Thema der Seminararbeit: Die Rolle der antiken Bildung und des Lehrers als Vermittler von Wertvorstellungen und ethischen Richtlinien Verfasser: Philipp Böhme, WS 2002/03 Inhalt: 1. Einleitung 2. Die homerische Frühzeit 3. Erziehung im Zeitalter der Polis: die Päderastie 4. Das 5. und 4. Jahrhundert v. u. Z. und die Wegbereiter der klassischen Schule: Sophistik, Sokrates, Platon und Isokrates 4.1. Sophistik 4.2. Sokrates 4.3. Platon 4.4. Isokrates 5. Der Hellenismus 6. Schluss 7. Quellen 1. Einleitung Erziehung – ein Thema, das bis heute Gegenstand der Betrachtung und Reflexion unter Pädagogen geblieben ist - und Bildung – als Teil der Erziehung – haben ihren Ursprung (wie so vieles andere auch) in der griechischen Antike. Vor etwa 2600 Jahren wurde man sich der Möglichkeit bzw. der Notwendigkeit bewusst, den jungen, heranwachsenden Menschen durch eine Bildung auf das Leben vorzubereiten, ihm kultur- und zeitbedingte Normen und Werte zu vermitteln, durch die er zu einem voll entwickelten und vollwertigen Mitglied seiner Gesellschaft werde. Die griechische Antike hat erstmals durch philosophische Betrachtung über den Menschen auch die ersten Ansätze einer Erziehungstheorie und Pädagogik hervorgebracht. Natürlich waren Erziehungs- und Bildungskonzepte nicht von Anfang an in einer fertigen Form vorhanden, sondern waren dem Wandel der Zeiten unterworfen. Eine einheitliche, sich auf ihrem Höhepunkt befindende griechische Erziehung- heute spricht man von der klassischen Erziehung- hatte sich im Zeitalter des Hellenismus, also im 3./2./1. vorchristlichen Jahrhundert zu ihrer Blüte entwickelt. Die Entwicklung der griechischen Erziehung ist klar mit dem Voranschreiten der Zeit verbunden, steht also in konkreter Wechselbeziehung mit ihr. Sie darf als Spiegel der Zivilisation gelten, die als solche auf einer bestimmten Entwicklungsstufe stehen muss, um die Entstehung einer Erziehung zu ermöglichen. „Die Erziehung ist die kollektive Technik, mit der eine Gesellschaft ihre junge Generation in die Werte und Techniken einführt, die das Leben ihrer Zivilisation charakterisieren“(Marrou, S. 3-4). Um einen Überblick über 1500 Jahre antike Erziehungsgeschichte zu geben, soll diese Darstellung auf die griechische Antike beschränkt bleiben und die römische außer acht gelassen werden, da die Römer nach der Eroberung Griechenlands am Ende des Hellenismus die griechische Erziehungsweise übernahmen und nur geringfügig abwandelten. Dabei soll versucht werden, die Rolle der Erziehung bzw. auch des Lehrers als Übermittler von bestimmten gesellschaftlichen Normen und Wertvorstellungen zu charakterisieren, ein Aspekt, der in unseren modernen Gesellschaften in gewissem Rahmen gang und gebe ist, in der Antike aber zugunsten der technischen Ausbildung eher in den Hintergrund gedrängt war. Erste Ansätze zur Erziehung werden uns in der griechischen Frühzeit des 8. Jh. v. u. Z. greifbar. Hier beginnt die Entwicklung. [zurück] 2. Die homerische Frühzeit Die homerische Frühzeit ist uns fasslich aus den beiden großen Epen Homers, der Ilias und der Odyssee, deren Datierung umstritten ist. Beide fallen aber höchstwahrscheinlich ins 8. bzw. 7. Jh. v. u. Z. Hier gewährt Homer an einigen Stellen Einblicke in gesellschaftliche Normen und Ideale, die die jungen Schüler an der Seite eines Lehrers wetteifernd erstreben sollen. Das Bild, das hier vermittelt wird, ist das einer ständischen, feudal geprägten Adels- und Ritterkultur, mit Königen an der Spitze, wo jedermann seinen bestimmten Platz in klar definierten Grenzen hat. Man kann ersehen, dass hier