Klar Nr. 4, Winter 2013 Das Schweizer Magazin zum Thema Sehbehinderung. Mit einem Dossier zum Thema "Wahrnehmung" Legende Cover: Objektiv gesehen ist nichts so subjektiv wie die Wahrnehmung. Besonders bewusst wird uns dies, wenn wir es mit Verliebten zu tun haben. In Wirklichkeit schauen wir aber alle immer durch die rosarote Brille. Illustration von Gian Gisiger Mit einem dicken Stift comicartig gezeichnete John Lennon-Brille. Die Gläser sind pink. Der Lichtreflex auf dem Glas ist gleichzeitig eine Art Auge, so dass Auge und Brille vereint sind. Die Brille wirft einen schwarzen Schatten. Legende Backcover: Ein Kilogramm echter weisser Trüffeln kann bis zu 15000 Euro einbringen. Für Fälscher sind solche Preise eine grosse Verlockung, weshalb die Universität von Turin an einem DNA-Test gearbeitet haben soll. Der spezifische Duft des Trüffels entstammt dem gleichen Stoff wie der Sexualduftstoff des Ebers. Deshalb sucht die geschlechtsreife Sau instinktiv nach dem Pilz. Da die Trüffelschweine die Pilze aber gerne selber fressen, treten sie vor allem für Touristen in Aktion. Fotografiert von Christophe Boisvieux/CORBIS Eine bereits etwas ältere Bäuerin führt ein Schwein an der Leine. Das Schwein beschnüffelt den Boden. D:\75886760.doc 1/33 Editorial ......................................................................................... 3 Liebe Leserin, lieber Leser ........................................................ 3 Dossier .......................................................................................... 4 Musik aus dem Gedächtnis - Bevor sie ein Implantat erhielt, war Ines Diener taub. Ihr Mann Rudolf ist blind. Ein Gespräch mit dem Ehepaar. ...................................................................... 4 Mit den Ohren sehen - Viele blinde Menschen wenden die Echooortung instinktiv an. ......................................................... 8 Die Taschenlampe im Kopf - Wahrnehmung ist das, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Ein Gespräch mit der Psychologin Annette Rutsch. ................................................... 13 Fokus .......................................................................................... 17 Selbstmedikation - Sich selbst mit rezeptfreien Medikamenten zu behandeln, kann gefährlich sein. ........................................ 17 Leben mit einer Sehbehinderung ................................................ 21 “Es hat ja keine Sehbehinderten!” - Neulich im O&M Training Kolumne des Orientierunges- und Mobilitätslehrers Charly Meyer ....................................................................................... 21 Mit MyWay sicher ans Ziel - Eine Navigations-App speziell für blinde Menschen ..................................................................... 23 Blindenführhunde - Ein Merkblatt von Égalité Handicap ......... 26 Stimmen zum Assistenzbeitrag - Der Gleichstellunstag von Agile ......................................................................................... 27 News ........................................................................................... 28 E-Voting ................................................................................... 28 Norm für Leserlichkeit .............................................................. 29 Verletzte Menschenrechte von Albinos.................................... 29 Hinweise .................................................................................. 29 Pinwand ................................................................................... 31 Impressum .................................................................................. 33 D:\75886760.doc 2/33 Editorial Liebe Leserin, lieber Leser Die Entwicklung unserer Wahrnehmung beginnt im Mutterleib und ist während unseres ganzen Lebens nie abgeschlossen. Jeder Reiz unserer Sinnesorgane prägt sich in unser Hirn ein, verändert es ein kleines Stückchen und beeinflusst dadurch unsere weiteren Wahrnehmungen. So werden wir zu der Person, die wir sind. Wahrnehmung ist überlebenswichtig. Mit unseren Sinnesorganen machen wir uns eine Vorstellung von der Welt, in der wir uns bewegen. Unser Wahrnehmungssystem ist äusserst komplex. Aber es ist zum Glück auch flexibel. Noch wenn ein Sinnesorgan ausfällt, können wir die Welt wahrnehmen und uns sinnvoll in ihr bewegen. Unser Hirn und unsere verbleibenden Sinne kompensieren das ausgefallene Organ. So gibt es Menschen, die gelernt haben, sich aufgrund von Schall und Echo so gut zu orientieren, dass sie auch als Blinde allein in fremde Länder reisen oder gar Fahrrad fahren, wie etwa der als Fledermausmann bekannte Amerikaner Daniel Kish. Wahrnehmung hat auch viel mit Aufmerksamkeit zu tun, wie wir von der Psychologin Annette Rutsch erfahren. Wir nehmen das wahr, worauf wir unsern Fokus richten. Deshalb wollen wir an dieser Stelle die Gelegenheit ergreifen, uns bei unsern Leserinnen und Lesern, insbesondere bei unseren sehbehinderten Lesenden, zu bedanken. Indem wir für Sie schreiben, richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Sehbehinderung und das Sehen. Dadurch wird unsere eigene Wahrnehmung bereichert: Düfte werden intensiver; Klänge sind differenzierter; die Welt ist detailreicher geworden. Es ist uns ein Vergnügen den Reichtum der Sehbehinderung mit Ihnen zusammen zu entdecken. Wir hoffen nun, dass es Ihnen bei der Lektüre dieser Ausgabe von “Klar” zumindest teilweise so geht, wie uns. In diesem Sinne bedanken wir uns für Ihre Aufmerksamkeit und hoffen, Ihnen noch einmal ein klares Lesevergnügen zu bieten. D:\75886760.doc 3/33 Von Naomi Jones, Chefredaktorin, und Jean-Marc Meyrat, stv. Chefredaktor. Legende: Naomi Jones und Jean-Marc Meyrat fotografiert von Christian Bühler. Bild Seite 5: Mit dem Gleichgewichtssinn bestimmen wir normalerweise die Richtung der Erdanziehungskraft und nehmen Beschleunigung wahr. In der Schwerelosigkeit des Alls spielt der Sinn keine Rolle mehr. Der erste Spaziergang im Weltall wurde am 3. Juni 1965 vom Astronauten Edward H. White gemacht. © NASA / Roger Ressmeyer / CORBIS Ein im Weltraum schwebender Astronaut. Das Kabel, mit dem er gesichert ist, wirkt wie eine Nabelschur. Bild Seite 6/7: “In unserer Beziehung brauchten wir sehr viel Rücksicht und Verständnis füreinander.” Ines Diener ertaubte ein paar Jahre nachdem ihr Mann Rudolf erblindet war. Kommunikation auf Distanz war nicht möglich, bis Ines Diener ein Cochlea Implantat erhielt. Fotografiert von Naomi Jones Das Ehepaar Diener in seiner Wohnung. Dossier Musik aus dem Gedächtnis Das Ehepaar Diener wohnt in einer modernen Mehrfamilienhaussiedlung nahe vom Bahnhof Uster. Die Stockwerke sind im Lift mit Braille beschriftet. Die Wohnung ist hell und gemütlich: Fotos und Geschenke von Enkelkindern. Die Güezi stehen bereits einladend auf dem Holztisch. Die Wohnung entspricht den Bedürfnissen des D:\75886760.doc 4/33 Paares perfekt. Denn Rudolf Diener ist blind; seine Frau, Ines, ist hörbehindert und für sie ist Licht existenziell. Ein Gespräch