„Selbst-Wert-Gefühl“ – drei zentrale Worte in der Behandlung Abhängigkeitserkrankter Nina Paulsen AHG Klinik Lübeck Übersicht •Stellenwert vom „Selbstwertgefühl“ in der Psychotherapie •Selbstwert – Definition, Quellen, Bedrohungen… •„Selbst“–„Werte“–„Gefühle“ – genauer betrachtet… •Grundbedürfnisse und Bedürfnisfrustration •Abwehrmechanismen oder auch „Selbstwertschutz“ •Möglichkeiten der Selbstwertstärkung in der therapeutischen Praxis 2 Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht… •…, ob Sie ein „guter“ oder ein „wertvoller“ Mensch sind? •…oder wie das mit Ihrem Nachbarn, dem Kollegen, dem Chef oder dem Obdachlosen auf der Parkbank ist? •Wer fällt Ihnen zuerst ein, wenn Sie an besonders wertvolle, wichtige Menschen denken? •Wer sind aus Ihrer Sicht die Versager, die Taugenichtse? 3 Stellenwert vom „Selbstwertgefühl“ in der Psychotherapie •Praktisch keine psychische Störung oder Problematik, die nicht mit einem Mangel an Selbstwert in Zusammenhang gebracht werden kann •U.a. Substanzmittelmissbrauch/ Abhängigkeit, Depression, Ängste, Essstörungen, BPS etc. •Auch Patienten nennen die Stärkung des Selbstwertes als eines der häufigsten Ziele in der Psychotherapie (Faller &Gossler, 1998) • Daher: ist ein störungsübergreifendes Ziel der Psychotherapie die Stärkung des Selbstwertes (Ambühl&Orlinsky, 1999) 4 Selbstwertgefühl – Was ist das? •Das Selbstwertgefühl steht im Zentrum des menschlichen Funktionierens •Wert, den wir uns selbst zuschreiben •Selbstwert ist veränderbare, entwicklungsfähige Größe •subjektiv, kann in unterschiedlichen Bereichen unterschiedlich stark ausgeprägt sein •Einschätzung muss nichts mit der Realität zu tun haben 5 Das Selbstwertgefühl wirkt sich maßgeblich aus auf: •unsere Haltung zu uns selbst • unser Lebensgefühl •unsere Aktivitäten •unsere Kontakte zu anderen 6 Quellen des Selbstwertes •Schütz (2000): 1) Erfolge und individuelle Fähigkeiten, z.B. beruflicher Erfolg, schnelle Auffassungsgabe 2) Grundhaltung der Selbstakzeptanz, z.B. Achtung vor der eigenen Person, positive Einstellung zu sich selbst 3) soziale Kompetenzen, z.B. Offenheit im zwischenmenschlichen Kontakt 4) Zufriedenheit und Geborgenheit in funktionierenden sozialen Beziehungen, z.B. führen einer glücklichen Partnerschaft oder Freundschaften 7 Bedrohung des Selbstwertes durch… • Kritische Lebensereignisse, Traumata, chronische Krankheiten, etc. • Soziale Konflikte • Empfangen von Hilfe in einer asymmetrischen Beziehung • Übermäßige Selbstkritik • Sich vernachlässigt, unverstanden, abgewertet, bloßgestellt, abgelehnt zu fühlen 8 „Selbst“ – „Werte“ – „Gefühle“ •Selbst als Gesamtheit des Wissens um die eigene Person (Metz-Göckel, 2000) •Menschen können sich selber zum Gegenstand der Reflexion machen, können über sich nachdenken (Wer bin ich?, Wie möchte ich sein?, Wie sollte ich sein?) •Individuelle Selbstkonzepte vs kollektive Selbstkonzepte •Wesentliche Anteile des Selbst entwickeln sich in der Kindheit – Hängen eng mit der Befriedigung der Grundbedürfnisse eines jeden Menschen zusammen 9 „Selbst“ – „Werte“- „Gefühle“ • Werte sind gleichsam der „innere Kompass“, der das menschliche Verhalten orientiert, legitimiert und entlastet. • Als „ideale Verhaltensmaßstäbe“ geben Werte dem Menschen: a) Orientierung, wie man sich z.B. in Konflikt - und Entscheidungssituationen verhalten soll b) zurückblickende oder vorrausschauende Rechtfertigung von Handlungen einer Person gegenüber sich selbst und anderen c) Entlastung, wenn gemeinsame Werte in Gruppen wechselseitige Bestätigung finden 10 „Selbst“ – „Werte“ – „Gefühle“ Häufig erlebte Gefühle bei Patienten mit Suchterkrankungen: •Scham: tritt auf, wenn man sich durch eigene oder fremde negative Bewertung als ganze Person in Frage stellt •Schuld: bezieht sich auf bestimmte Verhaltensweisen, die als schlecht oder falsch bewertet werden und für die man selbst verantwortlich ist – (das zugehörige Gefühl ist Reue wodurch Wiedergutmachung veranlasst wird) •Weitere Gefühle: Ent-/Täuschung, Angst, Wut, Einsamkeit, Traurigkeit, Ohnmacht, Mutlosigkeit, Verunsicherung… 11 Grundbedürfnisse (nach Grawe) •Bindung (zu anderen) •Selbstwerterhöhung •Kontrolle / Orientierung •Lustgewinn / Unlustvermeidung 12 Bedürfnisfrustration führt zu Spannungen, die nach Auflösung drängen… •Psychische Vulnerabilität wird aufrechterhalten durch die Verletzung der Grundbedürfnisse •Alle Situationen, in denen wir uns ohnmächtig fühlen oder die uns vermitteln das unsere Fähigkeiten unnütz oder nicht gefordert werden verunsichern uns, rufen