schon Wert darauf gelegt wurde, den Schülern zu vermitteln, wie man sich situationsbedingt auf etwas einstellt, wie man sich äußert, wie man sich benimmt, welche Manieren man zu erlernen hat. Über allem aber steht der sittliche Wert der „Tugend“ oder „Tüchtigkeit“. Diese beiden Worte sind nur ungenaue Übersetzungen des griechischen Wortes „areté“, eben genau dieses Ehrenkodex, der für den homerischen Helden das Lebensziel war. Die „areté“ ist ein idealer Wert und fasst alle guten Eigenschaften im Menschen zusammen. Sie bezeichnet das, was, im Manne angelegt und aktiviert, ihn zu einem wahren Helden macht. Wichtig ist, dass die Bedeutung des menschlichen Lebens an diesem Idealwert gemessen an Wichtigkeit verliert. Ein wichtiger Aspekt ist das Streben nach Ruhm, an dem die „areté“ gemessen wird. Auch hat der Stolz keinen negativen Nachklang, sondern ist das Mittel zur Durchsetzung der eigenen Größe und ihrer Verwirklichung. Bemerkenswert ist auch eine gewisse Selbstliebe, die sich aber nicht darin äußert, dass sich der Held verachtend über andere stellt, sondern dass er sich durch das Erheben über andere in seiner eigenen Selbstbeflügelung fördern will. Dies wird im fairen, nicht kriegerischen Wettkampf ausgetragen. Man misst sich an anderen und wird angespornt, immer höher und höher zu steigen (dieser Aspekt der Selbstvervollkommnung in der „areté“ hat sich in sportlichen Wettkämpfen, nicht zuletzt in den olympischen Spielen, durchgesetzt, bedingt auch dadurch, dass bei den Griechen Körper und Geist idealisiert als Einheit bzw. in Wechselwirkung stehend verstanden wurden.) Die Persönlichkeit des Lehrers taucht bei Homer auch schon auf, z.B. in der Gestalt des weisen Chiron, der den jungen Achill z.B. in der Jagd, im Reiten, im Leierspiel oder in der Heilkunst unterrichtet. Diese Lehrergestalten werden ehrwürdig und allwissend dargestellt und bereiten den Schüler durch praktische und ethische Erziehung auf das Leben vor. Dass sich der Lehrende auch seiner aktiven Rolle und seiner Verantwortung bewusst war, zeigt eine Stelle in der Ilias, an der der alte Phönix, auch ein Erzieher des Achill, zu ihm sagt, dass er (Phönix) ihn (Achill) zu dem gemacht habe, was er heute sei (Ilias 9, 485). Heldenhafte Beispiele sollen den Schüler veranlassen, sich zu dem ethischen Idealtypus zu formen (so möchte z.B. später auch Alexander der Große ein neuer Achill werden). Bezeichnend ist, dass diese Beschränkung der Erziehung auf eine aristokratische Gesellschaftsschicht die ganze Antike über erhalten blieb. Bildung blieb immer nur einer höheren Elite vorbehalten, die ihrer für würdig befunden wurde. Somit wurden auch die alten homerischen Wertvorstellungen in die neue Zeit mit hineingetragen, die homerischen Epen blieben in der Antike die Grundlage für literarische Studien und wurden zu einem ethischen Kompendium. [zurück] 3. Erziehung im Zeitalter der Polis: die Päderastie Die folgende Zeit war dadurch gekennzeichnet, dass sich in Griechenland je nach Herrschaftsgebiet kleine Stadteinheiten bildeten, die so genannten Poleis, territorial winzige, in sich geschlossene Stadtstaaten. Das führte dazu, dass im griechischen Bewusstsein das alte Persönlichkeitsideal des Helden und Ritters von einem allen gemeinsamen Polisideal verdrängt wurde, das den Menschen nicht in seiner persönlichen Individualität führte, sondern in seinem Bewusstsein als aktiver, politischer Bürger, der im Dienste der Gemeinschaft steht und um das Wohl aller besorgt ist (dieses Ideal sollte Platon wesentlich beeinflussen). Damit war eine gewisse Selbstaufgabe