über Sinnesbehinderung und Wahrnehmung. Von Naomi Jones Klar: Wie haben sich Ihre verbleibenden Sinne verändert, als einer ausfiel? Rudolf Diener: Für mich sind das Gehör und der Tastsinn sehr wichtig. Aber auch aus Gerüchen ziehe ich Informationen. Ich ordne sie Dingen zu oder lokalisiere Dinge. Ines Diener: Ich kompensiere mein fehlendes Gehör vor allem mit dem Cochlea Implantat und den Augen. Andere sagen manchmal ich hätte auch hinten Augen. Rudolf Diener: In einer Gruppe Sehender entdeckt Ines Tiere oder Strassenschilder immer viel schneller als alle andern. Sie schaut schneller und genauer. Ines Diener: Nebst dem Lippenlesen habe ich auch gelernt, Körpersprache sehr gut zu interpretieren. Klar: Wie kommunizieren Sie miteinander? Rudolf Diener: Heute hat Ines ein Cochlea Implantat und ich kann sie rufen, wenn sie zum Beispiel in einem andern Zimmer ist. Vorher musste ich immer zu ihr hin gehen, wenn ich etwas sagen wollte und sie anfassen. Das war manchmal mühsam. Wenn sie beispielsweise am Lesen war und keine Geräusche machte, musste ich sie in der ganzen Wohnung suchen. Ines Diener: Wenn wir unterwegs sind, habe ich immer eine Taschenlampe dabei. Im Dunkeln konnte ich nicht Lippen lesen. Wenn ich kein Licht habe, wäre ich sehr hilflos, sollte das CIGerät ausfallen. Die Taschenlampe und die Batterien für das CI habe ich heute immer dabei. Klar: Sie haben mir erzählt, dass Sie gerne gemeinsam ins Konzert gehen und dies auch taten, als Frau Diener noch taub war. Wie war das? D:\75886760.doc 5/33 Ines Diener: Man sagt, dass es für Hörbehinderte gut sei, ins Konzert zu gehen. Man sieht die Musik. Man spürt die Vibration und je nach dem hört man auch noch ein wenig. Wir wählen im Konzert immer die besten Plätze, damit ich möglichst viel beobachten kann. Rudolf Diener: Ines hat die Musiker immer sehr genau beobachtet. Wir haben allerdings immer Stücke gehört, die sie schon kannte. Sie hat die Musik also auch mit dem Gedächtnis gehört. Dies ist heute noch so. Mit dem Implantat hört sie die Musik wieder viel besser. Die neue klassische Musik kann sie aber wenig begeistern. Sie kennt die Tonfarben nicht. Wo das Gedächtnis nicht hilft, wird Musik schwierig. Klar: Mussten Sie das Hören wieder lernen, nachdem Sie das Cochlea Implantat erhalten haben? Ines Diener: Ja, ich musste zur Audiagogin. Vor allem musste ich lernen, Geräusche zuzuordnen. Z.B. wie es tönt, wenn man ein Blatt Papier zerknüllt. Wie klingen die Vokale und die Konsonanten? Da ich einmal gehört habe, kamen die Töne aber sehr rasch zurück. Sie waren in meinem Kopf. Heute verlasse ich mich wieder weitgehend auf das Gehör. Das Lippenlesen sollte ich etwas üben. Dies verlernt man rasch, wenn man es nicht anwendet. Klar: Besuchen Sie auch Ausstellungen gemeinsam oder machen Sie andere Aktivitäten, die primär visuellen Genuss bieten? Ines Diener: Nein, da kommt Ruedi nicht mit. Von Ausstellungen hat er nichts, wenn er die Kunstwerke nicht betasten kann. Ins Kino kommt er auch nicht mit. Rudolf Diener: Wenn wir bald mit unsern drei Enkelkindern nach Paris gehen, dann erzählt und beschreibt mir Ines viel und ich versuche mir ein Bild zu machen. Aber Bilder, insbesondere abstrakte Kunst, kann ich mir nicht immer vorstellen. Da enthalte ich mich eines Urteils. Hingegen schätze ich es sehr, wenn ich D:\75886760.doc 6/33 Skulpturen abtasten kann. Es gibt durchaus Museen, wo das möglich ist. Klar: Sehen Sie gemeinsam fern? Ines Diener: Ruedi schaut gerne Politsendungen, wo viel gesprochen und debattiert wird. Für mich sind diese schwierig, wenn es keine Untertitel hat. Lippenlesen kann ich nur, wenn die sprechende Person direkt in die Kamera schaut. Rudolf Diener: Ines, du verstehst heute das Meiste und bist nur selten unsicher. Die Untertitel brauchst du eher zur Bestätigung, dass du es richtig gehört hast. Ines schaut gerne Gotthelf-Filme. Ich sehe selten fern. Radio ist eher mein Medium. Sportsendungen sind im Fernsehen viel schlechter kommentiert als im Radio. Klar: Sie sind oft unterwegs. Was sind die spezifischen Hindernisse für blinde und hörbehinderte Menschen in der Gesellschaft? Ines Diener: Es hat sich viel verbessert. Heute sind die Bahnhöfe gut beschriftet und in vielen Zügen hat es Displays, die über die Stationen informieren. Früher war es oft schwierig, die Durchsagen zu verstehen. Es kam etwa bei einer Panne vor, dass alle Passagiere aus einem Zug ausgestiegen sind und ich nicht wusste warum. Da musste ich halt jemanden fragen. Rudolf Diener: Für Sehbehinderte sind die Durchsagen in den Zügen enorm wichtig. Es gibt dazu eine Anekdote: Ich war zusammen mit Benedikt Weibel, dem damaligen Chef der SBB, an einem Podiumsgespräch. Er stöhnte über die Kosten die eine barrierefreie SBB mit sich bringen würden. Noch am Gespräch wies ich darauf hin, dass es die SBB nur wenig kosten würde, wenn das Personal vor Abfahrt des Zuges die Richtung ansagen würde. Die Lautsprecher waren nämlich vorhanden. Da Weibel selbst erst kurz vorher in einem falschen Zug war und dies erst gemerkt hatte, als der Zug in die falsche Richtung fuhr, erkannte er den Nutzen dieser Massnahme für alle Passagiere und führte sie bereits zwei Wochen nach dem Podium ein. D:\75886760.doc 7/33 Klar: Sie haben sich privat sehr für sehbehinderte Menschen im öffentlichen Verkehr engagiert. Waren Sie durch die Hörbehinderung Ihrer Frau auch für die Bedürfnisse von andern Behinderten sensibilisiert? Rudolf Diener: Sicher. Ich war ja auch Geschäftsführer des Vereins zur Förderung geistig Behinderter Zürcher Oberland (Verein GBZO), heute “insieme”. In Uster setzte ich mich zum Beispiel für Leitlinien für Sehbehinderte ein. Aber auch für Mobilitätsbehinderte verlangte ich hindernisfreie Fussgängerübergänge. Ich weiss, dass dies in Fachkreisen des Sehbehindertenwesens umstritten ist. Aber das Trottoir wurde mit einem Streifen breiter Randsteine und einer verbreiterten Wasserrinne markiert. Ausserdem ist es zur Strasse hin abschüssig. Blinde Personen können Strasse und Trottoir gut lokalisieren. Rollstuhlfahrer und alte Leute mit einem Rollator haben keine Mühe, aufs Trottoir zu gelangen. Mit den Ohren sehen Unter menschlicher Echoortung versteht man die Fähigkeit mancher Menschen, Gegenstände in ihrer Umgebung mit Hilfe von Echos zu orten. Von Jean-Marc Meyrat Mit Hilfe dieser Technik orientieren sich manche blinde Personen, wenn sie sich in ihrer Umgebung bewegen, manchmal ohne es selbst zu merken. Sie geben Geräusche ab, indem sie etwa mit dem Blindenstock auf den Boden klopfen, mit dem Fuss stampfen, mit den Fingern schnippen oder mit der Zunge schnalzen. So, wie Gegenstände sichtbar werden, wenn sie Licht reflektieren, werden sie durch den Widerhall von Geräuschen hörbar. Die menschliche Echoortung funktioniert so ähnlich wie das Echolot eines U-Boots oder die Sonarortung, mit der bestimmte D:\75886760.doc 8/33 Tierarten wie Fledermäuse oder Delphine Hindernisse und Beutetiere erkennen. Bei der Fledermaus ersetzt dieses System das sehr schwache oder fehlende Sehvermögen, beim