Soziologie SE BG/Gruppe 2 25 16 Differenz SWS 1 60 1500 ECTS 1 45 720 Präsenz 780 Mag. Daniela Moser Vollstunden 25,00 12,00 13,00 Individualphase 13,00 Sozialisationsinstanzen und Lebensbereiche Jugendlicher Termin 24.10. 10:00-11:30 7.11. 10:00-11:45 21.11. 10:00-11:45 5.12. 10:00-11:45 19.12. 10:00-11:45 16.1. 10:00-11:45 30.1. 10:00-11:45 13.2. 10:00-11:30 Inhalt Organisation Überblick über LV Vorstellung der Literatur und Seminarmethode Familie und Partnerschaft 2,0 2,3 Bildungs- und Qualifizierungseinrichtungen 2,3 Gleichaltrigengrupppen, Freizeit- und Konsumsektor 2,3 Öffentliche und politische Institutionen 2,3 Entwicklungs- und Gesundheitsprobleme im Jugendalter 2,3 Soziale und politische Unterstützung für Jugendliche 2,3 Zusammenfassung Workload - Individualphase 1. Präsentation: 5 Personen, kleine Umfrage, Interviews (1 Interview/Gruppenmitglied), Beobachtung, Videodokumentation 7 Stunden 2. Portfolio: am Ende des Semesters abzugeben; Bearbeitung von Arbeitsaufträgen, die in der LV bekannt gegeben werden (zB Reflexion von Lehrausgängen, didaktische Aufbereitung des Themas, Zusammenfassung von Diskussionsrunden etc.) 6 Stunden D:\75882644.doc 1 Soziologie SE BG/Gruppe 2 Mag. Daniela Moser Inhalt Familie und Partnerschaft Interviewleitfaden Interviews Transkription Interpretation Bildungs- und Qualifizierungseinrichtungen Fragebogen Befragung Auswertung Interpretation Gleichaltrigengrupppen, Freizeit- und Konsumsektor Videoaufzeichnung verschiedene Freizeiteinrichtungen Öffentliche und politische Institutionen Internetrecherche Überblick über Institutionen in Österreich Vorstellung einer Auswahl Entwicklungs- und Gesundheitsprobleme im Jugendalter Interviewleitfaden Experteninterviews Zusammenfassung der Interviews Soziale und politische Unterstützung für Jugendliche Internetrecherche Überblick über Institutionen in Graz Vorstellung D:\75882644.doc 2 Gruppenmitglieder Datum Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 25 16 Differenz SWS 1 60 1500 ECTS 1 45 720 Präsenz 780 Mag. Daniela Moser Vollstunden 25,00 12,00 13,00 Individualphase 13,00 Sozialisationsinstanzen und Lebensbereiche Jugendlicher Termin 31.10. 10:00-11:30 14.11. 10:00-11:45 28.11. 10:00-11:45 12.12. 10:00-11:45 9.1. 10:00-11:45 23.1. 10:00-11:45 6.2. 10:00-11:45 Inhalt Organisation Überblick über LV Vorstellung der Literatur und Seminarmethode Familie und Partnerschaft 2,0 2,3 Bildungs- und Qualifizierungseinrichtungen 2,3 Gleichaltrigengrupppen, Freizeit- und Konsumsektor 2,3 Öffentliche und politische Institutionen 2,3 Entwicklungs- und Gesundheitsprobleme im Jugendalter 2,3 Soziale und politische Unterstützung für Jugendliche 2,3 Workload - Individualphase 3. Präsentation: 5 Personen, kleine Umfrage, Interviews (1 Interview/Gruppenmitglied), Beobachtung, Videodokumentation 7 Stunden 4. Portfolio: am Ende des Semesters abzugeben; Bearbeitung von Arbeitsaufträgen, die in der LV bekannt gegeben werden (zB Reflexion von Lehrausgängen, didaktische Aufbereitung des Themas, Zusammenfassung von Diskussionsrunden etc.) 6 Stunden D:\75882644.doc 3 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Inhalt Familie und Partnerschaft Interviewleitfaden Interviews Transkription Interpretation Bildungs- und Qualifizierungseinrichtungen Fragebogen Befragung Auswertung Interpretation Gleichaltrigengrupppen, Freizeit- und Konsumsektor Videoaufzeichnung verschiedene Freizeiteinrichtungen Öffentliche und politische Institutionen Internetrecherche Überblick über Institutionen in Österreich Vorstellung einer Auswahl Entwicklungs- und Gesundheitsprobleme im Jugendalter Interviewleitfaden Experteninterviews Zusammenfassung der Interviews Soziale und politische Unterstützung für Jugendliche Internetrecherche Überblick über Institutionen in Graz Vorstellung D:\75882644.doc 4 Gruppenmitglieder Datum Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Jugendphase im menschlichen Lebenslauf Die Ausdehnung der Lebensphase Jugend Die Zusammensetzung der Bevölkerung nach Alternsgruppen hat sich seit dem ende des 19. Jh. zugunsten der älteren Menschen verändert: Abnahme der jugendlichen Bevölkerung Kinder als „Reichtum“ in der ländlichen und handwerklichen Gesellschaft Kinder als „Altersicherung“ Industrialisierung Kinder nicht mehr notwendig zur Altersabsicherung Kinder als „luxuriöse“ Investition Kinder als Gewinn von emotionaler und biografischen Lebensqualität Entscheidung für Kinder abhängig von beruflichen, privaten und finanziellen Kriterien Prognosen für 2010: Anwachsen der BV der über 65-jäjrigen auf über 22 %, Sinken der unter 20-jährigen auf 17 % Entstehen der Lebensphase „Jugend“ im Jahr 1950 => Ausdehnung dieser Lebensphase bis 2050 o sinnstiftende Funktion der Lebensphase Jugend o Bedeutung für nachfolgende Lebensphasen o Verlust von kulturellen Symbolen und traditionellen Übergangszeremonien => Menschen haben wenige Anhaltspunkte dafür, in welcher Lebensphase sie sich befinden Individualisierung (N. Elias) o Wegfall von traditionellen Festlegungen durch Herkunft, Religion und Geschlecht spielen heute eine weniger große Rolle o „soziale Emanzipation“ => jedes einzelne Individuum ist verantwortlich für Sinnfindung im Lebens D:\75882644.doc 5 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Historische Entwicklung der Lebensphase Jugend Vorindustrielle Gesellschaft: keine gesellschaftliche Abgrenzung der Lebensphase „Kind“ von der des Erwachsenen Kind als Miniaturausgabe des Erwachsenen Industrialisierung: ab 1850: Außerfamiliäre Lebensbereiche entstehen (Arbeit und Freizeit) => Entstehung der Lebensphase „Kindheit“, Kinder haben eigene psychologische und pädagogische Verhaltensansprüche Erste Hälfte des 20. Jh.: Komplexe berufliche Anforderungen => gezielte Ausbildungen für alle Schichten sind nur durch außerfamiliäre Einrichtungen möglich Zeitpunkt des Übertritt ins Erwachsenenalter verschiebt sich über die Pubertät hinaus (nur in bürgerlichen Schichten) Kindheit wird unterteilt in frühe und späte Phase (= Jugend) heute: Ausdehnung dieser Phase auf 15 Jahre absichtliche Ausdehnung der schulischen und universitären Ausbildung => Jugendliche bleiben länger im Erziehungssystem und strömen nicht auf den überlasteten Arbeitsmarkt Klischees Jugendliche sind unreif und unmündig und wenden sich Freizeit und Konsumaktivitäten zu, Wegfall von Arbeitstugenden geringer sozialer Stellenwert, „Hormone“ spielen verrückt => Unreife Problemverhaltensweisen von Jugendlichen (Aggressivität, Fremdenfeindlichkeit, Drogenkonsum, Hyperaktivität) D:\75882644.doc 6 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Rolle von Bildungseinrichtungen Schulische Einrichtungen gewinnen an Einfluss o Schulwesen ist in Europa streng reglementiert o Forderung nach Lernstätten, in denen produktive und selbstgesteuerte Tätigkeiten ausgeübt werden können. Arbeitsauftrag 1: Diskutieren Sie in Ihrer Kleingruppe über Klischeevorstellungen „Erwachsener“ gegenüber „Jugendlichen“. Was denken Erwachsene über Jugendliche? Was erwarten sich Erwachsene von Jugendlichen? Was denken Jugendliche über Erwachsene? Was erwarten sich Jugendliche von Erwachsenen? Sammeln Sie schriftlich Argumente Rollenspiel D:\75882644.doc 7 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Familie und Partnerschaft Die psychische und soziale Ablösung von den Eltern und der Aufbau selbständiger Partner- und Liebesbeziehungen gehören zu einer Entwicklungsaufgabe im Jugendalter. Die Institution Familie macht seit fünf Jahrzehnten erhebliche Strukturwandlungen durch. 