Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Volker Bernius Wissenswert Psychologische Schlüsselbegriffe: Selbstwert Von Lisa Laurenz Mittwoch, 12.12.2007, 08.30 Uhr, hr2-kultur Sprecherin: Sprecher: 07-125 COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Ver-wendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/ der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. Seite 2 Musik 1... (einblenden ab: „Gerade mein Vater.......) Take 1 (Alexander) 0`20 Ich komme aus einer Familie, die nicht viele Reichtümer hatte und viel Leid erfahren hat. Gerade mein Vater hat immer von sich gesagt: ich bin nix, ich kenn nix, ich hab nix und er fühlte sich sehr abhängig von der Hilfe anderer Menschen. Das war so ein gewisses Gefühl in der Familie, dass ich meinen Wert dadurch auch nicht richtig wusste. Was ist jetzt mein Wert? Wo bin ich gut? (Musik ganz kurz frei stehen lassen, dann unterlegen bis „denken und fühlen“) Sprecherin Wer bin ich? Was macht mich aus? Bin ich zufrieden mit mir oder möchte ich eigentlich anders sein? Was bedeute ich anderen? So oder so ähnlich bewerten wir ständig das was wir tun, denken und fühlen. Wir vergleichen uns mit uns selber und auch mit anderen. Fragen nach dem Selbstwert spielen eine zentrale Rolle im Leben eines jeden Menschen, meint die Psychotherapeutin und Kommunikationstrainerin Klara Jobstmann: Take 2 (Klara Jobstmann) 0`30 Geliebt zu werden ist die Hauptsehnsucht und in Liebe zu leben, mit sich, mit seinem Leben und mit der Welt. Und wertvoll sein kommt tatsächlich ziemlich schnell danach. Der Wunsch geachtet zu werden, sich wertvoll zu fühlen und auch wirklich in der Achtung mit dem Anderen in dem würdevollen Umgang zusammen. Ich glaube, das macht Menschen sehr zufrieden. Sprecherin Wert und Würde des Menschen drücken sich in seinem Selbstwertgefühl aus. Ist das Selbstwertgefühl gut, spricht man von Selbstvertrauen, von Selbstakzeptanz oder von Zufriedenheit. Ein schlechtes Selbstwertgefühl äußert sich in Minderwertigkeitsgefühlen, in Unzufriedenheit oder in Scham. Ein stabiles Selbstwertgefühl wird genährt durch die Erfahrung, dass man sich auf die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten verlassen kann. Dass man im Leben etwas bewirken kann und sich sozial eingebunden fühlt. Seite 3 Doch selbst Menschen, die viel von sich halten und um ihren tieferen Wert wissen, können in eine Selbstwertkrise kommen, zum Beispiel bei Krankheit, Arbeitslosigkeit, Trennung oder Tod eines geliebten Menschen. Besonders in schwierigen Situationen des Lebens wird das Selbstwertgefühl auf die Probe gestellt. Fühlt man sich in seinem Selbstwert verletzt, kann das unangenehm oder sogar sehr schmerzlich sein. Wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen, reagieren wir häufig mit Ärger oder Wut. Das ist normal, schreibt die Psychoanalytikerin Verena Kast in ihrem Buch `Trotz allem Ich`: Zitatorin „Der Ärger hat den Sinn, dass wir.... unseren Selbstwert verteidigen und eine ausgewogene Selbstwertbalance wiederherstellen. Anders ausgedrückt: Menschen, die... eine gehemmte Aggression haben, haben Mühe, ihr Selbstwertgefühl zu schützen. Gelingt uns das aber nicht, schwindet unser Respekt für uns selbst, wir fühlen uns ohnmächtig, die Überzeugung, Leben gestalten zu können, schwindet und wir reagieren mit Angst. Wird unser Selbstwertgefühl niedrig, finden wir uns überhaupt nicht mehr attraktiv und haben den Eindruck, Kompetenz und auch die Akzeptanz durch andere verloren zu haben.