Delphin ergänzt es das Sehen. Durch Deuten der Geräusche, die von den umgebenden Gegenständen widerhallen, kann eine geschulte Person sehr präzise die räumliche Position und oft auch die Grösse von Objekten in der Nähe erkennen und diese Informationen nutzen, um Hindernisse zu meiden. Wundern Sie sich deshalb nicht, wenn ein Blinder die Lücke zwischen zwei geparkten Autos passiert, ohne diese zu berühren, oder um eine Gebäudeecke herummarschiert, ohne seine Schritte zu zählen oder auch nur die Wände mit der Stockspitze zu betasten. Nein, es handelt sich nicht um einen “Simulanten”, sondern schlicht um jemanden, der sein Gehör optimal zu nutzen versteht. Die Erforschung der menschlichen Echoortung Dass Blinde ihr Gehör auf besondere Weise einsetzen, beschrieb schon Denis Diderot 1749 in seinem Brief über die Blinden für den Gebrauch der Sehenden. Mit den Ohren zu sehen ist ein uraltes Talent. Seeleute feuerten bei Nebel Kanonen ab und erkannten am Echo, ob sie in Küstennähe waren. Seltsamerweise dauerte es geraume Zeit, bis Forscher dieses Phänomen anerkannten. Die ersten wissenschaftlichen Experimente erfolgten erst 1944: Michael Supa und sein Team bestätigten, dass geschulte blinde Personen tatsächlich anhand des Echos der von ihnen abgegebenen Geräusche ihren Abstand zu bestimmten Hindernissen ermitteln. 2011 beschäftigte sich ein kanadisches Forscherteam unter Leitung von Melvyn A. Goodale (University of Western Ontario) mit der menschlichen Echoortung bei Blinden, die durch Zungenschnalzen und die dadurch ausgelösten Echos Objekte auf drei Meter genau lokalisierten. Mehrere Forschergruppen untersuchten das eigenartige Phänomen, das so manche blinde Person wie Superman wirken lässt. An derselben kanadischen Hochschule beobachtete Lore Thaler mittels CT die Gehirnaktivität bei zwei Blinden, die eine D:\75886760.doc 9/33 ausgeprägte Begabung für die Echoortung zeigten, und konnte damit nachweisen, welche Hirnregionen dabei aktiv sind. Die Wahl gerade dieser beiden Versuchspersonen beruhte in erster Linie darauf, dass sie in der Lage waren, trotz des Lärms des CTGeräts ihr Zungenschnalzen und das Echo darauf zu erfassen. Eines der überraschendsten Ergebnisse dieses Experiments war der Nachweis, dass dabei nicht etwa die für das Hören zuständigen Hirnregionen vermehrt aktiv sind, sondern die visuellen Regionen. Bei unseren beiden kanadischen Freunden wurde also die Sehrinde aktiviert, wenn sie auf ihr Zungenschnalzen und dessen Widerhall lauschten. Betrachtete man nur die Schnalzlaute, blieb diese erhöhte Aktivität aus. Wie das Experiment beweist, ist jedenfalls aufgrund der Hirntätigkeit davon auszugehen, dass die menschliche Echoortung offenbar ähnlich wie bei Fledermäusen ein räumliches visuelles Abbild der Umgebung liefert. Lore Thaler sprach sogar von einer latenten Fähigkeit. Auf jeden Fall sind die Leistungen der beiden blinden Kanadier erstaunlich. Sie sind in der Lage, Gegenstände wahrzunehmen und zu identifizieren und sogar ihre Bewegungen mit Hilfe der Echoortung zu “sehen”, letzteres vermutlich aufgrund des Doppler-Effekts. Als Doppler-Effekt bezeichnet man die Änderung der Wellenlänge von Schallwellen zwischen Entstehungs- und Wahrnehmungsort, wenn sich der Abstand zwischen Sender und Empfänger im Zeitverlauf verändert. Diesen Effekt erklärte als Erster der österreichische Mathematiker und Physiker Christian Andreas Doppler 1842 in seinem Aufsatz “Über das farbige Licht der Doppelsterne und einiger anderer Gestirne des Himmels”. Der kalifornische Batman Der Kalifornier Daniel Kish ist im Alter von zwei Jahren erblindet. Er hat die Echoortung als Methode für Sehbehinderte weiter entwickelt, trainiert Blinde und bietet über seine Organisation “World Access for the Blind” Unterricht in dieser Technik an, die er “perzeptuelle Mobilität” nennt. Kish ortet eine nur daumendicke Stange auf einen Meter genau, einen Hydranten in drei und ein Auto in fünf Metern Abstand. Grosse Gebäude erkennt er aus 100 Metern Entfernung, indem er je nach Umgebungslärm in die D:\75886760.doc 10/33 Hände klatscht oder mit den Fingern schnippt. Dazu benötigt er keine übernatürliche Gabe, sondern lediglich den Mut, Geräusche zu machen, ein gutes Gehör und die Fähigkeit, das Gehörte richtig zu deuten. Ohne Training geht es allerdings nicht, doch geschulte Personen “sehen” mit einem exakten auditiven Abbild ihrer Umwelt viel weiter als mit dem Blindenstock. Dennoch lässt auch Daniel Kish seinen weissen Stock niemals zu Hause, denn er braucht ihn, um Unebenheiten im Boden zu erkunden, die er mit dem Ohr nicht wahrnehmen kann. Man kann es lernen Die Echoortung kann die Autonomie blinder oder stark sehbehinderter Menschen im Alltag erheblich vergrössern. Berücksichtigt man, dass die Methode durch Training weiterentwickelt werden kann, bieten sich interessante Perspektiven. Das Verfahren wird schon seit mehreren Jahren erforscht. Dass es tatsächlich erlernbar ist, konnte 2009 erneut nachgewiesen werden. Antonio Martinez Rojas und sein Team zeigten nämlich, dass unabhängig vom Sehvermögen jeder fähig ist, sich die Echoortung zumindest teilweise anzueignen. Schon nach zwei Wochen mit je zwei Stunden Training pro Tag kann man einfache Aufgaben bewältigen, etwa mit Echoortung herausfinden, ob man vor einem grösseren Hindernis steht oder der Weg frei ist. Auch Leerräume sind wichtig Das Gespür für Masse kann man nach und nach erlernen. Eine Ausnahme bilden Menschen, die von Geburt an blind sind, weil ihr Gehirn sich in gewissem Umfang anpasst. Die Wahrnehmung von Massen beruht darauf, wie Geräusche von den Wänden eines Körpers widerhallen. Für eine sinnvolle räumliche Orientierung muss man alles Vorhandene nutzen, auch die Leere, denn sie kann z.B. einen Eingang zum Gebäude, eine offene Zimmertür oder eine Strasseneinmündung anzeigen. Echoortung in der Praxis D:\75886760.doc 11/33 Viele von Geburt an blinde oder früh erblindete Personen praktizieren die Echoortung, ohne sie formal gelernt zu haben. Das gilt etwa für den 69-jährigen Daniel Baud, der blind zur Welt kam. Ohne je einen Mobilitätskurs absolviert zu haben, orientiert er sich allein am Geräusch seines Blindenstocks, etwa ob auf dem Gehweg ein Lastwagen parkt. Das Geräusch seiner Schritte auf glattem Boden zeigt ihm an, dass er Teppichboden verlassen hat und ein Treppenhaus betritt. Die Deutung dieser Informationen über die eigentliche Nutzung des weissen Stocks hinaus erfordert natürlich eine enorme Konzentration. Pascal Monnard ist Mobilitätstrainer. Er versucht, seine Schüler systematisch für das Thema Echoortung zu sensibilisieren. Einem 14-jährigen Schützling brachte er bei, von Zeit zu Zeit ein paarmal mit dem Blindenstock auf den Boden zu klopfen, um sein Buswartehäuschen oder den Flur seines Wohngebäudes genau zu orten – ein vielversprechender Anfang, der den Einsatz der Echoortung auch in anderen Situationen sinnvoll wirken lässt. Auch die 35-jährige Christine Cloux ist von Geburt an blind. Bei ihren alltäglichen Besorgungen greift sie ständig auf die