1960er: Höhepunkt der Verbreitung (90 % aller EW heirateten im Laufe ihres Lebens heute: Bedeutungsverlust der Ehe (60 % der EW heiraten) keine Selbstverständlichkeit, in einer Ehe Kinder zu haben Familie beeinflusst Lern- und Sozialerfahrungen von Jugendlichen: Eltern strukturieren Erfahrungen vor ordnen Erfahrungen ein bewerten Erfahrungen Erfahrungen sind abhängig vom Erziehungsstil der Eltern von der Ehepartnerbeziehung vom Familienklima von der wirtschaftlichen und sozialen Position der Familienmitglieder Chancen und Risken veränderter Familienstrukturen Rolle der Eltern als soziale Vorbilder Partnerbeziehungen der Eltern prägen die eigenen Vorstellungen darüber, wie sich später selbst als Partner verhalten möchten. Jugendliche erleben Trennungen und Scheidungen ihrer Eltern den hohen emotionalen Wert von Partnerschaften Veränderungen der Frauen- und Männerrolle D:\75882644.doc 8 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Die soziale Qualität der Eltern-Jugendlichen-Beziehung Eltern investieren finanziell in ihre Kinder, sind intensive Berater und Unterstützer in Lebensfragen Kinder sind für Eltern Sinn gebend. Eltern erfüllen intensiv ihre Erziehungsund Beziehungsaufgabe. Eine große Mehrheit von Jugendlichen kann sich über eine fehlende Unterstützung der Eltern nicht beklagen, es besteht eher die Gefahr der Überbehütung. 70 % der Jugendlichen sind mit dem Erziehungs- und Umgangsstil ihrer Eltern voll zufrieden. Das Konfliktpotenzial zwischen den Generationen ist eher gering. Die Auseinandersetzungen im Elternhaus drehen sich um harmlose Themen. Zu ernsteren Schwierigkeiten kommt es bei Problemverhalten wie Kriminalität, Drogenkonsum und frühe sexuelle Aktivitäten. In diesen Krisenzeiten erleben Jugendliche ihre Eltern als konstruktive Gesprächspartner. Die Auseinandersetzungen finden meist mit den Müttern statt, die Väter gehen zeitlich eher später auf Konflikte ein. Eltern bevorzugen einen demokratischen Erziehungsstil. Auswirkung von Scheidung und Trennung der Eltern 1/3 der Jugendlichen sind heute von Trennung und Scheidung ihrer Eltern betroffen. Jugendliche spüren starke psychische und soziale Belastungen durch den Verlust der Elternsolidarität. Meist werden Jugendliche von ihren Eltern nicht angemessen über die sich anbahnende Trennung informiert, werden in die Konflikte oft miteinbezogen. Die eigene Partner-Beziehungsfähigkeit nimmt oft Schaden. Nach der Trennung beginnt für Jugendliche eine schwierige Phase der Neuordnung ihrer sozialen Beziehungen und Bildungen zu den Eltern. Die Beziehung zum getrennt lebenden Partner erlischt oft, intensiviert sich zu dem erziehenden Elternteil. Mit der Lebenssituation nach der Trennung ist oft ein Wechsel von Wohnung und damit von Freundes- und Nachbarschaftskontakten verbunden. „Scheidungswaisen“ sind oft psychischen Stigmatisierungen ausgesetzt und reagieren in ihrem Verhalten oft auffällig. D:\75882644.doc 9 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Langzeitwirkungen von Elterntrennungen Ein Teil der Jugendlichen macht günstige Erfahrungen, dass die geschiedenen Eltern in der Lage waren, ihr Leben erfolgreich neu auszurichten. Es kommt zu veränderten Beziehungen zu Eltern, Stiefeltern, Geschwistern, etc, die eine Bereicherung der eigenen Verhaltensmöglichkeiten darstellen. Familientherapeutische Studien zeigen, dass eine rücksichtsvoll und sachlich durchgeführte Scheidung den Jugendlichen weniger schadet als eine aufrechterhaltende Ehe, in der sich die Partner diskriminieren. In den Ein-Eltern-Familien schaffen es viele Eltern, die Doppelbelastung als Alleinerzieher so zu bewältigen, dass die Kinder nicht darunter leiden. In vielen Fällen können die Anforderungen an Jugendliche, Haushalt und Familienleben verantwortlich und selbständig mit zu gestalten, förderlich für den Aufbau einer stabilen Persönlichkeit sein. Erwerbstätigkeit von Müttern und Vätern Mütter wählen die berufliche Erwerbsarbeit. Berufstätige Mütter vernachlässigen keineswegs ihre Familie. Im Gegenteil wird das Familienleben trotz des engen Zeithaushaltes bewusster und einfühlsamer. Die Berufstätigkeit von Müttern und Vätern hat bei klarer Zeitaufteilung und Zuständigkeiten überwiegend positive Auswirkungen für das Familienleben der Jugendlichen. Jugendliche erleben die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, es entsteht ein größeres Maß an Gemeinsamkeiten im täglichen Umgang miteinander. Auswirkungen ökonomischer Krisensituationen Arbeitslosigkeit bedeutet einen tief gehenden Bruch im Lebensrhythmus der Familie, der von Jugendlichen sensibel empfunden wird. Sicherheit und Verlässlichkeit der Bezugspersonen Vater und Mutter werden in Frage gestellt. Die Jugendlichen spüren die Verunsicherung der Erwachsenen, die sich durch deren erzwungenen Statusverlust ergibt. Die Verunsicherung der Familie ist neben der sozialen Verunsicherung der Beziehungen zu Gleichaltrigen die spürbare und schmerzliche Konsequenz. D:\75882644.doc 10 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Mehr und mehr Familien leben in relativer Armut. Mit diesem Begriff werden Haushalte bezeichnet, die nur über so geringe materielle Ressourcen verfügen, dass sie von einer Lebensweise ausgeschlossen sind, die in ihrem Wohnumfeld als Grenze des Akzeptablen annehmbar ist. Jedes sechste Kind wächst in einer Familie auf, in der ein unakzeptables niedriges Einkommen zur Verfügung steht, die Wohnbedingungen ungewöhnlich beengt sind, Arbeitslosigkeit der Eltern vorherrscht und der Bildungsgrad der Familienmitglieder sehr gering ist. Psychische Krisenlagen und Gewalthandlungen in Familien Jugendliche leiden unter alkohol- und drogenabhängigen Eltern. Durch die meist jahrelang anhaltende Krankheit der Eltern sind die Regeln des Zusammenlebens gestört, oft erfahren Jugendlich psychische Ablehnung und tiefe Aggression, die sich bei ihnen in depressiven Störungen niederschlagen können. Sexuelle Gewalt gegen Jugendlich kommt in 10 % aller Familien vor, die Opfer sind zu 80 % Mädchen, die Täter sind überwiegend männlich. Zumeist sind in den betroffenen Familie die Väter patriarchalische Persönlichkeiten, die einen partnerschaftlichen Umgang in der Familie nicht zurecht kommen und durch männliches Machtstreben das Familiensystem zerstören. Die Folgen sexueller Gewalt sind lebenslang spürbar: Körperliche Entwicklungsverzögerungen, Sinnesbeeinträchtigungen, Sprachstörungen, depressive Syndrome, sexuelle Entwicklungsstörungen und Drogenmissbrauch gehören dazu. Dazu kommt die Erfahrung des Vertrauensbruchs zum gewalttätigen