Sehnsucht nach innerer Ruhe und Unverletzlichkeit hervor 13 Bedürfnisfrustration und die Entwicklung der „5 Vs“ Bindung Selbstwert Kontrolle / Orientierung Lustgewinn/ Unlustvermeidung Knüpfen von Unabhängigkeit Bekanntschaften demonstrieren Bewältigung von Erleben von Unsicherheit Abenteurlichem Vermeidung von Anstrengung „Ich bin gut mit Menschen im Kontakt“ „Ich bin gut so wie ich bin“ „Ich kann etwas gut“ „ Mir geht es gut“ V1 „Verlassene“ V2 „Verlierer“ V3 „Verunsicherte“ V4 „Verwöhnte“ V5 „Vermeider“ 14 Abwehrmechanismen oder auch „Selbstwertschutz“ in der Therapie •Finden von „guten“ Erklärungen / Ausreden („Ich habe nur getrunken, um Schlafen zu können“) •Verantwortung für Änderungen abschieben („ Ich kann mich heute nicht an der Gruppe beteiligen, weil ich Kopfschmerzen haben…“) •Ablenkung (Rauchen, Handy, über Klinik meckern…) •Therapeuten für Mitpatienten spielen 15 •Verharmlosung („Bei mir ist es ja bei weitem nicht so schlimm wie bei…“) •Verleugnung (u.a. Ambivalenz leugnen) •Frühzeitiges Festlegen auf die Abstinenz („Mir ist klar, ich darf nie wieder Trinken“, „Ich habe mich entschieden und dann ist das so“) •Magisches Denken („Sobald ich eine neue Wohnung habe, wird sich alles für mich ändern“) 16 Möglichkeiten der Selbstwertstärkung in der therapeutischen Praxis •Änderung ist kein Ereignis, Änderung ist ein Prozess •Häufig beschränken Suchtmittelabhängige sich auf symptomatische Ebene in der Therapie (weniger / nicht mehr Trinken) •Patienten sollen wieder lernen die Einstellung zu sich und der Welt zu überprüfen, aktuelle Probleme zu lösen, Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen zu verändern, Gefühls- und Erlebnisverarbeitung zu fördern und analysieren 17 Einstellungen zu sich und der Welt überprüfen • Wer bin ich, wenn ich weiter trinke? • Wie fühle ich mich, wenn ich weiter trinke? • Wer bin ich, wenn ich abstinent lebe? • Wie fühle ich mich, wenn ich abstinent lebe? • Was liegt mir wirklich am Herzen? • Womit will ich mein Leben bereichern? • Mit wem möchte ich Kontakt pflegen? • Was bin ich mir wert? 18 …Einstellungen zu sich und der Welt überprüfen Die Wunderfrage stellen… Stellen Sie sich vor, über Nacht ist ein Wunder geschehen: Der Wunsch nach Alkohol, Drogen oder Glücksspiel ist für alle Zeit in Ihnen vollständig erloschen. Woran bemerken Sie, dass das Wunder passiert ist? Was ist anders als sonst? Woran werden andere feststellen, dass das Wunder geschehen ist? Welchen Unterschied macht es in Ihrem Leben, dass das Wunder geschehen ist? Was können sie nun tun, was vorher nicht möglich war? 19 Abschied vom Konsummittel ernst nehmen und zum Thema mit dem Patienten machen • Nicht zu unterschätzen ist was der Abschied vom Konsummittel, im Sinne eines Verlustes, für eine emotionale Bedeutung für unsere Patienten hat… – Nüchtern bin ich zurückhaltend, kann ich nicht… – Nüchtern weiß ich nicht, wie ich meine Tage rumkriegen soll… – Nüchtern merke ich wie allein ich bin… • Abschied bedeutet trauern, auch um die positive Seite des Konsums (andere emotionale Seiten von Trauer sind z.B. Zorn, Angst, Einsamkeit, Schuld, Hilflosigkeit, Sehnsucht) • Wichtig: Abstinenz bedeutet vom Verstand zum Gefühl zu kommen und sich zu vergegenwärtigen, welche Verluste die Sucht mit sich gebracht hat… 20 Therapeutische Interventionen zur Selbstwertstärkung • Entwicklung einer Tagesstruktur • Aufbau angenehmer Aktivitäten • Aufbau von Selbstfürsorge • Kognitive Umstrukturierung- Dysfunktionale Grundannahmen erarbeiten und verändern • Achtsamkeit / Förderung von Genussfähigkeit • Umgang mit dem inneren Kritiker oder den liebevollen Begleiter etablieren • Freudetagebuch …………. 21 Therapie hat immer etwas mit der Stärkung des Selbstwertgefühls zu tun… • Psychoedukation (Abhängigkeit, komorbide Störungen) • Einzel – und Gruppentherapien • Achtsamkeit, Stressbewältigung • Entspannung • Sport und Bewegung • Soziales Kompetenztraining • Ergotherapie, Arbeitstherapie, Berufspraktika 22 5 Finger Übung • Daumen-Zeigefinger (Erinnern Sie sich an ein Ereignis an dem Sie das Gefühl hatten versorgt und geliebt zu sein) • Daumen-Mittelfinger (Erinnern Sie sich an einen eigenen Erfolg) • Daumen-Ringfinger (Erinnern Sie sich an etwas, wo sie etwas Gutes für jemand anderen getan haben) • Daumen-kleiner Finger (Erinnern Sie sich an jemanden, den Sie lieben oder innig geliebt haben) • Nutzen Sie die Übung immer dann, wenn sie sich rasch erinnern wollen, wie es ist, sich gut zu fühlen… 23 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!!! 24