sowie strikter Gehorsam gegen die Gesetze verbunden. In dem berühmten Stadtstaat Sparta wurde dies auf ziemlich rohe und unmenschliche Weise durchgesetzt, so dass man heute noch von „spartanischer“ Erziehung spricht. In dieser Zeit zeigt sich eine weitere, uns seltsam anmutende Form der Erziehung: die Knabenliebe (Päderastie). Diese in Griechenland nicht überall praktizierte Erziehungsart scheint sich aus einer Art Kampfgenossenschaft entwickelt zu haben. Lehrer und Schüler (etwa 15-18 Jahre) haben sowohl eine geistige als auch eine körperliche Beziehung, die aber nicht auf Sexualität basierte, sondern sich in einer tiefen Zuneigung äußerte. Diese Liebesbeziehung darf man sich nicht zwischen einem Lehrer und vielen Schülern vorstellen – die Zahl der Schüler war sehr beschränkt auf eine kleine Elite – und in Zusammenkünften war man meist zu zweit. Die Knabenliebe hat nichts mit Homosexualität zu tun, die in Griechenland als nicht normal galt. Vielmehr äußerte sich das Verlangen in diesen Beziehungen so, dass im Älteren der Wunsch, den Jüngeren zu führen und zu formen, eine Art des guten Handelns darstellte, wobei der Jüngere davon beseelt war, dem Lehrer im ständigen Streben nach oben gleichzukommen. Das ethische Ideal der „areté“ war dabei von größter Bedeutung. In dieser Verführung durch den Lehrer und der Bewunderung durch den Schüler für den Lehrer lag eine gewaltige Wechselwirkung begründet, die in solch vertraulichen Unterrichtsgesprächen dem Schüler ermöglichte, sein eigenes Bewusstsein, sowohl als Mann als auch als Mensch zu gestalten und ihn zu befähigen nach dem höchsten Wert der „areté“, der „Bestheit“ gut zu handeln. Diese Formung des Charakters und der Persönlichkeit war zur Gänze vom Lehrer übernommen, Erziehung in der Familie war der Mutter für das kleine Kind vorbehalten, während der Vater in der Öffentlichkeit tätig war. Auch für den Lehrenden bedeutete die Knabenliebe eine Form der Selbstwahrnehmung, da er gefordert war, den Jungen „gut“ zu erziehen. Die Form des Säens und somit des Erzeugens von zu vermittelndem Wissen und Wertvorstellungen im Gegenüber hat seit dieser Zeit an Bedeutung gewonnen und stellt einen wichtigen Schwerpunkt in der Pädagogik dar. Etwas Geistiges einem anderen weiterzugeben, äußerte sich in der Antike nun auch im sexuellen Moment, aber nicht um seiner selbst willen. „Offensichtlich ist es der normale Instinkt des Fortpflanzungswillens, der leidenschaftliche Wunsch, sich in einem dem eigenen Selbst ähnlichen Wesen fortzusetzen, der, wenn er infolge der Inversion der natürlichen Möglichkeiten beraubt ist, sich in diese pädagogischen Aufgaben hin ableitet und sich dort befreit.“(Marrou, S. 53) [zurück] 4. Das 5. und 4. Jh. v. u. Z. und die Wegbereiter der klassischen Schule: Sophistik, Sokrates, Platon und Isokrates Das 5. Jh. ist gekennzeichnet von der Durchsetzung demokratischer Verfassungen in vielen griechischen Stadtstaaten. Politischer Einfluss und Rechte waren ein Zugeständnis an das Volk, das sich von nun an am öffentlichen politischen Leben, das vorher den Aristokraten vorbehalten war, beteiligen konnte. Individuelle Erziehung sollte trotzdem immer einer höheren Schicht vorbehalten bleiben. Neben dem Sport wurde auch das musische Element (das nicht nur Musik, sondern auch Dichtung einschließt) der Erziehung sehr hochgehalten. Dass diese beiden „Disziplinen“ für den Griechen untrennbar miteinander verbunden waren, wurde schon weiter oben angedeutet: Alle seelischen Vorgänge waren körperbezogen. Das Gefühl wurde im Ausdruck deutlich, die innere Haltung in