Elternteil, der kaum zu verkraften ist. Konflikte zwischen Eltern und Jugendlichen Die Rechte der Jugendlichen auf Eigenständigkeit werden von den Eltern zunehmend anerkannt. Kinder werden heute eher als selbständige Individuen anerkannt als vor einer Generation. An die Stelle der früheren strengen Erziehungsvorstellungen sind Erziehungswerte getreten, die Selbstverantwortung und Rücksichtnahme und die Stärkung der Entscheidungsfähigkeit der Kinder zum Ziel haben. Eltern stecken im Dilemma, einerseits gleichberechtigte Partner ihrer Kinder sein zu wollen, andererseits aber auch eine herausgehobene D:\75882644.doc 11 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Autorität als Elternteil zu haben und diese bei der Einhaltung von Familienregeln auch umsetzen zu können. Eltern haben eine hohe Erwartung an ihre Kinder bezüglich der Absolvierung einer anspruchsvollen schulischen und beruflichen Laufbahn. Arbeitsauftrag 2: Zeigen Sie den Gruppenmitgliedern Ihr Symbol aus der Generation Ihrer Vorfahren bzw. Kinder. Erzählen Sie Ihren Gruppenmitgliedern über die Lebensform in Ihrer Familie in der Großelterngeneration der Elterngeneration Ihrer Generation der Generation Ihrer Kinder Finden Sie wesentliche Punkte im Leben dieser Generationen heraus bezüglich Familiensituation ökonomischer Situation Erziehungsverhalten der Eltern D:\75882644.doc 12 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Bildungs- und Qualifizierungseinrichtungen Im Jugendalter wird „programmiert“, welche Position ein Gesellschaftsmitglied als Erwachsener erhält, wie er sich platziert in der Rangordnung von Einkommen, Vermögen, Macht, Einfluss und Prestige etc. Der Prozess der Integration in die Erwachsenengesellschaft ist zugleich ein Prozess der Auslese. Westliche Gesellschaften sind Leistungsgesellschaften, es entscheidet die individuell erbrachte ökonomisch verwertbare Leistung. Bildungsinstitutionen steuern den Ausleseprozess durch leistungsmäßige Schulung und nach der „Sortierung“ und der Vergabe von Zertifikation und „Titeln“. Leistungsfähigkeit und –bereitschaft ist geprägt durch die Lebensbedingungen in der Herkunftsfamilie. Der Wert von Bildung für den Jugendlichen Jugendliche verbringen im Gegensatz zu früher größere Anteile ihrer Lebenszeit in Schulen, Hochschulen und berufsvorbereitenden Bildungseinrichtungen, weil komplexe Berufsanforderungen eine gründliche Schulung voraussetzen. Seit 1980er gibt es zu wenige Arbeitsplätze, Bildungseinrichtungen dienen als „Warteräume“ Trend zu Bildung bei gleichzeitiger „Entwertung“ von Bildungsabschlüssen, duales Ausbildungssystem hat an Bedeutung verloren „gute“ Ausbildung ist kein Garant für guten Arbeitsplatz Unqualifizierte, bildungsschwache Jugendliche haben aufgrund der steigenden Qualifikationsanforderungen am Arbeitsmarkt kaum mehr Chancen, den Anschluss zu finden Jugendliche haben hohe Erwartungen an den Beruf Geschlechtsspezifische Differenzierung der Bildungschancen seit 1980ern: Anteil der Mädchen, die die Matura machen nimmt zu Burschen erreichen anteilsmäßig schlechtere Bildungsabschlüsse als Mädchen Anteil der Frauen hinsichtlich der akademischen Abschlüsse ist größer Schichtspezifische Unterschiede der Bildungschancen Bildungschancen sind von der sozioökonomischen Lage der Eltern abhängig. Anteil der Jugendlichen aus Arbeiterfamilien, der ein D:\75882644.doc 13 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Gymnasium besucht, hat sich seit den 70er Jahren nur geringfügig erhöht. Bildungsabschlüsse werden „vererbt“. Anhaltende Benachteiligung von Migrantenjugendlichen Berufsprestige der Eltern ist meist niedrig. Anteil der Migrantenschüler an Hauptschulen ist doppelt so hoch wie der von nichteinheimischen Schülern. Nur 10 % erreichen eine Maturaabschluss. Gründe: kulturelle Distanz der Eltern zum österreichischen Schulsystem, geringe Möglichkeiten der Eltern zur Unterstützung Schulen und Bildungseinrichtungen als Sozialisationsinstanzen Schulen und Bildungseinrichtungen übernehmen wichtige Aufgaben der Integration von Jugendlichen in die gesellschaftlichen Strukturen. Schulen und BE sind für Jugendliche soziale Bezugssysteme, sie bauen dadurch ihre Persönlichkeit auf. Schulen sind zuständig für die Wissensvermittlung Schulen haben eine Integrationsfunktion, sie stimmten Jugendliche auf die vorherrschenden Werte und Normen ein. Schulen haben eine Auslesefunktion. Arbeitsauftrag 3: Finden Sie heraus, wie viele Jugendliche sich in der beruflichen Bildung befinden sich in der allgemeinen Bildung befinden wie hoch der Anteil der Mädchen, die eine Matura haben, ist wie hoch die Akademikerquote in Österreich ist wie sieht die Verteilung Männer/Frauen hinsichtlich der Akademikerquote aus wie hoch die „Jugendarbeitslosigkeit“ in Österreich ist. Welche Schlüsse ziehen sie daraus? D:\75882644.doc 14 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Gleichaltrigengruppen Jugendliche lösen sich einerseits sozial und psychisch von den Eltern ab, andererseits erlangen die freundschaftlichen Beziehungen mit Gleichaltrigen eine größere Bedeutung. Bedeutung von Gleichaltrigenbeziehungen Bildung von vertrauensvollen Kontakten Gestaltung der Freizeit- und Konsumaktivitäten Funktion der Gleichaltrigenbeziehungen Orientierung an Gleichaltrigengruppen setzt heute früher ein als vor ein oder zwei Generationen Jugendliche entwickeln schneller als ihre Eltern die sozialen Kompetenzen für gleichberechtigte Beziehungen Jugendlichen haben höheren Bedarf an diesen Kontakten als ihre Eltern Freundschaftsbeziehungen haben meist Gruppencharakter („Cliquen“) Vielfältigkeit jugendlicher Freundschaftsbeziehungen Charakteristika: gleichwertige Teilnahmechancen für die Mitglieder ermöglichen Erfahrungen im sozialen Raum Treffen außerhalb des Einzugsbereichs von Erziehungsberechtigen in Schulen, Familien usw. werden nicht von Erwachsenen initiiert, geleitet oder kontrolliert flexibel strukturiert (informelle „Grüppchen“ bis „Jugendbanden“) vielseitige soziale und psychische Funktionen: Gleichaltrigengruppen entstehen aus situationsspezifischen Bedürfnissen der Jugendlichen in Gruppen werden soziale Spielregeln geübt gemeinsames Handeln und gemeinsames Erkennung eines Sinns Chance zur Entwicklung von Handlungskompetenz außerhalb von Schule, Beruf und Familie (Autonomie im Handeln) Spannungspotenzial der Gleichaltrigengruppen Gleichaltrige haben keine Erziehungs- und Betreuungsverantwortung => Reaktionen sind häufig natürlicher und weniger rücksichtsvoll D:\75882644.doc 15 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Beziehungen zu Gleichaltrigen sind freiwillig und gleichberechtigt, können leicht beendet werden und erfordern somit Kooperation => spezielle Konfliktlösungsstrategien sind erforderlich, die für die Entwicklung von Enttäuschungsfestigkeit und Widerstandspotenzial wichtig sind Problematik: 10 % aller Jugendlichen sind Opfer von Aggressionen und Stigmatisierungen in ihrer Gruppe => Isolation Aufbau von Freundschaftsbeziehungen Aufgabe von Freundschaften: gegenseitige