“ Sprecherin Erfahrungen von Freude, Hoffnung, Neugier und Interesse können das Selbst-wertgefühl verbessern. Wenn wir uns freuen, fühlen wir uns wohler und der Selbstwert steigt. Das Selbstwertgefühl bleibt jedoch nicht immer gleich, je nach der eigenen Befindlichkeit ist es Schwankungen unterworfen. Darum sei es wichtig zu wissen, erklärt der Psychoanalytiker Michael Klöpper, wie man den Selbstwert regulieren kann und sich immer wieder neu in die Balance bringen kann: Take 3 (Michael Klöpper) In der gesunden psychischen Entwicklung gelingt es, dass wir uns alle einigermaßen gut kennen, dass wir sozusagen mit unserem Innenraum, unserem psychischen Innenraum vertraut sind, wir dessen sicher sind, Selbstsicherheit, um dessen Wert wissen, Selbstwertgefühl und dass wir Seite 4 mit diesem unserem Innenraum, der ja in ständigem inneren Wechsel ist, umgehen können. Dass wir uns irgendwie innerlich selbst regulieren können, dass wir ertragen können, wenn wir traurig sind, wenn wir voller Scham sind. Dass wir ertragen können, wenn wir uns unsicher fühlen und uns selbst aus diesen Gefühl wieder heraus führen können, es selbst können. Das ist ein entscheidender Kern von innerer Gesundheit. Sprecherin Frauen beziehen ihren Selbstwert zu einem großen Teil aus ihren sozialen Beziehungen und ihrer sozialen Kompetenz. Auch ihr Körper und die Wahrnehmung ihrer eigenen Attraktivität sind wichtige Quellen für ihren Selbstwert. Männer beziehen ihr Selbstwertgefühl mehr aus ihren Fähigkeiten und Erfolgen. Menschen, die ein authentisches und gutes Gefühl für ihren eigenen Wert haben, strahlen das aus. Sie wirken zufrieden und gelassen. Ein positives Selbstwertgefühl speist sich aus vielen Quellen. Die Urquelle liegt in der Kindheit, in der gelungenen Beziehung zwischen Mutter und Kind. Über das Lächeln und die Freude in den Augen der Mutter erlebt das kleine Kind sich selbst. Daniel Stern (Regie: engl. aussprechen), einer der bekanntesten Säuglings- und Kleinkindforscher, fand heraus, dass sich das Selbstwertgefühl in den ersten beiden Lebensjahren entwickelt. Besonders im ersten Lebensjahr ist das Baby auf eine tief unbewusste Weise darauf angewiesen, von der Mutter oder einer anderen Bezugsperson in seinem Wesen erkannt und angenommen zu werden, so der Psychoanalytiker Michael klöpper: Musik 2... (einblenden vor Take 4 ab: „Besonders im ersten Lebensjahr...) Take 4 (Klöpper) Das Kind kommt auf die Welt mit einer Vielzahl von Fähigkeiten, die sich aber erst ganz langsam entfalten müssen, Gefühlszustände, die wir alle kennen: wie Freude, Neugier, Scham, Angst, Wut und Zorn. Und aus diesen angeborenen Affekten entwickelt das Kind ganz langsam die Vielzahl seiner psychischen Fähigkeiten und Möglichkeiten. Und um Seite 5 diese entwickeln zu können, braucht der Mensch ein Gegenüber, das erkennt, dass das Erkannte spiegelt. (Musik soll hier weg sein) Sprecherin Wer als Kind zu wenig Liebe und Anerkennung bekommen hat, tut sich häufig schwer mit dem Selbstwert. Man lehnt sich dann später oft selbst ab und fühlt sich von anderen abgewertet. Neid, Missgunst, Eifersucht und Gewalt können die Folge sein. Kinder brauchen Unterstützung und Förderung, um ihren eigenen Wert kennen zu lernen. Michael Klöpper nennt ein Beispiel: Take 5 (Klöpper) Nehmen wir an, in einer Familie lebt ein Kind, das sehr musikalisch ist und eine musikalische Förderung braucht. Vielleicht ein anderes, was weniger musikalisch und weniger kreativ begabt ist, dafür aber vielleicht ein ausge-sprochen neugieriges Kind ist, eine gewisse wissenschaftliche Neugier hat und einfach Zusammenhänge entdecken will. Dann braucht das Kind an der