der Bewegung und das Wort in der Stimme. Das Kind lernte die alten Dichter auswendig, um sich an deren Vorgaben ethischer Werte zu schulen. Ein neuer sittlicher Wert wurde geprägt, die „kalokagathía“. Dies Wort setzt sich aus zwei griechischen Adjektiven zusammen („kalós“-schön- und „agathós“-gut) und bedeutet die Eigenschaft, ein schöner und guter Mensch zu sein, wobei das Gute eher die moralische und soziale Gesinnung betrifft und das Schöne die körperliche Verfassung umschreibt. Diese zweiteilige, musisch-sportliche Erziehung blieb in der griechischen Erziehung grundlegend (mit der Zeit wurde nur der Sport zugunsten der literarischen Studien etwas verdrängt) . Bisher war immer noch kein institutioneller Rahmen für die Bildung geschaffen. Dies änderte sich auch nicht, als die Sophisten, die die Erziehung entscheidend prägen sollten, auf der Bildfläche erschienen. [zurück] 4.1. Sophistik Die Sophisten waren eine Wanderbewegung, die von Stadt zu Stadt zog und den Menschen gegen Bezahlung Unterricht anbot. Sie sahen sich zuerst als Erzieher und gründeten einen höheren Unterricht. Sie versprachen eine allgemeine Bildung für alle Menschen (wenn sie denn bezahlen konnten). Dabei war ihr Hauptaugenmerk auf die politische Erziehung gerichtet, die dafür sorgen sollte, Männer zu Staatsmännern zu machen. Es ging darum, sich als Politiker Führungspositionen anzueignen und seine Überlegenheit in den Staatsgeschäften auszuspielen (durch die zunehmende Demokratisierung waren immer mehr Bürger dazu angehalten, sich in der politischen Welt zurechtzufinden). Zu diesem Zweck boten die Sophisten einen rhetorischen Unterricht an, durch den die Schüler Fähigkeiten und Techniken der Beredsamkeit vermittelt bekamen. In fingierten Reden mit moralischen, poetischen oder politischen Themen und erdachten Rechtsfällen übte sich der Schüler in seiner Eloquenz. Diese vermittelte Technik war rein auf die Praxis bezogen. Demzufolge ging damit auch eine aufklärende, rationale Kritik an gültigen Werten und Normen einher. In einem Gerichtsprozess war alles das gut, was den Sieg brachte(der Zweck heiligte die Mittel). Die Folge davon war, dass Wertvorstellungen relativiert und subjektiviert wurden. Es gab keine objektive Wahrheit mehr, wobei der eine Recht und der andere Unrecht hatte, es gab nicht mehr die Wahrheit oder die Tugend, sondern es gab verschiedene Vorstellungen davon. In Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt ist bei entsprechender Betrachtungsweise sowohl das Pro als auch das Contra wahr. Diese Einstellung zur Welt schlug sich nun auch in rhetorischen Übungen nieder, in denen die Schüler einen Sachverhalt von zwei Seiten beleuchten und ihn jeweils so darstellen mussten, dass er glaubwürdig erschien. Diese subjektivierte Lebenshaltung, wonach für jedes einzelne Individuum das richtig war, was ihm richtig erschien, mündete in dem berühmten Satz: Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Dieser offensive, an den moralischen Fundamenten des menschlichen Bewusstseins rüttelnde Erziehungsstil rief einen empörten Gegner auf den Plan: Sokrates(geb. 469). [zurück] 4.2. Sokrates Im Gegensatz zu den Sophisten, die den Erfolg und die persönliche Durchsetzung zum Ziele hatten, war der Unterricht für Sokrates kein Mittel zum Zweck, sondern allein auf die Wahrheitsfindung ausgerichtet. Das Ideal der „areté“ war nicht durch eine Technik zu erreichen, sondern nur durch die Wahrheit. Sokrates versuchte in den Gesprächen mit seinen Schülern gegen die relativistische Auffassung der Sophisten von Wertvorstellungen