Unterstützung und gegenseitiger Schutz Erlernen von Konfliktlösungsstrategien Anvertrauen von Geheimnissen und Gefühlen Diskussionen über wichtige Themen Loyalität gemeinsame Aktivitäten intensive gemeinsame Zeit führt zu einer Jugendkultur mit gemeinsamen Werten, die durch die interaktive Medien verstärkt wird (Internet) => Überwindung von Entfernung, Herkunft Alter und Sprachen zunehmende Bedeutung von Sexualität => Darstellung von Spaß, Befriedigung von Wünschen, Attraktivität, Eroberung (Wertewandel) Jugendliche Subkulturen Subkultur = Gegenposition zur Gesamtkultur Jugendliche verschaffen sich eine soziale Umwelt, in der sie sich der Kontrolle der Erwachsenen entziehen gekennzeichnet durch ritualisierte Verhaltensformen, bestimmte Kleidungsstile Selbstwertstabilisierung von unterprivilegierten und benachteiligten Jugendlichen politisch und kulturell aktive Jugendliche Sozialisationsfunktion der Gleichaltrigengruppe Gleichaltrige sind für existentielle Krisen und emotionale Bedürfnisse bedeutsam. Gleichaltrigengruppen dehnen sich in dem Maß aus, wie Familien und Schulen an Einfluss auf den Sozialisationsprozess verlieren. D:\75882644.doc 16 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Lernprozesse erfolgen nicht hierarchisch sondern gleichberechtigt => psychische Flexibilität, aber es fehlt an Impulsen für die Stabilität der Persönlichkeit. Gleichaltrigengruppen können schnell eine negative Dynamik entfalten. Arbeitsauftrag 4: Der Einfluss der Gleichaltrigengruppe drängt den der Eltern und Lehrer in vielen Alltagsbereichen zurück. Es kann zu erheblichen Spannungen und Konkurrenzen zwischen beiden Sozialisationsinstanzen kommen. Berichten Sie in Ihrer Gruppe über Erfahrungen, die Sie diesbezüglich gemacht haben und halten Sie die wesentlichsten Problematiken stichwortartig fest. D:\75882644.doc 17 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Beteiligung Jugendlicher in öffentlichen und politischen Institutionen – Partizipation Kinder und Jugendliche in politische, planerische und zukunftsorientierte Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse einzubeziehen, ist für die Zukunftsfähigkeit eines demokratischen Gemeinwesens unverzichtbar. Partizipation ist jedoch nicht nur ein Schlüssel zur Demokratie, sondern auch zur nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft, in der Umweltverträglichkeit, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit immer wieder neu auszuverhandeln sind. Selbst der Rückgriff auf innovative Angebote und pädagogische Erkenntnisse garantiert jedoch nicht immer die Annahme der Angebote durch die Jugendlichen selbst. Staatsbürgerliches Engagement Tabelle 1: Wahlverhalten nach soziodemografischen Merkmalen Organisation Teilnahme letzte NRW Alle Befragten Männer Frauen nein 20 18 23 15 - 18 Jahre 19 - 25 Jahre ** 20 ja 80 82 77 ** 80 Jemals an Wahlen teilgenommen nein 47 47 46 ja 53 53 54 93 19 7 81 Berufstätig 20 80 36 64 In Ausbildung 14 86 65 35 Arbeitslos* 32 68 35 65 Anm.: Gewichtete Daten, Angaben in Prozent der Befragten, die eine Angabe machen. * n=91, ** keine Fälle Die Wahlpartizipationsneigung Jüngerer kann nur an Hand der allgemeinen Wahlfrage beantwortet werden. Gesetzliche Aspekte dürften hierbei wohl eine Rolle spielen, wenn nur 7% der Befragten unter 19 Jahren schon einmal wählen waren, aber bereits 81% der Personen ab 19 Jahren. Auffällig ist, dass die Wahlbeteiligung unter arbeitslosen D:\75882644.doc 18 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Jugendlichen generell merklich geringer ist. Daraus kann geschlossen werden, dass Arbeitslosigkeit in dieser Hinsicht mit einer Tendenz zum Rückzug aus der politischen Beteiligung verbunden ist. Junge in Ausbildung nehmen deutlich seltener an Wahlen teil. Dieser Zusammenhang ist jedoch wesentlich durch das Alter bedingt. Beteiligung österreichischer Jugendlicher in für sie gedachten Organisationen Tabelle 2: Mitgliedschaft in Jugendorganisationen - Überblick An Organisation Mitglied Aktivität(en) teilgenommen Freiwillige Arbeit geleistet Jugendorganisation oder Verband für Jugendliche 12 9 7 Jugendorganisation einer politischen Partei 6 5 3 Gewerkschaft inkl. Jugendorganisation der Gewerkschaft 7 3 1 Anm.: Gewichtete Daten, Angaben in Prozent der Befragten, die eine Angabe machen. Tabelle 3: Mitgliedschaft in NGOs - Überblick Organisation Umweltschutzorganisation Tierschutzorganisation Friedensorganisation Menschenrechts- oder Hilfsorganisation Mitglied Freiwillige Arbeit geleistet An Aktivität(en) teilgenommen 7 7 3 5 3 3 3 6 4 5 Verbraucherschutzorganisation 0 Migrantenverein 0 Frauenorganisation 0 Antiglobalisierungsorganisation 1 Anm.: Gewichtete Daten, Angaben in Angabe machen. 4 2 1 1 0 0 1 1 1 1 Prozent der Befragten, die eine NGOs erfreuen sich in Österreich nur für bestimmte Themen eines gewissen partizipativen Zustroms, nämlich für die Bereiche Umwelt- und Tierschutz (je 7% Mitglieder) und Menschenrechte (6% Mitglieder). Verbraucherschutz, D:\75882644.doc 19 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Frauenthemen, die Antiglobalisierungsbewegung und die Anliegen von Migranten hingegen haben unter Österreichischen Jugendlichen so gut wie keine partizipative Basis. Maximal je 3% sind überhaupt für diese Themen aktivierbar. Einbindung nicht organisierter Jugendlicher Die geringe Einbindung in speziell für Jugendliche gedachte politisch tätige Organisationen wurde bereits aufgezeigt. Die Eingebundenheit in andere Organisationen ist österreichweit jedoch nicht wesentlich höher: Wohltätigkeitsvereine (9% Eingebundenheit) und Berufsverbände (5% Eingebundenheit) erfreuen sich des geringsten Zustroms Jugendlicher. Etwas besser sieht es für kirchliche Organisationen (24% Eingebundenheit) und Kultur- Musik- und Tanzgruppen (37% Eingebundenheit) aus. An der Spitze stehen mit 56% Eingebundenheit Sportvereine. Was kennzeichnet nun gänzlich nicht organisierte Jugendliche? In welchen Einstellungen unterscheiden sie sich signifikant von den organisierten Jugendlichen? Tabelle 4: Soziodemografische Kennzeichen nicht organisierter Jugendlicher Soziodemografie Frauenanteil Religiösität: hoch Wohnort große Stadt Außenbezirk/ Vorort gesamt Organisierte Nicht Organisierte 49 48 29 46 51 27 54 44 32 5 6 3 Kleinstadt Dorf 22 42 20 44 25 38 allein stehendes Haus am Land 3 3 2 Anm.: Gewichtete Daten. Angaben in Prozent der gültigen Antworten. In Österreich sind 32% der Jungen nicht organisiert. Hinsichtlich der soziodemografischen Kennzeichen dieser Gruppe zeigen sich mit Ausnahme eines höheren Frauenanteils (54% versus 49% in der Gesamtheit) keine signifikanten Unterschiede nach Alter, Bildung und Wohnsituation. Tendenziell sind nicht organisierte Jugendliche weniger religiös (44% „religiös" oder „sehr religiös" gegenüber 51% der Organisierten), leben etwas öfter (32%) D:\75882644.doc 20 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser in einer Großstadt und seltener (38%) in einem Dorf. Es handelt sich also bei den nicht organisierten Jugendlichen nicht primär um