Stelle eine Förderung. Und dann wird es vielleicht ein drittes Kind geben, das ist körperlich und motorisch besonders begabt und braucht eine Förderung im Bereich von körperlicher Motorik. Wenn solche Eltern nun nicht in der Lage sind, diese drei spezifischen Qualitäten von Kreativität, Intellektualität, von Körperlichkeit jeweils mit Wert zu versehen, also anzuerkennen, dass nicht das eine Kind weniger wert ist, weil es nicht so musikalisch ist oder weniger wert ist, weil es sich nur körperlich gerne bewegt, dann entsteht im Selbstwertgefühl des Kindes ein Mangel. Sprecherin Sich des eigenen Wertes bewusst zu sein, ist für viele Menschen heute besonders schwierig. Wir leben in einer Zeit, die allenthalben gekennzeichnet ist durch Ent-wertung und Ab-wertung. Man ist sich selbst nicht genug; man wertet andere ab, um sich selbst aufzuwerten. Psychologen und Zeitkritiker beklagen den zunehmenden alltäglichen Narzissmus, der sich darin zeigt, dass Menschen nach Bewunderung hungern, dazu neigen sich selbst zu überschätzen und jemand Besonderes sein wollen. Die Kommunikationstrainerin Klara Jobstmann: Take 6 (Jobstmann) Ich glaube, dass tatsächlich ein ganz tiefer Punkt in der Kindheit ist. Wenn da der Grundstock nicht gelegt ist für ein gutes Ich-Bewusstsein, ich bin wert und ich bin wichtig Seite 6 und hier ist meine Grenze und da geht es nicht mehr weiter und da muss ich weggehen, die ganzen Dinge – sei es bei Trennung oder eine Krise am Arbeitsplatz, ein Konflikt, die fallen immer auf einen Boden und der ist verschieden bei den Menschen. Sprecherin Menschen mit geringem Selbstwertgefühl wenden häufig viel Zeit und Mühe auf, um Anerkennung zu bekommen. Der eine findet sich nur wertvoll, wenn er mit Leistungen glänzen kann; der andere fühlt sich nur liebenswert, wenn der Partner oder die Partnerin ganz für ihn oder sie da ist. Besonders Frauen neigen dazu, sich in ihrem Selbstwert von anderen abhängig zu machen, beobachtet Klara Jobstmann, die Seminare zum Thema Selbstwert und Selbstbehauptung leitet: Take 7 (Jobstmann) Was Frauen dann tun, sie gehen ganz von sich weg und sagen: sag doch mal, dass ich gut aussehe und jetzt sag doch mal, dass ich klug bin und sag doch mal und mach doch mal. Ich arbeite sehr viel mit Paaren und das nervt natürlich viele Männer ohne Ende, verständlich und ich nehme das aber ganz ernst, weil der Wunsch, wert zu sein und geachtet zu sein und wichtig zu sein, den gibt es ja und es ist eine wirklich Qual. Sprecherin Auch Männer haben Selbstwertprobleme. Man merkt es ihnen häufig nur nicht gleich an, stellt Klara Jobstmann fest. Männer brauchen offenbar länger, bis sie zeigen können, dass ein mangelndes Selbstwertgefühl an ihnen nagt. Auch Alexander, 47 Jahre alt, hat lange unter einem schwachen Selbstwertgefühl gelitten: Take 8 (Alexander) Ich war lange Zeit sehr davon abhängig, was die anderen von mir denken, ob sie mich gut finden, schräg oder was auch immer und war da sehr empfindlich, sensible und verletzlich da auch. Und irgendwann hab ich mir dann gesagt: was will ich eigentlich? Ich bin doch hier auf dieser Welt und wenn mich diese Welt nicht gewollt hätte, dann hätte sie mich nicht erschaffen. Also was will ich noch mehr an Bestätigung. Ich bin es wert, auf dieser Welt zu sein. Seite 7 Take 9 (Jobstmann) 0`24 Es geht über Schmerzen, zu gucken: Mensch, wie ist das eigentlich mit dem Selbstwert? Das tut immer weh. Und wenn es so eine Einsicht gibt, dass das nicht richtig war, was die Menschen da über sich selbst gedacht haben, dann versuche ich zu den Ressourcen zu kommen: was können Sie gut? Warum sind Sie wert? Was wollen sie eigentlich? Sprecherin Für viele Menschen ist die Arbeit eine wichtige und oft entscheidende Quelle für ihren Selbstwert. Wenn die Arbeit nicht nur dem Broterwerb dient, sondern auch eine Quelle der Freude, Kreativität und Selbstverwirklichung ist, steigert sie das Selbstwertgefühl. Fällt diese Grundlage jedoch weg, weil man arbeitslos ist, bricht das Selbstwertgefühl häufig ein. Ein geringes Selbstwertgefühl gehört mit zu den Auslösern von psychischen Störungen. Aufbau und Steigerung des Selbstwertgefühls ist in Therapien und Kommunikationstrainings häufig ein zentrales Thema: Musik 3... (einblenden in Take 11 ab: „Stellen sie sich eine Schale vor..... Take 10 (Jobstmann) 0`38 Da ist es schon so, dass ich den Frauen versuche zu sagen, natürlich auch den Männern, wenn sie zu mir kommen, dass der Wert, der Wert ist wie eine Schale. Stellen Sie sich eine Schale vor, es ist der Selbstwert drin und der ist eigentlich immer gleich. Und wenn es jetzt draußen ruckelt und es heißt jetzt Trennung, dann schwappelt es da drinnen ordentlich oder da ruckt`s mit dem Arbeitsplatz, dann schwappelt es da drinnen auch und dann stürmt`s und dann gibt`s da ne Unruhe. Ob ich anfange, die Schale zu kippen und darüber die so zu kippen, dass der Selbstwert ausläuft, das kann ich selber bestimmen. (Musik hier ausblenden) Sprecherin Menschen möchten positiv über sich und ihr Leben denken. Dieser verständliche Wunsch verleitet häufig dazu, die eigenen Fehler und Schwächen abzulehnen. Ein positives und stabiles Selbstwertgefühl kann sich aber nur entwickeln, wenn man auch den eigenen Unvollkommenheiten wohlwollend und annehmend gegenüber ist, betont Klara Jobstmann: Seite 8 Take 11 (Jobstmann) D.h. nicht nur zu sagen: ich bin gut, sondern auch auf die andere Seite zu gucken: wo bin ich böse, wo bin ich gemein, wo bin ich aufbrausend, wo bin ich ungerecht. Und wo habe ich auch richtig schlechte Gedanken und bin missgünstig oder neidisch und vielleicht sogar zerstörerisch. Die meisten haben da sehr viel Angst vor, weil es ist ja auch erschreckend. Aber ich glaube, dass es gesünder ist, sich dessen bewusst zu werden und zu sagen: ja, das gehört zu mir und ich finde, daraus entsteht einfach ein Wert. Dann kann ich sagen: ja, ich bin das und ich bin das. Beides gehört zu mir und beides ist gut und wert. Musik 4... (einblenden unter Take 11 ab: „ja das gehört zu mir....“) Sprecherin Ein positives Selbstwertgefühl kann man nicht einfach machen. Es muss wachsen. Anstatt sich dauernd mit kritischen Augen zu betrachten, übt man zum Beispiel, einen liebevollen und annehmenden Blick auf sich selbst zu entwickeln: Take 12 (Jobstmann) Und dann ist es gut, irgendwann mal zu sagen, ich will es von Mama oder Papa, sondern ich will mir selbst ne gute Mutter sein, ein guter Vater. Ich will es nicht vom Partner oder von der Freundin, sondern ich gebe mir das wirklich selbst und bin dann nicht mehr abhängig. (Musik noch einmal kurz hochziehen) Literatur Verena Kast: Trotz allem: ICH. Gefühle des Selbstwerts und die Erfahrung von Identität. Herder Verlag 2005 € 9,90 Friedericke Potreck-Rose / Gitta Jacob: Selbstzuwendung, Selbstakzeptanz, Selbstvertrauen`. Psychotherapeutische Interventionen zum Aufbau von Selbstwertgefühl. Klett-Cotta 2003 € 23,00 Friederike Potreck-Rose: Von der Freude, den Selbstwert zu stärken Klett-Cotta Leben 2007 € 12,90 Seite 9 Anselm Grün: Selbstwert entwickeln, Ohnmacht meistern. Spirituelle Wege zum Inneren Raum. Kreuz Verlag 1995 € 14,90 ________________________