läßt: Darüber habe ich in der ersten Vorlesung gesprochen.
Wie Flasch es formilierte (im Kommentar zu These 40, p. 1137f.): "Der Bischof hielt die Aristoteleserklärer
seiner artes-Fakultät nicht - wie einige neuere Gelehrte - für bloße Aristotelesphilologien, die darauf verzichtet
hätten, über die Wahrheit und das richtige Leben zu befinden; er bekämpfte sie als Befürworter einer neuen Wertund Lebensordnung. Der Bischof sah klar: Die Rezeption der aristotelischen Ethik mündete in die Autonomie der
Theorie und der vom Menschen selbst zu verwirklichenden Glückseligkeit. Diese Ethik-Rezeption entsprang nicht
einer müßigen Gelehrsamkeit; sie begünstigte die Bildung eines neuen laikalen Sebstbewußtseins. Sie konnte eine
soziale, eine umstürzlerische Funktion ausüben."</p>
<P class="Gross">Bischof Tempier stellte sich gegen die für Philosophen attraktive Möglichkeit, zwischen Gründen
der Vernunft und Gründen der Religion zu unterscheiden; das haben wir beim Themenkreis "Lehre von der
Seele" schon besprochen. Für die Kosmologie gilt dasselbe, Tempier verbietet zu lehren,</p>
<BLOCKQUOTE><P class="BQ"><CITE>These 90</CITE>: Quod naturalis
philosophus non debet negare simpliciter mundi novitatem, quia innititur causis
naturalibus, et rationibus naturalibus. Fidelis autem potest negare mundi eternitatem,
quia inntititur causis supernaturalibus. (Der Naturphilosoph muß schlechthin das
Neuwerden der Welt bestreiten, weil er sich auf Naturursachen und natürliche
Beweisgründe stützt. Der Gläubige kann dagegen die Ewigkeit der Welt verneinen, weil
er sich auf übernatürliche Ursachen stützt.)" </P></BLOCKQUOTE>
Ren.Einl.
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<P class="SehrGross">
Fragen wir: Was will Tempier erreichen? Tempier bekämpfte den Rationalismus, der durch die Wiederankunft von
Aristoteles in Europa die Universitäten zu beherrschen begann. Er wandte sich gegen das rationalistische, das
vernunftkonforme Gottesbild, sowohl das des Aristoteles, der Gott ja nicht als Schöpfer dachte, als auch gegen den
Rationalismus von Thomas von Aquin und anderen. Tempier wollte gegen rationalistische Theorien eine
voluntaristische Gottesvorstellung durchsetzen: Gott kann seinen Willen ändern, und Gott kann demzufolge die
Gesetze dieser Welt verändern. Gott soll als ein Gott gedacht werden, dessen allmächtiger Willen keiner äußeren
und keiner inneren Notwendigkeit unterworfen ist (Zwang; Vernunft), dessen Macht nicht durch Vernunft
eingeschränkt zu denken ist. Dies kommt klar zum Ausdruck mit seinem Verbot der folgenden These:
<BLOCKQUOTE><P class="BQ"><CITE>50</CITE>: Quod Deus non potest
irregulariter, id est, alio modo, quam movet, movere aliquid, quia in eo non est diversitas voluntatis.
(Gott kann nicht etwas auf unregelmäßige Weise bewegen, das heißt anders, als er es
jetzt bewegt, denn es gibt in ihm keine Verschiedenheit der Willensbeschlüsse.)