Echoortung zurück. Unglaublich, aber wahr: Allein anhand des Luftdrucks auf ihren Trommelfellen macht sie sich ein räumliches Bild von einem Zimmer samt Möblierung! Abschliessend ist natürlich anzumerken, dass nicht jeder sehbehinderte Mensch mit einem so ausgeprägten Wahrnehmungsvermögen und der gleichen Deutungsfähigkeit ausgestattet ist. Doch ganz gleich, in welchem Umfang die Echoortung oder die Erkennung von Körpern in den Alltag integriert werden kann, gewinnen blinde oder sehbehinderte Menschen dadurch unterwegs immer ein deutliches Plus an Autonomie und Mobilität. Bild Seite12/13: Daniel Kish macht sich ähnlich einer Fledermaus aufgrund von Echos ein Bild über seine Umgebung. Dies tun viele blinde Menschen instinktiv. Kish hat seine Methode sosehr verfeinert, dass er allein Fahrrad fahren kann. Er unterrichtet blinde Kinder auf der ganzen Welt in der Echoortung. Fotografiert in Island von Baldur Gylfason /World Access for the Blind D:\75886760.doc 12/33 Die Taschenlampe im Kopf Annette Rutsch hat Wahrnehmungs-psychologie studiert. Als Museumspädagogin vermittelt sie die Ausstellungsobjekte auch sinnesbehinderten Menschen. Ein Gespräch darüber, wie wir uns der Welt annähern. Von Naomi Jones Klar: Die Naturwissenschaften, die Psychologie und die Philosophie haben unterschiedliche Konzepte von Wahrnehmung. Wie unterscheiden sich diese? Annette Rutsch: Sie unterscheiden sich vor allem in der Methode der Erforschung. Die verschiedenen Disziplinen bereichern sich jedoch gegenseitig und manchmal belegt die Naturwissenschaft Modelle, die vorher theoretisch von der Psychologie oder Philosophie aufgestellt worden sind. Die Naturwissenschaften gehen empirisch vor und vermessen alles, was möglich ist. Sie zerlegen das Hirn. Die Psychologie stützt sich auf die Resultate dieser Forschung, wo sie nicht selbst experimentiert. Zur Wahrnehmung gehören Emotionen, Bewertungen, das Denken und der Lernprozess. Sie sind voneinander abhängig und beeinflussen sich gegenseitig. Schon vor der Geburt beginnt der Mensch mit dem Aufbau seines Wahrnehmungsapparats. Die Sinnesorgane werden entwickelt. Dann beginnt ein kontinuierlicher Lernprozess. Im Hirn werden Nervenbahnen geknüpft. Alles, was ein Baby oder Kleinkind wahrnimmt, dient dem Aufbau der Wahrnehmung und beeinflusst jede spätere Wahrnehmung. Alles was wir gelernt haben, dient dem Einordnen von weiteren Wahrnehmungen. Das Baby beginnt seine Wahrnehmungsentwicklung mit Tasten und Bewegen. Dann gibt es eine Phase, wo das Kind zur Reizerforschung alles in den Mund nimmt. Mit der Zeit lernt es, die Wahrnehmungskanäle zu kombinieren und zu verknüpfen bis es mit etwa eineinhalb Jahren beginnt, die Sinneseindrücke auch D:\75886760.doc 13/33 auf einer abstrakteren Ebene einzuordnen, zu benennen und zu organisieren. Klar: Gibt es also eine Art Hierarchie der Sinne? Ist ein Sinn wichtiger als andere? Oder grundlegender? Annette Rutsch: Vielleicht im Hinblick auf die Informationsmenge. Beim Sehen muss das Sinnessystem vermutlich am meisten leisten. Es gibt dem Mensch wahnsinnig viele Inputs. Wir nehmen mit dem Auge permanent mehrere Millionen von Informationseinheiten auf. Viel mehr als mit dem Gehör oder mit dem Geruch. Rein von der “Hardware” her, ist der Mensch ein visuelles Wesen. Wir haben verschiedene Sorten von Rezeptoren eigens für Farbe, Raum, Bewegung und Kontraste. Im Hirn haben wir verschiedene Areale für die Sehverarbeitung. Das Sehen unterliegt allerdings unterschiedlichen Arten von optischer Täuschung. Denn die Flut an Information zu verarbeiten, ist anspruchsvoll. Die optischen Täuschungen gründen meist auf falschen Annahmen des Systems gegenüber den Reizen. Andere sind physischer Natur z.B. wenn gewisse Nervenzellen ermüden, etwa bei den Nachbildern auf der Netzhaut. Manchmal ereignen sich beim Transfer unserer dreidimensionalen Welt in das zweidimensionale Abbild auf der Netzhaut Interpretationsfehler im Hirn. Beim Kippbild können wir den gleichen Reiz auf zwei verschiedene Arten interpretieren: Etwa wenn wir eine Vertiefung als Erhebung sehen. Oder die Aufmerksamkeit wird gezielt auf etwas Bestimmtes gelenkt, um von anderem abzulenken. Denn für die bewusste Wahrnehmung ist die Aufmerksamkeit zentral. Sie ist wie eine Taschenlampe. Wir bemerken bzw. verarbeiten das, worauf wir den Spot richten. Das andere blenden wir aus. Klar: Der Philosoph Gilbert Ryle definierte “wahrnehmen” als “exploratorischen Erfolg”. Wir finden dadurch etwas heraus. Wahrnehmung ist ein bewusster Akt. Aber können wir nicht auch unbewusst wahrnehmen? D:\75886760.doc 14/33 Annette Rutsch: Ja, wir nehmen viel auch unbewusst wahr. In einer gewissen Zeitspanne können wir dies durch eine nachträgliche Richtung der Aufmerksamkeit sogar noch abrufen. Denn unsere Sinne nehmen alle möglichen, scheinbar nebensächlichen Reizinformationen auf, obwohl unser Fokus nur auf einen Teil gerichtet ist, der eingeordnet und verarbeitet wird. In Zeugenbefragungen wird die Aufmerksamkeit zum Teil mit gezielten Fragen nachträglich auf Details gelenkt. Dies ist allerdings heikel, da man Dinge auch herbeireden kann. Klar: Bei Menschen mit einer Sinnesbehinderung funktionieren oft die verbleibenden Sinne überdurchschnittlich gut. Kann man die Sinne trainieren? Annette Rutsch: Die Sinnesorgane selbst kann man nicht trainieren. Ein Auge oder ein Ohr hat eine bestimmte Anzahl Rezeptoren, die die Reize aufnehmen. Aber die Verarbeitung im Gehirn kann man schulen. Das System kann wachsamer werden. Das Hirn hat eine gewisse Elastizität. Man kann Bahnen und Verbindungen des Hirns trainieren. Musiker zum Beispiel lernen, bestimmte Tonsprünge zu hören. Je mehr eine Spur im Hirn vertieft ist, desto schneller geht das Einordnen von ähnlichen Wahrnehmungen. Dieses Lernen und Trainieren hat viel mit Aufmerksamkeit zu tun. Wenn Blinde “besser hören”, verdanken sie dies einem Fokus auf die anderen Sinne, den sie jedoch erst lernen müssen. Die Aufmerksamkeit und Sensibilität der verbleibenden Sinne wird geschult, wenn einer ausfällt. Klar: Welchen Einfluss hat eine Sinnesbehinderung auf die Wahrnehmung? Oder ist eine Sinnesbehinderung auch eine Wahrnehmungsbehinderung? Annette Rutsch: Oder ist eine Sinnesbehinderung vielmehr eine Wahrnehmungsbereicherung? Wenn ein Sinn ausfällt ist die Wahrnehmung als solche, nämlich als Repräsentation der Welt noch nicht behindert. Nur der Sinn ist eingeschränkt. Aber er wird kompensiert. Das Wahrnehmen der Welt wird durch andere Inputs ersetzt. Die Repräsentation der Welt einer D:\75886760.doc 15/33 sinnesbehinderten Person setzt sich demzufolge anders zusammen als die von Nichtbehinderten. Aber andererseits ist auch die Wahrnehmung von Nichtbehinderten unterschiedlich und somit im eigentlichen Sinne des Wortes individuell. Nein, die Wahrnehmung ist nicht behindert. Eher ist sie bereichert, da die Wahrnehmung neue Facetten gewinnen kann, die die Augenmenschen nicht wahrnehmen. Klar: Welche Rolle spielt das Gedächtnis in dem Ganzen? Annette Rutsch: Man muss erst lernen, die Dinge