eine infrastrukturell und auch nicht eindeutig um eine sozialstrukturell benachteiligte Gruppe. Die Unterschiede müssten daher in relevanten Einstellungen zu finden sein. Wahrgenommene Effektivität von Beteiligungen Tabelle 5: Wahrgenommene Effektivität unter Organisierten und Nichtorganisierten Effektivität von... Arbeit in pol. Partei Arbeit in ehrenamtlichen Organisationen generell Organisierte Politisch Organisierte 37 56 58 47 NGOOrganisierte Nicht Organisierte 44 37 54 38 Wählen gehen 69 76 70 69 Persönlich Politiker kontaktieren 25 38 25 21 Medienaufmerksamkeit erzeugen 42 56 54 39 Boykott bestimmter Produkte 25 25 34 21 Teilnahme an öffentlichen Demonstrationen Petitionen unterschreiben Beteiligung an illegalen Protestaktivitäten 27 34 36 26 25 28 28 23 10 8 13 7 Beteiligung an gewalttätigen Protestaktivitäten 4 2 5 4 Anm.: Gewichtete Daten. Angaben in Prozent der gültigen Antworten, Summe der Kategorien 7 bis 10 bei den Fragen der Effektivität. Es lässt sich feststellen, dass politisch organisierte Jugendliche die Partizipationsformen der Parteiarbeit, jene in ehrenamtlichen Organisationen, das Wählen, das Kontaktieren von Politikern und das Erzeugen von Medienaufmerksamkeit für überdurchschnittlich effektiv halten. Jugendliche, die in NGOs organisiert sind, halten hingegen Wählen und Politikerkontakte für nicht überdurchschnittlich effektiv, ohne aber an der Effektivität von Parteiarbeit generell zu zweifeln. Als überdurchschnittlich effektiv bewerten sie die D:\75882644.doc 21 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Medienaufmerksamkeit, den Produktboykott und die Teilnahme an öffentlichen Demonstrationen. Somit ist die wahrgenommene Effektivität verschiedener Maßnahmen offenbar stark von den im eigenen Umfeld typischerweise betriebenen Maßnahmen abhängig. Es gibt aber auch einen Konsens unter aktiven Jugendlichen hinsichtlich der Effektivität von Parteiarbeit und Arbeit in ehrenamtlichen Organisationen sowie des Erreichens medialer Aufmerksamkeit. Dies steht in einem gewissen Widerspruch zu der generell geringen Involviertheit in parteipolitische Organisationen. Nicht organisierte Jugendliche unterscheiden sich von den Aktiven vor allem durch die unterdurchschnittlich eingeschätzte Effektivität ehrenamtlichen Engagements. Ansonsten zeigen sich keine Tendenzen in der wahrgenommenen Effektivität hin zu bestimmten Arten von Maßnahmen. Nicht organisierte Jugendliche sind somit weniger an Politik interessiert und stammen öfters aus Familien bzw. einem sozialem Umfeld, in dem Politik seltener thematisiert wird. Es fehlt ihnen mit Ausnahme des rein ehrenamtlichen Engagements aber nicht der Glaube an die Wirkung von Partizipation. Sie glauben auch nicht stärker an die Wirkung „unkonventioneller" oder auch gewalttätiger politischer Ausdrucksformen. Quelle: Österreich-Stichprobe des EUYOUPART-Projektes: "EUYOUPART - Political Participation of Young People in Europe: Development of Indicators for Comparative Research in the European Union". HPSE-CT-2002-00123: Deliverable No 17 Final Comparative Report (Dezember 2005). Bericht an die EU. Forschungsprojekt gefördert im 5. Rahmenprogramm der EU. Die verwendeten Daten beziehen sich auf eine Umfrage vom 2.11.-15.12.2004 unter 1.000 Jugendlichen zwischen 15 und 25 Jahren in Österreich. Diskutieren Sie in der Kleingruppe: Arbeitsauftrag 5: Wie schätzen Sie Ihrer Erfahrung nach das Engagement Jugendlicher an gemeinschaftlichen Aufgaben ein? (Klassensprecher, SGA, …) Wie kann die Beteiligung Jugendlicher an gemeinschaftlichen Aufgaben in der Schule gefördert werden? Wie umfassend sind die Angebote zur Beteiligung für Jugendliche in politischen und öffentlichen Institutionen? D:\75882644.doc 22 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Klaus Hurrelmann Sozialisation und Gesundheit Die Beschäftigung mit der Frage, wie Menschen sich entwickeln und welchen Einfluss darauf die Umwelt hat, ist so alt wie die Geschichte der Geistes- und Sozialwissenschaften. Vermutlich wird der Begriff »Sozialisation« in wissenschaftlichen Abhandlungen ausdrücklich zum ersten Mal im ausgehenden 19. Jahrhundert benutzt. Von herausragender Bedeutung für die Entwicklung des Konzeptes ist der französische Soziologe Emile Durkheim [1858-1917]. Bei seiner Untersuchung des Übergangs von einfachen zu arbeitsteilig organisierten Gesellschaften beschäftigt er sich mit der Frage, wie auch unter geänderten Bedingungen soziale Integration hergestellt werden kann. Er weist der Sozialisation dabei eine hohe Bedeutung zu: Die Individuen müssen die Normen und Zwangsmechanismen, die eine Gesellschaft ermöglichen und sichern, demnach verinnerlichen, die Gesellschaft muss gewissermaßen in sie eindringen und sie von innen her organisieren. Gesellschaftliche Normen stoßen, so Durkheim, auf ein Individuum, das sich triebhaft, egoistisch und asozial verhält und erst durch den Prozess der Sozialisation gesellschaftsfähig wird. Durkheim hat damit als erster Geistes- und Sozialwissenschaftler auf den Vorgang der »Vergesellschaftung der menschlichen Natur« hingewiesen und hierfür den Begriff Sozialisation verwendet. Sein Konzept wirkt aus heutiger Sicht soziologisch verkürzt, weil es allein auf die Unterwerfung des Menschen unter gesellschaftliche Anforderungen abhebt. Im Anschluss an Durkheim und durch ihn angeregt ist inzwischen in Psychologie und Soziologie das Konzept der Persönlichkeitsentwicklung des Menschen in Auseinandersetzung mit der Umwelt und mit den biologischen Anlagen ständig weiterentwickelt worden (Durkheim 1972]. Eine intensive Neueröffnung der Diskussion um Konzepte der Sozialisation trat in den 60er-Jahren ein, verbunden mit erheblichen gesellschaftlichen D:\75882644.doc 23 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Umbrüchen im Erzie-hungs- und Bildungswesen (Goslin 1969]. Es kam zu scharfen Kontroversen über das Verhältnis von Vergesellschaftung und Individualisierung. Diese Diskussion wurde durch die allgemein anerkannte Definition von Sozialisation versachlicht, die 1980 im »Handbuch der Sozialisationsforschung« vorgeschlagen wurde (Hurrelmann/Ulich 1980]. Sozialisation ist demnach zu verstehen »als der Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt. Vorrangig thematisch ist dabei, wie sich der Mensch zu einem gesellschaftlich handlungsfähigen Subjekt bildet« (Geulen/Hurrelmann 1980, S. 51). Diese Definition hat sich bis heute in Psychologie und Soziologie und in den angrenzenden Disziplinen bewährt. Sozialisation bezeichnet nach dieser Definition den Prozess, in dessen Verlauf sich der mit einer biologischen Ausstattung versehene menschliche Organismus zu einer sozial handlungsfähigen Persönlichkeit bildet, die sich über den Lebenslauf hinweg in Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen weiterentwickelt. Sozialisation ist die lebenslange Aneignung von und Auseinandersetzung mit den natürlichen Anlagen und der körperlichen und psychischen Konstitution »innere Realität« und der sozialen und materiellen Umwelt »äußere Realität«. Als