</P></BLOCKQUOTE>
<P class="Laufend">
Damit wird aber Gott selbst unverständlich; sein Wesen und Handeln werden der Begreiflichkeit entzogen. Tempier
befiehlt also zu lehren, daß Gott seinen Willen ändern, daß er jederzeit seine Schöpfung, die Einrichtung und den
Bestand der Welt verändern oder auch vernichten kann, wenn es ihm gefällt. Es gibt Tempier zufolge keinen Grund,
davon auszugehen, daß Gott nicht jederzeit anders können wolle, als er zu einem bestimmten Zeitpunkt beispielsweise zum Zeitpunkt der Schöpfung - wollte oder will. Tempier klagt gegen die rationalistischen und
aufklärerischen Strömungen des Mittelalters die unbeschränkte Allmacht Gottes ein. Tempiers Verurteilung ist gegen
ein Konzept von Vernunft gerichtet, das sich strikt dem wissenschaftlichen Beweisen und Begreifen verpflichtet hat,
das sowohl Gott wie uns darauf verpflichtet, der Vernunft zu folgen, das die Allmacht Gottes beschränkt auf solches
Handeln, das vernünftig ist. </p>
<P class="Gross">Unter der Prämisse des voluntaristischen Gottes wird nicht nur Gott, es wird auch die
Verläßlichkeit der Welt und unseres Wissens von der Welt vernichtet. Die Welt gerät unter Kontingenzverdacht: es
kann sein, daß nichts so ist, wie es uns erscheint. Die Welt wird kontingent; das heißt, sie kann da sein oder auch
nicht da sein, sie kann so beschaffen sein, wie wir sie erkennen, sie kann aber auch völlig anders sein, sie kann
vermünftig oder unvernünftig eingerichtet sein. Die Grundannahme von der Kontingenz der Welt und der
Unerkennbarkeit ihres Schöpfers sind strikt korreliert. Denn ein Gott, der aufgrund seiner Allmacht die Welt
jederzeit vernichten kann, der sie sogar pervers einrichten kann, kann nicht im Ausgang von der Welt und ihrer
Einrichtung durch menschliche Vernunft erschlossen werden. </p>
<P class="Gross">Die Welt sieht anders aus, wird sie aus der Perspektive eines vernünftigen, der Vernunft
folgenden Gottes, oder aus der Perspektive eines voluntaristischen Gottes betrachtet; der Mensch sieht sich selbst, er
denkt und handelt anders, wenn er seinen Grund in der göttlichen Vernunft oder in den unzugänglichen Beschlüssen
eines Willkürgottes findet. Gott als einen Willkürgott zu denken, sagte ich, war in der abendländischen Philosophie
ursprünglich nicht angelegt. Die Welt der griechischen Antike vor dem Impact des Christentums war eine ewige und
einzige Welt, ein nach ewigen Gesetzen geordneter Kosmos, dessen Faktizität nicht hintergangen und dessen
Vernünftigkeit nicht bestritten werden konnten. Philosophie hatte sich, von Platon bis zur Hochscholastk, bis zu
Thomas von Aquin, als ein Geschäft der Vernunft verstanden. Philosophie lehrte, daß die Welt vernünftig
eingerichtet sei, sei es von einem Gott, von einem Demiurgen, oder sei dies so seit Ewigkeit. Sie lehrte, in der
praktischen Philosophie, dieser vernünftigen Einrichtung der Welt gemäß zu leben, sie ging von einem
vernunftbestimmten Verhältnis von Gott, Welt und Seele aus.</p>
Ren.Einl.