vorzugehen und zur Erkenntnis (Wissen) über eine Sache, die durch Fragen von der subjektiven Meinung befreit wurde, zu gelangen. Er bemühte sich also wieder um eine allgemeine, begrifflich fixierte Definition von Werten. Seiner Meinung nach bedeutete die Kenntnis der Werte gleichzeitig auch ein Handeln nach ihnen, nur Unwissenheit führe zu falschen Handlungen. Indem er dem Schüler bei der Formulierung und Klärung ihrer Gedanken zur Seite stand, wurde er zum Begründer einer selbstbestimmten Erziehung, bei der der Schüler selbst aktiv und bereit sein musste, sein Wissen prüfen zu lassen. Urteils- und Kritikfähigkeit waren erklärtes Erziehungsziel. [zurück] 4.3. Platon Die Schüler des Sokrates übernahmen zum größten Teil diese moralisch-ethischen Aspekte der Erziehung, aber auch sophistisches Gedankengut. Als sein größter Schüler darf wohl Platon gelten, der (wahrscheinlich) im Jahre 387 v. u. Z. in Athen seine philosophische Schule gründete: die Akademie. In seinem Werk entwirft er ein Ideal der inneren, philosophischen Vervollkommnung, das in solchem Gegensatz zur praktischen Realität seiner Mitbürger stand, dass es nur innerhalb der Akademie zur Anwendung gebracht wurde. Wie für Sokrates war für ihn die Wahrheit, nicht der Erfolg oberstes Ziel. Auch wird er die heute noch verwendete Methode seines Lehrers (Mäeutik) übernommen haben, nach der dem Schüler kein vorgefertigtes Ergebnis vermittelt wurde, sondern die eigenen Kräfte des Schülers aktiviert wurden. Die Vernunft war ihm oberstes Prinzip, und als Weg zur Wahrheit diente ihm die Wissenschaft. Im „Staat“ und den „Gesetzen“ äußert er auch seine Gedanken zur Erziehung (er setzte sich übrigens auch für die Gleichstellung von Jungen und Mädchen ein). Die Wissenschaft (insbesondere die Mathematik) bedeutet für ihn ein Mittel zur Wachrüttelung des Geistes und zum Gedächtnistraining. Bedeutend bei Platon ist die Einführung eines Idealbegriffes, einer Idee, für alle in der Sinnenwelt vorkommenden Dinge. Diese Ideen können mit Hilfe der Vernunft erkannt werden. Der vermittelte Wert bestand hier in der Erkenntnis der Wahrheit in Form der Ideen, nicht der sinnlich wahrnehmbaren Welt. Dass Platon mit dieser philosophischen Ausbildung eine Philosophenelite heranzog, war ihm sicherlich klar. Aber es scheint, dass er im Laufe seines Lebens nie aufgehört hat, an das Gute und Schöne in der Welt und im Menschen zu glauben. Mit seinem großen philosophischen System und dem sehnsuchtsvollen, idealistischen Gedanken, dass es allen Menschen durch die allen gemeinsame Vernunft möglich sei, das Gute zu erkennen, hat er die Entwicklung der Erziehung wesentlich beeinflusst und trug nicht zuletzt zur Fundamentierung ethischer Werte (gute Manieren, gesellschaftliches Wohlverhalten, Bescheidenheit, Zurückhaltung, Ehrfurcht vor dem Alter, Ausgeglichenheit, Maß und Angemessenheit) bei. [zurück] 4.4. Isokrates Der große Rivale Platons, Isokrates, gründete seine Schule 393 v. u. Z., also noch vor der Akademie. Isokrates war ein Erbe der Sophisten und weniger philosophisch veranlagt. Er war ein großer Rhetoriker, obwohl er selbst niemals eine Rede hielt (er soll eine schwache Stimme gehabt haben, ängstlich und unsicher gewesen sein). Im Gegensatz zu Platon, für den die Wahrheit das Höchste war, stellte Isokrates die gesprochene Rede, den logos, über alles. Das Wort, die Sprache unterscheide den Menschen vom Tier und wäre als Voraussetzung jeglichen Fortschritts das Instrument zur Durchsetzung der Gerechtigkeit, Basis jeder Zivilisation und Kultur. Die ganze Erziehung drehte sich bei ihm also