Definitionsbestandteil von »Sozialisation« wird der Begriff »Persönlichkeit« verwendet. Mit Persönlichkeit wird das einem Menschen spezifische organisierte Gefüge von Merkmalen, Eigenschaften, Einstellungen und Handlungskompetenzen bezeichnet, das sich auf der Grundlage der biologischen Ausstattung als Ergebnis der Bewältigung von Lebensaufgaben lebensgeschichtlich ergibt. Als »Persönlichkeitsentwicklung« lässt sich entsprechend die Veränderung wesentlicher Elemente dieses Gefüges im Verlauf des Lebens bezeichnen. In der biologischen und anthropologischen Forschung wird für diese Entwicklung der Persönlichkeit im Lebenslauf auch der Begriff »Ontogenese« verwendet. D:\75882644.doc 24 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Eine wichtige Rolle in der Persönlichkeitsentwicklung im Zuge des Älterwerdens spielt die Frage, ob die jeweils früheren Persönlichkeitsmerkmale im Laufe des Lebens erhalten bleiben oder durch biologische, psychische und gesellschaftliche Veränderungen in ihrem Gefüge und ihrer Beschaffenheit umstrukturiert werden. Offensichtlich ist ein gewisser Teil der Persönlichkeit durch genetische Anlagen festgelegt, sodass durch äußere Impulse aus der Umwelt (einschließlich der Einflüsse durch Erziehung und Arbeit) nur einige Merkmale, Eigenschaften, Einstellungen und Handlungskompetenzen im Verlaufe des Lebens ihre Struktur ändern. Die verschiedenen Stufen der Ontogenese stehen dabei mit der Strukturierung des Lebenslaufs in einzelne Lebensphasen (Kindheit, Jugend, Erwachsener, Alter) in Beziehung. Die gesamte Abfolge von Stadien der Persönlichkeitsentwicklung im Lebenslauf kann auch als »Biographie« bezeichnet werden. Zusammenspiel von Anlage und Umwelt Die biologische Verankerung menschlicher Merkmale legt die Entwicklungsmöglichkeiten über den gesamten Lebenslauf hinweg fest. Gene beeinflussen die Persönlichkeit eines Menschen aber nicht direkt. Die genetische Ausstattung eines Menschen stellt vielmehr einen Möglichkeitsraum dar, aus dem einzelne Elemente aktiviert werden. Wann und ob sie aktiviert werden, hängt stark von Umweltbedingungen ab, die genetische Dispositionen entweder zurückhalten oder freilegen können. Die genetische Ausstattung begrenzt zugleich die Möglichkeiten eines Menschen, denn er kann nicht über die Anlagen hinaus, die vorgegeben sind. Anlage- und Umweltfaktoren überlagern sich in vielfältiger Weise. So kommen bestimmte Anlagefaktoren wie z. B. eine einseitige Begabung für Technik oder Musik nur dann zur Geltung, wenn sie auf eine angemessene Umwelt stoßen. Andererseits können identische genetische Anlagen wie bei eineiigen Zwillingen zu unterschiedlichen Phänotypen (tatsächlich realisierten D:\75882644.doc 25 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Ausprägungen der menschlichen Persönlichkeit) führen, wenn sich die soziale Umwelt erheblich unterscheidet. Die Umwelt wirkt schon in frühen Stadien der Entwicklung auf die weitere Ausformung des genetischen Potentials, umgekehrt entscheidet das genetische Potential darüber, in welcher Weise die Umwelt aufgenommen und angeeignet wird. Die soziale und physische Umwelt sind auch für das Anregungspotential verantwortlich, das die jeweilige Entfaltung und die weitere Richtung der genetischen Disposition bestimmt. Sozialisation als produktive Realitätsverarbeitung Unter dem Begriff »Sozialisation« wird ein lebenslang anhaltender dynamischer Prozess der Verarbeitung der inneren Realität von körperlichen und psychischen Impulsen und der äußeren Realität von sozialen und physischen (Umwelt-])lmpulsen verstanden. Der Prozess der Auseinandersetzung mit der inneren und äußeren Realität wird als »produktiv« im Sinne von »prozesshaft« bezeichnet, um zum Ausdruck zu bringen, dass es sich hierbei nicht um eine passive Informationsverarbeitung, sondern um eine dynamische und aktive Form von Tätigkeit handelt, auch wenn sie nicht immer im Bewusstsein präsent ist: Es geht um eine ständige aktive Beobachtung und Diagnose der eigenen Anlagen und ihrer Veränderung im Laufe des Lebens. Durchgehend stellt sich einem Menschen die Entwicklungsaufgabe, die jeweilige Veränderung von körperlichen und psychischen Ausgangsgrößen sensibel aufzunehmen und das eigene Handeln hierauf abzustellen. Analoges gilt für die Auseinandersetzung mit der sozialen und physischen Umwelt. Auch hier ist es für das menschliche Leben unabdingbar, sensibel auf alle Veränderungen einzugehen und sie in das eigene Handeln einzubeziehen. D:\75882644.doc 26 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Bei der individuell spezifischen Verarbeitung der inneren und der äußeren Realität handelt es sich um Prozesse, bei denen ein Individuum eine individuelle, den eigenen Voraussetzungen und Bedürfnissen angemessene Form wählt. Die Verarbeitung ist »produktiv«, weil sie sich aus der jeweils flexiblen und von der Natur her kreativen Anpassung der inneren und der äußeren Bedingungen ergibt. Nur bei einer erfolgreichen Bewältigung von inneren und äußeren Anforderungen kann das prekäre Gleichgewicht hergestellt werden, das wir »Gesundheit« nennen. Die Rolle der Sozialisationsinstanzen Die Persönlichkeitsentwicklung kann nur dann erfolgreich gelingen, wenn es zu einer guten Passung zwischen den körperlichen und psychischen Anlagen und den äußeren Lebensbedingungen kommt. Familien, Gleichaltrigengruppen, Erziehungseinrichtungen, Schulen und sozialpädagogische Institutionen funktionieren als Vermittler und Erschließer der äußeren Realität. Sie werden auch als »Sozialisationsinstanzen« bezeichnet, da sie gezielt auf die Art und Weise der Aneignung und Verarbeitung der äußeren und inneren Realität durch einzelne Menschen einwirken. Die Sozialisationsinstanzen stellen Wahrnehmungs- und Problemlösungsstrategien für die Verarbeitung der inneren und der äußeren Realität zur Verfügung, die von ihren Mitgliedern in individuell modifizierter Weise übernommen werden. Sozialisationsinstanzen richten sich in erster Linie an Kinder und Jugendliche, um die Grundstrukturen der Persönlichkeitsentwicklung zu festigen und Basiskompetenzen zu etablieren. Zu den informellen Instanzen gehören soziale Gruppen wie Gleichaltrige und Freundeskreise, zu den formellen die Erziehungs- und Bildungseinrichtungen. In abgeschwächter Form wirken alle Sozialisationsinstanzen über den gesamten Lebenslauf hinweg bis in das hohe Alter. D:\75882644.doc 27 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Die Familie hat auch in den heutigen westlichen Gesellschaften eine Schlüsselfunktion im Sozialisationsprozess, weil sie für die ersten und besonders prägenden Lebensjahre eines Menschen der zentrale Aufenthaltsort ist. Obwohl durch die Auslagerung von Erziehungsfunktionen und durch die zunehmende außerhäusliche Berufstätigkeit von Vätern und Müttern im historischen Vergleich erheblich weniger Zeit für den Umgang von Eltern und Kindern zur Verfügung steht, werden die grundlegenden Strukturen der Persönlichkeitsentwicklung durch den Kontakt im Elternhaus geprägt. Der sozialen Lebenslage und