6. Vorlesung
16
<P class="Gross">Die rechte Lehre gemäß des Pariser Dekrets von Bischof Tempier sollte demgegenüber sein, daß
Gott unendlich viele Welten schaffen konnte, daß er von keiner Notwendigkeit zu einer bestimmten Welt
verpflichtet, daß er jederzeit Neues schaffen, daß er jederzeit die bestehende Welt vernichten können soll. Damit
wird, gegen Thomas, ein Gott gedacht, der sich selbst widersprechen kann. Er kann zwar nicht gegen das
Widerspruchsprinzip verstossen, also z.B. gleichzeitig schaffen oder nicht oder gleichzeitig etwas Bestimmtes mit
bestimmten und gleichzeitig entgegengesetzten Beschaffenheiten schaffen - das Widerspruchsprinzip war die einzige
Grenze seiner Allmacht, die stets in Geltung blieb.</p>
<P class="Gross">Was mit dem Verbot dieser philosophischen Sätze durch Tempier aufgekündigt war, war die
Verläßlichkeit der Welt, die Möglichkeit der Erkenntnis Gottes, und das, was beides zusammenhält: die für die
mittelalterliche Philosophie methodisch grundlegende Kategorie der Ähnlichkeit. Eine Ursache, so wissen wir von
aller Philosophie bei und seit Aristoteles, kann nur erzeugen was ihr ähnlich ist; so wird ein Pferd immer ein Pferd,
ein Mensch immer einen Menschen zeugen. (Aristoteles gedankenreiches Problem, warum dann ein Mann eine Frau
erzeugen kann, lassen wir in diesem Zusammenhang beiseite; De generatione?). Und ein Künstler bringt hervor, was
seiner vom Verstand geformten Vorstellung gemäß ist: eine Vase, eine Statue, ein Bild. Was aber ist, wenn diese der
Natur sowie der Kunst abgenommene Idee einer Ähnlichkeit von Gott und Welt, von Schöpfer und Geschaffenem
aufgekündigt ist. Was folgt für die Idee des Erkennens, wenn der terminus ad quem, das worauf das Wissen geht,
zufällig und möglicherweise zu jeder beliebigen von Gott gewählten Zeit anders ist, wenn das, was wir als seine
Gesetze zu erkennen meinen, nur Ausdruck willkürlicher Setzung ist?.</p>
<P class="SehrGross">Zusammenfassung: Rationalismus vs. Voluntarismus</P>
<TABLE BORDER CELLSPACING=1 CELLPADDING=5>
<TR><TH WIDTH="50%" VALIGN="TOP">
Rationalismus</TH>
<TH WIDTH="50%" VALIGN="TOP">
Voluntarismus</TH>
</TR>
<TR><TD WIDTH="50%" VALIGN="TOP">
Der Wille Gottes ist nicht durch äußeren Zwang, aber durch seinen
Verstand bestimmt</TD>
<TD WIDTH="50%" VALIGN="TOP">
Der Wille Gottes ist allmächtig und durch nichts determiniert</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="50%" VALIGN="TOP">
Gott schafft eine Welt</TD>
<TD WIDTH="50%" VALIGN="TOP">
Gott kann viele Welten schaffen</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="50%" VALIGN="TOP">
Die Welt ist Ähnlichkeit Gottes (similitudo - participatio)</TD>
<TD WIDTH="50%" VALIGN="TOP">
Die Welt ist nicht das Äquivalent Gottes</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="50%" VALIGN="TOP">
Die Welt ist intelligibel</TD>
<TD WIDTH="50%" VALIGN="TOP">
Die Welt ist nicht intelligibel</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="50%" VALIGN="TOP">
Prädikat Gottes: Gut-Sein, <I>bonitas</I></TD>
<TD WIDTH="50%" VALIGN="TOP">
Prädikat Gottes: Allmacht</TD>
</TR>
</TABLE>
Ren.Einl.
6. Vorlesung
17
<P class="SehrGross">Tempiers Verbot solcher Lehren, die die Welt als verläßlich, als wohlgeordnet, die Gott als
vernünftigen zu denken lehrten, hatte weitreichende Folgen. Der Gott der Metaphysik wurde, zunächst insbesondere
bei den Franziskanern, die den aristotelischen und thomitischen Rationalismus stets bekämpften hatten, der
voluntaristische Gott; und dieses Gottesbild setzte sich insbesondere in Frankreich und in England durch: Noch
Descartes und Newton stehen in der Tradition des voluntaristischen Gottesbilds. </P>
<hr><hr>
<p class="NAV"><a href="Default.htm">[Leitseite Unterlagen zur
Vorlesung]</a></p>
<hr><hr>
</body></html>
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