um das „eu légein“, das schöne Reden. Dass er dieses zum höchsten Ideal erhob, lag daran, dass er in der Rhetorik die Ethik begründet sah. Die Themen der Rhetorik verlagerte er auf schöne und erhabene Inhalte, in denen sich die Persönlichkeit des Redners verkörperte und die behandelten Tugenden auf das wirkliche Leben übertragen wurden. Isokrates’ unerschütterliches Vertrauen in die Macht des Wortes machte ihn zu einem Verfechter der rhetorischen Erziehung, die den Menschen durch die Ausrichtung des Denkens auf einen erhabenen, oft moralischen Sachverhalt zusammen mit der Macht des Wortes in seiner Urteils- und Entscheidungsfähigkeit schult und ihn zu einem Menschen erzieht. In seiner Erziehungskonzeption spiegelt sich also seine Auffassung vom gebildeten Kulturmenschen, der durch das Ideal der Sprache Teil seiner dieselbe Sprache sprechenden Zivilisation ist. Die Sprache vereint eine Nation und ist die Grundlage ihrer Kultur. Mit Platon und Isokrates hatten sich die beiden großen Strömungen der antiken Erziehung herausgebildet, die eine philosophischer Natur, also eher theoretisch, die andere rhetorisch, also praxisbezogen. Sie sollten im Hellenismus Grundlage der klassischen Bildung werden. [zurück] 5. Der Hellenismus Als Hellenismus bezeichnet man die mit Alexander dem Großen (336/323 v. u. Z.) beginnende und mit Kleopatra als letzter Königin endende Periode (30 v. u. Z.), als die Römer Griechenland eroberten. Bezeichnend für den Hellenismus war die Verschmelzung von griechischen, kleinasiatischen und ägyptischen Kulturelementen zu einer neuen, hellenistischen Hochkultur. Damit verbunden war ein neues Selbstbewusstsein. Die Polis war nun nicht mehr die kleine vaterländische Einheit, sondern das riesige hellenistische Reich war nun jedermanns Vaterland. Individuelle Bedürfnisse und Möglichkeiten wurden Gegenstand der Betrachtung. Der Mensch sah sich aber immer noch mit dem Ideal der „Bestheit“ konfrontiert – der Verwirklichung der eigenen Persönlichkeit in ihrer schönsten und vollkommensten Form. Der Begriff „paideia“- Bildung wird zum höchsten Wert erhoben. In ihr erstrebt man seine eigene Selbstvervollkommnung. Durch diese Verselbstständigung der Bildung – man betreibt sie um ihrer selbst willen – wird das Leben in vergeistigter Bildung höchste Lebensform. Mit ihrer Hilfe erreichte man nach dem Tode den glückseligen Zustand. Im Hellenismus entstehen institutionell eingerichtete Schulen. In die Elementarschule kommt das Kind im achten Lebensjahr. Hier bekommt es wie in unserer Grundschule die Grundlagen (Lesen, Schreiben, Rechnen) vermittelt. Auffallend ist, dass in den hellenistischen Schulen der Lehrer in seiner Rolle als Vermittler gesellschaftlicher Normen und Richtlinien völlig in den Hintergrund gedrängt wird. Er ist derjenige, der technische Fertigkeiten lehrt. Es gab noch keine Lehrerausbildung, einzige Voraussetzung war die sittliche Befähigung. Daraus folgte, dass der Lehrer pädagogisch und didaktisch vollkommen benachteiligt war. Man beschäftigte sich z.B. auch noch nicht mit entwicklungspsychologischen Aspekten, so dass man im Unterricht mit dem schwierigsten Sachverhalt begann, da man dachte, wenn diese Schwierigkeit überwunden wäre, wäre die höchste Hürde bereits genommen (Ungelehrigkeit wurde mit Gewalt bestraft). Der ethisch- moralische Teil der Erziehung wurde (außerhalb der Familie) meist von einem Sklaven übernommen, der ein Bedienter der Lehrer und der Familie war: der „paidagogós“. Von diesem Wort, das wörtlich „Kindführer“ bedeutet, leitet sich der Pädagoge her. Er begleitete