wahrzunehmen, ihnen eine Bedeutung zuzuschreiben und eine Konsequenz für das Handeln zu haben. Es gab auf einer Insel einen Stamm von Ureinwohnern, die vorher noch nie mit der westlichen Zivilisation in Kontakt gewesen waren. Als man den Menschen dort das Bild eines Schiffes am Horizont zeigte, sahen sie lange nichts. Denn sie hatten die Erfahrung, dass ein Schiff am Horizont auftaucht und dann immer grösser wird, vorher nicht gemacht. Das Gedächtnis hat einen grossen Einfluss auf die Wahrnehmung insofern als es aus gespeicherten Erfahrungen besteht. Wir erfahren wie sich Reize der Welt verhalten, und wir lernen, wie wir sie interpretieren sollen. Wir machen Zusammenhänge. Was wir erleben, prägt wiederum unsere weitere Wahrnehmung. Dies führt dazu, dass wir die Welt bis hin zu den Farben und Tönen alle ein wenig anders wahrnehmen. Unsere individuellen Erfahrungen machen einen Teil von uns aus und prägen unsere Hirnstruktur. Wir unterscheiden uns dadurch. In diesem Sinn ist Wahrnehmung sehr subjektiv und individuell. Klar: Dies würde Ryles These insofern bestätigen, als er sagt, weil Wahrnehmung allein in unserem Bewusstsein (wir zählen hier das Unterbewusstsein dazu) stattfinde, sei sie im Experiment nicht fassbar. Annette Rutsch: Es gibt natürlich einen objektiven Teil. Ein äusserer Reiz trifft auf ein Sinnesorgan. Dieser Reiz ist physikalisch messbar. Von den Rezeptoren im Organ, deren Reaktion ebenfalls messbar ist, wird der Reiz ins Hirn geleitet und D:\75886760.doc 16/33 dort verarbeitet. Die Bewertung der Reize und die Hirnstruktur, worauf sie treffen, sind allerdings in höchstem Mass individuell. Denn jeder Reiz verändert die Hirnstruktur erneut. Zum Glück haben wir gelernt, uns unserer unterschiedlichen Wahrnehmung zum Trotz zu verständigen. Sonst wäre das Zusammenleben unmöglich. Diese Farbe des Türkis ist doch hellblau. Oder ist sie eher hellgrün? Legende: Annette Rutsch fotografiert von Naomi Jones Bild Seite 20: Man liebt sie oder nicht: Lakritze. Grundstoff der würzigen Süssigkeit ist ein Extrakt aus Süssholzwurzel, Anis, Fenchelöl und Zuckersirup. Liebhaber sollen je nach Herkunftsort der Pflanzen Geschmacksunterschiede schmecken können. Fotografiert von Willibald Wagner Lakritz-Schnecke Fokus Selbstmedikation Wenn jemand ohne ärztliche Verordnung Heilmittel einnimmt oder anwendet, ist dies Selbstmedikation. Sie ist für Menschen, die an einer Retinadegeneration leiden oft eine verlockende Alternative. Von Céline Moret Selbstmedikation ist ein so verbreitetes Phänomen, dass es kürzlich in einem Aufsatz als “stille Epidemie” bezeichnet worden ist. Theoretisch müsste sich die Selbstmedikation auf rezeptfreie Medikamente beschränken. In der Praxis werden oft Restbestände verschreibungspflichtiger Medikamente aus der Hausapotheke verwendet oder gar Bekannten weitergegeben. In Frankreich nehmen 28% der Frauen und 15% der Männer regelmässig Nahrungsergänzungsmittel ein. Nur 10% der D:\75886760.doc 17/33 befragten Personen gaben an, Nahrungsergänzungsmittel zu kaufen, um Ernährungsmängel auszugleichen; die übrigen nahmen sie gegen Erschöpfung, um gesund zu bleiben oder um Beschwerden zu lindern. Für die Schweiz gibt es noch keine vergleichbare Statistik, doch scheint der Trend in die gleiche Richtung zu gehen. Nur kurzfristig Obwohl generell vor der Selbstmedikation gewarnt wird, gibt es Situationen, in denen sie dennoch empfohlen wird: etwa bei kurzfristigen, banalen Gesundheitsstörungen wie Schnupfen, Halsschmerzen, Husten, bei der Versorgung geringfügiger Wunden und Verbrennungen, bei Fieber, Schmerzen nach alltäglichen Verletzungen, bei vorübergehenden Verdauungsstörungen und bei Reiseübelkeit. Wichtig dabei ist, dass es sich nur um eine kurzfristige Therapie handelt. Risiken Bei jedem Medikament besteht die Gefahr von Nebenwirkungen. So paradox es klingt, können etwa Kopfschmerzen durch die häufige Einnahme von Schmerzmitteln verschlimmert werden. Ausser bei den oben genannten Indikationen darf die Selbstmedikation den Gang zum Arzt nicht ersetzen. Denn oft sind weitere Untersuchungen nötig, um die richtige Behandlung zu finden. Informationen genau prüfen Viele Menschen nutzen das Internet, um Rat zu finden. Angesichts der unterschiedlichen Informationsquellen – Blogger, Foren, Werbung und recherchierte Artikel von Zeitungen –, ist es schwierig, die Spreu vom Weizen zu trennen. Webseiten von offiziellen Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Swissmedic, des Bundesamts für Gesundheit (BAG) und der Food and Drug Administration (FDA) oder von schweizerischen Fachorganisationen sind grundsätzlich vertrauenswürdige Quellen. D:\75886760.doc 18/33 Um die Seriosität weiterer Websites zu beurteilen, sollte man folgende Fragen beantworten können: 1. Wer ist für die Webseite verantwortlich und kann ich die Organisation oder Person kontaktieren? 2. Sind die publizierten Angaben vollständig, aktuell und gehen sie auch auf mögliche Risiken ein? 3. An wen richtet sich die Website und entsprechen die Informationen wirklich meinen Bedürfnissen? Besondere Vorsicht ist in folgenden Fällen angezeigt: Man garantiert schnelle oder sensationelle Erfolge, meist mit persönlichen Erfahrungsberichten untermauert. Die Medikamente sind weder in der Schweiz noch in der EU oder den USA zugelassen. Es wird auf ausgefallene Theorien, neuartige Therapieprinzipien oder auf geheime Rezepturen verwiesen. Es heisst, ein Medikament sei harmlos, weil es “natürlichen Ursprungs” sei. Auch diese Produkte enthalten oft chemische Wirkstoffe. Es wird behauptet, eine Behandlung beinhalte keinerlei Risiken oder es seien keinerlei Nebenwirkungen bekannt. Es wird behauptet, das Medikament sei für jeden Patienten geeignet. Es wird behauptet, nur dieses eine Medikament könne eine Krankheit heilen. Die Webseite ist ohne vollständige Adresse des Betreibers, z.B. nur eine E-Mail-Adresse. Aggressives kommerzielles Vorgehen. Eine grosse Verlockung bei Netzhautdegenerationen Erbliche Formen der Netzhautdegeneration bilden eine Gruppe genetisch bedingter Krankheiten, deren typisches Merkmal der allmähliche Verlust des Sehvermögens ist. Der Grund dafür ist das Absterben der Fotorezeptoren. D:\75886760.doc 19/33 Noch kann man diese Krankheiten nicht heilen, doch macht die medizinische Forschung Fortschritte. Bei der Gentherapie schleust man unbeschädigte Kopien des defekten Gens in die Fotorezeptoren ein. Andere Therapieansätze versuchen, die noch vorhandenen Fotorezeptoren mit nervenschützenden Faktoren am Leben zu erhalten. Bei totalem Ausfall der Fotorezeptoren bleiben nur noch das computergestützte Sehen und die Stammzelltherapie. All diese Forschungsansätze lassen hoffen, doch werden die meisten Patienten von ihrem Arzt mit der bitteren Realität konfrontiert, dass derzeit keine Therapie existiert. Aus Schreck über die Diagnose oder aus Angst vor einer weiteren Verschlechterung ihres Sehvermögens schauen sich die Betroffenen vielfach auf eigene Faust nach alternativen Therapien um. Der Wunsch, aktiv etwas für den Erhalt