der Verankerung der Familie in ihrer sozialen und physischen Umwelt kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Typisch für die Struktur von Sozialisationsprozessen in heutigen Gesellschaften ist eine Vielfalt von Sozialisationsinstanzen, die miteinander kooperieren, z. T. aber auch nebeneinander her arbeiten. Auch ein Kind, das sich tagsüber in einem Kindergarten befindet, hat vorher und nachher familiale Kontakte. Die Betreuungsformen wechseln in der Regel im Tagesverlauf, wobei eine unterschiedliche Zahl von Bezugspersonen mit verschiedenstem biographischen und Erfahrungshintergrund, Erziehungsstil und sozialen Anforderungen auftreten. Familien sind in diesem vielfältigen Kontext von Sozialisationsinstanzen eine Instanz unter mehreren. Sie können die noch in den 50er Jahren charakteristische dominierende Rolle für Sozialisationsprozess nicht mehr spielen. Hierdurch kann es auch zu Irritationen bei Kindern und Jugendlichen kommen, wenn die Sozialisationsimpulse und Erziehungsstile in den verschiedenen Sozialisationsinstanzen, mit denen sie täglich zu tun haben, in Spannung oder Widerspruch zueinander stehen. Die gesundheitliche Situation von Kindern und Jugendlichen Die Gesundheitssituation von Kindern und Jugendlichen ist insgesamt befriedigend. Wie verschiedene Studien zeigen, sind bei Kindern im ersten Lebensjahrzehnt die akuten Infektionskrankheiten, die so genannten D:\75882644.doc 28 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser »Kinderkrankheiten«, weitgehend unter Kontrolle, trotz der unklaren Entwicklung bei AIDS. Problematischer sind die chronischen, oft lebenslang beeinträchtigenden Krankheiten. Dazu gehören Herz-Kreislauf- und Krebskrankheiten, die allerdings im Unterschied zu Erwachsenen eher selten sind. Deutlich stärker verbreitet sind vier Formen von körperlich basierten chronischen Krankheiten: Stoffwechselstörungen wie Diabetes, bei etwa 0,4 % aller Kinder. Neuronale Erkrankungen, besonders Anfallsleiden (Epilepsie). Diese betreffen in ihrer chronischen Form 0,5 bis 1 % aller Kinder. Einen einzelnen epileptischen Anfall erleben etwa 4 bis 5 % aller Menschen im Laufe ihres Lebens. Cerebrale Anfallsleiden können in den meisten Fällen medikamentös gut behandelt werden, sodass eine Anfallsfreiheit erzielt werden kann. Dies erfordert jedoch eine sorgfältige Diagnostik undBeratung. Rheumatische Erkrankungen. Die Häufigkeit liegt bei bis zu 0,5 % aller Kinder und Jugendlichen, wobei mehr Jugendliche als Kinder betroffen sind. Rheumatische Erkrankungen zeichnen sich durch Krankheitsschübe aus, in denen schwere Bewegungsbeeinträchtigungen und Schmerzen erlebt werden. Zwischen den Schüben liegen allerdings teilweise lang andauernde Intervalle der völligen Beschwerdefreiheit. Erkrankungen des Bewegungsapparates und des Binde- und Stützgewebes. Hierzu gehören angeborene Entwicklungsstörungen des Skeletts und fortschreitende Muskelerkrankungen, z. B. Myopathien und Muskeldystrophien, die bei bis zu 3 % der Kinder und Jugendlichen verbreitet sein dürften. Es besteht insgesamt bei diesen körperlichen Erkrankungen kein Grund zur Unruhe, aber die weitere Entwicklung ist sorgfältig zu beobachten. Wirkliche D:\75882644.doc 29 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Sorge bereiten hingegen die psycho- und soziosomatischen Störungen, die in den letzten 20 Jahren immer stärker um sich greifen. Psycho- und soziosomatische Gesundheitsstörungen Psycho- und soziosomatischen Störungen ergeben sich aus einem mangelnden Gleichgewicht der Systeme von Körper, Psyche und Umwelt. Sind sie nicht im Einklang miteinander, kommt es zu Fehlsteuerungen in jedem Einzelbereich und in der Gesamtkoordination dieser Systeme. Die wesentlichen Störungen lassen sich wie folgt beschreiben: 1. Bei immer mehr Kindern kommt es heute zu einer Fehlsteuerung des Immunsystems. Die infektiösen Krankheiten, die klassischen »Kinderkrankheiten«, sind zurückgedrängt, dank eines sehr hohen Standards von Hygiene und zugleich einer leistungsfähigen medizinischen Behandlung mit pharmakologischen Produkten. Immer stärkere und schnellere Verbreitung finden aber Krankheiten des allergischen Formenkreises, die mit Defiziten des Immunsystems zu tun haben. Asthma und Neurodermitis mit einer Verbreitung von wahrscheinlich jeweils fast 10 % pro Jahrgang sind die Ausprägungen dieser Störungen. Immer deutlicher werden die Hinweise, wonach ein mangelhaft trainiertes Immunsystem zur Abwehr von Infektionskrankheiten hierfür eine zentrale Rolle spielt. Das könnte mit dem geringen »Durchimpfungsgrad« zusammenhängen. Weiterhin dürften auch Belastungen von Wasser, Luft und Ernährung zu den Fehlleistungen des Immunsystems führen. Zugespitzt formuliert: Enthalten wir Kindern die natürliche Umwelt vor, schirmen wir sie künstlich von Belastungen und Anforderungen bei der physiologischen Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt ab, dann verbauen wir ihnen die Chance, einen widerstandsfähigen und starken Organismus mit einem leistungsfähigen Immunsystem zu entwickeln. Hier liegt ein Verweis zur körperlichen D:\75882644.doc 30 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Bewegung nahe: Durch physische Aktivität erschließen und erobern sich Kinder die Umwelt, so wie sie nun einmal beschaffen ist, und stellen sich auf sie ein. Greifen wir durch Manipulationen allzu stark in diesen Prozess ein, dann werden die Selbststeuerungskräfte der verschiedenen Teilsysteme des Körpers geschwächt oder sogar stillgelegt. 2. Störungen der Nahrungsaufnahme und des Ernährungsverhaltens. Obwohl durch eine breit gefächerte Industrie heute ein hervorragendes Angebot für die Ernährung von Kindern und Jugendlichen zur Verfügung steht, häufen sich die Hinweise auf eine notorisch falsche Ernährung. Unter den vielfältigen Angeboten sind die vorgefertigten, leichtverdaulichen, preiswerten, aber zugleich kalorienhaltigen, industriell zubereiteten Produkte auf dem Vormarsch. Diese Produkte sind zu fett, zu süß, zu salzig und enthalten ein zu geringes Angebot an verdauungsfördernden Faser- und Ballaststoffen. Diese Kost ist für Kinder und Jugendliche, die sich noch im Aufbau ihres Körpers befinden, nicht anregend und vielfältig genug, sie ermuntert den Darm gewissermaßen gerade noch zur Teilzeitarbeit. Durch den Überschuss an Kalorien bei gleichzeitig verbreiteter Bewegungsarmut kommt es zur Übergewichtigkeit, die nur in einigen wenigen Fällen erblich bedingt ist. Mindestens 10 % der Schulkinder sind in einer ernsthaften Weise übergewichtig, ihr Haltungsapparat ist völlig überlastet und ihre Blutfettwerte haben eine ungünstige Zusammensetzung. Weitere 10 % haben eine mäßige Übergewichtigkeit, die nur durch eine strenge Diät innerhalb eines mittleren Zeitraumes auf ein normales Maß zurückgeführt werden könnte. Übergewicht und Bewegungsarmut zusammen machen also mindestens ein Fünftel unserer Schulkinder im wahrsten Sinne des Wortes träge und behäbig. Ist die Trägheit einmal eingetreten, dann pflanzt sie sich auch in allen Lebensbereichen