das Kind auf dem Weg von zuhause zur Schule und zurück und trug dessen Schulsachen (oder auch das Kind selbst, wenn es müde war). Sein Einfluss auf das Kind nahm mit der Zeit zu. Er teilte dem Kind mit, wie man sich zu verhalten habe und wie man moralisch handle, kurz, wie man ein guter Mensch werde. Auch in der höheren Schule, in die man im dreizehnten Lebensjahr eintrat, blieb die Vermittlung höchster ethischer Werte mittels der Dichtung vorherrschend. Die alten Ideale, die in der Dichtung vorbildhaft gezeichnet waren, galten als Vorlage, an der man sich üben und der man nacheifern solle. Homer war absoluter Klassiker. In seinem Werk fand man eine ethische Konzeption vor, in deren Vollkommenheit man das Vorbild des Menschen sah. In der hohen Schule (ab dem sechzehnten Lebensjahr) vollzog sich das alte Wechselspiel von Rhetorik und Philosophie. Rhetorik wurde um ihrer selbst willen betrieben. Sie wurde zu einer systematisierten und technisierten Beredsamkeit, in der man sich rein formale Fertigkeiten aneignete. In ihrer Einseitigkeit wurde sie aber insofern zu etwas Positiven, als sie einen gemeinsamen Bezugspunkt für einen bestimmten Kreis von Menschen darstellte, einen „Zufluchtsort“, auf dessen Territorium man eine bestimmte Haltung zur Welt ausdrückte. Die Philosophie war von Ethik und Moral gekennzeichnet. Der philosophische Lehrer galt vielmals als geistiges Vorbild. Die Schwerpunkte der hellenistischen Philosophie waren am persönlichen, menschlichen Leben festgemacht, keine riesigen metaphysischen Systeme, so dass der Lehrer mit seinen Schülern in vertrauten Gesprächen auch sehr persönlichen Umgang hatte. Dieses einander Nahestehen war auch wieder nur dadurch gewährleistet, dass Philosophen sowie Rhetoren eine Elite ausbildeten, die auf eine bestimmte Anzahl beschränkt blieb. [zurück] 6. Schluss Die antike Erziehung ist eine Erziehung, die mit einem vorgefertigten Idealbild des Menschen arbeitet. Der Mensch als ganzer in seiner vollkommensten Entfaltung ist ihr Ziel. Die dabei vermittelten Ideale, allen voran die „areté“ als höchstes Gut, sollen den Menschen in seinem Lebenswandel zu einem ethisch und moralisch auf höchster Ebene agierenden Idealtypus formen, der seine Möglichkeiten entdeckt und vollkommen ausbildet. Bei diesem humanistischen Grundzug in der Erziehung kommen aber, da man darüber noch nicht reflektiert hat, Stufengliederungen wie eine altersspezifische Didaktik und Entwicklungspsychologie nicht zum Zuge. Die Ausbildung in der Erfüllung menschlicher Tugenden und Werte wird in der dominanten Literaturbildung als ermöglicht angesehen. In ihrem Versuch, das höchste Ideal vom Menschen zu verwirklichen, hat die antike Erziehung das Ziel, den Menschen „an sich“ zu schaffen – den nach ihrer Vorstellung idealsten Menschen. [zurück] 7. Quellen 1. H.-I. Marrou, Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum, München 1957 2. E. Lichtenstein, Der Ursprung der Pädagogik im griechischen Denken, Hannover 1970 3. L. Grasberger, Erziehung und Unterricht im klassischen Altertum, 3 Bände Würzburg 1864-1881 4. W. Jaeger, Paideia, Die Formung des griechischen Menschen I-III, Berlin 1954 5. J. Christes, Bildung und Gesellschaft. Die Einschätzung der Bildung und ihrer Vermittler in der griechisch-römischen Antike 6. H.-Th. Johann, Erziehung und Bildung in der heidnischen und christlichen Antike, Rheinfelden und Berlin 1976 7. W. Reichert, Erziehungskonzeptionen der griechischen Antike. Theorie und Praxis der Erziehung in ihrer Abhängigkeit vom Wandel der Kultur, Rheinfelden und Berlin 1993 [zurück]