der eigenen Gesundheit zu tun, ist natürlich völlig legitim. Um jedoch mögliche gravierende Komplikationen zu verhüten, sind einige Vorbehalte angezeigt. Finger weg vom Medikamentenkauf im Internet! Medikamente sind entgegen der landläufigen Meinung im Internet oft sogar noch teurer als in der Apotheke. Ausserdem sind zahllose gefälschte, minderwertige und wirkungslose Präparate im Umlauf. Der WHO zufolge handelt es sich bei über 50% der illegal im Internet vertriebenen Medikamente um Fälschungen. Packungsbeilagen mit Hinweisen auf Nebenwirkungen fehlen oft und für rezeptpflichtige Medikamente wird kein Rezept verlangt. Netzhautdegeneration und Vitamin A In einer 1993 publizierten Studie fand man heraus, dass Vitamin A das Fortschreiten gängiger Formen der Retinitis pigmentosa (RP) leicht verzögern kann. Heute weiss man aber, dass Vitamin A bei Morbus Stargardt-Patienten ganz anders wirkt als bei RPPatienten und die Krankheit sogar verschlimmern kann. StargardtPatienten wird deshalb empfohlen, keine Vitamin A-Präparate zu nehmen und überdies ihre Augen vor Sonne zu schützen, da auch das Licht den Verlust des Sehvermögens beschleunigen D:\75886760.doc 20/33 kann. Selbst wenn kein Morbus Stargardt vorliegt, ist bei der Einnahme von Vitamin A grosse Vorsicht geboten. Informationen immer kritisch prüfen Zusammenfassend kann man sagen, dass das Internet Menschen, die an einer Netzhautdegeneration oder einer andern Krankheit leiden, Zugriff auf eine Masse von Informationen über ihre Erkrankung und Therapieansätze bietet. Das stellt natürlich einen erheblichen Fortschritt dar, erfordert jedoch kritisches Denken seitens der Betroffenen. Die Versuchung ist nämlich gross, mittels Selbstmedikation zu versuchen, das Fortschreiten der Sehverschlechterung aufzuhalten. Bevor man aber irgendein Mittel einnimmt, sollte man sich unbedingt bei seriösen Quellen genauestens über die Gegenanzeigen informieren, damit nicht etwa gravierendere Komplikationen die Sehstörung noch verschlimmern. Mit fortschreitender Forschung können sich die Indikationen und Kontraindikationen einer Behandlung aufgrund neuer Erkenntnisse nämlich schnell ändern. Zum Abschluss noch der augenzwinkernde Hinweis auf eine Therapie, die in unbeschränkter Menge ohne jede Nebenwirkung gerade in Selbstmedikation schon von Voltaire wärmstens empfohlen wurde: “Da dies sehr förderlich für die Gesundheit ist, habe ich beschlossen, glücklich zu sein!” Legende: In Frankreich nehmen 28% der Frauen und 15% der Männer regelmässig Nahrungsergänzungsmittel ein. Sie sind aber nach neueren Erkenntnissen längst nicht so harmlos, wie uns die Werbung glauben macht. Fotografiert von Annina Mettler. Pillen und Kapseln. Leben mit einer Sehbehinderung “Es hat ja keine Sehbehinderten!” - Neulich im O&M Training D:\75886760.doc 21/33 Nur wer sichtbar ist, darf erwarten, dass er gesehen wird. Von Charly Meyer Baustellenbesichtigung: Der Verantwortliche des kantonalen Tiefbauamtes und ein Architekt erklären mir welche baulichen Veränderungen für die Kreuzung hinter dem Bahnhof Freiburg geplant sind. Der Strassenbelag wird neu verlegt und das Trottoir neu gestaltet. Ich weise den Beamten darauf hin, dass das Trottoir und die Mittelinsel mindestens drei Zentimeter höher als der Strassenbelag sein müssten. So steht es in der SIA-Norm 500. Das Interesse an meinen Ausführungen weist Verbesserungspotenzial auf. Deshalb demonstriere ich mithilfe des weissen Langstockes den Sinn der Norm. Der Beamte schaut mir geduldig zu, nickt ab und zu mit dem Kopf und meint dann lapidar: “Das ist ja alles schön und gut. Aber wissen Sie, wir haben hier in der Stadt ja nur ganz wenige Sehbehinderte und Blinde. Wie viele weisse Stöcke sehen Sie, wenn Sie durch die Strassen gehen?” Zwei Tage später: Eine sehbehinderte junge Frau möchte den Weg vom Bahnhof zum Einkaufszentrum üben. Meine obligate Frage nach dem weissen Stock beantwortet sie mit einem spitzbübischen Lächeln. Der sei fast immer im Rucksack. Sie sei noch sehr selbständig und überhaupt sei das mit dem weissen Stock auch in ihrer Sektion des Blindenverbands sehr umstritten. Den Stock, so die Meinung, solle man so wenig wie möglich brauchen und öffentlich zeigen. “Nun gut”, denke ich, “und wie steht es mit all den Forderungen, die die resolute junge Frau fast im gleichen Atemzug an die Gesellschaft stellt?” Grössere Hilfsbereitschaft des Verkaufspersonals, Busfahrer, die einer sehbehinderten Person automatisch die Türe öffnen sollen und Politiker, die sich besser für sehbehinderte Menschen einsetzen sollten, sind nur ein paar Punkte auf ihrer Wunschliste. Mein Traum 80% der Klienten unserer Beratungsstelle benutzen keinen weissen Stock. Dies obwohl sie gemessen an ihren D:\75886760.doc 22/33 Schwierigkeiten in der Mobilität längst einen bräuchten. Ich habe grösstes Verständnis für Personen, die es (noch) nicht schaffen, ihre Behinderung öffentlich zu zeigen. Wie soll jemand der ganzen Welt etwas zeigen, das er selber nicht als solches anerkennt? Dennoch sollten blinde und sehbehinderte Menschen auch im Kontext einer effizienten Interessenvertretung denken. Denn sichtbare Präsenz erhöht die Chance, dass die Gesellschaft bereit ist, auf sehbehinderte Menschen Rücksicht zu nehmen. So träume ich manchmal davon, dass alle rund 1000 Klientinnen und Klienten unserer Beratungsstelle mit einem weissen Stock auf den Strassen Freiburgs unterwegs wären, und ich daraufhin einen Anruf des Gemeinderates erhielte: “Herr Meyer, es hat in unserer Stadt so viele Menschen mit einer Sehbehinderung. Was können wir für sie tun?” Information: Charly Meyer ist Lehrer für Orientierung und Mobilität auf der Beratungsstelle für sehbehinderte und blinde Menschen des Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverbandes in Freiburg. Legende: Mit einer Ampel, die ein akustisches Signal abgibt, ist die Kreuzung für Menschen mit einer Sehbehinderung am sichersten. Charly Meyer unterwegs mit Erika von Gunten fotografiert von Pierre-André Fragnière. Mit MyWay sicher ans Ziel Navigations-App fürs iPhone im Praxistest Von Urs Kaiser Die Navigationsbedürfnisse blinder Personen In zwei Lebensbereichen wirkt sich die Blindheit besonders einschränkend aus: Beim Informationszugang und in der D:\75886760.doc 23/33 Mobilität. Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass der Wunsch nach einer zuverlässigen Mobilitätshilfe bei blinden Personen gross ist. Im Vordergrund stehen die Fragen: “Wo bin ich?” und “Wie gelange ich ans Ziel?” Dass sich blinde Menschen in der heutigen Verkehrssituation überhaupt selbständig von A nach B bewegen können, grenzt schon fast an ein Wunder. Natürlich haben wir im Mobilitätsunterricht gelernt, die Umgebungsgeräusche zu interpretieren, den Weg mit dem Langstock nach Wegmarken abzutasten, topographische Veränderungen mit unsern Füssen wahrzunehmen und nach einem auswendig gelernten Plan voranzuschreiten. Wie schön wäre es, wenn wir ein Gerät hätten, das uns zuverlässig ans Ziel führte. Doch dazu sind die aktuellen Navigationshilfen noch nicht in der Lage. Die GPS-Navigation wie wir sie vom Autofahren kennen, eignet sich nur bedingt für blinde Leute im Fussgängerbereich. Wir bräuchten präzisere Informationen zum Nahbereich. Meine virtuellen Marksteine Meinen Wünschen bereits ziemlich nah kommt jedoch die vom Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband (SBV) entwickelte App “MyWay”. Zum einen kann ich damit Wege, die ich regelmässig gehe, mit Orientierungspunkten versehen. Zum andern kann ich am PC Routen erstellen und in die App importieren, so dass ich den Weg mit Hilfe des iPhones finde. Ein Beispiel: Als meine Mutter im vergangenen Winter im Sterben lag, wurde ich plötzlich mitten in der Nacht wach. Mir war, als würde mich meine Mutter rufen. Also schlich ich aus dem Haus, ohne meine Familie zu wecken. Doch draussen tobte ein Schneesturm und ich wusste nicht mehr, wo ich war. Mit MyWay hatte ich mir jedoch den Weg ins Pflegeheim markiert. So konnte ich nun die Ortung aufnehmen und mich von Punkt zu Punkt zum rettenden Eingang des Pflegeheims lotsen lassen. Die Richtung von einer Wegmarke zur nächsten wurde mir dabei durch Vibrieren des Geräts angezeigt, sobald ich das iPhone in die richtige Richtung hielt. Ich brauchte mich bloss mit dem iPhone in der Hand langsam zu drehen und fand so die Richtung, in die ich D:\75886760.doc 24/33 gehen musste. Ich wusste auch jeweils, wie weit ich noch von der nächsten Wegmarke entfernt war. Meine Route Nun hat der SBV die App um eine weitere Funktion ergänzt. Das Zusatzprogramm zur App heisst “Route4MyWay”. Mit diesem kann man eine Route bereits am PC planen und in die App laden. Auch dazu ein Beispiel: Als ich neulich für einen Kurs nach Brig reiste, war die Person, die mich dort am Bahnhof abholen sollte, verhindert. Was tun? Ich sass bereits im Zug und konnte in Brig niemanden erreichen, der mich abholen konnte. Da suchte ich mit dem iPhone die Adresse des Kursorts und erstellte auf meinem Notebook mittels “Route4MyWay” die Fussgängerroute vom Bahnhof zum Kursort. Diese kopierte ich in die App MyWay. In Brig angekommen, brauchte ich bloss MyWay zu starten und fand so problemlos den Weg. Google Maps Seit Mitte Juli gibt es die kostenlose App “Google Maps”. Auch sie kann benutzt werden, um sich an einen bestimmten Ort navigieren zu lassen. Da auch “Route4MyWay” auf das Kartenmaterial von Google zurückgreift, sind die Anweisungen vergleichbar. Allerdings gibt MyWay durch Vibrieren des Geräts die Richtung und mit regelmässigen sprachlichen Hinweisen die Distanz zum nächsten Punkt an. Diese Informationen schätze ich sehr, denn sie bestätigen mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Information Urs Kaiser ist blind und geübter Anwender des iPhone. Er ist Gründer der Apfelschule, wo sich blinde und sehbehinderte iPhone-User gegenseitig Wissen im Umgang mit ihren AppleGeräten vermitteln. www.apfelschule.ch D:\75886760.doc 25/33 Blindenführhunde Dank der Intervention eines engagierten Mannes dürfen nun auch blinde Personen mit Führhund in den Schweizer Jugendherbergen übernachten. Von Naomi Jones Im Juni 2013 sucht der Fotograf und Wanderbuchautor Heinz Staffelbach eine schöne und günstige Feriengelegenheit für eine Freundin, die sich ratsuchend an ihn wendet. Die Frau möchte sich mit ihrem zehnjährigen Sohn eine kurze Auszeit gönnen. Die alleinerziehende Mutter ist stark sehbehindert und deshalb auf ihren Führhund angewiesen. Heinz Staffelbach wendet sich per Mail an die Schweizer Jugendherbergen und bittet um eine Empfehlung. Er erhält eine kurze, klare Antwort: Hunde seien in den Jugendherbergen nicht erlaubt. Zum Glück lässt Staffelbach diese Antwort nicht auf sich beruhen und äussert seinen Unmut. Die Jugendherbergen lenken ein und lassen Staffelbach wissen: “Sie haben bei uns intern das Gespräch über Blindenhunde bei den Jugendherbergen neu entfacht. Neu nehmen wir in allen Herbergen mit Doppelzimmer, auch Blindenhunde auf.” Was Kurt Schemp, Bereichsleiter Projekte & Entwicklung / Koordination der Schweizer Jugendherbergen, offenbar nicht weiss: Seit 2004 ist das Behindertengleichstellungsgesetz in Kraft. Und dieses gilt auch für die Dienstleistungen von Privaten: Restaurants, Kinos, Museen, Hotels, Geschäfte und Taxis. Die Hygieneverordnung des EDI vom 23. November 2005 (HyV Art. 15a) nimmt Blindenführhund sogar ausdrücklich vom Tierverbot in Räumen mit Lebensmitteln aus: “In Räumen, in denen mit Lebensmitteln umgegangen wird, dürfen Tiere weder gehalten noch mitgeführt werden. Ausgenommen sind: (…) Hunde, die eine behinderte Person führen oder begleiten.” Die Fachstelle Égalité Handicap publizierte im März dieses Jahres das Merkblatt “Begleitung von Menschen mit Behinderung durch Assistenz- oder Blindenführhunde” Die Fachstelle bietet D:\75886760.doc 26/33 Rechtsberatung zum Behindertengleichstellungsrecht an. Menschen, die sich aufgrund ihrer Behinderung diskriminiert fühlen, können sich an die Fachstelle wenden: www.egalitehandicap.ch Stimmen zum Assistenzbeitrag Seit bald zwei Jahren gibt es den Assistenzbeitrag der Invalidenversicherung. Am Gleichstellungstag von Agile wurde eine Zwischenbilanz gezogen. Es kamen verschiedene Stimmen zu Wort. Von Christoph Landtwing Mit dem Assistenzbeitrag der Invalidenversicherung (IV) können Personen mit einer Behinderung persönliche Assistenzpersonen anstellen. So soll ihnen ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden sowie die gesellschaftliche Teilhabe möglich werden. Gemäss Peter Eberhard vom BSV beziehen in der Schweiz derzeit ca. 1000 Personen Assistenzleistungen der Invalidenversicherung. Durchschnittlich werden rund 3000 Franken pro Monat für die Assistenz einer Person mit Behinderung aufgewendet. An der Tagung von Agile kristallisierten sich einige Kritikpunkte an der Umsetzung des Assistenzbeitrags heraus: Dass die assistierte Person Arbeitgeber ist, ist sehr anspruchsvoll und bewirkt einen hohen administrativen Aufwand. Ausserdem ist die Suche nach geeignetem Personal oft schwierig. Angehörige können nicht als Assistenzpersonen eingesetzt werden. Der selbst betroffene CVP-Nationalrat Christian Lohr hat eine parlamentarische Initiative eingereicht, um die Assistenzleistungen von Familienmitgliedern oder angehörigen wenigstens teilweise entschädigen zu können. D:\75886760.doc 27/33 Der anerkannte Hilfebedarf und damit die Anzahl Assistenzstunden ist begrenzt. Häufig sind zusätzliche Finanzierungsquellen (z.B. Ergänzungsleistungen) für eine persönliche Assistenz nötig, um wirklich autonom leben zu können. Während der langen Abklärungsdauer (mehrere Monate) von der Selbstdeklaration bis zur Verfügung kann sich der Assistenzbedarf gesundheitsbedingt verändern. Das Bundesamt für Sozialversicherungen lässt den Assistenzbeitrag in den nächsten Jahren laufend evaluieren. Gesetzliche und praktische Anpassungen sind zu erwarten. Information Christoph Landtwing ist Mitarbeiter der Interessenvertretung des Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (SBV). www.sbv-fsa.ch Agile ist die