fort. So stellen Studien immer wieder fest, wie sehr gerade die übergewichtigen Kinder dazu neigen, stundenlang vor dem Fernsehgerät zu sitzen und sich berieseln zu lassen. D:\75882644.doc 31 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser 3. Fehlsteuerung der Sinneskoordination. Durch die heute vorherrschende sitzende Beschäftigung in Schule, Ausbildung und Beruf kommt es immer stärker zu einer einseitigen Stimulierung des Hörsinns und des Sehsinns, während insbesondere das Riechen und Fühlen, das Atmen und Sprechen vernachlässigt werden und verarmen können. Auch in der Freizeit kommt es wie bei der Ernährung zu einer unausgewogenen »Sinneskost«, die die entwicklungsfördernde Reizung und Anregung aller Sinneszentren vernachlässigt und damit auch ihre Verbindung und Vernetzung schädigt. Hier lie-gen wichtige Gründe für Koordinationsprobleme, die immer mehr Kinder und Jugendliche heute haben. Viele Kindergärtnerinnen und Ärztinnen im Vorschulbereich klagen über die schlechte Feinmotorik von Kindern und die Schwierigkeiten, Gedanken in Zeichen umzusetzen. Die Verbindung zwischen den verschiedenen Schaltzentren im Gehirn werden durch die einseitige Sinnesreizung nicht hergestellt, deswegen kommt es zu Unsicherheiten und Ungeschicklichkeiten bei 15 bis 20 % der Kinder. Oft überschneiden sich diese Probleme mit den bereits angesprochenen, was dazu führt, dass wir es mit einer Mehrfachbeeinträchtigung von Entwicklungen bei insgesamt mindestens einem Fünftel der jungen Generation zu tun haben. 4. Die unzureichende Bewältigung von psychischen Beanspruchungen und sozialen Anforderungen ist. Dieser vierte Komplex kann als eine »Fehlsteuerung des Bewältigungsverhaltens« bezeichnet werden. Kinder und Jugendliche haben es nicht gelernt, mit seelischen Konflikten umzugehen, sie knicken bei den kleinsten Irritationen und Feindseligkeiten in ihrem familiären oder gleichaltrigen Umfeld ein und reagieren entweder introvertiert oder extravertiert. Deshalb haben wir es in den letzten Jahren mit einer Zunahme von psychischen und psychosomatischen Störungen wie Nervosität und Unruhe, Kopfschmerzen und Magenschmerzen, Rückenschmerzen und Verdau ungsstörungen ebenso zu tun wie mit depressiven Störungen, etwa D:\75882644.doc 32 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Suizidgefährdung bei schon 11- bis 12-Jährigen. Treten diese Reaktionsformen etwas stärker bei den Mädchen auf, so sind bei den Jungen die nach außen gerichteten Störungen vorherrschend: Hyperaktivität, Gereiztheit, Aggressivität bis hin zu schweren Formen von körperlicher Gewalttätigkeit. 5. Konsum psychoaktiver Substanzen. Diese Variante des unzureichenden Bewältigungsverhaltens ist bei beiden Geschlechtern etwa gleich stark vertreten. Es ist ein ausweichendes Verhalten durch den Konsum von psychoaktiven Substanzen, etwa schmerzstillenden Arzneimitteln oder Tabak und Alkohol. Es sind Substanzen, mit denen die Kinder gewissermaßen »aus dem Felde gehen« und sich der Bearbeitung des Ausgangsproblems verweigern. Nach Untersuchungen an der Universität Bielefeld müssen wir bei diesen verschiedenen Formen von psychischen und psychosomatischen Störungen auch mit mindestens 15 % der Kinder und Jugendlichen rechnen, die in einer ernsten und schweren Form hiervon betroffen sind. Auffällig sind die Parallelen, die sich zwischen Kindern und Erwachsenen zeigen. Kinder reagieren auf Konflikte und Widersprüche in ihrem sozialen Umfeld, auf mangelnde Möglichkeit der Durchsetzung der eigenen Wünsche, Motive und Bedürfnisse fast in genau derselben Weise wie Erwachsene. Sie laden ihre Frustration, ihre Spannung und ihren »Stress« entweder bei anderen ab, die sie attackieren, oder sie fressen diese Belastungen in sich hinein und schädigen damit Körper und Seele. Hintergründe und Ursachen Für die Erklärung der angesprochenen Gesundheitsstörungen bei Kindern und Jugendlichen sind folgende Gesichtspunkte von Bedeutung: D:\75882644.doc 33 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Chronische Krankheiten entstehen durch das Zusammenspiel von Erbinformationen, meist Lebensweise und Umwelt, und sie können deswegen nicht allein mit den Methoden der biologischen und medizini schen Grundlagenforschung angegangen werden. Hinzukommen müssen die Methoden und Erkenntnisse der Forschung mit bevölkerungs- und sozialmedizinischem sowie mit sozial- und verhaltenswissenschaftlichem Hintergrund. Es ist eine multiperspektivische Analyse der Krankheiten notwendig und auch eine entsprechend multi-dimensionale Behandlung und Betreuung. Der Anteil von milieubedingten, umweltbedingten und verhaltensbedingten Kompo nenten ist auffällig hoch, besonders bei den psychischen und psychosomatischen Störungen, vor allem im Bereich Aggression und Gewalt, beim Konsum von Genuss und Rauschmitteln und bei Fehl- und Überernährung, Bewegungsarmut und man gelnder Hygiene. Vor allem Kinder aus sozial schwachen Familien sind gefährdet. Einige der genannten Gesundheitsbeeinträchtigungen und Erkrankungen haben eine starke genetische und persönlichkeitsspezifische Komponente, aber sehr viele von ihnen können als Indikator sozialer Überlastung gewertet werden: Als Verhaltens auffälligkeiten drücken sie die Probleme aus, die junge Menschen bei der Aneignung des eigenen Körpers und der Auseinandersetzung mit der sozialen und ökologischen Umwelt unter den heutigen Lebensbedingungen haben. Im sozialen Bereich stellen Krisen in der Familie (Trennung der Eltern, Arbeitslosigkeit, Verwahrlosung und Ver nachlässigung der Kinder) und der eklatante Mangel an außerfamilialer Kinderbe treuung ein großes Risiko für die Gesundheit dar. Daneben sind Leistungsprobleme in der Schule und Anpassungskrisen beim Übergang von der Schule in den Beruf bela stend. D:\75882644.doc 34 Soziologie SE BG/Gruppe 2/3 Mag. Daniela Moser Ausgangsquellen für Überforderungen liegen im Freizeitbereich. Typischerweise sind heute schon für Kinder und Jugendliche die Freiheitsgrade für die Gestaltung der eigenen individuellen Lebensweise, vor allem im Konsum- und Freizeitbereich, sehr hoch. Andererseits werden aber diese »Individualisierungschancen« durch Konsumzwänge und das Erleben von Sinndefiziten begleitet. Deshalb bringen auch diese Lebensbedingungen neben vielen Entfaltungs- und Befriedigungsmöglichkeiten neue Formen von Orientierungs- und Wertekrisen mit sich, die die Bewältigungskapazität junger Menschen überfordern kann. Arbeitsauftrag 6: In der Schule besteht die Möglichkeit, unabhängig von anderen äußeren Gegebenheiten, Gesundheitsförderung und Gesundheitserziehung an alle Kinder und Jugendlichen heranzutragen. Wie keine andere Institution bietet die Schule den Zugang zu fast allen Kindern und Jugendlichen, sie strukturiert und bestimmt einen relevanten Teil ihres Lebens und ist daher gut geeignet, Jugendlichen gesundheitliche Kompetenzen zu vermitteln. Diskutieren Sie in der Kleingruppe wie die Schule diesen Auftrag erfüllen kann. Berücksichtigen Sie die D:\75882644.doc die Schulebene die Elternarbeit die Unterrichtsebene 35