Dachorganisation der Behindertenselbsthilfe: www.agile.ch News E-Voting Barrierefreies E-Voting würde Personen mit einer Sehbehinderung eine autonome Stimmabgabe bei Abstimmungen oder Wahlen ermöglichen. In einigen Kantonen und Gemeinden laufen bereits erste Versuche mit einer elektronischen Stimmabgabe per Heimcomputer. Bisher kamen jedoch ausschliesslich stimmberechtigte Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer zum Zuge. Dies obwohl der Bund Personen mit einer (Seh-) Behinderung von Beginn weg als priorisierte Zielgruppe bestimmt hat. Bei der Weiterentwicklung der E-Voting Systeme der zweiten Generation sollen nun die Bedürfnisse von Stimmberechtigten mit einer (Seh-) Behinderung besser berücksichtigt werden. Um Accessibility zu erreichen, werden D:\75886760.doc 28/33 derzeit die rechtlichen Grundlagen und technischen Anforderungen an die E-Voting Systeme angepasst. So müssen die Richtlinien für barrierefreies Webdesign sowie die Zugänglichkeit der Stimmrechtsausweise mit den Zugangscodes bei kantonalen Testläufen eingehalten werden, um von der Bundeskanzlei genehmigt zu werden. CL Norm für Leserlichkeit Im April dieses Jahres veröffentliche das Deutsche Institut für Normung die DIN 1450 Leserlichkeit. Darin beschreibt das Institut, was eine Schrift auch unter schlechten Bedingungen wie Nebel oder mit einer Sehbehinderung so leserlich als möglich macht. Zusammen mit dem Schriftendesigner Akira Kobayashi hat der Grandseigneur der Typografie Adrian Frutiger eine neue Schrift entworfen, die den Empfehlungen der DIN-Norm folgt, die Neue Frutiger 1450. Sie ihres Zeichens die erste Schrift nach der neuen Norm. NJ Verletzte Menschenrechte von Albinos Am 13. Juni hat der UN-Menschenrechtsrat in Genf eine Resolution verabschiedet, welche die Diskriminierung und die Attacken auf Menschen mit Albinismus in vielen Ländern verurteilt. Zahlreiche von Albinismus Betroffene sind seit 2006 in Tansania ermordet oder verstümmelt worden, weil ihren Körperteilen magische Kräfte zugeschrieben werden. Die UNResolution anerkennt zum ersten Mal, dass Menschen mit Albinismus oft schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Dies ebnete den Weg zu Interventionen auf internationaler Ebene. NJ Hinweise Ausstellung und Verkauf D:\75886760.doc 29/33 Am Samstag, 23. November öffnet das Bildungs- und Begegnungszentrum des Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverbandes in Lausanne seine Türen. Von 10 h bis 16 h können die Produkte der blinden und sehbehinderten Aussteller gekauft werden. Centre de formation et de rencontre Rue de Genève 88b 1004 Lausanne www.sbv-fsa.ch “In der Nacht fliegt die Seele weiter” Die blinde Basler Künstlerin Pina Dolce malt, stellt Videos her, fotografiert. Sie lässt sich auch gerne fotografieren und schreibt Gedichte. Pina Dolce sagt: Blind sein bedeutet nicht, nichts zu sehen. Ihre Bilder erzählen von einer sinnlichen Wahrnehmung der Welt, die auch Sehende ihren Blick hinterfragen lässt. Der Dokumentarfilm “In der Nacht fliegt die Seele weiter” von Peter Jäggi über die blinde Malerin wird am 15. Dezember im Schweizer Fernsehen in der Sendung Sternstunde Kunst um 11 h 55 ausgestrahlt. Für den Film gibt es eine Audiodeskription. www.insertfilm.ch “Altgold für Augenlicht” SSO-Zahnärzte und das Schweizerische Rote Kreuz engagieren sich gegen Armutsblindheit. Wird einem Patienten Zahngold entnommen, weist der Zahnarzt den Patienten darauf hin, dass das Gold gespendet werden kann. Der Zahnarzt schickt das gespendete Gold dem Roten Kreuz. Dank dem Projekt “Altgold für Augenlicht” können jedes Jahr tausende Kinder und Erwachsene auf Augenkrankheiten hin untersucht und behandelt werden. Die Operation des grauen Stars kostet in Entwicklungsländern für ein Auge 50 Franken. www.redcross.ch / altgold D:\75886760.doc 30/33 Blinde Fliege Ähnlich dem Restaurant “blinde kuh” in Zürich und Basel gibt es jetzt auch im Tessin die Möglichkeit, ein Menü im Dunkeln zu geniessen. “mosca cieca” ist ein Angebot der Unitas, der Tessiner Sektion des Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverbands. Die “mosca cieca” findet jeweils Freitag- und Samstagabends statt. Eine Anmeldung ist nötig. Ein Menü kostet inklusive Getränke rund CHF 60.- pro Person. www.moscacieca.ch Anmeldung: [email protected] 091 735 69 00 Internationales Computer-Camp für Jugendliche mit einer Sehbehinderung Vom 3. bis 12. August 2014 findet in Riga das 20. International Camp on Computer & Communication (ICC) statt. Es richtet sich an sehbehinderte und blinde Jugendliche im Alter von 16 bis 21 Jahren und fördert die Vernetzung und vermittelt für sehbehinderte Menschen spezifisches Wissen für den Berufseinstieg. An sieben Tagen stehen Computer und Kommunikationsworkshops auf dem Programm. Einmal wird ein Ausflug gemacht. Gute Englischkenntnisse sind Voraussetzung. Das Lager kostet 400 Euro. In der Schweiz gibt Marja Kämpfer vom Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband (SBV) Auskunft und nimmt Anmeldungen entgegen. [email protected] www.icc-camp.info Pinwand Will die Dame tanzen? D:\75886760.doc 31/33 Möchten Sie tanzen, es fehlt Ihnen jedoch ein Tanzpartner? Oder möchten Sie einfach etwas Neues ausprobieren? Ich wohne im Raum Zürich und tanze seit zehn Jahren Standardtänze und Latin, wann immer es möglich ist. Ich begleite Sie gerne an den Tanzanlass oder an den Tanzkurs Ihrer Wahl. Eine meiner Tanzpartnerinnen war sehbehindert, somit habe ich keine Berührungsängste. Ich bin 40 Jahre alt, 175cm gross, sportlich und Nichtraucher. Kontakt: Dani Christener office.christener@ gmail.com 076 335 07 80 Occasions-Lesegerät Meine Mutter besitzt ein Lesegerät das sie nicht mehr benötigt und möchte es gerne verkaufen. Kontakt: [email protected] Minidisc-Recorder gesucht Herr Bruno Cattin sucht einen Occasion Minidisc-Recorder. Bruno Cattin rue du Doubs 135 2300 La Chaux-de-Fonds 032 913 49 12 [email protected]. D:\75886760.doc 32/33 Impressum “Klar”, das Schweizer Magazin zum Thema Sehbehinderung Nr 4 Winter 2013 1. Jahrgang. Die Zeitschrift erscheint viermal im Jahr in Grossdruck (ISSN 2296-1976), Braille Vollschrift (ISSN 2296-1968), Braille Kurzschrift (ISSN 2296-2034), als DAISY-CD (2296-195X) und unter dem Titel “Clin d’oeil” auf Französisch. Redaktion: Naomi Jones, Chefredaktorin Jean-Marc Meyrat, stv. Chefredaktor Autoren: Céline Moret, Charly Meyer, Urs Kaiser, Christoph Landtwing Musik: Jean-Yves Poupin, Epicycle und Eole (zum Thema) Gestaltungskonzept und Bildredaktion: Mettler Mettler + Mettler Kontakt: [email protected] 031 390 88 00 Herausgeber: Schweizerischer Blinden- und Sehbehindertenverband Gutenbergstrasse 40 b / Postfach 8222 3001 Bern www.sbv-fsa.ch Leiter Informationsdienst: Jean-Marc Meyrat Projektleitung “Klar / Clin d’oeil”: Naomi Jones Übersetzungen: USG Übersetzungs-Service AG Druck: Ediprim AG, Biel / Bienne, Druck auf umweltfreundliches FSC-Papier Brailleumwandlung und -druck: Simone Rentsch, Anton Niffenegger Audio: Markus Amrein und Sylvia Garatti D:\75886760.doc 33/33